toxische epidermale nekrolyse – mehr mut?

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Editorial 319 Journal compilation © Blackwell Verlag GmbH, Berlin • JDDG • 1610-0379/2010/0805 JDDG | 5 ˙ 2010 (Band 8) Toxische epidermale Nekrolyse – mehr Mut? Matthias Fischer Die toxische epidermale Nekrolyse (TEN) gehört zu den akut lebensbedrohlichen Er- krankungen des Hautorgans. Das eindrucksvolle klinische Bild in Kombination mit einem reduzierten Allgemeinzustand mündet häufig in einem Automatismus, der zu einer Verlegung der betroffenen Patienten in intensivmedizinische Einrichtungen führt. Trotzdem liegt die Letalität der TEN auch weiterhin zwischen 30 % und 50 % [1]. In Abhängigkeit des Schweregrades beträgt die Sterblichkeit für einzelne Unter- gruppen sogar bis zu 90 % [2]. Eine der häufigsten Todesursachen von Patienten mit einer TEN ist eine Sepsis mit septischem Multiorganversagen [3]. Daher sind Kon- zepte, die zu einer verbesserten Prävention von infektiösen Komplikationen führen, von hohem Wert. Hier kommt, neben der Elimination des Auslösers und der spezifi- schen Therapie, der begleitenden Behandlung eine besondere Bedeutung zu. Diesen Aspekt stellen Hanken et al. [4] in ihrer Fallserie zu Patienten mit einer TEN in den Vordergrund. Die Lokal- und Basistherapie von Hauterkrankungen ist eine ureigene Domäne der Dermatologie und unbestrittene Kernkompetenz unseres Fachgebietes. Diese beson- dere Kompetenz tritt bei Patienten mit einer TEN häufig zugunsten der Intensivme- dizin in den Hintergrund. Sicherlich ist die Unterbringung in einer spezialisierten Verbrennungsklinik das wünschenswerte Optimum. Die Realität ist jedoch, dass viele TEN-Patienten auf „normalen“ Intensivstationen behandelt werden. Hierbei besteht das Problem, dass bis zu 30 % aller auf einer Intensivstation behandelten Patienten dort eine Sepsis erwerben [5]. Es ist nahe liegend, dass Patienten mit einer gestörten Hautbarriere, wie sie bei einer TEN in besonderem Maße vorliegt, hier besonders gefährdet sind. Daher kann man anhand der vorgestellten Fallserie von Patienten mit toxischer epidermaler Nekrolyse die Frage aufwerfen, ob Patienten mit TEN von einer entsprechend intensivierten und isolierten Unterbringung auf einer (dermatolo- gischen) Normalstation profitieren können, da sie dort eine qualitativ besonders hochwertige Lokaltherapie erhalten. Die Autoren beschreiben, wie die üblichen und notwendigen Basismaßnahmen wie eine adäquate Lokalbehandlung sowie Infektionsprophylaxe und engmaschige Über- prüfung etwaiger Organfehlfunktionen durchzuführen sind. Dabei darf ein interdis- ziplinärer Behandlungsansatz, der unter anderem auch Ophthalmologen und Schmerztherapeuten mit einbezieht, nicht außer Acht gelassen werden. Bei konse- quenter Umsetzung können viele Patienten mit SJS/TEN-Übergangssyndromen und moderat verlaufenden TEN in den Hautkliniken verbleiben. Dennoch gibt es natür- lich auch weiterhin Fälle, die einer intensivmedizinischen Betreuung bedürfen. Im Allgemeinen wird eine Verlegung auf eine Intensivtherapiestation oder Verbren- nungseinheit empfohlen, wenn mindestens 30 % der Körperoberfläche (KOF) be- troffen sind [6]. Der Umstand, dass in der vorliegenden Arbeit von Hanken et al. [4] unter Beachtung der genannten Basismaßnahmen auch Patienten mit einer betroffenen

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Editorial 319

Journal compilation © Blackwell Verlag GmbH, Berlin • JDDG • 1610-0379/2010/0805 JDDG | 5˙2010 (Band 8)

Toxische epidermale Nekrolyse –mehr Mut?Matthias Fischer

Die toxische epidermale Nekrolyse (TEN) gehört zu den akut lebensbedrohlichen Er-krankungen des Hautorgans. Das eindrucksvolle klinische Bild in Kombination miteinem reduzierten Allgemeinzustand mündet häufig in einem Automatismus, der zueiner Verlegung der betroffenen Patienten in intensivmedizinische Einrichtungenführt. Trotzdem liegt die Letalität der TEN auch weiterhin zwischen 30 % und 50 %[1]. In Abhängigkeit des Schweregrades beträgt die Sterblichkeit für einzelne Unter-gruppen sogar bis zu 90 % [2]. Eine der häufigsten Todesursachen von Patienten miteiner TEN ist eine Sepsis mit septischem Multiorganversagen [3]. Daher sind Kon-zepte, die zu einer verbesserten Prävention von infektiösen Komplikationen führen,von hohem Wert. Hier kommt, neben der Elimination des Auslösers und der spezifi-schen Therapie, der begleitenden Behandlung eine besondere Bedeutung zu. DiesenAspekt stellen Hanken et al. [4] in ihrer Fallserie zu Patienten mit einer TEN in denVordergrund.Die Lokal- und Basistherapie von Hauterkrankungen ist eine ureigene Domäne derDermatologie und unbestrittene Kernkompetenz unseres Fachgebietes. Diese beson-dere Kompetenz tritt bei Patienten mit einer TEN häufig zugunsten der Intensivme-dizin in den Hintergrund. Sicherlich ist die Unterbringung in einer spezialisiertenVerbrennungsklinik das wünschenswerte Optimum. Die Realität ist jedoch, dass vieleTEN-Patienten auf „normalen“ Intensivstationen behandelt werden. Hierbei bestehtdas Problem, dass bis zu 30 % aller auf einer Intensivstation behandelten Patientendort eine Sepsis erwerben [5]. Es ist nahe liegend, dass Patienten mit einer gestörtenHautbarriere, wie sie bei einer TEN in besonderem Maße vorliegt, hier besonders gefährdet sind. Daher kann man anhand der vorgestellten Fallserie von Patienten mittoxischer epidermaler Nekrolyse die Frage aufwerfen, ob Patienten mit TEN von einer entsprechend intensivierten und isolierten Unterbringung auf einer (dermatolo-gischen) Normalstation profitieren können, da sie dort eine qualitativ besondershochwertige Lokaltherapie erhalten.Die Autoren beschreiben, wie die üblichen und notwendigen Basismaßnahmen wieeine adäquate Lokalbehandlung sowie Infektionsprophylaxe und engmaschige Über-prüfung etwaiger Organfehlfunktionen durchzuführen sind. Dabei darf ein interdis-ziplinärer Behandlungsansatz, der unter anderem auch Ophthalmologen undSchmerztherapeuten mit einbezieht, nicht außer Acht gelassen werden. Bei konse-quenter Umsetzung können viele Patienten mit SJS/TEN-Übergangssyndromen undmoderat verlaufenden TEN in den Hautkliniken verbleiben. Dennoch gibt es natür-lich auch weiterhin Fälle, die einer intensivmedizinischen Betreuung bedürfen. ImAllgemeinen wird eine Verlegung auf eine Intensivtherapiestation oder Verbren-nungseinheit empfohlen, wenn mindestens 30 % der Körperoberfläche (KOF) be-troffen sind [6]. Der Umstand, dass in der vorliegenden Arbeit von Hanken et al. [4]unter Beachtung der genannten Basismaßnahmen auch Patienten mit einer betroffenen

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KOF von bis zu 75 % ein positives Outcome hatten, zeigt, dass das Ausmaß des ku-tanen Befalls allein nicht über die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Be-handlungsbedürftigkeit entscheiden muss. Analog zum Prozedere bei Patienten miteinem Systemischen Inflammatorischen Response-Syndrom (SIRS) gilt es jedoch„Triggerpunkte“ zu definieren, die eine Verlegung in eine Verbrennungsein-heit/Intensivstation notwendig machen [7, 8]. Hierzu könnten die Körpertempera-tur, Herz- und Atemfrequenz sowie die Zahl der Leukozyten zählen. Die Definitionderartiger Kriterien sollte Gegenstand weiterführender Untersuchungen sein.Die Bedeutung der allgemeinen Basistherapie von Patienten mit einer TEN wird ins-besondere auch dadurch unterstrichen, dass ein Goldstandard für eine spezifischeTherapie nicht besteht. Die therapeutischen Möglichkeiten haben sich in den letztenJahren zwar erweitert, gleichzeitig verhindern eine schlechte Studienlage sowie wider-sprüchliche Ergebnisse das Zustandekommen einheitlicher Standards. Das Dilemmader spezifischen Therapie der TEN wird durch die Diskussion zur Wirksamkeit undEvidenz intravenöser Immunglobuline (IVIG) in dieser Ausgabe des JDDG unter-strichen. Ihre Applikation wird aufgrund widersprüchlicher Studienergebnisse kon-trovers diskutiert [6]. Die Seltenheit und die Notwendigkeit der raschen Behandlungbehindern die Konzeption aussagekräftiger Studien erheblich. Daher sind weiterhinExpertenmeinungen, Kasuistiken und Studien geringer Evidenz Grundlage der The-rapieentscheidung. So war beispielsweise auch die Gabe von TNF-alpha-Antikörpernzwar in Einzelfällen wirksam [9], kontrollierte Studien liegen bislang jedoch nichtvor. Dennoch sind (kleine) Fortschritte auch in der spezifischen Therapie zu verzeich-nen. So wird die Behandlung mit Glukokortikoiden differenzierter betrachtet alsnoch vor Jahren. Obwohl die langfristige Anwendung mit einer sepsisbedingt erhöh-ten Mortalität einhergeht, scheint die kurzfristige, auch höher dosierte Gabe vonSteroiden den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen [5]. Somit wird auch durchdie bislang fehlenden spezifischen Therapiemöglichkeiten die Bedeutung der Ba-sistherapie mit konsequentem Komplikationsmanagement nochmals bekräftigt.Die Arbeit von Hanken et al. [4] stärkt die Position der Dermatologie in der interdis-ziplinären Versorgung von Patienten mit einer TEN. Die klinische Dermatologiekann hieraus den Schluss ziehen, couragierter unsere Kernkompetenz auch bei inten-sivmedizinischen Fragestellungen einzubringen. Gleichzeitig dürfen das notwendigeAugenmaß und die selbstkritische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten nichtverloren gehen. Wenn diese Gratwanderung gelingt, kann die Versorgung und diePrognose der Patienten mit einer TEN verbessert werden.

PD Dr. med. Matthias Fischer

KorrespondenzanschriftPD Dr. med. Matthias FischerChefarzt der Klinik für Dermatologie und VenerologieHELIOS Klinikum AueGartenstr. 6D-8280 AueTel.: +493771581416Fax: +493771581646E-Mail: [email protected]

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4 Hanken I, Schimmer M, Sander CA.Grundversorgung und medikamentöseBehandlung von Patienten mit toxischepidermaler Nekrolyse. J Dtsch Der-matol Ges 2010; 8: 341–347.

5 Damas P, Ledoux D, Nys M, MonchiM, Weisen P, Beauve B, Preiser JC.ICU-acquired infection and organ fai-lure. Intensive Care Med. 2008; 34:856–864.

6 Mockenhaupt M. Schwere arzneimitte-linduzierte Hautreaktionen: Klinik,Diagnostik und Therapie. J Dtsch Dermatol Ges 2009; 7: 142–160.

7 Brun-Buisson C. The epidemiology ofthe systemic inflammatory response.Intensive Care Med. 2000; 26 Suppl 1:S64–74.

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9 Fischer M., Fiedler E., Marsch W.Ch.,Wohlrab J. Anti-TNF-alpha antibodies(Infliximab) in the treatment of one pa-tient with toxic epidermal necrolysis.Br J Dermatol 2002; 146: 707–709.