teil ii lehrerhandreichung „laminare ......192 einleitung relativitätstheorie, mit körpern...
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TEIL II
LEHRERHANDREICHUNG„LAMINARE STRÖMUNGEN, TURBULENZ UND
STRUKTURBILDUNG IN FLÜSSIGKEITEN“
EINE UNTERRICHTSREIHE FÜR DIE GYMNASIALE OBERSTUFE
UND DIE LEHRERAUSBILDUNG
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1 EINLEITUNG
Wirbel aller Größenordnungen, in Luft und in Wasser, üben auf den Menschen eine besondere
Faszination aus. Besonders Wirbelstürme - Hurrikans und Tornados - stehen in jüngster Zeit
ganz oben auf der Hitliste, wenn man das Medieninteresse als Indikator nehmen darf. Aber
auch kleinräumigere Strömungen wie Wirbelströmungen in Bächen, in Flüssen, am Meer,
laden durch ihre Vielgestaltigkeit zur genaueren Betrachtung ein.
Obwohl in unserem Alltag immer gegenwärtig, findet sich das Thema „Strömungen“ in kaum
einem Lehrplan oder Schulbuch. Ein Grund mag das hohe mathematische Niveau des Themas
sein, das die Grenzen der Schulmathematik schnell übersteigt. Aber gerade dieser Zwang, auf
eine ausführliche mathematische Bearbeitung verzichten zu müssen, kann auch eine Chance
für den Physikunterricht bedeuten, wenn man sich mehr mit den Konzepten befasst, die hinter
der mathematischen Theorie stecken. So besteht die Möglichkeit, dass auch Schülerinnen und
Schüler mit geringeren mathematischen Fähigkeiten wieder mehr Interesse am
Physikunterricht finden.
In der Wissenschaft erhielt die Strömungsdynamik durch die Wiederentdeckung der nicht-
linearen Dynamik neuen Auftrieb - entdeckt wurde sie schon Anfang dieses Jahrhunderts
durch den französischen Mathematiker Henri Poincaré. Die meisten „Paradebeispiele“ der
nichtlinearen Dynamik stammen aus der Hydrodynamik, wie z.B. die turbulenten Strömungen,
das Wettergeschehen, das Lorenz-, das Bénard- und das Taylorsystem.
Aus diesem Grund nähert sich die vorliegende Unterrichtsreihe der nichtlinearen Dynamik
von der Strömungsphysik her. Dabei gehen traditionelle und hochaktuelle, z.T. noch nicht
vollständig erforschte Gebiete der Hydrodynamik ineinander über.
Die Linearisierung ist in der Physik ein wichtiges und erfolgreiches Hilfsmittel, um Phäno-
mene berechnen und abschätzen zu können. Die Lernenden sollten allerdings auch die
Grenzen der Näherungen kennen lernen und erkennen, dass natürliche Systeme nichtlinear
sind.
Wie kaum ein anderes Thema bietet die Hydrodynamik die Möglichkeit, über Modellbildung
in der Physik und die damit verbundene eingeengte Sichtweise zu diskutieren. Begriffspaare
wie „ideal - real“ oder „linear - nichtlinear“ werden von verschiedenen Seiten beleuchtet.
Die nichtlineare Dynamik ist ein populäres Thema, dem ein großes öffentliches Interesse zu-
teil wird und anhand dessen die Lernenden sehen, dass die Physik kein fertiges Wissenschafts-
gebäude ist, sondern ständig ausgebaut wird. Diese Erkenntnis motiviert viele Lernende. Sie
sehen, dass es in der Gegenwart und sicher auch in der Zukunft noch grundsätzlich Fragen an
die Physik gibt, die es zu klären gilt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt spricht für die nichtlineare Dynamik: Sie befasst sich nicht, wie
die Quantenmechanik in der Schule, mit mikroskopisch kleinen Objekten oder, wie die
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192 Einleitung
Relativitätstheorie, mit Körpern großer Abmessungen oder großer Entfernungen, sondern mit
Systemen, deren Größe mit den menschlichen Sinnen erfasst werden kann.
Ein besonderer Schwerpunkt dieser Unterrichtsreihe liegt auf der Interdisziplinarität des
Themas: Anwendungen und Beispiele aus der Meteorologie, der Medizin, der Technik und
der Kunst zeigen die Relevanz der Naturwissenschaften für die verschiedensten Bereiche der
Lebenswelt der Schülerinnen, Schüler und Studierenden. Sie können die Fähigkeit erwerben,
das Gelernte auf andere Gebiete anzuwenden, lernen allerdings auch die vorläufigen Grenzen
der Theorie kennen. Die Strömungsdynamik eignet sich wie nur wenige Themen in der Physik
für einen „Blick über den Tellerrand“.
Handhabung der Unterrichtsreihe
Konzipiert wurde diese Unterrichtsreihe für die Jahrgangsstufen 12 oder 13. Die Reihe um-
fasst insgesamt etwa 30 Unterrichtsstunden, was in etwa der Stundenzahl des Leistungskurses
13/2 in Hessen entspricht. Diese 30 Stunden wurden in sechs Blöcke à fünf Unterrichts-
stunden aufgeteilt. Dabei ist der Zeitaufwand für Klassenarbeiten, Tests o.ä. noch nicht
berücksichtigt.
Die Blöcke sind so aufgebaut, dass sie auch einzeln unterrichtet werden können. Nicht alle
Themenblöcke benötigen die mathematischen und physikalischen Vorkenntnisse der Jahr-
gangsstufen 12 oder 13. So ist z.B. der erste, zweite oder vierte Themenblock und Teile des
fünften Themenblocks ohne weiteres auch schon in der 11. Jahrgangsstufe unterrichtbar. Da in
der Unterrichtsreihe Begriffe und Modelle aus der Mechanik wiederholt und in einem
erweiterten Kontext angewendet werden, können einige Teile dieser Reihe dazu dienen, in der
11. Jahrgangsstufe der technischen Gymnasien das Wissen der Schülerinnen und Schüler, die
aus verschiedenen Schultypen stammen, auf einen einheitlichen Stand zu bringen.
Bewährt hat sich diese Unterrichtsreihe auch im Rahmen der Lehrerausbildung. Sowohl Lehr-
amtsstudierende für Gymnasien, als auch für Haupt- und Realschulen können geeignete
Themen für ihren späteren Unterricht auswählen und gemeinsam diskutieren. Die große An-
zahl einfacher Versuche regt die Studierenden an, diese auch in anderem Rahmen, z.B. für
Projektwochen, für Mitmachausstellungen oder zu Tagen der offenen Tür einzusetzen.
Jeder Themenblock beginnt mit einer Tabelle der einzelnen Unterrichtsschritte sowie der ge-
planten Versuche und Demonstrationen. Alle benötigten Materialien sind aufgelistet. Im Text
sind die Versuche, Demonstrationen, Filme usw. kursiv und fett gedruckt. Die Experimente
sind so geplant, dass die Materialien in der Schulsammlung oder im Haushalt vorhanden sein
müssten, einige sind in Heimwerkermärkten oder in Schreibwarenläden preiswert erhältlich.
Welche Versuche als Schüler- und welche als Demonstrationsversuche im Unterricht
eingesetzt werden, hängt von der Ausstattung der Schule ab. Prinzipiell sind fast alle
Versuche als Schülerversuche durchführbar.
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1 Einleitung 193
Das Thema „Strömungen“ erzwingt die ausführliche Darstellung der Themenblöcke, da in der
Lehrerausbildung die Hydrodynamik üblicherweise nicht gelehrt wird. Auch in Schulbüchern
und allgemeinen Lehrbüchern der Physik wird dieses Gebiet (noch) rudimentär behandelt, vor
allem ohne Berücksichtigung der neuesten Forschungsergebnisse. Die Fachliteratur zu den
ausgewählten Themen ist sehr weit gestreut und wird mathematisch schnell anspruchsvoll.
Aus diesen Gründen wurde für die Unterrichtsreihe eine Form gewählt, die es den Lehrenden
erlaubt, sich selbst ohne großen Aufwand einzuarbeiten und im Idealfall den Unterricht 1:1 zu
übertragen. Um eine aufwendige Literatursuche zu ersparen, sind in einigen Themenblöcken
längere Originalzitate enthalten. Um den Rahmen nicht vollständig zu sprengen, wurde auf
ausführliche methodische Angaben verzichtet, da diese von den Rahmenbedingungen des
Unterrichts abhängen und so im Ermessen des Lehrenden liegen.
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3 DIE THEMENBLÖCKE DER UNTERRICHTSREIHE
3.1 Themenblock „Wirbel“
Schritte Materialien
1. Wirbelstürme
� Wie unterscheidet sich ein Hurrikanvon einem Tornado oder einerZyklone?
� HurrikansNamensgebungAufbauEntstehungStrömungen im HurrikanDas Auge des HurrikanZugbahnenSteigt durch die Klimaänderung dieWirbelsturmhäufigkeit?
� TornadosEntstehungAufbauTornados in Deutschland
Zeitungsausschnitte und Satellitenbilderaus dem Internet. Adresse von meteosat:http://www.uni-karlsruhe.de/~bh28/metbest.html
Demonstrationen zur Corioliskraft:Drehtisch, Kreide, verschiedenfarbigeVektorpfeile aus Pappe, Globus oder auf-blasbare Weltkugel
evtl. Video
2. Wie Wirbel entstehen
� Wie unterscheidet sich eine rotierendeFlüssigkeit von einem rotierendenFestkörper?
� Hohlwirbel
� Die Helmholtzschen Wirbelsätze
Versuch „Wasserwirbel“: 2-Liter-Becherglas, Magnetrührer, Tinte, Pipette,Streichholzköpfe, Kreisel
Alternativversuch „Tornado-Rohr“: 2Plastikcolaflaschen, Verbindungsstück„Tornadorohr“ (Physikboutique, Pf: 1852,85318 Freising) oder Gartenschlauch(Innendurchmesser: 2,5 cm), ¾ “ Dich-tungsring, Konfetti, Streichholzköpfe
Versuch „Ringe in Luft“: Wirbeltrommeloder selbstgebaute Wirbeltrommel ausEspressodose oder Blumentopf, Plastik-tüte, Gummiringe
Rauchmacher: Salzsäure und Ammoniakoder Zigarette
Versuch „Ringe in Wasser“: Schüssel(möglichst weiß oder aus Glas), Pipette,Kalium-Permanganat-Lösung
Versuch „Kaskade“: mind. 50 cm hohesGlas, Tinte, Pipette
Versuch „Helmholtz-Wirbel“: Schüsselwie oben, Tinte, Löffel
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198 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
3.1.1 Wirbelstürme
VORBEMERKUNGEN
Schon seit geraumer Zeit haben Wirbelstürme in den Medien Hochkonjunktur, noch nie war
das Thema so aktuell. Der Grund für dieses Interesse ist die erhöhte Häufigkeit und Zerstö-
rungskraft mit der diese Stürme auftreten: So wurden z.B. im Jahr 1995 19 tropische Wirbel-
stürme, davon 11 Hurrikans allein im Atlantik registriert (Mündliche Auskunft von Herrn
Pöttger, Wetteramt Hamburg). Diese Anzahl ist weit überdurchschnittlich und wurde nur im
Jahr 1933 mit 21 Wirbelstürmen übertroffen.
Verschiedene öffentliche und private Fernsehsender strahlten in letzter Zeit Wissenschafts-
sendungen zum Thema „Wirbelstürme“ aus. Ein weiterer Grund für die Popularität des
Themas ist der Spielfilm „Twisters“ von Steven Spielberg, der sich auf spektakuläre Art und
Weise mit Tornados befasst und dadurch ein sehr großes Publikum, vor allem Jugendliche er-
reicht. Zusätzlich sind in verschiedenen populärwissenschaftlichen Zeitschriften Artikel zum
Thema erschienen, die zum Teil sehr aufwendige Schaubilder und herausragende Foto-
graphien zeigen. Diese Artikel sind gut verständlich und eignen sich ausgezeichnet für
Referate und Hausarbeiten (z.B. SNOW 1984; DAVIS-JONES 1996; MILLER 1987; JACOB
1993; NASH 1996).
Zusätzliche Literatur zur Wirbelentstehung und zum Wirbelaufbau: SCHADE 1980; FABER
1995; ACHESON 1990.
LEHR- UND LERNZIELE
Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen
� verschiedene Wirbelsturmarten unterscheiden lernen, um Berichte in den Medien einord-
nen zu können.
� angeregt werden, einzeln oder in Gruppen zu recherchieren. Zu diesem Thema existiert
eine Materialfülle, von den Printmedien über das Internet bis zu Fernsehübertragungen.
� die Entstehungsbedingungen und den Aufbau von Wirbelstürmen kennen lernen.
� mögliche Zusammenhänge zwischen Klimaänderungen und dem gehäuften Auftreten von
Wirbelstürmen erkennen.
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3.1 Themenblock „Wirbel“ 199
AUSFÜHRUNG
Wie unterscheidet sich ein Hurrikan von einem Tornado oder einer Zyklone?
Hurrikan/ Taifun Tornado Zyklone/ Tiefdruck-
gebiete
Erscheinungsgebiete Hurrikan: Amerika,
Karibik, Golf von Mexiko.
Willy-Willy/ Zyklon:
Australien.
Taifun: Asiatischer Raum
(China, Japan, Philippinen).
In allen Teilen der Erde.
Am häufigsten in den Great
Plains, die von Texas bis
Kanada reichen.
Tief- und Hochdruckgebiete
in mittleren Breiten.
Entstehungsbedingungen Bilden sich über warmen
Ozeanen.
Mindestwassertemperatur:
26°C.
Ab dem 10. Breitengrad.
Bilden sich über Land,
wenn kalte, trockene über
warme, feuchte Luftmassen
strömen, d.h. z.B. in
Gewitterwolken.
Können sich aus Hurrikans
bilden.
Durchmesser ca. 500-1000 km. ca. 50-500 m. mehrere 1000 km.
Lebensdauer mehrere Tage. wenige Stunden. mehrere Tage bis Wochen.
Durchschnittliche Wind-
geschwindigkeit
bis zu 300 km/h. bis zu 500 km/h. ca. 80 km/h.
Tabelle 1.1: Charakteristika von Hurrikan, Tornado und Zyklone
Hurrikans und Taifune
Diese Wirbelstürme besitzen die gleichen Erscheinungsbilder: Es handelt sich um Wirbel mit
großem Querschnitt, deren Durchmesser zwischen 500 km und über 1000 km liegt. Da sie in
verschiedenen Gebieten der Erde auftreten, ist ihre Bezeichnung ortsabhängig: Wirbelstürme,
die sich über dem Atlantik, vor allem über dem Golf von Mexiko und der Karibik bilden,
werden Hurrikans genannt. Taifune entstehen über dem Stillen Ozean, vor allem vor China,
Japan oder den Philippinen. In Australien nennt man die Wirbelstürme „Willy-Willies“ oder
„Zyklone“, während man in anderen Gebieten der Erde Tief- und Hochdruckgebiete als
Zyklone bezeichnet.
Das Wetteramt in Hamburg zählt Winde ab Windstärke 8 (70 km/h) zu den „tropischen Stür-
men“, erst ab Windstärke 12 (ab ca. 120 km/h) werden sie „Hurrikan“ genannt.
Die Bezeichnung „Hurrikan“ stammt von dem indianischen Wort für Sturm „huracan“ ab,
Taifun vom chinesischen Begriff „tai fung“, übersetzt „Wind der schlägt“.
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200 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
Die Namensgebung für Hurrikans erfolgt nach Alphabet: Hurrikans, die im Laufe eines
Jahres auftreten, erhalten Namen in alphabetischer Reihenfolge. Die Namenslisten werden
schon lange vorher festgelegt. Bis 1970 wurden nur Mädchennamen vergeben, seither werden
männliche und weibliche Namen abgewechselt.
Hurrikans, Taifune und Zyklonen können nur in einem ganz begrenzten geographischen Be-
reich entstehen und zwar ungefähr zwischen dem 10. und dem 15. Grad nördlicher und süd-
licher Breite. Dort sind die Meere warm genug, um die Wirbelstürme mit Energie zu ver-
sorgen. In der direkten Umgebung des Äquators, unterhalb des 5. Breitengrads, können sich
keine Wirbelstürme ausbilden, da in diesem Gebiet die „Corioliskraft“, die die Winde auf eine
Spiralbahn zwingt, zu gering ist.
Wie ist ein Hurrikan aufgebaut?
Das Internet erlaubt es, im Unterricht aktuelle Satellitenauf-
nahmen von Wirbelstürmen einzusetzen. Sie erhalten Auf-
nahmen von Meteosat unter folgender Adresse:
http://www.uni-karlsruhe.de/~bh28/metbest.html.
In den meisten Satellitenaufnahmen werden geographische
Grenzen eingezeichnet, so daß mit ihrer Hilfe die Größe eines
Wirbelsturms abgeschätzt werden kann.
Abbildung 1.1 zeigt den Hurrikan Emily vor der Ostküste der
USA am 31. August 1993. Sowohl das wolkenfreie Auge in
der Sturmmitte, als auch die Drehrichtung des Wirbels ist
deutlich erkennbar. Die eingezeichneten Linien stellen die Grenzen der Bundesstaaten
Virgina, North- und South-Carolina dar, mit deren Hilfe die ungefähre Ausdehnung des
Hurrikans bestimmt werden kann: Sein Durchmesser beträgt ca. 600 km, der des wolkenfreien
Auges ca. 80 km.
Wie entsteht ein Hurrikan oder Taifun?
Voraussetzungen für die Entstehung eines Hurrikans:
1. Die Corioliskraft muss groß genug sein, damit ein Wirbel entsteht.
2. Die Meerestemperatur muss über 26°C liegen.
3. Auf Meereshöhe muss ein Tiefdruckgebiet, eine sog. Konvergenzzone, vorhanden sein.
Bei allen großräumigen Strömungen in der Atmosphäre, wie der Ausbildung von Hoch- und
Tiefdruckgebieten und Wirbelstürmen, aber auch bei Strömungen in Gewässern, spielt die
Corioliskraft eine bedeutende Rolle.
Luftmassen in der Atmosphäre strömen immer von Gebieten hohen Luftdrucks zu Gebieten
niedrigen Drucks. In einem unbeschleunigten Bezugssystem wäre die Bahn der Luftteilchen
Abb 1.1: Hurrikan „Emily“ NOAA-
Satellitenaufnahme 31.8.1993
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3.1 Themenblock „Wirbel“ 201
geradlinig. Die Erde aber ist ein rotierendes, also beschleunigtes Bezugssystem. Sie dreht sich
mit konstanter Geschwindigkeit. Durch die Rotation ändert jedes bewegte Teilchen auf der
Erde ständig die Richtung und erfährt damit eine Beschleunigung. Wo eine Beschleunigung
auftritt, muss eine Kraft wirken.
Demonstration: Drehtisch oder -schemel langsam rotieren lassen und mit einem Stück Kreide
in direkter Linie von außen nach innen oder von innen nach außen zeichnen.
Für Beobachter außerhalb des rotierenden Bezugssystem ist die Bahn der Kreide eine Gerade
zur Schemelmitte oder von der Mitte zum Rand. Die gezeichnete Kreidespur zeigt aber eine
Linie, die von der Geraden abweicht und an der Schemelachse vorbeiführt. Der Schemel dreht
sich unter der Kreide hindurch.
Übertragen auf eine Luftströmung heißt das: Auf der Nordhalbkugel wird sie im Laufe ihrer
Bewegung relativ zur Windrichtung nach rechts abgelenkt. Die Kraft, die die Luftströmung
senkrecht zur Windgeschwindigkeit und senkrecht zur Drehachse beschleunigt, ist die sog.
„Corioliskraft“. Auf der Südhalbkugel wird die Luftströmung dementsprechend nach links
abgelenkt.
a vc � �2� �sin Coriolisbeschleunigung� �
��
a v
a
c
c
�
� �
�
� = Winkelgeschwindigkeit der Erde
�
v = Relativgeschwindigkeit des bewegten Körpers
� = Winkel zwischen � und v = geographische Breite
� am Äquator: � = 0 =>sin � = 0 => Fc = 0
� an den Polen: � = 90° =>sin � = 1 => Fc = maximal
Nordhalbkugel: Ablenkung nach rechts
Südhalbkugel: Ablenkung nach links
Abb 1.2: Zur Corioliskraft
Der Sinusterm beschreibt die Abhängigkeit der Corioliskraft von der geographischen Breite:
Am Äquator verschwindet die Corioliskraft, da die Richtung der Strömungsgeschwindigkeit
und die Drehrichtung der Erde zusammenfallen. An den Polen stehen Geschwindigkeit und
Drehrichtung senkrecht aufeinander, die Corioliskraft wird maximal.
Demonstration:
Anhand eines Globus oder einer aufblasbaren Weltkugel kann die Abhängigkeit der Coriolis-
kraft von der geographischen Breite demonstriert werden. Verschiedene farbige Vektorpfeile
symbolisieren die Vektoren. Die Variation des Winkels zwischen der Relativ- und der
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202 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
Winkelgeschwindigkeit mit der Änderung des Breitengrads wird bei einem dreidimensionalen
Modell sehr viel deutlicher als an der Tafel. Noch einprägsamer wird die Rechts- und
Linksablenkung demonstriert, wenn man den Globus oder eine beliebige Kugel um ihre Achse
rotieren lässt und, ähnlich wie beim Drehschemel, mit einem Stift geradlinig über die
Oberfläche zeichnet.
Weshalb sind die Luftwirbel auf der Nordhalbkugel linksdrehend, wie die meteosat-Auf-
nahme in Abbildung 1.3 zeigt? Die vom Hoch- zum Tiefdruckgebiet strömende Luft wird
durch die Corioliskraft relativ zur Strömungsrichtung nach rechts abgelenkt. Sie strömt also
zunächst am Zentrum des Tiefdruckgebiets vorbei. Der niedrige Druck im Zentrum sorgt aber
dafür, dass die Luftmassen abgelenkt werden und spiralig ins Tiefdruckgebiet einströmen. Es
entsteht auf der Nordhemisphäre ein linksdrehender, auf der Südhemisphäre dementsprechend
ein rechtsdrehender Wirbel.
Strömungen im Hurrikan
In Abbildung 1.4 symbolisieren die schwarzen Pfeile feuchte und warme Luftmassen, die in
ein Tiefdruckgebiet auf Meereshöhe einströmen.
Da sie wärmer und damit weniger dicht sind als
die Luft in höheren Schichten, steigen sie nach
oben. Dabei strömen die warmen, wasser-
dampfreichen Luftblasen durch kühlere Schichten,
der Wasserdampf kondensiert und es regnet.
Wenn gasförmiges Wasser in die flüssige Phase
übergeht, wird Kondensationswärme frei. Diese
Energie beschleunigt die Luft noch weiter, in
Höhen bis zu 15 km. In diesen großen Höhen
fließt die nun trockene Luft nach außen ab.
Abb. 1.3: Linksdrehender Wirbel auf der Nordhemisphäre
Abb 1.4: Strömungen in einem Hurrikan
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3.1 Themenblock „Wirbel“ 203
Währenddessen strömt immer mehr warme Meeresluft in niedrigen Schichten zum Zentrum
nach und steigt dort spiralig auf. Die „Maschinerie“, die den Wirbelsturm antreibt, ist ange-
worfen. Ihre Energiequelle ist die Wärmeenergie der einströmenden Luft.
Meteorologen haben abgeschätzt, dass die kinetische Energie eines Hurrikans etwa 1010 kWh
beträgt. Im Vergleich liegt die kinetische Energie der Atombombe, die Nagasaki zerstörte, mit
etwa 107 kWh um drei Größenordnungen niedriger (BATTAN 1961).
Das Auge des Hurrikans
Das Zentrum des Hurrikans mit einem
Durchmesser von bis zu 100 km wird
„Auge“ genannt. Das Auge ist ein Tief-
druckgebiet. Der niedrige Druck bewirkt,
dass von großen Höhen trockene Luft ein-
gesogen wird, die bis auf Meereshöhe
absinkt. In Abbildung 1.4 ist diese absin-
kende Luft durch weiße Pfeile dargestellt.
Da die in der Luft enthaltenen Wasser-
tröpfchen beim Absinken in wärmere La-
gen verdunsten, ist das Auge wolkenlos.
Im Auge kann der Druck um bis zu 10%
des Normaldrucks erniedrigt sein. Dieser Wert entspricht in etwa den Schwankungen des
Drucks bei einem Wetterwechsel oder dem Druckunterschied zwischen Meereshöhe und 800
Höhenmeter. Unter der Annahme, dass der Normaldruck dem Druck einer Wassersäule von
10 m Höhe entspricht, hat die Erniedrigung des Drucks im Auge des Hurrikans um 1/10 des
Normaldrucks zur Folge, dass der Wasserspiegel im Auge um 1m steigt. Gemeinsam mit
starken Winden, die außerhalb des Auges wüten, können hohe Wellenberge entstehen. Sie
verursachen vor allem in tiefliegenden Gebieten wie den Anrainerstaaten um den Golf von
Bengalen verheerende Überschwemmungen. So ertranken 1991 während eines Hurrikans in
Bangladesh 138.000 Menschen.
Auf dem Land bietet das Auge eine Ruhepause nach und vor den schweren Stürmen. Ein
Augenzeuge berichtet: „Dann folgten einige Stunden atemloser Windstille. Sie schienen an-
zudeuten, dass der Wirbelsturm vorübergezogen sei. Die Sturmpause dauerte drei Stunden.
Die unnatürliche, nur gelegentlich von Nieselregen gestörte Ruhe barg die Vorahnung einer
drohenden Gefahr in sich. Da noch keine Windänderung eingetreten war, machten sich die
Erfahrenen auf das Schlimmste gefasst.“(BATTAN 1961; TANNEHILL 1954)
Abb 1.5: Niederschlagsverteilung in einem Hurrikan
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204 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
Zugbahnen
Hurrikans bilden sich in tropischen Gebieten
und ziehen dann in höhere Breiten. Die
genauen Bahnen lassen sich nicht
vorhersagen, aber im statistischen Mittel
bewegen sich die Hurrikans mit den
Hauptwinden, wie den Passaten und dann
den Westwinden in höheren Breiten
(Abbildung 1.6). Feuchtwarme Meeresluft
hält die Hurrikans am Leben. Sobald sie
kältere Regionen erreichen, verwandeln sie
sich in gewöhnliche Tiefdruckgebiete, die
dann in unseren Breitengraden für heftigen
Regen mit starken Winden sorgen. Bei den Herbststürmen im Oktober 1996, die vor allem an
der Küste von Cornwall in Großbritannien, aber auch in Deutschland wüteten, handelte es sich
z.B. um Ausläufer des Hurrikans „Lily“.
Wenn der Hurrikan in niedrigeren Breiten auf Land trifft, kann er verheerende Schäden an-
richten. Allerdings schwächt er sich an Land ab, da er von seiner Energiequelle, der feuchten
Meeresluft, abgeschnitten ist. Auch die erhöhte Reibung an Land sorgt für eine zusätzliche
Abschwächung.
Steigt durch die Klimaänderung die Wirbelsturmhäufigkeit?
In diesem Jahrhundert nahm die globale Durchschnittstemperatur um 0,3° bis 0,7°C zu. Auch
die Meere erwärmten sich in den letzten 40 Jahren um 0,4° bis 0,6°C. So gering diese Werte
scheinen, so verheerend können die Auswirkungen sein, denn der Wasserdampfgehalt über
dem Pazifik stieg durch die globale Erwärmung um 20%, in Äquatornähe sogar um 30%. Das
hat zur Folge, dass sich dadurch die Bereiche, in denen Hurrikans entstehen können, um 15%
vergrößerten.
Modellrechnungen besagen, dass neben der Häufigkeit auch die Stärke der Wirbelstürme mit
der Erwärmung zunehmen kann. Jedes Jahr wächst der Kohlendioxidausstoß um 0,5%. Ver-
schiedene Prognosen besagen, dass bei Verdoppelung des Kohlendioxidausstoßes die Stärke
von Orkanen um das 1,5-fache steigt. So werden für 27°C warmes Wasser Maximal-
geschwindigkeiten von ca. 280 km/h berechnet, für 34°C warmes Wasser allerdings schon
Maximalgeschwindigkeiten von 380 km/h. Die Anzahl der Wirbelstürme würde sich nach
diesen Klimamodellen mehr als verdoppeln (Persönliche Mitteilung Prof. Schönwiese, Uni-
versität Frankfurt/M., JACOB 1993).
Andere Modelle gehen nicht von einer erhöhten Wirbelsturmhäufigkeit aus, da sich neben den
tieferen Schichten der Atmosphäre auch die höheren Schichten erwärmen und es damit zu
keinen relevanten Druckunterschieden kommt.
Abb 1.6: Zugbahnen der Hurrikans von 1887 bis 1923
(LILJEQUIST 1994, 296)
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3.1 Themenblock „Wirbel“ 205
Tornados
Mit 50 - 500 m haben Tornados einen um drei Größenordnungen geringeren Durchmesser als
Hurrikans. Dadurch sind die geschädigten Landstriche räumlich begrenzter als bei Hurrikans
oder Taifunen. Beispielsweise ist es möglich, dass ein Tornado nur die Häuser auf einer
Straßenseite zerstört, während die Häuser der anderen Seite unversehrt bleiben. Allerdings
sind die Windgeschwindigkeiten eines Tornados mit bis zu 500 km/h wesentlich höher als die
eines Hurrikans. Dadurch sind die Schäden in den kleinen betroffenen Gebieten meist
verheerender.
Tornados entstehen auf Land und treten sehr viel häufiger auf als Hurrikans. Allein im Mai
1995 wurden in den USA 484 Tornados gezählt. Dabei wurden 16 Menschen getötet. Der
Sachschaden betrug mehrere Millionen Dollar (SNOW 1995).
Neben den hohen Windgeschwindigkeiten verursacht auch der niedrige Druck im Zentrum des
Tornados die hohen Schäden. Wenn z.B. ein Tornado über Gebäude fegt, fällt der Druck
schlagartig um etwa 10%. Im Gegensatz zum Wirbelsturminneren herrscht in den Gebäuden
ein Überdruck, sie „explodieren“ regelrecht. Von Augenzeugen wurde berichtet, dass
Fensterscheiben durch den Druckunterschied nach außen gebogen und der Vorhang durch den
Unterdruck nach außen gesogen wurde. Nachdem der Tornado vorbeigezogen war, sprang die
Scheibe wieder auf ihren alten Platz zurück und klemmte dabei den Vorhang ein.
Wie entsteht ein Tornado?
Voraussetzungen für die Entstehung eines Tornados:
1. Die Atmosphäre muss instabil geschichtet sein.
2. Es müssen Scherströmungen auftreten.
Tornados entstehen im Gegensatz zu Hurrikans auf dem Festland. Sie können in allen Erd-
teilen auftreten, am häufigsten werden sie aber im sog. „Tornadogürtel“, der von Texas über
Kansas und Illinois nach Kanada reicht, gezählt.
Tornados können, ähnlich wie Hurrikans nur dann entstehen, wenn warme, feuchte Luft in
den unteren Lagen unter kalter, trockenerer Luft geschichtet ist. In den zentralen Regionen der
USA ist diese Voraussetzung besonders häufig erfüllt: Vor allem im Frühjahr treffen hier
polare Luftmassen auf feuchtwarme tropische Luft. Warme Luft steigt auf und bildet riesige
Gewitterwolken. In den Aufwinden dieser Gewitter können Tornados entstehen.
Welche Kräfte die Luftmassen beim Tornado auf eine Sprialbahn lenken, ist immer noch nicht
vollständig geklärt. Viele Quellen behaupten, die Aufwinde würden wie beim Hurrikan durch
die Corioliskraft auf eine Spiralbahn gezwungen. Dagegen spricht jedoch die Beobachtung,
dass etwa jeder zehnte Tornado im Uhrzeigersinn läuft, während sich die anderen wie
Hurrikans zyklonal, d.h. im Gegenuhrzeigersinn drehen. Dies deutet darauf hin, dass die
Rotation eine andere Ursache haben muss.
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206 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
Neuere Untersuchungen gehen davon aus, dass es zwei Mechanismen gibt, die für die
Rotation der Tornados verantwortlich sind. Beide beruhen auf Scherströmungen der
auftretenden Winde. Auf die Entstehung von Wirbeln durch Scherströmungen wird im
nachfolgenden Unterrichtsteil noch genauer eingegangen.
Scherung durch unterschiedliche vertikale Windgeschwindigkeiten
Der erste Mechanismus ist in Abbildung 1.7 dargestellt, er geht von vertikalen Winden aus,
die mit unterschiedlicher Geschwindigkeit strömen: Am Boden wehen sie schwächer als in
höheren Schichten. Dadurch entsteht ein Wirbelschlauch, der sich um die horizontale Achse
dreht, ähnlich einem Windrad, das oben stärker angeblasen wird als unten. Starke Aufwinde
in der Gewitterzone können dann den Wirbelschlauch in die vertikale aufrichten, es entsteht
eine spiralige Aufwärtsbewegung (SNOW 1995; DAVIES-JONES 1995; NASH 1996).
Scherung durch unterschiedliche Windrichtungen
Strömen Winde verschiedener Richtung aneinander vorbei, entstehen an den Grenzflächen
vertikale Wirbel. Diese Wirbel werden durch die Strömung der Winde, ähnlich wie ein
Kinderkreisel weiter angetrieben. Im Wirbelschlauch halten sich die Druckkraft im Inneren
und die Zentrifugalkraft der rotierenden Luftteilchen gerade die Waage, es herrscht ein sog.
„zyklotrophisches Gleichgewicht“.
Abb 1.8: Entstehung eines Wirbelschlauchs durch verschiedene Windrichtungen
Die Luftteilchen bewegen sich nicht in radialer Richtung, es treten von der Seite weder Luft-
elemente ein noch aus. Lediglich am Boden wird die Luft in den Schlauch gesogen. Hier
herrscht ein so starker Sog, dass durch den Tornado auch schwere Gegenstände, wie Autos,
gehoben werden können.
Abb 1.7.: Entstehung und Aufrichtung eines Wirbelschlauchs
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3.1 Themenblock „Wirbel“ 207
Aufbau eines Tornados
Tornados besitzen eine ähnliche Struktur wie Hurrikans: Ihr wolkenfreies Auge hat natürlich
sehr viel kleinere Abmessungen, dennoch ist es vor allem in größeren Tornados durchaus er-
kennbar. In diesem Auge ist die Windgeschwindigkeit schwach und es können Abwinde in
Richtung Erde strömen. Allerdings gibt es gerade über die Zentren von Tornados kaum Daten,
da die Messgeräte die übermäßige Beanspruchung selten überstehen. Die höchsten
Windgeschwindigkeiten herrschen in einem Ring nahe der Achse.
Tornados in Deutschland
Auch in Deutschland können Tornados auftreten.
So hat z.B. am 10. Juli 1968 im Raum Pforzheim
ein Tornado größere Schäden angerichtet. Auch
dieser Tornado hat sich aus Gewitterwolken ge-
bildet. Die „Meteorologische Rundschau“
berichtet: „Am späten Abend des 10.7.1968, eines
ungewöhnlich schwülen Tages, ist ein schwerer
Tornado über die nördlichen Ausläufer des
Schwarzwaldes hinweg nach Osten gezogen. ...
Dass es sich hierbei um einen Tornado gehandelt
hat, darüber kann kein Zweifel bestehen. Da es
Nacht war, liegen zwar nur wenige visuelle Beobachtungen vor. Der dunkle Wolkentrichter,
dessen unterer Teil hin- und herschwankte, wurde zuverlässig von Süden her aus der
Entfernung von wenigen Kilometern bei fahlem, horizontnahem Mondschein beobachtet. ...
Da es Nacht war, sind glücklicherweise nur drei
Menschenleben zu beklagen. Bei Tage hätte es nach
amtlichen Schätzungen mehrere hundert Opfer
gegeben; denn Scherben und Splitter flogen wie
Geschosse durch die Luft. In einem Schulhaus
stürzte eine Decke ein. Industriebauten wurden
völlig ausgeblasen. Autos wirbelten durch die Luft;
eine Betonmischmaschine wurde 80 m weit ge-
tragen. ... Im Stadtkreis Pforzheim wurden
insgesamt 1750 Häuser beschädigt, davon 550
schwer, 600 mittelmäßig, 600 leicht. 6 Häuser
wurden total zerstört.“ (NESTLE 1969).
Die Zugstraße des Tornados (Abbildung 1.9) hatte eine Länge von 27 km, die
Zerstörungsschneise war zwischen 200 m und 600 m breit. Wie bei den meisten Tornados
Abb. 1.9: Zugstraße des Tornados (NESTLE 1969)
Abb 1.10: Druckkurve (NESTLE 1969)
-
208 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
wurde auch in Pforzheim beobachtet, dass völlig zerstörte Gebiete und völlig unversehrte sehr
dicht beieinander lagen.
Das Barometer eines Studiendirektors aus Pforzheim, das zufällig in der Randzone der
Tornadozugstraße stand, zeichnete die Druckerniedrigung beim Vorbeizug des Tornados auf
(Abbildung 1.10). Weitere, allerdings schwächere Tornados traten z.B. 1973 in Kiel und 1978
in Recklinghausen und Schwäbisch Gmünd auf.
3.1.2 Wie Wirbel entstehen
VORBEMERKUNGEN
Wirbel in Wasser oder Luft sind besonders schöne und ansprechende Erscheinungen in der
Natur. Deshalb steht in diesem Unterrichtsteil zunächst die phänomenologischen Betrachtung
von Wirbelströmungen im Vordergrund. Es werden Wirbel erzeugt und deren Struktur unter-
sucht. Die Experimente sind so konzipiert, dass sie mit einfachsten Mitteln auskommen. Auf
die qualitative Beschreibung von Wirbelströmungen folgt die quantitative mit Hilfe der
Helmholtzschen Wirbelsätze.
LEHR- UND LERNZIELE
Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen
� die Schönheit von Wirbeln in der Luft und im Wasser aufs neue kennen lernen. Beim Ex-
perimentieren sollen sie den Aufbau und die Entstehung der Wirbel möglichst präzise be-
obachten und in eigenen Worten beschreiben können.
� angeregt werden, in ihrer täglichen Umgebung auf Wirbelströmungen zu achten und eigene
Experimente zuhause durchzuführen.
� die Helmholtzschen Wirbelsätze als qualitative und quantitative Beschreibung von Wirbeln
kennen lernen und ihre eigenen Beobachtungen mit dieser Beschreibung in Einklang brin-
gen.
AUSFÜHRUNG
Wie unterscheidet sich eine rotierende Flüssigkeit von einem rotierenden Festkörper?
Demonstration „Kreisel“: Der Kreisel rotiert als Ganzes, d.h. alle Teile haben einen festen
Abstand zueinander, seine Form bleibt während der Bewegung erhalten.
-
3.1 Themenblock „Wirbel“ 209
Demonstration „Wasserwirbel“: Das
Becherglas wird mit Wasser gefüllt.
Wird das Wasser durch Rühren von
Hand in Rotation versetzt, bringt die
Reibung die Bewegung schnell zum
Erliegen. Deshalb wird ein
Magnetrührer eingesetzt, zunächst mit
kleinen Drehzahlen, so dass sich die
Wasseroberfläche nur in der Mitte
leicht nach unten wölbt. Nach kurzer
Wartezeit wird ein Tropfen Tinte
eingeträufelt, der den Wasserwirbel
allmählich anfärbt und so die Struktur
des Wirbels sichtbar macht.
Die Färbung des Wirbels verläuft so
gemächlich, dass mit dem bloßen
Auge feinste Strukturen erkennbar
sind: Zuerst sieht man, dass sich die
nach unten absinkende Tinte spiralig
in fein ziselierten Schichten verteilt,
die aneinander vorbeigleiten. Im
Zentrum bildet sich rasch eine schlauchförmige Zone mit kleinem Durchmesser aus, die sich
schneller dreht als die äußeren Flüssigkeitsschichten. Um diesen Wirbelkern verteilt sich die
Tinte weiter in kreisförmigen Bahnen. Nach einiger Zeit färbt sie auch die äußeren Bereiche
des Wirbels an. Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass sich die Flüssigkeit umso
langsamer dreht, je weiter sie vom Zentrum entfernt ist.
Streichholzköpfe als Schwimmer erleichtern die Beobachtung. Die zweifarbigen Köpfe
können auch als Richtungsanzeiger dienen: Werden sie mit etwas Geschick so in die
Flüssigkeit gesetzt, dass der Kopf in
Strömungsrichtung zeigt, behalten sie ihre
Richtung bei, solange sie sich außerhalb des
Wirbelkerns bewegen (Abbildung 1.12). Dieses
Gebiet außerhalb des Kerns nennt man
„drehungsfreies Wirbelfeld“. Sobald der
Richtungsanzeiger den Kern erreicht hat, „klebt“
ein Ende an der Wirbelachse, während das andere Ende um die Achse rotiert. Beim
Wirbelkern handelt es sich um ein drehendes Wirbelfeld.
Abb 1.11: Wasserwirbel
Abb 1.12: Streichholzschwimmer im drehungs-
freien Wirbelfeld und im Wirbelkern
-
210 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
Der schematische Aufbau eines Wirbels ist in Abbildung 1.13 dargestellt: Von der Wirbel-
achse bis zum Radius a des Wirbelkerns steigt die Geschwindigkeit v an, außerhalb des Kerns
nimmt sie wieder ab.
Rotierender Festkörper Rotierende Flüssigkeit
Behält als starrer Körper seine Form bei. Ändert ihr Aussehen, ihre Gestalt, da Fluidteilchen
gegeneinander verschoben werden können.
Alle Elemente rotieren mit der gleichen
Winkelgeschwindigkeit �.
Im Wirbelkern rotieren alle Elemente mit der gleichen
Winkelgeschwindigkeit � (wie ein Festkörper).
Fluidelemente des Kerns vermischen sich nicht mit der
umgebenden Flüssigkeit.
Der Wirbelkern ist ein drehendes Wirbelfeld.
Außerhalb des Kerns nimmt � ab, am Gefäßrand wird
� = 0.
Dieses Gebiet ist ein drehungsfreies Wirbelfeld.
� �
v
r= konstant: Bahngeschwindigkeit v nimmt mit dem
Abstand vom Zentrum zu.
Bahngeschwindigkeit v nimmt außerhalb des Wirbelkerns
mit dem Abstand vom Zentrum ab.
Tabelle 1.2: Vergleich eines rotierenden Festkörpers mit einer rotierenden Flüssigkeit
Hohlwirbel
Wirbeltrichter wie Badewannenwirbel sind wohl die bekannteste Wirbelform im Alltag. Bei
diesem Wirbel ist der Strömung in konzentrischen Kreisen um die Wirbelachse eine radiale
Abb 1.13: Querschnitt durch einen Wirbel
-
3.1 Themenblock „Wirbel“ 211
Bewegung zur Achse hin überlagert. Um einen Hohlwirbel zu erzeugen, muss lediglich die
Drehzahl des Magnetrührers erhöht werden. Im Zentrum des Wasserwirbels bildet sich eine
Luftsäule aus, die am Umlauf unbeteiligt ist. Die Flüssigkeit dreht sich wie ein Rohr um eine
Achse, dabei zeigt der Wassertrichter eine gleichmäßige spiralige Struktur.
Alternativversuch „Tornado-Rohr“:
Hohlwirbel können auch mit Hilfe eines „Tornado-Rohrs“ erzeugt
werden. Dazu werden zwei möglichst große Getränkeflaschen mit
Hilfe eines Verbindungsstücks miteinander verbunden, das entweder
käuflich erworben oder selbst gebastelt werden kann (siehe Mate-
rialliste).
Das Verbindungsstück selbst zu basteln ist einfach: Zunächst muss
der Durchmesser des Flaschenhalses zusätzlich verengt werden, das
geschieht durch einen Dichtungsring, den man zwischen die Fla-
schen legt. Bei Bedarf, wenn der Wasserwirbel sich immer wieder
abschnürt, muss die Öffnung des Rings noch etwas aufgestemmt
werden. Die Verbindung der Flaschen erfolgt durch ein etwa 4 cm langes Schlauchstück, das
man über die Flaschenhälse zieht. Vorher muss eine Flasche mit Wasser gefüllt werden.
Um einen Wirbel zu erzeugen, werden die Flaschen so gedreht, dass die gefüllte auf dem
Kopf steht und sich in die andere entleert. Um den „Tornado“ zu simulieren, muss das Wasser
durch kreisförmige Bewegung der Flaschen in Rotation versetzt werden. Es entsteht ein
Hohlwirbel. Konfetti oder andere Schwebkörper, die ins Wasser gestreut werden, dienen der
Markierung von Flüssigkeitselementen. Mit ihrer Hilfe kann beobachtet werden, dass die
Bahngeschwindigkeit zum Zentrum hin rasch zunimmt und die Körper im Zentrum um ihre
eigene Achse rotieren.
Die Helmholtzschen Wirbelsätze
1858 veröffentlichte Hermann Helmholtz die nach ihm benannten Wirbelsätze, die
Entstehung und Verhalten von Wirbeln beschreiben. Wir beginnen mit dem anschaulichsten
Teil dieser „Helmholtzschen Wirbelsätze“, der sinngemäß besagt:
Ein Wirbel hat nie ein freies Ende innerhalb der Flüssigkeit, sondern nur an Grenz-flächen.
Wirbel enden entweder an der Oberfläche der Flüssigkeit oder an der Gefäßwand, wie z.B. die
Wasserwirbel in unseren Versuchen oder auch die Badewannenwirbel. Bei Tornados oder
Hurrikans dient als „freie Oberfläche“ eine stabile Luftschicht, die oberhalb der labilen
Schicht in über 15 km Höhe liegt. Innerhalb der Flüssigkeit schließt sich der Wirbel zu einem
Ring zusammen, wie z.B. die Wirbelringe in der Luft, die man durch Rauchpartikel sichtbar
machen kann:
Abb 1.14: Tornado-Rohr
-
212 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
Versuch „Wirbelringe in Luft“:
Um solche Wirbelringe in der Luft selbst zu erzeugen,
benötigt man mindestens einen Raucher, der bereit ist,
seine Zigarettenpause vorzuverlegen und mit seinem
Rauch die Luftringe anzufärben. Gesünder, aber auch
aufwendiger färbt man die Ringe mit einem
„Rauchmacher“ an, der aus zwei Glaszylindern besteht,
die durch Glasröhren so miteinander verbunden sind,
dass Luft zuerst in den ersten Zylinder geblasen wird,
dann von diesem über den zweiten in den Raum. Wird nun der erste Behälter mit verdünnter
Salzsäure, der zweite mit Ammoniak gefüllt, so dass die Salzsäure über den Ammoniak
geblasen wird, erhält man einen zähen Rauch, mit dessen Hilfe Luftwirbel sehr gut sichtbar
gemacht werden können.
Eine „Wirbeltrommel“ ist schnell selbst gebaut: In den Boden einer Kaffeedose oder einer
Waschmitteltrommel wird ein rundes Loch geschnitten, bei einem Blumentopf ist das Loch
am Boden schon da. Als „Trommelfell“ dient bei der Kaffeedose der Plastikdeckel; Wasch-
mitteltrommel oder Blumentopf werden mit einer Plastiktüte bespannt.
Um die Rauchringe zu erzeugen, bläst man Rauch durch das Loch in den Behälter und klopft
sacht mit der Hand auf die
Membran. Es entstehen Rauchringe,
die gemächlich durch den Raum
schweben. Deutlich erkennbar ist die
Struktur der Wirbel, es handelt sich
um filigrane Gebilde, die aus vielen
konzentrischen, um eine
kreisförmige Achse rotierenden
Schichten bestehen.
Alternativversuch „Wirbelringe in Wasser“:
Dieser Versuch ist noch weniger aufwendig und gesünder als das Luftwirbelexperiment. In
eine (möglichst weiße oder Glas-) Schüssel wird Wasser gefüllt. Dann zieht man eine Pipette
oder Injektionsspritze ohne Nadel mit Kalium-Permanganat-Lösung auf. Diese Pipette legt
man ins Wasser und drückt, sobald sich das Wasser beruhigt hat, kurz auf den Ballon oder den
Kolben. Es entstehen kleine Wirbelringe, deren Struktur, Wirbelkern und umgebende kreis-
förmige Schichten sehr gut sichtbar sind.
Weil es so schön ist, noch ein Experiment ...
Abb 1.15: Bauprinzip Rauchmacher
Abb 1.16: Bildfolge: Entstehung eines Wirbelrings (VAN DYKE
1982,66)
-
3.1 Themenblock „Wirbel“ 213
Versuch „Kaskade“:
Ein hoher Glasbehälter wird eine mindestens eine halbe Stunde vor der Ver-
suchsdurchführung mit Wasser gefüllt, damit es zur Ruhe kommen kann. In
das Wasser träufelt man mit einer Pipette ein Tropfen Tinte. Am Anfang
bleibt der Tropfen zusammen, er fällt fast wie ein Festkörper. Dann bildet
sich ein Wirbelring aus, der langsam wächst. Nach einiger Zeit wird der
Ring instabil, einzelne Segmente lösen sich wie Arme aus dem Ring und
bilden neue Wirbel, die dann wieder in viele kleine Wirbel zerfallen. Nach
und nach entsteht also eine ganze Wirbelkaskade. D'Arcy Thompson, ein
Gestaltforscher, der Anfang dieses Jahrhunderts versuchte, die Formen von
Lebewesen durch physikalische Analogien, z.B. durch Strömungsformen zu
erklären, beschreibt die Bewegung wie folgt: "Aus dem sinkenden Tropfen
entsteht ein vollständiger Wirbelring, er dehnt sich aus und zieht sich zu-
sammen, er wallt umher, und die absinkenden Schlingen verwandeln sich
wieder in neue Wirbel ..." Diese Wirbelkaskaden vergleicht D'Arcy
Thompson mit Quallen und Medusen, deren Gestalt und Form er durch
solche Wirbelexperimente zu erklären versucht.
Bei allen diesen Versuchen ist die Ursache der Wirbelentstehung immer die
unterschiedliche Strömungsgeschwindigkeit zwischen benachbarten Flüs-
sigkeitsteilchen. Erzeugt wird dieser Geschwindigkeitsunterschied durch den
fallenden Tropfen in ruhender Flüssigkeit oder durch die Haftung an einem
umströmten Körper.
Der äußere Teil der Strömung bleibt zurück, weil die Fluidelemente am Hindernis haften,
während der innere Teil ungehindert weiterströmt. Durch die Reibung der äußeren Elemente
des strömenden Fluids an der Umgebungsflüssigkeit bildet sich zunächst ein Farbpilz, dessen
Ränder sich durch die in der Mitte rasch nachströmende Farbe immer stärker einrollen, der
Wirbel bildet sich aus. Kurze Zeit haftet er noch am Hindernis, dann löst er sich und wandert
mit der Strömung.
Diese Versuche zeigen deutlich: Ohne Reibung in der Flüssigkeit und ohne die Haftung zwi-
schen Flüssigkeit und Hindernis könnten keine Wirbel entstehen, aber auch keine Wirbel
vernichtet werden. Genau das ist die Aussage des ersten Helmholtzschen Wirbelsatzes:
Ohne Reibung können Wirbel weder erzeugt noch vernichtet werden.
Auch den zweiten Helmholtzschen Wirbelsatz können wir unmittelbar mit unseren Ver-
suchen bestätigen. Er lautet:
Die Wirbellinien werden immer aus den gleichen Flüssigkeitselementen gebildet.
Bis sich die Wirbel durch Diffusion und durch Störungen auflösen, wandert der Wirbel „als
Ganzes“ durch die umgebende Flüssigkeit. Es tritt weder Flüssigkeit ein noch aus.
Abb 1.17: Fallen-
der Tropfen
(THOMPSON
1983)
-
214 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
Für den dritten Helmholtzschen Wirbelsatz muss etwas weiter ausgeholt und eine neue
physikalische Größe eingeführt werden: Die „Zirkulation“. Sie ist ein Maß für die Stärke des
Wirbels.
Die Einführung der Zirkulation erfolgt ganz analog zu den Wirbelfeldern um stromdurch-
flossene Leiter. Auch hier entstehen magnetische Feldlinien um den Leiter, die weder Anfang
noch Ende besitzen. Der in Abbildung 1.13 schematisierte Wirbel beschreibt so auch die
Feldlinien um einen Leiter: Der Radius des Wirbelkerns entspräche dem des Leiters, die
Feldstärke H wäre das Analogon zur Bahngeschwindigkeit auf den Stromlinien. Völlig analog
zum Wasserwirbel nimmt auch die Feldstärke H im Inneren des Leiters zu, während sie
außerhalb des Leiters wieder abnimmt.
Zur Berechnung der Zirkulation wird in das
Geschwindigkeitsfeld der Wirbelströmung oder einer
beliebigen anderen Strömung eine geschlossene Kurve
gelegt, die eine beliebige Form haben kann. Diese Kurve
wird in infinitesimal kleine Teilstücke zerlegt
(Abbildung 1.18). Jedes dieser Teilstücke symbolisiert
ein Flüssigkeitselement, das sich mit einer bestimmten
Geschwindigkeit v bewegt. Für die Zirkulation wird nun
die Geschwindigkeit in jedem Teilstück mit der Länge
des Stücks multipliziert und über alle Teilstücke der
Kurve summiert. D.h. man berechnet das Wegintegral
über die geschlossene Kurve C:
Zirkulation � � �� � �
v r dsc
( )
Berechnung der Zirkulation eines idealisierten Wirbels
Annahmen:
� Die Flüssigkeitsteilchen bewegen sich auf konzentrischen Kreisen.
� Die Bahngeschwindigkeit auf jedem Kreis sei konstant, aber sie variiere von Kreis zu
Kreis.
� Einfachste Wegstrecke: Eine der Kreisbahnen um den Kern.
1. Im Wirbel ist in jedem Teilstück �
v parallel zu d�
s . Aus dem Skalarprodukt wird� � � �
vds v ds vds� �cos�
�� ���cc
ds)r(vsd)r(v���
2. Auf jedem Kreis ist v(r) konstant. v(r) kann vor das Integral gezogen werden.
� � �v r dsc
( )
Abb 1.18: Kurve im Geschwindigkeitsfeld
-
3.1 Themenblock „Wirbel“ 215
3. Das Linienintegral ist gleich dem Kreisumfang.
r2)r(vrd)r(v
2
0
����� ��
Mit v = �r und der Kreisfläche A = �r2, gilt:
� � �v r r r A( ) ( )2 2� �
Zirkulation eines Wirbels
Über die Zirkulation eines Wirbels besagt das 3. Helmholtzsche Gesetz:
Die Zirkulation für einen beliebigen Weg, der den Wirbelkern einmal umläuft, ist
konstant.
� � �2A =konstant
Dieser Satz findet bei den Wirbelstürmen eine direkte Anwendung: Verjüngt sich die Quer-
schnittsfläche eines Wirbels, muss sich nach dem 3. Helmholtzschen Satz die Winkel-
geschwindigkeit erhöhen, damit die Zirkulation erhalten bleibt. Besonders bei Tornados ist
eine Verringerung des Querschnitts und die damit verbundene Erhöhung der Geschwindigkeit
gefürchtet, da diese Stürme dadurch besonders zerstörerisch werden.
Mit Hilfe des 3. Helmholtzschen Wirbelsatzes kann nun auch die in Abbildung 1.13 dar-
gestellte Bahngeschwindigkeit im Wirbel erklärt werden:
� Für r < a: � = konstant, mit v = � r gilt: v � r.
� Für r > a: � = konstant, vr
��
2��
1
r.
Das heißt im Wirbelkern, der wie ein Festkörper rotiert, nimmt die Bahngeschwindigkeit
proportional mit dem Radius zu, sie wird am Rand des Kerns maximal und nimmt dann
außerhalb mit 1/r ab. Ein Wirbel mit dieser Geschwindigkeitsverteilung wird „Rankinewirbel“
genannt.
Wie bereits gesagt: Die magnetische Feldstärke im Wirbelfeld eines stromdurchflossenen
Leiters nimmt analog zur Bahngeschwindigkeit beim Wasserwirbel im Inneren des Leiters zu:
H�r. Außerhalb des Leiters nimmt sie umgekehrt proportional zu r ab: H�1/r.
In der Originalveröffentlichung seiner Wirbeltheorie formuliert Helmholtz die Wirbelsätze
wie folgt:
„Wirbellinien nenne ich Linien, welche durch die Flüssigkeitsmasse so gezogen sind, daß ihre
Richtung überall mit der Richtung der augenblicklichen Rotationsaxe der in ihnen liegenden
Wassertheilchen zusammentrifft.
Wirbelfäden nenne ich Theile der Wassermasse, welche man dadurch aus ihr herausschnei-
det, dass man durch alle Punkte des Umfangs eines unendlich kleinen Flächenelements die
entsprechenden Wirbellinien construirt.
-
216 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
Die Untersuchung ergiebt nun, dass, wenn für alle Kräfte, welche auf die Flüssigkeit wirken,
ein Kräftepotential existirt,
1. kein Wassertheilchen in Rotation kommt, welches nicht von Anfang an in Rotation
begriffen ist;
2. die Wassertheilchen, welche zu irgendeiner Zeit derselben Wirbellinien angehören, auch
indem sie sich fortbewegen, immer zu derselben Wirbellinie gehören bleiben;
3. dass das Produkt aus dem Querschnitte und der Rotationsgeschwindigkeit eines unendlich
dünnen Wirbelfadens längs der ganzen Länge des Fadens constant ist und auch bei der
Fortbewegung des Fadens denselben Werth behält. Die Wirbelfäden müssen deshalb in-
nerhalb der Flüssigkeit in sich selbst zurücklaufen, oder können nur an ihren Grenzen
endigen.“ (HELMHOLTZ 1858, 4-5)
Versuch „Helmholtz-Wirbel“:
Ganz am Ende seiner Abhandlung beschreibt Helmholtz auch ein
Experiment: „Ich bemerke noch, dass man diese Bewegung der
kreisförmigen Wirbelringe in der Natur leicht studiren kann, indem
man eine halbe eingetauchte Kreisscheibe, oder die ungefähr
halbkreisförmige Spitze eines Löffels schnell eine kurze Strecke
längs der Oberfläche der Flüssigkeit hinführt, und dann schnell
herauszieht. Es bleiben dann halbe Wirbelringe in der Flüssigkeit
zurück, deren Axe in der freien Oberfläche liegt. Die freie Ober-
fläche bildet also eine durch die Axe gelegte Begrenzungsebene der
Wassermasse, wodurch an den Bewegungen nichts wesentliches
geändert wird.“ (HELMHOLTZ 1858, 37)
Die Struktur der Wirbelringe ist noch besser zu sehen, wenn die
Löffelspitze zuvor mit Tinte benetzt wird.
Vergleich der Zirkulation eines Badewannenwirbels mit der eines Hurrikans
a. Zirkulation des Wasserwirbels oder eines Wirbels im Waschbecken
Abstand vom Wirbelzentrum: r � 10 cm
Zeit für einen Umlauf: T�5s => v = 2�r
T
s
m108
T
)r2(
T
r2r2r2)r(v
22
2�
���
��
�����
b. Zirkulation eines Wirbelsturms
v = 220 km/h � 60 m/s bei r �70 km, d.h. am Rande des Auges
� � � � � � � �v r r mm
s
m
s( ) ,2 2 7 10 60 2 6 104 7
2
� � . Die Stärke des Sturms beträgt also das
ungefähr 109-fache der Stärke des Badewannenwirbels.
Abb 1.19: Wirbelring, zur
Hälfte eingefärbt (VAN
DYKE 1982, 44)
-
3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten undStrömungen“
Schritte Materialien
1. Ideale Flüssigkeiten und Strömungen.Beispiel: Das hydrodynamische Para-doxon.
� Vorversuche
� Modellbildung: Kontinuum und idealeStrömungen
� Die Kontinuitätsgleichung
� Druckänderungen längs der Stromlinie.Zwei alternative Herleitungen desBernoullischen Gesetzes
� Druckänderung senkrecht zur Strom-linie
� „Fast unzählige“ Anwendungen
Vorversuche: Papierstreifen, Pappe,Strohhalme
Versuch Zerstäuber: Strohhalme
Versuche „... im Spiel“: Löffel, Münze,Glas, Trichter, Tischtennisball
Versuch „Schiffe“: Spielzeugschiffe,Schüssel, Wasseranschluss mit Schlauch,Faden
Demonstration „Heul-Rohr“: Heulrohrim Spielwarenhandel erhältlich
2. Reale Flüssigkeiten und Strömungen
� Die ViskositätAbhängigkeit von der TemperaturMessung der Viskosität
� Die Haftbedingung
� Newtonsche und nichtnewtonscheFluide
Demonstration „Zähigkeit“: Wasser,Glyzerin, Honig, Motorenöl usw.
Versuch „Kugelfallviskosimeter“: Stand-zylinder, 2 mm Stahlkugel, zu unter-suchende Flüssigkeiten
Demonstration „Nichtnewtonsche
Fluide“ hüpfender Kitt ( z.B. Physik-boutique, Stark Verlag, Pf: 1852, 85318Freising), Slime (Spielwarenläden)
3.2.1 Ideale Flüssigkeiten und Strömungen am Beispiel des hydro-dynamischen Paradoxons
VORBEMERKUNGEN
Dieser Themenblock beginnt mit zwei sehr einfachen, verblüffenden Freihandversuchen,
deren Erklärungen auf einigen einfachen, aber grundlegenden Gesetzen der Hydrodynamik
beruhen. Einer der Vorversuche ist das sog. „hydrodynamische Paradoxon“. Paradoxa nehmen
im Physikunterricht, wie auch in der Physikgeschichte, eine wichtige Rolle ein: Sie regen die
Lernenden an, einer den eigenen Erwartungen widersprechenden Beobachtung auf den Grund
zu gehen. Leider existieren in der Physik nur wenige so leicht zugängliche Paradoxa wie das
hydrodynamische, mit seiner relativ einfachen Erklärung und vor allem seiner Vielzahl von
Anwendungen im täglichen Leben.
-
218 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
Die Gesetzmäßigkeiten dieses Themenblocks basieren ihrerseits auf allgemeinen Überlegun-
gen zur Modellbildung in der Strömungsphysik, der Einführung des Kontinuumbegriffs und
des physikalischen Modells einer idealen Strömung.
Nach der Herleitung der Kontinuitätsgleichung werden zwei alternative Herleitungen der
Bernoulligleichung vorgestellt. Diese Gleichung erlaubt Aussagen über den Druckverlauf
längs einer Stromlinie. Die erste Herleitung über die Energieerhaltung ist in den meisten
Lehrbüchern vertreten und wird deshalb zuerst vorgestellt. Sie hat den Vorteil, dass sie auf
grundlegenden und in der Schule bekannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten beruht und
mathematisch einfach herzuleiten ist. Ihr Nachteil: Sie verstellt den Blick für den Wirkungs-
mechanismus, der für die Beschleunigung der Flüssigkeitselemente verantwortlich ist. Dies
kann die zweite Herleitung über die Eulerschen Gleichungen leisten, die die Gesetze der
Newtonschen Dynamik für Fluide formulieren. Sie besitzt auch den Vorteil, daß sie den Weg
für die Untersuchung der Druckänderungen senkrecht zur Stromlinie ebnet, die bei ge-
krümmten Stromröhren auftreten.
Diese grundlegenden Gesetzmäßigkeiten erlauben die Erklärung vieler Strömungsphänomene
aus dem Alltag, die im weiteren Verlauf vorgestellt werden. Dieser Themenblock lebt von den
verschiedenen einfachen Versuchen, die mit einem Minimum an Aufwand nachgemacht wer-
den können und den zahlreichen Beispielen aus dem Alltag. Erfahrungsgemäß fallen den
Lernenden selbst eigene Beispiele ein.
Weitere Experimente und Beispiele, vor allem in Hinblick auf den aerodynamischen Auftrieb,
wurde von WELTNER mehrfach veröffentlicht (z.B. WELTNER 1997, WELTNER 1990).
LEHR-UND LERNZIELE
Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen
� die Möglichkeit der Beschreibung von Flüssigkeiten und Gasen im Rahmen einer gemein-
samen Theorie kennen lernen.
� die ideale Strömung als vereinfachtes Modell erkennen und sich anhand dieses Beispiels
die Bedeutung des Modellbegriffs in der Physik vergegenwärtigen.
� die Anwendbarkeit der bekannten Energie- und Impulserhaltungssätze aus der Mechanik
auf Strömungsphänomene erkennen.
� die resultierenden Gleichungen auf einfache Versuche anwenden können.
� eigene Anwendungsbeispiele aus dem Alltag finden können.
-
3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 219
AUSFÜHRUNG
Vorversuche:
1. Ein Streifen Papier wird so vor den Mund gehalten, daß er sich vor dem Mund wölbt und
dann lose nach unten hängt. Nun wird kräftig über das Papier geblasen.
Überraschenderweise wird der Papierstreifen nach oben gesogen.
Abb. 2.1: Vorversuch (KORNECK et al. 1995)
2. Aus nicht zu dünner Pappe oder Bierdeckeln werden zwei gleiche Kreise mit je ca. 10 cm
Durchmesser ausgeschnitten. Eine Scheibe wird in der Mitte mit einem Loch versehen,
dessen Durchmesser so groß sein sollte, dass ein dicker Trinkhalm hindurchpasst. Der
Halm wird an einem Ende in das Loch eingeklebt. Nun werden die beiden Scheiben
übereinander auf die flache Hand gelegt und fest durch den Halm geblasen. Während des
Blasens kann jetzt die untere Scheibe losgelassen werden, ohne dass sie fällt. D.h. die
untere Scheibe wird nicht, wie vielleicht erwartet, weggeblasen, sondern angesogen. Es
muss also neben dem durch das Ausströmen auf die Fläche ausgeübten Druck, dem sog.
Staudruck noch eine zweite, entgegengesetzt gerichtete Kraft geben, die hier überwiegt.
Diesen Effekt nennt man das „hydrodynamische Paradoxon“. Genaugenommen müsste
man hier, da es sich bei dem strömenden Medium um Luft handelt, vom „aerodynamischen
Paradoxon“ sprechen. Das Experiment gelingt genauso mit Wasser und danach wurde das
Experiment auch benannt. Welche Gesetzmäßigkeit steckt hinter diesen Phänomenen?
BEGRIFFLICHER UND THEORETISCHER HINTERGRUND
Was ist ein Modell in der Physik?
Um ein physikalisches Phänomen zu erklären, muss man sich immer zuerst überlegen, welche
physikalischen Größen und Stoffeigenschaften für die Erklärung notwendig sind und welche
begründet ignoriert werden können. Das heißt, man muss sich ein Modell bilden.
Ohne Modelle wäre die Physik nicht so erfolgreich. Allerdings muss man sich immer im kla-
ren sein, dass ein Modell die Realität nur in beschränktem Maß beschreibt. Deshalb können
sich Modelle auch als ungeeignet erweisen und müssen verworfen oder modifiziert werden.
-
220 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
Das bedeutet, dass die Grenzen des gewählten Modells immer im Auge behalten werden müs-
sen.
Für die Erklärung der Vorversuche wird die strömende Luft idealisiert:
Annahmen:
1. Das beobachtete Medium ist ein Kontinuum.
2. Die Strömung ist „ideal“.
Was ist ein Kontinuum?
Jedes Gas und jede Flüssigkeit besteht aus sehr vielen Teilchen, nämlich aus ca.
6,022 � 1023 Teilchen pro Mol. Da wir aber die Flüssigkeit oder das Gas makroskopisch be-
trachten, d.h. in einem Maßstab, der sehr viel größer ist als die Abmessungen einzelner Mole-
küle, erscheinen sie zusammenhängend. Deshalb wählt man ein physikalisches Modell, in
dem nicht das Verhalten der einzelnen Moleküle eine Rolle spielt, sondern lediglich das
statistische Durchschnittsverhalten innerhalb eines gewählten Flüssigkeitselements. In einem
solchen Modell ist der Stoff ein „Kontinuum“.
Ideale Strömungen
Hier handelt es sich, wie der Name schon sagt, um eine Idealisierung, die physikalisch nicht
zu realisieren ist. Trotzdem ist das Modell der idealen Fluide für viele Fälle angebracht, wie
z.B. bei der Betrachtung der Phänomene, die anfangs vorgestellt wurden.
Eigenschaften idealer Fluide:
� Reibungsfreiheit, d.h. zwischen zwei parallel zueinander bewegten Flüssigkeitsschichten
treten keine Kräfte auf. Daher können nach den Helmholtzschen Wirbelsätzen (1. Themen-
block) Wirbel weder entstehen noch vernichtet werden.
� Inkompressibilität, d.h. die Dichte ist unabhängig vom Druck.
Diese Annahme gilt für alle Flüssigkeiten und auch für Gase, solange deren Strömungsge-
schwindigkeit 1/3 der Schallgeschwindigkeit nicht überschreitet.
Auch die Temperatur und damit die Dichte kann in der gesamten idealen Strömung als
gleichbleibend vorausgesetzt werden.
DRUCKÄNDERUNGEN UND BESCHLEUNIGUNGEN - DREI ELEMENTARE GLEICHUNGEN DERHYDRODYNAMIK
1. Die Kontinuitätsgleichung
Zur Herleitung der Kontinuitätsgleichung betrachtet man eine Flüssigkeit, die durch ein Rohr
strömt. Der Rohrquerschnitt verengt sich im Verlauf des Rohres.
-
3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 221
Folgende Annahmen sollen für die Flüssigkeit und die Strömung gelten:
� Die Flüssigkeit strömt reibungsfrei und füllt das Rohr ganz aus.
� Die Strömung ändert sich nicht mit der Zeit. D.h. die Strömungsbewegung ist stationär.
� Während des Strömungsprozesses fließt Materie weder zu noch ab.
Die Flüssigkeit im Rohr legt, je nach Querschnitt, in der Zeit t verschieden lange Wege zu-
rück:
s1 = v
1t s
2 = v
2t
Das Volumen, das durch die Querschnitte strömt, erhält man mit: V = As
V1 = A
1s
1V
2 = A
2s
2
Wegen der Inkompressibilität muss in einer bestimmten Zeit das gleiche Volumen durch den
großen und den kleinen Querschnitt fließen:
V1 = V2
A1v
1t = A
2v
2t
v
v
A
A1
2 1
2�
Dies ist die Kontinuitätsgleichung. Sie ist mit m=�V und �=konstant eine besondere Form
des Prinzips der Massenerhaltung.
Aus der Kontinuitätsgleichung folgt also: Für diese Geometrie verhalten sich die Strömungs-
geschwindigkeiten umgekehrt proportional zu den Querschnittsflächen.
Anwendungsbeispiele:
1. Autoverkehr: Unter der Annahme, dass auch der Autostrom inkompressibel sei, d.h. der
Abstand zwischen den Autos immer gleich bleibt, muss bei einer Fahrbahnverengung von
zwei auf eine Spur die Fahrgeschwindigkeit verdoppelt werden, damit die gleiche Auto-
menge passieren kann. In der Praxis aber wird die Geschwindigkeit aus vielen guten Grün-
den verlangsamt.
Abb. 2.2: Zur Kontinuitätsgleichung
-
222 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
2. Blutkreislauf: Durch eine Arterie mit 0,6 cm Durchmesser fließt Blut mit der Strömungs-
geschwindigkeit von 10 cm /s. Wegen einer Arterienverkalkung ist der Radius der Blut-
bahn an einer Stelle auf 0,4 cm verringert.
Wie groß ist dann die Strömungsgeschwindigkeit in der Verengung?
v vA
A
cm
s
cm
cm
cm
s2 11
2
2
210
0 3
0 222 5� � � �
�
�
( , )
( , ),
d.h., wenn sich der Durchmesser um 1/3 verringert, würde die Strömungsgeschwindigkeit
um mehr als das Doppelte ansteigen, wenn man für den Blutkreislauf eine ideale Strömung
annimmt.
2. Druckänderungen längs einer Stromlinie - Zwei alternative Herleitungen desStrömungsgesetzes von Bernoulli
a. Herleitung über den Energiesatz
Nach der Kontinuitätsgleichung ist die Strömungsgeschwindigkeit im engeren Querschnitt A2
höher als im weiteren Querschnitt A1
vA
Av v A2
1
21 1 1� � � v wenn A2 2,
Die Flüssigkeit wird an der Verengung beschleunigt.
Mit Hilfe des Prinzips der Energieerhaltung ist der Druckunterschied zwischen dem engen
und dem weiten Rohrabschnitt berechenbar: Wird das Flüssigkeitsvolumen, wie in Abbildung
2.2 dargestellt, von A1 bis A1’ verschoben, muss Arbeit W1 gegen den Druck p1 an der Stelle
A1’ geleistet werden.
W F s p A s p V1 1 1 1 1 1 1� � �
Im engeren Rohrabschnitt ist die Arbeit durch Verschieben dementsprechend W2.
W F s p A s p V2 2 2 2 2 2 2� � �
Diese Energieterme werden Druckenergie genannt.
Die Differenz zwischen den Druckenergien W1 und W2 an den verschiedenen Stellen der
Röhre wird verwendet, um die Flüssigkeit an der Engstelle zu beschleunigen.
W W W p p V� � � �1 2 1 2( ) .
An dem verschobenen Volumen wird Arbeit verrichtet, die kinetische Energie nimmt zu:
� �W W W V v vkin kin� � � �2 11
222
12
� .
Unter der Annahme, dass die Strömung keinen Höhenunterschied überwinden muss, bleibt die
potentielle Energie der Strömung gleich. Auch die innere Energie bleibt längs der Strömung
unverändert, wenn sich die Temperatur der Flüssigkeit nicht ändert, d.h. weder geheizt noch
gekühlt wird.
-
3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 223
Durch Gleichsetzen der Druck- und der Bewegungsenergie und Kürzen des Volumens V
erhält man das Strömungsgesetz von Bernoulli (1738):
p v p v1 12
2 22
� � �1
2
1
2� �
Eges1
= Eges2
Dabei ist p der „statische Druck“, der nach allen Seiten gleichmäßig wirkt und 1
2�v2 der
„dynamische Druck“ oder auch „Staudruck“, der nur in Strömungsrichtung wirkt.
Nach dem Gesetz von Bernoulli ist also längs einer Stromlinie die Summe aus dem statischen
Druck und dem dynamischen Druck überall gleich:
konstantv2
1p 2 ���
Je größer die Strömungsgeschwindigkeit, desto kleiner ist der statische Druck an dieser Stelle.
An Engstellen ist somit der statische Druck geringer als an weiten Stellen (HEYWANG et.al.
1978; BOHL 1991, 81).
b. Herleitung über die Eulerschen Gleichungen
Welche Kräfte bestimmen die Bewegung eines Flüssigkeitselements?
� Äußere Kräfte Fä
� Reibungskräfte Fr
� Druckkräfte Fp
� Trägheitskräfte Ft
Wie bereits erwähnt, untersuchen wir das einfachste physikalische Modell einer Strömung:
Eine stationäre Strömung ohne Reibung und äußere Kräfte (z.B. die Schwerkraft). Deshalb
beschränkt sich die Kräftebilanz auf die Trägheitskraft und die Druckkraft:
Ft=Fp
Mit dem Ortsvektor r des Fluidelements ist dessen Trägheitskraft gleich
Ft=dm dv
dt=dm��r .
Die Beschleunigung ��r des Fluidteilchens wird nun in
eine Komponente längs und eine Komponente quer der
Stromlinie zerlegt (Abbildung 2.3).
Zunächst wird nur die Komponente ��s der Beschleu-
nigung längs der Stromlinie betrachtet:
Damit das Flüssigkeitsteilchen beschleunigt wird,
muss der Druck auf einer Seite höher sein als auf der
anderen. Unter der Annahme, dass der Druck in s-
Abb. 2.3: Komponenten der Beschleunigung
längs und quer zur Stromlinie
-
224 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
Richtung abnimmt, ergibt sich folgende Bilanz:
dm ��s = -A(p+dp) +Ap
Mit ��s =dv
dt ergibt sich
dm dv
dt= -Adp.
Dabei ist dp die Druckänderung in s-Richtung.
Mit dm =�A ds und durch Umformen der Gleichung kann diese integriert werden:
�dv
dtds = - dp
� dvds
dtdp� ���
Es ergibt sich das Strömungsgesetz von Bernoulli:
�
2 22
12
1 2( )v v p p� � �
Oder in der bekannten Formulierung:
p v p v1 12
2 22
� � �1
2
1
2� �
konstantv2
1p 2 ���
3. Druckänderungen senkrecht zur Stromlinie
Wie bereits erwähnt, gilt das Strömungsgesetz von Bernoulli nur für Druckänderungen längs
der Stromlinie. Ist aber die Bahn des Flüssigkeitsteilchens - wie in Abbildung 2.3 - gekrümmt,
muss auf der Teilchenoberseite ein höherer Druck herrschen als auf seiner Unterseite, damit es
der gekrümmten Bahn folgt. Unter den gleichen Voraussetzungen wie in 2.b gilt für die
Kräftebilanz in z-Richtung:
dm ��z = A(p+dp) -Ap.
Allgemein wird ein Teilchen, das sich auf einer Bahn mit dem Krümmungsradius R bewegt,
radial nach innen beschleunigt:
��zv
R�
2
Mit dm =�A dz
dmv
R
2
= A(p+dp) -Ap
�A dz v
R
2
=Adp
�v
R
dp
dz
2
�
-
3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 225
Aus dieser Gleichung ist erkennbar, dass gekrümmte Stromröhren Druckänderungen
senkrecht zu den Stromlinien aufweisen. Je höher die Strömungsgeschwindigkeit und je
kleiner die Krümmung der Stromröhre, desto größer ist die Druckänderung. In einer
gekrümmten Stromröhre herrscht außen ein höherer Druck als innen. Bei geraden Stromlinien,
d.h. für R� � ist die Druckverteilung über den Querschnitt der Strömung gleich (dp
dz� 0)
(WELTNER 1997; BOHL 1991, 90). Diese Komponente der Teilchenbeschleunigung tritt nur
dann auf, wenn Hindernisse in der Strömung gekrümmte Stromlinien erzwingen. Dadurch
entstehen Druckänderungen senkrecht zur Bahn und, je nach Form der Umströmung, Unter-
und Überdruckgebiete.
Im folgenden werden, wie beispielsweise im zweiten Vorversuch, Strömungen vorgestellt, die
Engstellen passieren müssen. Dabei bleiben die Stromlinien aber im wesentlichen geradlinig.
Hier können die Druckdifferenzen in der Strömung durch das Gesetz von Bernoulli erklärt
werden. Sobald aber gekrümmte Stromlinien auftreten, muß die Druckänderung senkrecht zu
den Stromlinien zur Erklärung herangezogen werden. Der erste Vorversuch ist ein Beispiel für
dieses Erklärungsmuster:
Die Erklärung des ersten Vorversuchs
Jetzt kann man das Anheben des Papierstreifens im ersten Vorversuch erklären: Vor dem
Mund wölbt sich das Papier zu einem „Buckel“. Bläst man dieses Hindernis an, folgt die
Strömung unter bestimmten Bedingungen der Form des Hindernisses, ohne sich zu verwir-
beln. Es entstehen gekrümmte Stromlinien (vergleiche Abbildung 2.3) und damit Druck-
änderungen senkrecht dazu. In großer Entfernung oberhalb, sowie unterhalb des Papiers
herrscht Normaldruck, während aufgrund der umgelenkten Strömung der Druck von außen
nach innen abnimmt und deshalb über dem Papier Unterdruck herrscht. Das Papier wird nach
oben, zu diesem Gebiet geringeren Drucks hinbewegt. Der Papierstreifen erfährt einen dyna-
mischen Auftrieb.
Die Erklärung des zweiten Vorversuchs
Wird durch den Trinkhalm geblasen, strömt die Luft durch den
Halm, wird durch die untere Scheibe umgelenkt und strömt
sternförmig nach außen.
Den Zwischenraum zwischen den Scheiben kann man sich aus
Zylindermänteln aufgebaut vorstellen, mit nach außen immer
größer werdenden Radien. Sie werden von der Strömung durch-
flossen. Wegen der Kontinuitätsgleichung muss die Strömungs-
geschwindigkeit nach außen hin abnehmen.
Dementsprechend nimmt der Druck zwischen den Scheiben gemäß dem Gesetz von Bernoulli
nach außen hin zu. Am äußersten Zylindermantel entspricht er dem Atmosphärendruck.
Abb. 2.4: Zwischen parallel
zueinander stehenden
Scheiben wird Luft geblasen
-
226 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
Das Unterdruckgebiet sorgt dafür, dass die untere Scheibe nicht weggeblasen wird. Der Unter-
druck kompensiert nicht nur die Gewichtskraft der Scheibe, sondern auch den im Querschnitt
des Halms herrschenden Überdruck, der durch das direkte Anblasen der Scheibe entsteht
(NEUNASS 1967, 75).
FAST UNZÄHLIGE ANWENDUNGEN ...
... in der Technik
Wasserstrahlpumpe: Abbildung 2.5 zeigt das vereinfachte Prinzip
einer Wasserstrahlpumpe, die in der Technik häufig eingesetzt wird,
z.B. in Vergasern von Ottomotoren. Man benötigt ein Rohr, das sich
in seinem mittleren Teilstück verengt. An der verengten Stelle wird
ein Steigrohr angebracht, das senkrecht in einem Flüssigkeitsbehälter
hängt, aus dem die Flüssigkeit nach oben gepumpt werden soll.
Strömt nun Flüssigkeit durch das waagrechte Rohr, muss nach der
Kontinuitätsgleichung die Strömungsgeschwindigkeit in der Ver-
engung zunehmen. Dementsprechend sinkt der Druck in der Flüs-
sigkeit von p1 auf p2 an der Engstelle.
Durch eine geeignete Wahl von Strömungsgeschwindigkeit und
Rohrdurchmesser kann ein Druck p2 an der Engstelle erreicht werden,
der geringer ist als der Außendruck p0. Dieser Unterdruck bewirkt,
dass die Flüssigkeit im Steigrohr nach oben gepumpt wird.
Zerstäuber: Der Zerstäuber ist nach einem ähnlichen Prinzip aufgebaut
wie die Strahlpumpe, allerdings ragt hier das Steigrohr als Hindernis in
eine freie Strömung. Mit einem einfachen Versuch kann man das
Prinzip des Zerstäubers demonstrieren (Abbildung 2.6):
Versuch „Zerstäuber“:
Ein Trinkhalm wird in zwei Teile geschnitten, die senkrecht zueinander gehalten werden. Ein
Teil des Halms dient als Steigröhrchen, der zweite Teils als Zerstäuber. Mit ihm wird
senkrecht über die Öffnung des im Wasser stehenden Halms geblasen. Das Anblasrohr wird
dabei so gehalten, dass sich die obere Kante des Steigrohrs in der Mitte des anströmenden
Luftstrahls befindet. Auf diese Weise muss die Strömung um das Steigrohr als Hindernis
ausweichen. Es entstehen gekrümmte Stromlinien und dadurch ein Unterdruck über der
Steigrohröffnung. Die Flüssigkeit steigt aus dem Behälter nach oben und wird zerstäubt.
Schornstein: Bei Schornsteinen wird der durch gekrümmte Stromlinien entstehende Unter-
druck ebenfalls ausgenutzt: Der Kamin ragt als Hindernis in die Luftströmung und zwingt
diese auf gekrümmte Bahnen. Dadurch entsteht über seiner Öffnung ein Unterdruckgebiet, das
dafür sorgt, dass der Rauch besser abzieht.
Abb. 2.5: Vereinfachtes
Prinzip einer Strahl-
pumpe
Abb. 2.6: Zerstäuber aus
Strohhalmen
-
3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 227
Natürlich ist der eben beschriebene Mechanismus nicht allein für das Abziehen des Rauchs
zuständig. Vielmehr wird der Haupteffekt beim Schornstein durch den Temperaturunterschied
zwischen dem Rauch und der Umgebungsluft erzielt. Auch kann bei den eben beschriebenen
Phänomenen nicht davon ausgegangen werden, dass die Strömung tatsächlich reibungsfrei
und laminar ist: In einer realen Strömung können Wirbel oder gar Turbulenz entstehen. In
erster Näherung ist diese einfache Erklärung gültig.
... in der Biologie
Turmspinnen: Einige Tierarten
nutzen durch Strömungen verän-
derte Druckverhältnisse aus. Ein
Beispiel ist die mit der Tarantel
verwandte Turmspinne. Sie lebt in
Gebieten mit wüstenähnlichem
Klima in röhrenförmigen Höhlen.
Diese Höhlen sind etwa 30 cm
tief, vertikal in Sand oder lockeres
Erdreich gegraben. Den Ausgang
der Röhre bildet ein Krater, der etwa einen Zentimeter hoch über dem Erdboden aufragt.
Dieser „Turm“ besteht aus Sand, Erde, Pflanzenresten und Spinnfäden. Die linke Zeichnung
in Abbildung 2.7 zeigt einen solchen Turm. Streicht Wind an dem Kraterausgang vorbei, wird
die Strömung auf gekrümmte Bahnen gezwungen und es entsteht am Kraterausgang ein
Unterdruck. Aus der Röhre wird Luft herausgesogen. Zum Ausgleich tritt nun Luft durch die
poröse Erde in die Höhle. Dieses Prinzip hat neben der Sauerstoffversorgung einen weiteren
wichtigen Vorteil: Da die Spinne in sehr heißen Gebieten lebt, würde ihre Höhle den Tag über
austrocknen. Dies wird durch den ständigen Zufuhr an, durch den Erdboden gekühlter,
feuchter Luft verhindert.
Präriehund: Eine andere Tierart, die Druckunterschiede ausnutzt, ist der Präriehund, der in
Nordamerika beheimatet ist. Präriehunde leben in etwa 15 m langen, tunnelförmigen Erd-
höhlen mit zwei unterschiedlich geformten Ausgängen (siehe rechte Zeichnung in
Abbildung 2.7). Ein Ausgang ist von einem hohen, konisch zulaufenden Ringwall umgeben,
der andere Ausgang ist niedriger und flach. Die Form der unterirdischen Gänge ist ungünstig
für eine Sauerstoffversorgung durch Wärmekonvektion. Der Sauerstoffvorrat, der durch Kon-
vektion in die Höhle gelangt, reicht nicht einmal aus, um den Bedarf eines Tieres zu decken.
Da aber mehrere Präriehunde gemeinsam in einer Höhle leben, muss die Sauerstoffversorgung
durch ein anderes Prinzip gewährleistet sein. Dies geschieht, ähnlich wie bei der Turmspinne,
durch Druckunterschiede an den beiden Ausgängen: Streicht Wind über die Ausgänge der
Höhle, muss er den erhöhten Ausgang als Hindernis umströmen. Es entstehen gekrümmte
Abb. 2.7: Bauten von Turmspinne und Präriehund (VOGEL 1979)
-
228 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
Stromlinien und damit am erhöhten Ausgang ein Unterdruckgebiet. Der Druck am höher-
liegenden Ausgang ist niedriger als der Druck am flachen Höhlenausgang. Es entsteht eine
Strömung vom Gebiet des höheren Drucks zum Gebiet niedrigeren Drucks, der Bau wird be-
lüftet. Es reicht eine sehr geringe Windgeschwindigkeit aus, um die Luft im Bau innerhalb
weniger Minuten auszutauschen. Die Belüftung ist unabhängig von der Windrichtung, die
Luft strömt im Bau immer von der Stelle des höheren zur Stelle des niedrigeren Druckes.
Wird die Strömung durch Rauch sichtbar gemacht, sieht man, dass dieser immer aus dem
höheren der beiden Ausgänge steigt.
... im Spiel
Versuch „Münze ins Glas blasen“:
Eine möglichst leichte, großflächige Münze wird auf eine Tischplatte in der Nähe der Tisch-
kante gelegt. Diese Münze soll nun durch Blasen in ein gekipptes Glas gehoben werden. Wird
stark genug horizontal über die Münze geblasen, muss die Strömung um das Hindernis
ausweichen und es entsteht durch die gekrümmten Stromlinien ein Unterdruckgebiet über der
Münze. Ist die Münze einmal ein kleines Stück hochgehoben, kann die Luft auch unter die
Münze strömen. Mit etwas Glück und einem langen Atem kann sie nun in das Glas
„geblasen“ werden.
Versuch „Tischtennisball im Trichter“:
Ein Tischtennisball kann in einem auf dem Kopf stehenden Trichter gehalten werden, wenn
stark in die enge Öffnung des Trichters geblasen wird. Der Ball dient als Hindernis im Luft-
strom, der durch die Verengung zwischen Ball und Trichterwand hindurchströmt. Durch das
Ausweichen der Strömung entstehen gekrümmte Stromlinien und damit ein Unterdruck, der
den Ball im Trichter hält.
Versuch: „Löffel im Wasserstrahl“:
Ein Kaffeelöffel wird, nach unten hängend, locker in die Hand genommen. Nähert man den
Löffel vorsichtig der Oberfläche des fließenden Wasserstrahls, kann man beobachten, dass die
Löffelfläche in den Wasserstrahl gezogen und im Strahl gehalten wird.
... unterwegs
Schirm: Wenn man mit einem Regenschirm bei stürmischem Wetter spazieren geht, kann es
passieren, dass der Schirm umgestülpt wird. Der Wind streicht mit einer hohen Geschwindig-
keit über den Schirm, der als Hindernis wirkt und die Stromlinien umlenkt. Es entsteht ein
Unterdruck, der den Schirm umstülpt.
Schiffe und Züge: Wird ein Schiff auf See mit Treibstoff versorgt oder müssen Postsäcke aus-
getauscht werden, ist es notwendig, dass zwei Schiffe eine Zeitlang parallel nebeneinander
-
3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 229
herfahren. Dabei muss ein bestimmter Mindestabstand eingehalten werden, da man sonst
selbst mit starken Manövrierbewegungen Schwierigkeiten hat, die Schiffe wieder zu trennen.
Zur Erklärung kann das Bernoullische Gesetz herangezogen werden: Das anströmende Wasser
strömt durch die Engstelle zwischen den beiden Schiffen. Dadurch erhöht sich die Strö-
mungsgeschwindigkeit und dementsprechend verringert sich der Druck in der Verengung.
Den gleichen Effekt müssen die Planer der ICE-Strecken beachten: Zwei mit hoher Ge-
schwindigkeit parallel nebeneinander vorbeifahrende Züge ziehen sich wegen des entstehen-
den Unterdruckes im Zwischenraum zwischen den Zügen an. Deshalb muss ein Mindest-
abstand zwischen den Gleisen eingehalten werden.
Auch in der Binnenschifffahrt kann man Phänomene beobachten, die auf das Gesetz von
Bernoulli zurückzuführen sind: In einem Kanal, dessen Wassertiefe den Tiefgang der Schiffe
nur knapp übersteigt, kann es passieren, dass bei schneller Fahrt das Schiff an den Grund des
Kanals gesogen wird. Dies ist die Hauptursache für die baulichen Schäden an Kanälen.
Versuch „Schiffe“:
Schüssel mit Wasser füllen, zwei Spielzeugschiffe draufsetzen, mit Fäden stabilisieren.
Zwischen den Schiffen mit einem Schlauch Wasser durchspritzen => Schiffe bewegen sich
aufeinander zu.
... in der Akustik
„Heulrohr“: Beim Heulrohr handelt sich um
ein quergeriffeltes Kunststoffrohr von ca.
einem Meter Länge, das im Spielzeughandel
erhältlich ist. Dieses Rohr wird an einem
Ende festgehalten und in der Luft
kreisförmig geschwungen. Durch das
Herumschleudern wird die Luft im Rohr,
ähnlich einem herumgeschleuderten Stein,
nach außen gezogen. Es entsteht eine
Strömung im Rohr. Dabei gibt es einen
sehr lauten Heulton von sich.
Wie entsteht dieser Heulton?
Die Luft muss an den Rillen im Rohrinneren vorbeiströmen, dabei entstehen Druckschwan-
kungen, die eine Schallwelle erzeugen.
Durch den Luftstrom wird ein verrauschtes Frequenzspektrum angeregt. Wenn dieses breite
Spektrum auf der Grundfrequenz des Rohres oder der Frequenz eines Obertons liegt, erhält
man einen klaren Heulton (EHRLICH 1985).
Abb. 2.8: Heulrohr. Eigenfrequenzen des Heulrohrs und
darüberliegendes, verrauschtes Spektrum des Luft-
stroms
-
230 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe
3.2.2 Reale, reibungsbehaftete Strömungen - Viskosität und Haft-bedingung
VORBEMERKUNGEN
Dieser zweite Unterrichtsteil zeigt die Grenzen des Modells der idealen Flüssigkeit auf. In der
Natur sind Strömungen immer reibungsbehaftet. Deshalb wird in diesem Unterrichtsteil die
Viskosität als strömungsbeeinflussender Faktor eingeführt, auch im Hinblick auf den dritten,
vierten und sechsten Themenblock dieser Unterrichtsreihe. Des weiteren wird die Abhängig-
keit der Viskosität von verschiedenen Parametern wie Temperatur oder Scherspannung the-
matisiert. Die Erkenntnis, dass die Viskosität nicht als Konstante betrachtet werden kann,
führt zum Begriff der „nichtnewtonschen Flüssigkeiten“. Aus dieser großen Stoffklasse
wurden speziell schubverdickende und -verdünnende Fluide ausgewählt.
LEHR- UND LERNZIELE
Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen
� die Grenzen des Modells einer idealen Flüssigkeit erkennen.
� die Viskosität als physikalische Größe und als wichtigen strömungsbeeinflussenden Faktor
kennen lernen.
� erkennen, dass die Viskosität keine Konstante ist und dass sich manche Substanzen unter
verschiedenen Voraussetzungen einmal wie ein Festkörper, dann wieder wie eine Flüssig-
keit verhalten.
� Schubverdickende von schubverdünnenden Flüssigkeiten unterscheiden können.
AUSFÜHRUNG
Demonstration: Verschiedene Flüssigkeiten werden auf ihre Zähigkeit hin betrachtet.
Beim Vergleich verschiedener Flüssigkeiten wie Wasser, Glyzerin, Honig, Motorenöl usw.
stechen sofort gravierende Unterschiede ins Auge. Schon beim Umschütten der Flüssigkeiten
von einem Gefäß in ein anderes zeigt sich, dass die Flüssigkeiten unterschiedlich zäh sind.
Um das Verhalten dieser Flüssigkeiten realistischer zu beschreiben, muss ihre Zähigkeit be-
rücksichtigt werden. Für die Definition der Zähigkeit stellt man sich die Flüssigkeit aus
Schichten aufgebaut vor, ähnlich wie aufeinandergestapelte Spielkarten. Diese Flüssigkeits-
schichten der Dicke �z befinden sich nun zwischen zwei Platten gleicher Fläche (Abbildung
2.9). Die untere Platte bleibt in Ruhe, während die obere Platte verschoben wird.
Bei einer idealen Flüssigkeit würde die Platte über die Flüssigkeitsschicht gleiten, ohne dass
diese sich bewegt. Bei realen Flüssigkeiten aber wird der Bewegung der Platte eine Rei-
bungskraft entgegengesetzt: Jede Schicht der Flüssigkeit reibt an ihren Nachbarschichten. Auf
diese Weise werden auch von der Platte weiter entfernte Schichten bewegt. Diesen Prozess
nennt man „Scherung“.
-
3.2 Themenblock „I