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TH-VU- Ausbildung - Lernunterlage zur technisch-medizinischen Rettung nach Verkehrsunfällen mit Lastkraftwagen -

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TH-VU-Ausbildung

- Lernunterlage zur technisch-medizinischen Rettung nach Verkehrsunfällen mit Lastkraftwagen -

TH-VU-Ausbildung

- Lernunterlage zur technisch-medizinischen Rettung nach Verkehrsunfällen mit Lastkraftwagen -

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Technische Hilfeleistung nach Verkehrsunfällen mit Lkw

02.12.2015

2

Veranstaltung: F/B-TH-Sem.

Ausbildungseinheit: Technisch-medizinische Rettung nach Verkehrsunfällen mit Lastkraftwagen

Thema: Lkw-Fahrzeugtechnik Patientenorientierte Rettung aus verunfallten Lkw

Ausgabe: 02.11.2020

Zuständig: Abteilung Technische Ausbildung

Bearbeitet von: Volker Heerdt Erik Marka

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Technische Hilfeleistung nach Verkehrsunfällen mit Lkw

02.11.2020

Inhalt

1 Einleitung .......................................................................................... 1

2 Statistik .............................................................................................. 1

2.1 Unfall- und Straßenart ............................................................................................. 2

3 Lkw-Fahrzeugtechnik ....................................................................... 3

3.1 Lagerung und Federung .......................................................................................... 4

3.2 Aktive und passive Sicherheitseinrichtungen .......................................................... 5

3.3 Fahrersitz ................................................................................................................ 6

3.4 Lenksäule/Lenkrad .................................................................................................. 6

3.5 Spannungsversorgung ............................................................................................ 7

3.6 Betriebsstoffe .......................................................................................................... 7

3.7 Trennen des Anhängers .......................................................................................... 9

4 Patientenorientierte Rettung .......................................................... 10

4.1 Anpassung der Arbeitshöhe .................................................................................. 10

4.2 Sicherungsmaßnahmen ........................................................................................ 11

4.2.1 Abstellen des Fahrzeugmotors und Abklemmen der Fahrzeugbatterie(en) .......... 11

4.2.2 Sicherung und Stabilisierung des Fahrzeuges ...................................................... 12

4.2.3 Sicherung des Fahrerhauses ................................................................................ 12

4.3 Erstöffnung ............................................................................................................ 13

4.4 Versorgungsöffnung .............................................................................................. 14

4.5 Rettungsöffnung .................................................................................................... 15

4.6 Befreiung ............................................................................................................... 18

5 Notfallmedizinische Versorgung ................................................... 18

5.1 Verletzungsmuster eingeklemmter Personen........................................................ 18

5.2 Erstmaßnahmen .................................................................................................... 19

5.3 Immobilisation ....................................................................................................... 19

5.4 Weitere medizinische Maßnahmen ....................................................................... 20

5.5 Sofortrettung ......................................................................................................... 20

5.6 Unterstützender Einsatz der technischen Rettung ................................................ 20

6 Abbildungsverzeichnis ................................................................... 21

7 Literaturverzeichnis ........................................................................ 21

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Technische Hilfeleistung nach Verkehrsunfällen mit Lkw

02.06.2020

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1 Einleitung Die Rettung von Insassen nach schweren Lkw-Unfällen ist eine Aufgabe, welche die Feuerwehren immer wieder vor große Herausforderungen stellt. Die Zunahme des Transportverkehrs auf Autobahnen und Fernstraßen, mangelnde Sicherheitsabstände und menschliche Faktoren wie Übermüdung und Ablenkung sind unter anderem die Ursachen für die Zunahme derartiger Unfälle. Während das patientenorientierte Retten aus Pkw inzwischen flächendeckend bei Berufs- und Freiwilligen Feuerwehren mit hoher Professionalität und klarer taktischer Vorgehensweise geschult wird, sind hinsichtlich der Einsatztaktik bei Lkw-Unfällen die Vorgehensweisen noch nicht im selben Maße bekannt und erprobt. Lkw-Unfälle unterscheiden sich deutlich von Unfällen mit Pkw. Bedingt durch die größeren Abmessungen und die erheblich höhere Fahrzeugmasse stehen die Einsatzkräfte bei der Rettung einer in einem Lkw-Fahrerhaus eingeklemmten Person vor besonderen Herausforderungen:

Der Höhenunterschied zum Fahrerhaus muss überwunden werden. Die Rettungsgeräte müssen in der Arbeitshöhe sicher vorgenommen werden. Einzelne Fahrzeugteile haben eine große Masse (z. B. Türen bis zu ca. 100 kg). In den Kraftstofftanks können sich bis zu 1.600 Liter Diesel befinden. Moderne Lkw-Fahrerhäuser werden u. a. aus hochfesten Stählen gefertigt, welche

insbesondere ältere Schneidgeräte an ihre Leistungsgrenze bringen. Von der Ladung kann eine besondere Gefährdung ausgehen (Gefahrgut, schweres

Stückgut, etc.) Das schnellere Erreichen der körperlichen und technischen Einsatzgrenzen.

Die Rettung von eingeklemmten Patienten aus verunfallten Kraftfahrzeugen stellt höchste Anforderungen an Führungsqualität, handwerkliches und taktisches Geschick, medizinisches Können und Selbstdisziplin der eingesetzten Kräfte. Bei nur wenig vergleichbaren Einsatzsituationen muss auf so engem Raum und unter massiven Zeitdruck von den Beteiligten diszipliniert, team- und zielorientiert gearbeitet werden. Die grundsätzliche Vorgehensweise, wie sie bei der Befreiung von verletzten Personen aus Pkw bekannt ist (z. B. Erkundung und Sicherung der Einsatzstelle, Ordnung des Einsatzraumes, Glasmanagement, etc.), wird auch bei der Rettung von Personen aus verunfallten Lkw angewendet. Sie sind aus der „Lernunterlage zur technisch-medizinischen Rettung nach Verkehrsunfällen mit Personenkraftwagen“ zu entnehmen.

2 Statistik Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) gewinnen Lkw als Transportmittel zunehmend an Bedeutung. 3,1 Millionen Lkw waren am 1. Januar 2019 im Zentralen Fahrzeugregister (ZFZR) des Kraftfahrt-Bundesamtes registriert. Zum Vergleich: 1960 waren es 680.000 Lkw, 1970 wurde erstmals die Millionen-Grenze überschritten. Mit Sattelzugmaschinen sowie Sattel- und Lkw-Anhängern sind über vier Millionen Fahrzeuge zur Güterbeförderung auf den Straßen unterwegs. Insbesondere Kleintransporter (bis 3,5 Tonnen) beleben zunehmend das Straßenbild. Heute bilden sie den mit Abstand größten Anteil an Kraftfahrzeugen zum Gütertransport (01.01.2019: 83,1 %). Nur 4,2 Prozent der Lkw haben eine zulässige Gesamtmasse über 22 Tonnen. Das Segment der 12- bis 22-Tonner ist seit der Einführung der Mautgebühren

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2005 leicht auf 2,7 Prozent geschrumpft. Dadurch kamen kleinere Lkw vermehrt zum Einsatz. Der Anteil der 7,5- bis 12-Tonner betrug am 1. Januar 2019 rund 3 Prozent, bei den 3,5- bis 7,5-Tonnern waren es 9,9 Prozent. 2.1 Unfall- und Straßenart Grundsätzlich ist eine Vielzahl unterschiedlicher Unfallszenarien vorstellbar und hat sich auch ereignet. Es kann aber nicht sinnvoll sein, jeden einzelnen Unfall zu betrachten. Die Ausbildung kann sich nur auf grundlegende Maßnahmen und Vorgehensweisen beschränken. Die vorgeschlagenen Lösungen müssen exemplarisch auf die Mehrzahl der Einsatzfälle übertragbar sein.

Abb. 1: Lkw ˃ 10 t, Stichprobe des statistischen Bundesamtes nach Unfallart (2019)

Bei Unfällen schwerer Nutzfahrzeuge sind Unfälle auf Autobahnen und Bundesstraßen am häufigsten.

Statistisch gesehen ist der Frontalaufprall bzw. der versetzte Aufprall auf ein Hindernis die bedeutendste Unfallart. Abhängig von der Höhe des Hindernisses sind die Folgen für die Fahrzeuginsassen unterschiedlich.

Bei Unfällen sind aber alle Straßenarten für schwere Nutzfahrzeuge relevant.

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3 Lkw-Fahrzeugtechnik Das Schaffen eines schnellen Zugangs und die patientenorientierte Rettung eingeklemmter Unfallopfer aus einem verunfallten Lkw ist entscheidend, um eine adäquate und rechtzeitige Versorgung gewährleisten zu können. Für effiziente Befreiungsmaßnahmen ist deshalb die Kenntnis der wesentlichen Konstruktionsmerkmale unerlässlich. Bei der Vielzahl von in- und ausländischen Lkw-Typen ist es jedoch unmöglich, die Konstruktion jedes Lkw zu kennen oder Unterlagen zu jedem Typ mitzuführen. Im Rahmen der Einsatzvorbereitung muss man sich mit den allgemeinen Konstruktionsmerkmalen von Lkw vertraut machen. Das Üben an alten Schrottfahrzeugen ist leider nur sehr selten möglich, da auch ein Großteil der Schrott-Lkw noch exportiert bzw. ausgeschlachtet wird. Zumindest sollte man an verschiedenen Lkw zerstörungsfreie Techniken (z. B. Sichern, Unterbauen, Abkuppeln von Anhängern bzw. Aufliegern) üben und sich mit den Fahrzeugen und deren komplexe Technik vertraut machen. Bis auf wenige Ausnahmen sind Lkw von der Grundkonstruktion her gleich aufgebaut. Auf einem mit Quertraversen verbundenen Grundrahmen aus Stahlprofillängsträgern sitzt im Frontbereich die Antriebseinheit bestehend aus Motor und Getriebe. Über dem Motor ist das Fahrerhaus aufgesetzt. Man kann prinzipiell Fahrerhäuser mit und ohne Radausschnitt unterscheiden, was jedoch keinen Einfluss auf die technische Rettung hat. Die Fahrerhäuser sind zur Absorption der Bewegungen des Fahrgestells schwingend gelagert, entweder auf Schraubfedern oder pneumatisch auf Luft-Federbälgen. Bei modernen Lkw besteht die Grundstruktur des Fahrerhauses aus einem stabilen Stahlkäfig, der durch Stahlbleche ummantelt wird. Bei einem Aufprall wird die kinetische Energie durch die gesamte Struktur des Stahlkäfigs absorbiert und deformiert sich in vorberechneter Form.

Abb. 2: Mercedes-Benz Actros Sattelzugmaschine (inkl. Fahrerhaus) mit eingezeichneten Benennungen

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Abb. 3: Mercedes-Benz Actros Sattelzugmaschine (ohne Fahrerhaus) mit eingezeichneten Benennungen

3.1 Lagerung und Federung Die Fahrerhäuser der Frontlenker Lkw sind über zwei drehbare Gelenkpunkte an den vorderen Längstraversen kippbar gelagert, damit der darunterliegende Motor erreicht werden kann. Da das Fahrerhaus als eigenständige Zelle auf dem Grundrahmen aufsitzt und nur über wenige Punkte fixiert ist, muss bei einem Auffahrunfall mit Beschädigungen dieser Halterrungen gerechnet werden.

Abb. 4: Lagerung auf dem Grundrahmen

Fahrerkabinen von Lkw sind mit aufwendigen schwingungsdämpfenden Systemen bestehend aus Fahrwerksfederung, Federung der Fahrerkabine und schwingender Lagerung des Fahrersitzes ausgestattet. Die Fahrwerksfederung besteht aus Blatt- oder Luftfederungen, während die Federung der Fahrerkabine durch eine Spiral- oder Luftfederung erreicht wird. Da bei der patientenorientierten Rettung ein intaktes Federungssystem durch seine Schwingungen einen negativen Einfluss auf den Verletzten haben kann oder den Einsatz von Rettungsgeräten infolge fehlender Festpunkte erschwert bzw. unmöglich macht, muss dieses mit geeigneten Mitteln außer Betrieb gesetzt werden.

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3.2 Aktive und passive Sicherheitseinrichtungen Grundsätzlich wird im Fahrzeugbau zwischen aktiven und passiven Sicherheitseinrichtungen unterschieden. Alles was Unfälle verhindern kann, gehört zur „Aktiven Sicherheit“. Hierzu zählen z. B. eine leichtgängige und dennoch genügend Fahrbahnkontakt vermittelnde Lenkung, gute Fahrwerkseigenschaften und -abstimmung, wirkungsvolle Bremsen und durchzugskräftige Motoren. Dem Konditionserhalt des Fahrers helfen ermüdungsfreie und vielfach verstellbare sowie gut gefederte Sitze, klare Sicht, gute Klimatisierung, übersichtliche sowie unkomplizierte Bedien- und Anzeigeelemente. Die auf die Elektronik basierende Fahrzeugtechnik ist ebenfalls Teil der aktiven Sicherheit. Hierzu zählen beispielswiese:

Anti-Blockier-System (ABS) Automatische-Lastabhängige-Bremse (ALB) Antriebs-Schlupf-Regelung (ASR) Elektronische-Bremskraftverteilung (EBV) Not- Bremsassistent (Emergency Brake-Assist EBA) Elektronische Differenzialsperre (EDS) Elektronisches-Stabilitätsprogramm (ESP)

Unter „Passiver Sicherheit“ versteht man alle konstruktiven Maßnahmen, die dazu dienen, die Fahrzeuginsassen vor Verletzungen zu schützen bzw. Verletzungsgefahren bzw. deren Folgen zumindest zu mindern. Der Begriff bezieht sich insbesondere auf das Kollisionsverhalten und berücksichtigt über den Selbstschutz hinaus auch den Schutz anderer Verkehrsteilnehmer. Für passive Sicherheit der Insassen im Fahrzeug sorgt vor allem die Festigkeit der Karosserie gegen äußere Beschädigungen und Rückhaltesysteme für Fahrer und Mitfahrer. Die Widerstandsfähigkeit des Fahrerhauses kann gut mit Crashtests untersucht werden. Für den Lkw-Sektor ist der sogenannte „Schweden-Test“ das derzeit gängige Kriterium, das auch von den meisten Herstellern genutzt wird. Dieser Test entspricht etwa dem von der Economic Commission for Europe (ECE) in der Regelung Nr. 29 (ECE-R 29) festgelegten Prüfverfahren. Ein und dieselbe Karosserie wird drei Prüfungen unterzogen. Zunächst muss das Fahrerhaus einer statischen Last von oben widerstehen, die beim ECE-Test von der höchsten Vorderachslast abhängig ist und beim Schweden-Test 15 t beträgt. Mit einem Pendelschlagtest wird die Frontaufprallsicherheit geprüft, wobei neben der Masse und Form des Schlaggewichtes in erster Linie die Schlagrichtung unterschiedlich ist. So wird z. B. beim Schweden-Test ein Pendelschlag von vorne (auf die A-Säule mit einem Tonnenpendel 1,4 t bei v = 25 km/h) und ein Pendelschlag von hinten (Gewicht 1,3 t bei v = 25 km/h) ausgeführt. Ein für Lkw ganz spezieller Crashtest ist der sogenannte „Barriere-Test“, der das Auffahren eines Lkw auf einen anderen simuliert. Dabei fährt der Lkw gegen eine feste Barriere, die er in Höhe des Fußraumes am Fahrerhaus trifft. Hier konnten vor allem in den letzten Jahren die Sicherheitsstandards, vor allem der skandinavischen Lkw erhöht werden. Stand der Technik ist derzeit, dass der Überlebensraum des Fahrers bis etwa 30 km/h Differenzgeschwindigkeit erhalten bleibt.

Die momentan zugelassenen Lkw sind in der Mehrzahl nicht mit Rückhaltesystemen wie

Gurtstraffer und Airbag ausgestattet. Eine zwingende Vorschrift zum Einbau besteht nicht,

obwohl fast alle Lkw-Hersteller diese Sicherheitsausstattung anbieten. Allerdings schreitet

die Entwicklung auf diesem Gebiet schnell voran, sodass neue Sicherheitseinrichtungen

auch für Lkw denkbar sind.

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3.3 Fahrersitz Moderne Fahrersitze nehmen heute eine Vielzahl von Funktionen war. Zum einen sollen sie ein möglichst ermüdungsfreies Fahren erlauben, zum anderen den Insassen bei Unfällen optimal schützen. Bei Berufskraftfahrern, die den Großteil ihres Lebens hinter dem Steuer verbringen, bedeutet dies schon aus arbeitsmedizinischer Sicht, dass der Sitz optimal eingestellt werden kann und über eine Stoßdämpfung verfügt. Dies führt dann z. B. zu folgenden Verstellmöglichkeiten:

Sitzhöhe Lehnenwinkel Lordosenstütze und variabler Seitenhalt Armlehnen (verstellbar) Neigung der Sitzfläche Länge der Oberschenkelauflage Kopfstützen (Höhe und Neigung verstellbar)

Der Sitzrahmen ist heute teilweise aus hochfesten Metallen gefertigt und lässt sich je nach Rettungsgerät ggf. nur schwer oder gar nicht durchtrennen (in jedem Fall sind die Sitzscharniere verstärkt). Lkw-Sitze lassen sich entweder mechanisch, pneumatisch oder elektrisch verstellen, wobei die Möglichkeit der elektrischen Verstellung nur bei noch intakter Fahrzeugelektrik gegeben ist. Die pneumatische Verstellung funktioniert nur mit intakter Luftversorgung. Die Druckluft für die Luftfederung eines derartigen Sitzes kommt normalerweise aus einem “Zubehör-Luftkessel“ und ist deshalb von der Druckluftbremsanlage unabhängig. Zur Stabilisierung des Sitzes (damit auch zur Stabilisierung des Patienten) und um zu verhindern, dass der Sitz durch die Luftfederung den zur Befreiung gewonnenen Raum wieder „zufährt“, sollte der Sitz grundsätzlich stillgesetzt werden. Zur Stillsetzung eines luftgefederten Fahrersitzes sollte dieser drucklos gemacht werden, indem

der entsprechende Bedienhebel für die Absenkung des Sitzes betätigt wird, der Luftzylinder, der nach Entfernung des Faltbalges unter der Sitzfläche

zugänglich wird, evakuiert wird oder das Fahrzeug spannungsfrei gemacht wird (führt nicht bei allen Herstellern zur

Druckentlastung). Eine erforderliche Bewegung des Sitzes ist grundsätzlich mit dem Rettungsdienst abzustimmen. 3.4 Lenksäule/Lenkrad Das moderne Lenkrad eines Lkw ist in der Regel nach wie vor ohne Airbag ausgestattet. Das Lenkrad ist so konzipiert, dass es gezielt Energie aufnehmen und sich verformen kann. Zur Lenkradverstellung gibt es unterschiedliche Bedienelemente, z. B. im Bereich des Armaturenbrettes (elektrische Schalteinheit) oder direkt an der Lenksäule (mechanisch). Bei einigen Modellen befindet sich ein Fußschalter im Bodenblech nahe dem Fahrersitz. Man sollte den Fahrer, wenn möglich, dazu befragen. Die Lenksäulen werden manuell verstellt und sind manuell, elektrisch oder pneumatisch verriegelt. Verstellbare oder auch Sicherheitslenksäulen mit mehreren Gelenken können beim „Ziehen“, d. h. Anwendung eines (Ketten-) Zuges vom Lenkrad nach vorne (z. B. zur Stoßstange), nach innen in den Fußraum wegklappen. Dies kann dann zu schweren

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Verletzungen einer dort sitzenden Person führen. Das „Ziehen“ von Lenksäulen/Lenkrädern ist daher im Regelfall zu unterlassen! 3.5 Spannungsversorgung Lastkraftwagen verfügen über eine 24 V Spannungsversorgung, die aus zwei in Reihe geschalteten 12 V Batterien entsteht. Dies ist besonders im Rahmen des Batteriemanagements zu beachten. Des Weiteren kommen bei Lastkraftwagen auch unterschiedlichste Einbauorte für die Batterien in Betracht. Dies hängt hauptsächlich von der späteren Verwendung des Lastkraftwagens ab. So verfügen zum Beispiel Zugmaschinen meist über einen Einbauort zwischen dem Rahmen im Bereich unterhalb der Sattelplatte. Beim Abklemmen der Batterie(en) ist ebenfalls zuerst der Minuspol abzuklemmen. Neben dem Abklemmen der Batterie(en) stehen häufig weitere Möglichkeiten zum Herstellen der Spannungsfreiheit zur Verfügung (Not-Aus, Übergabestation, Trennschalter etc.). 3.6 Betriebsstoffe Die Vielzahl der heute zugelassenen Lastkraftwagen verfügen über einen Dieselmotor. Die mitgeführten Mengen an Kraftstoff variieren aufgrund von unterschiedlichen Faktoren. Neben dem Aufbau und der Motorleistung hängt sie insbesondere von der späteren Verwendung ab. Diese Mengen können bis zu 1.600 Liter Diesel betragen. Zu beachten ist dies insbesondere bei Lkw, welche über mehrere Tanks verfügen, die untereinander verbunden sind. Dieser Umstand ist besonders dann zu beachten, wenn einer der Tanks aufgrund des Unfallgeschehen beschädigt ist.

Abb. 5: Anordnung von Kraftstofftanks

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Zum Einhalten der von der Bundesregierung gesteckten Ziele zum Klimaschutz, halten auch immer mehr alternative Antriebe Einzug im Sektor der Lkw. Auch für Lkw gelten die allgemeinen Sicherheitshinweise (Vgl. DGUV-I 205-002). Den größten Anteil an alternativen Antrieben nehmen Elektro- und Elektrohybridfahrzeuge ein. Des Weiteren kommen aber auch Antriebe mit unterschiedlichen Gasen (LNG, CNG) zur Verwendung. Zu beachten ist, dass zur Reichweitenerhöhung ggf. auch Erdgastanks im Aufbau des Anhängers verbaut werden (Abb. 6).

Abb. 6: Lkw Anhänger mit Erdgastanks

Neben Erdgas (CNG1) wird auch immer häufiger Flüssigerdgas (LNG2) zum Antrieb des Lkw benutzt. Zu beachten ist, dass dieses Gas mit einer Temperatur um -162°C in speziell isolierten Tanks transportiert wird. Sollte es aufgrund eines Unfalls zu einer Erwärmung des Tanks aufgrund oder defekten Isolierung kommen, wird das Gas kontrolliert abgelassen. Aufgrund der besonderen Eigenschaften des Gases ist eine Odorierung nicht möglich.

Abb. 7: Flüssigerdgastank

Wie im Pkw-Bereich ist die Entwicklung sehr rasant und schreitet stetig voran, so dass zukünftig weitere Antriebssysteme Anwendung im Lkw-Sektor finden. Um die eventuell vorhanden Aufbauten mit Hydraulikdruck zu versorgen, besitzen Lkw häufig eine Hydraulikpumpe inklusive dazugehörigem Tank. Nach einem Unfall kann es in diesem Bereich ebenfalls zu Leckagen kommen. Im Rahmen des Umweltschutzes und der

1 Compressed Natural Gas 2 Liquefied Natural Gas

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Sicherheit an der Einsatzstelle sind diese Leckagen unverzüglich zu stoppen und ausgetretenes Öl abzubinden. 3.7 Trennen des Anhängers Um dem wachsenden Aufkommen von Gütern gerecht zu werden, reicht es oftmals nicht aus Lkw solo fahren zu lassen. Zu diesem Zweck führen die meisten Lkw einen Anhänger mit. Die Kombination zwischen Zugmaschinen und Sattelauflieger oder Maschinenwagen und Anhänger sind die gängigsten Kombinationen. Im Rahmen des Fernverkehrs werden aber auch sogenannte Gigaliner getestet, die das Volumen eines Sattelaufliegers und Maschinenwagen miteinander kombinieren. Im Rahmen der Gefahrenabwehr kann es sich als sinnvoll erweisen, die Anhänger vom eigentlichen Lkw zu lösen. Folgende Einsatzgrundsätze sind zu beachten:

Vor dem Trennen sind der Lkw und der Anhänger adäquat gegen Wegrollen zu sichern. (Radkeile, Holzkeile etc.)

Ggf. sind die Stützen des Anhängers auszuklappen oder der Anhänger auf andere Art und Weise gegen Kippen zu sichern.

Vor dem Öffnen der Kupplung ist die Druckluftversorgung zu trennen, die Reihenfolge ist zu beachten:

1. Vorratsschlauch (Rote Leitung) 2. Bremsschlauch (Gelbe Leitung)

„Rote Leitung ist niemals alleine angeschlossen“ Vorhandene elektrische Verbindungen sind zu trennen. Die Kupplung ist entsprechend der Herstellerangaben zu öffnen. Trennen des Zuges mit geeigneten Mitteln. Nach dem Trennen des Zuges ist der Anhänger und auch das Zugfahrzeug wieder

mit geeigneten Mitteln zu sichern.

Abb. 8: Kupplung an einem Maschinenwagen

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4 Patientenorientierte Rettung

4.1 Anpassung der Arbeitshöhe

Eine der wesentlichen Erschwernisse bei der patientenorientierten Rettung von Lkw-

Insassen ist die Arbeitshöhe. Die Unterkante der Fahrerhaustür liegt in ca. 1,20 m bis 1,50

m Höhe, also in Brusthöhe eines Erwachsenen und die Sitzhöhe kann bis zu

ca. 1,80 m erreichen. Der Einsatz von Rettungsgeräten und die Rettung eines Insassen

ohne entsprechende Hilfsmittel zum Höhenausgleich sind nicht möglich.

Um ein sicheres Arbeiten an einem Lkw-Fahrerhaus zu ermöglichen, sollte grundsätzlich

auf eine Rettungsplattform zurückgegriffen werden. Provisorische Plattformen (z. B. mit

Steckleiterteilen) haben oftmals den Nachteil, dass sie nicht genügend Platz für das

Arbeiten mit schweren Geräten bieten. Für den Erstzugang können Steckleiterteile zum

Einsatz kommen. Außerdem kann auch das Podest einer Drehleiter oder die

Ladebordwand eines Gerätewagens Logistik zur Überwindung der Höhe zum Einsatz von

Rettungsgeräten genutzt werden. Dies sollte jedoch die Ausnahme sein, wenn zeitnah

keine Rettungsplattform zur Verfügung steht.

Abb. 9: Rettungsplattform

Moderne Lkw verfügen häufig über eine Verkleidung an den Türen, welche weit über die Trittstufen hinausragen. Diese ist vor dem Positionieren der Rettungsplattform durch geeignet Hebel-, Brech- oder Trennwerkzeug zu entfernen (Abb.10), um ein ungehindertes Öffnen der Tür zu ermöglichen.

Abb. 10: Abtrennen der Türverkleidung

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Voraussetzung für einen reibungslosen Rettungsverlauf ist die Koordination der

Rettungsmaßnahmen. Einsatzmittel müssen auf Anforderung von unten angereicht

werden und auf der Plattform dürfen nur die unmittelbar benötigten Kräfte stehen. Zu

beachten ist auch, dass sich Rettungsdienstkräfte und die Einsatzkräfte der Feuerwehr,

die zur patientenorientierten Rettung eingesetzt sind, nicht gegenseitig behindern.

Grundsätzlich sind Rettungsplattformen so zu positionieren, dass ein sicheres Arbeiten

ermöglicht wird. Neben den natürlichen Bedingungen ist besonders auf ausreichend

Freiraum zwischen der Rettungsplattform zu achten. Dadurch wird verhindert das heraus

gespreizt Türen direkt auf der Rettungsplattform aufstehen.

4.2 Sicherungsmaßnahmen

Potentielle Gefahren an Unfallstellen können sehr vielfältig sein und sind eng mit der

jeweiligen Unfallsituation verknüpft. Gefahren bestehen z. B. durch:

fließenden Straßenverkehr

Brand/Rauch

gefährliche Stoffe und Güter

instabile Fahrzeuge (Absturz, Umkippen, Einbrechen, Abrutschen, etc.)

Blut und andere Körperflüssigkeiten

scharfe Kanten

ggf. Elektrizität (Hybridfahrzeuge, beschädigte Stromleitungen/-masten,

Verteilerkästen)

4.2.1 Abstellen des Fahrzeugmotors und Abklemmen der Fahrzeugbatterie(en) Das Abstellen des Fahrzeugmotors geschieht normalerweise mit dem Zündschlüssel. Ist dies nicht möglich, so empfiehlt sich das Einblasen von Kohlenstoffdioxid (CO2) in die Luftansaugung mit Hilfe eines geeigneten Kohlenstoffdioxid-Feuerlöschers, wodurch der Motor innerhalb weniger Sekunden zum Stillstand kommt. Die Verwendung von CO2 bietet gegenüber anderen Methoden wie Kappen der Kraftstoffzuführung den Vorteil, dass ein späteres Starten des Motors weiterhin möglich ist und keine zusätzlichen Schäden auftreten. Die Batterie(en) sind zur Sicherung der elektrischen Anlage vor Kurzschlüssen abzuklemmen. Dies sollte grundsätzlich nur dann durchgeführt werden nachdem sichergestellt ist, dass keine elektrischen Verbraucher (z. B. elektrisches Verfahren und Absenken des Fahrersitzes) mehr benötigt werden und ungewollte Bewegungen auszuschließen sind. Zu beachten ist das Lastkraftwagen über 24 V Bordspannung verfügen. Um Lastkraftwagen stromlos zu schalten gibt es neben dem Abklemmen der Batterie(en) ggf. weitere Möglichkeiten z. B. Nutzen von Batterietrennschalter, Abklemmen an der Übergabestation etc.

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4.2.2 Sicherung und Stabilisierung des Fahrzeuges Vor dem Beginn der technischen Rettungsmaßnahmen ist es bei Lkw-Unfällen erforderlich, den verunfallten Lkw gegen Wegrollen (z. B. Betätigung der Handbremse, Fixierung mit Unterlegkeilen) zu sichern. Beim Sichern mittels Radkeilen ist darauf zu achten, dass die Radkeile nicht an gelenkten Achsen angesetzt werden sollen. Größere Lkw verfügen häufig über zusätzliche Lenkachsen. Werden Sicherungsmaßnahmen zum Abrutschen getroffen ist das höhere Fahrzeuggewicht bei der Auswahl geeigneter Anschlagmittel zu berücksichtigen. Dementsprechend sind auch die zur Verfügung stehenden Festpunkte kritisch auf ihre Tragfähigkeit zu prüfen. 4.2.3 Sicherung des Fahrerhauses

Das schwingend gelagerte Fahrerhaus ist zu stabilisieren, indem der Federweg durch

Fixierung an einem geeigneten Festpunkt begrenzt wird. Schwingende Bewegungen

können den Patienten weiter schädigen, außerdem werden dadurch technische

Maßnahmen erschwert. Zur Stabilisierung und Fixierung eignet sich z. B. ein Spanngurt,

der um das Fahrerhaus gelegt und mittels Band- oder Rundschlingen an der Vorderachse

angeschlagen wird. Alternativ ist auch ein Anschlagen an den Felgen möglich, wobei

sichergestellt werden muss, dass sich die Räder nicht mehr drehen können. Beim

Anziehen des Spanngurtes wird das Fahrerhaus in die Federung gezogen und in dieser

Position gehalten.

Abb. 12: Sichern des Fahrerhauses mit Spanngurt Abb. 11: Weitere Möglichkeiten der Spanngurtsicherung

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4.3 Erstöffnung Nach der Erkundung und der Sicherung der Einsatzstelle ist die medizinische Erstversorgung der Verletzten die vordringlichste Aufgabe, um die Rettungsfähigkeit des/der Patienten herzustellen. Die sogenannte Erstöffnung soll dem Ersthelfenden (Einsatzkraft Feuerwehr, Notarzt/Rettungsdienst) ermöglichen, lebensrettende Sofortmaßnahmen durchzuführen und die Situation des/der Patienten zu analysieren. Die Erstöffnung zu einem verunfallten Lkw erfolgt möglichst über eine bereits vorhandene Öffnung (z. B. zerstörte Fensterscheibe, eine noch zu öffnende Tür, Dachluke, etc.). Ist dies nicht möglich, bietet es sich in der Regel an die Frontscheibe zu entfernen. Im weiteren Verlauf kann durch den Einstieg über oder durch den direkten Zugriff vom Frontbereich her die medizinische Erstversorgung durchgeführt werden. Lkw-Fahrerhäuser verfügen über eine Frontscheibe aus Verbundsicherheitsglas (VSG). Nicht eingeklebte Frontscheiben lassen sich recht einfach nach Entfernung der Scheibengummis (z. B. mit einem flachen Messer) mit einem Schraubendreher heraushebeln und im Ganzen abnehmen. Handelt es sich um eine eingeklebte Scheibe, muss diese mit einem geeigneten Hilfsmittel (Glassäge, Blechaufreißer, Säbelsägen etc.) herausgesägt oder herausgeschnitten werden. Dabei ist zu beachten, dass die Personen im Inneren (Retter und Verletzte) vor den Glassplittern und Glasstaub mit z. B. einer Decke oder Folie geschützt werden. Auf Eigenschutz (Mundschutz, Gehörschutz und Augenschutz) ist ebenfalls zu achten. Fensterscheiben aus Einscheibensicherheitsglas (ESG) müssen vor dem Einsatz von Rettungsgeräten an den Türen und an dem Fahrerhaus entfernt werden. Die Vorgehensweise entspricht der bei Pkw-Unfällen. Die Erstöffnung ist so zu wählen, dass die spätere Schaffung der Versorgungs- und Rettungsöffnung nicht behindert wird.

Abb. 13: Erstzugang über die Windschutzscheibe Abb. 14: Patientenschutz mittels Folie

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4.4 Versorgungsöffnung

Die Versorgungsöffnung dient dazu, dem eingeklemmten Lkw-Insassen eine über die

lebensrettenden Sofortmaßnahmen hinausgehende medizinische Versorgung geben zu

können. Der Patient soll für die weiteren Rettungsmaßnahmen ausreichend stabilisiert

werden. Normalerweise wird eine der Fahrerhauskabinentüren zur Versorgungsöffnung.

Sie wird im späteren Verlauf der Rettung zur Rettungsöffnung erweitert.

Sollte die Seitenscheibe nicht im Rahmen der Erstöffnung entfernt worden sein, so hat

dies zuerst zu geschehen. Es ist darauf zu achten, dass die Tür vor dem Herausspreizen

mit Hilfe einer Feuerwehr-/Mehrzweckleine gesichert wird, um einen unkontrollierten

Absturz durch das hohe Eigengewicht der Tür vorzubeugen (Abb. 15).

Nach dem Trennen wird die Tür mit Hilfe der Feuerwehr-/Mehrzweckleine vorsichtig zu

Boden gelassen. Auch bei den Fahrzeugscheiben und Verkleidungsteilen, die ggf. entfernt

werden, muss mit großen Massen gerechnet werden.

Abb. 15: Sichern der Fahrertür

Da die Vielzahl der Lkw über Dachaufbauten (Klimageräte, Dachspoiler etc.) verfügen,

kann es sinnvoll sein, die Sicherungsleine an einem anderen Punkt anzuschlagen.

Abb. 16: Sichern einer Tür

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Der Ansatzpunkt des Spreizgerätes (schloss- oder scharnierseitig) zum Öffnen der

Fahrzeugtür richtet sich nach dem vorgefundenen Zustand des verunfallten Lkw. Die Tür

sollte möglichst an der Scharnierseite herausgespreizt werden, weil das Türschloss

oftmals unter den Verformungskräften auf Spannung sitzt und ein Ansetzen des

Spreizgerätes dort erschwert wird. Die Entnahme der Tür von der Scharnierseite bietet

darüber hinaus den Vorteil, dass die B-Säule weitestgehend unbeschädigt bleibt und somit

weiterhin als Ansatzpunkt für den Rettungszylinder geeignet ist. Ist aufgrund des

Unfallgeschehens die A-Säule bereits stark in Mitleidenschaft gezogen, kann in diesem

Fall diese oftmals aufgrund der gefährdeten Stabilität des Fahrerhauses nicht als

Widerlager geeignet sein, weshalb das Spreizgerät dann besser an der Schlossseite

anzusetzen ist.

Um das Spreizgerät an der Tür ansetzen zu können, muss entweder mit

Hebelwerkzeugen oder mit dem Spreizgerät ein hinreichend großer Spalt geschaffen

werden.

Um kostbare Zeit bei der technischen Rettung zu sparen, muss eine Tür auch nicht immer

vollständig herausgespreizt werden. Wenn die Tür sich weit genug öffnen lässt, kann

diese auch in der Lage fixiert werden (z. B. durch einen Spanngurt, eine Feuerwehr-

/Mehrzweckleine, Seilratsche etc.).

Abb. 17: Tür von der Scharnierseite herausspreizen

Abb. 18: Tür von der Schlossseite öffnen und herausnehmen

4.5 Rettungsöffnung

Die Rettungsöffnung wird geschaffen, indem die durch den Aufprall verformte

Fahrerkabine soweit hydraulisch auseinander gedrückt wird, dass eingeklemmte Insassen

befreit und patientenorientiert herausgehoben werden können. Bei erheblichen

Verformungen des Lkw-Fahrerhauses hat sich in der Praxis zur Befreiung einer

eingeklemmten Person die sogenannte Zweischnitttechnik bewährt. Dabei wird die

Struktur des Fahrerhauses an zwei definierten Stellen geschwächt, um diese möglichst

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weit auseinanderzudrücken, sodass genügend Platz für die Rettung zur Verfügung steht.

Nach dem Entfernen der Fahrzeugtür wird mit dem Schneidgerät zur Herstellung des

ersten Entlastungsschnittes die A-Säule im oberen Drittel durchtrennt. Um zu verhindern,

dass sich die A-Säule in Richtung Fahrgastraum bewegt oder verkantet wird sie schräg

durchtrennt. Dazu wird das Schneidgerät schräg angesetzt (Abb.19 Schnitt 1).

Anschließend ist mit dem Schneidgerät in dem vorderen Schwellerbereich der zweite

Entlastungsschnitt zu setzen (Abb.19 Schnitt 2). Hier kann es aufgrund eines breiten

Schwellers erforderlich sein, dass der Schweller vor dem Schneiden zuerst mit Hilfe des

Spreizgerätes zusammengedrückt wird. Eventuell ist zur Vergrößerung der Schnitttiefe der

sogenannte Y-Schnitt anzuwenden.

Abb. 19: Entlastungsschnitte in der A-Säule und Schweller

Abb. 20: Einsatz eines Rettungszylinders

Der Entlastungsschnitt kann auch im Bereich der A-Säule zwischen den Scharnieren und

parallel zum Schweller ausgeführt werden. Einige Lkw-Hersteller (z. B. Mercedes-Benz)

kennzeichnen sogar die Bereiche, an denen geschnitten werden soll (Abb. 21).

Anschließend sind störende Bauteile (Haltestangen etc.) aus dem Bereich, in dem der Rettungszylinder eingesetzt werden soll, zu entfernen.

Abb. 21: Schnittmarkierung A-Säule

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Daraufhin ist ein geeigneter Rettungszylinder waagerecht zwischen A-Säule in Höhe des

oberen Türscharniers und der B-Säule in Höhe des Türschlosses (verstärkter Bereich)

einzusetzen, wobei als Widerlager an der B-Säule möglichst ein Schwelleraufsatz oder ein

Rüstholz eingesetzt werden sollte (Abb.20). Dies soll verhindern, dass der

Rettungszylinder das Karosserieblech durchstanzt. Um ein Abrutschen des

Rettungszylinders zu verhindern, ist es außerdem empfehlenswert, die Gummidichtungen

im Türbereich zuvor zu entfernen. Der Rettungszylinder sollte vor den entsprechenden

Entlastungsschnitten eingesetzt werden, um unkontrollierte Bewegungen in den

Innenraum zu vermeiden.

Der Rettungszylinder wird vorsichtig ausgefahren, bis ausreichend Freiraum für den

Patienten geschaffen ist (Abb.22). Beim Ausfahren ist ein besonderes Augenmerk auf

mögliche Bewegungen im Fußraum oder das Einreißen des Fahrerhausbodens zu legen,

um eine weitere Schädigung des Eingeklemmten auszuschließen.

Da der ausgefahrene Rettungszylinder die Befreiung behindert, ist ein zweiter

Rettungszylinder in dem Fensterrahmen der Frontscheibe in unmittelbarer Nähe zur

A-Säule einzusetzen und soweit auszufahren, dass der erste Rettungszylinder wieder

entfernt werden kann (Abb.23). Im Anschluss kann die Rettung über die geschaffene

Öffnung durchgeführt werden (Abb.24).

Abb. 22: Ausfahren des Rettungszylinders

Abb. 23: Einsatz eines weiteren Rettungszylinders

Abb. 24: Entfernen des 1. Rettungszylinders

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4.6 Befreiung Nachdem die Rettungsöffnung fertiggestellt ist, sind je nach Situation die Füße des verletzten Insassen aus den Pedalen zu befreien oder weitere Maßnahmen zur ersten Versorgung der Verletzungen an den unteren Extremitäten zu treffen. Schließlich wird der Verletzte durch eine entsprechende Anzahl von Rettungskräften achsengerecht aus dem Fahrzeug gerettet, wobei sich ein Rettungsbrett (Spineboard) bewährt hat.

5 Notfallmedizinische Versorgung Die notfallmedizinische Versorgung eines im Lkw eingeklemmten Patienten stellt sehr große medizinische und organisatorische Herausforderungen an den Rettungsdienst. Viele unterschiedliche Verletzungsmuster, eingeschränkte Behandlungsmöglichkeiten, räumliche Enge, Zeitdruck und die Erfordernis mit den Einsatzkräften der technischen Rettung eng zusammenarbeiten zu müssen, stellt Können und Geschick der beteiligten Rettungsassistenten und Notärzte unter Beweis. Diagnose und Therapie müssen vom Notarzt oft unter sehr schwierigen Bedingungen durchgeführt werden. 5.1 Verletzungsmuster eingeklemmter Personen

Bei einem Verkehrsunfall können die großen Kräfte, die auf den menschlichen Körper

einwirken, gleich mehrere Verletzungen (Polytrauma) verursachen.

Bei einem Frontalaufprall können vorrangig folgende Verletzungsmuster auftreten:

Kopf- und Gesichtsverletzungen durch Aufprall auf das Lenkrad bzw.

Armaturenbrett,

Verletzungen der Halswirbelsäule durch Vor- und Zurückschlagen des Kopfes,

Innere Verletzungen durch den Aufprall,

Verletzungen des Brustraumes durch den Aufprall/Einklemmung auf das

Armaturenbrett bzw. Lenkrad (die meisten Lkw-Fahrer sind nicht angeschnallt),

Armfrakturen durch „Abstützen“ auf dem Lenkrad,

Beinfrakturen durch Aufprall und Einklemmung.

Bei einem Seitenaufprall können folgende Verletzungen auftreten; ihre Schwere ist aber

im Gegensatz zum Frontalaufprall bei Lkw schon aufgrund der meist für den Lkw-Insassen

günstigeren Masseverhältnissen weniger schwer wie bei Pkw-Unfällen:

Kopf- und Gesichtsverletzungen durch Aufprall auf die B-Säule,

HWS-Trauma durch seitliches Pendelschlagen des Kopfes,

Innere Verletzungen durch den Aufprall,

Thorax-Trauma durch einen Aufprall/Einklemmung auf das Armaturenbrett und

Lenkrad,

Frakturen des Schlüsselbeins, des Beckens, der Oberschenkel sowie

Rippenserienfrakturen.

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Ein Heckaufprall eines anderen Fahrzeuges auf einen Lkw bleibt normalerweise für den

Fahrer des vorderen Lkw mit weit weniger Folgen verbunden, wie bei einem Heckaufprall

eines Pkw, weil meist das Masseverhältnis (z. B. beim Aufprall eines Pkw auf einen Lkw)

ungünstiger für das aufprallende Fahrzeug ist. Kommt es aber zum Aufprall eines

ungefähr gleich schweren Fahrzeuges, kann das die gleichen Folgen wie beim Pkw bzw.

ähnliche wie beim Frontalaufprall haben. Folgende Verletzungen können auftreten:

Kopf- und Gesichtsverletzungen durch Aufprall auf das Lenkrad bzw.

Armaturenbrett,

Verletzungen der Halswirbelsäule durch Vor- und Zurückschlagen des Kopfes,

Innere Verletzungen durch den Aufprall,

Thorax-Trauma durch den Aufprall/Einklemmung auf das Armaturenbrett bzw.

Lenkrad (die meisten Lkw-Fahrer sind nicht angeschnallt),

Armfrakturen durch „Abstützen“ auf dem Lenkrad.

Im Rahmen der Erkundung ist auch der Patientenzustand aus augenscheinlich unbeschädigten Lkw zu erheben. Seit 2015 verfügen neuzugelassene Lkw über einen sogenannten Emergency Brake Assist, der im Falle einer bevorstehenden Kollision den Lkw mit maximaler Bremskraft zum Stehen bringt. Dieser Umstand und die Tatsache das sich ca. nur 80% der Lkw-Fahrer anschnallen, kann im Rahmen der Notbremsung zu Verletzung des Fahrers führen. 5.2 Erstmaßnahmen Nach der Schaffung eines ersten Zuganges muss eine Einsatzkraft zum Patienten. Wichtig ist hier die Absprache mit dem Rettungsdienst. Ideal ist es, wenn die Einsatzkraft Kenntnisse von Feuerwehr und Rettungsdienst hat. Folgende Erstmaßnahmen müssen in der Regel als Basisversorgung getroffen werden:

Kontrolle der Vitalfunktion,

Lebensrettende Sofortmaßnahmen, soweit überhaupt im Fahrzeug möglich,

beschränken sich in der Praxis auf Blutstillung bzw. Atemspende und

Schockbekämpfung,

ggf. erste Maßnahmen zur Befreiung bzw. Reduzierung der Einklemmung (z. B.

Reduktion von Druck auf den Thorax durch Verstellen des Sitzes),

Wärmeerhalt,

Maßnahmen zur Schockbekämpfung, in der Regel Zuspruch und nach Weisung

des Arztes bzw. in Notkompetenz Volumenersatz,

Gabe von Sauerstoff.

5.3 Immobilisation

Frakturen und viele andere Schäden an (Hals-) Wirbelsäule sollen in ihren Folgen

beschränkt werden. Bewegt man die verletzten Körperteile, können Knochensplitter die

Muskeln und Nerven schädigen. Daher sollten diese Körperteile und insbesondere die

Wirbelsäule in ihrer vorgefundenen Lage stabilisiert werden. Hierzu werden die Patienten

immobilisiert. Dazu werden z. B.:

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Kammerschienen,

Schaufeltrage,

Rettungsbrett (Spineboard),

Vakuummatratze,

HWS-Immobilisationskragen (Stifnek)

KED-System,

etc.

benutzt.

5.4 Weitere medizinische Maßnahmen Je nach Lage und Zustand des Patienten müssen ggf. weitere medizinische Maßnahmen vom Notarzt bzw. auf Weisung dessen getroffen werden, z. B.:

Einsatz von Medikamenten zur Beruhigung und Schmerzlinderung, Einsatz von Medikamenten zur Stabilisierung bzw. Anregung des Kreislaufes, EKG-Monitoring (Defibrillieren eines Eingeklemmten im Fahrzeug dürfte kaum

erfolgversprechend sein). 5.5 Sofortrettung Eine sogenannte Sofortrettung sollte nur in absoluten Ausnahmefällen erfolgen, z. B.:

vitale Lebensbedrohung für den betreffenden Patienten, die anderes nicht zu beseitigen sind,

Gefahrguteinwirkung.

Eine Sofortrettung muss wegen der teils gravierenden Folgeschäden für die Patienten ansonsten unterbleiben. Während für einen Ersthelfer ein Lkw mit beginnendem Brand eine Sofortrettung erfordert, ist ein solcher Fall für die Feuerwehr keineswegs zwingend eine Sofortrettung. Ein im Motorraum brennendes Fahrzeug kann gelöscht werden und der Wasserdampf/Brandrauch mit einem Drucklüfter vom Patienten weggedrückt werden. 5.6 Unterstützender Einsatz der technischen Rettung Auch ohne eine direkte Einklemmung von Körperteilen des Patienten in einem verunfallten Fahrzeug kann der Einsatz der technischen Rettung zur Unterstützung sinnvoll sein:

Man erhält einen optimalen Zugang zur Behandlung des Patienten. Vor allem bei großen Lkw kann ergänzend der Einsatz von tragbaren Leitern oder Rettungsplattformen erforderlich sein. Zum Anlegen von Schienen oder eines KED-Systems müssen Fahrzeugteile entfernt werden.

Der achsengerechten Rettung eines Patienten stehen Fahrzeugteile im Weg. Besteht der akute Verdacht einer Wirbelsäulenverletzung, darf sich der Notarzt nicht scheuen, die technische Rettung frühzeitig anzufordern, um den Patienten möglichst ohne Verdrehung der Wirbelsäule aus dem verunfallten Fahrzeug heben zu können.

An Böschungen und Abhängen kann die technische Rettung den schonenden Abtransport der Patienten unterstützen.

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6 Abbildungsverzeichnis

1. Hessische Landesfeuerwehrschule Abb. 1, Abb. 8, Abb. 9, Abb. 12 – Abb. 20 und Abb. 22 – Abb.24 2. Mercedes-Benz Abb. 2 – Abb. 5 und Abb. 21 4. MAN Abb. 10 und Abb. 12 5. Kögel Abb. 6 6. Volvo Trucks Abb. 7

7 Literaturverzeichnis 1. Das Feuerwehr-Lehrbuch, Kohlhammer-Verlag, 6. überarbeitete und erweiterte Auflage

2. Technische Hilfeleistung bei Lkw-Unfällen, ecomed-Verlag, Landsberg

3. Rotes Heft 81, Lkw-Unfall, Die Rettung

4. Feuerwehrdienstvorschriften (FwDV)

5. vfdb-Richtlinie 06/01