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Prof. Dr. Thomas Ruster Universität Dortmund Vorlesung im Wintersemester 2004/05 Theologie des Gottesdienstes Nicht zitierfähiges Vorlesungsmanuskript nur für den studentischen Gebrauch

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Page 1: Theologie des Gottesdienstes - TU Dortmund · 2 Theologie des Gottesdienstes 1. Zur Einführung 1.1 Vier Erzählungen Gottesdienst ist ein Geschehen. Deshalb erscheint es mir angemessen,

Prof. Dr. Thomas Ruster Universität Dortmund Vorlesung im Wintersemester 2004/05

Theologie des Gottesdienstes Nicht zitierfähiges Vorlesungsmanuskript nur für den studentischen Gebrauch

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Inhaltsverzeichnis 1. Zur Einführung 2 1.1 Vier Erzählungen 2 1.1.1 Gottesdienst in der Synagoge 2 1.1.2 Ein spätmittelalterlicher Gottesdienst 3 1.1.3 Eine Erstkommunionfeier – vorkonziliar 3 1.1.4 Eine katholische Messe in Antwerpen am letzten Sonntag 4 1.2 Herausgeführt um Gott zu dienen. Beobachtungen zum Zusammenhang von

Befreiung und Kult im Buch Exodus 4 1.2.1 Gottesdienst als Ziel des Exodus 4 1.2.2 Gottesdienst als Unterscheidungs- und Schöpfungshandeln 5 1.2.3 Pascha als Neuanfang, Auserwählung, Übergang, Versiegelung und Erinnerung 5 1.2.4 Gottesdienst und Gotteserkenntnis 6 1.2.5 Der Zusammenhang von Gottesdienst, Gerechtigkeit und Recht.

Das Gesetz des Bundes 6 1.2.6 Der Sabbat als Vollendung der Schöpfung 6 1.2.7 Die Einsatzstellen des christlichen Gottesdienstes 7 1.3 Die Anaphora der Apostel Addai und Mari als Ausdruck christlicher Exoduserfahrung 8

Quellentext: Die Anaphora der Apostel Addai und Mari 8 2. Die Eucharistie 12 2.1 Einleitende Gedanken über den Zusammenhang von Gottesdienst und Kirche 12 2.2 Die Eucharistie als Christusanamnese 14 2.2.1 Das letzte Mahl Jesu 14 2.2.2 Vom Abendmahl zum Herrenmahl – die Bedeutung der Anamnese 14 2.3 Die Gestalt der Messe 15

Quellentext: Justin, Apologie I, 67, 3-6 15 2.4 Die Eröffnungsriten 17 2.4.1 Der Akt des Sich-Versammelns 17

Exkurs: Die altkirchliche Taufpraxis und das Problem der Kindertaufe heute 17 2.4.2 Gemeinsamer Akt der Anbetung 19 2.5 Der Wortgottesdienst 20 2.5.1 Der Akt der Verkündigung 20

Exkurs: Der Psalter in der Liturgie der Kirche 23 2.5.2 Der Akt des Gebets 24 2.6 Die Eucharistiefeier 24 2.6.1 Die Gabenbereitung 25 2.6.2 Das Eucharistische Hochgebet 28

Exkurs: Die Eucharistie als Opfer der Kirche 30 Quellentext: Römisches Hochgebet/ CANON MISSÆ 31

2.6.3 Die Kommunion 36 2.7 Die Eucharistiefeier als Exorzismus 38 2.8 Die wirkliche Gegenwart Jesu Christi im Gottesdienst 38 2.9 Die Wandlung in der Eucharistie und das katholische Prinzip der Verwandlung von

Eigennutz im Reich Gottes 39

Literaturverzeichnis 41

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Theologie des Gottesdienstes 1. Zur Einführung 1.1 Vier Erzählungen

Gottesdienst ist ein Geschehen. Deshalb erscheint es mir angemessen, zunächst einmal etwas davon zu erzählen.

1.1.1 Gottesdienst in der Synagoge Am 7.10. d. J. nahm ich auf Einladung von Rabbi Rabinowitz am Gottesdienst der Wuppertaler Synagogengemeinde teil. Es war das Fest Simchat Thora (Fest der Torafreude) des Jahres 5765. Ich erlebte folgendes: Etwa 150 Gemeindemitglieder sind da, Männer und Frauen auf verschiedenen Seiten. Der Gottesdienst beginnt mit Lob- und Segenssprüchen, die teils gesungen werden (Baruch et adonai ha-meworach: Preist den Herrn den Gepriesenen; Shema: Höre Israel dein Gott ist einer; Amida: „Im Stehen“, das Achtzehnbittengebet) Stimmung ist ungezwungen, der Rabbi animiert während des Rezitierens zum Mitmachen. Zum Fest der Torafreude werden vier Torarollen aus dem Toraschrein geholt. Sie sind kostbar umhüllt. Männer, bekleidet mit einem Tallit, tragen sie zu munteren Gesang durch den Raum, sie tanzen mit der Torarolle. Die Leute berühren die Rollen bzw. deuten ein Küssen an. Dies wird häufiger wiederholt; alle Männer kommen einmal dran. Jeweils nach den Toraprozessionen erfolgt ein einfacher responsorischer Gesang zwischen Rabbi und Gemeinde. Der Rabbi erklärt, was wann zu tun und zu sagen ist. Als Ausdruck der Freude antwortet die Gemeinde häufig auch (nach Anleitung) mit einem „Indianergeheul“. Dann folgt die Toralesung. An diesem Tag endet der Lesezyklus aus den fünf Büchern Mose, und es wird neu begonnen. Vier Männer improvisieren mit einem Tallit einen Baldachin. Zwei „Bräutigams“ der Tora werden aus der Gemeinde aufgerufen. Der eine liest die letzten Zeilen aus Dtn (Dewarim), der andere beginnt mit der Gen (Bereschit). Dazwischen rezitiert der Rabbi Gebete. Junge Frauen haben Schalen mit Bonbons. Zum Ende der Toralesung werden diese unters Volk geworfen, und von den Leuten wiederum geworfen. Am Ende sammeln die Kinder sie auf. Das ist eine lustige, heitere Szene. Nach dieser Festzeremonie werden noch einige Gebete gesprochen, u.a. das Alenu-Gebet und das Kaddisch. In diesen Gebeten geht es um die heilige Gegenwart Gottes. Nach dem Gottesdienst wechselt man den Raum, und zu einer einfachen Tanzmusik entfaltet sich ein fröhliches Fest. Beim Tanzen ist der Rabbi voran. Mir fällt auf: Gott, unserem Gott, kann auch auf andere Weise gedient werden als es in den christlichen Kirchen üblich ist. – Gottesdienst kann sehr ungezwungen sein. – Die Juden lieben die Tora, deshalb umarmen und küssen sie sie, sie tanzen mit ihr usw. Für Christen stellt sich hier ein Problem: Jesus kann man nicht anfassen. Ich verstehe aber die Formen der eucharistischen Frömmigkeit, der Prozessionen, des Tabernakels, der Monstranz usw: Was man liebt, das will man auch sinnlich verehren. – Liturgie hat etwas von einem Spiel. Spielregeln werden festgelegt, dann wissen alle, was sie zu tun haben. Das ist sehr entlastend gerade für Fremde. Für die Gemeindemitglieder gibt die Wiederholung der gleichen Formen (Ritus) Verhaltenssicherheit. Man muss nicht dieses Spiel spielen, aber man kann. – Freude ist (nach K. Berger, Ist Gott Person?, 119f) ein „Merkmal Gottes“. Der Mensch entspricht Gott darin, dass er sich freuen kann, sogar vor Freude ganz aus dem Häuschen sein kann. Der Gottesdienst zum Fest der Torafreude ahmt Gottes Freude nach. Gottesdienst ist vielleicht insgesamt so etwas wie die Nachahmung Gottes. Im Gottesdienst geht es um unsere Heiligung; es heißt ja aber: „Seid heilig, wie ich, euer Gott, heilig bin“ (Lev 19,19). – Lobpreis – Erzählung der vergangenen Heilstaten – Bitte um Gottes Gegenwart. Oder formal gesagt: Doxologie – Anamnese – Epiklese. Diese Struktur hat der christliche Gottesdienst wohl vom jüdischen übernommen, er ist typisch für die beiden biblischen Religionen. • Die Frage nach dem Verhältnis von jüdischem und christlichem Gottesdienst wird uns noch

beschäftigen. Schon jetzt ist klar: Es ist nicht damit getan, die jüdischen Wurzeln des christlichen

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Gottesdienstes zu erkunden. Jüdischer und christlicher Gottesdienst beeinflussen sich – bis heute – gegenseitig!

Literatur: BÖCKLER, ANNETTE, JÜDISCHER GOTTESDIENST. WESEN UND STRUKTUR, Berlin 2002 Rouwhorst, G., Jüdischer Einfluss auf christliche Liturgie, in: A. Gerhards, H.H. Henrix (Hg.), Dialog oder Monolog? Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum, Freiburg 2004 (QD 208), 70-90 1.1.2 Ein spätmittelalterlicher Gottesdienst

(nach dem Roman Kristus. Das unerhörte Leben des Jan Beukels von Robert Schneider, Berlin 2004)

Schneider schildert eine Prozession am Palmsonntag des Jahres 1517 in Leyden, der Heimatstadt des späteren Wiedertäufer-Königs Jan Beukels. S. 22-45 (Ausschnitte) Zu erkennen ist: Liturgie ist Nachahmung, Wiederholung, nachahmendes Spiel. Liturgie überbrückt den Zeitabstand zwischen dem Geschehenen und seiner Vergegenwärtigung – Liturgie ist auf Öffentlichkeit bezogen. Sie ist eine Form der Kommunikation in der Öffentlichkeit. Im Mittelalter hatte sie offensichtlich die Bedeutung, die soziale Ordnung darzustellen und damit die Machtverteilung darzustellen. – Liturgie spricht die Sinne an, bis zur Raserei. – Im Spätmittelalter zeigt sich eine ausgesprochen subjektive Note im Gottesdienst. Die Menschen leben ihre ganz persönliche Frömmigkeit aus. Der Subjektivismus und Individualismus der Neuzeit deuten sich hier schon an. – Aber noch gelingt es, äußere Form und Erleben der einzelnen zusammenzuhalten. Mit der Reformation entstehen dann verschiedene Kultformen, die offenbar verschiedenen Bedürfnissen entsprechen. – Vieles an der spätmittelalterlichen Liturgie ist uns heute fremd, z.B. die Heiltumszeigungen, die bruchlose Überbrückung des historischen Abstands, die Emotionalität. In welchem Bild von historischer Entwicklung verzeichnen und bewerten wir die Veränderungen im Laufe der Kirchengeschichte? Das frühere Modell, das die Liturgiewissenschaft im 19. und 20. Jh. beherrschte, war: Ausbildung einfacher, bibelnaher Formen in der frühen Kirche, Ausgestaltung zu den klassischen Formen der Liturgie in der römischen Kirche bis etwa ins 7. Jh., Anreicherung mit germanisch-dinglichem Denken im frühen Mittelalter, dann im Spätmittelalter überbordende Fülle und Verfall. Liturgie in der Neuzeit setzte sich demgemäß zur Aufgabe, zu den einfachen klassischen Formen zurückzufinden; so im Gefolge des II. Vaticanums. Heute beginnt man, dieses Schema zu revidieren. Könnte nicht gerade das Spätmittelalter mit seinem Formenreichtum und seiner verinnerlichten Frömmigkeit für heute wieder vorbildlich sein? Literatur: ANGENENDT, ARNOLD, LITURGIK UND HISTORIK. GAB ES EINE ORGANISCHE LITURGIE-

ENTWICKLUNG?, Freiburg 2001 (QD 189), 149-170 1.1.3 Eine Erstkommunionfeier – vorkonziliar

Die dritte Erzählung entnehme ich Ulla Hahns Roman Das verborgene Wort (dtv 2003). Mit vermutlich stark autobiographischen Zügen schildert die Lyrikerin ihre Kindheit in einem rheinischen Dorf in der Nachkriegszeit. Die Erstkommunion war ein großes Ereignis im von Armut und Strenge geprägten Leben des empfindsamen Mädchens.

S. 138-140 Hier erfahren wir etwas über das Verhältnis von Kindern zur Liturgie. Was versteht dieses Kind von dem liturgischen Geschehen? Was weiß sie z.B. von Melchisedek, von dem gesungen wird? Wie versteht sie das „26 Stück Leib Christi“? Sie versteht wohl nicht viel, aber dennoch ist dieses Geschehen für sie erhebend. Sie hört große, bedeutende Worte, nimmt an einem bedeutungsvollen Geschehen teil, taucht ein in eine Atmosphäre, die von der Dürftigkeit ihres Alltags so weit entfernt ist. Sie erlebt auch, dass die Erwachsenen sich außeralltäglich benehmen. Ihr Leben bekommt ein Ideal und ein Ziel. Die Messe ist ein Stück der himmlischen Herrlichkeit, ein Gegenbild zu dieser Welt. Das Kommunionkind darf darin eintreten. So versteht es im Vollzug der Feier selbst, was die Worte ihr sagen: Sie ist in eine neue, andere, schönere Gemeinschaft aufgenommen. Es stellen sich einige Fragen: Ob nicht mit der Liturgiereform des II. Vatikanums viel von dem Zauber der früheren Liturgie verlorengegangen ist, ob nicht auf Verständlichkeit gesetzt wurde, wo die Schönheit der Formen allein genügt (nicht ohne gleich die Gegenfrage zu stellen: Ob nicht hinter dem schönen Schein allerhand Fragwürdiges und Undurchschautes sich verbergen konnte)? Kommt es im

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Gottesdienst auf intellektuelles Verstehen an? Wie stehen die Formen und die Inhalte zueinander? – Die Reform des II. Vatikanums war die größte Liturgiereform der Geschichte. Wir werden an vielen Stellen finden, wie sie in das Gefüge der Liturgie eingegriffen hat. Und: Ob die Pädagogisierung und – de facto – Infantilisierung der religiösen Erziehung der Sache wirklich genutzt hat? Wie erleben Kinder den Gottesdienst, wenn ihre Eltern nicht mit ihnen ergriffen in der Bank sitzen, sondern ihnen als Katecheten/innen gegenüberstehen? Kann unsere Liturgie heute die Kinder noch so in eine erhabene Welt entführen wie es Ulla Hahn/Hildegard erlebt hat? Will sie es denn überhaupt? – Sind wir in der Liturgie nicht alle Kinder? 1.1.4 Eine katholische Messe in Antwerpen am letzten Sonntag Dieses Beispiel wähle ich nur deshalb aus, weil ich es gerade erlebt habe. Antwerpen ist eine Stadt, um die die Glaubenskämpfe nach der Reformation mit besonderer Härte geführt wurden. Am Ende blieb es eine katholische Stadt. Oder? Sonntagsgottesdienst am 17.10.2004 in der Kirche St. Laurentius im Süden der Stadt. Die Kirche ist riesig, sie ist der Hagia Sophia nachgebaut. Vollendet wurde sie 1934 – das Jahr, in dem jedenfalls in Deutschland der höchste Stand an Kirchgängern gemessen wurde; das war vielleicht in Antwerpen ähnlich. Deshalb baute man damals wohl eine so große Kirche. Jetzt sind etwa 50 Personen im Gottesdienst. Keine ist jünger als 50, die meisten sicher über 70. Am Altar drei alte Männer, am Ambo eine ältere Frau. Sie wirken resigniert. In der Predigt sagt der Priester: Jesus habe damals manchmal einfach durchhalten müssen in schwierigen Zeiten, das müssten wir heute auch. Gesungen wird nicht mehr, zu den Liedanlässen spielt einfach die Orgel. Nach 35 Min. ist die Messe zu Ende. Schnell, noch bevor wir die Kirche ganz ansehen können, wird das Licht gelöscht. Frage: Welche Zukunft hat die katholische Liturgie? 1.2 Herausgeführt um Gott zu dienen. Beobachtungen zum Zusammenhang von

Befreiung und Kult im Buch Exodus Die Exoduserzählung ist die Ursprungserzählung des biblischen Glaubens. Was sagt sie über Kult und Gottesdienst? Überraschend viel, wenn man einmal darauf achtet. Folgende Beobachtungen sind angeregt von: Joseph Kardinal Ratzinger, Der Geist der Liturgie, Freiburg 2000, 11-43; 117-134. NB: Die meisten der zitierten Stellen stammen aus der Pentateuchquelle P. Wir sind also auf der Spur der priesterschriftlichen Konzeption. Sie ist für die Endredaktion des Buches Ex die ausschlaggebende geworden. 1.2.1 Gottesdienst als Ziel des Exodus Das Ziel der Befreiung ist nicht einfach, dass die Israeliten frei werden, auch nicht primär, dass sie ins Gelobte Land kommen, sondern dass sie Gottesdienst halten können. Ex 3,5: Gott grenzt einen Bereich als heilig aus, es wird ein gottesdienstlicher Raum geschaffen. 3,12: Ankündigung an Mose: Dass Gott an diesem Berg verehrt werden wird, ist das Zeichen, dass er Mose gesandt hat. 3,18: Mose soll dem Pharao sagen: JHWH ist uns begegnet, und jetzt möchten wir drei Tagereisen in die Wüste hinausziehen, um ihm zu opfern. So auch 7,16; 8,16; 9,1; 9,13. 5,1: Gott fordert vom Pharao: „Gib mein Volk frei, dass es mir in der Wüste ein Fest feiere!“; 5,3: dass sie opfern. Der Konflikt mit dem Pharao geht um die Erlaubnis zum Gottesdienst. 8,21 erlaubt er zu opfern, aber im Lande. 8,24: Sie dürfen opfern, aber sich nicht zu weit entfernen. 10,11: Die Männer dürfen ziehen, nicht die Frauen, Kinder und das Vieh. 10, 24-26: Alle dürfen ziehen, nicht das Vieh. Mose aber antwortet: „Aber auch unser Vieh muss mit uns ziehen; nicht eine Klaue darf zurückbleiben. Denn wir müssen davon nehmen, um JHWH, unserem Gott, zu dienen. Wir wissen ja nicht, womit wir JHWH dienen sollen, bis wir dorthin gekommen sind“ (10,26). In dieser Antwort steckt zweierlei: 1. Nichts darf vom Dienst Gottes ausgenommen sein; 2. Wie man Gott dient, wissen sie vorher – vor der Befreiung/bevor Gott es sagt – nicht. Der Gottesdienst der Befreiten wird ein neuer Gottesdienst sein, der sich nicht aus den alten herleiten lässt. Gott selbst gebietet seinen Gottesdienst.

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12,31 erlaubt der Pharao schließlich: „Geht und dienet Gott nach eurem Verlangen. Auch eure Schafe und Rinder nehmt mit, wie ihr gefordert habt, nur geht.“ Zu diesen Beobachtungen passt, dass (der priesterliche) Aaron der Sprecher des Mose sein muss: Ohne die priesterlich-gottesdienstliche Dimension ist das Geschehen nicht recht auszusagen, vgl. 4,10-17. 27-31. – Nur gottesdienstlich kann von der Befreiung recht geredet werden. 1.2.2 Gottesdienst als Unterscheidungs- und Schöpfungshandeln Über das ganze Buch Exodus vollzieht sich ein Prozess der immer deutlicheren Unterscheidung zwischen Israel und Ägypten. Biblisch ist aber Unterscheiden = Schaffen. Nach dem Auszug wird der Kult als Schöpfungshandeln vollzogen. Gottesdienst ist neue Schöpfung inmitten der Welt. 7,11; 7,22; 8,3: Die ägyptischen Zauberer können dasselbe wie Mose und Aaron. Doch ab der dritten Plage (Stechmücken) kommen sie nicht mehr mit. Vor allem haben sie nicht die Fähigkeit, die Plagen wieder abzuwenden. Ab der vierten Plage (Bremsen) heißt es, dass Gott einen Unterschied macht zwischen seinem Volk und dem Volk des Pharao (8,19; vgl. 9,4; 9,26; 10,23). Die zehnte Plage steht ganz im Zeichen dieses Unterschieds: bei den Ägyptern wird alle Erstgeburt getötet, bei den Israeliten knurrt kein Hund gegen Mensch oder Vieh, „damit ihr erkennt, dass JHWH einen Unterschied macht zwischen Ägypten und Israel“ (11,7). Der Auszug in die Wüste macht die Unterscheidung offensichtlich. Die Israeliten verlassen das gemeinsame (Kultur-)land. Das murrende Volk auf dem Weg der Befreiung will stets wieder zurück nach Ägypten, es will den Unterschied aufheben: 14,7; 16,3 u.ö. Beim Goldenen Kalb – Kap. 32 – dringt die Unterscheidungslosigkeit mitten in den Kult vor. Israel macht sich einen Gott nach Art der Ägypter, der Völker, einen jungen Stier, der für Kraft und Zeugungsfähigkeit steht. Die Reaktion des Mose und Gottes zeigt: Alles ist verloren, wenn im Kult nicht klar unterschieden wird! Im Kult, wie er am Sinai geboten wird, wird die Unterscheidung stets neu vollzogen und damit lebendig erhalten. 40,16-33 heißt es siebenmal, dass Mose tat, wie Gott ihm geboten hatte. Das ist in klarer Analogie zu den Schöpfungstagen gesagt. Tatsächlich steht am Ende des kultbegründenden Tuns des Mose ein Sabbat: „So vollendete Mose das Werk“ (40,33). Der Kult vollzieht je neu die Unterscheidung, der sich Israel verdankt. Im Kult wird das Gottesvolk je neu geschaffen. 1.2.3 Pascha als Neuanfang, Auserwählung, Übergang, Versiegelung und Erinnerung Viele Verbindungen führen vom Pascha Ex 12,1-28 zum jüdischen und christlichen Gottesdienst. Zu erkennen ist: • Mit dem Pascha-Fest beginnt das Neue. „Dieser Monat soll euch der Anfangsmonat sein; er sei euch der

erste Monat des Jahres“ (12,2). Mit Pascha beginnt eine neue Zeit(-rechnung). • Beim Paschafest wird geschieden, wer zum Volk Gottes gehört und wer nicht. „Kein Fremder darf davon

essen“ (12,43). Fremde dürfen daran teilnehmen, wenn bei ihnen als Männliche beschnitten ist. • Beim Paschamahl wird der Übergang vollzogen. Pascha ist das Fest des Aufbruchs aus Ägypten in die

Wüste, aus der alten in die neue Welt. Nichts Altes soll mehr binden (=kein Sauerteig), nur das Neue zählt (ungesäuertes Brot). „denn jeder, der vom ersten bis zum siebten Tag Gesäuertes isst, soll aus Israel ausgerottet werden“ (12,15). Pascha-Feiern heißt, aufzubrechen: „eure Hüften gegürtet, eure Schuhe an euren Füßen und euren Stab in euren Händen. Ihr sollt es in Eile essen“ (12,11).

• Der Lamm-Ritus bewirkt, dass die Israeliten verschont werden. Israel wird vom Tod der Erstgeburt verschont. Das Todesschicksal, das auf der früheren, alten Welt liegt, gilt für Israel nicht. Dies bewirkt Gott, indem das Blut des Lammes als Zeichen einsetzt. Durch das Blut werden die Israeliten für die Rettung besiegelt/bezeichnet, 12,23f. – Des Näheren zeigt sich: Israel wird aus einer Verpflichtung ausgelöst, die es Gott gegenüber hat. „Weihe mir alle Erstgeburt! Alles, was in Israel bei Menschen und bei Vieh zuerst den Mutterschoß durchstößt, gehört mir“ (13,2). Gott akzeptiert das Opfer der Lämmer anstelle des Erstgeburtsopfers, auf das er ein Anrecht hat. – Zu bedenken ist: Der Anfang des Neuen ist im Alten nicht ohne weiteres möglich. Neuanfang setzt Ablösung der Schuld/der Schulden voraus. Die Menschheit hat Schuld/Schulden gegenüber Gott, auch Israel. Durch den Pascharitus gibt Gott selbst die Möglichkeit, diese Schulden abzulösen.

• Pascha wird begangen als Erinnerungsfeier. „Auch wenn ihr in das Land kommt ... sollt ihr diesen Brauch beobachten. Fragen euch dann eure Kinder: Was habt ihr da für einen Brauch?, dann sollt ihr sagen: Das ist das Pascha-Opfer für JHWH, der in Ägypten an den Häusern der Israeliten vorüberging, als er Ägypten schlug, unsere Häuser aber verschonte“, 12,27. „Wenn dein Sohn dich künftig fragt: Was bedeutet dies?, so sollst du ihm sagen: Mit starker Hand hat uns JHWH aus Ägypten, aus dem Haus der Knechtschaft, hinausgeführt“ (13,14). Bei jedem Paschafest erneuert Israel seinen Ursprung.

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Alle diese Elemente sind konstitutiv auch in die christliche Liturgie übernommen worden!! 1.2.4 Gottesdienst und Gotteserkenntnis Der Gottesdienst, auf den die Herausführung zuläuft, hat seinen Inhalt darin, dass Gott als der erkannt wird, der er ist. Z.B. 9,14: JHWH schickt dem Pharao die Plagen, „damit du erkennst, dass auf der ganzen Erde keiner ist wie ich“. Wenige Zeilen weiter, 9,16: Er lässt ihn am Leben, „um dir meine Macht zu zeigen und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.“ 10,2, an Israel gewandt: Gott tut diese Wunderzeichen, „damit ihr erkennt, dass ich JHWH bin.“ Durch sein Handeln am Schilfmeer macht Gott sich als Befreier kenntlich. „Die Ägypter sollen erfahren, dass ich JHWH bin“, 4,4, vgl. 4,18. Nach dem Durchzug singt Mose/singt Mirjam ein Lied, 15,1-21. Dies ist eigentlich der erste kultische Akt in dem ganzen Geschehen, ein Lobgesang, also ein gottesdienstlicher Akt. Sein Inhalt: Gotteserkenntnis. „JHWH ist ein Kriegsheld, JHWH ist sein Name. ... Wer ist wie du unter den Göttern, JHWH? Wer ist wie du, in Herrlichkeit strahlend, furchtbar an Ruhmestaten, Wunder vollbringend?“ (15,3.11). Was hier zu sagen ist, kann nicht nur gesagt werden, es muss gesungen werden; gesprochene Worte reichen nicht: „Singen will ich JHWH, denn er ist hocherhaben ... Meine Stärke ist JAH und mein Lied“ (15,1f.21). [Daher kommt das Singen in unseren Gottesdiensten]. Diese Gotteserkenntnis gehört nicht Israel allein. 18,11: Jetro, der midianitische Schwiegervater des Mose, nachdem er all dies gehört hatte: „Nun weiß ich, dass JHWH größer ist als alle Götter.“ 1.2.5 Der Zusammenhang von Gottesdienst, Gerechtigkeit und Recht.

Das Gesetz des Bundes Auf die Befreiung folgt der Sinai, d.h. der Bundesschluss mit dem Bundesgesetz. Dieses enthält wesentlich die drei Elemente Gottesdienst (Kult), Gerechtigkeit (Ethos) und Recht. Der Dienst, der diesem Gott zu leisten ist, ist von Gerechtigkeit und Recht nicht zu trennen. So im Dekalog 20,1-17. Die ersten Gebote sind kultischer Art, sie basieren auf und präzisieren die Gotteserkenntnis. „Ich bin JHWH ... keine anderen Götter haben ... kein geschnitztes Bild machen ... dich vor Bildern nicht niederwerfen ... den Namen Gottes nicht missbrauchen“, das bezieht sich auf Gottesverehrung. Das Sabbatgebot verbindet diese Gottesverehrung mit dem Leben. Die weiteren Gebote regeln das soziale und politische Miteinander. Das „Bundesbuch“ 20,22-23,33 enthält Anordnungen für den Kult (ausgehend von den Unterscheidung zu den Göttern) und die religiösen Feste, dann rechtliche Einzelbestimmungen (die wohl aus der Rechtsprechung des Jerusalemer Obergerichts hervorgegangen sind), z. B. Bestimmungen über Mord, Sklavenbehandlung, Eigentumsdelikte (und bei diesen Gesetzen geht es oft nicht sehr gerecht zu; sie haben die Kritik der Propheten gefunden, vgl. Jes 10,1-2), und ethische Weisungen aus dem Geist der Südreichpropheten, z.B. „Einen Fremdling darfst du nicht übervorteilen und nicht bedrücken“, 22,20. Diese drei Elemente gehen auseinander hervor, sie irritieren und kritisieren sich aber auch gegenseitig: Entspricht das Recht der Gerechtigkeit? Entspricht die Gerechtigkeit der Gotteserkenntnis? Führt die Gotteserkenntnis auch zu Recht? Usw. Erst in der Zusammengehörigkeit von Gottesverehrung, Recht und Gerechtigkeit entsteht das, was man Tora nennt, Gottes Gesetz und Weisung. Für diesen Zusammenhang steht der Engel von Ex 23,20!!! Der Bund mit Gott ist die Art von Gemeinschaft bzw. Gesellschaft, die auf diesem Gesetz aufruht. Bundesschluss, Gottesgemeinschaft und Gesetzesgehorsam sind voneinander nicht zu trennen. Kap. 24 berichtet den Bundesschluss. Mose verkündet alle Worte JHWHs. Das Volk erklärt: „Alles, was JHWH gesprochen hat, wollen wir tun und hören“, 24,7. Darauf sprengt Mose Blut gegen das Volk: „Das ist das Blut des Bundes, den JHWH aufgrund aller diese Bedingungen mit euch geschlossen hat“. Die Ältesten können daraufhin den Gott Israels in seiner Herrlichkeit schauen. „Und sie aßen und tranken“, 24,11. – Der Zusammenhang, der hier geschildert wird, liegt auch beim Abendmahl Jesu, bei seinem Bundesschluss, vor. 1.2.6 Der Sabbat als Vollendung der Schöpfung Der Sabbat ist die Vollendung der ganzen Schöpfung, Gen 2,3. Auch die Kultstiftung, auf die das Exodusgeschehen zuläuft, findet ihren Abschluss und ihre Vollendung im Sabbat. Der biblische Gottesdienst ist, so wie er Neuschöpfung innerhalb der Zeit ist, der Anbruch der Vollendung der ganzen Schöpfung.

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Die Befreiungsinitiative steht von Anfang an im Widerspruch zum Arbeitszwang. 5,6-14: Nach der ersten Unterredung mit dem Pharao lässt dieser das Arbeitspensum der Israeliten bis zur Nichterfüllbarkeit anheben. Es ist klar, dass der Pharao zuerst und zuletzt an der Wirtschaftskraft der Israeliten interessiert ist, will er doch das Vieh zuletzt ausziehen lassen, 10,24. Aus diesem Interesse an Arbeit und materieller Selbstbehauptung kommen erst die Unterdrückungsverhältnisse, unter denen Israel leidet. Dagegen verlangen Mose und Aaron die Freigabe gerade, um ein Fest zu feiern, 5,1. Der Sabbat ist der rote Faden des ganzen Buches Exodus. Das Manna, Gottes gnädige Gabe zur Ernährung, braucht am Sabbat nicht gesammelt zu werden. Die Vorschriften zum Bau des Heiligtums Kap. 25-31 kulminieren in der Sabbatgesetzgebung, 31,12-17. Der Sabbat wird hier als das Erkennungszeichen der Bundesgemeinschaft schlechthin ausgewiesen. Die Ausführung dieser Vorschriften (hinausgezögert durch das Goldene Kalb) beginnen mit der Sabbatruhe 35,1-3. Die überreiche Sammlung für den Tempelschmuck (35,4-36.4) kommt aus einer Sabbatgesinnung: Meine Zukunftssicherheit liegt nicht in dem, was ich habe. Den Abschluss des Heiligtumsbaus und den Abschluss des Buches Exodus insgesamt bildet wie erwähnt die sabbatliche Vollendung des Werkes durch Mose, 40,33: „Da vollendete Mose das Werk“. Der Sabbat verbindet die Kultordnung mit der Schöpfungs- und Weltordnung. Im Gottesdienst wird die Vollendung der Welt vorweggenommen, und zwar so, dass sie sich im Gottesdienst schon ereignet. Darum heißt es 40,34: „Da bedeckte die Wolke das Offenbarungszelt, und die Herrlichkeit JHWHs erfüllte die Wohnung“. Was will man mehr? Dann aber ist kommt es darauf an, nicht in der Vollendung des Kultes stehen zu bleiben, sondern aufzubrechen und weiterzugehen in die Welt. 40,36f: „Sooft sich nun die Wolke von der Wohnung erhob, brachen die Israeliten auf ihrer Wanderung auf. Wenn aber die Wolke sich nicht erhob, brachen sie nicht auf bis zu dem Tag, an dem sie sich erhob.“ Fazit: Gottesdienst vollzieht die Unterscheidung zwischen einer Welt, die von Selbsterhaltung/Arbeit/Macht und Unrecht bestimmt ist, zu einer Welt, die von Gottes Gegenwart und Gerechtigkeit bestimmt ist. Von der einen in die andere Welt zu gelangen, ist wiederum nur durch Gottes Hilfe möglich. Der Übergang selbst wird im Gottesdienst begangen. Damit ist die Frage gestellt, wie es um das Verhältnis von Gottesdienst und Gottes Welt/Gottes Reich steht. Auf diese Frage sind unterschiedliche theologische Antworten möglich. Die christlichen Konfessionen unterscheiden sich in der Beantwortung dieser Frage. 1.2.7 Die Einsatzstellen des christlichen Gottesdienstes Im Buch Exodus sind die Grundelemente und -strukturen des biblischen Gottesdienstes angegeben. Sie gelten für Juden und Christen. Die Differenzen des christlichen zum jüdischen Gottesdienst lassen sich leicht von diesem Text her erschließen. • Das Geschehen der Vergangenheit ereignet sich für Christen erneut in Christus. Er führt die

Menschen aus dem Reich der Unfreiheit und der Todverfallenheit in das Reich des Lebens, das Reich Gottes. Er ist der Mittler der neuen Schöpfung. Dies geschieht immer, wenn er als der Auferstandene gegenwärtig wird. Die Vollendung tritt mit der Wiederkunft Christi ein. Als ein Problem des Judentums könnte man es bezeichnen, zu sehr auf die Heilstat der Vergangenheit bezogen zu sein.

• Christus ist das wahre Paschalamm, mit dem Gott unsere Schuld hinwegnimmt. Das Abendmahl Jesu ist das wahre Paschamahl. Das Lamm war nur ein Ersatz für den Erstgeborenen; mit Christus gibt Gott selbst seinen eingeborenen Sohn hin für die Vergebung unserer Schuld. Die Zeit der Ersatzlösungen ist vorbei.

• Die Versiegelung zur Gemeinde der Erwählten und Verschonten geschieht durch die Taufe. • Die vielen Opfer des Alten Bundes (Ex 29,10ff) und auch der Tempel müssen nicht mehr sein,

denn das Opfer Christi ist das letzte und unüberbietbare Opfer. Auch hier ist sind die Ersatzlösungen (Tempelopfer Ersatz für Opfer des Herzens) vorüber. Christen schließen diesbezüglich an die prophetische Opferkritik und auch an die Tempelkritik in Israel an. An die Stelle äußerer Opfer tritt das Opfer des Herzens; dies bleibt aber nicht nur eine Frage der Gesinnung, da es Teilhabe am realen Opfer Christi ist. Die Stellvertretung Christi tritt an die Stelle des Ersatzes. Es bleibt zu bemerken, dass der Tempeldienst etwa zurzeit Jesu für Christen und für Juden zu Ende

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gegangen ist. Beide biblische Religionen haben die Tempelopfer nicht mehr nötig gehabt. Der Unterschied: Für Christen sind der Tempel und seine Opfer in Christus endgültig überholt, Juden (nicht alle!) können noch auf die Wiederherstellung des Tempels hoffen.

• Die Befreiung zum rechten Gottesdienst ist nicht mehr nur Israel angeboten, sondern allen Menschen.

• Christen feiern ihren Gottesdienst deshalb viel stärker als Israel als den Gottesdienst der ganzen Schöpfung. Sie greifen leichter als Israel auf kosmische und allgemein-religiöse Symbole zurück. Sie glauben, dass das, was im Gottesdienst Israels zeichenhaft angezeigt ist, durch Christus eine neue Stufe der Verwirklichung erreicht hat. „Die Nacht ist vorgerückt, und der Tag hat sich genaht“ (Röm 13,12).

1.3 Die Anaphora der Apostel Addai und Mari als Ausdruck christlicher

Exoduserfahrung Die Anaphora (eucharistisches Hochgebet) der Apostelschüler Addai und Mari stammt aus Ostsyrien und ist sehr alt. Sie geht womöglich bis ins zweite Jh. zurück, auch wenn die ältesten Handschriften aus dem 10./11. Jh. stammen. Wir betrachten das Gebet unter der Fragestellung, welche Resonanz das biblische Grundgeschehen des Exodus in der christlichen Kirche gefunden hat. Literatur zu diesem Abschnitt: REINHARD MEßNER/MARTIN LANG: DIE FREIHEIT ZUM LOBPREIS DES NAMENS. IDENTITÄTSSTIFTUNG IM EUCHARISTISCHEN HOCHGEBET UND IN VERWANDTEN JÜDISCHEN GEBETEN, in: A. Gerhards/A. Doeker/P. Ebenbauer (Hg.), Identität durch Gebet. Zur gemeinschaftsbildenden Funktion des Betens in Judentum und Christentum, Paderborn 2003, 371-411 Die Anaphora der Apostel Addai und Mari

(1) (P): Die Gnade unseres Herrn Jesus des Messias und die Liebe Gottes des Vaters (2) und die Gemeinschaft des Geistes der Heiligkeit sei mit uns allen, jetzt und alle Zeit (3) und von Ewigkeit zu Ewigkeit. (4) (R) Amen. (5) (P:) Oben soll sein euer Erkenntnisvermögen! (6) (R) Bei dir, Gott Abrahams und Isaaks und Israels, dem ruhmreichen König. (7) (P:) Das Opfer wird Gott, dem Herrn des Alls, dargebracht. (8) (R:) Geziemend und recht. (9) (D:)Friede mit uns!

(Abschnitt I) (10) Würdig der Verherrlichung aus allen Mündern (11) und des Lobbekenntnisses von allen Zungen (12) ist der anbetungswürdige und verherrlichte Name (13) des Vaters und des Sohnes und des Geistes der Heiligkeit, (14) der erschaffen hat die Welt in seiner Gnade (15) und ihre Bewohner in seinem Erbarmen (16) und erlöst hat die Menschen in seiner Barmherzigkeit (17) und erwiesen hat große Gnade gegenüber den Sterblichen. (Abschnitt II)

(18) Deine Größe, Herr, beten an tausend mal tausend von Himmlischen (19) und zehntausend mal zehntausend von Engeln. (20) Herrscharen von geistigen (Wesen), Diener von Feuer und Geist (21) Mit den Cherubim und den heiligen Seraphim verherrlichen deinen Namen, (22) (Qanona:) indem sie rufen und verherrlichen ohne Unterlaß (23) und ausrufen einer zum anderen und singen:

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(24) (R:) Heilig, heilig heilig (ist der ) HERR, der Mächtige. (25) Voll sind Himmel und Erde von seiner Herrlichkeit (26) Hosanna in den Höhen. (27) Gesegnet, der gekommen und kommend ist im Namen des HERRN. (28) Hosanna dem Sohn Davids. (Abschnitt III) (29) Und mit diesen himmlischen Kräften bekennen lobend dich, Herr, auch wir, (30) deine unwürdigen und schwachen und armseligen Diener (31) da du an uns erwiesen hast große Gnade, (32) die nicht vergolten werden kann, (33) indem du angezogen hast unsere Menschheit, (34) damit du uns belebest durch deine Gottheit, (35) und erhöht hast unsere Niedrigkeit (36) und aufgerichtet hast unsere Verfallenheit (37) und auferweckt hast unsere Sterblichkeit (38) und vergeben hast unsere Schuld (39) und gerechtfertigt hast unsere Schuldverfallenheit (40) und erleuchtest hast unsere Erkenntnis (41) und überwunden hast, unser Herr und unser Gott, unsere Widersacher (42) und zum Sieg geführt hast die Niedrigkeit unserer schwachen Natur (43) durch die überfließenden Erbarmungen deiner Gnade. (44) (Qanona:) Und für alle deine Wohltaten und Gnadenerweise an uns (45) wollen wir dir hinaufsenden Verherrlichung und Ehre (46) und Lobbekenntnis und Anbetung, (47) jetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit. (48) (R:) Amen. (49) (D:) In eurem Erkenntnisvermögen betet! (Abschnitt IV) (50) Du, Herr, in deinen unaussprechlichen Erbarmungen (51) mach ein gutes Gedächtnis allen aufrechten und gerechten Vätern, (52) die wohlfällig waren vor dir, (53) beim Gedächtnis des Leibes und Blutes deines Messias, (54) das wir dir darbringen auf dem reinen und heiligen Altar, (55) wie du uns gelehrt hast. (56) Und mach mit uns deine Ruhe und deinen Frieden alle Tage der Welt,

(Wiederhole!) (57) (R:) Amen. (Abschnitt V) (58) dass dich erkennen alle Bewohner der Erde, (59) dass du, du Gott, der wahre Vater (bist), du allein, (60) und dass du gesandt hast unseren Herrn Jesus, den Messias, (61) deinen Sohn und deinen Geliebten, (62) und dass er, unser Herr und unser Gott, (63) uns gelehrt hast in seinem lebensspendenden Evangelium (64) alle Reinheit und Heiligkeit der Propheten und der Apostel (65) und der Märtyrer und der Bekenner (66) und der Bischöfe und der Presbyter und der Diakone (67) und aller Kinder der heiligen katholischen Kirche, (68) die bezeichnet sind mit dem Zeichen der heiligen Taufe.

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(Abschnitt VI) (69) Und auch wir, Herr, (dreimal) deine niedrigen und schwachen und armseligen

Knechte, (70) die wir versammelt sind und stehen vor dir zu dieser Stunde (71) und empfangen haben durch Überlieferung den Typos, der von dir (kommt), (72) indem wir uns freuen und verherrlichen und erhöhen und gedenken und preisen (73) und dieses große und schauererregende Mysterium (74) des Leidens und des Todes und der Auferstehung (75) unseres Herrn Jesus, des Messias, vollziehen. (Abschnitt VII) (76) Und es möge kommen, Herr, dein heiliger Geist, (77) und er möge ruhen auf dieser Darbringung (D: Seid in Ruhe) deiner Diener, (78) und er möge sie segnen und er möge sie heiligen, (79) dass sie uns sei, Herr, zur Vergebung der Verschuldungen (80) und zum Nachlass der Sünden (81) und zur großen Hoffnung auf die Auferstehung aus dem Haus der Toten (82) und zum neuen Leben im Reich des Himmels (83) mit allen, die wohlgefällig waren vor dir. (Abschnitt VIII) (84) Und für dein ganzes staunenswertes Heilshandeln an uns (85) wollen wir dich lobend bekennen und verherrlichen ohne Unterlaß (86) in deiner Kirche, die erlöst ist durch das kostbare Blut deines Messias, (87) mit offenen Mündern und unverhüllten Gesichtern, (88) (Qanona:) indem wir hinaufsenden Verherrlichung und Ehre (89) und Lobbekenntnis und Anbetung (90) deinem lebendigen und heiligen und lebensspendenden Namen, (91) jetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit. (92) (R:) Amen.

Wir erschließen den Text durch Fragen. • Welcher Zusammenhang besteht zwischen Z. 10-12 und Z. 88-90? • Geben Sie jedem Abschnitt eine Überschrift, die den Inhalt zusammenfasst Abschnitt I_________________________________________________________________________ Abschnitt II________________________________________________________________________ Abschnitt III________________________________________________________________________ Abschnitt IV________________________________________________________________________ Abschnitt V________________________________________________________________________ Abschnitt VI________________________________________________________________________ Abschnitt VII_______________________________________________________________________ Abschnitt VIII______________________________________________________________________ • Abschnitt I bezieht sich sachlich auf Phil 2,10f bzw. den ganzen Hymnus Phil 2,6-10. Worin?

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• Z. 12 spricht vom Namen. Wie ist das zu verstehen? Welche Prädikate werden dem Namen

zugeschrieben? • Abschnitt III vollzieht einen Adressatenwechsel. Warum ist das so? Wo liegt der Zusammenhang

zu Abschnitt II? • Wie ist die Situation von Menschen, die nicht unter der Gnade Gottes stehen? Was tut die Gnade

Gottes an diesen Menschen? (Z. 34-42) Z. 34_______________________________ ____________________________________ Z. 35_______________________________ ____________________________________ Z. 36_______________________________ ____________________________________ Z. 37_______________________________ ____________________________________ Z. 38_______________________________ ____________________________________ Z. 39_______________________________ ____________________________________ Z. 40_______________________________ ____________________________________ Z. 41_______________________________ ____________________________________ Z. 42_______________________________ ____________________________________ • Was für ein sprachlicher Akt wird im Sanctus und Benedictus (Z. 24-28) vollzogen? Aus welchem

Bereich ist diese Sprachhandlung übernommen? • Welcher Zusammenhang besteht folglich zwischen dem Sanctus/Benedictus und dem

Schilfmeerlied Ex 15,1-18, vor allem 15,18? • Das Sanctus zitiert Jes 6,3: „Und immerfort rief einer dem anderen zu: Heilig heilig heilig ist JHWH Zebaot, die ganze Erde ist voll seiner Herrlichkeit.“ Jüdische Lobgesänge fügen an das Dreimalheilig immer Ez 3,12 an: „Gepriesen die Herrlichkeit des Herrn von ihrem Ort.“ Welcher Ort ist gemeint?_________________________ Christen hingegen setzen stattdessen mit dem Benedictus fort, nach Mk 11,9f par (mit Bezug auf Ps 118,26). Was bedeutet dies für den Unterschied zwischen jüdischem und christlichem Gottesdienst? • Die Anaphora sagt: „Gesegnet, der gekommen und kommend ist...“ Was sagt dies über die

Zeitstruktur des christlichen Lobpreises? • Z. 50-57 spricht von den Vätern. Unter welcher Voraussetzung ist die Gemeinschaft mit den

Vätern möglich? • Was bedeutet es wohl, vor Gott wohlgefällig zu sein, vgl. Z. 52 u. 83?

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• Z. 6, Z. 68, Z. 81-82 spielen auf den Exodus an. Inwiefern? Z. 6 __________________________________________________________________________ Z. 68 ___________________________________________________________________________ Z. 81-82 ___________________________________________________________________________ • Wie verstehen Sie den Titel von Messner/Lang „Die Freiheit zum Lobpreis des Namens“? Wo

liegen diesbezüglich Gemeinsamkeit und Unterschiedenheit von Juden und Christen? 2. Die Eucharistie Literatur: Zum Folgenden vgl. durchgängig die bereits in der Ausschreibung genannte Literatur: REINHARD MEßNER, EINFÜHRUNG IN DIE LITURGIEWISSENSCHAFT, Paderborn u.a. 2001; MICHAEL KUNZLER, DIE LITURGIE DER KIRCHE, Paderborn 1995 (AMATECA Lehrbücher zur katholischen Liturgie 10). Beide Autoren verstehen ihr Fach im Sinne einer Systematischen Liturgiewissenschaft (im Unterschied zu einer stärker historischen oder pastoraltheologischen Ausrichtung). Die relevante Literatur haben beide angegeben und verarbeitet. Kunzler bietet mehr historische Informationen. Im systematischen Duktus folge ich eher Meßner. 2.1 Einleitende Gedanken über den Zusammenhang von Gottesdienst und Kirche • Kirche „macht“ (feiert/begeht/vollzieht) Gottesdienst

Gottesdienst zu feiern ist das eigentliche Werk, der Grundvollzug von Kirche. Bevor die Kirche irgendetwas anderes ist – Glaubensgemeinschaft, hierarchische Gemeinschaft, Institution – ist sie Gottesdienstgemeinschaft. Oder anders: Sie ist alles das, was sie ist, aus dem Gottesdienst heraus. In der Ekklesiologie spricht man von den vier ekklesialen Grundvollzügen koinonia (Gemeinschaft), leiturgia (Gottesdienst), martyria (Zeugnis/Verkündigung), diakonia (Dienst an den Nächsten). Dies ist nicht so zu verstehen, als sei der Gottesdienst etwas, was die Kirche unter anderem auch noch tut. Vielmehr kommen alle vier Vollzüge primär im Gottesdienst vor und können außerhalb des Gottesdienstes sinnvoll nur mit Bezug auf ihre Verwurzelung im Gottesdienst und ihre Ausrichtung auf den Gottesdienst vollzogen werden. Warum ist das so? Zeigen Sie es für die einzelnen Vollzüge... Wo kommt in der Exoduserzählung zum Ausdruck, dass Gottesdienst der Grundvollzug von Kirche ist? Und wo kommt dies bei Addai und Mari zum Ausdruck?

• Gottesdienst „macht“ (konstituiert/lässt entstehen) Kirche.

Wir können den ersten Satz umkehren. Wenn Gottesdienst das ist, was die Kirche zuerst und zuletzt macht, dann macht der Gottesdienst auch die Kirche. Kirche immer da existent, wo Gottesdienst gefeiert wird. Das System Kirche vollzieht die Unterscheidung Gottesdienst/nicht Gottesdienst und stellt sich dadurch selber her. Das ist eine Definition: Kirche ist Gottesdienstgemeinschaft. Gottesdienstgemeinschaft ist Kirche. Für das Verständnis von Kirche folgt daraus: Die (Welt-)Kirche ist die Gemeinschaft der Ortskirchen, in denen Gottesdienst gefeiert wird. Die Struktur der Kirche besteht in der „communio gleichberechtigter Ortskirchen“ (Meßner, 152). Was immer auch strukturell dazu kommt (Kooperation von Gemeinden, überörtliche Strukturen, Synoden, Konzilien, Rom...) ist auf die Ortskirche als Gottesdienst feiernde Gemeinschaft bezogen und hat ihr zu dienen. Lit.: Peter Plank, Die eucharistische Ekklesiologie von Nikolas Afanas’ev [Angaben ergänzen] Zu beachten ist: Ortskirche meint im katholischen Verständnis ursprünglich die Bischofskirche/die Diözese. Dies wird auch im heutigen Kirchenrecht noch so festgehalten. Ein Problem entsteht daraus, dass de facto fast überall die Bischofskirchen (Kathedralen) nicht mit den Ortskirchen identisch sind. Daraus erwächst ein ganz anderes Verständnis des bischöflichen Leitungsamtes und eine theologisch ungeklärte Beziehung zwischen bischöflicher Autorität und der Autorität der Pfarrer.

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Und: Alle Stufungen innerhalb der Kirche können sinnvoll nur aus dem Gottesdienst erfolgen, also konkret aus der Verteilung der Rollen beim Gottesdienst. Diese Stufungen begründen verschiedenen Aufgaben, Charismen und Dienste, nicht aber verschiedene Stufen des Christseins. Es gibt keine höhere Stufe oder Würde des Christseins als mit der Teilnahme am Gottesdienst gegeben ist. Der ursprüngliche Begriff der Hierarchie stammt aus der liturgischen Rollenverteilung und umfasst Bischof, Presbyter und Diakon. Dies ist die Hierarchia ordinis. Ein Problem ergibt sich daraus, dass im Laufe der Geschichte eine zweite Hierarchie neben die erste getreten ist, die sich aus der unterschiedlichen Zuständigkeit in Belangen des Rechts definiert (Hierarchia iurisdictionis). Sie umfasst Papst, Bischof und Presbyter. Das Verhältnis beider Hierarchien zueinander ist nicht geklärt und die Quelle vieler Konflikte. Literatur: H. DOMBOIS, HIERARCHIE. GRUND UND GRENZEN EINER UMSTRITTENEN STRUKTUR, Freiburg-Basel-Wien 1971. Wo ist in der Exoduserzählung zu ersehen, dass Gottesdienst Kirche/Israel macht? Und wo bei Addai und Mari?

• Wenn gilt: Gottesdienstgemeinschaft ist Kirche, dann stellen sich zwei grundlegende Fragen: 1. Warum soll Gott gedient werden, warum also soll es die Kirche geben? 2. Wie wird in rechter Weise Gottesdienst gefeiert? Zu 1.: Warum soll Gott gedient werden? – Es ist wichtig zu sehen, dass diese Frage innerhalb der Kirche nicht gestellt wird. Denn Kirche existiert ja nur solange, wie diese Frage immer schon positiv beantwortet ist. Die Kirche ist selbst eine Antwort auf diese Frage. Der Kirche steht die Grundunterscheidung, der sie sich verdankt, nicht zur Disposition. Dies deckt sich mit Beobachtungen zum Ritengebrauch: Riten sind nur das, was sie sind, solange sie nicht in Frage gestellt werden. Sie sind vielmehr Antworten auf Fragen. In der Theologie aber kann und muss diese Frage gestellt werden, denn sie deutet auf ein Problem, das die Kirche bzw. Christen (nicht nur heute, aber heute besonders) hat bzw. haben. (Theologie leistet eine Außenbeobachtung der Kirche.) Die Antwort, die die Theologie auf diese Frage geben kann, ist allerdings zirkulär: Gott soll gedient werden, weil er so ist wie er ist, weil er aller Ehre und aller festlichen Freude und allen Dienstes würdig ist. Und woher weiß man das? Aus dem Gottesdienst! Denn nur im Gottesdienst wird Gott zutreffend als der erkannt, der er ist (vgl. oben 1.2.4.). – Es gibt also außerhalb der Kirche, außerhalb der Gottesdienst feiernden Gemeinde keine Referenzen/Gründe für den Grundvollzug von Kirche (genauso wie es außerhalb des Rechtssystems keine Referenzen für Recht und Unrecht gibt). Man wird einen großen Teil der theologischen Arbeit aller Jahrhunderte dem (vermutlich größtenteils vergeblichen) Bemühen zuordnen können, Gründe für den Gottesdienst zu finden. – Doch ist einmal das „System“ Kirche mit dem Zentrum Gottesdienst etabliert, dann „leistet“ es etwas für seine Umwelt, was auch in dieser als anschlussfähig und sinnvoll erscheint. Woran kann man das heute sehen? Den Begriff „Dienst“ darf man übrigens nicht pressen. Er ist hier nicht an Herrschaftsverhältnisse gebunden, sondern eher im Sinne von „Minnedienst“ zu verstehen. Damit haben wir auch schon eine hilfreiche Analogie: Was tut jemand gegenüber einer Person, die er sehr schätzt und liebt? Loben/Verherrlichen (Doxologie) – Erinnern an das Gute (Anamnese) – Bitten und Hoffen um Gegenwart und Nähe (Epiklese): das sind ja auch die Grundvollzüge des Gottesdienstes. Zu 2: Wie wird in rechter Weise Gottesdienst gefeiert? – Die Kirche kann sich in dieser Hinsicht nur an Jesus halten, denn er allein zeigt uns den Vater und die rechte Weise ihm zu dienen. „Niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6). Darum versichert sich jeder christliche Gottesdienst der Übereinstimmung mit dem Gottesdienst, den Jesus selbst vollzog: dem letzten Abendmahl. Zur Vergewisserung der Stiftung wird in jeder Eucharistiefeier der Bericht vom letzten Mahl Jesu rezitiert. Hieran hängt die Existenzberechtigung der Kirche!

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Nun zeigt jedoch dieser Bericht, dass wir nicht von uns aus, sondern nur „durch ihn und mit ihm und in ihm“ Gott in rechter Weise verherrlichen können; vgl. oben 1.3, dritter Abschnitt der Anaphora von Addai und Mari. Die Gemeinde muss also erst „Leib Christi“ werden, um rechten Gottesdienst feiern zu können. Dies geschieht im Gottesdienst selber („Wandlung“).

2.2 Die Eucharistie als Christusanamnese 2.2.1 Das letzte Mahl Jesu Die Eucharistiefeier der Kirche geht auf das letzte Mahl Jesu zurück. Die Einsetzungsberichte des NT (Mk 14,,22-25 und Mt 25, 26-29; Lk 22,15-20 und 1Kor 11,23-26) geben der Kirche die Eucharistiefeier als unverfügbare Stiftung vor. Unabhängig von der Frage, ob das letzte Mahl Jesu ein Paschamahl gewesen ist, lassen die nt-lichen Berichte die Gestalt eines feierlichen jüdischen Abendessens, bei dem Wein getrunken wurde, erkennen. Dieses hatte folgenden Ablauf:

Benediktion (Lobgebet) über das Brot bei Beginn der Mahlzeit: Gepriesen bist du Herr, unser Gott, König der Welt, der hervorgehen lässt Brot aus der Erde... Der Hausvater zerreißt und verteilt den Brotfladen Gemeinsame Mahlzeit Nachtischgebet („birkat hammazon“) über den „Kelch des Heiles“ mit drei Benediktionen, in denen 1. Gott gedankt wird für die Schöpfung und ihre Erhaltung, 2. Gott gedankt wird für die Landgabe, den Bund und die Tora, 3. Gott gebeten um sein Erbarmen und die Erfüllung seiner Verheißungen. Eine Doxologie („Gepriesen bist du Herr...“) bildet den Schluss. Jesu Worte über Brot und Wein sind im Rahmen eines solchen Mahles gesprochen worden. In ihnen lassen sich folgende Motive erkennen: • Das „Blut des Bundes“ (Mk 14,24; Mt 26,28) bezieht sich auf den Bundesschluss (Ex 24,3-8).

Mittels der Heiligkeit des Blutes erfolgt die Weihe des Volkes zu einem heiligen (= herausgerufenen) und priesterlichen (= in die Aufgabe, für andere die Gottesgemeinschaft zu vermitteln eingesetzten) Volk

• Der „neue Bund“ (1Kor 11,25; Lk 22.20) knüpft an die Verheißung von neuen Bund (Jer 31,31) oder ewigen Bund (Ez 37,21-28) an. Was Jesus tut, liegt auf der Linie der Verheißungen der Propheten.

• Die Lebenshingabe „für die Vielen“ (Mk, Mt) geht auf den Gottesknecht in Jes 53,10-12 zurück: Was Jesus tut und was an ihm geschieht, dient für andere als Mittel der Gotteserkenntnis, die von Erkenntnis der eigenen Schuld nicht ablösbar ist. Jesus als Opfer bringt die Täter zur Besinnung und leistet somit „Sühne“

• Das „Blut für euch vergossen“ (Lk 22,20) bezieht sich auf den Sündopferbock am Versöhnungstag Lev 16. Gott bietet die Möglichkeit, nicht wieder gut zu machende Schuld zu sühnen, indem sie auf den Sündopferbock übertragen wird und sich die Opfernden mit diesem identifizieren. Der Bock stirbt stellvertretend den Tod, den die Sünder verdient haben. – Der Tod Jesu ist als Stellvertretung, nicht als Ersatz zu verstehen.

Literatur: Eine sehr gute Darstellung und Deutung des Abschiedsmahles Jesu im Kontext der jüdischen Mahlzeiten und der Eucharistiefeier der Kirche gibt HEINRICH KAHLEFELD, DAS ABSCHIEDSMAHL JESU UND DIE EUCHARISTIE DER KIRCHE, Frankfurt 1980 2.2.2 Vom Abendmahl zum Herrenmahl – die Bedeutung der Anamnese Aus der Mahlgemeinschaft mit Jesus wird in der Kirche die Mahlgemeinschaft mit dem Erhöhten. Bei diesem Mahl soll Jesus erkannt werden als der, der er ist (vgl. Lk 24,13-35). Dieses Mahl geschieht „zu seinem Gedächtnis“ (anamnesis, 1Kor 11,24, Lk 22,19). Für das Verständnis der Eucharistie kommt es entscheidend auf das Verständnis der Anamnese an. Allgemein gilt: Individuelle und kollektive Identitäten entstehen aus dem Gedächtnis, durch welches dem eigenen Sein eine Vorgeschichte verschafft wird, die dieses erklärt und legitimiert. In allen uns bekannten Religionen wird mythisches Ursprungsgeschehen als konstitutiv für die Identität der Gemeinschaft erinnert.

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Die jüdische und christliche Anamnese unterscheidet sich von anderen Formen des religiösen Gedächtnisses dadurch, dass ein historisches Ereignis als Gründungsereignis erinnert wird. In der Eucharistie begeht die Kirche das Gedächtnis des gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Christus. Der – in der historischen Perspektive der Vergangenheit angehörende – gekreuzigte Jesus kann in der Eucharistiefeier gegenwärtig werden, weil er zum Vater erhöht ist und damit allen Zeiten gleichzeitig ist. Die Anamnese geht also gleichsam den Weg des irdischen zum erhöhten, himmlischen Christus nach und gelangt so zu seiner wirklichen Gegenwart. Christi Gegenwart in der Eucharistiefeier kommt also nicht aus einer Erinnerungsleistung der Gemeinde, sondern ereignet sich von Gott her, der Jesus nicht im Tod gelassen hat, sondern ihm ewiges Leben geschenkt hat. Liturgisch kommt diese Art der Gegenwart des Erhöhten durch das Gedächtnis auf dreifache Weise zu Ausdruck: • Durch die Bitte um Gottes Gedenken („Gedenke, Herr...“). Denn nur, wenn Gott unser gedenkt,

kommt unser Gedenken an Jesus an sein Ziel. • Durch die Bitte um das Kommen des Heiligen Geistes: Die Vergegenwärtigung Christi geschieht

im Geist; der Geist ist es, der Christus gegenwärtig werden lässt. Die Menschen, die mit dem gegenwärtigen Christus geeint sind, leben in der Wirklichkeit des Geistes.

• Durch das Wissen darum, dass die Eucharistie auf Erden an dem Gottesdienst der Engel und Heiligen im Himmel teilnimmt.

Indem der erhöhte Christus vom Himmel her gegenwärtig ist und wir im Heiligen Geist an dem Gotteslob des Himmels teilnehmen, ist jede Eucharistiefeier die Vorwegnahme (Antizipation) der Vollendung der Welt. Die Gemeinde vollzieht vorwegnehmend und stellvertretend das Gotteslob der ganzen Schöpfung. Anamnese hat also nicht nur mit der Erinnerung an das Vergangene zu tun, sondern mit Vergegenwärtigung der himmlischen Gegenwart und Vorwegnahme der Zukunft (vgl. Thomas von Aquin: Sakrament als signum rememorativum, - demonstrativum, - prognosticum). Das kann so sein, weil sie von Gottes Gedenken, von der Kraft des Geistes, von der gnadenhaft geschenkten Teilnahme an der Verherrlichung Gottes durch Jesu Tod getragen ist (vgl. Joh 17, das hohepriesterliche Gebet Jesu). Die Anamnese wird vollzogen durch rituelle Mahlhandlung, die im Essen und Trinken zur Teilhabe an Jesu Heilstod führt, und durch die Deutung durch das Wort. Letzteres geschieht einmal durch die Verkündigung in Gestalt der Lesungen, durch die die Gemeinde ihre Geschichte mit der Geschichte des Gottesvolkes eint, und durch das Hochgebet, durch welches die Gemeinde in Dank und Lob die Lebensbewegung Jesu nachvollzieht und darin mit ihm eins wird. – Ohne das deutende Wort wäre die Mahlhandlung kein Sakrament. Die Gemeinschaft mit Jesu Sterben und Auferstehen, in der er uns zur Gabe des wahren Lebens wird, kommt durch eine Gemeinschaftsmahl allein nicht zum Ausdruck! 2.3 Die Gestalt der Messe Schon in der Apologie des Justin von Rom (Mitte des 2. Jh.) sind die Elemente der Messe gegeben, die dann im Wesentlichen bis heute weiter bestehen. Wir lesen Justin, Apologie I, 67, 3-6 Gemeindeleben der Christen, besonders ihr Sonntagsgottesdienst

Wir aber erinnern in der Folgezeit einander immer hieran, helfen, wenn wir können, allen, die Mangel haben, und halten einträchtig zusammen. Bei allem aber, was wir zu uns nehmen, preisen wir den Schöpfer des Alls durch seinen Sohn Jesus Christus und durch den Heiligen Geist. An dem Tage, den man Sonntag nennt, findet eine Versammlung aller statt, die in Städten oder auf dem Lande wohnen; dabei werden die Denkwürdigkeiten der Apostel oder die Schriften der Propheten vorgelesen, solange es angeht. Hat der Vorleser aufgehört, so gibt der Vorsteher in einer Ansprache eine Ermahnung und Aufforderung zur Nachahmung all dieses Gutes. Darauf erheben wir uns alle zusammen und senden Gebete empor. Und wie schon erwähnt wurde, wenn wir mit dem Gebete zu Ende sind, werden Brot, Wein und Wasser herbeigeholt, der Vorsteher spricht Gebete und Danksagungen mit aller Kraft, und das Volk stimmt ein, indem es das Amen sagt. Darauf findet die Ausspendung statt, jeder erhält seinen Teil von dem Konsekrierten; den Abwesenden aber wird er durch die Diakonen gebracht. Wer

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aber die Mittel und guten Willen hat, gibt nach seinem Ermessen, was er will, und das, was da zusammenkommt, wird bei dem Vorsteher hinterlegt; dieser kommt damit Waisen und Witwen zu Hilfe, solchen, die wegen Krankheit oder aus sonst einem Grunde bedürftig sind, den Gefangenen und den Fremdlingen, die in der Gemeinde anwesend sind, kurz er ist allen, die in der Stadt sind, ein Fürsorger. Am Sonntage aber halten wir alle gemeinsam die Zusammenkunft, weil er der erste Tag ist, an welchem Gott durch Umwandlung der Finsternis und des Urstoffes die Welt erschuf und weil Jesus Christus, unser Erlöser, an diesem Tage von den Toten auferstanden ist. Denn am Tage vor dem Saturnustage kreuzigte man ihn und am Tage nach dem Saturnustage, d.h. am Sonntage, erschien er seinen Aposteln und Jüngern und lehrte sie das, was wir zur Erwägung auch euch vorgelegt haben.

Welche Elemente der Messe schildert Justin? Was ist gegenüber dem urchristlichen Herrenmahl, wie es z.B. 1Kor 11,17-22 beschrieben ist, weggefallen? Was ist wohl der Grund für die Einrichtung der Predigt? Was ist aus den Benediktionen (Segensgebeten/Berakoth) der jüdischen bzw. jesuanischen Mahlzeiten geworden? Die römische Messe besteht aus zwei Hauptteilen, die durch einen Eröffnungsritus und die Entlassung eingerahmt werden. Somit ergibt sich folgende Struktur: Eröffnungsritus Die Gemeinde versammelt sich, huldigt Gott, ihrem Herrn (Kyrie, Gloria) und findet sich zum ersten gemeinsamen Gebet (Tagesgebet)

Wortgottesdienst Verkündigung aus den Schriften des Alten und Neuen Testaments,

Auslegung (Predigt), Allgemeines Gebet (Fürbitten) für die Welt

Eucharistiefeier Im Hochgebet lobt und verherrlicht die Gemeinde Gott,

gedenkt seiner Heilstaten (Anamnese) und bittet um die Gegenwart seines Geistes (Epiklese).

In der Kommunion gewinnt sie durch Essen und Trinken Anteil am Leib und Blut Christi – sie wird selbst Leib Christi

Entlassung Versehen mit dem Segen, wird die Gemeinde in den Alltag entlassen,

um durch eine der Eucharistie entsprechende Lebensführung für Gott Zeugnis abzulegen.

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2.4 Die Eröffnungsriten Literatur: Zum Ablauf der Eucharistiefeier vgl. DIE FEIER DER GEMEINDEMESSE. Handausgabe. Auszug aus der authentischen Ausgabe des Meßbuches für die Bistümer des deutschen Sprachraumes, Solothurn u.a. 1995 [enthält das Schema und Texte der Messe gemäß der Liturgiereform des II. Vatikanums, wie es im Meßbuch Papst Paul VI. von 1970 niedergelegt ist; im Folgenden: Meßbuch] Zur Eröffnung gehören: a) Der Akt des Sich-Versammelns • Versammlung der Gemeinde, Einzug des Vorstehers, Gesang • Das Kreuzzeichen • Der liturgische Gruß: Der Herr sei mit euch – und mit deinem Geiste • Eventuell: kurze Einführung in die Feier • Schuldbekenntnis/Bußritus b) Gemeinsamer Akt der Anbetung • Akklamation: Kyrie Eleison • Hymnus: Gloria • Tagesgebet 2.4.1 Zu a): Der Akt des Sich-Versammelns Kirche ist Gottesdienstgemeinschaft. Wenn die Gemeinde zusammenkommt, entsteht Kirche = ecclesia (die Herausgerufene). Menschen werden aus ihren unterschiedlichen Lebenskontexten zusammengerufen, sie treten zusammen als Gottesdienstgemeinschaft, d.h. als Kirche. Jede Versammlung zum Gottesdienst ist ein „Exodus“ aus den gewohnten Lebensverhältnissen hinein in die Welt, in der Gott gedient wird (Was bedeutet in diesem Zusammenhang das Glockenläuten?). Dies wird durch das Kreuzzeichen ausgedrückt: Die Gemeinde versammelt sich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Indem die Gemeinde zusammentritt (Συνάγειν), steht sie in der Tradition der Synagoge. Hier ist das Herausgeführtwerden das zentrale Motiv. E. Peterson hat aber darauf hingewiesen, dass der Begriff εκκλησία auch Bedeutungsgehalte aus der griechischen Polis aufgenommen hat.

„Die profane εκκλησία ist bekanntlich eine Institution der πόλις. Es ist die zum Vollzug von Rechtsakten zusammentretende Versammlung der Vollbürger einer πόλις. Man könnte in analoger Weise die christliche εκκλησία die zum Vollzug bestimmter Kulthandlungen zusammentretende Versammlung der Vollbürger der Himmelsstadt nennen. Der Kult, den sie feiert, ist öffentlicher Kult, keine Mysterienfeier, und er ist eine pflichtmäßige Leistung, eine λειτουργία, und nicht eine vom freiwilligen Ermessen abhängige Initiation. In dem öffentlich-rechtlichen Charakter des christlichen Gottesdienstes spiegelt sich wider, daß die Kirche politischen Gebilden wie Reich und πόλις weit näher steht als den Freiwilligkeitsverbänden und Vereinen.“ (E. Peterson, Die Kirche, in: ders., Theologische Traktate, Ausgewählte Schriften I, hg. von B. Nichtweiß, Würzburg 1994, 253.

Was besagt dies für den Unterschied zwischen jüdischem und christlichem Gottesdienst? Das Kreuzzeichen markiert den Übergang in den Herrschaftsbereich Gottes. Zugleich ist es eine Wiederaufnahme der Taufformel, also eine Taufanamnese. Es definiert den Kreis derjenigen, die an dem Gottesdienst teilnehmen dürfen, nämlich die Getauften. Damit stellt sich die Frage nach der Zulassungsberechtigung zum Gottesdienst bzw. nach der kirchlichen Taufpraxis. Exkurs: Die altkirchliche Taufpraxis und das Problem der Kindertaufe heute Zum Folgenden Meßner aaO. 85-117, 142-149; Kunzler aaO. 398-402 In der vorkonstantinischen Kirche ging der Taufe ein mehrjähriges Katechumenat voraus. Zu unterscheiden ist die Phase der entfernteren Vorbereitung und die nähere Vorbereitung, die mit der österlichen Bußzeit zusammenfällt. Die Katechumenen sollen (nach der „apostolischen Überlieferung“ aus dem 2. Jh.) mindestens drei Jahre lang das Wort Gottes hören. In dieser Zeit dürfen sie nur den Wortgottesdienst besuchen. Im Katechumenat geht es auch um die Änderung der Lebensweise, d.h. um die Befreiung aus der Sphäre des Bösen. Das Katechumenat war mit mehreren Exorzismen verbunden (Exorzismus = Austreibung des Bösen, damit es dem Anbruch des Reiches Gottes nicht im

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Wege steht, vgl. Lk 11,20: Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen). In der Bußzeit fanden sieben Skrutinien (Prüfungen) der Taufbewerber durch den Bischof statt, die mit Exorzismen und Abrenuntiationen (Widersagungen) verbunden waren. Erst wenn diese bestanden waren, kam es zur Übergabe der Grundtexte des Glaubens („Symbola“), des Glaubensbekenntnisses und des Vaterunsers, die die Bewerber/innen auswendig zu lernen hatten. Im Taufgottesdienst, grundsätzlich in der Osternacht unter Anwesenheit der ganzen Gemeinde, bekannten die Bewerber/innen öffentlich ihren Glauben und widersagten dem Satan. Der Taufe auf den Namen des dreifaltigen Gottes folgte eine Salbung („confirmatio“) durch den Bischof, die als eschatologische Versiegelung verstanden wurde. Danach durften die Neugetauften zum ersten Mal an der Eucharistiefeier teilnehmen (Erstkommunion). Die Taufe mit ihrer Vorbereitung war also als Übergangsritus aus einem Herrschaftsbereich in einen anderen gestaltet. „Für den Christen der Spätantike war die Taufe gewiß der eindrucksvollste und wichtigste Gottesdienst seines Lebens“ (Meßner aaO. 102). Ab den vierten Jh. ändert sich der Taufritus in mehrfacher Hinsicht, und dies hatte Auswirkungen auf das Verständnis der Taufe. Zu nennen ist: • Die bischöfliche Stadtgemeinde geht in die zahlreichen Landgemeinden über; der Zusammenhang

von Taufe und Gemeinde wird undeutlich. Jetzt steht der Priester als Taufspender dem einzelnen Täufling gegenüber.

• Die Taufe wird praktisch ausschließlich Säuglingstaufe, der Zusammenhang von Glaube und Taufe ist nicht mehr gegeben.

• Die Differenz von Kirche und Gesellschaft ist nicht mehr vorhanden; die Taufe bedeutet jetzt Initiation in die Gesellschaft. Der Exorzismus verändert seinen Sinn.

• Durch den Wegfall der Taufvorbereitung wird der Zusammenhang von Änderung des Lebens und Sakrament problematisch.

• Taufe, Erstkommunion und Firmung werden in sinnwidriger Weise auseinandergezogen. • Viele Riten aus der altkirchlichen Taufpraxis werden im Ritus der Kindertaufe zusammengedrängt

und weithin unverständlich. Parallel dazu etabliert sich im Frühmittelalter eine Sakramententheologie, die primär auf die Gültigkeit des Taufakts statt auf die Bedeutung des Vollzugs reflektiert.

Die Liturgiereform des II. Vatikanums hat einige der Ungereimtheiten des früheren Taufritus beseitigt. Es bleibt aber die Problematik der Kindertaufe. Muss nicht heute, nach dem Ende der Einheit von Christentum und Gesellschaft, der Übergang von der Welt zur Kirche wieder stärker markiert werden? Meßner (aaO. 146-148) schlägt vor, dass es drei gleichberechtigte Wege zur Tauf geben soll: • Die Erwachsenentaufe (zusammen mit Firmung und Erstkommunion) als sachliche Norm (was

nicht heißen muss: statistische) Norm; (vgl. auch Kunzler aaO. 410-415); • Die Säuglingstaufe im Fall wirklich fest in der Gemeinde verwurzelter Eltern • Ein gestufter Taufweg, der mit einer liturgischen Feier der Aufnahme des Kindes beginnt und die

eigentliche Taufe erst nach tatsächlich erfolgter Hinführung zum Glauben vollzieht. Drei Konsequenzen legen sich für die Taufpraxis nahe: • Säuglingstaufe ist nicht mehr der Normalfall, sie kann nur unter besonderen Voraussetzungen

gespendet werden. • Das Patenamt ist neu zu definieren. Der Pate/die Patin führt zur Taufe hin! Er/sie ist von der

Gemeinde auszuwählen. • Taufe ist ein Geschehen der Gemeinde; Taufen sollten grundsätzlich im Gemeindegottesdienst

vollzogen werden. In der Begrüßungsformel „Der Herr sei mit euch – und mit deinem Geiste“ (bzw. die im Messbuch angegebenen Alternativen) sprechen sich Vorsteher und Gemeinde gegenseitig die Gegenwart des Herrn in seinem Geist zu; sie konstituieren gleichsam das Kraftfeld des Geistes, in dem sich der Gottesdienst vollzieht. Die Formulierung „und in deinem Geiste“ bezieht sich auf den in der Taufe verliehenen heiligen Geist und hebt hervor, dass der Geist, in dem die Gemeinschaft zusammenkommt, nicht ihr eigenes Produkt ist, sondern Gabe Gottes. Man kann sagen, dass der Vorsteher durch seine Akklamation die Gemeinde als Gemeinde konstituiert und umgekehrt die

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Gemeinde den Vorsteher einsetzt und legitimiert, indem sie ihm den Geist Gottes zuspricht. Die Übersetzung „und auch mit dir“ gibt das nicht wieder! Das „Der Herr sei mit euch“ ist als biblische Grußformel bekannt, vgl. Rut 2,4. Das „und mit deinem Geiste“ ist an die neutestamentlichen Briefschlüsse angelehnt, z.B. „die Gnade des Herrn mit eurem Geist“ in Gal 6,18, Phil 4,23 u.ö. Welche anderen Übersetzungen wären denn für das „et cum spiritu tuo“ möglich? Die kurze (!) Einführung durch den Vorsteher ist nicht noch einmal eine Begrüßung auf die bürgerliche Art, sondern ein geistlicher Impuls zur Meßfeier. Der Eindruck, der Vorsteher sei der Einladende und der Veranstalter, muss vermieden werden! Der Bußakt (gemeinsames Schuldbekenntnis „Ich bekenne Gott dem Allmächtigen...“ mit kollektiver Absolution „Nachlaß, Vergebung und Verzeihung unserer Sünden gewähre uns...“) gehört von der Sache her eigentlich in die Vorbereitung zur Messe, also vor das Dominus vobiscum (so Meßner aaO. 181). Für die Position des Bußakts im Zusammenhang der Eröffnung aber kann man anführen: Erst im Geist sind Menschen fähig, öffentlich vor sich und voreinander ihre Schuld zu bekennen. Diskutiert wird die Ansiedlung des Bußakts zwischen Wortgottesdienst und Eucharistiefeier, nach dem Wort Jesu Mt 5,23 (Versöhnung mit dem Bruder, bevor man die Opfergaben zum Altar bringt). Der Bußakt i erst mit der Liturgiereform an die Stelle der (stillen) priesterlicher Vorbereitungsgebete („Stufengebet“ – Confiteor) getreten, in denen der Zelebrant um Nachlass seiner Sünden betete. Der Bußakt gehört nicht zu den primären Elementen der Eröffnung. In feierlichen Messen, oder wenn zu Beginn der Messe ein Taufgedächtnis steht, kann er wegfallen. 2.4.2 zu b) Gemeinsamer Akt der Anbetung Das Kýrie Eléison steht in der Tradition der vor- und außerchristlichen Akklamationen an den Herrscher, etwa bei einem feierlichen Einzug in die Stadt („adventus“). Die Gemeinde huldigt Christus als ihrem Herrn; vgl. die Thronvision Apk 4,1-11! Das Kyrie ist ein politischer Akt, es besagt die Absage an alle anderen Herren und Herrschaften und die rechtlich verbindliche Bindung an den Herrn Jesus Christus. κύριος ist vom Neuen Testament her Titel für den kosmischen Herrscher Jesus Christus (Röm 10,9; Phil 2,11). Durch diesen Titel wird er ausdrücklich mit Gott verbunden, denn der alttestamentliche Gottesname JHWH/Adonai wird in der LXX mit κύριος wiedergegeben. Durch die griechische Sprache ist das Kyrie als ein sehr alter liturgischer Ruf erkennbar. Durch die Bewahrung der ursprünglichen Form wird eine die Zeiten und Orte übergreifende Tradition bewusst weitergeführt. Etwa um 500 übernahm man in Rom den Kyrieruf aus dem Osten und verband ihn mit Fürbitten. Von daher kommt die in der vorkonziliaren Liturgie noch gebräuchliche dreimalige Wiederholung des dreifachen Rufes. Das Kyrie ist eindeutig an Christus adressiert. Es ist ein Bekenntnis zu seiner Barmherzigkeit und darum nicht im eigentlichen Sinne ein Buß- und Erbarmensruf. Die Verbindung des Kyrie zum Bußakt ist nicht ursprünglich und von der Sache her irreführend, auch wenn sie im Meßbuch (S. 12) so vorgesehen ist. Das Gloria ist ein Hymnus aus der Alten Kirche, der die Huldigung des Kyrie aufnimmt und weiterführt. Auch hierbei handelt es sich um eine Herrscherakklamation, um einen öffentlichen, politischen Akt, in dem Christus als der einzige Herr und Heilige angerufen wird. Der Text greift in den ersten Zeilen auf den Lobgesang der Engel auf dem Felde Lk 2,14 zurück und bringt damit die universale Dimension des Gotteslobs zum Ausdruck. Der weitere Text lässt ansatzweise trinitarisches Denken erkennen. Das Gloria ist neben dem Te Deum und dem Te decet laus einer der wenigen Hymnen der alten Kirche, die dem Hymenverbot des Konzils von Laodicäa (341) – wohl wegen seiner besonderen Würde – nicht zum Opfer gefallen ist (Das Konzil verbot Hymnen, weil in ihnen oft häretische Meinungen vertreten wurden. Tatsächlich enthalten Vorformen des Gloria eine subordinatianische Christologie). Bis zum 12. Jh. kam es nur in Bischofsmessen vor, dann gelangte es über seine Verwendung in der Osternacht auch in die Gemeindemessen.

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Das Tagesgebet ist das erste gemeinsame Gebet der Gemeinde. Es hat drei Elemente: Die Aufforderung zum Gebet (Lasset uns beten), das stille Gebet der einzelnen, und die Zusammenfassung der Gebete in der „Kollekte“ des Vorstehers (daher auch „Kollektengebet“). Sein Zentrum ist das stille Gebet der einzelnen! Die feierliche Form der Oration kommt in der Kollekte neben der besonderen stimmlichen Gestaltung in der festen Struktur und einer eigenen Metrik heraus. Es folgen aufeinander: 1. Die Anrede Gottes (oder Christi), 2. eine relativische Prädikation, 3. das Anliegen, 4. die trinitarische Schlussformel. – Bei der Liturgiereform hat man sich entschlossen, viele der alten Orationen nicht zu übersetzen, sondern neue zu schaffen. 2.5 Der Wortgottesdienst Zum Wortgottesdienst gehören: a) Der Akt der Verkündigung • Schriftlesung aus dem Alten Testament

Akklamation: Wort (des lebendigen) Gottes – Dank sei Gott • Psalm(enlesung) in responsorischer Ausführung • Lesung aus dem Neuen Testament (außer Evangelien)

Akklamation: Wort (des lebendigen) Gottes – Dank sei Gott • Evangelienprozession, begleitet von Alleluja-Akklamation

Evangelium Akklamation an Anfang: Ehre sei dir, o Herr Akklamation am Ende: Lob sei dir, Christus

• Predigt • Glaubensbekenntnis b) Der Akt des Gebets • Allgemeines Gebet (Fürbitten) Es gehört also zum Wortgottesdienst, dass die Gemeinde auf die Verkündigung reagiert. Dies geschieht vor allem durch die Fürbitten (Das Glaubensbekenntnis ist auch als Reaktion zu verstehen; es ist aber sekundär). Wie wir bei Justin gesehen haben, waren schon im 2. Jh. Wortgottesdienst und Eucharistiefeier zu einem einheitlichen Ganzen zusammengewachsen. Für den Wortgottesdienst selbst hatte der jüdische Synagogengottesdienst Vorbildfunktion. Es ist umstritten, ob dies für die Leseordnung gilt. In der Synagoge wird die Tora fortlaufend, eingeteilt in Abschnitte (Paraschen), gelesen; nach der Beendigung beginnt man wieder von vorne (nämlich an Simchat Tora, dem Fest der Torafreude; s.o. 1.1). Der Toralesung wird eine Prophetenlesung (Haftara) in freierer Auswahl zugeordnet. Ist dies das Modell für den christlichen Wortgottesdienst gewesen? Sicher ist aber, dass die Christen die Institution eines Wortgottesdienstes überhaupt, d.h. das Lesen aus Heiliger Schrift als Gottesdienst, von den Juden übernommen haben. Sie haben damit Teil an derer „religiösen Revolution“ (G. Rouwhorst, Jüdischer Einfluss aaO. 80; vgl. auch die Beiträge von A. Gerhards, A. Friedländer und P. Ebenbauer in dem Band Dialog oder Monolog. Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum aaO.) 2.5.1 zu a) Der Akt der Verkündigung Was ist Verkündigung? Verkündigung ist nicht nur das Verlesen interessanter oder erbaulicher Geschichten aus der Vergangenheit, die etwa auch durch andere, geeignetere ersetzt werden könnten. Sondern Verkündigung ist ein Geschehen, durch das die Menschen, die zum Gottesdienst versammelt sind, verwandelt werden. Und zwar wird ihnen eine neue Geschichte zugeordnet. Sie werden ihrer gewöhnlichen, natürlichen, familiären, nationalen etc. Geschichte entnommen und eingefügt in die Geschichte Israels und der Jesusbewegung. Sie bekommen Abraham als ihren Vater und Sara als ihre Mutter im Glauben zugewiesen

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In jedem Gottesdienst macht Gott Gen 12,2, die Verheißung an Abraham, wahr: Ich will dich zu einem großen Volk machen. Ich will dich segnen und deinen Namen groß machen, und du sollst ein Segen sein.“ – Man kann sich also auf Gott verlassen, er steht zu seinem Wort.

So, indem sie sich dessen Geschichte zu eigen machen, werden sie zum Gottesvolk. Dass sie als geborene Heiden, d.h. als Nicht-Juden, der Geschichte Israels zugezählt werden, verdanken sie Christus und der durch ihn geschehenen Erlösung.

Vgl. Eph 2,11-14: „Darum denkt daran, dass ihr, die ihr von Geburt Heiden wart und Unbeschnittene genannt wurdet, von denen, die äußerlich beschnitten sind, dass ihr zu jener Zeit ohne Christus wart, ausgeschlossen vom Bürgerrecht Israels und Fremde außerhalb des Bundes und der Verheißung; daher hattet ihr keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt. Jetzt aber in Christus Jesus seid ihr, die ihr einst Ferne wart, Nahe geworden durch das Blut Christi. Denn er ist unser Friede, der aus beiden [Israel und Völker] eines gemacht hat und den Zaun abgebrochen hat, der dazwischen war, nämlich die Feindschaft. Durch das Opfer seines Leibes...“

Dieses >>aus der Ferne in die Nähe kommen<< vollzieht sich im Wortgottesdienst. Indem die Geschichte Israels aus der Schrift des Alten Bundes vorgelesen wird, die Gemeinde mit Israel zusammen die Psalmen betet, indem dann aus den Briefen und den weiteren nicht-evangelischen Schriften des Neuen Testaments gelesen wird und somit des Anfangs der Gemeinde des Neuen Bundes gedacht wird, indem schließlich das Evangelium vorgetragen wird und damit das in Christus vollzogene Wandlungsgeschehen selbst noch einmal stattfindet, entsteht immer aufs Neue die Gemeinde als Volk des Bundes. Verkündigung ist demgemäß ein anamnetisches Geschehen im Sinne von oben 2.2.2: Es wird 1. der Vergangenheit gedacht (signum rememorativum – der Geschichte Israels und der Kirche und

zugleich der eigenen, natürlichen Geschichte als einer Geschichte „ohne Gott und die Verheißung“, die nunmehr abgelegt wird),

2. das gegenwärtige Gottesvolk gebildet (signum demonstrativum; dieses tritt im Hören der Botschaft, in den Akklamationen und im Fürbittgebet schon gleich in Aktion), und

3. erhält dieses Gottesvolk Anteil an den Verheißungen Gottes (signum prognosticum; diese Zukunft beginnt ja schon, in dem Gott dieses sein Gottesvolk in der Gemeinde schafft).

Die Wandlung, die im Gottesdienst geschieht, hat Gott als ihren Urheber. Denn niemand als Gott kann so etwas bewirken. Darum dankt die Gemeinde Gott nach den Lesungen. Gott handelt durch den anwesenden Christus. Die Gemeinde spricht deshalb Christus in den Akklamationen zum Evangelium unmittelbar an.

Es gehört zu den wesentlichen neuen Erkenntnissen des II. Vatikanums, die Gegenwart Christi in der Messe nicht mehr auf seine Gegenwart in den eucharistischen Gestalten beschränkt zu sehen. Vielmehr heißt es in der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium (=SC) Art. 7, nachdem die Gegenwart Christi in Brot und Wein und in den Sakramenten erwähnt worden ist: „Gegenwärtig ist er in seinem Wort, das er selber spricht, wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen werden.“

Die Geschichte, die der Gemeinde als ihre neue, eigene zugeordnet wird, ist die der biblischen Welt. In ihr herrscht das „biblische Wirklichkeitsverständnis“ (F.-W. Marquardt).

Zwischenbemerkung: Tatsächlich ist es immer so, dass „Welten“ durch die Geschichten entstehen, die von ihnen erzählt werden. Menschen verstehen Wirklichkeit auf verschiedene Weise, erzählen dementsprechend verschiedene Geschichte, und leben deshalb in verschiedenen Welten.

Nach dem biblischen Wirklichkeitsverständnis liegt das Leben und das Glück der Menschen darin, dass sie sich an Gottes Herrlichkeit freuen und darin aufgehen, ihn zu loben. Sie werden dann wie die Engel. In der Welt der Bibel herrscht also nicht der „Kampf ums Dasein“ (Darwin – das ist der Mythos der kapitalistischen Welt) und nicht das Gesetz der Selbsterhaltung. In dieser biblischen Welt zu leben, bedeutet in der Wirklichkeit des Heiligen Geistes zu leben. Verkündigung ist deshalb auch Geschehen des Geistes.

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Vgl. 1Kor 2,12-15, wo Paulus darauf hinweist, dass der Geist Gottes ein anderer ist als der Geist der Welt, und dass der Geist Gottes selbst es ist, der in die geistliche Wirklichkeit einführt: „Wir haben aber nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden. Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selbst von niemandem beurteilt.“

Die gottesdienstliche Realisierung der Verkündigung: Der besondere Charakter der Verkündigung wird durch die Riten verdeutlicht. Die Lesungen werden vom Ambo aus gelesen (von griechisch αναβέινειν, hinaufsteigen: dorthin, wohin man hinaufsteigt). In der Vergangenheit gab es oft noch die Epistelseite und die Evangelienseite. Für die Verkündigung gibt es einen eigenen Dienst: das Amt des Lektors (früher noch eine eigene ‚niedere‘ Weihestufe), des Kantors oder des für die Verkündigung bestimmten Diakons. Der Lektor/die Lektorin stellt seine Stimme für Gottes Wort zur Verfügung! Neben stimmlicher Eignung sollte Vertrautheit mit der Heiligen Schrift und eine intensive Vorbereitung auf den jeweiligen Lesungstext für dieses Amt selbstverständlich sein! Das Evangelium wird mit einer Prozession eingeleitet – es ist die Epiphanie Christi selbst, die hier begangen wird. Mit dem Halleluja-Ruf wird er als der himmlische und eschatologische Herrscher begrüßt.

Vgl. Apk 19,6, den Bericht über die himmlische Hochzeit des Lammes: „Und ich hörte etwas wie eine Stimme einer großen Schar und wie eine Stimme großer Wasser und wie eine Stimme starker Donner, die sprachen: Halleluja!“ Die Gemeinde ruft also das Hallel stellvertretend für die ganze Schöpfung. Zugleich erinnert das –ja in Halleluja den alttestamentlichen Gottesnamen: Es ist der Gott Israels, der in Jesus erschienen ist.

Trägt der Diakon das Evangelium vor, erbittet er vom Zelebranten den Segen. Auch der Priester betet still um die Gnade einer guten Verkündigung. Die Gläubigen bekreuzigen sich auf Stirn, Mund und Brust als Zeichen der Bereitschaft, Gottes Wort zu empfangen. Durch ihre Akklamationen wirken sie am Verkündigungsgeschehen mit. Schließlich werden die Schriftlesungen nicht einfach vorgelesen, sondern – so ist es vorgesehen, kantilliert. d.h. in einem Sington vorgetragen. Durch die Kantillation wird die Außeralltäglichkeit und Feierlichkeit des Vorgangs hervorgehoben. Die Predigt oder Homilie ist notwendig, weil Gottes Wort als Schriftwort vorgetragen wird und somit wieder in die Lebendigkeit der mündlichen Rede zurückgeholt werden muss. Die Predigt soll nicht schöne, ggf. auch theologisch wertvolle Gedanken des Predigers enthalten, sondern die Texte der Lesungen so erschließen, dass sie als Verkündigung verstanden werden können. Das heißt: Die Predigt hat die Geschichte(n) der Lesungen als die Geschichte der Gläubigen aufzuschließen. Die Predigt hat entscheidenden Anteil an dem Wandlungsprozess, den der Wortgottesdienst als ganzer bedeutet. Das Leben der Menschen ist von den Lesungen her zu deuten, nicht umgekehrt! – Weil die Predigt integraler Teil der Verkündigung ist, obliegt sie dem Amt der Verkündigung. Dieses hat in der römisch-katholischen Kirche der geweihte Amtsträger inne Eine „Laienpredigt“ kann es nicht geben, wenn unter „Laie“ jemand verstanden wird, der nicht das Amt der Verkündigung hat. – Eine andere, für die Zukunft der Kirche entscheidende Frage ist, ob und in welcher Weise das Amt der Verkündigung weiter an das Amt des Priesters gekoppelt sein muss. Die Leseordnung Die Liturgiereform hat gemäß SC 51 (...“dass den Gläubigen der Tisch des Wortes reicher bereitet werde“) die Anzahl der im Gottesdienst gelesenen Bibeltexte erheblich erweitert. Bei der Auswahl und Zuordnung der Lesungen unterscheidet man zwischen Bahnlesung (lectio [semi]continua, d.i. der Vortrag eines biblischen Buches vom Anfang bis zum Schluss, wenn auch mit Auslassungen) und der compositio harmonica, d.h. der thematischen Zuordnung der Schriftstellen. Die Ordnung der Sonntagslesungen folgt einem dreijährigen Zyklus (Lesejahre A, B und C), in denen jeweils eines der synoptischen Evangelien in Bahnlesung vorgetragen wird. Dem Evangelium wird die alttestamentliche Perikope thematisch zugeordnet und dieser wiederum der Psalm. Die nicht-evangelische Lesung aus dem NT erfolgt wieder in Bahnlesung. In den thematisch geprägten Zeiten des Kirchenjahrs (Advent, Fastenzeit, Osterzeit) wird auch das Evangelium thematisch ausgewählt.

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Um die Auswahl der Lesungen, vor allem der alttestamentlichen, gibt es einen langdauernden Streit in der Liturgiewissenschaft. Vgl. dazu A. FRANZ (Hg.), STREIT AM TISCH DES WORTES? ZUR DEUTUNG UND BEDEUTUNG DES ALTEN TESTAMENTS UND SEINER VERWENDUNG IN DER LITURGIE, St. Ottilien 1997 (Pietas Liturgica 8)

Exkurs: Der Psalter in der Liturgie der Kirche Der Antwortpsalm (psalmus responsorius), der nach der ersten Lesung vorgetragen wird, ist wohl nicht als „Antwort“ der Gemeinde auf das Gehörte zu verstehen (so aber Kunzler aaO. 330f), sondern als eine eigene Lesung aus dem Buch der Psalmen, die, dem poetischen Charakter der Psalmen gemäß, responsorisch (im Wechsel zwischen Vorbeter/-sänger und Gemeinde) gesprochen wird (so Meßner aaO. 189). Damit enthält der Wortgottesdienst also vier (!) Lesungen, wobei bei der Lesung des Psalm die Gemeinde zusammen mit dem Vorbeter den Dienst des Lektors übernimmt.

Der frühere Name Graduale leitet sich davon ab, dass der Kantor beim Antwortpsalm auf den Stufen (gradus) des Ambo stehen bleiben musste, weil die höchste Stufe dem Evangelium vorbehalten war.

Es stellt sich die Frage, mit welchem Recht und in welchem Sinne die Kirche den Psalter, das Gebetbuch Israels, verwendet.

Vgl. zum Folgenden EGBERT BALLHORN, ZUR PRAGMATIK DES PSALTERS ALS ESCHATOLOGISCHES LEHRBUCH UND IDENTITÄTSBUCH ISRAELS, in: A. Gerhards u.a., Identität durch Gebet aaO., 241-258

Ballhorn führt den Nachweis, dass – unabhängig vom ursprünglichen Sitz im Leben – in der kanonischen Gestalt des Psalters Israel das Subjekt (das >>ich<<) der Psalmen ist, dass keine Einzelgruppe in Israel diese Bezeichnung für sich monopolisieren darf, und dass von Gott nur als dem Gott Israels die Rede ist. – Der Psalter ist nicht nur ein Gebetbuch. Durch Ps 1 wird er literarisch zum Lehrbuch. Er ist Lehrbuch der Tora, und ist selber eine Gestalt der Tora. Durch die Ausrichtung auf Israel insgesamt wird die weisheitliche Erwartung des einzelnen auf die Herstellung der guten Weltordnung eschatologisch transformiert. Das zeigt zumal das Schlusshallel Ps 146-150: - Ps 146: Gott spricht als König Recht! - Ps 147: Er baut Jerusalem als Gemeinde wieder auf - Ps 148: Er führt alle Menschen zum Lob zusammen - Ps 149: Menschenherrschaft und –gewalt werden vernichtet - Ps 150: Alles, was Atem hat, lobe den Herrn! Der Psalter ist also die ganze Bibel in Kurzform: Tora-Weisheit-Prophetie. In Qumran, im Neuen Testament, im rabbinischen Judentum und in der Alten Kirche wurde der Psalter lehrhaft und prophetisch verstanden und entsprechend verwendet/kommentiert. Erst ab dem 5. Jh. finden wir eine Verwendung als Gebetbuch, als „Antwort der Gemeinde“ im Gottesdienst (wohl auch unter Einfluss der benediktinischen Stundengebete). Das bedeutet theologisch: Der Psalter ist ein Buch der Identität Israels. Ihn zu beten bzw. zu rezitieren bedeutet, an der Gottesbeziehung Israels Anteil zu gewinnen (im Sinne von Eph 2, s.o.)! Indem die Kirche die Psalmen als ihre Gebete im Gottesdienst verwendet, bezeichnet sie den Wandel, der sich im Wortgottesdienst vollzieht! Die Kirche deutet den Psalter eschatologisch auf Christus und damit auf sich selber als neues eschatologisches Gottesvolk. Sie nimmt damit die eschatologische Bewegung der Psalmen selbst auf. Dass die Psalmen von Christen anders als von Juden gebetet werden, wird durch die Antiphone, Responsorien und die trinitarische Schlussdoxologie (Ehre sei dem Vater...) angezeigt (diese sind also keineswegs nur schmückendes, besinnliches Beiwerk!). Dies kann aber nicht so verstanden werden, als wenn Israel durch die Kirche als Gottesvolk ersetzt würde (=Substitutionstheorie). Das Glaubensbekenntnis kann als Antwort der Gemeinde auf die Verkündigung aufgefasst werden. Durch das ich glaube (credo) fällt es aber aus dem liturgischen Zusammenhang heraus; das ich verweist auf seinen ursprünglichen Platz in der Taufliturgie. Die eigentliche Antwort der Gemeinde ist erst das eucharistische Hochgebet. Tatsächlich ist das Credo erst im 11. Jh. in die römische Messe aufgenommen worden. Im Hintergrund steht offenbar der Konflikt um den Arianismus: Um die Rechtgläubigkeit gegen die Arianer zu betonen, wurde das

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betont anti-arianische nicaeno-konstantinopolitanische Credo etwa seit dem 5.Jh. im Osten und dann vermehrt seit dem 6. Jh. im Westen (viele Germanenvölker waren arianisch!) liturgisch rezipiert. Man unterscheidet das (kürzere) Apostolische Glaubensbekenntnis und das Nicaeno-Constantinopolitanum. Das Apostolicum geht auf ein römisches Taufbekenntnis im 2. Jh. zurück; der Legende nach wurden seine 12 Artikel von den Aposteln selbst in der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten >>zusammengestellt<< (gr. συµβάλλειν, zusammenwerfen; von daher Symbol). Das Nicaeno-constantinopolitiansische Glaubensbekenntnis geht auf die Konzilien von Nicaia/Nizäa (325) und Konstantinopel (381) zurück; es war das in der Geschichte der Kirche meist gebrauchte (soweit ich ermitteln konnte, wird nur im Deutschen Meßbuch der Gebrauch des Apostolicums gestattet). – Zu den Glaubensbekenntnissen vgl. das Standardwerk von J.N.D. KELLY, ALTCHRISTLICHE GLAUBENSBEKENNTNISSE. GESCHICHTE UND THEOLOGIE, Göttingen ²1993. 2.5.2 zu b) Der Akt des Gebets Das Allgemeine Gebet oder die Fürbitten haben ihren theologischen Ort in der Differenz zwischen der im Gottesdienst bereits vorweggenommenen Vollendung der Gottesgemeinschaft und dem Zustand der Welt, die noch weit hinter diesem Zustand zurück ist. Die Gemeinde betet für die, die nicht im Gottesdienst sind, d.h. für die nicht anwesenden Gemeindemitglieder (die Kranken etc.), für weitere Anliegen der Kirche, für die Regierenden, für das Heil der ganzen Welt, für Menschen in Not (vgl. das Modell in 1Tim 2,1-4). Mit den Fürbitten, die ausdrücklich nicht den Anliegen der Anwesenden gelten, nimmt die Gemeinde ihre priesterliche Funktion, d.h. ihr „allgemeines Priestertum“ wahr, indem sie andere Menschen in ihr Gottesverhältnis hineinnimmt. Sie tritt zusammen mit dem fürbittenden Christus vor Gott und erinnert ihn in Bitte und Klage an die noch ausstehende Erfüllung seine Verheißungen.

Vgl. zum allgemeinen Priestertum 1Petr 2,9: „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis in sein wunderbares Licht.“

Fehlformen der Fürbitten sind: Moralische Appelle, Versuche der Bewusstseinsbildung der Anwesenden, alle Arten von Belehrung und Selbstreflexion. Die beste Formulierung ist: Lasset uns beten für... mit stillem Gebet. 2.6 Die Eucharistiefeier Zur Eucharistiefeier gehören: a) Gabenbereitung

Übertragung der Gaben von Brot und Wein und Wasser auf den Altar Geldkollekte Bereitung des Kelches (Mischung von Wein und Wasser) Segenssprüche über Brot und Kelch Bereitungsgebet des Liturgen (Apologie) Händewaschung Gabengebet

b) Eucharistisches Hochgebet c) Kommunion

Vater unser Friedensgebet und –gruß Brechung (Mischungsritus: Einsenken eines Teils der gebrochenen Hostie in den Kelch) mit Agnus Dei stille Kommunionvorbereitungsgebete Zeigen der gebrochenen Hostie: Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt – Herr ich bin nicht würdig... Kommunion (Spendeformel: Der Leib/das Blut Christi – Amen) Danksagung (stilles Gebet, Danklied) Schlussgebet

Was bisher geschah: Die Gläubigen sind aus ihren Lebensorten heraus in die Kirche zusammengerufen worden und haben sich als Kirche versammelt. Sie haben ihren Herrn begrüßt und ihn in öffentlichen, politischen Akklamationen als Herrn der Welt anerkannt. Der Herrschaftswechsel ist grundsätzlich vollzogen (Eröffnungsteil). – Gott übt seine Herrschaft aus, indem er Menschen an einer Geschichte teilhaben lässt, von der her die Welt anders verstanden werden kann (nämlich nicht mehr als Kampf ums Dasein). Die Gläubigen erkennen und bekennen diese Geschichte als die ihre und sind damit schon ein gutes Stück in das Gottesreich/die Gottesherrschaft hineingelangt. In den

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Fürbitten gedenken sie derer, die noch nicht so weit gelangen konnten (Wortgottesdienst). – In der Eucharistiefeier feiert die Gemeinde ein Fest in Gestalt eines festlichen Mahles. Es ist das Fest, in dem sich das Reich Gottes selbst äußert und vollzieht: festliches, freudiges Zusammensein in Gerechtigkeit, Liebe und Friede, befreit von den Zwängen der Selbsterhaltung, Selbstbehauptung und Konkurrenz. Die Gemeinde kann dieses Fest, gemäß dem Wesen des Gottesreiches, nicht einfach aus sich heraus feiern. Sie ist dazu eingeladen und ermächtigt von Gott durch Jesus Christus im Heiligen Geist. Die Gespräche/Gebete im Zusammenhang des Mahles handeln denn auch davon: Was Gott alles getan hat, um dieses Fest seines Reiches zu ermöglichen (Anamnese); dass er deshalb nie genug gelobt und gepriesen werden kann (Lobpreis); dass die Kirche (aus Juden und Heiden) ohne Jesus von Nazareth zu diesem Reich und Mahl keinen Zugang hätte; dass Gott doch mit der Gegenwart seines Geistes immer bei uns und in der Welt bleiben möge (Epiklese). Eine passende Überschrift für den ganzen Prozess der Eucharistiefeier ist Wandlung. Die Gemeinde wird aus ihrer weltlichen Existenz heraus in die Wirklichkeit des Reiches Gottes hineinverwandelt. Sie gibt also etwas auf, um etwas anderes zu werden. In der Tradition der Kirche hat man diesen Vorgang der Wandlung immer mit dem Begriff des Opfers verbunden: die Eucharistie als Opfer. Wie ist das zu verstehen? Das wird eine Leitfrage beim Durchgang durch die Elemente und Texte der Eucharistiefeier sein. Die Opferthematik ist innerkatholisch wichtig (s.u. den Exkurs zur Eucharistie als Opfer der Kirche): Spätestens seit dem Mittelalter ist die Messe wesentlich und hauptsächlich als Opfer verstanden worden; darin fasste die Kirche in den letzten 1000 Jahren die Heilsbedeutung der Messe zusammen. Heute aber ist der Opferbegriff auch bei Katholiken ganz zurückgetreten – was hat sich da getan? – Und sie ist auch im ökumenischen Kontext wichtig. Luther hat das Verständnis der Messe als Opfer scharf zurückgewiesen und darin den eigentlichen Sündenfall, den Götzendienst der Kirche erblickt. Die Ablehnung des Messopfers ist der Kerngehalt der Reformation.

Luther hatte in seiner Schrift De abroganda missa privata (1522) geschrieben: „Sagt uns, ihr Pfaffen Baals: Wo steht geschrieben, dass die Messe ein Opfer ist, oder wo hat Christus gelehrt, dass man gesegnet Brot und Wein opfern soll? Hört ihr nicht? Christus hat einst sich selbst geopfert, er will von keinem anderen hinfort geopfert werden. Er will, dass man seines Opfern gedenken soll, Wie seid ihr denn so kühn, dass ihr aus dem Gedächtnis ein Opfer macht?“ (WA 8,421-493).

Und in den Schmalkaldischen Artikeln (1537, in Vorbereitung auf ein Konzil) sagt er: „Dieser Artikel von der Messe wird’s ganz und gar sein im Konzil; denn wenn es möglich wäre, dass sie [die Katholischen] alle anderen Artikel nachgeben, so können sie doch diesen Artikel nicht nachgeben. ... Also sind und bleiben wir ewig geschieden und widereinander.“ (zit. nach A. Stock, s.u.)

Ich verzichte an dieser Stelle darauf, die ganze Bedeutungsvielfalt und Problematik des Opferbegriffs zu erörtern. Dazu ist informativ: HANS-JOACHIM HÖHN, SPUREN DER GEWALT. KULTURSOZIOLOGISCHE ANNÄHERUNGEN AN DEN BEGRIFF DES OPFERS, in: A. Gerhards, K. Richter (Hg.), Das Opfer – Biblische Anspruch und liturgische Gestalt, Freiburg 2000 (QD 186), 11-29 Ich frage nur, in welchem Sinn innerhalb der Eucharistie von Opfer die Rede ist. 2.6.1 zu a) Die Gabenbereitung Die Gabenbereitung wurde früher (vor der Liturgiereform) Opferung genannt. Darin zeigt sich schon die Bedeutung der Opferthematik. Wir gehen die einzelnen Elemente der praeparatio donorum schrittweise durch, um zu erkennen, in welchen Sinne hier von Opfer gesprochen werden kann oder nicht. Zum Folgenden: ALEX STOCK, GABENBEREITUNG. ZUR LOGIK DES OPFERS, in: Liturgisches Jahrbuch 53 (2003) 33-51 ♦ Tischgebet Die Gaben werden auf den Altar gebracht. Der Priester spricht:

Gepriesen bist du Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit. Gepriesen bist du Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns den Wein, die Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit.

Diese mit der Liturgiereform neu formulierten Texte sind an die jüdische berachah angelehnt, sie stellten also ein Segens- und Dankgebet für die Gaben des Essens dar (eucharistia ist die griechische Übersetzung des

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jüdischen berachah). Es handelt sich also um ein Tischgebet, ohne eine Beziehung auf Opfer. Sollte die Eucharistie insgesamt nichts anderes sein als ein Tischgebet? ♦ Rekurs auf das alttestamentliche Opfer Der Zelebrant fährt aber fort: ... der menschlichen Arbeit.

Wir bringen dieses Brot vor dein Angesicht... [quem tibi offerimus] Wir bringen diesen Kelch vor dein Angesicht... [quod tibi offerimus]

Auch wenn das lat. offerre im Deutschen mit vor dein Angesicht bringen wiedergegeben wird, scheint die Bedeutung von Opfer noch deutlich durch. Auch im AT kann opfern mit vor dein Angesicht bringen ausgedrückt werden, z.B. Ex 25,30 (zu den Schaubroten): „Auf den Tisch sollst du allzeit Schaubrote vor mein Angesicht hinlegen.“ Hier geht es darum Gott ein Mahl anzubieten. Dies geschieht dann auch in Speiseopfern (vgl. Lev 2 und Lev 24,5-9). Ein Teil des Speiseopfers wird zusammen mit Weihrauch verbrannt „als lieblich duftendes Feueropfer“ für den Herrn, der andere Teil wird von Priestern und Leviten aufgegessen. Aus Sicht der opfernden Israeliten bleibt nichts vom Opfer zurück. Entsprechend verhält es sich beim Normalfall des Tempelopfers, dem tamid. Morgens und abends wird ein Ganzopfer (olah, gr. holocaustum) dargebracht, das zusammen mit dem Weihrauch als eine „Gabe beruhigenden Duftes für den Herrn“ zum Himmel aufsteigt, vgl. Num 28 u. 29. Die duftende Rauchsäule bildet gleichsam eine sinnliche Brücke zwischen Erde und Himmel. Der Meßritus schließt an diese alttestamentlichen Vorbilder mit der (fakultativen) Vorschrift an, die Gaben von Brot und Wein mit Weihrauch zu inzensieren. Dazu heißt es in der Rubrik: „Die auf dem Altar niedergelegten Gaben können inzensiert werden, um zu bezeichnen, dass die Darbringung der Kirche und ihr Gebet wie Weihrauch vor das Angesicht Gottes emporsteigen.“ Mit dem Gebet wie Weihrauch wird auf Ps 141(140),2 angespielt: „Mein Gebet komme wie Weihrauch vor dein Angesicht. Wie ein Abendopfer sei das Erheben meiner Hände.“ Auf der Linie dieser kultkritischen Aussage versteht sich auch das Opfer der Kirche als sinnbildliche Übereignung der Gaben, die für die Hingabe der Feiernden steht. Dieses Darbringungsgebet weist ganz klar in Richtung Opfer. Die Gaben werden Gott dargebracht oder geschenkt, d.h. dem eigenen Gebrauch/Genuss entzogen. Gegenüber dem alttestamentlichen Ritus findet aber die Vernichtung der Gaben nicht statt. Mit dem Opfergestus wird der Charakter der Mahlzeit bzw. die Kontinuität zum Tischgebet zunächst unterbrochen, denn die Gaben sind ja nicht mehr für den Verzehr bestimmt. ♦ Wandlung Worauf zielt diese Darbringung? Das Gebet des Zelebranten fährt fort:

... dein Angesicht, damit es uns das Brot des Lebens werde [ex quo fiet panis vitae] damit er uns der Kelch des Heiles werde [ex quo nobis fiet potus spiritalis]

Die Gaben werden also nicht vernichtet, sondern die Gemeinde möchte sie zurückerlangen – verwandelt! Aus Brot und Wein, natürlichen Nahrungsmitteln, sollen das Brot des Lebens und ein geistiges Getränk werden. Nun ist es von Bedeutung, dass in dem Gebet Gott als der Schöpfer der Welt angerufen wurde, denn das werde bzw., im Lateinischen, das fiet nimmt das es werde ... und es wurde der Schöpfungserzählung wieder auf. Der Schöpfer wird gebeten, das Brot und den Wein neu zu schaffen, umzuschaffen – aus einem Mittel der Daseinserhaltung in ein Brot, das dem Leben wirklich dient, und ein Getränkt, das uns geistig werden lässt. Mit dieser Wandlung ist zugleich ein Rollentausch im Opfervorgang gegeben: „Der Empfänger der Gabe wird zu ihrem Geber, der Geber der Empfänger im Durchgang durch eine Wandlung.“ (Stock aaO. 41). Der Ausdruck Brot des Lebens zitiert Jesu Worte in Joh 6: „Ich bin das Brot des Lebens, das vom Himmel herabgekommen ist“, 6,51. Der Sinnzusammenhang ist hier zum einen Exodus (→Manna, Brot vom Himmel) und zum anderen Selbsthingabe anstelle von Selbstbehauptung: „Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt“, 6,51f. Das Brot, Ausdruck elementarer Selbsterhaltung und Wirtschaftens, wird verwandelt in ein Nahrungsmittel, das nicht mehr aus dem Kampf um knappe Güter hervorgeht (vgl. das Sabbatmotiv in der Exoduserzählung, oben 1.2.6!). Auch die Rede vom Kelch des Heiles bzw. dem geistigen Getränkt (potus spiritalis) hat einen Exoduskontext. Paulus erinnert 1Kor 10,2f an den Zug durch die Wüste und sagt von den Vätern und Müttern, dass „alle dieselbe geistliche Speise aßen und alle denselben geistigen Trank tranken, denn sie tranken aus dem geistigen Felsen, der nachfolgte, der Fels aber war Christus.“ [Das ist typologische Schriftauslegung!] Der Wein gibt also Anteil an der Exoduserfahrung, die immer schon von Christus getragen war und auf ihn hindeutet. So wird also auch das Getränkt in seinem weltlichen Charakter transformiert bzw. transsubstantiiert. Die Übersetzung mit „Kelch des Heiles“ (stammt aus Ps 116) verdunkelt den Zusammenhang mit dem Exodus.

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♦ Die „Apologie“ des Zelebranten Der Priester betet nun leise:

Im Geiste der Demut und mit zerknirschtem Herzen lass uns Aufnahme finden bei dir, Herr, und so werde unser Opfer heute vor deinem Angesicht, dass es dir gefalle.

Es handelt sich um ein seit dem Frühmittelalter übliches Bußgebet des Zelebranten. Interessant ist aber der heilsgeschichtlich-biblische Kontext dieses Gebets. Es stammt aus dem Gebet des Azarias, das dem Gebet der drei Jünglinge im Feuerofen im Buch Daniel vorausgeht (Dan 3,25-40). Der Kontext ist: Israel ist im Exil, und er Beter betrachtet dies als Folge der Schuld und des Versagens der Israeliten. Es gibt keinen Tempel mehr und keine Tempelopfer. Folglich bittet Azarias, das zerknirschte Herz und den demütigen Sinn, also die Einsicht in die Schuld und das Sich-Bekennen zu ihr, als Opfergabe anzunehmen. Es ist dies eigentlich das Opfergebet der Synagoge. Indem der Priester dieses Gebet aufgreift, stellt er den Gottesdienst der Kirche in den Zusammenhang der Überwindung des bloß äußerlichen Kults (Tier- und Speiseopfer), der bereits im AT selbst gegeben ist. Zugleich wird ein Zusammenhang mit dem Sünd- und Schuldopfer am Versöhnungstag (Jom Kippur) hergestellt. Die Gottesdienst feiernde Gemeinde ist eine Gemeinde von Sündern. Sie ist auf Vergebung Gottes angewiesen. Sie hat Gott nichts zu geben, nichts anzubieten, was nicht aus zerknirschtem Herzen käme (und nicht aus dem Überfluss des Besitzens; es handelt sich nicht um Tauschhandel). Der folgende Ritus des Händewaschens vertieft diesen Gedanken. Der Priester spricht dazu leise die Wort aus Ps 51(50),4: „Herr, wasche ab meine Schuld, von meinem Sünden mache mich rein.“ ♦ Die Annahme des Opfers Die Gabenbereitung endet mit einem (nun wieder öffentlichen) Gebet, das (in der lateinischen Fassung) darum bittet, dass das Opfer Gott acceptabile sei, annehmbar.

Betet, Brüder und Schwestern, dass mein und eurer Opfer Gott, dem allmächtigen Vater, gefalle [accepatbile]. – Der Herr nehme das Opfer an aus deinen Händen zum Lob und Ruhme seines Namen, zum Segen für uns und seine ganze heilige Kirche. (Das Meßbuch bietet zwei weitere Fassungen an, die den Begriff Opfer vermeiden)

Der Begriff des akzeptablen Opfers entstammt dem römischen Sakralrecht. „Für die immerzu auf die signa deorum, ihre numina achtenden Römer war die probatio des Opfertiers, vor allem die Prüfung seiner Innereien, der Eingeweideschau, aber auch die Deutung anderer Zeichen beim Opfervorgang durch die haruspices unerläßlich“ (Stock aaO. 45f). Diese Kategorie des Annehmbaren wird nun auf das christliche Messopfer übertragen! Wann aber ist vor Gott ein Opfer akzeptabel? Eine Antwort finden wir im Canon Romanus, dem Ersten Hochgebet (dazu später mehr). Dort heißt es unmittelbar vor dem Einsetzungsbericht:

Schenke, o Gott, diesen Gaben Segen in Fülle und nimm sie zu eigen an. Mache sie zum wahren Opfer im Geiste, das dir wohlgefällt [in der lateinischen Fassung: oblationem adscriptam, ratam, rationabilem, acceptabilem, also ein anerkanntes, gültiges, richtiges und annehmbares Opfer]: zum Leib und Blut deines geliebten Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus.

Das bedeutet also: Das Opfer, das Gott gefällt, besteht nicht in irgendetwas, das wir ihm zu geben hätten. Noch nicht einmal die Schau unserer „Innereien“ (des zerknirschten Herzens) ist das Opfer, das Gott akzeptiert. Die Gaben, die wir Gott geben, werden nur dann zu Segen in Fülle, wenn Gott sie annimmt als Leib und Blut seines geliebten Sohnes. Sie müssen also von ihm verwandelt werden. Sie stehen dann nicht mehr in der Logik des (Opfer-)Tausches und damit in der der Selbsterhaltung, sondern werden zu Geschenk/Gabe/Gnade Gottes, die er uns in seinem geliebten Sohn zukommen lässt. Die Verwandlung betrifft nicht nur eine Veränderung an den Gaben, sondern die Gestalt (die Codierung) des ganzen Vorgangs. Die Gabenbereitung beginnt als Opfer (in alttestamentlicher und sogar römischer Tradition), aber sie endet nicht als Opfer, sondern sie endet als Gabe Gottes an uns. Sie will, soweit es an uns Menschen liegt, Opfer sein, aber sie kommt nicht damit durch, Opfer zu sein, weil Gott dazwischenkommt mit seinen Sohn Jesus Christus. Dabei wird aber der Opfercharakter nicht zerstört oder einfach zurückgewiesen, sondern, wie gesagt, verwandelt. – Das ist katholisch: Die Aufnahme und Annnahme des Religiösen, hier: des urreligiösen Opfergedankens, und dann seine Verwandlung im biblischen Geist. Luther hat wohl dagegen protestiert, weil zu seiner Zeit dieser Vorgang ganz ins Heidnische abgesunken war. Zwei Missverständnisse sind möglich: 1. kann die Verwandlung der Gaben zum Brot des Lebens usw. als Antwort Gottes auf unser Opfern verstanden werden; dann käme die Tauschlogik des Opfers doch

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noch zu ihrem Recht. 2. können Leib und Blut Christi selbst als die Gaben der Kirche angesehen werden. Dann würde Gott die Gaben zwar schenken, die aber dann ganz im Sinne des religiösen Opfers verwendet würden. – Beide Missverständnisse hat es gegeben, vor allem das letztere. Nur eine genaue Analyse der Hochgebete kann zeigen, ob und wo diese Missverständnisse einen Anhalt an den liturgischen Texten haben. ♦ Die Kollekte Auch die Kollekte ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, von der es im Meßbuch heißt:

„Auch die Geldkollekte ist eine solche Gabe [wie Brot und Wein]. Sie soll darum an einem geeigneten Platz im Altarraum niedergestellt werden“ – jedoch nicht auf dem Altar!

Die Geldkollekte deutet auf die neue Art von Ökonomie, die im Umkreis der Gabenbereitung möglich wird, ohne selbst ein Opfer zu sein (dass früher Opfergaben in erheblichem Maße der Finanzierung der Tempel und ihres Personals dienten, ist klar). In der Kollekte gibt man Geld weg, ohne etwas davon zu haben. Das ist sonst in der Geldwirtschaft nicht vorgesehen. Die Kollekte nimmt ein kritisches, irritierendes Verhältnis zum normalen Umgang mit Geld ein. Weiter können wir sagen: Das Opfer, wie es im Gottesdienst der Kirche vorkommt, stellt alle von den Menschen sonst geforderten und gebrachten Opfer (Verkehr, Arbeitsplätze, nationale Sicherheit etc.) in Frage. Die Messe ist ein Opfer, das alle anderen Opfer überflüssig macht und aufhebt. Niemand hat mehr das Recht, von anderen Opfer zu fordern. Die Logik die Art von Rationalität, aus der heraus Opfer gefordert und gebracht werden, hat mit der Messe ein Ende gefunden. Diese Aufhebung aller Opfer in dem einen Opfer, das kein Opfer mehr ist, ist womöglich in dem Vers des Propheten Maleachi gemeint, der seit alters her – seit der Didache (um 90 n.Chr.) – im Zusammenhang mit der Rede von dem Messopfer angeführt wird:

„Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang ist mein Name groß unter den Völkern, und an allen Orten wird meinem Namen ein reines Opfer dargebracht, denn mein Name ist groß unter den Völkern“ (Mal 2,11).

2.6.2 zu b) Das Eucharistische Hochgebet Literatur: Auf die gehaltvollen Ausführungen von R. MEßNER in der EINFÜHRUNG IN DIE LITURGIEWISSENSCHAFT aaO. 196-217 weise ich noch einmal ausdrücklich hin. Ergänzende Informationen bei M. KUNZLER, DIE LITURGIE DER KIRCHE aaO. 352-369. Über diese Standardliteratur dieser Vorlesung hinaus beziehe ich mich hier besonders auf einige Beiträge aus dem Band DAS OPFER – BIBLISCHER ANSPRUCH UND LITURGISCHE GESTALT, hg. von A. GERHARDS und A. BUDDE, Freiburg 2000 (QD 186), und zwar auf H. JORISSEN: Das Verhältnis von Kreuzesopfer und Meßopfer auf dem Konzil von Trient, S. 92-99; R. MEßNER: Unterschiedliche Konzeptionen des Meßopfers im Spiegel von Bedeutung und Deutung der Interzessionen im römischen Canon missae, S. 128-184; A. BUDDE: Die Darbringung im Gedankengang des Eucharistischen Hochgebets. Eine entwicklungsgeschichtliche Skizze, S. 185-202; ferner auf H. J. SCHULZ: Von der ekklesialen Darbringungssymbolik zum konsekratorischen Opfervollzug. Zur Entwicklung des Opferverständnisses der byzantinischen Basileios-Anaphora zu dem der Chrysostomos-Anaphora, S. 203-215. Eine äußerst anregende, wenn auch nicht in allen Punkten unproblematische Auslegung des Hochgebets findet sich in ERIK PETERSON, Von den Engeln [zuerst 1935], in: ERIK PETERSON, AUSGEWÄHLTE WERKE, Bd. 1., hg. von Barbara Nichtweiß, Würzburg 1994, 19-243. ♦ Teilnahme an der himmlischen Festversammlung

Ihr seid zum Berg Zion hinzugetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind; zu Gott, dem Richter aller, zu den Geistern der schon vollendeten Gerechten, zum Mittler eines neuen Bundes, Jesus, und zum Blut der Besprengung, das mächtiger ruft als das Blut Abels. (Hebr 12,22-24)

Was beim Hochgebet geschieht, ist gut von der Theologie des Hebräerbriefes (Kap. 4-109 her zu erfassen. Christus, der wahre Hohepriester, hat sich Gott dargebracht und damit das wahre und wohlgefällige Opfer vollzogen, das die Versöhnung mit Gott bewirkt und alle weiteren Opfer überflüssig macht. Er sitzt nun „zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel“ (8,2). Durch ihn können auch die Gläubigen vor Gott hintreten. In der Eucharistie ereignet sich die Teilnahme der feiernden Gemeinde an der himmlischen Festversammlung, zu der sie durch Christus Zutritt erlangt

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haben. Oder anders gesagt: In der Eucharistiefeier bekommt die Gemeinde Zutritt zum himmlischen Reich Gottes. Die eschatologische Dimension der Eucharistiefeier besteht in der Hoffnung, dass das Reich auch auf Erden Wirklichkeit werde: wie im Himmel so auf Erden. Mit dem Gottesdienst der Gemeinde, der auf Erden stattfindet und bis in den Himmel reicht, ist dazu ein erster Anfang gemacht. ♦ Die Eucharistiefeier als Geschehen Das Hochgebet ist ein Geschehen, an dem verschiedene Akteure beteiligt sind. Es ist nicht nur ein Text, den der Zelebrant abliest! Beteiligt sind: - Christus als der Gastgeber; als der, durch den, mit dem und in dem wir Gott preisen - Gott als der Adressat der Gebete; als der, der gepriesen wird - der Vorsteher, der im Namen der Gemeinde und als ihr Wortführer die Gebete vor Gott trägt - die Gemeinde als das Subjekt des Gebets, die durch Akklamationen auch aktiv beteiligt ist ♦ Die Grundelemente des Eucharistiegebets Es sind drei Elemente, die (in dieser Reihenfolge) in allen eucharistischen Hochgebeten vorkommen:

[MEßNER, EINFÜHRUNG aaO. 383-386, führt beispielhaft die ägyptische Basileios-Anaphora an, die heute noch von den koptischen Christen verwendet wird und in ihren Ursprüngen sehr alt ist. So oder ähnlich könnte in den ersten Zeiten der Kirche gebetet worden sein. Vgl. auch den Beitrag von SCHULZ aaO. Ich gebe im Folgenden jeweils kurze Auszüge.]

- Die Heiligung und Verherrlichung des Namens Gottes „Seiender, Gebieter, Herr, Gott der Wahrheit, der du bist vor den Zeiten und herrschst in Ewigkeit, der du in den Höhen wohnst und auf das Niedrige schaust, der du geschaffen hast den Himmel und die Erde...“

- Die Erzählung von Gottes Heilshandeln (Anamnese) „...Als wir dein Gebot übertraten wegen der Arglist der Schlange und aus dem ewigen Leben herausgefallen und verstoßen waren aus dem Paradies der Wonne, da hast du uns nicht ganz und gar verlassen, sondern uns unablässig heimgesucht durch deine heiligen Propheten...“

- die Bitte um die Gegenwart des göttlichen Geistes in den Gaben von Brot und Wein und damit in der Welt (Epiklese) „Und wir bitten dich und rufen dich an, Menschenfreundlicher, Gütiger, Herr, ... dass durch das Wohlgefallen deiner Güte dein Heiliger Geist auf uns, deine Knechte, und deine vorliegenden Gaben komme und sie heilige und offenbare als das Allerheiligste...“

Zu diesen zentralen Elementen kommt noch die Erinnerung an das letzte Abendmahl Jesu sowie das Gedenken an die Gemeinschaft der Kirche (in den sog. Interzessionen) hinzu.

„Gedenke, Herr, deiner heiligen, einen, katholischen Kirche und schenke ihr Frieden ... und aller, die in Jungfräulichkeit leben und deines ganzen gläubigen Volkes. ... Geruhe noch zu gedenken, Herr, auch derer, die dir von Ewigkeit her gefallen haben: der heiligen Väter, Patriarchen, Apostel, Propheten...“

Alle Hochgebete werden mit einer trinitarischen Doxologie abgeschlossen. „...damit hier wie überall dein allheiliger und hochgeehrter und gepriesener Name verherrlicht und erhöht

und besungen und gepriesen und geheiligt werde, mit Christus Jesus und dem Heiligen Geist“ (Vgl. auch oben die Anaphora der Apostel Addai und Mari!) ♦ Präfation und Sanctus Die Präfation (von lat. praefari: lauter, öffentlicher Vortrag vor dem Adressaten) beginnt mit dem erneuten Zuspruch der Gegenwart der Herrn: Der Herr sei mit euch – Und mit deinem Geiste. Es folgt das „Sursum Corda“: Erhebet die Herzen – wir haben sie beim Herrn. Dies ist die Aufforderung, zur himmlischen Festversammlung hinzuzutreten und am Gotteslob der Engel und Heiligen teilzunehmen. Auf die Aufforderung Lasset uns danken dem Herrn, unserem Gott antwortet die Gemeinde Das ist würdig und recht. Es schließt sich das (im Kirchenjahr wechselnde) Präfationsgebet an, das beginnt mit: Es ist in Wahrheit würdig und recht, billig und heilsam (oder ähnlich). In diesen Worten ist die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens enthalten!!! Niemals hat der Mensch eine größere Würde als dann, wenn er Gott lobt und dankt! Und das ist das Rechte, das Richtige und Heilsame, das, was er tun soll! Er soll das Rechte tun und nicht das (für ihn) Nützliche – dann ist in der Welt alles zum Besten bestellt. Dass die Menschen sich daran nicht halten, ist der Grund für alle Übel in der Welt.

Dazu E. PETERSON, VON DEN ENGELN aaO. 213: „Der Mensch muss zum Lobpreis Gottes im Kultus erst aufgefordert werden. Durch das >>Gratias agamus Domino Deo nostro<< wird er an seine Pflicht erinnert, und durch das >>dignum et iustum est<< bindet er sich feierlich für diesen Dienst. Darum bitten wir ja auch im Vaterunser, daß >>der Name Gottes<< auf Erden >>geheiligt<< werden möge, wie er im

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Himmel – von den Engeln – schon >>geheiligt<< wird. In diesem Faktum, daß die Heiligung Gottes im Lobpreis des Menschen nicht so ursprünglich ist wie der Heilig-Ruf des Engels, gründet der Unterschied zwischen der himmlischen und der irdischen Liturgie.“

Die Präfation leitet über zum Sanctus. Die Gemeinde ist jetzt schon mit dem Lobgesang der himmlischen Heerscharen, der Engel, der Cherubim und Seraphim, vereinigt. Zum Sanctus, den darin aufgenommenen Schriftstellen und der Differenz zur jüdischen Liturgie s.o. zur Anaphora von Addai und Mari. – Mit den „Heerscharen“ oder „Mächten und Gewalten“ (Sábaoth) sind die himmlischen Heere gemeint, vielleicht entthronte heidnische Götter – Die göttliche Herrlichkeit (hebr. kabod, gr. doxa, lat. gloria) breitet sich überall da aus, wo Menschen das Rechte tun (s.o.) und im Vertrauen auf Gottes Bundestreue der Sorge um sich selbst enthoben sind. Indem sie in das angelische Lob der göttlichen Herrlichkeit einstimmen, befinden sie sich in derselben. Zugang zu dieser Herrlichkeit haben Christen durch Christus, deswegen schließt sich (anders als bei den Juden) das Benedictus an das Sanctus an. – Beide Teile des Sanctus werden durch das Hosanna in der Höhe abgeschlossen, eine aramäischer Huldigungsruf (dem Sinn nach wie Kyrie eleison) aus Ps 118, 25f.

PETERSON, Von den Engeln aaO. 212f., hebt die kosmische Dimension des Sanctus hervor: „Daß die Kirche in den also gearteten Sanctus-Ruf der Engel mit einstimmt, bestimmt natürlich das Wesen der Liturgie. Das bedeutet zuerst: der Kultus der Kirche ist nicht die an einen Tempel gebundene Liturgie einer menschlichen Religionsgemeinschaft, sondern ein Kult, der durch den ganzen Kosmos geht, an dem Sonne, Mond und alle Sterne teilnehmen. ... Der Lobpreis der Menschen kommt erst zum Lobpreis der Engel dazu, das besagt, daß der Mensch in der Liturgie nur in einem kosmischen Ganzen gesehen wird und daß er nur aus diesem kosmischen Ganzen heraus handelt.“

Exkurs: Die Eucharistie als Opfer der Kirche Wir müssen noch einmal auf die bereits bei der Gabenbereitung angesprochene Thematik des Opfers zurückkommen. Im „Schott“ (Das Vollständige Römische Meßbuch, 1926) steht als Einleitung zur Präfation:

„Es naht sich nun der Höhepunkt der heiligen Opferfeier, wo Christus unsere irdischen Opfergaben in seinen eigenen Leib und sein eigenes Blut verwandelt und so selber unsere unendlich wertvolle Opfergabe an den himmlischen Vater wird.“

Und vor der Wandlung heißt es: In der Doppelwandlung vollzieht sich nun das heilige Opfer: der verklärte Christus wird unter den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtig als unsere Opfergabe und unser Opferpriester.“

Dogmatische Grundlage dieser Aussagen gibt das Konzil von Trient (1647-1663). Die Konzilsväter haben damals gegen die reformatorische Bestreitung des Meßopfers formuliert: Die Messe ist ein „wahres und eigentliches Opfer“, und zwar als repraesentatio (Darstellung), memoria (Gedächtnis) und applicatio (Zueignung) des Kreuzesopfers Christi. Die Einheit von Kreuzesopfer und Meßopfer kommt in der Identität von Opferndem und Opfergabe zum Ausdruck. Der Unterschied besteht in der „ratio offerendi“: Das Meßopfer ist das Opfer Christi als das Opfer der Kirche durch die Hand des Priesters, und insofern kann man sagen: „Die Kirche opfert Jesus Christus bzw. das Opfer Jesu Christi, um die Heilsfrucht des Kreuzesopfers zu empfangen“ (JORISSEN aaO., 97; vgl. DH 1740ff). Dieses Dogma gibt Antwort auf die Frage: Wie kann das historisch einmalige, vollgenügsame und unwiederholbare Opfer Jesu in der Kirche gegenwärtig werden? Was bewahrt es davor, bloß Geschichte zu sein, von der die Gläubigen hören? Die Antwort wird in der Vereinigung Jesu mit der Kirche gesucht. Die Kirche wird selbst der Leib Christi. Dies geschieht durch die Verwandlung ihrer Opfergaben Wein und Brot, die stellvertretend für ihre Hingabe an Gott stehen. Mit diesem Verständnis des Meßopfers stellen sich aber große theologische Probleme ein: Kann das Opfer Christi wiederholt werden? Kann man sagen, dass die Kirche (durch die Hand des Priesters) Christus opfert? Hat die Kirche etwas, was sie Gott darbringen könnte? Muss Gott immer neu durch Opfer versöhnt werden? Geschichtlich lässt sich sehen: Der Gedanke der Teilnahme an der himmlischen Festversammlung mit seinem eschatologischen Charakter tritt im Mittelalter immer mehr zurück zugunsten des Verständnisses der Messe als Fürbitte. Damit verbindet sich dann der Opfergedanke, der in der Alten Kirche nicht stark ausgeprägt war. Gründe für diese Bedeutungsverlagerung sind: - das archaisch-germanische Verständnis von Opfer im Sinne von Gabe und Gegengabe

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- Stellung der Messe in der Tarifbuße (=für jede Sünde eine bestimmte Buße, z.B. Psalmgebet, Messen lesen lassen). Dies führt zur enormen Vermehrung der Zahl der Messen.

- Lehre vom Reinigungsort, Gebet für die armen Seelen, Seelenmessen Die Kirche der vorkonstantinischen Antike war eine Gruppe abseits der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Sie bezeugte der Gesellschaft gegenüber die andere, himmlische polis und Öffentlichkeit. Die Eucharistie war der Ort, wo sich die Gegengesellschaft als solche erfuhr. Dagegen war die Kirche des Mittelalters mit der Gesellschaft identisch. Die himmlische polis wurde für die Zukunft erwartet. Die Kirche verstand sich als Fürbittgemeinschaft zwischen Himmel (Heiligen) und Erde. Die wirksamste Fürbitte aber war verbunden mit der Vergegenwärtigung des Opfers Christi. So wurde die Messe mehr und mehr als Darbringung des Opfern Christi durch die Kirche verstanden. Der Priester wächst immer mehr in die Rolle eines Repräsentanten Christi hinein. Er vollzieht das Opfer erneut, spricht die Einsetzungsworte. Das Brechen des Brotes wird als Zerbrechen des Leibes Christi gedeutet, das Mischen von Wein und Wasser als Analogie zu Blut und Wasser, die aus der Seite Christi austreten... Der Priester ist jetzt im eigentlichen Sinne Opferpriester, sacerdos, der die für die Gemeinschaft notwendige Opferhandlung ausführt. Dies kann auch ohne Beteiligung der Gemeinde stattfinden (Winkelmessen). Und auch in Gottesdiensten mit Gemeinde ist die Kommunion ganz von der Opferhandlung, die ja ihren Sinn in sich trägt, abgetrennt. – Man sieht, wie über das Opferverständnis, obwohl es zweifellos einen guten biblischen Sinn hat, eine massive Paganisierung des Christentums einsetzt. – Mit diesem nun auch noch antireformatorisch aufgeladenen Begriff von Meßopfer, der gegen Fehldeutung nur unzureichend abgesichert war, ist die Kirche dann in die Neuzeit gegangen. – Heute ist uns dieses Verständnis ganz vergangen, es ist aber nichts Gleichwertiges an die Stelle getreten. ♦ Das Römische Hochgebet/der Canon Romanus Im folgenden sei der Text des Römischen Hochgebetes vollständig wiedergegeben.

CANON MISSÆ

Empfehlung der Opfergaben und Gedächtnis der Kirche Der Priester hebt Augen und Hände himmelwärts, beugt sich dann tief zum Altar nieder und segnet die Opfergaben.

Te igitur Dich, gütiger Vater, bitten wir demütig und flehen zu Dir durch Jesus Christus, Deinen Sohn, unseren Herrn: nimm wohlgefällig an und segne diese + Gaben, diese + Geschenke, diese + heiligen, makellosen Opfergaben. Wir bringen sie Dir dar vor allem für Deine hl. Katholische Kirche: schenke ihr den Frieden auf dem ganzen Erdkreis, behüte, einige und leite sie huldvoll: Deinem Diener, unseren Papst N. , unsern Bischof N. , alle Rechtgläubigen und alle, die den katholischen und apostolischen fördern.

Gedächtnis der Lebenden

Memento Gedenke, Herr, Deiner Diener und Dienerinnen N. und N. (hier betet man mit dem Priester kurz für bestimmte Gläubige) und aller Umstehenden, deren Glauben und Opfergesinnung Du kennst. <Für sie bringen wir dieses Lobopfers dar, und sie selbst opfern es Dir für sich und alle die Ihrigen, damit ihre Seele gerettet und ihre Hoffnung auf Heil und Wohlfahrt gesichert werde; sie weihen Dir, dem ewigen, lebendigen, wahren Gott, ihre Gaben.>

Gedächtnis der Heiligen Der Anfang des folgenden Gebets hat eine eigene Form an Weihnachten, Erscheinung des Herrn, Karsamstag und Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten; ebenso am Gründonnerstag. Von den Heiligen werden mit Namen aufgeführt die allerseligste Jungfrau, die zwölf Apostel und zwölf in der römischen Mutterkirche besonders verehrte Martyrer der ersten vier Jahrhunderte.

Communicantes In heiliger Gemeinschaft ehren wir dabei vor allem da Andenken der glorreichen, allzeit reinen Jungfrau Maria, der Mutter Jesu Christi, unsres Herrn und Gottes <wie auch Deiner hll. Apostel und Blutzeugen Petrus und Paulus, Andreas, Jakobus, Johannes, Thomas, Jakobus, Philippus, Bartholomäus, Matthäus, Simon und Thaddäus; Linus, Kletus, Klemens, Xystus, Kornelius, Cyprianus, Laurentius, Chrysogonus,

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Johannes und Paulus, Kosmas und Damianus,> und aller Deiner Heiligen. Ob ihrer Verdienste und Fürbitten gewähre uns in allem hilfreich Deinen Schutz und Beistand. Durch Christus, unsern Herrn. Amen.

Bitte um Annahme der Opfergaben Das folgende Gebet hat eine eigene Form am Gründonnerstag sowie an Ostern und Pfingsten und in der Messe bei der Weihe eines Bischofs. Der Priester breitet die Hände über das Brot und den Kelch und spricht:

Hanc igitur <> So nimm denn, Herr, wir bitten Dich, diese Opfergabe huldvoll an, die wir, Deine Diener, und Deine ganze Gemeinde Dir darbringen. Leite unsre Tage in Deinem Frieden, bewahre uns gütig vor der ewigen Verdammnis und reihe uns ein in die Schar Deiner Auserwählten. Durch Christus, unsern Herrn. Amen.

Bitte um Verwandlung der Opfergaben Wir treten jetzt in das innerste Heiligtum der Opferfeier, in dem geheimnisvollen Kreis der Wandlungsgebete.

Quam oblationem Diese Opfergabe mache Du, o Gott, wir bitten Dich, huldvoll in jeder Hinsicht zu einer + gesegneten, [bei Dir] + eingetragenen, + gültigen, geistigen und genehmen, damit sie uns werde + Leib und + Blut Deines vielgeliebten Sohnes, unsres Herrn Jesus Christus.

Wandlung In der Doppelwandlung vollzieht sich nun das heilige Opfer: der erklärte Christus wird unter den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtig als unsere Opfergabe und unser Opferpriester. Die getrennten Gestalten deuten hin auf das blutige Sterben am Kreuze.

Verwandlung des Brotes Der Priester nimmt beim Worte «accépit - nahm» die Hostie in seine Hände, schaut auf zum Altarkreuz, segnet noch einmal die Hostie, beugt sich über den Altar und spricht leise die Wandlungsworte. (Ebenso nachher bei der Verwandlung des Weines.)

<> Er nahm am Abend vor seinem Leiden Brot in seine heiligen und ehrwürdigen Hände, erhob die Augen gen Himmel zu Dir, Gott, Seinem allmächtigen Vater, sagte Dank, segnete + es, brach es und gab es Seinen Jüngern mit den Worten: Nehmet hin und esset alle davon: Das ist Mein Leib.

Der Priester beugt vor der konsekrierten Hostie anbetend das Knie, zeigt sie hocherhoben dem Volke und legt sie dann wieder auf den Altar zurück. (Dasselbe tut er nachher mit dem Kelche.) Es folgt die Verwandlung des Weines <> In gleicher Weise nahm Er nach dem Mahle auch diesen wunderbaren Kelch in Seine heiligen und ehrwürdigen Hände, dankte Dir abermals, segnete + ihn und gab ihn Seinen Jüngern mit den Worten: Nehmet hin und trinket alle daraus: Das ist der Kelch Meines Blutes, des neuen und ewigen Bundes – Geheimnis des Glaubens –, das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Tuet dies, sooft ihr s tut, zu Meinem Gedächtnis.

Im Anschluss an die letzten Worte folgt nun das Gedächtnis des Erlösungswerkes Christi Des Erlösungsopfers und Erlösungstriumphes Christi eingedenk, bringen wir Gott dessen verklärten Opferleib als heilige, wohlgefällige Gabe dar. Die folgenden Gebete spricht der Priester mit erhobenen, ausgebreiteten Händen.

Unde et memores Daher sind wir denn eingedenk, Herr, wir Deine Diener, aber auch Dein heiliges Volk, des heilbringenden Leidens, der Auferstehung von den Toten und der glorreichen Himmelsfahrt Deines Sohnes, unsres Herrn Jesus Christus, und bringen so Deiner erhabenen Majestät von Deinen Geschenken und Gaben ein reines + Opfer dar, ein heiliges + Opfer, ein makelloses + Opfer: das heilige + Brot des ewigen Lebens und den Kelch + des immerwährenden Heiles.

Bitte um Annahme des Opfers <> Schaue huldvoll darauf nieder mit gnädigem und mildem Angesichte, und nimm es wohlgefällig an, wie Du einst mit Wohlgefallen aufgenommen hast die Gaben Abels, Deines gerechten Dieners, das Opfer unsres

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Patriarchen Abraham, das heilige Opfer und die makellose Gabe, die Dein Hoherpriester Melchisedech Dir dargebracht hat. Bitte um unsere Einigung mit dem Opfer Christi Tiefgebeugt, die gefalteten Hände auf dem Altare, beginnt der Priester folgendes Gebet, küsst dann den Altar und macht über die heiligen Gestalten und über sich selbst das Kreuzzeichen. Supplices Demütig bitten wir Dich, allmächtiger Gott: Dein hl. Engel möge dieses Opfer zu Deinem himmlischen Altar emportragen vor das Angesicht Deiner göttlichen Majestät. Lass uns alle, die wir gemeinsam von diesem Altare das hochheilige + Fleisch und + Blut Deine Sohnes empfangen, mit allem Gnadesegen des Himmels erfüllt werden. Durch Christus, unsren Herrn. Amen.

Gedächtnis der Toten Auch die Seelen im Fegfeuer gehören zur «Gemeinschaft der Heiligen» und sollen Anteil haben an den Früchten des hl. Meßopfers. Memento etiam Herr, gedenke auch Deiner Diener und Dienerinnen N. und N., die uns mit dem Zeichen des Glaubens vorangegangen und in Frieden entschlafen sind. (Hier betet man mit dem Priester kurz für bestimmte Verstorbene.) <Wir flehen Dich an, Herr: gewähre ihnen und allen, die in Christus ruhen, in Deiner Milde den Ort der Erquickung, des Lichtes und des Friedens. Durch Christus, unsern Herrn. Amen.> Bitte um Gemeinschaft mit den Heiligen Die drei Anfangsworte Nobis quoque pecca tor ibus spricht der Priester etwas lauter und schlägt sich dabei auf die Brust. Nobis quoque Auch uns Sündern, Deinen Dienern, die auf Deine überreiche Barmherzigkeit vertrauen, schenke in Gnaden Anteil und Gemeinschaft mit Deinen hll. Aposteln und Blutzeugen: <mit Johannes, Stephanus, Matthias, Barnabas, Ignatius, Alexander, Marcellinus, Petrus, Felicitas, Perpetua, Agatha, Lucia, Agnes, Cäcilia, Anastasia, und allen Deinen Heiligen. Wäge nicht, wir flehen zu Dir, unser Verdienst, sondern> schenk uns gnädig Verzeihung und nimm uns in ihre Gemeinschaft. Durch Christus, unsern Herrn. Abschluss des Canon (Feierlicher Lobpreis Gottes) Noch einmal kommt in kurzen Worten die erhabene Stellung Christi als Mittler zwischen Gott und den Menschen unter feierlichem Lobpreis Gottes zum Ausdruck. Damit schließt das eucharistische Hochgebet, das mit der Præfatio eingeleitet wurde. Das Volk gibt voll Glauben seine Zustimmung durch lautes, freudiges: «Amen». Der Priester macht ein Kreuzzeichen über die Hostie und den Kelch. Durch Ihn erschaffst Du, Herr, immerfort all diese Gaben, heiligest + , belebst + , segnest + und gewährst sie uns.

Der Priester deckt den Kelch ab, beugt das Knie und macht dann mit der heiligen Hostie fünf Kreuzzeichen. Bei den letzten Worten hebt er den Kelch samt der Hostie etwas in die Höhe. Durch + Ihn und mit + Ihm und in + Ihm wird Dir, Gott + allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen + Geistes, alle Ehre und Verherrlichung. Das folgende wird vom Priester halblaut gesprochen bzw. gesungen. Pr. Von Ewigkeit zu Ewigkeit. M. Amen.

Wir wollen nun den Canon Romanus einmal unter der Fragestellung anschauen, welches Opferverständnis er enthält. Ist das oben als problematisch beschriebene Verständnis der Darbringung des Leibes und Blutes Christi durch die Kirche in diesem Hochgebet wirklich enthalten? Der alte Römische Kanon, der heute das Erste Hochgebet des Römischen Meßbuchs darstellt, geht auf die Zeit des Übergangs vom Griechischen zum Lateinischen in die römische Liturgie zurück, also auf das 4. Jh. Im 7. Jh.

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hat er in etwa zu seiner heutigen Gestalt gefunden. Gegenüber den altkirchlichen Anaphoren ist die Struktur von Lobpreis-Anamnese-Epiklese nicht mehr klar zu erkennen. Zahlreiche Einschübe haben sich dazwischen geschoben, die aus einem anderen theologischen Verständnis stammen – die Messe als Fürbitte, s.o. – stammen. Vom Trienter Konzil bis zum 2. Vatikanum war er das einzige Hochgebet in der katholischen Kirche – Die Abschnitte des Hochgebets werden nach ihren lateinischen Anfangsworten bezeichnet. Die Grundstruktur des Römischen Canons ist die folgende: Darbringung des eschatologischen Lobopfers (Sanctus) – gemeinsam mit der ganzen Kirche aller Orte (Te igitur) und Zeiten (Communicantes) – am himmlischen Altar (Supplices) – wo die eschatologische Lobgemeinschaft der Engel, Apostel und Märtyrer versammelt ist (Nobis quoque). Das offere pro (opfern/darbringen für) im Te igitur und im Memento muss nicht im Sinne von „dieses Opfer darbringen zugunsten von...“ verstanden werden. Vielmehr meint es ursprünglich ein „darbringen stellvertretend für...“. Das Opfer wird in Gemeinschaft mit Nichtanwesenden dargebracht, auch ihrer soll Gott gedenken. Ab dem 4. Jh. wird dann allerdings das offere pro im Sinne von orare pro (beten für) verstanden und damit insgesamt die Messe als Fürbitte und Opferdarbringung für die Seelen der Toten. Muss man sagen, dass nach dem Canon Romanus die Kirche Christi Leib und Blut als Opfergabe darbringt? Die Beantwortung dieser Frage hängt vom Zeitpunkt der Wandlung ab. Ab wann werden Brot und Wein zu Leib und Blut Christi? Was ist mit dem Opfer gemeint, von dem es im Unde et memores heißt:

„So bringen wir aus dem Gaben, die du uns geschenkt hast, dir, dem erhabenen Gott, die reine, heilige und makellose Opfergabe dar: das Brot des Lebens und den Kelch des ewigen Heils

Die Frage kann man engführen: Welcher Abschnitt des Römischen Hochgebets hat die Funktion der Epiklese, also der Bitte um das Herabkommen des Geistes auf die Gaben, wodurch die Wandlung bewirkt wird? Eine ausdrückliche Epiklese kommt im Canon Romanus nicht vor. Traditionell hat man das Quam oblationem als Äquivalent zur Epiklese, nämlich als Wandlungs- bzw. Konsekrationsbitte aufgefasst. Es wird vor dem Einsetzungsbericht gebetet; in diesem Fall wäre das Opfer von Unde et memores wirklich Leib und Blut Christi. Neuere Liturgiewissenschaft (s. den Betrag von BUDDE, aber auch den Betrag von STOCK zur Gabenbereitung) bestreitet aber, dass das Quam oblationem eine Wandlungsbitte ist; es ist vielmehr eine Bitte um die Annahme des Opfers (im Sinne des altrömischen Sakralrechts, s.o. zur Gabenbereitung). Das Äquivalent zur Epiklese ist vielmehr das Supplices! Das aber heißt: Das Opfer, von dem im Unde et memores die Rede ist, ist immer noch Brot und Wein! – Jedenfalls zwingt das 1. Hochgebet nicht dazu, von der Opferung des Leibes und des Blutes Christi durch die Kirche zu reden. Dagegen formuliert das 4. Hochgebet dann ganz affirmativ: „So bringen wir dir seinen Leib und sein Blut dar“. Ich halte das aus den genannten Gründen für hochproblematisch. Zur theologischen Problematik des 4. Hochgebets vgl. auch den Beitrag von GEORG BRAULIK, GOTT FÜR ISRAEL PREISEN. ZUR HEILSPRÄROGATIVE ISRAELS UND ZUM 4. HOCHGEBET, in: Dialog oder Monolog aaO., 223-253. Im Canon Romanus überlagern und durchdringen sich zwei Verständnisse der Eucharistie. Auf einer grundlegenden Ebene finden wir die Eucharistie als himmlisches Lobopfer der Gemeinde, die im Rahmen des Gemeindegottesdienstes vollzogen wird. Auf einer sekundären, später hinzugewachsenen Ebene finden wir das Verständnis als Opfermesse, die für die Anliegen bestimmter Auftraggeber dargebracht wird. Dies verbindet sich dann noch mit der Vorstellung des Opfers für Verstorbene (Seelen- und Totenmessen). Während das Te igitur, Communicantes, Supplices und Nobis quoque wie erwähnt das grundlegende Verständnis als Lobopfer noch bewahrt haben, stehen das Memento, das Memento etiam und auch das Hanc igitur für die sekundäre Bedeutungsebene. Diese Texte sind ursprünglich nicht in der sonntäglichen Gemeindemesse enthalten, sondern stammen aus Votiv- und Totenmessen. Sekundär heißt nicht nebensächlich. Es ist zu überlegen, welche Bedeutung die Messe als Fürbitthandlung heute haben kann. Mir kommt es hier nur darauf an, die beiden Ebenen zu unterscheiden. ♦ Welche Bedeutung hat der Einsetzungsbericht im Hochgebet? Die römische Messe hebt bis heute die Rezitation der Einsetzungsworte sehr hervor (Elevation, Kniebeugen, Läuten der Wandlungsglocke), denn hier sieht man den Ort, wo sich die Wandlung vollzieht und zugleich das Opfer Christi dargebracht wird. Nach diesem Verständnis handelt der

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Priester jetzt „in persona Christi“: Er vollzieht an Christi Stelle, in seiner Rolle die Opferhandlung. Das ganze katholische Verständnis des Priesteramtes hat hier seinen Angelpunkt (und die Krise des priesterlichen Amtes kommt wesentlich vom Wegfall dieses Verständnisses des Opferpriestertums an Christi Stelle her!)! Im Zusammenhang meiner (von Meßner u.a. inspirierten Auslegung) muss die Wandlung nicht mehr auf den Augenblick der Rezitation der Einsetzungsworte beschränkt bzw. eingegrenzt werden. Vielmehr kann man den Einsetzungsbericht als „Vergewisserung der Stiftung“ (Meßner, Einführung 203) verstehen: Die Gemeinde bezieht sich auf Jesu Auftrag „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, dieser Auftrag legitimiert ihr Tun, er gilt aber für die gesamte Eucharistiefeier und nicht nur für die Wiederholung der Worte und Taten Jesu beim Abendmahl. Dementsprechend ist auch die Rezitation der Einsetzungsworte kein Rollenspiel, und der Priester handelt hier nicht „in persona Christi“, sondern als Zelebrant und Vertreter der Gemeinde. ♦ Wie können wir also die Wandlung der Gaben und das Opfer bei der Messe verstehen? Die Kirche bringt Brot und Wein dar. Diese Gaben werden mit hineingenommen in die Bewegung des Gottesdienstes: Sie werden dem eigenen Gebrauch entzogen und dem Lob und Dank des Schöpfers geweiht. Dies ist das Opfer der Kirche. Gott nimmt die Gaben an und wandelt sie um zum Leib und Blut seines seine geliebten Sohnes. Das heißt: Sie werden aus Mitteln zur Selbsterhaltung verwandelt zu Mittel des Lebens aus Gott, wie es Jesus gelebt hat (nämlich in Aufopferung an den Willen des Vaters bis in den Tod hinein). Diese Verwandlung geschieht aber nicht an den Gaben allein. Die Gemeinde selbst wird verwandelt. Aus Menschen, die zuerst um ihre Selbsterhaltung besorgt sind (wie alle anderen Wesen in der Welt), werden Menschen, die aus und für Gott leben und vom Zwang der Selbsterhaltung befreit sind. Man kann sagen: Die Verwandlung der Gaben ist so etwas wie ihre Sabbat-Werdung. So wie Gott nach sechs Tagen des Schaffens am siebten Tage ruhte und so auf die Vollendung der Schöpfung vorauswies, so wird das Dasein aus Selbsterhaltung im Gottesdienst hinüberverwandelt in das Dasein im Reiche Gottes, wo Menschen vom Zwang zur Selbsterhaltung samt seine gewaltsamen Folgen befreit sind (vgl. oben die Bedeutung des Sabbats in der Exoduserzählung). Mit RATZINGER, DER GEIST DER LITURGIE aaO. 74-79 sollte man dennoch die mittelalterliche Betonung der Realpräsenz Jesu in Brot und Wein nicht gering schätzen, und damit auch nicht die Lehre von der Transsubstantiation und alle Fragen, die mit der Aufbewahrung des Sakraments zu tun haben. Die Gegenwart des Reiches Gottes im Gottesdienst ist ja eine eschatologische, sie ist nicht etwas, was die Gemeinde hervorbringt und besitzt, sondern etwas, was ihr von Gott her geschenkt wird. Es wird ihr als Gabe gereicht, nämlich in dem verwandelten Gaben von Brot und Wein, die sie selber dargebracht hat. Zwar zielt die Gabe auf die Verwandlung der ganzen Gemeinde, diese Verwandlung ist aber erst eschatologisch ganz Realität. Die Wirklichkeit der Verwandlung ist nur gegeben in den Elementen von Brot und Wein. Leib und Blut Christi in den Gestalten von Brot und Wein sind ein Zeichen, das bereits realisiert, was es bezeichnet (=Sakrament). ♦ Einige Bemerkungen zu den neuen Hochgebeten Im Zuge der Liturgiereform sind drei weitere Hochgebete entstanden, die für den offiziellen Gebrauch in der katholischen Liturgie zugelassen sind. Das zweite Hochgebet geht im Wesentlichen auf die „Traditio Apostolica“ des Hippolyt von Rom (2. Jh.) zurück. Es hat auswechselbare Präfationen. Das dritte Hochgebet ist eine Umformung des Canon Romanus, ein Versuch, dessen Grundgedanken klarer zum Ausdruck zu bringen. Eine Präfation ist nicht vorgesehen. Das vierte Hochgebet lehnt sich an lehnt sich an alte ostkirchliche Vorbilder an. Auffallend ist die umfangreiche Anamnese, die die ganze Heilsgeschichte umfasst. Die Präfation ist festgelegt und in die Anamnese eingebunden. Die neuen Hochgebete lassen die Struktur von Lobpreis-Anamnese-Epiklese kaum erkennen. Hochgebet zwei und drei haben keine doxologische Strophe am Anfang, Elemente einer Doxologie finden sich nur in den Präfationen. Auch Hochgebet vier hat den Lobpreis ganz in die Präfation übernommen. Problematisch ist auch bei allen Hochgebeten: Sie haben nun alle eine ausdrücklich Wandlungsepiklese vor dem Einsetzungsbericht, so dass der Eindruck entstehen muss, die Wandlung vollziehe sich während des Einsetzungsberichts.

Zweites Hochgebet: „Sende deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie, damit sie uns werden zu Fleisch und Blut deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus.“

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Auch die vorgeschriebene Elevation verstärkt diesen Eindruck. Die Einheit des Hochgebets wird damit undeutlich; der Einsetzungsbericht ist wie eine eigene eucharistische Andacht in der Messe. Nach der Wandlung erfolgt dann noch eine eigene Kommunionepiklese.

Zweites Hochgebet: „Schenke uns Anteil an Christi Leib und Blut und laß uns eins werden durch den Heiligen Geist.“

Hier scheint noch die alte Trennung von Opfermesse und Kommunionmesse durch. Die Gegenwart Christi in den Gestalten scheint von der Kommunion der Gläubigen abgetrennt zu sein. Diesem Missverständnis ist zu wehren! 2.6.3 zu c) Die Kommunion Kommunion (κοινωνία) bedeutet Gemeinschaft durch Teilhabe. Die Gemeinde ist durch die Teilhabe an Jesus zur Gemeinschaft geworden, wie sie es sonst nie geworden wäre. Sie lebt nach einem anderen Gesetz als die übrige Welt, denn für sie gilt nicht mehr >>Leben = die der Vergänglichkeit abgetrotzte, mit Selbsterhaltung erfüllt Zeit<<. Vielmehr kommt das Leben der Gemeinde ja aus der Gemeinschaft mit dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus. Nun, bei der Kommunion, feiert sie ihr neues, verwandeltes Leben. „Kommunion“ ist also ein Geschehen der ganzen Gemeinde und meint nicht zuerst die persönliche Begegnung der einzelnen mit dem Herrn. Die wesentlichen, unverzichtbaren Elemente des Kommunionteils sind die Brotbrechung und die Kommunion selbst. Vaterunser und Friedensgruß sind sekundär und können bei einer einfachen Messe entfallen. ♦ Das Vaterunser Seit dem 4.Jh. findet sich das Vaterunser in der römischen Eucharistie. Es gehört nicht mehr zum Kanon sondern ist Kommunionvorbereitungsgebet, also Tischgebet. Es ist wohl wegen der Brotbitte oder auch wegen der Bitte um Schuldvergebung an diese Stelle gesetzt worden. Zum Vaterunser als jüdischem Gebet vgl. den Beitrag von KARLHEINZ MÜLLER, DAS VATERUNSER ALS JÜDISCHES GEBET, in: .... In der Vorlesung wird dieser Aufsatz von Helena... referiert. Es verdient sehr hervorgehoben zu werden, dass Christen im Gebet des Herrn so eng mit Israel verbunden sind! Hier wird so recht deutlich: Jesus ist der Messias darin, dass er die Völker in die Gemeinschaft mit Israel führt. Zum Verständnis des Vaterunser: Die ersten drei Bitten genügen eigentlich. Wenn Gottes Name (den wir als Vater im Himmel ansprechen dürfen, der also mit den himmlischen Mächten schon ins Reine gekommen ist, so dass sie uns nicht mehr an der Gemeinschaft mit Gott hindern) geheiligt wird (das heißt: geehrt und gelobt und von anderen Namen des Göttlichen unterschieden!), dann kommt unfehlbar sein Reich, und in diesem Reich geschieht sein Wille (wie ja immer im Reich eines Königs oder Herrn dessen Wille und Gesetz geschieht). Das Gebet geht schon in der Anrede davon aus, dass Gottes Wille im Himmel bereits geschieht (vielleicht ist dies die Initialeinsicht Jesu, vgl. Lk 10,18: Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen...), so dass nur noch zu erbitten bleibt, dass sein Wille nun auch noch auf Erden geschehe. – Mit diesen drei Bitten könnte es sein Bewenden haben (so wie es auch mit dem ersten Gebot sein Bewenden haben könnte). Da aber auf Erden noch längst nicht Gottes Wille geschieht, sein Name auch nicht überall geheiligt wird (auch von Christen nicht), dementsprechend sein Reich noch nicht vollständig gekommen ist, sind noch die anderen Bitten notwendig (wie die anderen Gebote nur deshalb da sind, weil das erste nicht gehalten wird). Es sind die Bitten um das tägliche Brot bzw. darum, dass nicht die einen auf Kosten anderer mehr als das tägliche Brot sich nehmen (die biblische Manna-Lektion: wenn alle nur für den Tag nehmen, ist für alle genug da), die Bitte um Schuldenvergebung (zu welch schwieriger Handlung wir dadurch ermutigt werden, dass Gott uns unsere Schuld vergibt, wie wir bitten), die Bitte um Bewahrung vor Versuchung (das Böse kommt nie als rein und hässlich Böses, es kommt immer in Gestalt der Versuchung – z.B. zum billigen Preis) und damit überhaupt um Erlösung von dem Bösen, das noch sein Unwesen treiben kann, solange die ersten Bitten nicht erfüllt sind. Die Doxologie Denn dein ist das Reich..., die nach dem Embolismus (=Einfügung, Einlage) des Priesters gesprochen wird, schließt schon in der Didache (1./2. Jh.) das Vaterunser ab; einige frühe Zeugen von Mt 6,13 haben sie auch. Da die Kirchen der Reformation die Doxologie immer schon mitgebetet haben, erweckte ihre Einfügung in die katholische Messe bei der Liturgiereform bei manchen den Eindruck einer protestantischen Übernahme. Es handelt sich aber um ein uraltes Stück. ♦ Der Friedensgruß, früher mit Friedenskuß verbunden, ist liturgisches Urgestein. Er wird schon von Justin bezeugt. Seine Bedeutung erschließt sich leicht, gleich ob man ihn als Abschlussritus des Hochgebets oder als Ritus der Kommunion versteht. Während der Kapitalismus die Menschen nur als Feinde oder Konkurrenten ansieht

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(Hobbes: homo homini lupus), ist diese Auffassung durch die Eucharistiefeier überwunden. Erst wenn Leben etwas anderes ist als Kampf um knappe Güter, kann man wirklich Frieden halten. ♦ Brechen des Brotes, Agnus Dei und Mischungsritus Das Brotbrechen, im NT auch Bezeichnung für die Eucharistie, geht auf 1Kor 10,16f zurück:

Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wie brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn ein Brot ist’s: So sind wir viele ein Leib, weil wir alle an einem Brot teilhaben.

Paulus beschreibt also die Bildung der Gemeinde als Leib Christi in der Teilhabe an Jesus, dem Gekreuzigten, wie das in dem zur Mahlzeit gehörenden Brechen des Brotes sinnfällig zum Ausdruck kommt.

In der alten Kirche wurde an dieser Stelle das gesamte in der Kommunion verwendete Brot gebrochen. Währenddessen wurde das Agnus Dei (Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, erbarme sich unser) gesungen, ein Gesang aus Syrien, den Papst Sergius I. (687-701) einführte. Mit dem Aufkommen der Hostien verlor das Agnus Dei seine Funktion und wurde sodann auf den Friedensgruß bezogen. Deshalb ist bei der letzten Wiederholung nun die Bitte dona nobis pacem (gib uns deinen Frieden) eingefügt. Der Mischungsritus – ein Stück der Hostie wird in den Wein getaucht – hat seinen Ursprung im altrömischen Gottesdienst: der Bischof gab ein Stück der Brotkommunion in den Kelch, in dem sich noch Reste der letzten Eucharistiefeier befanden, und er sandte Stücke der Brotkommunion zu den sieben Kardinalkirchen, die dort in den Kelch getaucht wurden. So wurde die zeitliche und räumliche Einheit der Eucharistie dargestellt. – Spätere Deutung: der Wein wird durch die Berührung mit dem konsekrierten Brot auch konsekriert; von daher im MA die Bezeichnung consecratio. – Symbolische Deutung auf die Auferstehung: Leib und Blut verbinden sich. ♦ Die Kommunion Im Zuge eines auf die Opferdarbringung verengten Verständnisses der Messe waren bis weit ins 20. Jh. hinein Opfer und Kommunion getrennt und sehr seltener Kommunionempfang üblich. Es gab auch die Austeilung der Kommunion außerhalb der Messe. Das Modell dafür war die Krankenkommunion. Von daher wurden bis zur Liturgiereform als Vorbereitung auf die Kommunion Schuldbekenntnis und Bußgebete gesprochen. Spendung der Kommunion: Der Zelebrant zeigt das eucharistische Brot und lädt ein mit Joh 1,29. Die Gemeinde antwortet mit Mt 8,8. Der Zelebrant kann noch Apk 19,9 hinzufügen. – Die Spendeformel „Der Leib/das Blut Christi“ stammt (später oft erweitert) aus der alten Kirche. Sie ist als Frage nach dem Glauben des Kommunizierenden zu verstehen, die Antwort lautet deshalb „Amen“. Es ist vorgesehen, dass der Priester zuerst kommuniziert. Dies soll ausdrücken, dass er nicht Gastgeber ist sondern auch Geladener. Doch kann dies mit heutigem Empfinden in Konflikt geraten. Eindeutiger wäre, wenn auch der Priester die Kommunion empfängt und sich nicht selber gibt. – Es widerspricht der Einheit der Eucharistie, wenn die Hostien aus dem Tabernakel geholt werden. Dies ist eine Sitte, die aus der früheren Verbindung von Kommunion und Krankenkommunion kommt. – Der Wegfall der Kelchkommunion ist ein schwerwiegender Mangel der katholischen Eucharistiefeier. Mit Recht haben die Reformatoren seit Jan Hus dagegen protestiert. Die von den Theologen entwickelte Konkomitanzlehre – Christus in beiden Gestalten ganz gegenwärtig – wiegt nicht auf, dass der Wein für die eschatologische Freude im Gottesreich steht, die nach katholischem Ritus des Gläubigen vorenthalten und nur den Priestern zuerkannt wird.

Die Kommunion schließt mit einem Schlussgebet ab, das Postcommunio genannt wird und den Charakter eines Dankgebetes hat.

♦ Die Entlassungsriten Sie bilden das Pendant zu den Eröffnungsriten (2.1) und bilden insofern einen eigenen Teil der Feier. Da sie jedoch sehr schlicht sind, hänge ich sie hier an. Vor der Segensformel erfolgen in der Regel die Verlautbarungen. Man kann darüber streiten, ob dies der günstigste Zeitpunkt ist. Der Segen steht am Übergang zwischen der Eucharistiefeier, d.h. dem Anfang mit dem Gottesreich, und der Alltagswelt. Er gibt die Kraft, aus die Eucharistie nun auch im Alltag zu leben. Die klassisch-biblische Form des Segens findet sich in Num 6,24-26, dem „aaronitischen Segen“.

Der Herr segne und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und sei dir gnädig.

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(Diesen Segen „dürfen“ auch Laien spenden, während der trinitarische Schlusssegen der Messe den Priestern vorbehalten ist.) Zu einer Theologie des Segens wäre viel zu sagen. Mit dem Segen – gleich ob im zwischenmenschlichen oder im von Gott erbetenen Segen - wird die Welt als Ort der Fülle und der Freude gesehen, nicht als Ort des Mangels und des Kampfes. Der Schlusssegen der Messe lässt auf die Welt das Licht des Gottesreiches fallen. Zum Segen vgl. den schönen Abschnitt in R. GUARDINIs DER HERR. BETRACHTUNGEN ÜBER DIE PERSON UND DAS LEBEN JESU CHRISTI, Vierter Teil, XI. Der Entlassungsruf „Gehet hin in Frieden – Dank sei Gott dem Herrn“ markiert das offizielle Ende der Feier. Die Grenze und Unterscheidung zwischen Eucharistiezeit und Weltzeit wird klar angegeben. Von dem lateinischen Ite missa est (missa hier gleich Entlassung) hat die Messe ihren Namen. 2.7 Die Eucharistiefeier als Exorzismus Die Messe ist Anfang des Gottesreiches und damit immer auch eine Manifestation gegen die widergöttlichen Mächte, Gewalten und Dämonen. Die Codierung der Messe ist zweiwertig: für Gott – gegen die widergöttlichen Mächte. In jeder Messe findet ein Kampf statt, der zugunsten Gottes ausgeht. – Es lohnt sich, die Messe aus der Perspektive der widergöttlichen Mächte und Gewalten (im Folgenden MuG; sie nehmen ja ohne Zweifel daran teil, weil sie an die Messbesucher gekoppelt sind) zu betrachten. Ich greife nur einiges heraus. Lit.: Zum Stand der Forschung über Exorzismus vgl. MANFRED PROPST/KLEMENS RICHTER: EXORZISMUS ODER LITURGIE DER BEFREIUNG VOM BÖSEN, Münster 2002 Das Adiutorium Unsere Hilfe sei im Namen des Herrn... erinnert die MuG schmerzlich an ihre abhängige Stellung als Geschöpfe, sie wollen doch als Götter durchgehen. Der Herr sei mit euch – der Feind, den sie am meisten zu fürchten haben, wird aufgerufen. Sündenbekenntnis: Menschen machen sich ihre Schuld bewusst, stehen öffentlich dazu; die MuG bauen ihre Macht aber auf die nicht bewusste und nicht eingestandene Schuld. Kyrie/Gloria: Proklamation des wahren, einzigen Herrn; die MuG als Herren abgeschafft. Lesungen/Evangelium: Vom ersten (Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde) bis zum letzten Satz (Die Gnade des Herrn sei mit euch allen) Geschichten von der begrenzten Macht der MuG. Dazu von Jesus, gegen den sie schon manche Niederlage einstecken mussten. Fürbitten: Menschen sind jetzt schon so frei von Selbstbezogenheit, dass sie für andere eintreten. Kollekte: Menschen geben einfach Geld weg – was ist denn mit den Gesetzen des Marktes?? Hochgebet: Eine Gemeinschaft entsteht, die nicht mehr auf dem Prinzip der Selbsterhaltung aufbaut. Aber daran klammern sich doch die MuG fest; was soll jetzt aus ihnen werden? Sanctus: Der Herr aller MuG wird angerufen, seine Herrlichkeit gepriesen – der Tiefpunkt! Vaterunser: Menschen bitten allen Ersten um die Heiligung des Namens Gottes, wollen seinen Willen erfüllen. Wenn das wahr wird, können die MuG abdanken. Friedensgruß: Jetzt haben sie schon Frieden miteinander, Zeichen für die Schwäche der MuG. Kommunion: Sie freuen sich und bilden eine Gemeinschaft, wo die MuG einfach keinen Ansatzpunkt mehr finden. Segen: Diese scharfe Waffe werden sie auch weiter gegen die MuG führen. 2.8 Die wirkliche Gegenwart Jesu Christi im Gottesdienst Aus allem Gesagten ist zu entnehmen, was unter dem Glauben an die Realpräsenz zu verstehen ist.

Das Konzil von Trient lehrt: Wer leugnet, dass im Sakrament der heiligsten Eucharistie wahrhaft, wirklich und substanzhaft der Leib und das Blut zusammen mit der Seele und Gottheit unseres Herrn Jesus Christus und daher der ganze Christus enthalten sei, vielmehr sagt, er sei lediglich wie in einem Zeichen bzw. Abbild oder der Wirkkraft nach in ihm: der sei mit dem Anathema belegt. (DH 1651)

Bei den Versuchen der Theologie, dieses Geheimnis des Glaubens zu erklären, stößt man auf das vielleicht aufregendste Stück der menschlichen Denkgeschichte. Die Gegenwart des Gott-Menschen in Brot und Wein! Die Alte Kirche verstand die Gegenwart Christi als Aktualpräsenz. Der erhöhte Christus handelt im Abendmahl, er trägt und bewirkt den Vollzug der Eucharistie. Dazu: JOH. BETZ, DIE EUCHARISTIE IN DER ZEIT DER GRIECHISCHEN VÄTER, Freiburg 1955. – Im Frühmittelalter verändern sich die Verstehensvoraussetzungen. Man fragt jetzt: Wie können Leib und Blut Christi in de Elementen von Brot und Wein gegenwärtig sein? Wir haben es also mit einer sehr verengten Fragestellung zu tun. Das Ergebnis eines jahrhundertelangen Ringens der besten

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Geister heißt: Transsubstantiation. Während die „Akzidentien“ (Form, chemische Zusammensetzung, Nahrungscharakter etc.) unverändert bleiben, ändert sich die Substanz, d.h. das innere Wesen von Brot und Wein. Dazu: H. JORISSEN, DIE ENTFALTUNG DER TRANSSUBSTANTIATIONSLEHRE BIS ZUM BEGINN DER HOCHSCHOLASTIK, Münster 1965. – Gegen die Kritik der Reformatoren (Luther: Konsubstantiation; Calvin: Christus nur im Himmel, dorthin werden wir im Glauben gezogen; Zwingli: nur Trost und Ermutigung für den Glauben) definierte das Konzil von Trient die Transsubstantiation als eine „sehr treffende“ Bezeichnung für die Gegenwart Christi bei der Eucharistie (DH1652). Wichtig ist, dass das Konzil die Eucharistie auch, wie erwähnt, ein wahres und eigentliches Opfer nannte (DH 1751), denn beides gehört zusammen: Nur wenn Christus in Brot und Wein wirklich gegenwärtig ist, kann er auch geopfert werden. Zum Verständnis der Realpräsenz mag es genügen, Folgendes festzuhalten: 1. Christus kann nur gegenwärtig sein, weil er lebt (das unterscheidet seiner Präsenz von dem

Gedächtnis an Verstorbene) 2. Seine Gegenwart erstreckt sich über die gesamte Eucharistiefeier. Sie vollzieht sich in der

Verkündigung. im Gebet, im Lobpreis usw. und ist nicht erst mit der „Wandlung“ gegeben. Sie ist nicht auf die Elemente Brot und Wein beschränkt. Vgl. Mt 18,20.

3. Brot und Wein werden wahrhaft verwandelt. Aus Mitteln der Selbsterhaltung werden sie zu Mitteln eines Lebens, das nicht mehr auf der Selbsterhaltung sondern auf der Heiligung des Namens Gottes beruht. Dies kann man Transsubstantiation nennen.

4. Die Wandlung ist von Gott durch Jesus Christus im Heiligen Geist bewirkt, und zwar so, dass Brot und Wein das werden, was Jesus war und auf ewig ist: Restlose Hingabe für Gott.

5. Indem sich die Gemeinde mit ihren Gaben Brot und Wein identifiziert, sie als Ausdruck ihrer Opfergesinnung darbringt, und Gott dann diese Gaben annimmt als „Leib und Blut seines geliebten Sohnes“, wird die Gemeinde selbst Leib Christi. (Trient hat diesen Zusammenhang durch die Betonung der wahrhaftigen Gegenwart und des wahren Opfers zutreffend zum Ausdruck gebracht)

6. Es ist richtig, mit Gottlieb Söhngen darauf zu verweisen, dass die Gegenwart Christi biblisch zu allererst die Gegenwart seines Geistes ist, der in uns wirkt. (Dazu G. SÖHNGEN, CHRISTI GEGENWART IN GLAUBE UND SAKRAMENT, München 1967, 19-50) Aber es ist auch gut und richtig, mit J. Ratzinger auf der Realpräsenz in den Gestalten von Brot und Wein zu bestehen, denn die Gegenwart Christi ist auch Gottes Gabe an uns und nicht beschränkt auf unseren Glauben und unsere Aufnahmefähigkeit. (Dazu J. RATZINGER, DER GEIST DER LITURGIE aaO. 74-79 und ders., DAS PROBLEM DER TRANSSUBSTANTIATION UND DIE FRAGE NACH DEM SINN DER EUCHARISTIE, in: ThQ 147 (1967) 129-158)

2.9 Die Wandlung in der Eucharistie und das katholische Prinzip der Verwandlung von

Eigennutz in Reich Gottes Was wir bei der Eucharistie gesehen haben, und was der katholische Glaube dazu bekennt, lässt sich zum Grundprinzip der katholischen Art, Gottesreich zu verwirklichen, verallgemeinern. (Ich erinnere an meine Schilderungen von der Romreise). Folgendes Schema soll das verdeutlichen: Eigennutz Gottesdienst Reich Gottes Brot/Wein Eucharistie Kirche als Leib Christi Materielle Selbsterhaltung → sündige Form: Habsucht

Anamnese: Gott hat wunderbar erhalten →

Güte; das Tun des Rechten

Zukunftsvorsorge → sündige Form: Herrschsucht

Epiklese: Gottes Geist soll in der Welt sein →

Gerechtigkeit

Suche nach Anerkennung → sündige Form: Hochmut

Doxologie: Alles zur größeren Ehre Gottes →

Wahrheit

Die erste Zeile benennt die allgemeine Kategorie, die zweite die Form, in der diese im Gottesdienst vorkommen, die weiteren Zeilen differenzieren aus. Auf der rechten Seite wäre jetzt noch zu ergänzen: Schönheit, Würde, Freude – diese kommen noch dazu, wenn sich Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit einstellen.

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Auch die sündigen Formen Habsucht, Herrschsucht und Hochmut können im Gottesdienst vorkommen und verwandelt werden. Denn die verwandelnde Kraft im Gottesdienst ist so groß, dass sie auch sündenvergebend wirkt. In schweren Fällen wird es ohne Bußsakrament nicht gehen.

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