TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN‒ Ein Überblick

Dr. med. Thomas Wetzel

Autor und © Dr. Thomas M. Wetzel, Am Obstgarten 6, 88145 Hergatz

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VORWORT Im Praxisalltag werde ich häufig nach Zusammenhängen und Erklärungsansätzen der TCM gefragt. Und natürlich gebe ich mir stets große Mühe, diese Fragen so verständlich wie zufriedenstellend zu beantworten. Und ich werde auch oft gebeten, weiterführende Li-teratur zu empfehlen. Die wirklich guten Werke sind jedoch sehr umfangreich und nicht selten hörte ich, dass man sich eigentlich überfordert fühle. Da ich dieses Gefühl aus den Anfängen meiner eigenen Studien sehr gut nachvollziehen kann, habe ich beschlossen, einen relativ kurzen Abriss zu verfassen, den ich in dieser Form bis dahin nirgendwo finden konnte. Meine Zielsetzung ist, authentische Informationen in möglichst leicht ver-ständlicher Form anzubieten und dabei dennoch die wesentlichen Aspekte anzusprechen. Eine wirklich „leichte Kost“ ist es trotzdem nicht geworden. Das ist schlichtweg auch nicht möglich, weil man in andere Welt des Denkens eintauchen muss.

Ich wünsche Ihnen Freude beim Lesen.

INHALTI. Wesen der Traditionellen Chinesischen Medizin

» Philosophischer Hintergrund › Das Konzept von Yin und Yang › Das Konzept der 5 Wandlungsphasen › Das Konzept von Qi › Die Substanzen des Lebens: Blut, Essenz, Geist, Säfte

» Geschichte der TCM

» Die Ursache von Krankheit › Äußere Ursachen: Die sechs klimatischen Faktoren › Innere Ursachen: Die sieben emotionalen Faktoren › Sonstige Faktoren

» Diagnostische Verfahren › Beobachtung des Patienten › Befragung des Patienten - Anamnese › Pulsdiagnostik › Abtasten von Meridianen und Akupunkturpunkten › Zungendiagnostik

» Therapeutische Methoden › Heilkräuter › Akupunktur - Körperakupunktur, Ohrakupunktur, Akupressur › Ergänzende Behandlung mit Moxibustion › Ergänzende Behandlung mit Schröpfen › Ergänzende Behandlung mit Reizstrom

» Chinesische Ernährungslehre

» Ausbildung in TCM

II. Die TCM in der westlichen Welt

III. Glossar

IV. Bildnachweise

V. Auswahl weiterführender allgemeiner Literatur

VI. Informationen zum Verfasser

WESEN DER TRADITIONELLEN CHINESISCHEN MEDIZIN (TCM)

Han Dynastie, 154 v. Chr., Nordchina: Eine Bäu-erin arbeitet im Frühling auf einem Hirsefeld. Ein bitterkalter Nordwind bläst. Am Nachmittag nach der Arbeit verspürt sie ein Kratzen im Hals, ihre Nase rinnt, sie hustet und hat einen sehr steifen Nacken sowie Kopfschmerzen. Sie besucht den örtlichen Akupunkteur, der das Eindringen von äußerem Wind und Kälte diagnostiziert. Er sticht ein paar Nadeln in die Hände der Bäuerin und setzt Schröpfköpfe auf zwei Punkte im oberen Rückenbereich auf. Die Behandlung bringt inner-halb weniger Stunden eine deutliche Besserung.

1988, London, England:Ein Vermögensverwalter aus der City of London

leidet unter Ängstlichkeit und Schlafstörungen. Er arbeitet täglich viele Stunden unter beträchtli-chem Druck, da er für die Disposition von Fonds im Wert von mehreren Millionen englischer Pfund verantwortlich ist. Ein Arbeitskollege hat sich einmal zur Raucherentwöhnung akupunktie-ren lassen und empfiehlt seinen Akupunkteur. Dieser diagnostiziert eine Leber Qi Stagnation aufgrund des Arbeitsdrucks. Er sticht einige we-nige Nadeln zur Beseitigung des Leber Qi Staus und zur psychischen Beruhigung. Nach einigen Sitzungen im wöchentlichen Abstand zeigt sich eine beträchtliche Besserung der Beschwerden.

Aus: Giovanni Maciocia, die Grundlagen der chinesischen Medizin

Wenn man ein etwas tieferes Verständnis für die Chinesische Medizin bekommen möchte, kommt man um ein paar grundlegende philosophische Betrachtungen nicht herum. Die fernöstlichen

philosophischen Konzepte unterscheiden sich grundsätzlich von unseren westlichen. Wir haben es mit einer anderen Denkweise zu tun. Das macht es nicht gerade einfach, sich darauf einzulassen.

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Das Konzept von Yin und Yang

Das Yin-Yang-Konzept ist wahrscheinlich die wichtigste und unverwechselbare Theorie der Chinesischen Medizin. Man kann sagen, dass alle Lehren der Krankheitserklärung und Krankheits-behandlung letztlich auf Yin und Yang zurückzu-führen sind.

Das Yin-Yang-Konzept ist zusammen mit jenem von Qi elementarer Bestandteil der chinesischen Philosophie. Beide Konzepte unterscheiden sich radikal von allen westlichen philosophischen Ideen. Im Allgemeinen basiert die westliche Logik auf der Darstellung von Gegensätzen und deren Unverein-barkeit. Demgegenüber sind in der chinesischen

Philosophie Gegensätze durchaus miteinander vereinbar. Nach dieser Denkweise entsteht jede Einheit überhaupt erst aus dem Miteinander von Gegensätzen.

Philosophischer Hintergrund

Abbildung: Das Yin und Yang Symbol

Bereits um 700 v. Chr. wurde im Yi-Qing, dem „Buch der Wandlungen“, das Konzept von Yin und Yang erwähnt.Die philosophische Schule, die die Theorie von Yin und Yang zur höchsten Ausfor-mung brachte, heißt Yin-Yang-Schule. Die chinesi-schen Schriftzeichen für Yin und Yang beziehen sich auf die Schatten- und die Sonnenseite eines Hügels.

Die ersten Gedanken zur Wechselbeziehung von Yin und Yang sind wohl aus der Beobachtung des zyklischen Wechsels von Tag und Nacht ent-standen. Demnach entspricht der Tag dem Yang und die Nacht dem Yin. Dies führte zur Beobach-tung des fortwährenden Wandels zweier zyklischer Pole, nämlich zwischen Yang-Phänomenen wie Mit-tag, Licht, Sonne, Helligkeit, Wärme, Aktivität und Yin-Phänomenen wie Nacht, Dunkelheit, Mond, Kälte und Ruhe.

Das gleiche gilt für den Jahreszyklus, indem man für den Morgen Frühling einsetzt, für die Mittagszeit Sommer, für den Abend Herbst und für die Nacht Winter. Die Entwicklung aller Phänomene im Uni-versum ist somit die Folge eines Wechselspieles zweier entgegen gesetzter Stadien. Jedes Phänomen beinhaltet in sich beide Aspekte in unterschiedlicher Ausprägung. Der Tag gehört zum Yang, aber ab Mit-tag beginnt sich das im Yang bereits enthaltene Yin nach und nach zu entfalten, bis um Mitternacht die Zeit des höchsten Yin erreicht ist.

Yin und Yang sind zwar entgegengesetzte Stadien, bilden aber dennoch eine Einheit. Ihre Gegensätz-

lichkeit ist relativ, nicht absolut. Nichts ist gänzlich Yin oder gänzlich Yang. Yin enthält den Keim für Yang und umgekehrt. Obwohl Yin und Yang Ge-gensätze sind, sind sie auch voneinander abhängig und können nicht ohne einander existieren. Es gibt keine Aktivität ohne Ruhe, keine Energie ohne Materie, keine Expansion ohne Kontraktion. Yin und Yang gehen ineinander über: Sommer in den Win-ter, Leben in den Tod, Glück in das Unglück, die Hochstimmung an einem feucht-fröhlichen Abend in die Depression des Katers am nächsten Morgen.

Obwohl Yin und Yang auch Gegensätze sind, ist trotzdem das Eine im Anderen enthalten. Yin und Yang verbrauchen sich gegenseitig. Ein Beispiel aus der Physiologie (Wissenschaft von den Funk-tionen im Organismus) ist heißes Wetter, das heißt, ein Klima mit einem starken Yang-Aspekt. Es kommt zu vermehrtem Schwitzen und damit zum erhöhten Verbrauch des Yin-Aspektes Wasser. Umgekehrt beginnt bei vorherrschendem Yin-Aspekt, nämlich bei Kälte, der Körper zu zittern. Diese Bewegung ist ein Yang-Aspekt und der Versuch, etwas mehr Wärme zu produzieren. Neben dem harmoni-schen Gleichgewichtszustand von Yin und Yang, der immer das Ziel einer Therapie ist, gibt es vier mögliche Ungleichgewichtszustände: Fülle von Yin, Fülle von Yang, Leere von Yin, Leere von Yang. Entsprechend der möglichen Ungleichgewichts-zustände gibt es in der Chinesischen Medizin vier Behandlungsstrategien: Yin nähren, Yang nähren, Yin Fülle beseitigen und Yang Fülle beseitigen.

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