thapa-san · 2014. 2. 20. · überfordert. das studium lief, trotz meiner großen aufmerk-samkeit...

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Menschen mit einer ungewöhnlichen Lebensgeschichte zu tref- fen, ist für mich ein Genuss der besonderen Art. Gaurav Thapa hat eine solche und ich ergriff die Gelegenheit, sie von ihm zu erfahren. „Meine Kindheit war hauptsächlich davon geprägt, zu überleben. Mit sieben Jahren musste ich schon jeden Tag für meine Eltern, die den ganzen Tag auf dem Feld waren, kochen. Wenn kaum Zuta- ten da sind, muss man echt kreativ sein! Ich kann mich auch noch gut daran erinnern, dass meine Nase ständig gelaufen ist, verbun- den mit dem Gefühl, dass sich niemand darum gekümmert hat. Ich war sehr viel allein und für das Wenige, das da war, musste ich früh Verantwortung übernehmen. Wenn die einzige Kuh aus- gebüxt ist, dann musste ich sie suchen, bis ich sie gefunden hatte – egal, wie lange es gedauert hat. Einfachste Grundlagen zum Lesen und Schreiben brachte uns jemand aus dem Dorf bei. Als ich neun war, kam mein Vater ei- nes Tages nach Hause und erzählte von einer Internatsschule im 200 Kilometer entfernten Kathmandu. Ich konnte mir erst gar nichts darunter vorstellen, habe aber die Möglichkeit genutzt, mir das Ganze mal anzusehen. Es dauerte fast zwei Tage, um dorthin zu gelangen. Als ich dann die Kinder in Schulkleidung sah, die auch noch freie Verpfle- gung hatten, stand für mich sofort fest, dass ich dort auf- genommen werden wollte! Ich war mir sicher, wenn ich es versuchte, konnte ich es schaffen! Die Aufnahmeprü- fung war hart. Für 3000 Be- werber gab es nur 90 Plätze zu vergeben. Beim schrift- lichen Test war ich sicher nicht besonders, aber beim mündlichen habe ich wohl überzeugen können. Reden konnte ich schon immer gut (lacht). Ich wollte dort un- bedingt rein, die Schule war mir in dem Moment sogar wichtiger als meine Eltern! Der Schuldirektor fragte, ob ich auch bereit wäre, mei- nen Namen zu ändern. Das sei aus politischen Grün- den sinnvoll. Ich sagte: „Ja klar! Sie können mich sogar Hund nennen! (...)“ Ich wur- de schließlich aufgenom- men. Als Erster aus meinem Dorf. Die waren dort ganz aus dem Häuschen und alle haben mir gratuliert. Auch meinen Namen durfte ich be- halten. Ich ging 9 Jahre lang in dieses Internat und war ein sehr guter Schüler. Da- bei hat mich sicher die stän- dige Sorge, dass ich wieder ins Dorf geschickt werden könnte, besonders motiviert. THAPA-san, der Nepalese Gaurav biegt sich seinen Weg zurecht, und der hat ihn bis in die Geschäftswelt von Japan geführt. Er arbeitet seit einem Jahr bei AUDI Japan. Christine Olma Die Ingolstädter Fotografin live aus Japan. THAPA-SAN „Ich würde mich schon als Kämpfernatur bezeichnen. Genau genommen kämpfen wir doch alle um begrenzte Ressourcen mit unter- schiedlichen Ausgangs- positionen“ „Auf dem Feld!“, antwortet Gaurav auf meine Frage, wo er geboren ist. Und wo genau? „Hm, in der Nähe von Lamjung. Genauer gesagt in Sundor Bazar. Das ist ein sehr klei- nes Dorf in der nördlichen Gebirgs- region von Nepal. Sie haben mit irgendeinem Feldwerkzeug die Na- belschnur durchtrennt und mich getrocknet. Ich hatte Glück, dass ich überlebt habe.“ 28 Jahre später sitzt mir in einem schicken Starbucks Café in Tokio ein gut gekleideter, fröh- licher junger Mann gegenüber. Nichts deutet mehr auf seine Herkunft hin, zumindest nicht äu- ßerlich... Foto: Christine Olma Fotos: privat 37 36

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Page 1: THAPA-SAN · 2014. 2. 20. · überfordert. Das Studium lief, trotz meiner großen Aufmerk-samkeit auf das Leben drumherum, sehr gut. Ich bin immer zu den schwierigsten Professoren

Menschen mit einer ungewöhnlichen Lebensgeschichte zu tref-

fen, ist für mich ein Genuss der besonderen Art. Gaurav Thapa hat

eine solche und ich ergriff die Gelegenheit, sie von ihm zu erfahren.

„Meine Kindheit war hauptsächlich davon geprägt, zu überleben.

Mit sieben Jahren musste ich schon jeden Tag für meine Eltern, die

den ganzen Tag auf dem Feld waren, kochen. Wenn kaum Zuta-

ten da sind, muss man echt kreativ sein! Ich kann mich auch noch

gut daran erinnern, dass meine Nase ständig gelaufen ist, verbun-

den mit dem Gefühl, dass sich niemand darum gekümmert hat.

Ich war sehr viel allein und für das Wenige, das da war, musste

ich früh Verantwortung übernehmen. Wenn die einzige Kuh aus-

gebüxt ist, dann musste ich sie suchen, bis ich sie gefunden hatte

– egal, wie lange es gedauert hat.

Einfachste Grundlagen zum Lesen und Schreiben brachte uns

jemand aus dem Dorf bei. Als ich neun war, kam mein Vater ei-

nes Tages nach Hause und erzählte von einer Internatsschule im

200 Kilometer entfernten Kathmandu. Ich konnte mir erst gar

nichts darunter vorstellen,

habe aber die Möglichkeit

genutzt, mir das Ganze mal

anzusehen. Es dauerte fast

zwei Tage, um dorthin zu

gelangen. Als ich dann die

Kinder in Schulkleidung sah,

die auch noch freie Verpfle-

gung hatten, stand für mich

sofort fest, dass ich dort auf-

genommen werden wollte!

Ich war mir sicher, wenn ich

es versuchte, konnte ich es

schaffen! Die Aufnahmeprü-

fung war hart. Für 3000 Be-

werber gab es nur 90 Plätze

zu vergeben. Beim schrift-

lichen Test war ich sicher

nicht besonders, aber beim

mündlichen habe ich wohl

überzeugen können. Reden

konnte ich schon immer gut

(lacht). Ich wollte dort un-

bedingt rein, die Schule war

mir in dem Moment sogar

wichtiger als meine Eltern!

Der Schuldirektor fragte, ob

ich auch bereit wäre, mei-

nen Namen zu ändern. Das

sei aus politischen Grün-

den sinnvoll. Ich sagte: „Ja

klar! Sie können mich sogar

Hund nennen! (...)“ Ich wur-

de schließlich aufgenom-

men. Als Erster aus meinem

Dorf. Die waren dort ganz

aus dem Häuschen und alle

haben mir gratuliert. Auch

meinen Namen durfte ich be-

halten. Ich ging 9 Jahre lang

in dieses Internat und war

ein sehr guter Schüler. Da-

bei hat mich sicher die stän-

dige Sorge, dass ich wieder

ins Dorf geschickt werden

könnte, besonders motiviert.

THAPA-san, der Nepalese Gaurav biegt sich seinen

Weg zurecht, und der hat ihn bis in die Geschäftswelt

von Japan geführt. Er arbeitet seit einem Jahr bei

AUDI Japan.

Christine Olma

Die Ingolstädter Fotografin live aus Japan.

THAPA-SAN

„Ich würde mich schon als Kämpfernatur bezeichnen. Genau genommen kämpfen wir doch alle um begrenzte Ressourcen mit unter- schiedlichen Ausgangs- positionen“

„Auf dem Feld!“, antwortet Gaurav

auf meine Frage, wo er geboren ist.

Und wo genau? „Hm, in der Nähe

von Lamjung. Genauer gesagt in

Sundor Bazar. Das ist ein sehr klei-

nes Dorf in der nördlichen Gebirgs-

region von Nepal. Sie haben mit

irgendeinem Feldwerkzeug die Na-

belschnur durchtrennt und mich

getrocknet. Ich hatte Glück, dass

ich überlebt habe.“ 28 Jahre später

sitzt mir in einem

schicken Starbucks

Café in Tokio ein

gut gekleideter, fröh-

licher junger Mann

gegenüber. Nichts

deutet mehr auf

seine Herkunft hin,

zumindest nicht äu-

ßerlich...

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Page 2: THAPA-SAN · 2014. 2. 20. · überfordert. Das Studium lief, trotz meiner großen Aufmerk-samkeit auf das Leben drumherum, sehr gut. Ich bin immer zu den schwierigsten Professoren

besessen von den bunten Bildern darauf. Stu-

denten mit einem Laptop unter dem Arm, die

gelassen über einen Campus schlendern..., das

sollte mein nächstes Ziel werden.

Ich schickte weit über hundert Bewerbungen

für ein Stipendium an Universitäten in alle

möglichen Länder. Ganz egal, welche Studi-

enrichtung und wo: Hauptsache das Studium

wird finanziert! Dann kam eine Zusage aus

Japan für Business Management! Ich hatte kei-

ne Ahnung, was das ist. Was zählte, war, die

Universität in Fukuoka nimmt mich auf.

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B E NM U T H O F E R P E T E R W E B E R

und habe mein Bestes gegeben, nicht durch Unwissenheit im

Umgang mit Alltagsdingen aufzufallen.

Meinen Eltern konnte ich vieles von dem Erlebten gar nicht

erzählen. Sie staunten schon über Wasser aus der Leitung oder

darüber, dass sich Türen von alleine öffnen. Die Funktions-

weise eines Projektors oder das Internet hätte sie komplett

überfordert. Das Studium lief, trotz meiner großen Aufmerk-

samkeit auf das Leben drumherum, sehr gut. Ich bin immer zu

den schwierigsten Professoren gegangen und war enttäuscht,

wenn Kommilitonen, die weniger vorbereitet waren als ich,

auch gute Ergebnisse hatten, weil der Test zu einfach war. Ich

hatte ständig den Eindruck, mir selbst beweisen zu müssen,

hier verdient und richtig zu sein. Das ist übrigens immer noch

so. Aufgaben oder Charaktere, die unangenehm sind, reizen

mich am meisten. Ich war (und bin es irgendwo noch immer)

getrieben von dem Drang, mir immer wieder neu beweisen

zu wollen, dass ich alles schaffen kann und mit jeder Situation

zurechtkomme.

Noch vor Ende des Studiums hat mich dann ein Headhunter

für eine japanische Telekom-Firma ins 1000 Kilometer ent-

fernte Tokio rekrutiert. Sobald ich meinen Abschluss als Ba-

chelor in „Business Administration“ hatte, habe ich dort an-

gefangen. Mein Japanisch war zu dem Zeitpunkt mittelmäßig,

ich habe mehr mit Händen und Füßen gesprochen und musste

sehr hart arbeiten, um mich dort zu positionieren. Ich würde

mich schon als Kämpfernatur bezeichnen. Genau genommen

kämpfen wir doch alle um begrenzte Ressourcen mit unter-

schiedlichen Ausgangspositionen. Mir geht oft die Frage durch

den Kopf, warum ich wohl in Nepal geboren bin. Und warum

kann ich eigentlich nicht überall frei herumreisen? Die Welt

gehört doch niemanden!

Ich bin ein paar Jahre bei der Firma geblieben und wollte dann

in anderen Bereichen Berufserfahrung sammeln. Bei Audi Ja-

pan bin ich jetzt ein gutes Jahr. Das ist übrigens die erste Fir-

ma, die sich beim Bewerbungsgespräch ernsthaft für mich und

meine Herkunft interessiert hat. Ich hatte noch nie vorher so

offen über mein Leben erzählt und dabei das Gefühl gehabt,

dass sich Menschen aufrichtig dafür interessieren. Um ehrlich

zu sein, wusste ich nicht viel über Audi, als ich mich dort vor-

stellte. Mittlerweile habe ich meinen Führerschein gemacht

und mir einen Traum erfüllt: Ich wollte schon immer einmal mit

einem Audi A5 durch Tokyo fahren. Ein unglaubliches Gefühl!

So oft es mir möglich ist, reise ich in mein Dorf nach Nepal.

Ich bin dort so etwas wie ein Held! Natürlich bringe ich immer

viele Sachen mit und habe meinen Eltern sogar schon einen

Besuch in Japan ermöglicht. Das ist sehr schön, schafft aber

natürlich auch eine ständige Erwartungshaltung bei den Leu-

ten zuhause. Für mich ist hier in Japan vieles selbstverständlich

geworden, aber nicht notwendig. Offen gestanden, ist mir der

ganze Kommerz zu viel. Das versuche ich auch meinen Leuten

in Nepal zu vermitteln, was erfahrungsgemäß sehr schwierig

ist. Natürlich ist es wichtig, nicht mehr zu hungern oder für

ein bisschen Salz Stunden laufen zu müssen, aber nur anonym

nebeneinander her zu leben und die Erfüllung beim Shoppen

zu finden, kann es auch nicht sein.

Mein Ziel ist es, eines Tages ganz zurück in meine Heimat zu

gehen und ein paar Dinge richtig zu stellen, beziehungsweise

besser zu machen. Ich kann mir mich als Politiker gut vorstellen

(vielleicht sogar eine Karriere als Unternehmer?) und werde al-

les tun, um mich auf diese Aufgabe vorzubereiten!

Gibt es ein Lebensmotto für dich, Gaurav?

„Ja: Alles, was einen nicht umbringt, kann gar nicht schlimm sein und wenn man etwas will, kann man es auch schaffen!“

Mein erster Flug mit 18 Jahren war überwältigend. Irgendjemand hatte

mir vorher erzählt, dass man im Flugzeug so viel Schokolade bekommt,

wie man will...

Beim Zwischenstopp in Bangkok war ich so aufgeregt, dass ich wahllos

Menschen von meiner Reise erzählt habe, ich konnte gar nicht verste-

hen, das niemand meine Begeisterung teilte. Endlich in Fukuoka ange-

kommen, stand ich fassungslos vor einer elektrischen Glasschiebetür. Ich

hatte so was noch nie zuvor gesehen und konnte mir den Mechanismus

einfach nicht erklären. Den Busfahrer, der uns mit Mütze, Krawatte und

weißen Handschuhen zur Universität gefahren hat, habe ich dann auch

noch für den Piloten gehalten. Es tat mir Leid für ihn, dass er jetzt auch

Als ich nach meinem erfolgreichen Abschluss

zu meiner Familie zurückkehrte, war alles an-

ders. Niemand hat mich mehr verstanden und

umgekehrt, ich glaube auch meine Eltern mein-

ten, ich sei nun verrückt geworden. Für mich

war schnell klar, hier kann ich nicht mehr blei-

ben. Ich hatte das Gefühl, anders als die ande-

ren zu sein. Außerdem wollte ich studieren. Nur

woher das Geld dafür nehmen? In der Schule

hatten sie Hochglanzprospekte von Universi-

täten aus aller Welt herumgereicht. Ich war wie

noch den Bus fahren musste. (Busse und deren Fahrer sehen in Nepal

„ein bisschen anders“ aus als im Rest der Welt). Der Teppich in meinem

Zimmer, wie sonst nur in Hotels (ich hätte ohnehin überall schlafen

können, alles war so sauber!) und ein eigener Kühlschrank, den ich un-

gläubig bestimmt 30 Mal auf und zu gemacht habe, gaben mir dann

den Rest.

Die einfachsten Dinge, zum Beispiel wie man eine Tüte Saft aufmacht,

musste ich erst lernen. Ständig habe ich beobachtet und nachgemacht.

Meine Schuhe waren allerdings sofort ruiniert. Ich hatte alles – vom

Gürtel bis zu den Socken und natürlich den Schuhen - in eine Wasch-

maschine geworfen und danach in den Trockner. Über meine genaue

Herkunft habe ich immer geschwiegen. Ich wollte einfach dazu gehören

Foto

: pri

vat

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