transformation staatlicher industriebetriebe in china: eine organisationstheoretische und...
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TRANSFORMATION STAATLICHER INDUSTRIEBETRIEBE IN CHINA
Dissertation
zur Erlangung des Grades eines Doktors der Wirtschaftswissenschaft der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultat
der Universitat Bayreuth
vorgelegt
von
Diplom-Kaufmann (Univ.) Zhen Huang aus ShanghaiN olksrepublik China
Dekan: Prof. Dr. Volker Emmerich Erstberichterstatter: Prof. Dr. Heymo Bohler Zweitberichterstatter: Prof. Dr. Peter Oberender Tag der mlindlichen Ptiifung: den 24. Mai 2000
Zhen Huang
Transformation staatl icher Industriebetriebe in China Ei ne organ isationstheoretische und fallstudienbasierte Analyse
Mit ei nem Geleitwort von Prof. Dr. Heymo Bohler
Deutscher U niversitiits-Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Huang, Zhen: Transformation staadicher Industriebetriebe in China : eine organisotionstheoretische und follstudienbasierte Analyse I lhen Huang. Mit einem Geleilw. von Heymo BOhler. - 1. AuR .. - Wiesbaden : 01. Univ.-Verl.; Wiesbaden : Gabler, 2001 (Gabler Edition Wissenschaft : Schriften zum europaischen Management) lugl.: Bayreuth, Univ., Diss., 2000
1. AuRage Januar 2001
Aile Rechte vorbehalten
© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Wiesbaden, und Deutscher Universitats-Verlag, wiesbaden GmbH, 2001
Lektorat: Brigitte Siegel / Stefonie Brich
Der Gabler Verlag und der Deutsche Universitats-Verlag sind Unternehmen der Fachverlagsgruppe BertelsmannSpringer.
www.gabler.de www.duv.de
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ISBN-13: 978-3-8244-7332-8 e-ISBN-13: 978-3-322-89648-3 DOl: 10.1007/978-3-322-89648-3
Geleitwort
Ende der 70er Jahre begannen in China politische und wirtschaftliche Reformversuche, die u.a. auch das Ziel verfolgten, in staatlichen Industriebetrieben das Fiihrungsprinzip der staatlich gelenkten planwirtschaftlichen Produktionsadministration durch ein autonomes marktorientiertes Management abzulosen.
Der Verfasser betrachtet diese Transformation vor dem Hintergrund der Theorien zum organisationalen Wandel, wobei er drei Phasen des Wandlungsprozesses unterscheidet: die Phase der organisationalen Triigheit, die Phase der unvollkommenen Transformation und die Phase der konsequenten Neuorientierung. Da das AusmaB der erreichten Transformation sowohl von betriebsextemen Rahmenbedingungen als auch von der betriebsintemen Bereitschaft und Fiihigkeit abhiingt, entwickelt Zhen Huang einen theoretischen Bezugsrahmen, der es erlaubt, sowohl die Entwicklung des Kontextes der Staatsbetriebe als auch die strategischen und operativen MaBnahmen in den Betrieben im Zeitablauf empirisch zu erfassen.
Anhand umfangreicher sekundiirstatistischer Analysen und mit Hilfe von Expertengespriichen in den betroffenen Staatsbetrieben werden zwei Fallstudien priisentiert, die sich auf typische GroBbetriebe im Shanghaier Industriesektor beziehen. Die Fallstudien zeigen, dass die Transformation in China - sowohl auf der volkswirtschaftlichen als auch auf der betrieblichen Ebene - nur graduell erfolgte. Folgerichtig findet man in chinesischen Staatsbetrieben ein Hybridmodell der Fiihrung, das sowohl plan- als auch marktwirtschaftliche Elemente enthiilt. Letztendlich scheitert eine konsequent marktwirtschaftliche Orientierung der Betriebe an den inkonsistenten politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als auch an den mangelnden Fiihigkeiten des Managements.
Zhen Huang als profunder Kenner der Materie entwickelt daraufhin eine Reihe von VorschHigen zur Erhohung des Transformationsdrucks auf die Betriebe als auch zur Verbesserung der Motivation und Qualifikation des Managements.
Dieses Buch ist flir aile Wissenschaftler und Praktiker sehr empfehlenswert, die sich mit dem Problem der Transformation von Volkswirtschaften und Betrieben befassen. Es wendet sich hierbei konkret an Organisations-, Personal- und Marketingwissenschaftler sowie insbesondere an Untemehmensberater.
Heymo Bohler
v
Vorwort des Verfassers
Die Systemtransformation seit Ende der siebziger Jahre hat tiefgreifende Veranderungen in der Volksrepublik China ausgelost. Wahrend sich die meisten Autoren im Westen mit der Transformation auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene in China befassen, handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit urn den Versuch, Transformationsprozesse auf der einzelwirtschaftlichen bzw. betrieblichen Ebene zu beschreiben und zu analysieren.
Im Fokus der Untersuchung stehen die Fragen, ob chinesische Staatsbetriebe tatsachlich Fortschritte im Wandlungsprozess von der ehemals planwirtschaftlich orientierten zu einer marktwirtschaftlich orientierten Untemehmensfiihrung erzielt haben, welche Hindemisse bzw. Probleme betriebliche Transformation in China erschweren bzw. blockieren und welche konzeptionellen Ansatze zur Beschleunigung der betrieblichen Transformation in China zu empfehlen sind.
Betriebliche Transformation wird in dieser Arbeit als eine besondere Variante der Organisations- bzw. Untemehmenstransformation (corporate transformation) betrachtet. Als theoretische Basis der Arbeit werden deshalb die Ansatze in der Literatur zur Beschreibung und ErkJarung der Organisationstransformation herangezogen. Neben der theoretischen Analyse wird versucht, den Prozess der betrieblichen Transformation in China und die damit verbundenen Probleme mit Daten von zwei staatlichen GroBbetrieben in Shanghai qualitativempirisch zu untersuchen. Die Ergebnisse der Fallstudien werden durch eine Reihe von Interviews mit Experten aus der Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung der Stadt Shanghai verifiziert und erganzt.
Die Ergebnisse der Untersuchung machen deutlich, dass betriebliche Transformation in China - wie die Systemtransformation auf der Makroebene des Landes - den Charakter des Gradualismus besitzt. Die untersuchten Staatsbetriebe befinden sich am Ende der jeweiligen Untersuchungsperiode mehr oder weniger in einem Hybridmuster der Betriebsfiihrung, in dem sowohl planwirtschaftliche als auch marktwirtschaftliche Elemente zu beobachten sind. Die unvollstandige Transformation des Staatsbetriebs ist zum einen auf die systempolitische Inkonsistenz in der betrieblichen Umwelt zuriickzufiihren. Zum anderen beeintrachtigen betriebsinteme Faktoren die Bereitschaft und die Fahigkeit des Staatsbetriebs zum konsequenten "Modellwechsel" in der Betriebsftihrung.
Diese Erkenntnisse fiihren zu der Schlussfolgerung, dass zur Beschleunigung der betrieblichen Transformation in China sowohl betriebsinteme Ansatze als auch betriebsexteme Ansatze erforderlich sind. Betriebsextem soli vor allem der Staat durch ziigige und konsequente Systernreform auf der Makroebene gtinstigere Rahmenbedingungen fUr betriebliche Transformation schaffen. Betriebsintem soli vor all em das Betriebsmanagement besser motiviert und fiir marktwirtschaftlich orientierte Untemehmensfiihrung qualifiziert werden.
Sehr herzlich bedanken mochte ich mich zuerst bei meinen Eltem in Shanghai, die durch ihre personliche Unterstiitzung die Voraussetzungen zum Gelingen dieser Arbeit schaff ten. Ebenso danke ich ganz herzlich meinem langjahrigen Hochschullehrer und Doktorvater Herm Prof. Dr. Heymo Bohler, der mir bei der Gestaltung der Arbeit viel Freiraum einraumte und den Fortgang der Arbeit stets mit konstruktiver Kritik und Verbesserungsvorschlagen begleitete. Herm Prof. Dr. Peter Oberender, der die Entwicklung in China und in anderen Trans-
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fonnationslandern stets mit gro8em Interesse verfolgt und bereitwillig die Aufgaben des Zweitgutachters Ubernahm, gilt mein weiterer Dank. Henn Prof. Dr. Andreas Remer danke ich fUr die Ubernahme des Vorsitzes des Kolloquiums und fUr den interessanten Austausch Uber diverse Aspekte der betrieblichen Transfonnation in unterschiedlichen Kulturkreisen.
Meinen langjlihrigen Deutschlehrern und Freunden in MUhldorf am Inn, Herm Studiendirektor a. D. Klaus Seiche und seiner Ehefrau Frau Brigitte Seiche, mochte ich hier meinen besonderen Dank aussprechen. Ich danke ihnen nicht nur fUr ihr gro8es Engagement beim Korrekturlesen des Manuskripts, sondern auch fUr die vielen inhaltlichen Diskussionen, die mir neue Impulse fUr die Gestaltung der Arbeit gaben.
SchlieBlich gilt mein besonderer Dank der Finna Roland Berger & Partner GmbH International Management Consultants, MUnchen, die mich im Rahmen des zweijlihrigen Doktorandenprogramms finanziell und organisatorisch unterstlitzte. Mein Dank gilt vor allem Herm Michael Thiess, der als Partner lange Zeit das ChinalSUdostasien-Geschaft der Finna lei tete und meine Promotion mit Geduld und Unterstlitzung begleitete. Ebenso danke ich Herm Bernd Grohs, der vor seiner Ubernahme der Geschaftsleitungsfunktion bei der Finna TUMTECH GmbH aIs mein direkter Vorgesetzte die Forschungsinitiative von Anfang an unterstlitzte. Vielen chinesischen Kollegen im Shanghaier BUro einschlieBlich der "Ehemaligen" danke ich fUr die logistische Unterstlitzung meiner Recherchenarbeit vor Ort sowie den wertvollen Meinungsaustausch. Dr. Eugen von Keller, dem jetzigen Partner in China, danke ich fUr die Unterstlitzung bei der VerOffentlichung dieses Buches.
Ich freue mich darUber, daB der Herausgeberrat von Roland Berger & Partner Academic Network fUr die Aufnahme dieses Buches in die Schriftenreihe der Firma entschieden hat. Ich bedanke mich vor allem bei folgenden Mitgliedern des Herausgeberrates fUr ihre MUhe bei der PIilfung meiner Arbeit: Herm Dr. Burkhard Schwenker, Managing Partner von Roland Berger & Partner, Herm Prof. Dr. Werner Gocht von der RWTH Aachen und Herm Prof. Dr. Kurt Reding von der Universitat Gesamthochschule Kassel. Ich mtichte daruber hinaus all denjenigen meinen Dank aussprechen, die als Verantwortliche undloder als Betreuer des Doktorandenprograrnms der Finna mich in den letzten Jahren bei der Arbeit unterstlitzt haben. Zu nennen sind unter anderem Dr. Claus Hunert, Dr. Nils Bickhoff, Frau Juliane Prettin und Dr. Georg Barzel. Den Koliegen im Doktorandenzirkel der Finna danke ich fUr den Meinungsaustausch wlihrend der einzelnen Doktorandentreffen. Der Abteilung Editing im MUnchner BUro danke ich fUr das Korrekturlesen ausgewlihlter Kapitel der Arbeit.
Ohne die professionelie Arbeit des Verlags hatte das Buch nicht zUgig auf den Markt gebracht werden konnen. Deshalb bedanke ich mich - last but not least - bei Frau Stefanie Brich und ihren Kolleginnen und Koliegen vom Deutschen Universitats-Verlag fUr ihren Beitrag zum Gelingen dieses Buches.
Ich hoffe, dass die vorliegende Arbeit zum besseren Verstandnis der Interessierten aus der Forschung und Praxis im Westen fUr betriebliche Transfonnation in China beitragt. Die Arbeit ist auBerdemaIl denjenigen innerhalb und auBerhalb meines Heimatlandes gewidmet, die sich mit ihrer Arbeit fUr die Transfonnation und Modernisierung der UnternehmensfUhrung in China einsetzen.
Zhen Huang
vm
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ....................................................................................................... XVII
Tabellenverzeichnis ............................................................................................................. XIX
Abkiirzungsverzeichnis ...................................................................................................... XXI
I. Einf"lihrung ....................................................................................................................... 1
1. Problemstellung und Zielsetzung ................................................................................... 1
2. Grundlegendes Vorgehen ............................................................................................... 3
2.1. Theoretische Analysen .................................................................................................... 3
2.2. Empirische Untersuchung ............................................................................................... 5
3. Struktur dieser Arbeit ..................................................................................................... 5
II. Theoretische Grundlagen der organisatorischen Triigheit und Transformation ..... 7
1. 8egriffliche Abgrenzung ................................................................................................. 7
2. Theoretische Ansiitze in der Literatur ........................................................................... 8
2.1. Die Entwicklungsmodelle des organisatorischen Wandels ............................................. 9
2.2. Der popu!ations-oko!ogische Ansatz ............................................................................ 10
2.3. Die Theorie der strategischen Wahl .............................................................................. 11
2.4. Der lemtheoretische bzw. kognitive Ansatz ................................................................. 13
2.5. Die mikropolitische Perspektive ................................................................................... 15
2.6. Die Gleichgewichtsmodelle des Organisationswande!s ................................................ 16
2.7. Die Theorie des organisationa!en Wand!ungspfades von Rinings! Greenwood ........... 20
2.8. Fazit ............................................................................................................................. 22
IX
III. Organisatorische Triigheit und Transformation der Staatsbetriebe im Prozess der betrieblichen Transformation ................................................................................ 25
1. Systemimmanente Unterschiede zwischen Betrieben der Plan· und Markt· wirtschaft ........................................................................................................................ 25
1.1. Differenzierungslogik von Gutenberg und deren Kritik ............................................... 25
1.2. Ein aItemativer Ansatz zu der Differenzierungslogik von Gutenberg .......................... 26
1.2.1. Grundlegende Uberlegungen ............................................................................... 26
1.2.2. Unterschiede im Kontext des Betriebes der Plan· und Marktwirtschaft ............. 28
1.2.3. Unterschiede im Grundmodell der Betriebsfiihrung ............................................ 31
1.2.3.1. Betriebszweck im Vergleich .......................................................................... 31
1.2.3.1.1. Betriebszweck in der Planwirtschaft.. .................................................... 31
1.2.3.1.2. Betriebszweck in der Marktwirtschaft ................................................... 31
1.2.3.1.3. Fazit. ....................................................................................................... 32
1.2.3.2. Betriebsaktivitiiten im Vergleich .................................................................. 33
1.2.3.2.1. Betriebsaktivitiiten der Planwirtschaft.. ................................................. 33
1.2.3.2.2. Betriebsaktivitiiten in der Marktwirtschaft ............................................ 36
1.2.3.2.3. Fazit ....................................................................................................... 37
1.2.3.3. Betriebsorganisation im Vergleich ............................................................... 40
1.2.3.3.1. Betriebsorganisation in der Planwirtschaft ............................................ 40
1.2.3.3.2. Betriebsorganisation der Marktwirtschaft ............................................ .43
1.2.3.3.3. Fazit ....................................................................................................... 44
1.2.4. Unterschiede in der organisationalen Wissensbasis ........................................... .47
1.2.4.1. Unterschiede im normativen Bereich der organisationalen Wissensbasis .... 47
1.2.4.2. Sonstige Unterschiede in der organisationalen Wissensbasis ..................... .48
1.2.5. Fazit .................................................................................................................... .48
2. Betriebliche Transformation der Staatsbetriebe als "inter·archetypical change" ......................................................................................................................... 52
2.1. Allgemeine Uberlegungen zur betrieblichen Transformation ....................................... 52
2.1.1. Betriebliche Transformation versus Systemtransformation ................................. 52
2.1.2. Betriebliche Transformation versus Privatisierung ............................................. 56
2.2. Phasen und Fortschritt der betrieblichen Transformation ............................................. 57
2.2.1. Das idealtypische Drei-Phasen-Modell der betrieblichen Transformation .......... 57
2.2.2. Bestimmung der Phasenzugehorigkeit eines Staatsbetriebes .............................. 58
x
2.2.2.l. Allgemeine Ansatze zur Messung des Fortschritts des fundamentalen Untemehmenswandels .................................................................................. 58
2.2.2.2. Ansatze zur Bestimmung der Phasenzugehorigkeit eines Staatsbetriebes im Prozess der betrieblichen Transformation ............................................... 59
2.2.2.2.1. Performance-basierte Bestimmung der Phasenzugehorigkeit ............... 59
2.2.2.2.2. Beobachtung der Veranderungen in der Betriebsflihrung ..................... 61
2.2.3. Fazit .................................................................................................................... 62
2.3. Determinanten des Fortschritts der betrieblichen Transformation ................................ 62
2.3.l. Betriebsextemer Druck zur betrieblichen Transformation ................................. 62
2.3.1.1. Transformationsdruck bei schockartiger und gradueller System-transformation ............................................................................................... 63
2.3.l.l.l. Entwicklung des betriebsextemen Transformationsdrucks bei schockartiger Systemtransformation ..................................................... 63
2.3.l.l.2. Entwicklung des betriebsextemen Transformationsdrucks bei gradueller Systemtransformation ........................................................... 64
2.3.1.1.3. Fazit ....................................................................................................... 65
2.3.1.2. Betriebsextemer Transformationsdruck und Inkonsistenz im betriebs-extemen Kontext .......................................................................................... 65
2.3.1.3. Fazit .............................................................................................................. 66
2.3.2. Betriebsinteme Bereitschaft und Fahigkeit zur betrieblichen Transformation .... 67
2.3.2.1. Organisationales Lemen und betriebsinteme Transformationsbereitschaft und -fahigkeit ................................................................................................ 67
2.3.2.l.l. Bedeutung der personlichen Transformation der Betriebsmitgiieder. ... 67
2.3.2.l.2. Die mikropolitische Konstellation im Staatsbetrieb .............................. 68
2.3.2.1.3. Ideenquellen der Transformation ........................................................... 70
2.3.2.2. Inkonsistenz beziiglich der betriebsintemen Transformationsbereitschaft und -fahigkeit.. .............................................................................................. 71
2.3.2.3. Fazit .............................................................................................................. 72
2.3.3. Resiimee .............................................................................................................. 72
3. Transformationspfad und Transformationstypen ..................................................... 75
3.1. Transformationspfad eines Staatsbetriebes .................................................................. 75
3.l.l. "Schockartige" versus "graduelle" betriebliche Transformation ......................... 75
3.l.2. Mogliche betriebliche Transformationspfade im Umfeld der graduellen Systemtransformation .......................................................................................... 76
3.l.2.l. Pfad der graduellen betrieblichen Transformation ....................................... 76
3.l.2.2. Pfad der schockartigen betrieblichen Transformation .................................. 77
XI
3.1.2.3. Fazit und sonstige Uberlegungen .................................................................. 79
3.2. Unterschiedliche Transforrnationstypen der Staatsbetriebe .......................................... 79
4. Zusammenfassung des Kapitels 111 .............................................................................. 81
IV. Betriebliche Transformation in China am Beispiel zweier staatlicher Gro6-betriebe im Shanghaier Industriesektor ...................................................................... 83
1. Die Konzeption der FaUstudien dieser Arbeit ............................................................ 83
1.1. Inhaltliche Strukturierung der Fallstudien ..................................................................... 83
1.2. Auswahl der Fallbetriebe .............................................................................................. 85
1.2.1. Der Standortfaktor ............................................................................................... 85
1.2.2. Die Fallbetriebe ................................................................................................... 86
1.3. Datenquellen und Datensammlung ............................................................................... 88
2. Historische Rahmenbedingungen der betrieblichen Transformation staatlicher Industriebetriebe in Shanghai ...................................................................................... 89
2.1. Entwicklung des Shanghaier Industriesektors seit 1949 ............................................... 89
2.2. Allgemeiner Kontext der staatlichen Industriebetriebe bis 1978 .................................. 90
2.2.1. Externer Kontext der staatlichen Industriebetriebe bis 1978 ............................... 90
2.2.2. InterneT Kontext bis 1978 .................................................................................... 95
2.3. Systemreforrn im Shanghaier Industriesektor seit 1978 ................................................ 96
2.3.1. Einfiihrung des Marktwettbewerbs ...................................................................... 96
2.3.2. Reorganisation der staatlichen Industrieverwaltung ............................................ 98
2.3.3. ReforrnmaBnahmen auf der Betriebsebene ........................................................ lOO
2.3.3.1. Phase I (1979-1986): Dezentralisierung der Managementrechte ................ 100
2.3.3.2. Phase II (1987-1992): Implementierung des "contract responsibility systems" ...................................................................................................... 101
2.3.3.3. Phase ill (1993 - bis jetzt): Einfiihrung des "modern enterprise systems" ...................................................................................................... 102
2.4. Fazit ........................................................................................................................... 104
XII
3. Betriebliche Transformation von Shanghai Tianyuan Chemical Works (1979·1994) ................................................................................................................... 105
3.1. Einfiihrung ................................................................................................................... 10S
3.1.1. Grobskizze der historischen Entwicklung der Finna ........................................ IOS
3.1.2. Meilensteine der Systernrefonn bei Tianyuan im Betrachtungszeitraum .......... 106
3.1.3. Entwicklung der finanziellen Perfonnance von Tianyuan im Betrachtungs-zeitraum ............................................................................................................. 108
3.2. Wandel der Betriebsfiihrung von Tianyuan im Betrachtungszeitraum ....................... 116
3.2.1. Wandel der angegebenen langfristigen BetriebszieIe ....................................... 116
3.2.2. Wandel der Betriebsaktivitaten ......................................................................... 118
3.2.2.1. Gestaltung des Geschaftsportfolios ............................................................ 118
3.2.2.2. Betriebsaktivitaten im Stammgeschaft ........................................................ 121
3.2.2.2.1. Aktivitaten im Entscheidungsfeld "Operating" .................................... 121
3.2.2.2.2. Aktivitaten im Entscheidungsfeld "Asset Management" .................... 127
3.2.2.2.3. Aktivitaten im Entscheidungsfeld "Financing" ................................... 128
3.2.2.3. Fazit zum Wandel der Betriebsaktivitaten .................................................. 129
3.2.3. Wandel der Betriebsorganisation ....................................................................... 130
3.2.3.1. Wandel der Organisationsstruktur .............................................................. 130
3.2.3.2. Wandel des betriebsintemen Planungs-, Steuerungs- und Kontroll-systems ........................................................................................................ 136
3.2.3.2.1. Beginnende Marktorientierung der Produktionsplanung ..................... 136
3.2.3.2.2. Erste Ansatze zur ganzheitlichen Betriebsplanung und -kontrolle ...... 137
3.2.3.2.3. Einfiihrung des intemen "economic responsibility systems" ............... 138
3.2.3.2.4. Refonnen im monetiiren Kompensationssystem ................................. 138
3.2.3.3. Fazit zum Wandel der Betriebsorganisation ............................................... 141
3.2.4. Das Gesamtbild des Wandels ............................................................................ 141
3.3. Fazit zur Fallstudie "Tianyuan" ................................................................................... 146
4. Betriebliche Transformation von Shanghai Erfangji Co. Ltd. (1984·1997) .......... 149
4.1. Einfiihrung ................................................................................................................... 149
4.1.1. Grobskizze der historischen Entwicklung der Finna ......................................... 149
4.1.2. Meilensteine der Systemrefonn bei Erfangji im Betrachtungszeitraum ............ lSI
4.1.3. Entwicklung der finanziellen Perfonnance von Erfangji im Betrachtungs-zeitraum ............................................................................................................ . IS3
xm
4.2. Wandel der Betriebsftihrung von Erfangji im Betrachtungszeitraum ......................... 158
4.2.1. Wandel der angegebenen langfristigen Betriebsziele ........................................ 158
4.2.2. Wandel der Betriebsaktivitliten .......................................................................... 159
4.2.2.1. Gestaltung des Geschliftsportfolios ............................................................ 159
4.2.2.2. Betriebsaktivitliten im Stammgeschlift ....................................................... 163
4.2.2.2.1. Aktivitliten im Entscheidungsfeld "Operating" ................................... 163
4.2.2.2.2. Aktivitliten im Entscheidungsfeld "Asset Management" .................... 170
4.2.2.2.3. Aktivitliten im Entscheidungsfeld "Financing" ................................... 171
4.2.2.3. Fazit zum Wandel der Betriebsaktivitliten .................................................. 175
4.2.3. Wandel der Betriebsorganisation ....................................................................... 175
4.2.3.1. Wandel der Organisationsstruktur .............................................................. 175
4.2.3.2. Wandel des betriebsintemen Planungs-, Steuerungs- und Kontroll-systems ........................................................................................................ 179
4.2.3.2.1. Der Wandel im Uberblick ................................................................... 179
4.2.3.2.2. Ausbau des betriebsintemen Kennzahlensystems ............................... 179
4.2.3.2.3. Weiterentwicklung des leistungsbezogenen Kompensations-systems ................................................................................................. 180
4.2.3.3. Fazit zum Wandel der Betriebsorganisation ............................................... 182
4.2.4. Das Gesamtbild des Wandels ............................................................................ 182
4.3. Fazit zur Fallstudie "Erfangji" ..................................................................................... 186
V. Zusammenfassende Thesen und Empfehlungen fur betriebliche Transformation in China ........................................................................................................................ 189
1. Zum Entwicklungsstand der betrieblichen Transformation in China .................. 189
2. Zu den Hindernissen der betrieblichen Transformation in China ......................... 191
2.1. Betriebsexteme Hindemisse ........................................................................................ 191
2.1.1. Probleme von seiten des EigentUmers ............................................................... 192
2.1.2. Probleme von seiten der staatlichen Geschliftsbanken ...................................... 194
2.1.3. Probleme auf den Produktmlirkten .................................................................... 195
2.1.4. Probleme im sozialen Bereich ........................................................................... 196
2.1.5. Probleme im politischen System ....................................................................... 197
2.2. Betriebsinteme Hindemisse ........................................................................................ 197
2.2.1. Problem der Managementmotivation ................................................................ 198
XN
2.2.2. Problem der Managementqualifikation ............................................................. 201
2.3. Fazit ........................................................................................................................... 202
3. Ansiitze zur Beschleunigung der betrieblichen Transformation in China ............ 204
3.1. ErhOhung des Transformationsdrucks im Betriebsumfeld .......................................... 204
3.1.1. Reform der staatlichen Vermogensverwaltung und Verstarkung der Kontrolle durch Privatinvestoren ....................................................................................... 204
3.1.2. Transformation der staatlichen Geschaftsbanken .............................................. 205
3.1.3. ErhOhung des Wettbewerbsdrucks auf den Produktmarkten ............................. 206
3.1.4. Beschleunigte Entwicklung der sozialen Infrastruktur ...................................... 207
3.1.5. Entwicklung eines Managermarktes .................................................................. 208
3.2. Verbesserung betriebsintemer Bereitschaft und Flihigkeit zur Transformation .......... 208
3.2.1. Steigerung der Managementmotivation ............................................................. 208
3.2.2. Verbesserung der Managementqualifikation ..................................................... 210
3.3. Fazit ........................................................................................................................... 211
VI. Zusammenfassung ....................................................................................................... 213
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 217
Anhang ................................................................................................................................... 235
xv
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Das Modell der dissipativen Strukturen ............................................................ 20
Abbildung 2: Das idealtypische Profil der Stakeholder-Orientierung des Betriebes der Plan- und Marktwirtschaft im Vergleich ........................................................... 33
Abbildung 3: Idealtypische Wertkette des Betriebes der Plan- bzw. Marktwirtschaft... ......... 38
Abbildung 4: Output-basiertes Phasenschema der Transformation ........................................ 60
Abbildung 5: Der idealtypische Verlauf der betrieblichen Transformation im Drei-Phasen-Modell ............................................................................................................... 62
Abbildung 6: Theoretische (idealtypische) Entwicklung des extemen Drucks auf einen Staatsbetrieb zur betrieblichen Transformation ................................................ 64
Abbildung 7: Unterschiedliche Adoptionstypen im Prozess der betrieblichen Transformation .................................................................................................. 68
Abbildung 8: Determinanten des Fortschritts der betrieblichen Transformation .................... 73
Abbildung 9: Transformationspfad eines Staatsbetriebes bei der graduellen betrieblichen Transformation (Beispiel) ................................................................................. 77
Abbildung 10: Transformationspfad eines Staatsbetriebes bei der schockartigen betrieb-lichen Transformation (Beispiel) ....................................................................... 78
Abbildung 11: Mogliche Transformationstypen der Staatsbetriebe .......................................... 80
Abbildung 12: Bruttoproduktionswert (BPW) des Shanghaier Industriesektors und Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Shanghai, 1952-1995 (aile Betrage in den Preisen von 1995) ........................................................................................................... 93
Abbildung 13: Anteil unterschiedlicher Betriebstypen an dem Brutto-produktionswert des Shanghaier Industriesektors, 1949-1997 ........................................................... 94
Abbildung 14: Struktur der Industrieverwaltung in Shanghai vor der Systemreform ............... 92
Abbildung 15: Gesamtumsatz der Investitionsgliter in China nach Preiskategorien, 1990-96 (Anteil in Prozent) ............................................................................................. 97
Abbildung 16: Bruttoproduktionswert vom Shanghaier Industriesektor nach Betriebstypen 1997, in den Preisen von 1997 .......................................................................... 98
Abbildung 17: Struktur der Industrieverwaltung in Shanghai, 1999 ......................................... 99
Abbildung 18: Ausschlittungsquote von Tianyuan, 1952-1990 .............................................. 107
Abbildung 19: Entwicklung des Bruttoproduktionswertes von Tianyuan, 1952-90 (in jeweiligen Preisen und in Preisen von 1980) .................................................. 110
Abbildung 20: Bruttoanlagevermogen von Tianyuan und des sen Restwertquote, 1952-1994 ................................................................................................................. 111
XVII
Abbildung 21: Gewinn vor Abgaben in Prozent vom Bruttoproduktionswert (in jeweiligen
Preisen), 1952-1994 ....................................................................................... 112
Abbildung 22: Brutto-Cashflow von Tianyuan, 1953-1990 .................................................... 113
Abbildung 23: Personalanzahl im Jahresdurchschnitt von Tianyuan, 1952-93 ...................... 114
Abbildung 24: Entwicklung der GehaItssumme und der Ausgaben flir Wohlfahrtsleistungen, 1952-90 ............................................................................................................ 115
Abbildung 25: Ausgaben von Tianyuan flir Wohlfahrtsleistungen, 1957-1990 ...................... 126
Abbildung 26: Lagerbestand und durchschnittliche Dauer der Kapitalbindung im Lager
von Tianyuan, 1952-1990 ................................................................................ 127
Abbildung 27: Organigramm von Tianyuan 1993 ................................................................... 130
Abbildung 28: Grundgehaltstabelle von Tianyuan im Jahr 1987 ............................................ 142
Abbildung 29: Anteil der Priimienzahlung an der GehaItssumme von Tianyuan, 1979-90 .... 141
Abbildung 30: Eigenkapitalstruktur von Erfangji Ende 1998 ................................................. 150
Abbildung 31: Umsatz- und Ergebnisentwicklung von Erfangji 1991-98 .............................. 155
Abbildung 32: Investiertes Kapitai von Erfangji und der Anteil der Bankverschuldung, 1991-97 ............................................................................................................ 156
Abbildung 33: Organigramm von Erfangji, Ende 1998 .......................................................... 177
Abbildung 34: Personliches Zielsystem der Manager in China - Prozent der Angaben in unterschied1ichen Unternehmenstypen ............................................................ 200
Abbi1dung 35: Nachho1bedarf in der Qualifikation nach eigenen Angaben chinesischer Manager - Anteil an der Gesamtanzahl der befragten Manager ..................... 202
Abbi1dung 36: Prob1eme bzw. Hindernisse der betrieblichen Transformation in China im Uberblick ......................................................................................................... 203
xvrn
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Organisatorische Trligheit (Wandell. Ordnung) versus Organisatorische Transformation (Wandel 2. Ordnung) ...................................................................... 8
Tabelle 2: Unterschiedliche Perspektiven der organisatorischen Trligheit und Trans-formation in der Literatur ....................................................................................... 23
Tabelle 3: Idealtypischer Kontext des Betriebes der Markt- bzw. Planwirtschaft im Vergleich ................................................................................................................ 29
Tabelle 4: ModellmliBige Finanzrechnung eines chinesischen Staatsbetriebes aus der Zeit der Planwirtschaft .................................................................................................. 35
Tabelle 5: Idealtypische Betriebsaktivitliten in der Plan- und Marktwirtschaft ...................... 39
Tabelle 6: Betriebsorganisation in der Planwirtschaft als "output-orientierte Blirokratie" .... .46
TabelJe 7: Idealtypische Kulturorientierung des Betriebes der Marktwirtschaft und der Planwirtschaft. ........................................................................................................ 50
Tabelle 8: Ergebnisse des alternativen Vergleichs zwischen dem idealtypischen Betrieb der Plan- und Marktwirtschaft ............................................................................... 51
Tabelle 9: Abgrenzung der Systemtransformation und betrieblicher Transformation ............ 52
Tabelle 10: Systemtransformation, Verhaltenslinderung externer Anspruchsgruppen und deren Auswirkung auf den Staatsbetrieb ................................................................ 55
Tabelle 11: Betriebliche Transformation versus Privatisierung ................................................ 57
Tabelle 12: Idealtypische Extremfalle flir betriebsexterne und -interne Kontextfaktoren der betrieblichen Transformation ........................................................................... 74
Tabelle 13: Grunddaten der untersuchten Fallbetriebe in Shanghai ......................................... 87
Tabelle 14: Die 10 groBten Hersteller von Chlor-Alkali-Produkten in China, 1994 .............. 106
Tabelle 15: Neugriindungen im Dienstleistungssektor und betriebliche Ausgliederungen von Tianyuan bis Ende 1993 ................................................................................ 120
Tabelle 16: Sozial- und Wohlfahrtseinrichtungen von Tianyuan, 1993 ................................. 125
Tabelle 17: Abteilungsstruktur von Tianyuan im Jahr 1966, 1978, 1984 und 1993 im Vergleich .............................................................................................................. 135
Tabelle 18: Grundgehaltssystem bei Tianyuan in ausgewlihlten Jahren im Zeitraum 1978-1990 ............................................................................................................ 143
Tabelle 19: Qualitative Gesamtbewertung des Transformationsfortschritts von Tianyuan in der betrachteten Peri ode (1979-93) .................................................................. 144
Tabelle 20: Wandel des Wachstumsmodells und Beibehaltung interner Sozial- und Wohlfahrtsleistungen bei Tianyuan ..................................................................... 147
Tabelle 21: Top 10 Aktionlire von Erfangji zum Jahresende 1998 ......................................... 151
XIX
Tabelle 22: Ausgewiihlte Finanzkennzahlen von Erfangji, 1980-90 ...................................... 154
Tabelle 23: Entwicklung der Aktienkurse (Jahresultimo) und des Marktwertes von Erfangji, 1993-98 ................................................................................................................ 156
Tabelle 24: Tochterfirmen I Beteiligungen von Erfangji im Zeitraum 1991-97 ..................... 162
Tabelle 25: Gehaltssumme pro Kopf und Gewinn pro Kopf von Erfangji, 1980-90 .............. 168
Tabelle 26: KapitalmaBnahmen von Erfangji 1993-98 ........................................................... 172
Tabelle 27: Jahresergebnis von Erfangji nach lAS und CAS im Zeitraum 1993-1998 .......... 174
Tabelle 28: Betriebsintemes Kennzahlensystem von Erfangji gegen Ende 1998 ................... 183
Tabelle 29: Qualitative Gesamtbewertung des Transformationsfortschritts von Erfangji in der betrachteten Peri ode (1984-1998) .................................................................. 184
xx
Abkiirzungsverzeichnis
ABM AG BfuP BIP BOD BOS BPW CAS CIMS CMRS COE CRS CTMTC DDR F&E FIE FJP IMF IR KPChina MBO NABSOP OECD RESC RMB SAMB SAMC SB SETC SHEC SHIEA SHSB SOE SSB SSRC STU TQM TVE VVS WTO
ArbeitsbeschaffungsmaBnahmen Aktiengesellschaft (chinesischen Rechts)
Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis
Bruttoinlandsprodukt Board of Directors
Board of Supervisors Bruttoproduktionswert Chinese Accounting Standards
Computer-Integrated Manufacturing System China Management Research System Collectively-Owned Enterprise (Kollektivbetriebe)
Contract Responsibility System China Textile Machinery Trading Corporation
Deutsche Demokratische Republik Forschung und Entwicklung
Foreign-Invested Enterprise Fiinfjahresplan International Monetary Fund Investor Relations
Kommunistische Partei Chinas Management By Objective
National Administrative Bureau for State-Owned Property Organization for Economic Co-operation and Development
Re-employment Service Center Ren Ming Bi (Volkswiihrung) State Asset Management Bureau State Asset Management Commission Statistical Bureau (der Shanghaier Regierung) State Economic and Trade Commission Shanghai Economic Commission Shanghai Industrial Economy Association Shanghai Statistical Bureau
State-awned-Enterprise (Nicht-Kapitalgesellschaft) State Statistical Bureau State System Reform Commission
Structural Task Unit Total Quality Management
Township-and-Village Enterprise
Vertragsgebundenes Verantwortungssystem
World Trade Organization
XXI
I. Einfiihrung
1. Problemstellung und Zielsetzung
1m Gegensatz zu den osteuropaischen Llindern hat China bislang keine breit angelegte Privatisierung des staatlichen Industriesektors durchgefiihrt (vgl. Weltbank 1997, S. 1)1. Stattdessen hat die chinesische Regierung versucht, staatliche Industriebetriebe durch Systemreform und Restrukturierung zu stlirken. Vor aHem die staatlichen GroBbetriebe sollen als "backbone" der chinesischen Wirtschaft im Staatseigentum beibehalten und erneuert werden (vgl. Weltbank 1997, 1997a und 1997b; EIU 1997; Broadman 1995; Bohnet et al. 1994; IMF 1993). Die Vision der Regierung ist es, das sogenannte "modem enterprise system" in staatliche Industrieunternehmen einzufiihren (vgl. SSRC 1995, S.I ff.).
Unter "modem enterprise system" versteht man in China eine neue, marktwirtschaftlich orientierte Unternehmensverfassung2, die sich von der Verfassung der "volkseigenen Industriebetriebe" aus der Zeit der Planwirtschaft qualitativ unterscheidet3: Staatsbetriebe waren in der Zeit der Planwirtschaft reine Produktionsstatte. Sie versuchten in erster Linie staatliche Produktionsplane zu erfiillen und dariiber hinaus soziale Wohlfahrt fiir die Belegschaft zu sichern. Nun sollen sie in eigenstandige und kommerzielle Unternehmen transformiert werden, deren Unternehmensziel primlir in der Sicherung und Steigerung des Wertes des Eigenkapitals liegt (vgl. Weltbank 1997, S.I1; SSRC 1995, S. 4 ff.).
In den empirischen Studien einiger westlicher Forscher sind bereits erste Anderungen im staatlichen Industriesektor in China dokumentiert worden: Pan und Parker haben im Rahmen einer Ende 1995 durchgefiihrten Studie festgestellt, dass "weiche Plane" (soft budget constraint) der chinesischen Staatsbetriebe in den letzten lahren "hlirter" geworden und politische Interventionen der Behorden in betrieblichen Entscheidungsprozessen reduziert worden sind (vgl. PanlParker 1998, S. 52 ff. und S. 60). Die untersuchten Staatsbetriebe, darunter auch in Kapitalgesellschaften umgewandelte GroBbetriebe, haben interne Reorganisation durchgefiihrt, was auch zum Personalabbau gefiihrt hat. Ahnliche Beobachtungen haben Schucher (1998, S. 747 ff.) und Hebel (1997, S. 288 ff.) gemacht.
Lu (1996) hat im Rahmen einer Langzeitstudie der Entscheidungsprozesse in sechs Staatsbetrieben in Beijing von 1985 bis 1993 beobachtet, dass Staatsbetriebe von der Regierung immer mehr Entscheidungsautonomie bekommen haben, und dass allmahlich eine Trennung der Staatsbetriebe von den ehemaligen Regulierungsbehorden (Ministerien oder Branchenbiiros) stattgefunden hat. Mit der zunehmenden Betriebsautonomie hat der Entscheidungsprozess vieler Staatsbetriebe zunehmend den strategischen Charakter bekommen (Lu 1996, S.
Zur Systemtransformation in der ehemaligen DDR und in Osteuropa vgl. vor allem Bundesbank (1995); OECD (1995); Bohm, A.lKorze, U. (Hrsg.) (1994). "Modern enterprise system" wird von der Regierung offiziell als "ein neues Regelwerk, das sowohl unternehmensexterne Umwelt als auch unternehmensinterne Mechanismen betrifft", definiert. Dieses Regelwerk "klart das Wesen, die Stellung, die Funktion und die Verhaltensweise eines Unternehmens" und "regelt die grundlegenden Beziehungen" zwischen dem Unternehmen und all dessen Anspruchsgruppen wie z. B. den Eigenkapital- und Fremdkapitalgebern, der Regierung, den Abnehmern, den Lieferanten, den Wettbewerbern, der Belegschaft sowie der allgemeinen Offentlichkeit rUbersetzung durch den Verfasser]. Vgl. SSRC (1995), S. 4 ff., Yang, Iianhua (Hrsg.) (1996), S. 259-260; Ding, Baolin (1994). Zum Konzept der "volkseigenen Betriebe" aus der Zeit der Planwirtschaft sowie dessen Wandel in der Zeit der Systemreform in China vgl. vor allem die Arbeit von Hebel (1997).
171). In groBen Staatsbetrieben ist auBerdem eine neue Organisations- und Managementstruktur entstanden. Man geht davon aus, dass eine neue Generation der professionellen Manager in chinesischen Staatsbetrieben im Entstehen sei (Lu 1996, S. 171; vgl. auch Lui Child 1996, S. 61 ff.).
Was die Entscheidung iiber strategische Investitionen (in Produkte und Technologien) der GroBuntemehmen betrifft, so haben Easterby-Smith und Gao im Rahmen einer komparativen Studie FaIle aus dem chinesischen Staatssektor und aus GroBbritannien verglichen. Die Autoren sind zu der Schlussfolgerung gekommen, dass sowohl Prozesse als auch Ergebnisse der betrieblichen Investitionsentscheidung in den GroBbetrieben beider Lander bemerkenswert ahnlich sind. Kulturelle Differenzen sowie politische und soziale Einflussfaktoren spielen zwar eine gewisse Rolle auf der Ebene der Individuen. Sie beeinflussen aber kaum den Hauptprozess der Investitionsentscheidung auf der Untemehmensebene (Easterby-Smithl Gao 1996, S. 128). Anders formuliert: staatliche GroBbetriebe in China entscheiden in der Regel genau so wie britische Konzeme, wenn es urn strategische Investitionen geht.
Fiir einige Forscher ist das Bild yom staatlichen Industriesektor in China jedoch ganz anders. Sie haben, basierend auf deren empirischen Untersuchungen, darauf hingewiesen, dass es weiterhin eine groBe Kluft zwischen VisionIWunsch und Realitat gibt. So glaubt Steinfeld anhand von drei empirischen Fallstudien aus der chinesischen Stahlindustrie im Jahr 1994/95 beobachtet zu haben, dass sich die untersuchten GroBbetriebe trotz der eingeleiteten ReformmaBnahmen weiterhin wie "typische Staatsbetriebe" der Planwirtschaft verhalten (Steinfeld 1998, S. 129). In einer anderen Studie iiber das Personalwesen der Staatsbetriebe aus dem Jahr 1993/94 soli Warner Beweise fiir organisatorische Tragheit der untersuchten Staatsbetriebe gefunden haben (1995, S. 162). Fiir ihn sind die diversen ReformmaBnahmen der chinesischen Staatsbetriebe "alter Wein im neuen Schlauch" (old wine, new bottles). Alte Verhaltensroutinen konnen nicht iiberNacht iiberwunden werden (Warner 1995, S. 154).
Westliche Forscher stehen mit ihrer Kritik nicht allein da. Auch in China hat es in den letzten Jahren immer kritische Stimmen gegeben. So haben einige chinesische Autoren darauf hingewiesen, dass sich in vielen Staatsbetrieben, die im Rahmen der Vergesellschaftung in Kapitalgesellschaften transformiert und an die Borse gebracht worden sind, auBer der juristischen Fassade nichts geandert hlitte (Wu 1993; Lu 1995; Huo et al. 1996; Liu 1997).
Insgesamt ist sich die Wissenschaft in der Beurteilung der Veranderungen im chinesischen Staatssektor noch nicht sicher (vgl. Hebel 1997, S. 4). Fiir einen Teil der wissenschaftlichen Beobachter ist das "Beharrungsvermogen" der chinesischen Staatsbetriebe noch deutlich zu spiiren. Fiir andere Forscher sind in vielen betrieblichen Bereichen bereits neue Konzeptionen zu erkennen (vgl. Hebel 1997, S. 4-5). Die kontroversen Beurteilungen der Lage "lassen den Betrachter einigermaBen ratios mit der Frage zuriick, welcher Wahrheit er nun Glauben schenken kann." (Hebel 1997, S. 4).
Der Verfasser stimmt diesbeziiglich mit Hebel (1997) iiberein, dass generelle Aussagen zur Transformation oder Tragheit der chinesischen Staatsbetriebe aus einigen grundsatzlichen Erwagungen heraus zu relativieren sind (vgl. Hebel 1997, S. 5 ff.). Regionale Heterogenitat muss genauso beriicksichtigt werden wie unterschiedliche Ausgangspositionen und Handlungsbedingungen individueller Staatsbetriebe innerhalb einer Region. SchlieBlich hangen die Aussagen iiber die Veranderungen in den Staatsbetrieben von der Perspektive und dem Konzept des Forschers ab, mit dem die Staatsbetriebe untersucht werden soli en (Hebel 1997, S. 6).
2
Die zentrale Perspektive dieser Arbeit richtet sich auf die Veranderungen im Grundmuster der Betriebsfiihrung (Unternehmensfiihrung) chinesischer Staatsbetriebe. Unter dem "Grundmuster der Betriebsfiihrung" wird hier die Ganzheit der charakteristischen Merkrnale der Strategie-, Struktur-, Prozess- und Kulturelemente eines Betriebes verstanden. Diese Arbeitsdefinition kniipft an den holistischen Ansatz der Organisationslehre an, nach dem ein Unternehmenlein Betrieb als eine in sich konsistente "Organisationskonfiguration" zu betrachten ist (vgl. Staehle 1994, S. 58 ff.; MeyerrrsuilHinings 1993).
Betriebliche Transformation stellt nun, nach der Perspektive dieser Untersuchung, den Wandelprozess eines Staatsbetriebes von der ehemals planwirtschaftlich orientierten zur marktwirtschaftlich orientierten Unternehmensfiihrung dar (vgl. Trommsdorff/Schuchardt 1998, S. 8). In diesem Kontext versteht der Verfasser unter "organisatorischer Tragheit" eines Staatsbetriebes das Phanomen, dass der Staatsbetrieb trotz des durch Systemreform ausgelosten Umweltwandels weiterhin auf dem planwirtschaftlich orientierten Grundmuster der Betriebsfiihrung verharrt. Von "organisatorischer Transformation" wird nur gesprochen, wenn der Staatsbetrieb den revolutionaren "Modellwechsel" in der Betriebsfiihrung erfolgreich realisiert.
In dieser Arbeit wird versucht mit theoretischen Analysen und qualitativ-empirischer Untersuchung folgende Fragen zu beantworten:
1) Haben chinesische Staatsbetriebe substanzielle Fortschritte in der betrieblichen Transformation gemacht (=organisatorische Transformation), oder verharren sie weiterhin auf dem Grundmuster der planwirtschaftlich orientierten Betriebsfiihrung (=organisa-torische Tragheit)?
2) Welche externe und interne Probleme sind zu beobachten, die einen konsequenten Modellwechsel in der Betriebsfiihrung der chinesischen Staatsbetriebe erschweren bzw. blockieren?
3) Welche Empfehlungen ktinnen fUr weitere Gestaltung des Transformationsprozesses in chinesischen Staatsbetrieben gemacht werden?
1m folgenden Abschnitt wird das grundlegende Vorgehen dieser Arbeit kurz eriautert.
2. Grundlegendes Vorgehen
2.1. Theoretische Analysen
Aufgrund der hohen Komplexitat der System- und Betriebstransformation in den ehemaligen Planwirtschaften hat es bisher "noch keine in sich geschlossene Theorie der betrieblichen Transformation" gegeben (Trommsdorff/Schuchardt 1998, S. 8. Vgl. auch Burchert 1996, S. 2f; Kumar 1995, S. 234f). Gleichzeitig herrscht in der Literatur Konsens dariiber, dass vorhandene theoretische Ansatze aus der (westlichen) Betriebswirtschaftslehre als Fundament fiir die Analyse der betrieblichen Transformation in den ehemaligen Planwirtschaften herangezogen werden konnen (TrommsdorfflSchuchardt 1998, S. If). In der Tat ist in der betriebswirtschaftlichen Literatur bereits eine Reihe von theoretischen Beschreibungs- und Erkllirungsansatzen angeboten worden.
3
In der deutschsprachigen Literatur kann man z. B. die Beitrage von Albach finden, in denen betriebliche Transformation in Ostdeutschland nach der Netzwerktheorie und der Theorie der Transaktionskosten beschrieben und erkliirt wird (Albach, H. 1993/1994). Burchert (1996) hat fiir eine "multi-kontexuale" Sichtweise pliidiert. Auf Basis der Organisationstheorie von BolmanIDeal (1991) hat er betriebliche Transformation in den ostdeutschen Betrieben als "organizational reframing" betrachtet. Dabei werden strukturelle, personelle, politische und symbolische Aspekte der Untemehmensorganisation beriicksichtigt4.
Fiir Trommsdorff/Schuchardt (1998, S. 23 ff.) stellt sich betriebliche Transformation in Osteuropa unter anderem als Innovationsproblem dar, das mit den theoretischen Ansatzen der betrieblichen Innovationsforschung beschrieben und erkliirt werden kann. Diverse Beschreibungs- und Erkliirungsansatze von z. B. "Change Management" und "Business Reengineering" bis hin zu den evolutions- und lemtheoretischen Ansatzen des Organisationswandels hat Driiner (1997) in seiner Dissertation dargestellt.
Heimerl-Wagner (1994) vertritt die Hypothese, dass mittel- und osteuropaische Staatsbetriebe im Transformationsprozess mit dem Dilemma operativ iiberlebensnotwendiger und strategisch wiinschenswerter Entscheidungen konfrontiert sind (das "Effizienz-EffektivitatsDilemma"). Er hat in Anlehnung an die Strategieforschung von Miles/Snow (1978, 1986) vier hypothetische "strategische Transformationstypen" der Staatsbetriebe klassifiziert: Reagierer (reactor), Verteidiger (defender), Analysierer (analyzer) und Prospektor (prospector) (Heimerl-Wagner 1994, S. 352).
In der anglo-amerikanischen Literatur iiber betriebliche Transformation in Mittel- und Osteuropa dominieren Analysen von Teilaspekten der betrieblichen Transformation anhand von Fallbeispielen (Kozminski 1993; vgl. auch diverse Beitrage in CuplanIKumar (Hrsg.) 1995). Zu erwlihnen ist hier der Versuch von Kumar, die Thesen westlicher Forscher iiber "corporate transformations" in den westlichen Untemehmen (vgl. Kilman/Covin 1988) mit gewisser Modifikation auf die Transformation ost- und mitteleuropaischer Staatsbetriebe zu iibertragen (vgl. Kumar 1995, S. 234 ff.).
In Anlehnung an Kumar (1995) betrachtet der Verfasser "betriebliche Transformation" als eine Sondervariante der Organisationstransformation (vgl. Kumar 1995, S. 234 ff.). Als theoretische Basis der Untersuchung dieser Arbeit dienen deshalb theoretische Ansatze aus der Forschung des organisatorischen Wandels. Desweiteren wird zugleich die theoretische Auseinandersetzung mit dem Phanomen "betriebliche Transformation" aufgegriffen und mogliche Determinanten der organisatorischen Tragheit und Transformation eines Staatsbetriebes analysiert.
Urn die im Abschnitt 1.1. genannten Fragen zu beantworten, reichen theoretische Analysen noch nicht aus. In dieser Arbeit wird deshalb auch eine qualitativ-empirische Untersuchung untemommen, deren Vorgehen im folgenden Abschnitt kurz skizziert wird.
4
Betriebliche Transformation in ostdeutschen Betrieben wird anhand von vier "organizational frams" bzw. Analysenansatzen untersucht: der strukturelle Ansatz (Ziel und Aufgaben), der Human Ressourcen -Ansatz (Menschen), der politische Ansatz (Konflikte), der symbolische Ansatz (SymboleIKultur). VgJ. Burcher! 1996, S. 52 ff. Zur Theorie des "organizational frames" vgl. BoimanIDeal1991.
2.2. Empirische Untersuchung
Das Ziel der empirischen Untersuchung dieser Arbeit liegt darin, anhand von empirischen Materialien Transformationspfade der chinesischen Staatsbetriebe zu beschreiben und dabei einige konkrete Hypothesen zur organisatorischen Trligheit und Transformation chinesischer Staatsbetriebe abzuleiten.
Bei der Wahl des Forschungsinstrumentes hat der Verfasser flir die Methodik der Fallstudie entschieden. Die Fallmethodik konzentriert sich im Gegensatz zu quantitativen Anslitzen der empirischen Sozialforschung auf wenige spezifische Einzelfalle und sucht dort aile relevanten Faktoren zu erfassen (Driiner 1997, S. 9; Schuchardt 1994). Vor all em flir die Untersuchung des Organisations- und Strategiewandels empfiehlt sich die Fallmethodik als ein geeignetes Forschungsinstrument. Denn man kann die Komplexitlit und die Dynamik des Organisationsund Strategiewandels am Beispiel weniger ausgewlihlter Flille viel besser durchleuchten, als es beim Einsatz der quantitativ-empirisch orientierten Untersuchungsmethodik der Fall sein konnte.
Pettigrew (1987, S. Sf) weist darauf hin, dass man bei der empirischen Untersuchung des Organisations- und Strategiewandels drei Variabelengruppen beriicksichtigen muss: Inhalt des Wandels (content, what to change), externer und interner Kontext des Wandels (inner and outer context, why to change) und Prozess des Wandels (process, how to change). In einer theoretisch soliden und flir Praxis reievanten Forschungsarbeit sind stets die Interaktionen zwischen dem Kontext, dem Inhalt und dem Prozess des Organisations- bzw. Strategiewandels zu beriicksichtigen (Pettigrew 1987, S. 6; Pettigrew 1985). 1m Fokus der Forschung soli die Analyse dieser Interaktionen im Zeitverlauf stehen (Pettigrew 1997, S. 6).
Ahnliche Thesen vertreten andere Autoren, wie z. B. Van de Ven (1987, S. 332-3) und Hinings/Greenwood (1987, S.549 ff.). Echtzeit- (real time) oder historische Fallstudien an einer begrenzten Anzahl von Organisationen bzw. Unternehmen konnen die oben genannten Anforderungen am besten erflillen. Deshalb ist die Fallstudie als ein Forschungsinstrument in der empirischen Forschung des Organisations- und Strategiewandels weit verbreitet (vgl. z. B. Pettigrew 1985; Levy/Merry 1986; Whipp et al. 1987; Child/Smith 1987; Hinings/Greenwood 1988; diverse Beitrlige in Kilman/Covin 1988; Javidan et al. 1991; Pettigrew et al. 1992; Dyck 1997).
Der explorative Charakter der Fallmethodik (Driiner 1997, S. 9; Schuchardt 1994) entspricht auch dem Forschungskontext dieser Arbeit. Denn es geht in dieser Arbeit nicht urn Hypothesenpriifung im Sinne der formalen Wissenssicherung, sondern urn Hypothesenaufstellung im Sinne der Erkenntnisgewinnung5. Die detaillierte Konzeption der Fallstudien dieser Arbeit wird im Kapitel IV nliher erlliutert (vgl. Seite 83 ff.)
3. Struktur dieser Arbeit
1m Kapitel II wird die allgemeine Theorie der organisatorischen Trligheit und Transformation anhand unterschiedlicher Beschreibungs- und Erkllirungsanslitze aus der Literatur erlliutert.
Deshalb ist die empirische Forschung dieser Arbeit den explorativen, qualitativ-empirischen Studien zuzuordnen. Zur qualitativ-empirischen Forschung vgl. Wollnik, M. (1997), S. 43; PerlitziBufka 1997, S. 103.
5
Das Kapitel III umfasst theoretische Analysen der organisatorischen Triigheit und Transformation eines Staatsbetriebs. Zuerst werden system-immanente Unterschiede im Grundmuster der Betriebsfiihrung der Plan- und Marktwirtschaft aufgezeigt. Dann wird betriebliche Transformation als revolutioniirer "Musterwechsel" in der Betriebsfiihrung eines Staatsbetriebes genauer betrachtet. Hierbei werden mogliche Determinanten des Transformationsfortschritts analysiert. SchlieBlich werden potentielle Transformationspfade eines Staatsbetriebes sowie unterschiedliche Transformationstypen zwischen den Staatsbetrieben beschrieben.
1m Kapitel IV werden organisatorische Triigheit und Transformation chinesischer Staatsbetriebe anhand von zwei empirischen Fallstudien beschrieben und analysiert. Zu Beginn des Kapitels wird zuerst die Konzeption der FaIlstudien dieser Arbeit detailliert erliiutert. Dann folgt die Beschreibung des historischen Kontextes der betrieblichen Transformation in China, womit auch einige allgemeingiiltige Kontextfaktoren der betrieblichen Transformation der ausgewiihlten Fallbetriebe skizziert werden. In den nachfolgenden Fallstudien wird der Wandlungspfad des jeweiligen Staatsbetriebes detailliert beschrieben und analysiert. Zu jeder Fallstudie wird ein Fazit gemacht, wobei relevante Erkenntnisse aus der Fallstudie festgehalten werden.
Auf Basis der theoretischen Analysen und der qualitativ-empirischen Untersuchung werden im Kapitel V einige zusarnmenfassende Thesen zur betrieblichen Transformation in China formuliert. AuBerdem werden einige konzeptionelle Ansiitze zur Beschleunigung der betrieblichen Transformation in China empfohlen. Mit diesem Kapitel sollen konkrete Antworten auf die im Abschnitt 1.1. gestellten drei Fragen gegeben werden.
1m Kapitel VI findet man die Zusammenfassung der ganzen Arbeit. Neben komprimierter Darstellung der Erkenntnisse dieser Arbeit werden hier auch offene Fragen aufgezeigt, die im Rahmen weiterer Forschungsarbeiten zu beantworten sind.
6
II. Theoretische Grundlagen der organisatorischen Tragheit und Transformation
1. 8egrimiche Abgrenzung
In der organisationstheoretischen Literatur versteht man unter "organisatorischer Transfor
mation" eine besondere Art des geplanten Wandels6 einer Organisation, wobei neue Managementphilosophie die bestehende ersetzt (Staehle 1994, S. 849 ff.). In der deutschen Literatur spricht man auch von "Organisationstransformation". In der anglo-amerikanischen Literatur wird sie als "Organizational Transformation" (bzw. "Corporate Transformation") bezeichnet (Kilman/Covin 1988, CummingslHuse 1989, Levy/Merry 1986 und Vier 1996). In dieser Arbeit werden all diese Begriffe als Synonyme verwendet.
Unter "organisatorischer Tragheit" versteht man in der Literatur den relativen Stillstand einer Organisation bei gegebener Umweltveranderung. Der Stillstand ist "relativ", da sichjede Organisation permanent verandert, so dass man nie vom absoluten Stillstand einer Organisation sprechen kann (HannanIFreeman 1989, S. 66 und 70). ledoch vollzieht sich der Wandel der Organisation hier ohne Anderung der vorherrschenden Organisationsphilosophie bzw. des dominierenden Managementparadigmas.
Verwendet man die Terminologie aus der Organisationsforschung, kann man "organisatorische Tragheit" als "Wandel 1. Ordnung" (first-order change) und "organisatorische Transformation" als "Wandel 2. Ordnung" (second-order change) bezeichnen (vgl. Staehle 1994, S. 849f; Levy/Merry 1986, S. 3 ff.). Beim Wandell. Ordnung erfolgt eine graduelle Modifikation der Arbeitsweisen einer Organisation ohne Veranderung des vorherrschenden Interpretationsschemas. Beim Wandel 2. Ordnung erfolgt eine ein-schneidende qualitative Anderung der Arbeitsweise einer Organisation, wobei auch das dominierende Interpretationsschema bzw. Managementparadigma mit verandert wird (vgl. Staehle 1994, S. 848f und die dort angegebene Literatur). Die wesentlichen Unterschiede zwischen der organisatorischen Tragheit und der organisatorischen Transformation werden in der Tabelle 1 dargestellt.
Dass organisatorische Transformation einen "revolutionaren" Charakter hat, bezieht sich auf das AusmaB und die QualiUit des organisatorischen Wandels. Es bedeutet jedoch nicht, dass sich bei der organisatorischen Transformation aile Aspekte der Organisation gleichzeitig binnen kurzer Zeit iindem mUssen. GreenwoodIHinings (1987) haben anhand von empirischen Arbeiten von einer Reihe von Autoren darauf hingewiesen: "The idea of an organizational transformation carries with it, mistakenly, ... the notion of a single, revolutionary event, of an organization moving from one state to another in a fairly short period of time. Such an event would seem to have both a beginning and an end. But in actuality, as Meyerson and Martin point out, a transformation may come about through monolithic and revolutionary changes, by differentiated, localized and incremental changes or by diffuse, invisible and continual changes. Similarly, Child and Smith, and Pettigrew emphasize both the radical and incremental elements in an organizational transformation. A transformation can have several stages without a beginning or an end .... " (Greenwood! Rinings 1987, S. 549-560).
Organisation verandert sich permanent. Wahrend der ungeplante Wandel nieht intendiert, zufallig und "weitgehend unbemerkt" bleibt, ist der geplante Wandel ein zielorientierter VeranderungsProzess, der bewuBte Entseheidungen der Organisation voraussetzt. Vgl. Staehle, W.H. (1994), S. 849 ff.
7
Zum besseren Verstandnis der organisatorischen Triigheit und Transformation werden in den folgenden Abschnitten unterschiedliche Beschreibungs- und Erklarungsansiitze aus der Literatur niiher betrachtet.
Tabelle 1: Organisatorische Triigheit (Wandel l. Ordnung) versus Organisatorische Transformation (Wandel 2. Ordnung)
Organisatorische Triigheit Organisatorische Transformation (Wandell. Ordnunl!) (Wandel 2. Ordnun2)
Beschriinkt auf einzelne Dimensionen, Mehrdimensional, mehrere Komponenten einzelne Komoonenten oder Asoekte und Asoekte Beschriinkt auf eine oder einige wenige Umfasst aile Ebenen (Individuen, Gruppen Ebenen (Individuen- und Gruppenebene) und die ganze Organisation)
Ouantitativer Wandel I Qualitativer Wandel
Wandel des Inhalts Wandel im Kontext Kontinuitiit, Verbesserung in der bisherigen Diskontinuitiit, Entwicklung in eine ganz Richtung neue Richtung
Inkremental Revolutioniir Logisch und rational Vermeintlich irrational, andere Rationalitiit Ohne Paradigmawechsel, alte Denk- und Mit Paradigmawechsel, neue Denk- und Verhaltensmuster Verhaltensmuster
Quelle: in Anlehnung an Staehle 1994, S. 851 sowie an LevylMerry 1986, S. 9 (mit leichter sprachlicher
Modifikation).
2. Theoretische Ansiitze in der Literatur
In der Literatur gibt es eine Vielzahl von theoretischen Ansiitzen bzw. Perspektiven zur Beschreibung und Erklarung der organisatorischen Triigheit und Transformation. Zur Vorbereitung auf die nachfolgende Diskussion tiber organisatorische Triigheit und Transformation der Staatsbetriebe in den ehemaligen Planwirtschaften werden in diesem Kapitel folgende Ansiitze bzw. Perspektiven niiher erliiutert:
(1) Organisatorische Triigheit und Transformation als Merkmal unterschiedlicher Entwicklungsphasen einer Organisation (Entwicklungsmodelle des organisatorischen Wandels).
(2) Strukturelles Beharrungsvermogen der Organisationen als Ergebnis der Umweltselektion (populations-okologischer Ansatz bzw. das Selektionsmodell des organisatorischen Wandels).
(3) Organisatorische Triigheit und Transformation als Ergebnis unterschiedlicher Managemententscheidung bzw. Wahl der Organisation (Theorie der strategischen Wahll"strategic choice").
(4) Organisatorische Triigheit und Transformation als Ergebnis unterschiedlicher Lem- und Kognitionsprozesse der Organisation (lemtheoretischer und kognitiver Ansatz).
(5) Organisatorische Triigheit und Transformation als Ergebnis des organisationsintemen Interessenkampfes bzw. politischen Konfliktes (mikropolitische Perspektive).
8
(6) Organisatorische Triigheit und Transformation als Bemiihung der Organisation zur Aufrechterhaltung des extemen und intemen Gleichgewichts (Gleichgewichtsmodelle).
(7) Organisatorische Triigheit und Transformation als unterschiedliche Wandlungspfade der Organisation (die Theorie des "organizational track" von Greenwood/Hinings).
2.1. Die Entwicklungsmodelle des organisatorischen Wandels
In der Literatur gibt es zwei Typen der Entwicklungsmodelle: I) Modelle des natiirlichen Lebenszyklus der Organisation und 2) Krisenmodelle der Organisationsentwicklung (Levy/ Merry 1986, S. 229 ff.).
Zu 1): Modelle des natlirlichen Lebenszyklus
Die Hauptaussage der Modelle des natiirlichen Lebenszyklus der Organisation ist es, dass Organisationen - wie Lebewesen - im Zeitverlauf einzelne Entwicklungsphasen wie Geburt, Wachstum, Reife, Wiederbelebung undloder Verfall (im Sinne nachhaltiger Stagnation ohne nennenswertes Wachstum) durchlaufen (vgl. Levy / Merry 1986, S. 229 f. MillerlFriesen 1984a; Korallus 1988, S. 57f). In jeder dieser Entwicklungsphasen weist die Organisation phasen-spezifische Merkmale der Strategie, Struktur und Entscheidungsprozesse auf, die den Umweltmerkmalen entsprechen. Die Entwicklung der Organisation yom Geburt zum Verfall verliiuft linear (Levy/Merry 1986, S. 229).
Die Theorie des Lebenszyklus impliziert, dass organisatorische Triigheit - definiert als relativer Stillstand der Organisation - innerhalb einzelner Entwicklungsphasen zu beobachten ist. Denn die Entwicklungsphasen lassen sich erst bei relativer Stabilitiit der phasenspezifischen Organisationsmerkmale abgrenzen. Dagegen ist organisatorische Transformation - definiert als qualitativer Wandel - beim Wechsel der Organisation von der vorgelagerten Phase zu der niichsten zu erwarten. Somit konnen organisatorische Triigheit und Transformation als Begleiterscheinungen der Entwicklung einer Organisation entlang deren natlirlichen Lebenszyklus interpretiert werden.
Der Ansatz des organisationalen Lebenszyklus verfolgt eine genetische Betrachtungsweise der Organisation. Es findet ein Analogieschluss von biologischen auf okonomische GesetzmiiBigkeiten statt (Korallus 1988, S. 41). Kritisch zu bewerten ist vor allem die deterministische Annahme, dass die Entwicklung einer Organisation "subject to natural laws" ist und ein Iinearer Entwicklungsprozess stattfindet (Levy/Merry 1986, S. 229). Die Hypothese der Iinearen Progression konnte durch empirische Untersuchung nicht bestiitigt werden (Miller/ Friesen 1984a). Die Moglichkeit, dass sich eine Organisation am Ende des organisatorischen Lebenszyklus emeuert (renewal/regeneration), ist nicht auszuschlieBen (James 1973; Adizes 1979).
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Zu 2): Krisenmodelle der Organisationsentwicklung
Anstatt yom Naturgesetz des organisatorischen Lebenszyklus geht man hier davon aus, dass die Krisen den organisatorischen Wandel auslosen. Nach dem empirisch basierten Modell von Greiner (1972) durchUiuft jede Untemehmung bestimmte, deutlich zu identifizierende Phasen der Evolution und Revolution. Evolutionare Perioden sind durch das jeweilig dominierende Managementkonzept charakterisiert, wiihrend die relativ kurzen revolutionaren Perioden durch die jeweilig typischen Managementprobleme bzw. -krisen gekennzeichnet werden. Greiner ist der Auffassung, dass jede Phase Foige der vorausgegangenen Phase und Ursache flir die nachfolgende Phase ist.
LevylMerry (1988, S. 231) weisen darauf hin, dass im Modell von Greiner hauptsachlich organisationsinteme Managementprobleme, nicht jedoch organisationsexteme UmweItturbulenzen als Ursachen der Krisen genannt worden sind. Betrachtet man die Organisation als ein Oko-System, sind sowohl systeminteme als auch -exteme Krisenpotentiale bzw. Gefiihrdungsbereiehe zu identifizieren (Staehle 1994, S. 854). Eine erste Ordnung der Bereiche der Gefiihrdung flir den Fortbestand einer Organisation findet man in dem Stakeholder-Modell der Untemehmung (Staehle 1994, S. 855): 1st eine relevante Stakeholder-Gruppe, wie z. B. Kunden oder Eigentlimer, stark unzufrieden mit den Ergebnissen der Organisation, ist der Fortbestand der Organisation gefiihrdet bzw. tritt die Krise flir die Organisation auf.
Das Greinersche Modell und andere Krisenmodelle der Organisationsentwicklung7 implizieren, dass organisatorische Tragheit in der evolutionaren, "krisenfreien" Phase der Organisationsentwicklung auf tritt, wiihrend organisatorische Transformation in der revolutionaren Phase bzw. in der Krisensituation der Organisation erfolgt. Organisatorische Tragheit und Transformation sind sOimt zwei sich abwechselnde Zustiinde einer Organisation. Die revolutionaren Entwickiungsphasen werden durch Krisen eingeleitet, wobei die Krisenursachen auBerhalb undJoder innerhalb der Organisation zu suchen sind.
2.2. Der populations-okoiogische Ansatz
Flir Vertreter des populations-okologischen Ansatzes stehen weniger Einzelorganisationen sondem Populationen von Organisationsformen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses, deren Auftauchen und Ausdifferenzierung (variation), Auswahl der Besten durch die Umwelt (selection) sowie Bewahrung und Reproduktion (retention) in einem Drei-Phasen-Prozess gesehen werden (Staehle 1994, S. 861; AdrichIPfeffer 1976; Adrich 1979).
In Analogie zu biologischen Selektionsmodellen im Sinne der darwinistischen Evolutionstheorie vertreten die Beflirworter dieses Ansatzes die These, dass Umweltkrafte so\Che Organisationscharakteristika auswahlen, die am besten mit den UmweItanforderungen zu vereinbaren sind. Sofem sich die Umweltanforderungen und Organisationsmerkmale entsprechen, ist die Selektion positiv, d.h. sie erlaubt das Uberleben der Organisationen; wenn nieht, werden die Organisationen im Foige der begrenzten Verfligbarkeit der Ressourcen und im Uberlebenskampf untereinander untergehen (Hannan/Freeman 1989, S. 13 ff.; Staehle 1994, S. 861). Die Divergenz innerhalb einer derzeit bestehenden Population der Organisa-
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Weitere theoretische und empirische KrisenmodelJe der Organisationsentwicklung findet man bei KoralJus (1988, S. 51 ff.) und LevylMerry 1986, S. 231 ff.
tionen ist das kumulative Ergebnis der langfristigen Umweltselektion (HannanIFreeman 1989, S.20).
Organisatorische Triigheit ist aus der populations-okologischen Sicht strukturell bedingt bzw. system-immanent. HannanIFreeman (1989, S. 12 ff.) sprechen deshalb vom "strukturellen Beharrungsvermogen" der Organisationen: " ... Selection pressures in modem societies favor organizations that can reliably produce collective action and can account rationally for their activities. A prerequisite for reliable and accountable performance is the capability to reproduce a structure with high fidelity. The price paid for high-fidelity reproduction is
structural inertia. Thus if selection favors reliable, accountable organizations, it also favors organizations with high levels of inertia. In this sense, inertia can be considered to be a by
product of selection." (HannanIFreeman 1989, S. 90). Als die beiden Grundmechanismen fiir
die Vererbung systemkonformer Verhaltensweisen werden Institutionalisierung und Bildung hoch standardisierter Routinen genannt (ebenda, S. 75 ff.).
In einer differenzierteren Analyse vertreten HannanIFreeman (1989, S. 78) die Ansicht,
dass man nach der Wandlungsfahigkeit zwischen Kern- und Randbereichen der Organisation unterscheiden kann. Der Kern der Organisation (core) iindert sich im Gegensatz zu den Randbereichen (peripheral parts) kaum. Hier greifen die Autoren (1989, S. 78 ff.) auf die Thesen in der Literatur iiber die Existenz von organisatorischen Teilsystemen und Tiefen (organizational
depth) zuriick. Kernelemente der Organisation wie fundamentale Ziel-orientierung, Form der Autoritiitsausiibung, grundlegende Strategien und Schliissel-technologien usw. lassen sich im Verlauf der Zeit kaum iindern. Formale Organisations-struktur sowie bestimmte Austauschmuster mit den Akteuren in der Umwelt konnen sich dagegen leichter iindern (Hannan! Freeman 1989, S. 79).
Als Fazit dieses theoretischen Ansatzes kann man festhalten, dass die Populationen der
Organisationen aus der populations-okologischen Sicht den Selektionskriiften der Umwelt ausgesetzt sind. Man geht vom "strukturellen Beharrungsvermogen" der Organisationen aus. Die internen und externen Barrieren hindern die Organisationen daran, sich rechtzeitig an die Umwelt anzupassen. Selbst wenn sich die Randbereiche der Organisation iindern konnen, sind die Kernelemente der Organisation kaum wandlungsfahig.
Staehle (1994, S. 857 ff.) bezeichnet in Anlehnung an Tiirk (1989, S. 58 ff.) den populations-okologischen Ansatz als "Selektionsmodelle" der Veriinderung von Organisationen: "Selektionsmodelle beantworten die Frage nach der Ursache fiir die empirisch vorfindbare Vielfalt von Organisationen, flir Uberleben oder Untergang von Organisationspopulationen, mit der Selektionskraft der Umwelt und gerade nicht mit der Anpassungsleistung der Organisation bzw. ihres Managements" (Staehle 1994, S. 860). Er spricht vom "Fatalismus
der Selektionsmodelle", der seiner Meinung nach stark an die These von der "unsichtbaren
Hand" von Adam Smith erinnert (Staehle 1994, S. 54). Es wird iibersehen, dass viele Orga
nisationen durchaus in der Lage sind, die Umwelt mit zu gestalten ("sichtbare Hand") und
pro-aktive Selbsterneuerung in Gang zu setzen.
2.3. Die Theorie der strategischen Wahl
1m Gegensatz zu den Autoren des populations-okologischen Ansatzes betont man hier die Rolle der Managemententscheidungen flir den fundamentalen Wandel einer Organisation. "The source of change is within the organization, and change is triggered by management
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behavior, decision-making processes, choice making, and strategic planning." (Levy/merry 1986, S. 220).
Einer der wichtigsten Vertreter dieser These ist Child (1972). Er betont die Bedeutung der strategischen Wahl (strategic choice) der Organisation und weist darauf hin, dass die Entscheidungstrager in der Organisation Autonomie liber eine Reihe von Variablen verfligen, die einen radikalen und pro-aktiven Wandel der Organisation ermoglichen (Child 1972, S. 1 ff.). Der Ansatz der strategischen Wahl ist in der Organisations- und Strategieforschung nicht neu. So hat Chandler bereits Anfang der sechziger Jahre mit seiner These "structure follows strategy" die entscheidende Bedeutung der strategischen Entscheidungen des Managements fUr strukturelle MaBnahmen der Organisation hervorgehoben (Staehle 1994, S. 54; Chandler 1962).
Organisatorische Tragheit und Transformation werden somit als Ergebnis unterschiedlicher Entscheidungen (=choice) einer Organisation verstanden (vgl. Levy/Merry 1986, S. 220): Lindblom (1959) bezeichnen den Entscheidungsprozess flir Wandel erster Ordnung als "the branch method". Die Entscheidungen hier basieren auf der aktuellen Situation, erlauben begrenzte Verbesserungen innerhalb des bestehenden Kontextes. Der Entscheidungsprozess flir den Wandel zweiter Ordnung wird von dem Autor als "the root method" bezeichnet. Die Entscheidungen starten mit neuen Annahmen und Perspektiven, schaffen neuen Kontext und weisen eine neue Richtung fUr die Organisation. Vickers (1965) unterscheidet zwischen "the executive method" und "the policy making method" der Managemententscheidung. Die erste Methode gewiihrleistet die Einhaltung der bisherigen Grundlinien, Normen, Prozeduren und Standards. Die zweite Methode schafft neue Grundlinien, Regeln, Normen und Werte (Levy/ Merry 1986, S. 220). Davis (1982) unterscheidet zwischen "content changing" Entscheidungen fUr den Wandel erster Ordnung und "context changing" Entscheidungen fUr den Wandel zweiter Ordnung.
Es ist darauf hinzuweisen, dass strategische Wahl einer Organisation nicht als "absolut freie Wahl" zu verstehen ist. Anstatt ins Netz des "Fatalismus der Wahl" zu fallen, muss man die Tatsache berUcksichtigen, dass es in realen Entscheidungssituationen stets eine Reihe von subjektiven und objektiven Restriktionen bzw. Begrenzungen gibt. Viele Autoren sprechen deshalb von der "begrenzten Wahl" des Managements bzw. von der Existenz eines "Entscheidungsspielraums" flir die Organisation oder eines "Organisationsspielraums" (Staehle 1994, S. 54 ff.; Khandwalla 1977; Montanari 1978; Sydow 1985 und Kubicek 1980).
Nach Kubicek (1980, S. 45) konnen die Begrenzungen der Wahlmoglichkeit des Managements mit einem zweistufigen Modell systematisiert werden: Auf der ersten Stufe begrenzen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen die konstitutiven Entscheidungen einer Organisation wie z. B. die Organisationsverfassung, die Sach- und Formalziele sowie die soziokuIturellen Strukturen8• Die konstitutiven Entscheidungen stellen sich dann auf der zweiten Stufe als Begrenzungen dar fUr nachfolgende Entscheidungen im Bezug auf die Geschaftsstrategie, Leistungsstandards, Organisations- und Personalstrukturen. Ein ahnliches, jedoch einstufiges Modell hat Khandwalla (1977, S. 266) ausgearbeitet.
Strategische Wahl fUr organisatorische Transformation findet im realen Leben im Bereich des flir die Organisation "Machbaren" bzw. "Vorstellbaren" statt. Das heiBt: Inwieweit eine
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Beziiglich der sozio-kulturellen Struktur einer Organisation hat Kubicek (1980) den Begriff "Sozialstruktur" verwendet. Sozialstruktur der Organisation spiegelt nach Kubicek (1980) die Verteilung von Qualifikationen, Werten und Normen in der Organisation wieder. Vgl. Staehle 1994, S. 55; Kubicek 1980.
Organisation transfonnative Entscheidung trifft oder nicht, ist nach der Theorie der "relativen" Wahlfreiheit davon abhangig, ob der tatsachlich vorhandene undloder der von den Entscheidungstragem subjektiv wahrgenommene Organisationsspielraum flir soIche Entscheidungen gegeben ist. Die Gegebenheiten in der extemen Umwelt spielen hier ebenso eine wichtige Rolle, wie die subjektive Wahmehmung und Kognition der Entscheidungstrager in der Organisation. Somit kommt man zu der lemtheoretischen und kognitiven Perspektive des organisatorischen Wandels, die im folgenden naher erlautert wird.
2.4. Der lerntheoretische bzw. kognitive Ansatz
Diese Perspektiven des organisatorischen Wandels werden in der Literatur auch als "Lemmodelle" des Wandels bezeichnet (Staehle 1994, S. 871). Betont wird hier die Bedeutung des organisationalen Lemens flir den organisatorischen Wandel. Unter organisationalem Lemen versteht man in der Literatur kollektive Speicherung und Entwicklung des Wissens und der Verhaltensmuster in einer Organisation (LeorylRamanantsoa 1997, S. 871). Organisationales Lemen bedeutet zugleich Veranderung von Wissensbestanden der ganzen Organisation bzw. die Entwicklung einer von den Organisationsteilnehmem gemeinsam geteilten Wissensbasis (knowledge base) (vgl. DuncanIWeiss 1979; Staehle 1994, S. 864 ff.).
Die organisationale Wissensbasis umfasst Wissen, das zwischen den Organisationsmitgliedem kommunizierbar, konsensfahig bzw. intersubjektiv validierbar und auBerdem in Organisationsstrukturen und -prozesse integriert ist (DuncanIWeiss 1979). Den Kern des organisationalen Wissens bildet das von allen Organisationsmitgliedem geteilte Wissen, das sich vor allem in den Regelsystemen, Sinnmodellen bzw. der Organisationskultur niederschlagt (vgl. Sonntag, K. 1996, S. 71 ff.; Pautzke 1989; ZahnlGreschner 1996, S. 47 ff. und die dort angegebene Literatur).
Zur Beschreibung dieser Regelsysteme bzw. Sinnmodelle haben Argyris und Schon (1978, S. 10 ff.) den Begriff "theories-in-use" verwendet. Darunter verstehen die Autoren die Alltagstheorien der organisationalen Handlung, die gemeinsame Weltsichten in Organisationen zum Ausdruck bringen (Argyris, C.lSchon, D. 1978, S. 10 ff.). In der Literatur wird eine Reihe von sozial-konstruktivistisch9 gefiirbten Begriffen zur Bezeichnung der kognitiven Strukturen in Organisationen verwendet, wie z. B.
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mentale Modelle (mental models) (vgl. Hodgkinson 1997, S. 921 f.; KelleriWeinberger 1992; ZahnlGreschner 1996, S. 45f)1O, Interpretationsschemata (interpretative schemes) (vgl. Levy/Merry 1986, S. 234 ff.11),
Der Sozialkonstruktivismus geht davon aus, dass die "objektive" Wirklichkeit von Individuen "subjektiv" rekonstruiert wird. Handlungsrelevante Bedeutungszusammenhiinge basieren auf selektiver Perzeption der Handlungsumgebung, kognitiver Zurechtlegung (Interpretation, Definition) und interpersoneller Verstandigung (Aushandlung). In der deutschen Literatur werden diese theoretischen Ansatze als "interpretative Ansatze der Organisationstheorie" bezeichnet. Vgl. Staehle 1994, S. 67f; Wollnik, M. (1993); BergerILuckman 1967; Weick 1979. Vgl. auch HodgkinsonIThomas 1997 und die dort angegebene Literatur.
10 Mentale Modelle sind mentale Konstruktionen, die analoge, aber vereinfachte Modelle realer Sachverhalte darstellen. Vgl. Hodgkinson, G.P. (1997), S. 921-922 und die dort angegebene Literatur. Vgl. auch Keller, H.B.lWeinberger, T. (1992); Zahn, E.lGreschner, J. (1996), S. 45 f.
11 Interpretationsschemata in Organisationen sind geteilte Wahrnehmung und Interpretation der Umwelt (shared understanding). Vgl. Levy, A./Merry, U. (1986), S. 234 ff. und die dort angegebene Literatur.
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Paradigmen (paradigm) (vgl. ZahnlGreschner 1996, S. 49 ff.)12, dominante Logik (dominant logic) (vgl. ZahnlGreschner 1996, S. 50)13, dominierende Glauben und Ideologien (dominating beliefs or ideologies) (Pettigrew 1987a, S. 658)oder Kultur (culture) (vgl. Whipp et al. 1987, S. 18)14.
1m Zeitverlauf iindert sich das organisationale Wissen durch organisation ales Lemen. Festzuhalten gilt, dass unterschiedliche Lemprozesse bzw. -typen zum unterschiedlichen AusmaB der Anderung in diesen kognitiven Strukturen und somit auch zum unterschiedlichen AusmaB des organisatorischen Wandels fiihren:
Bei dem sogenannten "single-loop learning" oder "first-order learning" findet das organisatorische Lemen unter Aufrechterhaltung der vorherrschenden kognitiven Strukturen statt (vgl. Argyris, C.lSchtin, D. 1978; LantIMezias 1992, S. 48 ff.; Sonntag 1996, S. 67 ff.). Es ist ein routinemiiBiger, gradueller bzw. konservativer Lemprozess unter Aufrechterhaltung der bestehenden Beziehungsnetze und Regelwerke (LantIMezias 1992, S. 48f).
Beim "single-loop learning" herrscht kognitive Triigheit (cognitive inertia) vor: Mentale Basiskonditionen, die Problemwahmehmungen, Ltisungsansiitze und Aktionsmuster der einzelnen Individuen stark beeinflussen, sind hier erhalten geblieben (Levy/Merry 1986, S. 233f). Somit ist ein qualitativer Wandel im Denken und Handeln kaum mtiglich (Poracl Thomas 1990; HodgkinsonIThomas 1997, S. 848; Hodgkinson 1997). "Single-loop learning" ist deshalb die mentale Basis der organisatorischen Triigheit (LantIMezias 1992, S. 48f).
Werden im Lemprozess neue Interpretationsschemata, Paradigmen bzw. Wertorientierungen gesucht, findet "double-loop learning" bzw. "second-order learning" statt (vgl. Argyris, C.lSchtin, D. 1978; LantIMezias 1992, S. 49; Sonntag 1996, S. 67 ff.). "Double-loop learning" basiert auf der Erkenntnis der Organisation, dass bestimmte Lemerfahrungen nicht mehr mit den bestehenden kognitiven Strukturen erkliirt werden ktinnen (LantIMezias 1992, S. 49): "This process of experimentation ( ... ) can lead to the recognition of new goals or means to achieve goals, new ways of assembling responses or connecting stimuli to responses ( ... ), and the integration of new constructs into existing cognitive structures ( ... )."15. Beim "double-loop learning" wird also die kognitive Triigheit der Organisation durchbrochen, so dass organisatorische Transformation mtiglich wird.
12 Kuhn (1976) benutzt den Begriff des Paradigmas zur Bezeichnung eines wissenschaftlichen Modells. tiber das ein Kollektiv von Wissenschaftlern gemeinsam verftigt und das ihnen einen Rahmen fUr Probleme und Ltisungen vorgibt. Paradigmen in Organisationen sind mentale Modelle. die einen Rahmen ftir Problemwahrnehmung und -Iosungen der jeweiligen Organisation definiert. Ftir ZahnlGreschner ist das Paradigma einer Organisation der "Kern geteilten Wissens" dieser Organisation. Vgl. Kuhn. T.S. (1976). S. 25 ff .• S. 37 ff. und S. 57 ff.; Zahn. E.!Greschner. 1. (1996). S. 49f und die dort angegebene Literatur.
13 Dominante Logik einer Organisation ist der durch das vorhandene Paradigma eingeschrankte Blick der Organisation auf die externe und interne Umwelt. der den venneintlich relevanten Realitiitsausschnitt festlegt. Sie ist der "Filter". der selektierend bei der Infonnationsgewinnung der Organisation wirkt und auf diese Weise die Gestaltung und Lenkung der Organisation erheblich beeinflusst. Vgl. Zahn. E./Greschner. 1. (1996). S. 50; BettisIPrahalad (1995). S. 7.
14 Nach der Theorie des Institutionalismus sind auch Kulturwerte bzw. normative Regeln Wissen bzw. Fakten {"facts") ...... nonnative obligatons ... enter into social life primarily as facts." (MeyerlRowan 1977. S. 341). V gl. hierzu auch GreenwoodlHinings 1996. S. 1031-1032.
15 Lant. T.K.lMezias. S.l. (1992). S. 49. Der Prozess entspricht dem Drei-Phasen-Verlauf der einschneidenden Verhaltensanderung in der Lernpsychologie: Assimilation. Akkomodation und Aquilibration. Vgl. hierzu Staehle. W. (1994). S. 863 ff. und die dort angegebene Literatur.
14
Der lemtheoretische bzw. kognitive Ansatz bringt neue Perspektiven fUr die Analyse des organisatorischen Wandels: Zum einen wird dem organisationalen Lemen, eine Art Interaktion zwischen Umwelt und Organisation, entscheidende Bedeutung flir die Erkllirung unterschiedlicher Qualitlit des organisatorischen Wandels beigemessen. Somit wird die einseitige Betonung der Umweitselektion und der strategischen Wahl (strategic choice) der Organisation vermieden. Zum anderen flihrt der Ansatz zur Erkenntnis, dass der organisatorische Wandel auch oder vor allem als ein kognitiver Prozess zu sehen ist, und dass der qualitative Wandel der organisationalen Wissensbasis (knowledge-base) die wichtigste Voraussetzung flir den fundamentalen Wandel der Organisation darstellt.
Organisationales Lemen ist ein Prozess der kollektiven Argumentationen bzw. kollektiven Debatten und Dialoge (ZahnlGreschner 1996, S. 57; Langfield-Smith 1992, S. 3610. "Second-order learning" kann durch eingefahrene Routine in der Organisation verhindert, blockiert oder gar verptint werden. Diese Routine wird in der Literatur als "defensive routines" bezeichnet (Argyris, C./Schtin, D. 1978). Sie wird manifestiert in den MachtFUhrungs- und Kommunikationsstrukturen der Organisationen (Sonntag 1996, S. 73). Somit kommt man zu der mikropolitischen Perspektive der organisatorischen Trligheit und Transformation, die im folgenden Abschnitt nliher erlliutert wird.
2.5. Die mikropolitische Perspektive
Nach der mikropolitischen Theorie ist die Organisation ein BUndel von Koalitionen von Menschen mit unterschiedlichen Interessen, Ideologien, Wertvorstellungen und Machtpositionen. Unterschiedliche Koalitionen klimpfen urn Einfluss und Macht (Levy/Merry 1986, S. 224; Pondy 1967, S. 223). "Conflict is an inherent attribute of human interaction. Change is the result of political campaigns and the triumph of a coalition of one interest group and its values, ideology, and interest over others" (Levy/Merry 1986, S. 223; Schein 1977).
Organisatorische Transformation im Sinne des Wandels zweiter Ordnung bedeutet demnach eine politische Kampagne, in der Koalition geschlossen, Beziehungsnetz aufgebaut und Propaganda betrieben wird (Levy/Merry 1986, S. 223; Adams 1983). Sie fUhrt zur Verschiebung der bestehenden Machtstruktur in Organisationen. Es geht hier nicht urn rationale Argumentation und Entwicklung eines von allen Organisationsmitgliedem geteilten Wertsystems. "Change is about renegotiating certain dominant values and attitudes in the organization in order to introduce new systems. Under such circumstances visions and values are not likely to be shared, with the likely result being a clash of wills. Successful change involves one person or group influencing the organization according to their values. Under such circumstances, change is a painful experience for those involved." (Levy/Merry 1986; S. 224; vgl. auch die dort angegebene Literatur, vor allem KakabadselParker (Hrsg.) 1984).
Organisatorische Trligheit kann demnach als ein Zustand betrachtet werden, in dem die Interessenkoalitionen zur Aufrechterhaitung des Status quo ihren Willen gegen die organisatorische Transformation und gegen die damit verbundene Verschiebung in der bestehenden Machtstruktur durchsetzen ktinnen. Konservative Interessenkoalitionen ktinnen auf niedrigeren Hierarchieebenen einer Organisation angesiedelt sein (z. B. betroffene Mitarbeiter in
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den Werkhallen), die Widerstand zu der "top-down" initiierten Trans-formation l6 leisten. Sie konnen aber auch auf hoheren Hierarchieebenen der Organisation angesiedelt sein (z. B. Organisationselite bzw. Topmanagement), die "bottum-up" initiierte Transformation "von oben" blockieren bzw. erschwerenl7 . Zahlreiche Studien zum Widerstand im organisatorischen Wandelprozess haben dies bestiitigen konnen (vgl. Staehle 1994, S. 921 ff. und die dort angegebene Literatur).
Einige Autoren vertreten in diesem Zusarnmenhang eine radikale Ansicht, dass Organisationen als unterdrtickende politische Systeme zu sehen sind. Dominante Koalitionen widerstehenjedem Wandel, der deren Macht und Privilegien beeintriichtigen kann (vgl. Levy/Merry 1986, S. 224 und die dort angegebene Literatur). Organisatorische Transformation ist demnach ein Prozess der Revolution, in dem die Unterdriickten ihre Situation wahmehmen und die Realitiit zugunsten einer gerechteren Interessen- und Machtverteilung zu iindem versuchen (Levy /Merry 1996, S. 224).
Aus den vorangegangenen Erliiuterungen kann man das Fazit ziehen, dass Triigheit und Transformation einer Organisation nach der mikropolitischen Perspektive als unterschiedliche Ergebnisse des intemen Interessen- bzw. Machtkampfes betrachtet werden konnen.
2.6. Die Gleichgewichtsmodelle des Organisationswandels
Organisatorische Triigheit und Transformation werden hier als Ergebnis des Bestrebens einer Organisation gesehen, Konsistenz (bzw. Gleichgewicht) zwischen der Organisation und der Umwelt auf der einen Seite und Konsistenz zwischen intemen Konfigurationselementen auf der anderen Seite zu gewiihrleisten. 1m folgenden werden drei Beitriige aus der Literatur erliiutert: 1) die Theorie des "quantum change" von MillerlFriesen, 2) das Modell des "punctuated equilibrium", und 3) das dissipative Modell der Organisationstransformation.
Zu 1): die Theorie des "quantum change" von MillerlFriesen
MillerlFriesen (1984) betrachten Organisationen als komplexe Einheiten mit einer Reihe von Struktur-, Strategie- und Umweltelementen. Diese Elemente haben die natiirliche Tendenz, sich zu einer logisch konsistenten Gesamtheit bzw. Konfiguration zu verbinden (vgl. Staehle 1994, S. 58 ff.). Die Autoren bezeichnen diese Konfigurationen als "quanten" (ebenda, S. 1) bzw. "archetypes" (MillerlFriesen 1978). Der "quantum view" der Organisation ebnet den Weg zur konfigurations- bzw. konsistenztheoretischen Organisationstheorie, die als eine Ergiinzung zur kontingenztheoretischen Betrachtung von Organisationen (contingency view) gesehen wird. Man spricht hier flir eine ganzheitliche (holistische) Betrachtung von Organisationen (Staehle 1994, S. 62f; MeyerrrsuilHinings 1993).
Nach dem "quantum view" befindet sich die Organisation im Idealzustand sowohl im extemen als auch im intemen Gleichgewicht. Das exteme Gleichgewicht bezieht sich auf die
16 Je nach der Interventionsebene in der Hierarchie unterscheidet man in der Literatur zwischen "top down" und "bottom up" -Veranderungsstrategie. Vgl. hierzu Staehle, W. (1994). S. 880 ff. und die dort angegebne Literatur.
17 Staehle weist darauf hin, dass Manager auf hOherer Hierarchieebene in der Regel nur so1che Veriinderungsprozesse f(jrdem und unterstiitzen, die ihm Vorteile bringen. Sie behindern in der Regel aile Entwicklungen, seien Sie noch so positiv fiir die ganze Organisation, die seine Position gefahrden. V gl. Staehle, W. (1994), S. 923.
16
Kongruenz zwischen der Umwelt und der Organisation. Das interne Gleichgewicht bezieht sich auf die logische Konsistenz zwischen den internen Strategie-, Struktur- und Prozessvariablen der Organisation. Tritt eine Anderung in der Umwelt auf, entsteht zuerst ein Ungleichgewicht (misfit) in der AuBenbeziehung. Versucht die Organisation das Ungleichgewicht durch graduelle Anderung einzelner internen Teilelemente der Organisation zu beheben, was von den Autoren als "piecemeal change" bezeichnet wird, wird das interne Gleichgewicht zerstOrt.
Die Organisation ist nun mit dem Problem konfrontiert, die Kosten einer den Umweltanforderungen nicht gerechte Organisationsstruktur gegen die Kosten der Zerstorung einer in sich konsistenten, harmonischen Organisationsstruktur und -kultur abzuwagen (Miller 1982; MillerlFriesen 1984). Zeitliche Verzogerung der Anpassung (adaptive lag) bzw. organisatorische Tragheit wird nun als Resultat dieser Abwagung gesehen. Miller (1982) vertritt die These, dass man organisatorische Transformation hinauszogern sollte, wenn der erwartete Nutzen nicht die absehbaren Kosten kompensieren konnte. Angesichts der Unsicherheit in der Umwelt sowie der hohen Kosten der partiellen Restrukturierung ist verzogerte Reaktion auf Wandelsignale der Umwelt nach seiner Meinung oft die am meisten okonomische Anpassungsstrategie (Miller 1982, S. 140-141).
Der revolution are trbergang von der bestehenden Konfiguration zu einer neuen Konfiguration wird von MillerlFriesen (1984, S. If) als "quantum change" bezeichnet. "Quantum change" ist eine in allen Teilsystemen der Konfiguration aufeinander abgestimmte organisatorische Transformation. Sie ist erst dann erforderlich, wenn der Umweltdruck zu stark und die Veranderung unvermeidbar ist (Miller 1982; MillerlFriesen 1984). Je nach dem, wie die Umwelt der Organisation strukturiert ist, schlagt Miller (1982) eine differenzierte Reaktionsstrategie vor: In einer Umwelt mit groBer Unsicherheit und mit hoher Toleranz l8 gegeniiber lihnlichen oder leicht modifizierten Strukturen kann man selbst den graduellen Wandel der Organisation hinauszogern. In einer Umwelt mit geringer Unsicherheit und niedriger Toleranz gegeniiber alternativen Strukturen muss man dagegen den revolutionaren Wandel unmittelbar einleiten (vgl. Miller 1982, S. 144 ff.; Staehle 1994, S. 63).
Zur Erklarung der organisatorischen Tragheit und Transformation haben MillerlFriesen demnach zwei Ursachenkomplexe analysiert: Umweltzustand und strategische Wahl (strategic choice) der Organisation. Zur Aufrechterhaltung der externen und internen Konsistenz der Organisationskonfiguration soli man nach der Theorie der Autoren die Entscheidung fiir Wandel auf Basis der entsprechenden Nutzen-Kosten-Analyse treffen.
Zu 2): Das Modell des "punctuated equilibrium"
Das Modell des "punctuated equilibrium" kann nach Auffassung des Verfassers als eine weiterentwickelte Variante der Thesen von MillerlFriesen betrachtet werden. Eine ausfiihr-
18 Miller unterscheidet zwischen "predictable" und "unpredictable" sowie "exclusive" und "inclusive" Umwelt. Ein Umweltzustand ist "exclusive", wenn nur eine bestimmte Struktur als "optimal" erlaubt wird (d.h. niedrige Toleranz gegeniiber alternativen Strukturen). Umweltwandel fordert hier revolutioniiren Strukturwandel der Organisation heraus. "Inclusive" ist ein Umweltzustand, der mehrere iihnliche oder leicht modifizierte Strukturen erlaubt (hohe Toleranz gegeniiber alternativen Strukturen). In solcher Umwelt ist ein evolutionarer bzw. inkrementaler Wandel moglich. Vgl. Staehle 1994, S. 63 und Miller 1982, S. 144 ff.
17
liche Eriliuterung dieses Modells findet man bei TushmanIRomanelli (1985) und Gersick (1991) (vgl. auch ViranyrrushmanIRomanelli 1992; Romanellirrushman 1994).
TushmanIRomanelli (1985, S. 174f) bezeichnen die Konfiguration einer Organisation als "strategische Orientierung" (strategic orientation). Diese kann anhand von flinf SchlUsseldomlinen (core activity domains) der Organisation beschrieben werden: (i) Grundlegende Glauben und Kulturwerte ("core beliefs and values"), (ii) Strategie ("products, markets, and competitive timing"), (iii) Machtverteilung ("the distribution of power"), (iv) Organisationsstruktur ("the organization's structure") und (v) Kontrollsysteme ("the nature, type, and pervasiveness of control systems"). Zwischen den SchlUsseldomlinen bestehen hierarchische und logisch konsistente Beziehungen, wobei die grundlegenden Glauben und Kulturwerte an der Spitze der Beziehungshierarchie stehen (TushmanIRomanelli 1985, S. 175).
Externe Konsistenz zwischen der Umwelt und der strategischen Orientierung der Organisation sowie interne Konsistenz zwischen den SchlUsseldomlinen sind zu gewlihrieisten. Nur dadurch kann die Organisation als ein politisch-okonomisches System externe und interne Legitimation eriangen und das Ziel der Effektivitlit und Effizienz realisieren (Tushman/ Romanelli 1985, S. 174f). Externes und internes Gleichgewicht flihren aber nicht nur zur Leistungsfahigkeit, sondern auch zur organisatorischen Trligheit (ebenda, S. 177): "In addition to performance, organization-environment and intra-organizational consistencies are associated with a second important organizational outcome, the development of a structural and socially-anchored inertia. As webs of interdependent relationships with buyers, suppliers and financial backers strengthen, and as commitments to internal participants and external evaluating agents are elaborated into institutionalized patterns of culture, norms, and ideologies; the organization develops inertia, a resistance to all but incremental change. These emergent social and structural processes facilitate convergence on a strategic orientation through the enforcement of rules and norms that constrain the premises of participants' behaviors. A high degree of competence in executing a strategic orientation may thus be developed. These convergent social and structural processes also, however, begin to impede (although not preclude) a firm's ability: (1) to reassess environmental opportunities and constraints, and thus to initiate a strategic reorientation; and (2) even given such a reassessment, to substantially disrupt the networks of interdependent resource relationships and value commitments toward implementation of a new strategic orientation." (TushmanIRomanelli 1985, S. 177).
Beim externen und internen Gleichgewicht werden in der Regel nur graduelle Modifikationen der Organisation unter Aufrechterhaltung der bestehenden strategischen Orientierung (strategic orientation) unternommen. Dies wird als "convergence" bezeichnet (Tushmanl Romanelli 1985, S. 178). Organisatorische Transformation findet erst dann statt, wenn die Organisation nachhaltig unbefriedigende Ergebnisse erzielt, oder wenn gravierende Umweltlinderungen die Effektivitat der bestehenden strategischen Orientierung in Frage stellen (TushmanIRomanelli 1985, S.I78). In soIchen Situationen erfolgen simultane und revolutionlire Verlinderungen in den flinf SchlUsseldomlinen. Dies wird von Tushmanl Romanelli (1985, S.179) als "reorientation" bzw. "recreation" bezeichnet. In diesem Zusarnmenhang heben die Autoren die zentrale Bedeutung des Topmanagements hervor: " ... only executive leadership can mediate between forces for convergence and forces for change and initiate a strategic reorientation." (TushmanlRemonelle 1985, S. 181).
18
Zusammenfassend stellen die Autoren deren Modell der organisatorischen Evolution wie folgt da: "Patterns of organizational evolution are characterized by periods of convergence punctuated by reorientation leading to the next convergent period. These cycles are driven by the emergency of tension between organizational and institutional forces for inertia and competitive, technological and legal pressures on performance which are mediated by the perceptions and decisions of executive leadership." (TushmanIRomanelli 1985, S. 181)
Ais kurzes Fazit kann man festhalten, dass nach dem Modell des "punctuated equilibrium" organisatorische Tragheit ein Ergebnis des extemen und intemen G1eichgewichts bzw. der Konsistenz der Organisation ist. Organisatorische Transformation ereignet sich erst dann, wenn eine oder mehrere der folgenden Bedingungen erfUllt werden: gravierende Anderung der relevanten Umweltbedingungen, drastische oder nachhaltige Ergebnisverschlechterung der Organisation undloder Diskontinuitat in der obersten Fiihrungsetage (z. B. Wechsel von Topmanagem) (vgl. Romanellirrushman 1994; Gersick 1991). Qualitative Anderung vollzieht sich dann gleichzeitig in allen Aspekten der Organisation.
Zu 3): Das dissipative Modell der Organisationstransformation
Die Theorie der dissipativen Strukturen stammt aus der naturwissenschaftlichen Forschung (Levy/Merry 1986, S. 243f; Prigogine 1984). Leifer (1989) hat das Modell der Organisationstransformation, das auf dieser Theorie basiert, als einen Kreislauf mit einem kritischen Scheidepunkt (bifurcation point) dargestellt (siehe Abbildung I):
Abbildung I: Das Modell der dissipativen Strukturen
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t Adaption to changing
conditions
\ Stability and equilibrium
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Reframing and
Resynthesis
visioning
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Dissipative structures
I Experimentation
/
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Quelle: Leifer 1989, S. 907; Luckhardt 1996, S. 29.
Persistence of current behaviors
Increasing ineffective coping
1 Organizational
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High
19
Der Umweltwandel flihrt zum ersten Ungleichgewicht zwischen Umwelt und der Organisationskonfiguration. Erste Versuche zur partiellen, inkrementalen Modifikation bestehender Konfigurationen haben externes Ungleichgewicht nicht beheben konnen, fiihren aber zur organisationsinternen Inkonsistenz bzw. zum internen Ungleichgewicht. Mit dem zunehmenden externen und internen Ungleichgewicht kommt man zu einem kritischen Zustand (bifurcation point), in dem Krisen die Notwendigkeit der konsequenten Neuorientierung der Organisation deutlich machen.
Kann die Organisation die Existenzgeflihrdung wahrnehmen und genug Ressourcen flir konsequente Neuorientierung mobilisieren (bzw. "Energien" dafiir "konsumieren"), werden sowohl externe als auch interne Ungleichgewichte sukzessiv abgebaut. Neue Vision, Wille zur Durchsetzung und Oberzeugung, Experimente mit dem Neuen sowie Synthese von Altern und Neuem kennzeichnen den Weg der Organisation yom Zustand des Ungleichgewichts zu einem neuen Gleichgewichtszustand. Hat die Organisation die Existenzbedrohung aufgrund der "Barrieren der Ignoranz" nicht wahrgenommen, oder besitzt die Organisation nicht ausreichend Ressourcen flir die Transformation, konnen die erforderlichen TransformationsmaBnahmen nicht eingeleitet oder nicht erfolgreich implementiert werden. In diesem Fall bleiben bzw. vergroBern sich die Ungleichgewichte, was letztendlich zum Untergang der Organisation fiihren kann (vgl. Luckhardt 1996, S. 28 ff.; Leifer 1989).
Das dissipative Modell der Organisationstransformation ist nach Auffassung des Verfassers die dynamischere, allgemeinere Version des Modells des "punctuated equilibrium". Es besagt, dass sich organisatorische Tragheit und Transformation im Kreislauf befinden. Organisatorische Tragheit dauert so lange, bis die Organisation den kritischen Scheidepunkt (bifurcation point) erkennt und genug Ressourcen flir konsequente Neuorientierung mobilisiert hat.
2.7. Die Theorie des organisationalen Wandlungspfades von Hinings! Greenwood
Die Theorie des organisationalen Wandlungspfades (organizational track) basiert auf der konsistenztheoretischen Sichtweise der Organisation (Staehle 1994, S. 878; Vier 1996, S. 83). Die Organisation wird als eine natiirliche Ganzheit bzw. Konfiguration der Struktur-, Strategie- und Kulturelemente betrachtet. Diese Konfiguration bezeichnen Hinings/ Greenwood (1988 und 1993) als "design archetyp" und in deren spateren Arbeit als "templates for organizing" (GreenwoodlHinings 1996). Darunter verstehen die Autoren ..... a set of ideas, beliefs and values that shape prevailing conceptions of what an organization should be doing, of how it should be doing it and how it should be judged, combined with structures and processes that serve to implement and reinforce those ideas." (Hinings/Greenwood 1988, S. 295).
Der Weg, den eine Organisation im Zeitverlauf nimmt, urn sich von dem bestehenden Archetyp zu einem neuen zu bewegen, wird als organisationaler Wandlungspfad (organisational track) bezeichnet (Hinings/Greenwood 1988, S. 28). Der Ubergang yom Archetyp A zum Archetyp B lauft idealtypisch in flinf Phasen (Hinings/Greenwood 1988, S. 28):
1) Koharenz im Archetyp A: aile Elemente sind in sich konsistent, 2) Embryonale Inkohlirenz im Archetyp A: einige wichtige Struktur- und Prozesselemente
sind nicht mit dem vorherrschenden Interpretationsschema A vereinbar,
20
3) Schizoide Inkohiirenz: Strukturen und Prozesse stehen in einem Widerstreit zwischen dem Archetyp A und B,
4) Embryonale Inkohiirenz im Archetyp B: einige wichtige Struktur- und Prozesselemente hlingen noch dem alten Interpretationsschema an, und
5) Koharenz im Archetyp B: aile Elemente sind (wieder) in sich konsistent.
Der Obergang von einem Archetyp zu einem anderen, neuen Archetyp stellt "inter-archetypical change" bzw. "reorientation" der Organisation dar, was organisatorischer Transformation entspricht. Organisatorische Trligheit ist dagegen "intra-archetypical change". Rier verlindert sich die Organisation nur innerhalb der Rahmen des bestehenden Archetyps (Rinings/Greenwood 1988, S. 28).
Zur Erkllirung der organisatorischen Trligheit und Transformation haben Greenwood! Rinings (1996) auf die Bedeutung des institutionellen Kontextes (institutional context) hingewiesen. Der institutionelle Kontext umfasst aile Organisationen sowie deren Lieferanten, Kapitalgeber und staatliche Regulierungsbehorden usw. (ScottIMeyer 1991, S. 198; GreenwoodlHinings 1996, S.1927 FuBnote 1). Er Iiefert grundlegende Werte und normative Vorstellungen ftir die Organisationskonfiguration. Eine Organisation ist in der Regel in seinem institutionellen Kontext normativ fest verankert. Dass radikaler Wandel einer Organisation tiberhaupt moglich ist, ist auf mogliche Inkonsistenz und Offenheit des bestehenden Kontextes zuriickzufiihren (GreenwoodlHinings 1996, S. 1028): " ... Institutional fields may have multiple pressures providing inconsistent cues or signals, opening the possibility for idiosyncratic interpretation and either deliberate or unwitting variation in practices." (GreenwoodlHinings 1996, S. 1029; DiMaggiolPoweIl1991a). Dieser Zustand wird von den Autoren als "loosely coupled fields" bezeichnet. Ein institutioneller Kontext ist "offen", wenn er Variationen und Abweichungen erlaubt bzw. den Zugriff der Organisationen auf neue Ideen aus anderen Bereichen zullisst (GreenwoodlHinings 1996, S. 1030).
Neben den Kontextfaktoren haben Greenwood und Rinings auch organisationsinterne Variablen zur Erkllirung der Transformation herangezogen. Die Autoren unterscheiden zwischen der internen Motivation zur Transformation ("precipitating dynamics") und der internen FlihigkeitlKapazitlit zum Management der Transformation ("enabling dynamics") (GreenwoodlHinings 1996, S. 1933 ff.). Die interne Motivation zur Transformation wird bestimmt von dem Grad der Unzufriedenheit der Organisationsmitglieder mit dem Status quo ("interest dissatisfaction") sowie von der Einstellung der relevanten Interessenkoalitionen zum transformativen Wandel ("value commitment"). Beztiglich der Einstellung zum Wandel unterscheiden die Autoren zwischen vier Typen von "value commitment" (GreenwoodlHinings 1996, S. 1037):
1) "Status quo commitment, in which all groups are committed to the prevailing institutionalized template-in-use".
2) "indifferent commitment, in which groups are neither committed nor opposed to the template-in-use" .
3) "competitive commitment, in which some groups support the template-in-use, whereas others prefer an articulated alternative".
4) "reformative commitment, in which all groups are opposed to the template-in-use and prefer an articulated alternative." (GreenwoodlHinings 1996, S. 1035).
21
Die interne Flihigkeit zur organisatorischen Transformation basiert auf der Kapazitlit zum Change Management (capacity for action) und auf dem Machtverhliltnis in der Organisation (supportive power dependencies) (GreenwoodlHinings 1996, S. 1037 f.). In diesem Zusammenhang heben die Autoren wie einige anderen Autoren (vgl. Nadlerffhusman 1990; Tichy 1983) die Bedeutung der Ftihrungsqualitlit des Topmanagements (leadership) flir organisatorische Transformation hervor. " ... lack of clarity and lack of expertise may promote lack of sureness and slower, almost experimental steps" (Greenwood/Hinings 1996, S. 1940).
Ais Fazit kann man festhalten, dass Hinings/Greenwood ein sehr umfassendes Beschreibungs- und Erkllirungsmodell des organisatorischen Wandels entwickelt haben. Sie betrachten organisatorische Transformation (radical change) als den revolutionliren "Obergang einer Organisation yom alten zu einem neuen Archetyp. Ob sich der revolutionlire Wandel der Organisation ereignet oder nicht, hlingt von der Interaktion zwischen den institutionellen Kontextfaktoren und den organisationsinternen Determinanten abo Diese Interaktion produziert Ergebnis, das wiederum auf den institutionellen Kontext und die organisationsinterne Wandlungsdynamik auswirkt (Greenwood/Hinings 1996). Damit kommt es zu "Feedback"- bzw. Lernschleifen im organisationalen Wandlungspfad.
2.8. Fazit
In den vorangegangenen Abschnitten wurde eine kurze Bestandsaufnahme alternativer Perspektiven der organisatorischen Trligheit und Transformation in der Literatur vorgenommen. Wlihrend die Vertreter des populations-okologischen Ansatzes von "structural inertia" def Organisation sprechen und die Variation in def bestehenden Population def Organisationen als Efgebnis der Umweltselektion betrachten, vertritt Child mit seiner These der "strategic choice" genau den entgegengesetzten Ansatz. Die Mehrheit der Forscher geht jedoch davon aus, dass weder die Umwelt noch die Organisation allein ftir den organisatorischen Wandel verantwortlich gemacht werden kann. Es ist die Interaktion zwischen dem Kontext und den organisationsinternen Einflussfaktoren, die zur organisa-torischen Trligheit oder Transformation flihrt.
Das umfassende Beschreibungs- und Erkllirungsmodell hierftir haben nach Ansicht des Verfassers unter anderem Greenwood und Hinings (1996, 1993 und 1988) mit ihrer Theorie des organisationellen Wandlungspfades geliefert. Wlihrend flir diese beiden Autoren ein gradueller, evolutionlirer Verlauf der organisatorischen Transformation durchaus vorstellbar ist, gehen vor allem die Vertreter der "Gleichgewichtsmodelle" wie z. B. TushmanIRomanelli (1985 und 1994) davon aus, dass organisatorische Transformation Diskontinuitlit im evolutionliren Veri auf der Organisationsentwicklung darstellt und ausbruchsartige, simultane Verlinderungen in allen Aspekten der Organisation hervorruft (punctuated equilibrium).
Die Hauptthesen der dargestellten Anslitze I Modelle sind in der folgenden Tabelle auf der Seite 23 zusammengestellt. Die in diesem Kapitel dargestellten Anslitze bieten eine theoretische Basis, worauf Trligheit und Transformation der Staatsbetriebe im Prozess der betrieblichen Transformation beschrieben und erkllirt werden konnen.
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III. Organisatorische Triigheit und Transformation der Staatsbetriebe im Prozess der betrieblichen Transformation
In diesem Kapitel soli zuniichst eine detaillierte Auseinandersetzung mit den system-immanenten Unterschieden zwischen dem idealtypischen Betrieb der Plan- bzw. der Marktwirtschaft erfolgen. Diese Auseinandersetzung wird verdeutlichen, dass betriebliche Transformation in ihrem Grundwesen Wandel zweiter Ordnung ist (second-order change). Beschrieben werden kann sie als "inter-archetypical change" des Staatsbetriebes vom planwirtschaftlich orientierten Archetyp der Betriebsflihrung zu einem neuen, marktwirtschaftlich orientierten Archetyp der Betriebsflihrung.
Auf dieser Basis wird versucht, den idealtypischen Veri auf der betrieblichen Transformation mit einem "Drei-Phasen-Modell" zu erliiutern. AnschlieBend werden mogliche Determinanten des Fortschritts der betrieblichen Transformation analysiert. SchlieBlich werden die Moglichkeiten unterschiedlicher Transformationspfade eines Staatsbetriebes sowie unterschiedlicher Transformationstypen der Staatsbetriebe diskutiert.
1. Systemimmanente Unterschiede zwischen Betrieben der Plan- und Marktwirtschaft
1.1. Differenzierungslogik von Gutenberg und deren Kritik
Unter den deutschen Betriebswirtschaftlern dUrfte Gutenberg (vgl. Neuauflage 1983) den einflussreichsten Beitrag zur Diskussion Uber die system-neutralen und system-immanenten Merkrnale des Betriebes der Plan- und Marktwirtschaft geleistet haben l9. Er hat jeweils drei "systemindifferente" und "systemimmanente" E1emente identifiziert (vgl. auch Wohe, G. 1996, S. 5 ff.; Hopfenbeck 1994, S. 42f). Zu dem systemindifferenten Bereich gehoren die Elemente "Kombination von Produktionsfaktoren", "Wirtschaftlichkeitsprinzip" und "Prinzip des finanziellen Gleichgewichts". Zum systemimmanenten Bereich gehoren folgende Elemente (vgl. detaillierte Erliiuterung in Wohe, G. 1996, S. 5 ff.):
(1) "Autonomieprinzip" versus "Organprinzip" FUr den Betrieb in der Marktwirtschaft ist es charakteristisch, dass er als eine selbstiindige Wirtschaftseinheit seinen Wirtschaftsplan auf Basis der gegebenen Marktsituation autonom bestimmen kann (Autonomieprinzip). Dagegen kann der Betrieb in der Planwirtschaft seinen Wirtschaftsplan nicht autonom bestimmen und ist nur ein ausflihrendes Organ der staatlichen Wirtschaftsbehorden (Organprinzip).
(2) "Alleinbestimmungsprinzip" versus "Mitbestimmungsprinzip" Das Privateigentum an den Produktionsmitteln im Betrieb der Marktwirtschaft gibt den Eigenkapitalgebern (Shareholders) die (relative) Machtstiirke bei betrieblichen Entscheidungen (Alleinbestimmungsprinzip), auch wenn bestimmte FUhrungsentscheidungen aufgrund gesetzlicher Vorschriften oder vertraglicher Regelungen von den Eigentiimern und NichtEigentUmern, wie z. B. Manager und Arbeitnehmern etc. , gemeinsam zu treffen sind (Wohe,
19 Zur ordnungstheoretischen und -politischen Diskussion im Rahmen der Volkswirtschaftslehre vgl. vor aHem Eucken 1990 und Thieme 1995 und die dort angegebene Literatur.
25
G. 1996, S. 6). 1m Betrieb der Planwirtschaft herrscht dagegen das Staatseigentum, und das Prinzip der Mitbestimmung der Entscheidung wird hier mehr betont als in der Marktwirtschaft.
(3) "Erwerbswirtschaftliches Prinzip" versus "Prinzip der plan-determinierten Leistungserstellung" Triebfeder des Verhaltens des Betriebes der Marktwirtschaft ist das Bestreben, durch die Leistungserstellung und -verwertung das Gewinnmaximum zu erreichen (Erwerbswirtschaftliches Prinzip) (vgJ. hierzu auch Wtihe, G. 1996, S. 6). Dagegen bemliht sich der Betrieb der Planwirtschaft darum, staatliche Produktionspliine im Bezug auf Quantitiit, Qualitat und Lieferfrist zu erflillen (Prinzip der plan-determinierten Leistungserstellung).
Das Differenzierungsschema von Gutenberg kann zwar als erste Orientierung bei der Suche nach system-immanenten Unterschieden in der Betriebsflihrung zwischen Plan- und Marktwirtschaft dienen. Sie reicht jedoch nicht aus, urn die Ganzheit der Betriebsflihrung in der Plan- und Marktwirtschaft zu erfassen und zu vergleichen.
Wie einige Autoren kritisiert haben, fehlt bei Gutenberg das Denken in Marktprozessen bzw. die Frage nach der Marktorientierung des Betriebes (vgJ. Hopfenbeck 1994, S. 43 und die dort angegebene Literatur). Denn "Erwerbswirtschaftliches Prinzip, Alleinbestimmung und Autonomie ktinnen auch flir Robinson Crusoe oder den Stammesflihrer einer Selbstversorger-Gemeinschaft gelten." (Schneider 1983, S. 218 ff.). Oder anders formuliert: Ob sich betriebliche Transformation in einem Staatsbetrieb vollzogen hat oder nicht, kann nicht allein mit den oben genannten drei Kriterien beurteilt werden. Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob der Staatsbetrieb auch tatsachlich "marktorientiert" geflihrt wird oder nicht.
Da das Grundmuster der Betriebsflihrung im Fokus der Untersuchung dieser Arbeit steht, wird in den folgenden Abschnitten versucht, die system-immanenten Unterschiede im Grundmuster der Betriebsflihrung des jeweils idealtypischen Betriebes der Plan- bzw. der Marktwirtschaft zu identifizieren.
1.2. Ein alternativer Ansatz zu der DitTerenzierungslogik von Gutenberg
1.2.1. Grundlegende Uberlegungen
Aus der systemtheoretischen Sicht (vgJ. MillerlRice 1967; KatzIKahn 1966 und 1978; Staehle 1994, S. 390) ist ein Staatsbetrieb in der Planwirtschaft - wie ein Unternehmen in der Marktwirtschaft - ein offenes, soziotechnisches System, an dem verschiedene Anspruchs- bzw. Interessengruppen (stakeholders) beteiligt sind. Zu diesen Anspruchsgruppen gehtiren z. B. Regierung, Banken, Abnehmer, Lieferanten, Mitarbeiter und Manager usw. (Freeman 1984; Ten Berge 1987, S.80 ff.).
Definiert man Manager und Mitarbeiter als Mitglieder des Staatsbetriebes, so bilden die betriebsexternen Anspruchsgruppen mit deren Wertsystemen und Verhaltensmustern den externen Kontext des Staatsbetriebes. Durch den Umgang mit diesen externen Anspruchsgruppen entwickeln sich die Mitglieder des Staatsbetriebs gewisse Wertorientierungen und Verhaltensroutinen, die dann die Legitimationsgrundlage des Staatsbetriebes bilden (GreenwoodlHinings 1996, S. 1015 ff.; TushmanIRomanelli 1985, S.174 ff.). Diese Wertorientie-
26
rungen und Verhaltensroutinen der internen Anspruchsgruppen konstituieren den internen Kontext des Staatsbetriebes.
Die Lernerfahrungen des Staatsbetriebes mit der Planwirtschaft fiihren im Zeitverlauf zur Bildung normativer und kognitiver Elemente der organisationalen Wissensbasis (knowledge base), die dem planwirtschaftlichen Kontext entspricht. Auf dieser organisationalen Wissensbasis werden Strategie-, Struktur- und Prozesselemente des Staatsbetriebes zu einer integrierten Ganzheit der Betriebsfiihrung konfiguriert, was die interne Konsistenz des Staatsbetriebes aufrechterhiilt. Das heiBt, entsprechend dem planwirtschaftlichen Kontext wird ein planwirtschaftlich orientierter Archetyp der Betriebsfiihrung entwickelt.
Zur Aufrechterhaltung des externen und internen Gleichgewichts folgt auch der Betrieb der Marktwirtschaft einem bestimmten Muster der Betriebsfiihrung, der dem marktwirtschaftlichen Kontext entspricht. Auch dieser Muster der Betriebsfiihrung basiert auf bestimmten normativen und kognitiven Wissenselementen, die den Kern der organisationalen Wissensbasis bilden.
Zur Ermittlung der system-immanenten Unterschiede zwischen dem Betrieb der Planwirtschaft und dem Betrieb der Marktwirtschaft ist deshalb der Vergleich der beiden Archetypen der Betriebsfiihrung erforderlich. Unter dem "Archetyp der Betriebsfiihrung" versteht man hier die Ganzheit der Betriebsfiihrung mit all ihren Strategie-, Struktur- und Prozesselementen, die durch gemeinsam geteilte Ideen, Werte und Normen (ein kollektives Interpretationsschema bzw. Paradigma) zusammengehalten werden (vgl. Staehle 1994, S. 877; Hinings/Greenwood 1988, S.22; MillerlFriesen 1978 und 1984).
Ein Archetyp der Betriebsfiihrung ist stets mit einem bestimmten Kontext des Betriebes verbunden (Hinings/Greenwood 1996; MillerlFriesen 1984, S. 1). Zur Beschreibung des Archetypes der Betriebsfiihrung ist deshalb zuerst der dazugehorige Kontext zu erliiutern. Es geht hier urn die vorherrschenden Verhaltensweisen und die damit verbundenen Ziel- bzw. Wertvorstellungen betriebsexterner und -interner Anspruchsgruppen in der Plan- bzw. Marktwirtschaft. Die Erlauterung der Unterschiede im idealtypischen Kontext des Betriebes der Plan- bzw. Marktwirtschaft wird im Abschnitt ill. 1.2.2. ausgefiihrt.
Der Archetyp des Betriebes an sich wird in dieser Arbeit - rein gedanklich - in zwei Teile aufgeteilt: das Grundmodell der Betriebsfiihrung und die dazugehorige organisationale Wissensbasis. Wiihrend das Grundmodell der Betriebsfiihrung hauptsiichlich die (in der Regel empirisch beobachtbare) "Oberfliichenstruktur" des Betriebes umfasst, stellt die organisationale Wissensbasis die ideele Sphiire bzw. die (empirisch nicht direkt beobachtbare) "Tiefenstruktur" des Betriebes dar (vgl. Stricker 1997, S. 73 ff.; Weber 1985; Kirsch et al. 1979).
Folgende drei Aspekte des Grundmodells der Betriebsfiihrung in dem idealtypischen Betrieb der Plan- bzw. Marktwirtschaft werden im Abschnitt ill. 1.2.3. beschrieben:
Betriebszweck (Was sind die grundlegenden Ziele des Betriebes?) Betriebsaktivitiiten (Was unternimmt der Betrieb zur Zielerreichung?) Betriebsorganisation (Welche Strukturen und Prozesse im Betrieb werden zur Zielerreichung aufgebaut?)
Das Grundmodell der Betriebsfiihrung ist nicht isoliert von der zugrundeliegenden organisationalen Wissensbasis des Betriebes zu verstehen, die eigentlich die normative und kognitive
27
Orientierung der betrieblichen Konfiguration bietet. 1m Abschnitt ill. 1.2.4. werden daher die Unterschiede in der organisationaien Wissensbasis des idealtypischen Betriebes der Planbzw. Marktwirtschaft eriautert.
1.2.2. Unterschiede im Kontext des Betriebes der Plan- und Marktwirtschaft
Die Unterschiede zwischen dem idealtypischen Betrieb der Plan- bzw. Marktwirtschaft basieren auf den zum Teil stark voneinander abweichenden institutionellen Rahmenbedingungen, die zu unterschiedlichen Verhaltensweisen bzw. Interaktionsmustem der betriebsextemen und -intemen Anspruchsgruppen gefiihrt haben. In der Tabelle 3 wird dies kurz skizziert (siehe folgende Tabelle auf der Seite 29).
Fiir den idealtypischen Betrieb der Planwirtschaft zeichnet sich der betriebsexteme Kontext durch drei Grundmerkmaie aus:
a) relativ stabile bzw. sichere Umwelt Es gibt keinen Marktwettbewerb. Fast alles wird durch die staatlichen Wirtschaftsbehorden geplant bzw. geregelt. Die einzige Quelle der Instabilitat bzw. Unsicherheit liegt im Informationsproblem der Planungsinstanz. Dieses Problem fiihrt dazu, dass man auf eine Detailplanung aller Giiter und Beziehungen auf zentraler Ebene verzichten muss. SOlnit konnen die einzelnen Wirtschaftssubjekte weiterhin einen (auch wenn sehr kieinen) Handlungsspielraum haben, was zur Zunahme der Unsicherheit im Betriebsumfeld fiihren kann (z. B. nicht geplante Schwankung in der Konsumnachfrage und Unsicherheit in der Materialversorgung) (vgl. Thieme 1995, S. 32).
b) absolute Dominanz der Regierung ais Anspruchsgruppe Aile Beziehungen zwischen dem Betrieb und seiner Umwelt laufen iiber die Wirtschaftsbehorden, die Entscheidungs- bzw. Genehmigungsbefugnis haben. Fiir den Betrieb ist die Regierung Eigentiimer (Gewinnabfiihrung an den Staat), Abnehmer (Liefervertrage mit dem Staat), Lieferant (Materiaiversorgung durch den Staat), Kreditgeber (Kredite von den Staatsbanken), Steueramt (Steuerabgaben an die Regierung) und Gesetzgeber (staatliche Regulierung der gesamten Volkswirtschaft).
c) enge Verzahnung zwischen Wirtschaft und Politik Aufgrund des fUr eine Planwirtschaft typischen politischen Systems spielt die Kommunistische Partei in der Regel eine entscheidende Rolle fUr aile Bereiche des Gesellschaftslebens einschlieBlich der Wirtschaft (Kozminski 1993). Die Leiter der einzelnen Hierarchieebenen der Wirtschaftsbehorden sowie die Betriebsdirektoren werden durch die Regierung bzw. Partei eingesetzt und entlassen. Thieme spricht diesbeziiglich von dem Hierarchieprinzip der "Parteilichkeit" (Thieme 1995, S. 29). Dieses Prinzip wird auBerdem durch das Prinzip der "doppelten Unterstellung" erganzt. Nach diesem Prinzip ist die Betriebsleitung beim Treffen in Branchenministerien dem iibergeordneten wirtschaftlichen Entscheidungstrager und beim Treffen im Parteikomitee demjeweiligen politischen Entscheidungstrager verantwortlich (vgl. Thieme 1995, S. 29).
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Der planwirtschaftliche Kontext hinterliisst klare Spuren in dem Grundmodell der Betriebsftihrung sowie in der organisationalen Wissensbasis. Dies wird in den kommenden Abschnitten niiher erliiutert.
1.2.3. Unterschiede im Grundmodell der Betriebsfiihrung
1.2.3.1. Betriebszweck im Vergleich
1.2.3.1.1. Betriebszweck in der Planwirtschaft
In der Planwirtschaft werden staatliche Industriebetriebe als Produktionseinheiten einer geplanten Volkswirtschaft gesehen (Kozminski 1993, S. 7). Der Hauptzweck des Staatsbetriebes ist deshalb die Produktion mtiglichst vieler industrieller Giiter und Dienstleistungen nach den Anweisungen der staatlichen Planbehtirden (Chinese People's University (Hrsg.) 1980, S. 18-19).
Betont wird in der Planwirtschaft jedoch auch sach-technische Effizienz (Kozminski 1993, S.9; Chinese People's University (Hrsg.) 1980, S.18). Dies basiert auf dem systemneutralen Wirtschaftlichkeitsprinzip, wonach man bei gegebener Menge des Inputs mtiglichst groBe Menge von Output zu produzieren und bei gegebener Output-Menge mtiglichst geringe Menge von Input einzusetzen hat (Wtihe, G. 1996, S. 5f). Die Realisierung des Wirtschaftlichkeitsprinzips wird mit der GewinngrtiBe quantitativ zum Ausdruck gebracht. Fiir den Staat ist der betriebliche Gewinn eine wichtige Quelle der Fiskaleinnahmen. Deshalb hat der Staat auch groBes Interesse an der Gewinnzunahme der Staatsbetriebe (Thieme 1995). Insofem gehtirt das Realisieren oder Obertreffen der geplanten GewinngrtiBe auch zu den Hauptaufgaben des Staatsbetriebes. Dies war nicht nur in der ehemaligen DDR der Fall (Thieme 1995), sondem auch in China vor der Systernreform (Huang 1996, S. 1 ff.)21.
Ein weiterer Betriebszweck ist die soziale Vor- und Fiirsorge der Belegschaft. Wohlfahrtsleistungen aller Art wurden nicht nur in vielen Staatsbetrieben in Ost- und Mitteleuropa angeboten (Kozminski 1993, S. 8), sondem auch in vielen chinesischen Staatsbetrieben, die als "dan wei" (Arbeitseinheit) oft siimtliche Funktionen der Gesellschaft erfiillten (Hebel 1997, S. 6; Huang et al. 1997, S. 3 ff.). Betriebsinteme Sozial- und Wohlfahrtsleistungen werden hier nicht nur als Mittel zur Belegschaftsmotivation gesehen, aber vielmehr als Zweck des "sozialistischen Betriebes", dessen Hauptaufgabe in der Befriedigung der vielfaltigen materiellen und imrnateriellen Bediirfnisse des Bevtilkerung einschlieBlich der Belegschaft des Betriebes Iiegt (Chinese People's University (Hrsg.) 1980, S. 18 ff.).
1.2.3.1.2. Betriebszweck in der Marktwirtschaft
Die grundlegende Zielorientierung basiert hier auf dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip, das als eines der wichtigsten Paradigmen in der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung betrachtet wird (Kiiller 1997, S.518; Simon 1996, S. 164 f.). Gefordert wird hier langfristige Gewinnerzielung, die gleichzeitig nachhaltige Stiftung des finanziellen Nutzens fiir Eigen-
21 Ausnahme bildet die Periode des Kulturrevolution, wo die Linksextremen das Gewinnprinzip vemeint haben (Huang 1996, S. 1 ff.).
31
tUrner des Betriebes bedeutet (Hinterhuber 1996, S.4; Wagner 1997, S. 473; Herter 1994; Hax/Majluf 1984).
In der aktuellen Literatur spricht man zunehmend von dem Ziel der "Shareholder Value"Steigerung (Hinterhuber 1996, S. 4. vgl. auch Rappaport 1995; Copeland et al. 1995; Lewis 1995; McTaggart et al. 1994). Unter "Shareholder Value" versteht man den Zukunftserfolgswert des Eigenkapitals, der die Summe des Barwertes aller erwarteten, zukiinftigen Nettoausschiittungen eines Untemehmens darstellt (vgl. Giinther 1997; Born 1995). Marktwirtschaftlich orientierte Betriebsfiihrung kann deshalb als "Value-Based Management" bzw. "Wertmanagement" bezeichnet werden (Hinterhuber 1996, S. 4 f.).
In einer pluralistisch strukturierten Wirtschaftsordnung kann man den finanziellen Nutzen fiir den Eigenkapitalgeber jedoch nur schaffen, wenn man die Interessen anderer Anspruchsgruppen der Untemehmung mit beriicksichtigt (Hinterhuber 1996, S. 4 f.; Janisch 1993, S. 103 ff.; Spremann 1992, S. 365; Bleicher 1992, S. 96 ff.). Nachhaltige Kundenzufriedenheit (customer value), die auf Wettbewerbsvorteilen des Untemehmens basiert, ist eine der wichtigen Voraussetzungen flir Shareholder Value (Black et al. 1998). Genau so wichtig ist die nachhaltige Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter. Ohne die Tatsache aus den Augen zu verlieren, dass langfristige Existenz und Weiterentwicklung des Betriebes in der marktwirtschaftlichen Ordnung ohne nachhaltige Gewinnerzielung nicht moglich ist, soli im idealen Modell der Betriebsfiihrung ein Gleichgewicht aller Anspruchsgruppen und vor allem ein Interessenausgleich im Dreieck-Verhiiltnis "Shareholder-Kunden-Mitarbeiter" erzielt werden (McTaggart 1994).
Das heiSt, in der modemen Marktwirtschaft, in der ein Betrieb vor der Herausforderung des "strategischen Anspruchsgruppenmanagements" steht (vgl. Janisch 1993), richtet Wertmanagement aile untemehmerischen Aktivitiiten "am okonomischen Produktivzweck der Untemehmung" aus "mit dem Ziel, das Vermogen der Aktioniire zu mehren, und im Bewusstsein, dass die Untemehmung als soziales System iiber die marktlichen und gesetzlichen Notwendigkei ten hinaus gesellschaftliche Anspriiche zu erfiillen hat." (Meier-Schering 1996, S. 101).
1.2.3.1.3. Fazit
Als Fazit kann man festhalten, dass system-immanente Unterschiede im Betriebszweck des idealtypischen Betriebes der Plan- und Marktwirtschaft bestehen. Diese Unterschiede sind durch unterschiedliche Schwerpunktsetzung im idealtypischen Profil der Stakeholder-Orientierung des Betriebes gekennzeichnet, was in der folgenden Abbildung 2 modellhaft veranschaulicht wird.
Janisch weist darauf hin, dass in dem sogenannten "sozialistischen Untemehmungsmodell" die Legitimitiit eines Betriebes nicht durch die "Aktioniire" (Eigentiimer), sondem durch die "Gesellschaft" garantiert wird (vgl. Abbildung 6 in Janisch 1993, S. 104). Nach Auffassung des Verfassers kann man ein mehrdimensionales Koordinantensystem zur Beschreibung der Stakeholder-Orientierung eines Betriebes heranziehen (siehe Abbildung 2). Aufgrund der Dominanz der Regierung als Stakeholder zeigt der idealtypische Betrieb der Planwirtschaft starke Orientierung an der Regierung. AuSerdem bilden die Betriebsmitglieder (Manager und Mitarbeiter) eine wichtige Anspruchsgruppe. Der idealtypische Betrieb der Marktwirtschaft zeigt dagegen primiir starke Orientierung an (privaten) Eigentiimem und sonstigen Kapital-
32
gebem (z. B. Banken). Er ist auBerdem stark orientiert an seinen Kunden und Wettbewerbem, was beim Betrieb der Planwirtschaft nicht der Fall ist. Die Interessen der Betriebsmitglieder werden zwar auch yom Betrieb der Marktwirtschaft beriicksichtigt. Die Orientierung an der Belegschaft ist hier jedoch nicht so stark ausgepragt, wie es bei dem idealtypischen Betrieb der Planwirtschaft der Fall ist.
Abbildung 2: Das idealtypische Profil der Stakeholder-Orientierung des Betriebes der Planund Marktwirtschaft im Vergleich
Regierung I "Gesellschaft"
Wettbewerber
Belegschaft
Betrieb der Planwirtschaft
Quelle: eigene Darstellung
1.2.3.2. Betriebsaktivitiiten im Vergleich
Private Investoren (private shareholder)
Fremdkapitalgeber (Banken)
Lieferanten
Betrieb der Marktwirtschaft
Unter Betriebsaktivitaten versteht der Verfasser aile strategischen, operativen und finanziellen Aktivitaten eines Untemehmens zum Erfiillen der Betriebszwecke. Aufgrund des unterschiedlichen Kontextes gibt es unterschiedliche Schwerpunktsetzungen bei den Aktivitaten des Betriebes in der Plan- und in der Marktwirtschaft.
1.2.3.2.1. Betriebsaktivitaten der Planwirtschaft
Strategisches und markt-orientiertes Denken ist bei den Staatsbetrieben unterentwickelt, wenn nicht kaum vorhanden (Kozminski 1993, S. 77). Zum einen gibt es keinen "richtigen" Marktwettbewerb22, so dass der Boden flir strategisches und Marketing-Denken nicht gegeben ist.
22 Zwar wurde in der Planwirtschaft der sogenannte "sozialistische Wettbewerb" organisiert. Er wurde jedoch als immaterielles Anreizinstrument dafilr eingesetzt, dass die Staatsbetriebe noch besser die staatlichen
33
Zum anderen sind viele wichtige Entscheidungen den staatlichen BehOrden vorbehalten (Kozminski 1993, S.77; MalSun 1993). Betriebfiihrung wird somit auf operative Administration der Produktion reduziert. Das heiSt, wettbewerbs- bzw. markt-bezogene Aktivitiiten wie strategische Planung, Marketing und Vertrieb etc. bleiben auf der Betriebsebene stark unterentwickelt (SteinleIBruch 1996, S. 309 ff.). Dominierend sind dagegen Aktivitiiten in der Produktion und im technischen Bereich.
Zur Steigerung der Produktion (und somit auch der Plangewinne) tendiert der Betrieb zur Erweiterung der Produktionskapazitiit. Die okonomische Rationalitiit des Ziels der Produktionsmaximierung hat ihre Wurzel in der "economy of shortage" und basiert auf der in der Planwirtschaft typischen Annahme, dass aIle Produkte abgesetzt werden konnen, die produziert werden ("whatever is produced will be sold") (Kozminski 1993, S. 150).
Der Fokus auf die Produktionserweiterung ist nach Auffassung des Verfassers zum Teil auch darauf zurlickzuflihren, dass diese Praxis das am meisten "Machbare" und auch das "Erstrebenswerteste" flir den Betrieb (bzw. deren Leitung und Belegschaft) darstellt. Am meisten "Machbar" ist die Kapazitiitserweiterung, weil die Handlungsparameter des Betriebes darliber hinaus sehr begrenzt sind. "Erstrebenswert" ist die Kapazitiitserweiterung, weil zunehmende Betriebsgrti6e die Position des Betriebes (bzw. der Betriebsleitung) in der Branchenhierarchie verbessert und einen grtiBeren Spielraum flir betriebsinteme Wohlfahrtsleistungen ermoglicht. Dies kann man an der Steuerbarkeit der Positionen sowie an den Beziehungen zwischen den einzelnen Positionen in der vereinfachten Finanzrechnung eines chinesischen Staatsbetriebes aus der Zeit der Planwirtschaft erkennen (siehe Tabelle 4 auf der Seite 35): Mit einer erweiterten Produktionskapazitiit kann man mehr Volumen produzieren, was in der Planwirtschaft automatisch zu mehr Umsatz fiihrt und - ceteris paribus - auch mehr Betriebsgewinne und kollektive Wohlfahrtsleistungen ermoglicht. Senkung der Kapitalbindung bzw. Asset Management wird als ein Entscheidungsfeld nicht ernst genommen, da Investitionen in Anlagen- und Umlaufvermogen stets mit staatlichen Budgetmitteln sowie weichen Krediten der Staatsbanken (soft credit) finanziert werden konnen.
Neben der Kapazitiitserweiterung ist man auch an der Erhohung der sach-technischen Effizienz der Produktion interessiert, urn bei einer gegebenen Produktionskapazitiit die staatlich geplante Gewinnzunahrne zu realisieren. Vor allem die Senkung des Materialverbrauchs (z. B. durch die Verbesserung der Produktionstechnologie) wird angestrebt. Der Personal bereich gehort jedoch selten oder kaum zum Gegenstand der Rationalisierung, da das Personal selten oder kaum klindbar ist und ein Spielraum fUr die marktgerechte Tarifgestaltung kaum vorhanden ist.
Aufgrund der in der Planwirtschaftlich nicht unliblichen Engpiisse in der Materialversorgung (Thieme 1995, S. 32) hat man entweder einen hohen Sicherheitsbestand im Lager aufgebaut oder vertikale Integration zur Sicherung der Materialversorgung ("defensive vertical integration") betrieben (Pendergast 1995, S. 217 ff.). Finanziert werden kann dies mit dem zinslosen Kapital yom Staatshaushalt und von den Staatsbanken (Pendergast 1995, S. 217 ff.).
34
Planvorgaben erftillten. Es handelt sich weniger urn Wettbewerb auf dem Markt, sondem viel mehr urn politische Kampagne der Staatsbehtirden (Anmerkung des Verfassers. V gl. hierzu auch Thieme \995, S. 35 und die dort angegebene Literatur)
Tabelle 4: Modellhafte Finanzrechnung eines chinesischen Staatsbetriebes aus der Zeit der Planwirtschaft23
Wertposition Steuerbarkeit aus Siehl des Belriebes
Bruttoproduktionswert Preisgeftige kaum steuerbar, da staatliche Produktpreisplanung
(= Umsatzerlos) Mengenwachstum durch hohere Kapazitatsauslastung bzw.
Kapazitatserweiterung realisierbar (--> Kuhhandel mit den Behorden urn
Investitionsmittel)
- Aufwand fur Preisgeftige kaum steuerbar, da staatliehe Ressourcenpreisplanung
Materialien und Volumen steuerbar durch Senkung des Materialverbrauchs bzw. Erhohung der
bezogene sach-technischen Effizienz
Dienstleistungen
-Lohn- und Tarifhohe vorgegeben, da staatliche Lohn- und Gehaltsplanung
Gehaltsausgaben Anzahl der Mitarbeiter auch schwer steuerbar: staatliche Personalzuweisung,
Mitarbeiter nieht ktindbar
- Ausgaben ftir staatlieh festgelegter Prozentsatz der Lohn- und Gehaltssumme, Ausgaben vor
betriebsinterne allem ftir kollektive Sozialeinriehtungen
Wohl fahrtsleistungen
= Belriebs- Cashflow = GewinnIVerlust + Abschreibung
- Abgaben an staatliche hundertprozentige Vereinnahmung des Abschreibungsbetrages durch den Staat
Abschreibungsfonds
- Ergebnistibernahme hundertprozentige Vereinnahmung des Gewinnbetrags durch den Staat oder
durch den Staat hundertprozentige Verlustfinanzierung durch den Staat
= Finanzsaldo I = 0 (Finanzausgleich vor Investitionen)
- Investition in Investitionsentscheidung durch den Staat
Anlagevermogen
- Zunahme von Working Kapitalbindung begrenzt steuerbar durch den Betrieb (z. B. im Lagerbereich)
Capital
= Finanzsaldo II <0
+ Staatsbudget ftir Obernahme aller Investitionsausgaben durch den Staat
Anlageninvestition
+ Staatsbudget ftir Finanzierung des vordefinierten Sockelteils yom Working Capital durch den
Working Capital Staat
+ Kredite der Finanzierung des Restteils des Working Capital durch kurzfristige Kredite der
Staatsbanken Staatsbank
= Finanzsaldo III =0 (Finanzausgleieh)
Quelle: eigene Darstellung mit Angaben von Huang 1996, S. 146 ff. und Ma 1982, S. 347 ff.
Systembedingt hat der idealtypische Betrieb der Planwirtschaft zahlreiche gesellschaftliche Aufgaben intemalisiert (vgl. Hebel 1996, S. 6). Sozial- bzw. Wohlfahrtsleistungen stellen
23 Das Rechnungswesen der chinesischen Staatsbetriebe hat sich im Laufe der Zeit mehrmals geandert. Das in dieser Modellrechnung dargestellte Schema entsprieht dem System Anfang der sechziger Jahre. Vgl. Huang (1996).
35
einen festen Bestandteil der Betriebsaktivitaten dar. In einem chinesischen Staatsbetrieb begleiten sie zum Beispiel die Betriebsmitglieder von deren Geburt bis zu deren Tod ("cradleto-grave" social services) (vgl. Weltbank 1997, S. 5; Hebel, 1997, S. 6 ff.; Krieg/Schadler 1995; Li 1996, S. 120 ff.; Forney/Yatsko 1997, S. 62 ff.). Die Staatsbetriebe waren quasi "kleine Gesellschaften" (bzw. "small governments") (Hebel 1997, S. 6 ff.; Krieg/Schadler 1995).
System-immanent sind auch politisch-ideologische Aktivitaten der Parteiorganisation im Betrieb. "Socialist enterprises were supposed to provide for the needs of their employees, such as medical care, housing, vacation, recreation, and - first of all - political indoctrination." (Kozminski 1993, S. 8). Durch politisch-ideologische Propaganda und Erziehung sollen die Mitarbeiter zu den "neuen Menschen des Sozialismus" erzogen und fUr den "Aufbau des Sozialismus" motiviert werden (Chinese People's University (Hrsg.) 1980, S. 18 ff.).
1.2.3.2.2. Betriebsaktivitaten in der Marktwirtschaft
Die Aktivitaten eines idealtypischen Betriebes der Marktwirtschaft sind markt- bzw. wettbewerbsorientiert und dienen primar dem Betriebszweck, Shareholder Value zu steigern (Rappaport 1995). Dazu wird ein ganzheitlicher Ansatz des Wertmanagements verfolgt (Rappaport 1995; Copeland et al. 1995; McTaggart 1994; BFuP 5/1997, S. 536 f.; Gomez 1993).
Marktwettbewerb erfordert eine klare Wettbewerbsstrategie der Unternehmen (Porter 1980, 1985 und 1987). Damit versucht man, das Portfolio von Kunden und ProduktenlLeistungen entsprechend den externen Chancen und Risiken sowie den internen (relativen) Starken und Schwiichen zu optimieren. Die Wettbewerbsstrategie zielt darauf, Wettbewerbsvorteile - sei es Kostenfiihrerschaft, Differenzierung oder Spezialisierung - in ausgewiihlten Markten bzw. Marktsegmenten zu erzielen (Porter 1989; McTaggart et al. 1994, S. 111 ff.). Dadurch soli die Kundenzufriedenheit gewonnen und aufrechterhalten werden, was eine der Grundlagen fUr die Shareholder-Value-Steigerung bildet (KotlerlBliemeI1999; Gomez 1993).
Operative Aktivitaten zur Wertsteigerung basieren auf der gewiihlten Wettbewerbsstrategie (Rappaport 1995; S. 79 f.; Biihner 1994, S. 52 ff.). Zu diesen Aktivitaten gehoren nach Rappaport (1995)
Aktivitaten im Entscheidungsfeld "operating" (fortlaufende Optimierung des bestehenden Geschaftes zur Umsatzsteigerung und Betriebskostenreduktion). Aktivitaten im Entscheidungsfeld "investment" bzw. "asset management"24 (Senkung der nicht betriebsnotwendigen Kapitalbindung im Umlauf- und Anlagevermogen) Aktivitaten im Entscheidungsfeld "financing" (gezielte Kapitalstrukturpolitik und Investor Relations zur Senkung der Kapitalkosten) (vgl. auch BOtzellSchwillinger 1998).
Das Umsatzwachstum des Betriebes der Marktwirtschaft basiert nicht allein auf der Mengenzunahme bei den bestehenden Produkten. Neue Produkte werden eingefUhrt, neue Marktsegmente bzw. Markte erschlossen und Marketinginstrumente (z. B. "4 P' s") gezielt eingesetzt
24 Dazu gehoren vor aHem operative Entscheidungen im Bereich Facility Management, Lagerbestandsmanagement, Kreditmanagement und Cash Management. Vgl. hierzu Hardtmann, G. (1996), S. 213 f., Herter, R.N. (1993), S. 352 ff. und die dort angegebene Literatur.
36
(vgl. KotierlBliemel 1999). Zur Steigerung der Effizienz wird unter Umstlinden redundantes Personal abgebaut, was im Betrieb der Planwirtschaft kaum iiblich (und moglich) ist. AuBerdem konnen betriebsinterne Aktivitliten zur Senkung der Kosten und Kapitalbindung ausgegliedert werden.
In einem diversifizierten Betrieb wird auch Unternehmensstrategie (corporate strategy) betrieben (Porter 1987, S. 43 ff.). Durch gezieite Ressourcenallokation zwischen den verschiedenen Geschliftsfeldern bzw. -einheiten soli der Wert des gesamten Geschliftsportfolios verbessert werden (Rappaport 1995, S. 108; McTaggart 1994, S. 169 ff.). Hierfiir ist Portfoliomanagement auf der Ebene des Gesamtunternehmens erforderlich, wozu vor allem die Disposition bestehender Geschliftsfelder bzw. -einheiten im Portfolio sowie Aufnahme oder Aufbau neuer Geschliftsfelder bzw. -einheiten gehoren. Dariiber hinaus sind vorhandene Synergien zwischen Unternehmensteilen zu nutzen, wie z. B. im Bereich Finanzen, Organisation, Technologie, Produktion und Marketing (Giinther 1997, S. 341 ff.; Porter 1987).
1m Rahmen der Unternehmensstrategie konnen Unternehmen oder deren Teile verkauft, fusioniert oder gar liquidiert werden. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn ohne solche MaBnahmen nachhaltige Wertvernichtung zu erwarten ist. Oder man ergreift solche MaBnahmen, urn ein groBeres Wertsteigerungspotential als im Fall der BetriebsfortfUhrung zu realisieren (Black 1998, S. 135; Copeland et al. 1995, S. 29f; Spremann 1996, S. 472; Piimping/Pritzl 1991, S. 46 ff.). Das heiSt, BetriebsfortfUhrung wird nicht immer als Grundprlimisse des Wertmanagements betrachtet (Piimping/Pritzl 1994, S. 44 ff.; Giinther 1997, S. 336).
Beziiglich der sozialen Aktivitliten ist hier darauf hinzuweisen, dass auch in Betrieben der Marktwirtschaft (vor allem in GroBbetrieben) bestimmte Sozial- bzw. Wohlfahrtsleistungen fUr die Belegschaft sowie die Allgemeinheit erbracht werden. Zu diesen Leistungen gehoren z. B. Kantinen und Werksheime, Ausgaben fUr kulturelle, sportliche und bildungspolitische Aktivitliten sowie Sozio-Sponsoring25 usw. SchlieBlich werden die Mitarbeiterzufriedenheit und ein gutes Firrnenimage zu den Voraussetzungen fUr die Shareholder-Value-Steigerung gezlihlt. Der Unterschied zur planwirtschaftlichen Praxis liegt jedoch darin, dass der Betrieb primlir als eine kommerzielle Organisation konzipiert ist. Die Wohlfahrtsinteressen der Mitarbeiter und der Allgemeinheit konnen nur soweit beriicksichtigt werden, als die Interessen anderer Anspruchsgruppen (z. B. die der Kunden und Kapitalgeber) dadurch nicht stark beeintrlichtigt werden. Bei Existenz hoch entwickelter Sozial- bzw. kommunaler Infrastruktur sind extensive Leistungen innerhalb des Betriebes auch nicht notwendig.
1.2.3.2.3. Fazit
Bildet man die Struktur der Betriebsaktivitliten mit der sogenannten "Wertkette" (value chain) ab (vgl. Porter 1985), so kann man unterschiedliche Schwerpunkte der Betriebsaktivitliten im ideaitypischen Betrieb der Plan- bzw. Marktwirtschaft anhand der folgenden Abbildung 3 veranschaulichen. Der system-immanente Unterschied Iiegt jedoch nicht nur in der Struktur der Wertkette, sondern auch in dem typischen Vorgehen des Betriebes, Wachstum zu generieren und Effizienz zu steigern.
Insgesamt kann man festhaiten, dass sich der Betrieb der Marktwirtschaft im Gegensatz zum Betrieb der Planwirtschaft nicht primlir als "Produzent", sondern in erster Linie als "Wertmanager" versteht. Die idealtypischen Betriebsaktivitliten in der Planwirtschaft kann
25 Vgl. KotlerlBliemel 1999, S. 1043
37
man als "operative Produktionsadministration" und die in der Marktwirtschaft als "ganzheitliches Wertmanagement" bezeichnen (siehe Abbildung 3 und Tabelle 5 auf der Seite 39).
Abbildung 3: ldealtypische Wertkette des Betriebes der Plan- bzw. Marktwirtschaft
\ Sozial- und Wohlfahrtsleistungen \
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Ideal-typlscher \ Sonstige unterswtzende Betriebsaktivitliten (Materialversorgung. Technik. Buchhaltung etc.) \
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Quelle: eigene Darstellung
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1.2.3.3. Betriebsorganisation im Vergleich
Im folgenden werden die system-immanenten Unterschiede zwischen dem plan- und marktwirtschaftlichen Betrieb in der Organisationsstruktur und in den betriebsinternen Planungs-, Steuerungs- und Kontrollsystemen erlautert.
l.2.3.3.l. Betriebsorganisation in der Planwirtschaft
(1) Organisationsstruktur
In der Planwirtschaft kann die Organisation eines typischen Staatsbetriebes gedanklich in drei Bereiche strukturiert werden: a) einen produktiven Bereich zum Erftillen der staatlichen Produktionsplane; b) einen sozialen Bereich ftir betriebsinterne Wohlfahrtsleistungen und c) einen politischen Bereich flir die Prasenz der Parteipolitik im Betrieb (vgl. Chen Ming 1995; Huang et al. 1997)26.
1m produktiven Bereich der Betriebsorganisation dominiert die Funktionalorganisation (Heimerl-Wagner 1994; Pendergast 1995; GaitanideslBredenbreuker 1995; Chen Ming 1995; MalSun 1993). Die nach dem Verrichtungsprinzip strukturierte Aufbauorganisation hangt nach Auffassung des Verfassers primiir damit zusammen, dass im planwirtschaftlichen Kontext die betriebsexterne Umwelt relativ stabil ist und der Betrieb auf Produktionsroutine spezialisiert ist. Diese Organisationsstruktur kann als die logische Konsequenz des Bestrebens nach hoher (technischen) Effizienz betrachtet werden. Sie ist jedoch wenig flexibel und verursacht Probleme in der horizontalen Koordination (vgl. Staehle 1994, S. 708 ff.). Ein weiteres systemimrnanentes Merkrnal der Aufbauorganisation ist es, dass markt- und wettbewerbsbezogene Funktionen, wie z. B. strategische Planung und Controlling, Marketing, Vertrieb/Service und Qualitatsmanagement etc. in der Aufbauorganisation schwach oder kaum vertreten sind (Pendergast 1995; SteinlelBruch 1996; Chen Ming 1995; MalSun 1993). Dies hangt unmittelbar mit der oben bereits erlauterten Struktur der Betriebsaktivitaten zusammen.
Zum sozialen Bereich der Betriebsorganisation gehiiren diverse Sozialeinrichtungen wie zum Beispiel Wohnsiedlungen, Krankenhauser oder Kliniken, Kindergarten oder Schulen, SportkIubs und sonstige soziokulturelle Einrichtungen (vgl. Huang et al. 1997). Zum politischen Bereich der Betriebsorganisation gehiiren betriebsinterne Organe der Kommunistischen Partei, wie z. B. Parteisekretariat und Propagandaabteilung etc. und Organe der Massenorganisationen, wie z. B. Gewerkschaft und Jugendverband, die der Parteiflihrung untergeordnet sind (vgl. Huang et al. 1997).
SchlieBlich herrscht in der Literatur Konsens, dass ein charakteristisches Merkrnal der Planwirtschaft die Existenz von groBen Betrieben bzw. Konglomeraten ist. Diese Konglomerate weisen oft eine tiefe vertikale Integration auf und bilden betriebswirtschaftliche Autarkie bzw. Monopole in einer Branche oder Region (Pendergast 1996; Heimerl-Wagner 1994; Kozminski 1993)27. Kozminski (1993) dokumentierte seine Beobachtungen wie folgt:
26 AusfUhrliche Erlauterungen zur typischen Betriebsstruktur in staatlichen Industriebetrieben in China findet man bei Huang et al. (1997).
27 In der ehemaligenDDRsprichtmanvon .. Kombinaten ... VgI.Erlauterungen in: Burchert 1996 und die dort angegebene Literatur.
40
"In centrally planned economies, enterprises ... remained very strongly vertically integrated with the organization of the national economy. Often, they were perceived as one huge superorganization or super-enterprise. This giant entity administrated the allocation of resources and tasks to be fulfilled by bigger and smaller units. Unions of enterprises, comprised of providers of relatively homogenous groups of products and services, and even ministries coordinating whole sectors of the national economy, ... " (Kozminski 1993, S. 147-148). Man muss hier darauf hinweisen, dass diese GroBbetriebe bzw. Konglomerate in der Planwirtschaft nicht Ergebnisse der vom Marktwettbewerb induzierten Wachstums- oder Diversifikationsstrategie der einzelnen Betriebe, sondem Produkte staatlicher Branchenorganisation sind.
Amerikanische Forscher verwenden den Begriff "Structural Task Unit" (STU) zur Beschrei
bung der Organisationsstruktur der Staatsbetriebe in der Planwirtschaft. "An STU can be any group charged with performing a specific task." (Kozminski 1993, S. 146 ff.; VlachoutsikoslLawrance 1990, S. 51). Ein Einzelbetrieb als eine kleine STU kann ein Bestandteil der riesigen STU auf der Branchenebene sein: "Even the smallest STUs were
structurally and behaviorally identical - or nearly identical - to the bigger and even the biggest ones." (Kozminski 1993, S. 148). Dies fiihrt zur Homogenitiit der Betriebsorganisation unterschiedlicher Staatsbetriebe.
(2) Betriebsinteme Planungs- Steuerungs- und Kontrollsysteme
Die Existenz eines betriebsintemen Planungs-, Steuerungs- und Kontrollsystems ist eigentlich ein systemindifferentes Element der Betriebswirtschaft. Bedingt durch den Kontext gibt es jedoch einige systemimmanente Merkmale des intemen Planungs-, Steuerungs- und Kontrollsystems im Betrieb der Planwirtschaft:
Fokus der betrieblichen Planung und Kontrolle auf operative Aspekte der Produktion
Was geplant und kontrolliert wird, ist auf die Produktion fokussiert. In Anlehnung an das sowjetische Modell der Betriebsflihrung aus den 50er und 60er lahren haben chinesische Staatsbetriebe vor der Systemreform (1979) hauptsiichlich folgende Bereiche geplant (MalSun 1993, S. 2324 ff.): Produktionsvolumen, Betriebsmittel, Materialeinsatz, Arbeitseinsatz und Gehaltssumme, Produktkosten und Betriebsergebnis. Sonstige Planungen wie z. B. Vertriebs-, F & E-, Investitions- und Finanzierungsplanung erfolgten nicht oder gehorten einfach zu den Aufgaben der iibergeordneten WirtschaftsbehOrden.
Grundlegende Eckdaten der Output- und Inputplanung kommen von den Behorden (Mal
Sun 1993, S. 2324f; Thieme 1995, S. 32). Strategische Planung wie z. B. Geschiiftsportfolio,
Produktprogramm, Marktsegmentierung etc. erfolgen nicht bzw. nicht auf der Betriebebene.
Deshalb ist die betriebsinteme Planung und Kontrolle auf die Irnplementierung der staatlichen
Rahmenpliine ausgerichtet.
Tendenz zum zentralistischen Management
Analog der zentralistischen Entscheidungsstruktur auf der Ebene der NationalOkonomie ist die
Entscheidungsstruktur im einzelnen Staatsbetrieb grundsiitzlich zentralistisch gepriigt, auch wenn bestimmte dezentrale Elemente in den Entscheidungsprozess eingebaut werden (Koz-
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min ski 1993, S. 1470. Der forrnale Planungsprozess in den chinesischen Staatsbetrieben vor der Systemreforrn (1979) erfolgte im sogenannten "Gegenstromverfahren" (MalSun 1993, S. 2324 ff.)28. Jedoch ist hier darauf hinzuweisen, dass das Topmanagement - sei es der Betriebsdirektor oder das Parteikomitee29 - stets die zentrale Autoritat im Betrieb darstellte (vgl. Huang 1997, S. 4 ff.).
Vertikale Kommunikation durch Anweisungen von oben nach unten (top down) und Berichte von unten nach oben (bottum up) ist vorherrschend (Kozminski 1993, S. 146f; Mal Sun 1993, S. 2324). Nach Auffassung des Verfassers ist diese Praxis logisch konsistent mit dem Betriebskontext (stabile Umwelt), dem Betriebszweck (Produktionsroutine) und der typischen Organisationsstruktur (Funktionalorganisation) des Betriebs der Planwirtschaft3o.
Politische Propaganda und Erziehung als betriebsintemes Steuerungsinstrument
Das Verantwortungsprinzip ("accountability") wird auch im Betrieb der Planwirtschaft betont, urn staatliche Produktionspliine zu erfUllen (Kozminski 1993, S. 151). Zu den betriebsintemen Steuerungsinstrumenten gehoren neben materiellen Anreizen auch politische Propaganda und Erziehung durch die Partei (Chinese People's University 1980). Die Bedeutung immaterieller, ideologischer Leistungsanreize (wie z. B. Gewiihrung der Parteimitgliedschaft oder Auszeichnung als Vorbild usw.) wird hoch eingeschiitzt (Kozminski 1993, S. 150 ff.; Hebel 1997, S. 169; Lu 1996, S. 105 ff.).
Politische Propaganda und Erziehung, die dem betriebsintemen Parteiapparat als Aufgaben zugewiesen werden, errnoglichen Massenmobilisierung, die der Produktionsaufgabe des Betriebes dienen soli (Chinese People's University (Hrsg.) 1980). Dies bedeutet eine Politisierung der Managementagenda im Betrieb und kann als ein typisches, system-immanentes Element im Steuerungssystem des Betriebes der Planwirtschaft betrachtet werden.
-- Tendenz zum Egalismus im betriebsintemen Kompensationssystem
Auch wenn das Prinzip "Jedem nach seiner Leistung" (anlao fenpei) als eines der Paradigmen der sozialistischen Planwirtschaft gilt, ist die Tendenz zum Herausbilden eines egalitiiren Kompensationssystems nach Auffassung des Verfassers systemimmanent. Denn das Lohnund Gehaltssystem ist von zentraler Planungsinstanz einheitlich festgelegt bzw. standardisiert. Die Leistungsunterschiede zwischen den Betrieben und zwischen den einzelnen Mitgliedem innerhalb eines Betriebes konnen somit nicht oder nicht ausreichend berUcksichtigt werden.
So ist das sich an das sowjetische Modell anlehnende "Lohnstufensystem" seit Ende der fUnfziger Jahre in chinesische Staatsbetriebe eingefUhrt worden, das mit einigen kleinen Modifikationen bis zu Beginn der Systemreforrn praktiziert wurde (MalSun 1993, S. 1676 ff.; Hebel 1997, S. 168 ff.; Warner 1995, S. 18f und S. 460. Nach diesem System hatten z. B. die Arbeiter eine acht-stufige Lohnskala. Die Eingruppierung in diese acht Lohnstufen basiert auf dem Pachgrad bzw. dem Titel der Qualifikation des Arbeiters. Da sich der Fachgrad eines Arbeiters mit der Unge seiner Betriebszugehorigkeit erhoht, ist sein Einkommen nur schwach an seine Leistung angekoppelt (Warner 1995, S. 47; Hebel 1997, S. 168 ff.). Es wurde lange
28 Zum Gegenstromverfahren vgl. Hopfenbeck 1994, S. 489 ff. 29 V gl. ErUiuterungen ab Seite 95 dieser Arbeit. 30 Vgl. hierzu entsprechende Erlauterungen in: Staehle 1994, S. 433 ff.
42
Zeit das Niedriggehaltsystem praktiziert, das von staatlichen Planbehorden einheitlich geregelt wurde. Dieses System entspricht eigentlich kaum dem Prinzip "Jedem nach seiner Leistung" ("to each according to one's work") (Takahara 1992, S. 64; Warner 1995, S. 47).
Dariiber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass ein wesentlicher Teil der Personalkompensation in Form von betrieblichen Sozial- bzw. Wohlfahrtsleistungen realisiert werden. Diese Leistungen sind quasi kollektive GUter, die jedem Betriebsmitglied zur VerfUgung stehen. Somit konnen die individuellen Leistungsunterschiede der Einzelnen auch hier nicht (bzw. nur begrenzt) beriicksichtigt werden.
1.2.3.3.2. Betriebsorganisation der Marktwirtschaft
(1) Organisationsstruktur
In einem idealtypischen Betrieb der Marktwirtschaft werden wettbewerbs- bzw. marktorientierte Funktionen, wie z. B. strategische Planung und Kontrolle, Marketing, Vertriebl Services und Qualitlitsmanagement usw. als wichtige Bestandteile der betrieblichen Aufbauorganisation betrachtet. Da der Betrieb im Rahmen des Wertmanagements hauptslichlich auf kommerzielle Aktivitliten konzentriert ist und in entwickelten Marktwirtschaften ein funktionierendes Netz der (sozialen) Dienstleistungen auBerhalb des Betriebes besteht, hat der fUr den Betrieb der Planwirtschaft typische "soziale Teil" der Betriebsorganisation nur marginale Bedeutung. Politische Aktivitliten der Parteien finden in der Regel auBerhalb der Betriebsorganisation statt. Deshalb gibt es auch keinen politischen Bereich in der Betriebs-organisation wie im Betrieb der Planwirtschaft.
Inwieweit ein Betrieb funktionsorientierte, divisionalisierte oder eine andere Struktur der Aufbauorganisation aufweist, ist in der Marktwirtschaft Ergebnis der strategischen Wahl des Unternehmens unter Beriicksichtigung der Umweltdynamik und der unternehmensinternen Variablen, wie z. B. Strategie, Aufgaben und Technologie (vgl. Staehle 1994, S. 426 ff.). Insofern ist im marktwirtschaftlichen Kontext die Heterogenitlit der betrieblichen Aufbauorganisation die Regel, wlihrend sich die Funktionalorganisation als die vorherrschende Strukturform der Betriebsorganisation in der Planwirtschaft darstellt (homogene Strukturen).
Grundslitzlich wird die betriebliche Aufbauorganisation in der Marktwirtschaft so strukturiert, dass Kompetenzen klar abgegrenzt ("clarity") und Ergebnisverantwortung den einzelnen Hierarchieebenen klar zugeordnet werden ("accountability for performance") (McTaggart 1994). 1m GroBbetrieb fUhrt dies zur Bildung von Cost-, Profit-, Investment- und Value Centers, deren Manager die jeweilige Ergebnisverantwortung zu tragen haben (Staehle 1994, S. 711f; Ringlstetter 1995, S. 116 ff.).
Ais Ergebnis des Bestrebens von mehr Flexibilitiit im Marktwettbewerb gewinnen diverse Formen der Sekundarorganisation (parallel organization) im Betrieb der Marktwirtschaft immer mehr an Bedeutung. Hierzu zahlen z. B. Kundenmanagement-Organisation, Produktmanagement-Organisation, strategische Geschaftseinheiten (SGE-Organisation) sowie Entscheidungs- und Beratungsgremien oder sonstige Parallel-Hierarchien (Staehle 1994, S. 71 Iff.; S. 727).
43
(2) Betriebsinterne Planungs-, Steuerungs- und Kontrollsysteme
Betriebliche Planungs- und Kontrollsysteme sind im marktwirtschaftlichen Kontext komplexer als in der Planwirtschaft. Planvorgaben kommen nicht von den staatlichen Planungsinstanzen, sondern yom Markt. Es geht nicht nur urn Produktion, sondern urn aile Funktionen des Unternehmens, die im Rahmen der ganzheitlichen Unternehmensfiihrung von Relevanz sind (Gomez 1994). Neben operativer Planung und Kontrolle gehoren die strategische Planung und Kontrolle zum integrierten Bestandteil des ganzheitlichen Wertmanagements (Gomez 1994).
Urn sich flexibler an die Umweltiinderungen anzupassen, werden betriebliche Entscheidungen zunehmend dezentralisiert (Stichwort: "fOderative Dezentralisierung") (vgl. Staehle 1994, S. 711f). Ergebnis der Dezentralisierung ist die zunehmende Betonung der horizontal en Koordination und Kommunikation im Betrieb (Staehle 1994, S. 711f; Ringlstetter 1995, S. 116 ff.).
Politisch-ideologische Propaganda und Erziehung gehoren nicht zum iiblichen Steuerungsinstrumentarium des Betriebes der Marktwirtschaft, was auch dem politischen Kontext der marktwirtschaftlichen Ordnung entspricht. Versucht wird jedoch die Gestaltung firmenspezifischer Betriebskultur, die als relevante Voraussetzung fiir erfolgreiches Wertmanagement gesehen wird (vgl. Copeland et al. 1995, S. 97 f.; Bannister!Jesuthasan 1997, S. 12)31.
Beziiglich der materiellen Kompensation gilt im Rahmen des Wertmanagements der Grundsatz, dass das Kompensationsniveau der Betriebsmitglieder generell an das jeweilige Marktpreisniveau anzulehnen ist. Auf dieser Basis soli jedes Betriebsmitglied entsprechend seiner individuellen Leistung honoriert werden (Botzel! Schwillinger 1998, S. 154 ff.; Klien 1995; McTaggart 1994, S. 273 ff.).
1.2.3.3.3. Fazit
Mintzberg (1979, 1983) hat versucht, unterschiedliche Organisationsformen in der Marktwirtschaft mit fiinf Grundbausteinen zu beschreiben: strategische Spitze, mittleres Management, operativer Kern, Technostruktur und unterstiitzende Einheiten32 (vgl. auch Staehle 1994, S. 456 ff.). Je nach dem, wie diese fiinf Grundbausteine miteinander kombiniert werden und welcher Grundbaustein in der Organisation dominiert, unterscheidet der Autor fiinf Strukturtypen: einfache Struktur (simple structure), die outputorientierte Biirokratie (machine bureaucracy), die professionelle Biirokratie (professional bureaucracy), die divisionalisierte
31 Zum Thema der Betriebskultur vgl. Erlauterungen in: Hopfenbeck 1995. S. 758 f.; Kruppa 1984. S. 42; Staehle 1994. S. 471 ff. und die dort angegebene Literatur. Vgl. auch Kotter .!Heskett. 1992. S. 3 ff.
32 Die "strategische Spitze" (strategic apex) bezieht sich auf die Ftihrungsspitze des Unternehmens. die strategische Entscheidungen tiber die AuBen- und Innenbeziehungen trifft. Das "mittlere Lininenmanagement" (middle line) bezieht sich auf mittlere und untere Manager. die sich mit der Abstimmung zwischen Topmanagement und dem operativem Kern befassen. Der "operative Kern" (operating core) befaBt sich mit der Transformation von input in output sowie allen damit unmittelbar zusammenhangenden Vorgangen. Die "Technostruktur" (technostructure) befaBt sich damit. die Arbeit in den bislang beschriebenen Bereichen effektiver zu gestalten (wie z. B. operative Planung und Kontrolle. Standardisierung. Arbeitsvorbereitung. Qualitatskontrolle etc.). Die "untersttitenden Einheiten" (support staff) befassen sich nur indirekt mit dem Transformationsprozess und helfen allen anderen Bereichen durch das Angebot bestimmterDienste. Vgl. hierzu Mintzberg 1979 und 1983; Staehle 1994. S. 456 f.
44
Struktur (divisionalized form) und die Adhocratie (adhocracy). Diese ftinf Strukturtypen wei sen unterschiedliche Merkrnale sowohl bei den Kontingenzfaktoren als auch bei den einzelnen intemen Strukturvariablen auf (Mintzberg 1979/1983; vgl. auch Staehle 1994, S. 458 Abbildung 2.103).
In der Marktwirtschaft sind aile fUnf Strukturtypen und deren Mischformen zu beobachten. Man kann deshalb von der Heterogenitlit der Betriebsorganisation sprechen (vgl. Staehle 1994, S. 459). Dagegen herrscht in der Planwirtschaft, wie bereits erwlihnt, die relative Homogenitlit der Betriebsorganisation. Beschrieben werden kann die Organisation des Betriebs der Planwirtschaft am besten mit dem Strukturtyp der "outputorientierten Btirokratie" (machine bureaucracy) (siehe Tabelle 6; vgl. auch GaitanideslBredenbreuker 1995, S. 71 ff.).
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1.2.4. Unterschiede in der organisationalen Wissensbasis
In den vorangegangenen Abschnitten wurde der Aspekt der KuItur, der kognitiven Modelle oder Paradigmen usw. nicht explizit erlliutert. Es geht urn die dem Grundmodell der BetriebsfUhrung zugrunde Iiegende ideelle Sphare bzw. die organisation ale Wissensbasis der Bettiebe in der Markt- und Planwirtschaft.
Unter "organisationaler Wissensbasis" versteht man hier als Arbeitsdefinition das Sammelbecken der normativen und kognitiven Wissenselemente sowie VerhaItensroutinen, die von den meisten Unternehmensmitgliedern geteilt werden. Der idealtypische Bettieb der Planwirtschaft hat eine organisationale Wissensbasis, die sich in zweierlei Hinsicht von der organisationalen Wissensbasis des ideaItypischen Betriebes der Marktwirtschaft unterscheidet: Zum einen gibt es nach Auffassung des Verfassers Unterschiede im normativen Bereich der organisationalen Wissensbasis, die unterschiedliche Kulturorientierung des jeweiligen Betriebstyps verursachen. Zum anderen gibt es Unterschiede in der inhaltlichen Zusammensetzung des kognitiven Wissensbestandes. Diese beiden Punkte werden im folgenden kurz erlliutert.
1.2.4.1. Unterschiede im normativen Bereich der organisationalen Wissensbasis
Der normative Bereich der organisationalen Wissensbasis enthlilt Wahrnehmungen und Interpretationen, die von den meisten Betriebsmitgliedern (bewusst oder unbewusst) geteilt werden. Die Ergebnisse der Wahrnehmungen und Interpretationen werden von den Betriebsmitgliedern als grundlegend fUr die Zusammenarbeit miteinander sowie fUr den Umgang mit der Betriebsumwelt erachtet. Der normative Bereich der organisationalen Wissensbasis ist die Grundlage der Kulturorientierung eines Betriebes. Diese bringt den kulturellen Stil des Betriebes zum Ausdruck und wird in dieser Arbeit - analog zu den nationalen Kulturmerkmalen - mit Hilfe von vier Aspekten beschrieben (vgl. Hofstede 1980, 1993; Staehle 1994, S. 477f):
1) Individualismus versus Kollektivismus (das AusmaB, in dem man Eigeninitiative und Selbstversorgung oder kollektiven Willen und Fiirsorge betont),
2) Machtdistanz (das AusmaB, in dem man die Tatsache akzeptiert, dass Macht in Institutionen ungleich verteilt ist),
3) Unsicherheitsvermeidung (das AusmaB, in dem man nach Sicherheit strebt und von Risikoentscheidungen und Ergebnisverantwortungen abweicht) und
4) Mlinnlichkeit versus Weiblichkeit (das AusmaB, in dem man maskuline Werte, wie z. B. Wettbewerbs- und Leistungsprinzip oder feminine Werte, wie z. B. soziale Fiirsorge und
Harmonie betont).
In der Literatur gehen die Autoren davon aus, dass im Betrieb der Planwirtschaft kollektive und feminine Wertorientierungen dominieren. Gleichzeitig sind relativ groBe Machtdistanz und die Neigung zur Unsicherheitsvermeidung zu beobachten. Dagegen herrschen in der Marktwirtschaft starker Individualismus und Wettbewerbs- bzw. Leistungsprinzip vor. AuBerdem sind geringere Machtdistanz und groBere Risikobereitschaft (Unternehmertum) zu beobachten (vgl. Tabelle 7 auf der Seite 50 und die dort angegebene Literatur).
47
1.2.4.2. Sonstige Unterschiede in der organisationalen Wissensbasis
Da die Regierung die wichtigste Anspruchsgruppe (stakeholder) flir den Betrieb der Planwirtschaft ist, haben sich flir den Betrieb im Zeitverlauf viele Lernerfahrungen aus dem Umgang mit den staatlichen Wirtschaftsbehorden ergeben. Diese Erfahrungen bilden einen groBen Teil des organisationalen Wissensbestandes des Betriebes der Planwirtschaft. Dagegen ist Erfolg im Wettbewerb fUr den Betrieb der Marktwirtschaft von existenzieller Bedeutung. Deshalb stellen die Erfahrungen mit den Kunden und Wettbewerbern den groBen Teil seines organisationaIen Wissensbestandes dar.
In den chinesischen Staatsbetrieben hat sich vor der Systernreform zum Beispiel folgendes Sprichwort unter den Betriebsdirektoren der Staatsbetriebe verbreitet: "Wenn man Probleme IOsen will, sucht man zuerst den Blirgermeister" (you wenti, zhao shizhang). Die Erkenntnis, dass das Regierungsoberhaupt alles flir den Betrieb regeln kann, basiert auf den langjahrigen Lernerfahrungen aus der planwirtschaftlichen Praxis. Nach der Systernreform spricht man aber: "Wenn man Probleme losen will, sucht man zuerst den Markt" (you wenti, zhao shichang) 33.
In dem planwirtschaftlichen Kontext ist die Hauptaufgabe des Staatsbetriebes effiziente Produktion nach staatlichen Planvorgaben. Deshalb kann der Staatsbetrieb Wissen im Bereich Produktion und Technik akkumulieren. SteinlelBruch wei sen zum Beispiel darauf hin, dass "Kernkompetenzen in Form eines nicht unerheblichen technischen Know-how" bei einigen Staatsbetrieben in Ost- und Mitteleuropa entwickelt worden sind, was sich spater bei der Kooperation mit westlichen Unternehmen als ein wichtiger Erfolgsfaktor herausstellen kann (SteinlelBruch 1996, S. 311). Der planwirtschaftliche Kontext hindert jedoch die Akkumulation yom marketing-relevanten Know-how und die Entwicklung kundenfreundlicher Verhaltensweisen. Manche Autoren betrachten gar die "Kundenignoranz" als ein typisches Merkmal der Betriebe der Planwirtschaft (SteinleIBruch 1996, S. 311).
Wissensliicken des Betriebes der Planwirtschaft bestehen auch im Bereich des Finanzmanagements (vgl. SteinleIBruch 1996, S. 313; Pendergast 1995). 1m relativ stabilen Kontext der Planwirtschaft reicht bei der Finanzprognose z. B. die Iineare Extrapolation aus, die sich im marktwirtschaftlichen Kontext als auBerst problematisch erweisen kann. Wie man zukunftsorientierte Managementinformation generiert, ist auch ein neu zu erschlieBendes Wissensfeld flir das herkomrnliche Finanzcontrolling im Betrieb der Planwirtschaft (vgl. SteinlelBruch 1996, S. 313 und die dort angegebene Literatur).
Die vorhandenen Wissensllicken im Bereich strategische UnternehmensfUhrung, Marketing und Finanzmanagement usw. begriinden den enormen Lernbedarf der Betriebe der Planwirtschaft im Prozess der Systemtransformation. Dies ist nicht nur der Fall in Ost- und Mitteleuropa (vgl. SteinlelBruch 1996), sondern auch in China (vgl. Warner 1992).
1.2.5. Fazit
In den vorangegangenen Abschnitten wurden der Kontext, das Grundmodell der Betriebsfiihrung und die dazugehorige organisationale Wissensbasis des idealtypischen Betriebes der Planwirtschaft bzw. des ideaItypischen Betriebes der Marktwirtschaft analysiert und verglichen. Diese Analysen und Vergleiche machen klar, dass (1) zwischen dem Kontext, dem
33 Quelle: Interviews FebruarlMarz 1999.
48
Grundmodell der Betriebsflihrung sowie der organisationalen Wissensbasis des Betriebes logische Konsistenz besteht, und dass (2) zwischen dem Betrieb der Planwirtschaft und dem Betrieb der Marktwirtschaft systemimmanente Unterschiede in dem Kontext, in dem Grundmodell der Betriebsflihrung und in der organisationalen Wissensbasis existieren.
Bezeichnet man den Archetyp der Betriebsfiihrung in der Planwirtschaft vereinfacht als "planwirtschaftlich orientierte Produktionsadministration", kann der Archetyp der Betriebsfiihrung in der Marktwirtschaft als "marktwirtschaftlich orientiertes Wertmanagement" bezeichnet werden. In der Tabelle auf der Seite 51 werden die erUiuterten Unterschiede zwischen den beiden Archetypen der Betriebsfiihrung zusammengefasst dargestellt.
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2. Betriebliche Transformation der Staatsbetriebe als "inter-archetypical change"
2.1. Allgemeine Uberlegungen zur betrieblichen Transformation
2.1.1. Betriebliche Transformation versus Systemtransformation
Die Analysen in den vorangegangenen Abschnitten machen deutlich, dass betriebliche Transformation als "inter-archetypical change" eines Staatsbetriebes zu bezeichnen is!. Das heiBt: Bei der betrieblichen Transformation geht der Staatsbetrieb von dem alten Archetyp der "planwirtschaftlich orientierten Produktionsadministration" zu dem neuen Archetyp des "marktwirtschaftlich orientierten Wertmanagements" tiber.
Ziel der betrieblichen Transformation Iiegt deshalb darin, marktwirtschaftlich orientiertes Wertmanagement in den Betrieb einzufiihren und zu verankem. Inhaltliche Eckpfeiler der betrieblichen Transformation sind gemiiB den Erliiuterungen im Abschnitt m. 1. dieser Arbeit a) Neudefinition der Betriebsphilosophie und -ziele: von der Produktionsmaximierung zur
Shareholder-Value-Steigerung (vgl. Seite 31 ff. dieser Arbeit), b) Neugestaltung der Betriebsaktivitiiten: von der operativen Produktionsadministration zum
ganzheitlichen Wertmanagement (vgl. Seite 33 ff. dieser Arbeit), c) Restrukturierung der Betriebsorganisation: von der "outputorientierten Btirokratie" zur
Wertmanagement-orientierten Betriebsorganisation, die an die jeweiligen Marktgegebenheiten angepasst wird (vgl. Seite 40 ff. dieser Arbeit), und nicht zuletzt
d) Emeuerung der organisationalen Wissensbasis: Anderung der normativen Kulturorientierung und SchlieBen vorhandener Wissenslticken ftir marktwirtschaftlich orientiertes WertmanagementIBildung neuer kognitiver Strukturen (vgl. Seite 47 ff. dieser Arbeit).
Betriebliche Transformation kann jedoch nicht isoliert von der Systemtransformation analysiert werden (siehe Tabelle 9)
Tabelle 9: Abgrenzung der Systemtransformation und betrieblicher Transformation
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Wandels
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Wandels
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Wandels im institutionellen Kontext des Betriebes
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des Wandels SozialPolitik vor allem Betriebsmanagement
Interaktionen schafft Rahmenbedingungen fiir kann den Fortschritt der
betriebliche Transformation Systemtransformation beeinflussen
erzeugt Druck zur betrieblichen ist ein integrierter Bestandteil der
Transformation Systemtransformation
Quelle: eigene Zusammenfassung und Darstellung
52
Systemtransfonnation ist ein Prozess des "Quantensprungs" von der planwirtschaftlichen zur marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung (vgl. Apolte/Cassel 1991; Kloten 1991; Wagener 1991). Sie ist - wie betriebliche Transfonnation - Wandel zweiter Ordnung. Der Unterschied zwischen Systemtransfonnation und betrieblicher Transfonnation besteht darin, dass sich Systemtransfonnation auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene abspielt. Es geht urn den "interarchetypical change" der gesamten Wirtschaftsordnung. Die Hauptakteure der Systemtransformati on sind die Regierung und die einzelnen Trager der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Betriebliche Transfonnation erfolgt dagegen auf der betriebs- bzw. einzel-wirtschaftlichen Ebene. Hauptakteure der betrieblichen Transfonnation sind die Staats-betriebe bzw. die Mitglieder dieser Staatsbetriebe (siehe Tabelle 9 auf der Seite 52).
Zwischen der betrieblichen Transfonnation und der Systemtransfonnation gibt es enge Beziehungen. Aus Sieht eines Staatsbetriebes handelt es sieh bei der Systemtransfonnation urn den qualitativen Wandel des institutionellen Kontextes, in dem der Staatsbetrieb operiert. Konkret bedeutet es, dass sich relevante exteme Anspruchsgruppen, wie z. B. fIiihere Kunden und Lieferanten, Banken und Behorden usw. nun anders verhalten, als es zur Zeit der Planwirtschaft der Fall war. AuBerdem treten im Zuge der Systemtransfonnation neue Geschiiftspartner bzw. Marktteilnehmer auf, die aufgrund deren privatwirtschaftlichen Organisation von Anfang an marktwirtschaftlieh orientiert arbeiten (z.B. Markteintritt in- und auslandischer Privatuntemehmen als Foige der Marktliberalisierung bzw. -offnung).
SchlieBlich sind auch betriebsinteme Anspruchsgruppen, wie z. B. Mitarbeiter und Betriebsleiter (Kader) die Betroffenen der Systemtransfonnation. So kann die EinfUhrung des Marktmechanismus auf dem Arbeitsmarkt dazu fUhren, dass die Mitglieder des Staatsbetriebes, die sieh fIiiher als "Herren des sozialistischen Betriebes" sahen (vgl. Seite 29), nun Arbeitnehmer mit einem befristeten Beschiiftigungsvertrag werden34. Auch die Parteifunktionare konnen ihre alte Beschaftigung verlieren, wenn sich die Partei im Rahmen der Entpolitisierung der Staatsbetriebe nun aus den Betrieben zuIiickziehen muss, was man zum Beispiel in den ost- und mitteleuropliischen Llindem beobachten konnte (vgl. Burchert 1996, S. 30f). Die mit der Transfonnation der Wirtschaftsordnung einher gehende Refonn des politischen Systems fUhrt nun zu neuen Verhaltnissen zwischen Partei, Gewerkschaft und Betriebsmanagement, die den betriebsintemen Entscheidungskontext aus der Zeit der Planwirtschaft ersetzen.
Systemrefonn fUhrt also zum qualitativen Wandel des institutionellen Kontextes eines Staatsbetriebes, was auf die Geschaftspraxis des Staatsbetriebes auswirken kann (siehe TabelIe auf der Seite 55). Sie erzeugt den Druck auf den Staatsbetrieb zum Modellwechsel in der BetriebsfUhrung (z. B. durch erhohten Wettbewerbs- oder Leistungsdruck in den Krisen, vgl. DIiiner 1997, S. 147f). Zum anderen schafft die Systemtransfonnation notwendige Rahmenbedingungen, unter denen betriebliche Transfonnation erfolgreich durchgefUhrt werden kann (z. B. funktionierende Marktmechanismen fUr GUter und Ressourcen, siehe Beispieie in der Tabelle auf der Seite 55). Versteht man unter der Systemtransfonnation einen umfassenden gesellschaftlichen Transfonnationsprozess im Zusammenhang mit dem Wechsel der Wirtschaftsordnung, so bildet betriebliche Transfonnation einen Bestandteil der Systemtransformation. Der Fortschritt der betrieblichen Transfonnation beeinflusst somit auch den Fort-
34 Zur Reformpraxis in diesem Bereich in China vgl. ErHiuterungen ab der Seite 101.
53
schritt der Systemtransformation (vgl. Trommsdorff/Schuchardt 1998, S. 7f; Driiner 1997, S. 6).
Als Fazit kann man festhalten, dass es zwischen der Systemtransformation und der betrieblichen Transformation sowohl Gemeinsamkeit als auch Unterschiede gibt. Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass beide Transformationen den Charakter des Wandels zweiter Ordnung besitzen. Sie unterscheiden sich jedoch voneinander beziiglich der Ebene, des Inhalts und der Hauptakteure der Transformation. Festzuhalten gilt auch, dass zwischen der Systemtransformati on und betrieblicher Transformation wechselseitige Wirkungen bestehen (siehe Tabelle 9 auf der Seite 52).
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2.1.2. Betriebliche Transformation versus Privatisierung
In der westlichen Literatur haben viele Autoren Privatisierung als einen integrierten Bestandtei! oder gar als Ziel der betrieblichen Transformation flir Staatsbetriebe in den ehemaligen Planwirtschaften betrachtet (vgl. Burchert 1996, S. 25; OECD 1994/1995; Berger et al. 1994). Ohne den Sinn bzw. Nutzen der Privatisierung flir betriebliche Transformation in Frage zu stellen35 , mtichte der Verfasser hier - auch im Hinblick auf weitere Ausflihrungen dieseI; Arbeit - kurz die Unterschiede zwischen betrieblicher Transformation und Privatisierung erHiutern.
Aus der Perspektive dieser Arbeit handelt es sich bei der Privatisierung eines Staatsbetriebes in erster Linie urn eine Handlung der Systemtransformation. Verandert wird durch Privatisierung primiir die Besitzerstruktur eines Staatsbetriebes sowie die damit verbundene Struktur der Eigentumsrechte (property rights) (vgl. Steinfeld 1997, S. 27 ff.). Dies kann jedoch nicht mit der betrieblichen Transformation im Sinne dieser Arbeit gleichgesetzt werden. Betriebliche Transformation bedeutet nach der Arbeitsdefinition dieser Arbeit den qualitativen Modellwechsel in der Betriebsflihrung. Tritt ein neuer, privater Eigentiimer als Eigentiimermanager auf und bringt marktwirtschaftlich orientierte Konzepte der Unternehmensflihrung in den privatisierten Betrieb ein, wie es zum Beispiel bei vielen Ubernahmen der ostdeutschen Betriebe durch westliche Konzerne der Fall war, so kann nach der Privatisierung betriebliche Transformation erfolgen (vgl. Lederer 1997 S. 193 ff.; Grunert 1992 und Windorf 1996). Bleiben die privaten Eigentiimer in ihrer Machtposition schwach bzw. verhalten sie sich passiv, muss die Privatisierung nicht unbedingt zum qualitativen Modellwechsel in der Betriebsfiihrung fiihren (vgl. Filatotchv et al. 1996 und die dort angegebene Literatur; Steinfeld 1997, S. 153 ff.).
Steinfeld (1998) weist anhand empirischer Fallstudien in China auch darauf hin, dass die Gestaltung der Eigentumsrechte (property rights) nur ein Bestandteil des institutionellen Kontextes bzw. der "enterprise governance" der Staatsbetriebe darstellt (vgl. Steinfeld 1998, S. 63 ff.). "Unless financial markets, accounting standards, and other key institutions of governance are made to operate on a commercially oriented basis, market reforms at the producer level will not occur in the regulatory environment." (Steinfeld 1998, S. 254). Ob Privatisierung gleichzeitig betriebliche Transformation bedeutet oder betriebliche Transformation ausltist, kann deshalb nur von Fall zu Fall beurteilt werden.
SchlieBlich ist auch betriebliche Transformation ohne Privatisierung vorstellbar. Btihml Korze (1994) haben zum Beispiel eine Reihe von Fallen aus Ost- und Mitteleuropa dargestellt, in denen die qualitative Neuorientierung eines Staatsbetriebes durch Restrukturierung ohne (bzw. vor der) Privatisierung erfolgte. Dieser Punkt ist vor all em bei der Analyse des Transformationsfortschritts der chinesischen Staatsbetriebe zu berucksichtigen. Denn betriebliche Transformation in China verlauft in einem Kontext ohne bzw. ohne hundertprozentige Privatisierung der Staatsbetriebe (vgl. Seite 1 und Seite 96ff dieser Arbeit).
Betrachtet man Privatisierung als Anderung im Kontext der Betriebsflihrung, so ist betriebliche Transformation der qualitative Wandel im Inhalt der Betriebsflihrung. Entscheidung flir
35 Zu unterschiedlichen Meinungen tiber Privatisierung vgl. vor aHem Siebert (hrgs.) 1993 und die dort angegebene Literatur. Einen Diskussionsbeitrag zu diesem Thema mit starkem Asien-Bezug hat MacMurray (1993) geliefert.
56
Privatisierung wird in der Regel von dem bisherigen Eigentiimer des Staats-betriebes bzw. der Regierung getroffen. Entscheidungstriiger der betrieblichen Transformation sind dagegen Manager und Mitarbeiter des Staatsbetriebes, wenn man davon ausgeht, dass der Staatsbetrieb im Rahmen der Systemtransformation Entscheidungs-autonomie von der Regierung bekommen hat (z. B. durch Trennung des Eigentums- und Managementrechts im Rahmen der Vergesellschaftung). Ais Fazit finden sich die oben erliiuterten Unterschiede zwischen betrieblicher Transformation und Privatisierung in der folgenden Tabelle.
Tabelle 11: Betriebliche Transformation versus Privatisierung
Privatisierunl! Betriebliche Transformation
Wesen Bestandteil der Systemtransformation Qualitativer ModeUwechsel der
Betriebsfiihrung
Inhalt des Wandels Restrukturierung der Restrukturierung der organisationalen
Eigentumsverhaltnis zur Wissensbasis und des darauf
Neugestaltung der "property rights" autbauenden GrundmodeUs der
und "corporate governance" Betriebsfiihrung
Wandel im institutioneUen Kontext Qualitativer Wandel des Inhalts der
der Betriebsfiihrung Betriebsftihrung
Entscheidung durch Regierung (bisheriger Eigenttimer) Betriebsmanagement und Mitarbeiter I
Belegschaft
Interaktionen Kann betriebliche Transformation Betriebliche Transformation auch
auslosen oder beschleunigen (z. B. ohne bzw. vor der Privatisierung
durch starkeren Leistungsdruck und moglich I Privatisierung als eine der
Managementwechsel) Optionen fUr die betriebliche
Transformation
QueUe: eigene Zusammenfassung und DarsteUung
2.2. Phasen und Fortschritt der betrieblichen Transformation
2.2.1. Das idealtypische Drei-Phasen-Modell der betrieblichen Transformation
In Anlehnung an das allgemeine Modell der organisatorischen Transformation von Rinings! Greenwood (vgl. Seite 20 dieser Arbeit) kann man den idealtypischen Veri auf der Transformation eines Staatsbetriebes gedanklich mit einem Drei-Phasen-Modell beschreiben:
1) Phase der organisatorischen Triigheit
Es handelt sich urn die Startphase der betrieblichen Transformation. In dieser Phase zeigt der Staatsbetrieb noch kaum oder nur ganz wenige Fortschritte der Wertmanagement-orientierten Transformation. Das heiBt, aile oder die meisten Elemente der Betriebsfiihrung sind weiterhin mit dem planwirtschaftlich orientierten Interpretationsschema vereinbar (Kohiirenz oder embryonale Inkohiirenz im planwirtschaftlich orientierten Archetyp der Betriebsfiihrung).
57
2) Phase der unvollkommenen Transformation
Der Staatsbetrieb hat im Zeitverlauf Fortschritte in Richtung des marktwirtschaftlich orientierten Wertmanagements getan. 1m Archetyp der Betriebsfilhrung gibt es sowohl planwirtschaftlich orientierte als auch marktwirtschaftlich orientierte Elemente. Einzelne Aspekte bzw. Elemente der BetriebsfUhrung stehen im Widerstreit zwischen dem planwirtschaftlich orientierten und dem marktwirtschaftlich orientierten Archetyp (schiziode Inkoharenz).
3) Phase konsequenter Neuorientierung
Der Staatsbetrieb verlasst in dieser Phase endgUltig den planwirtschaftlich orientierten Archetyp und geht zu dem neuen, marktwirtschaftlich orientierten Archetyp der Betriebsftihrung tiber. Das heiSt, aile oder die meisten wichtigen Aspekte bzw. Elemente der Betriebsfiihrung sind mit dem marktwirtschaftlich orientierten Archetyp vereinbar (Koharenz oder embryonale Inkoharenz im marktwirtschaftlich orientierten Archetyp der Betriebsftihrung). Staatsbetriebe in dieser Phase zeigen substantielle Fortschritte der Wertmanagement-orientierten Transformation. Sie befinden sich bereits am Anfang einer neuen Phase der organisatorischen Tragheit, wo nur noch evolutionare Modifikationen des neu eingeftihrten marktwirtschaftlich orientierten Modells der Betriebsfiihrung vorgenommen werden.
Sowohl ftir die Theorie als auch fiir die Praxis der betrieblichen Transformation ergibt sich hier die Frage, wie man konkret die Phasenzugehorigkeit eines Staatsbetriebes bestimmen kann. Oder anders formuliert: wie kann man den Transformationsfortschritt eines Staatsbetriebes erfassen und bewerten? Diese Frage steht im direkten Zusarnmenhang mit einer der zentralen Fragestellungen dieser Arbeit (vgl. Seite 3 dieser Arbeit): Urn zu wissen, ob ein Staatsbetrieb weiter im planwirtschaftlich orientierten Archetyp der Betriebsfiihrung verharrt (=organisatorische Tragheit) oder nicht, muss man ein konkretes Bestimmungskonzept haben. Dieser Punkt soll nun im folgenden Abschnitt genauer analysiert werden.
2.2.2. Bestimmung der PhasenzugehOrigkeit eines Staatsbetriebes
2.2.2.1. Allgemeine Ansiitze zur Messung des Fortschritts des fundamentalen Unternehmenswandels
In der Literatur hat man eine Reihe von Konzepten fUr die "Performancemessung" bzw. "Erfolgsmessung" des fundamentalen Wandels von Untemehmen (im Sinne von Wandel 2. Ordnung) vorgeschlagen (vgl. Stricker 1997, S. 6 ff.). So haben PettigrewlWhipp (1991, S. 275f; vgl. auch Stricker 1997, S. 6-7) drei Ebenen der Performancemessung fiir den strategischen Organisationswandel angegeben: Ergebnis ("outcome"), Wettbewerbsparameter (Grundlagen des Wettbewerbs) und Lemfahigkeit (diverse Ebenen von Fahigkeiten). Nach dem St. Galler Managementkonzept ist eine ganzheitliche Betrachtung organisationaien Geschehens mit den Elementen "Strukturen", "Aktivitaten" und "Verhalten" auf der normativen, strategischen und operativen Ebene erforderlich (vgl. Bleicher 1992). Garvin (1993) hat im Rahmen des "Learning Audits" die Beobachtung dreier einander tiberlappenden Ebenen vorgeschlagen: "kognitive Veranderungen" als die tiefste Ebene der Beobachtung, "Ver-
58
haltensanderungen" der Betriebsmitglieder und die "Performanceverbesserung" als die direkt messbare Ebene an der Oberflache eines Unternehmens.
Stricker nennt die "Identitat von Organisationen" als "Kern dessen, was im fundamentalen Wandel verandert werden soli" (Stricker 1997, S. 82). Nach seiner Vorstellung muss man bei der Beobachtung des fundarnentalen Wandels vor allem die sogenannten "Tiefenstrukturen" der Organisation mit den entsprechenden Weltbildern, Kulturwerten und Sinnmodellen durchleuchten (Stricker 1997, S. 73 ff. und S. 152 ff. Vgl. auch Buschor 1996, S. 20 ff.). Veranderungen der "kognitiven Strukturen" bzw. der Tiefenstruktur der Organisation sind jedoch nicht direkt messbar. Sie sind aus der Beobachtung der Veranderungen in den FUhrungsstrukturen, Entscheidungsprozessen, Managementsystemen und organisatorischen Fahigkeiten abzuleiten (Stricker 1997, S. 176 ff.). Direkt und leichter messbar sind dagegen die Anderungen in den finanziellen und operativen Performancekennzahlen. Sie sind jedoch zeitlich und sachlich "vom Kern des Wandels, der Veranderung kognitiver Muster" weit entfernt (Stricker 1997, S. 152 ff.).
Ohne die einzelnen Literaturbeitrage zu diesem Thema naher zu erlautern, kann man hier folgendes fUr die weiteren AusfUhrungen dieser Arbeit festhalten: Es gibt kein allgemein gUltiges Standardkonzept zur Messung des Erfolgs des fundamentalen Unternehmenswandels. Je nach dem Fokus der Analyse bzw. der Perspektive des Forschers ktinnen unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. Konsens besteht in der Literatur jedoch darin, dass die Erfolgsmessung des fundamental en Unternehmenswandels nieht mit ein paar wenigen Finanzindikatoren, sondern auf verschiedenen Ebenen bzw. in verschiedenen Aspekten des Unternehmens erfolgen soil. Nach Auffassung des Verfassers entspricht ein mehrstufiges bzw. mehrdimensionales Beobachtungskonzept der Natur des fundamentalen Unternehmenswandels als Wandel zweiter Ordnung (vgl. Seite 7 dieser Arbeit).
2.2.2.2. Ansatze zur Bestimmung der Phasenzugehiirigkeit eines Staatsbetriebes im Prozess der betrieblichen Transformation
Betriebliche Transformation ist fundamentaler Wandel eines Staatsbetriebes auf allen Ebenen bzw. in allen Aspekten der BetriebsfUhrung (vgl. Seite 48 und 52 dieser Arbeit). Nach Auffassung des Verfassers gibt es grundsatzlich zwei denkbare Ansatze zur Ermittlung des Fortschritts bzw. Erfolgs der Transformation eines Staatsbetriebes: 1) Beobachtung der Veranderungen in der finanziellen Performance und 2) Beobachtung der Veranderungen in den einzelnen Teilaspekten bzw. -systemen der BetriebsfUhrung. Diese Ansatze werden im folgenden kritisch erlautert.
2.2.2.2.1. Performance-basierte Bestimrnung der Phasenzugehtirigkeit
In der Literatur zur betrieblichen Transformation in Ost- und Mitteleuropa haben einige Autoren das sogenannte Output-basierte Phasenschema der Transformation dargestellt (vgl. Tromrnsdorff/Schuchardt 1998, S. 8 ff.). Das Phasenmodell bezieht sich zwar in erster Linie auf den Veri auf der Systemtransformation. Darin stehen jedoch auch konkrete Annahmen Uber die betriebliche Transformation und die Entwieklung der finanziellen Performance des Staatssektors im Prozess der Systemtransformation (siehe Abbildung 4 auf der Seite 60).
59
Abbildung 4: Output-basiertes Phasenschema der Transformation
Output Wahrnehmung Transformationsselektion Regeneration Konsolidierung (PlanwirtsdJaft) (Schrumpfungsphase) (Wachstumspbase) (Gewinnpbase)
Zeit
QueUe: in Anlehnung an TrommsdorfflSchuchardt (1998), S. 8 Abbildung 3 mit eigener Modifikation (vgl.
ebenda, S. 8 ff.).
In der sogenannten "Wahmehmungsphase" flihrt wirtschaftlicher Rtickgang in der Planwirtschaft zu einem erhohten Druck zur Systemtransformation. Die sogenannte "Schrumpfungsphase" ist durch einen drastischen Umsatz- bzw. Produktionseinbruch der Staatsbetriebe nach Beginn der Systemtransformation gekennzeichnet. In dieser Phase werden die Staatsbetriebe zur betrieblichen Transformation gezwungen und privatisiert, saniert oder Iiquidiert. Schaffen die Staatsbetriebe den tum-around, so folgt die Wachstumsphase. Erfolgreiche Transformation in der Konsolidierungsphase flihrt langfristig zu einem hoheren Leistungsniveau als in der Planwirtschaft (vgl. Trommsdorff/Schuchardt 1998, S. 8-10).
Zur Bestimmung des Transformationsfortschritts eines einzelnen Staatsbetriebes halt der Verfasser den performance-basierten Ansatz flir sehr bedenklich. Zum einen kann auch ein Betrieb mit marktwirtschaftlich orientierter Betriebsftihrung "schlechte Zeiten" haben, in denen sich seine finanzielle Performance verschlechtert. Eine Reihe von betriebsextemen Faktoren kann das Finanzergebnis eines Untemehmens negativ beeinflussen. So spielt zum Beispiel die Konjunktur eine groBe Rolle flir die Ergebnisse der Untemehmen in der konjunkturanflilligen Maschinenbauindustrie. Zum anderen konnen "gute" Finanzergebnisse eines Staatsbetriebes auch auf den nicht marktwirtschaftlichen Elementen basieren. So ist vorstellbar, dass ein Staatsbetrieb mit staatlichem Schutz weiterhin die Monopolstellung in einer Branche besitzt, so dass er weiter hohe Monopolgewinne realisieren kann (z. B. in der Energieversorgung oder Telekommunikation vor der Liberalisierung). SchlieBlich wei sen
60
auch Trommsdorff/Schuchardt (1998, S. 9), die das oben skizzierte Phasenmodell in deren Arbeit dargestellt haben, darauf hin, dass die Leistungsdaten "keinen eindeutigen Riickschluss auf den Stand des Transformationsprozesses" zulassen.
Als Fazit kann man festhalten, dass man anhand der finanziellen Leistungskennzahlen eines Staatsbetriebes die Frage noch nicht beantworten kann, ob sich der Staatsbetrieb in der Phase der organisatorischen Triigheit oder Transformation befindet.
2.2.2.2.2. Beobachtung der Veriinderungen in der BetriebsfUhrung
Wie bereits im Abschnitt m. 2.1. dieser Arbeit erliiutert, geht es bei der betrieblichen Transformation inhaltlich urn grundlegende Veriinderungen in den Bereichen Betriebszwecke/ziele, Betriebsaktivitiiten und Betriebsorganisation sowie in der den ersten drei Bereichen zugrundeliegenden organisationalen Wissensbasis des Staatsbetriebes (vgl. Seite 52 dieser Arbeit).
Wiihrend die Veriinderungen in den ersten drei BereichenITeilsystemen der Betriebsfiihrung empirisch direkt messbar sind, handelt es sich bei den Veriinderungen in der organisationalen Wissensbasis urn den Wandel der "Tiefenstruktur" eines Staatsbetriebes, der empirisch nicht direkt erfassbar ist (vgl. Seite 59 dieser Arbeit; vgl. auch Stricker 1997, S. 73 ff. und S. 152 ff. sowie die dort angegebene Literatur). Da sich jedoch der Wandel in der Tiefenstruktur schlieBlich auch in der direkt erfassbaren "Oberfliichenstruktur" einer Organisation niederschliigt (vgl. hierzu vor allem Buchor 1996, S. 20 ff.)36, kann man die beobachteten Veriinderungen in der Oberfliichenstruktur eines Staatsbetriebes als Indikatoren fUr seinen Transformationsfortschritt betrachten. In der Literatur haben einige Autoren, basierend auf iihnlichen Gedanken, Phasenschemata der betrieblichen Transformation mit ausgewiihlten qualitativen Indikatoren aus diversen Teilsystemen der BetriebsfUhrung, wie z. B. Marketing und Organisation usw. entwickelt. Ein Beispiel wird im Anhang 1 dieser Arbeit dargestellt.
Basierend auf den Erliiuterungen im Abschnitt m. 1.2. und m. 2.1. dieser Arbeit, vertritt der Verfasser die Ansicht, dass der Fortschritt der Transformation eines Staatsbetriebes nur durch gleichzeitige Beobachtung der folgenden Veriinderungen zu ermitteln ist: a) Veriinderungen in den (von dem Staatsbetrieb angegebenen) Betriebszwecken (-zielen), (b) Veriinderungen in den einzelnen Teilsystemen der Betriebsaktivitiiten und (c) Veriinderungen in den einzelnen Teilaspekten der Betriebsorganisation. In diesem Zusammenhang mochte der Verfasser ausdriicklich darauf hinweisen, dass der Fortschritt der betrieblichen Transformation - wie der Erfolg jedes anderen fundamentalen Untemehmenswandels - an sich ein nicht quantifizierbarer Vorgang ist, der nur mit qualitativen Mitteln beschrieben werden kann (vgl. hierzu Stricker 1997, S. 169f). Das Vorgehen im Rahmen der empirischen Forschung (Fallstudie) wird im Abschnitt IV. 1.1. dieser Arbeit detailliert erliiutert.
36 Die Beziehung zwischen der Obertlachenstruktur und der Tiefenstruktur der Organisation ahnelt der zwischen unterschiedlichen Ebenen der Organisationskultur. Vgl. hierzu Stricker 1997, S. 73 ff .• Staehle 1994. S. 487 ff. und Heinen 1987).
61
2.2.3. Fazit
Ais Fazit zum Abschnitt m. 2.2. wird in der folgenden Abbildung das idealtypische DreiPhasen-Modell der betrieblichen Transformation veranschaulicht.
Abbildung 5: Der idealtypische Verlauf der betrieblichen Transformation im Drei-PhasenModell
Grundmodell der Betriebsfiihrung
Beuiebszweck Beuiebsaktivitaten
Phase der organisatorischen
Triigheit
Phase derunvollkommenen
Transformation
Phaseder kOlL'iequenten
Neuorientierung
Mw,ktw'irtsc:h!dt-onienUlerte Elemente
Beuiebsorganisation "===:;;;;~==2±:===-'
Interaktionen " TiefelL'itrukturen"
(empirisch nicht ::'::::====~+===-r-~==;====::=~ direkt erfallbar)
Korrespondierende organisationale Wissensbasis
MW'ktw'ir!sc:h/d't-onientilerte Elemente
Quelle: eigene Darstellung.
2.3. Determinanten des Fortschritts der betrieblichen Transformation
Wie bereits bei der Erlliuterung der theoretischen Grundlagen der organisatorischen Trligheit und Transformation erwlihnt, ist jeder organisatorischer Wandel als ein Ergebnis der Interaktion zwischen der UmweIt und den organisationsintemen Determinanten zu verstehen (vgl. Seite 22 dieser Arbeit). Die Determinanten des Fortschritts der betrieblichen Transformation konnen nach Auffassung des Verfassers auch nach zwei Kategorien unterschieden werden: 1) Starke des betriebsextemen Transformationsdrucks und 2) betriebsinteme Bereitschaft und Flihigkeit zur betrieblichen Transformation. Dies wird im folgenden nliher erlliutert.
2.3.1. Betriebsexterner Druck zur betrieblichen Transformation
Wie bereits im Abschnitt m. 2.2.1. erlliutert, verlindert die Systemtransformation den institutionellen Kontext eines Staatsbetriebes und erzeugt somit den Druck auf den Staatsbetrieb zur betrieblichen Transformation (vgl. Seite 52f. und die Tabelle 10 auf der Seite 55 dieser
62
Arbeit). Ie nach der Geschwindigkeit der Systemtransformation kann man zwischen der sogenannten "schockartigen" und der "graduellen" Systemtransformation unterscheiden (vgl. lens 1993; Glastetter 1995; Trommsdorff/Schuchardt 1998, S. 7). Der exteme Druck auf einen Staatsbetrieb zur betriebIichen Transformation entwickelt sich je nach dem Typ der Systemtransformation anders. Dies wird im Abschnitt 2.3.1.1. naher erlautert. Au6erdem ist zu beachten, dass der exteme Druck zur Transformation zu einem gegebenen Zeitpunkt sowohl flir unterschiedliche Aspekte der Betriebsfiihrung als auch fiir unterschiedIiche Staatsbetriebe unterschiedlich stark sein kann. Dies wird im Abschnitt 2.3.1.2. naher erlautert.
2.3.1.1. Transformationsdruck bei schockartiger und gradueller Systemtransformation
2.3.1.1.1. Entwicklung des betriebsextemen Transformationsdrucks bei schockartiger Systemtransformation
Bei der sogenannten "schockartigen" Systemtransformation werden die Entscheidungen flir den Ubergang des Wirtschaftssystems zur marktwirtschaftlichen Drdnung in fast allen Bereichen gleichzeitig und innerhalb einer relativ kurzen Zeitperiode getroffen und umgesetzt ("Big Bang") (vgl. lens 1993; Glastetter 1995, S. 458). Beispiele fiir schockartige Systemtransformation haben viele ost- und mitteleuropiiische Lander geliefert (vgl. DECD 1994/995; Bundesbank 1995; Trommsdorff/Schuchardt 1998, S. 7 ff. und die dort angegebene Literatur).
Die Regierung hat hier binnen kurzer Zeit Preise auf den Giiter- und Ressourcenmarkten liberalisiert, die Absatz- und Beschaffungsmarkte fiir in- und ausllindische Privatuntemehmen geoffnet und die Subventionen fiir Staatsbetriebe gestrichen (vgl. DECD 1994/995; Bundesbank 1995; Trommsdorff/Schuchardt 1998, S. 7 ff. und die dort angegebene Literatur). Die dadurch verursachte Umweltturbulenz bedeutet flir die Staatsbetriebe, dass das alte Netzwerk der Beziehungen mit den Abnehmem, Lieferanten, Banken und Behorden usw. binnen kurzer Zeit zusammenbricht (vgl. hierzu die "Netzwerktheorie" der betrieblichen Transformation von Albach, H. 1993/94). Das schockartig entstandene exteme Ungleichgewicht (misfit) flihrt oft zum gravierenden Performanceeinbruch, den nur wenige Staatsbetriebe ohne exteme (finanzielle) Unterstiitzung verkraften konnen. Die vollstandige Privatisierung stellt vor diesem Hintergrund oft den besten Ausweg der betroffenen Staatsbetriebe aus ihrer Existenzkrise dar.
Empirische Beispiele hierzu hat vor all em die ehemalige DDR geliefert, wo der schnelle Kontextwechsel nach der Wiedervereinigung binnen kurzer Zeit zum gravierenden Ungleichgewicht bzw. zur Existenzkrise vieler ostdeutscher Staatsbetriebe gefiihrt hat (Bundesbank 1995; Burchert 1996; Albach, H. 1994 und 1995). Nur durch ziigig Privatisierung konnte die Existenzkrise vieler Betriebe bewaltigt werden (Bundesbank 1995; Burchert 1996).
Betriebliche Transformation nach der Definition dieser Arbeit findet bei der schockartigen Systemtransformation schwerpunktma6ig in den privatisierten Untemehmen statt (vgl. Lederer 1997, S. 193 ff.; Burchert). Betriebliche Transformation in der Eigenregie der "alten" Fiihrungsmannschaft, die von Lederer (1997, S. 193 ff.) als "autonome" Transformation bezeichnet wird, ist hier eher selten, da die wichtigsten Fiihrungsposition im Betrieb oft durch
63
das yom neuen Shareholder eingesetzte neue Managementpersonal besetzt wird (vgl. Lederer 1997, S. 193 ff.)37.
Abbildung 6: Theoretische (idealtypische) Entwicklung des extemen Drucks auf einen Staatsbetrieb zur betrieblichen Transformation
Betriebsextemer Transformationsdruck
Kritischer Zustand kurz vor dem gezwungenen Marktaustritt --------------------------------------------------------------
Schockartige System transformation
Graduelle
Zeit
QueUe: eigene DarsteUung
2.3.1.1.2. Entwicklung des betriebsextemen Transformationsdrucks bei gradueller Systemtransformation
Bei der graduellen Systemtransformation wird der institutionelle Kontext eines Staatsbetriebes schrittweise gelindert. Die Systemtransformation ist ein mehrstufiger, zeitlich gestreckter Prozess (vgl. Trommsdorff/Schuchardt 1998, S. 7; Jens 1993; Thieme 1995). Typisches Beispiel fUr graduelle Systemtransformation Iiefert die Reformpraxis in China, wo die Regierung auf experimenteller Basis schrittweise ReformmaBnahmen eingefiihrt hat. Kennzeichnend fUr den chinesischen Gradualismus sind auBerdem der Verzicht auf die Massenprivatisierung und auf die Reform des vorherrschenden politischen Systems im Lande (vgl. HussainlZhuang 1998; Schiiller 1998; World Bank 1997; Broadman 1995; Bohnet et al. 1994; Bohnet 1993; IMP 1993).
37 In den sogenannten Treuhandbetrieben. wo der Staat noeh vortibergehend als Shareholder fungierte. wurden oft die sogenannten "interim"-Manager aus der westliehen Industrie bzw. Beratungsbranehe eingesetzt (Anmerkung des Verfassers).
64
1m betriebsextemen Kontext der Staatsbetriebe nehmen bei gradueller Systemtransforma
tion marktwirtschaftliche Elemente nur sukzessiv zu. Der Wandel im Beziehungsnetzwerk eines Staatsbetriebes mit den Kunden, Lieferanten, Banken und Behorden usw. erfolgt schrittweise bzw. evolutionar. In dieser Situation nimmt der exteme Druck zur betrieblichen Trans
formation nur graduell zu, was den betroffenen Staatsbetrieben einen ausreichenden zeitlichen Spielraum flir organisationales Lemen aus dem Umgang mit der verlinderten Umwelt gibt. Versliumt ein Staatsbetrieb im Zeitverlauf effektives "second-loop leaming"38 und effektive Anpassung der BetriebsfUhrung an die verlinderte Urn welt, kann jedoch auch hier der kritische Wendepunkt (bifurcation point)39 erreicht werden, in dem der Staatsbetrieb fUr den Markt
austritt oder konsequente betriebliche Transformation entscheiden muss (siehe folgende Ab
bildung 6 auf der Seite 64). Aufgrund des Verzichts auf Massenprivatisierung bleibt die alte Shareholder (Regierung)
Manager-Beziehung in den einzelnen Staatsbetrieben weiter intakt. Betriebliche Transformation erfolgt hier in der Regel unter der Flihrung des alten Managementteams bzw. mit
einem relativ hohen Autonomiegrad (vgl. Lederer 1997, S. 193 ff.).
2.3.1.1.3. Fazit
Ais Fazit werden die oben erlliuterten Unterschiede zwischen dem extemen Transformationsdruck eines Staatsbetriebes im Fall der schockartigen bzw. der graduellen Systemtransforma
tion in der Abbildung 6 auf der Seite 64 veranschaulicht.
2.3.1.2. Betriebsexterner Transformationsdruck und Inkonsistenz im betriebsexternen Kontext
Aufgrund der Komplexitlit der Systemtransformation ist eine Ungleichzeitigkeit des Transformationsfortschritts in den einzelnen Segmenten des betriebesextemen Kontextes zu erwarten. Dies ist vor allem bei der graduellen Systemtransformation der Fall (Thieme 1995; Hebel 1997, S. 5). Das heiSt, das betriebsexteme Umfeld ist bezliglich des Grades der marktwirtschaftlichen Orientierung nicht homogen sondem stark heterogen: Wlihrend einige exteme Anspruchsgruppen bereits eine hohe marktwirtschaftliche Orientierung aufweisen, verhalten sich einige andere exteme Anspruchsgruppen moglicherweise weiter im Grundmuster der
Planwirtschaft. Nee (1992, S. 1 ff.) spricht von der "Hybridform" der Markttransition in den ehemaligen
sozialistischen l1indem: " ... a mixed economy characterized by a diversity of organizational
forms and a plurality of property rights will be a persistent feature of transitions from state
socialism." Er hat drei idealtypische Untemehmenskategorien im Prozess der Systemtransfor
mation in China unterschieden: a) "Nonmarketized Firms" (NF), die vor allem aus den nicht transformierten Staatsuntemehmen bestehen; b) "Marketized Firms" (MF), die transformierte
Staatsuntemehmen sind, die marktorientiert operieren; und c) "Private Firms" (PF), die im
privaten Eigentum stehen und von Anfang an marktorientiert arbeiten (Nee 1992, S. 8 ff.).
Wlihrend die NF unter dem staatlichen Schutz stehen (z. B. durch Subventionen) und oft
38 Vgl. Erlauterungen auf der Seite 13f dieser Arbeit. 39 V gl. Seite 20 dieser Arbeit.
65
privilegierten Zugang zu den Ressourcen (vor aHem Rohstoffen und Bankkrediten) haben, kampfen MF und PF im Marktwettbewerb urn eigene Existenz (Nee 1992, S. 8 ff.).
Diese Verhaltensheterogenitat existiert nach Auffassung des Verfassers nicht nur auf dem Absatz- und Beschaffungsmarkt eines Staatsbetriebes, sondern auch in sonstigen Sektoren, wie z. B. bei den Banken und Behorden. AuBerdem ist selbst bei ein- und demselben Stakeholder inkonsistentes Verhalten moglich. So kann z. B. die Regierung auf betriebliche Transformation der Staatsbetriebe drangen, urn Wettbewerbsfahigkeit der Staatsbetriebe im veranderten Marktumfeld zu stacken. Damit konnen staatliche Subventionen flir Verlustbetriebe reduziert oder staatliche Steuer- und Dividendeneinnahmen erhoht werden. Gleichzeitig kann die Regierung als Shareholder - wie in der Zeit der Planwirtschaft - den Staatsbetrieben bestimmte gesamtwirtschaftliche Ziele (z. B. beschaftigungspolitische Ziele) anordnen, auch wenn diese Ziele mit dem einzelwirtschaftlichen Ziel der nachhaltigen Wertsteigerung nicht immer gut vereinbar sind.
In China versucht die Regierung zum Beispiel auf der einen Seite, Staatsbetriebe zur Gewinnsteigerung zu bewegen. Auf der anderen Seite hat die Regierung aus BefUrchtung vor sozialer Unruhe den Staatsbetrieben lange Zeit nicht erlaubt, redundantes Personal zu entlassen (vgl. Kapital IV. und Fallstudien). Solche Inkonsistenz ist systemimmanent, soweit die Regierung nicht auf ihre aktive Shareholder-Rolle in den Staatsbetrieben verzichten will und sich aber nicht wie ein pri vater Investor verhalten kann.
Das heiBt, im externen Kontext eines Staatsbetriebes sind nicht nur treibende Krafte fUr betriebliche Transformation, sondern auch blockierende Krafte vorhanden. Aufgrund der Inkonsistenz im institutionellen Kontext eines Staatsbetriebes konnen unterschiedliche Teilaspekte der Betriebsflihrung einem unterschiedlich starken Transformationsdruck von auBen ausgesetzt sein. So kann zum Beispiel ein Staatsbetrieb auf der einen Seite hohen Transformationsdruck von au6en auf seine Produkt- und Vertriebspolitik spUren, da mit Beginn der Systemtransformation ein intensiver Wettbewerb auf dem Absatzmarkt eingetreten und der Umsatz des Staatsbetriebes kontinuierlich geschrumpft ist. Auf der anderen Seite kann der Transformationsdruck im Personal- und Sozialwesen auBerst gering sein, weil die Regierung aus Beflirchtung vor sozialer Unruhe den Abbau der Personalredundanz im Staatsbetrieb vorerst blockiert und die dadurch entstandenen Kosten (bzw. Ergebnisverschlechterungen) der Staatsbetriebe in Kaufnimmt (vgl. Fallstudie "Tianyuan" ab der Seite 105).
Unterschiedliche Staatsbetriebe konnen einen unterschiedlich strukturierten externen Kontext haben, so dass der Transformationsdruck von auBen bei den einzelnen Staatsbetrieben auch unterschiedlich stark ausgepragt sein kann. So kann zum Beispiel ein staatlicher Hersteller von chemischen Grundstoffen mit zunehmendern Branchenwettbewerb konfrontiert sein, wahrend sich gleichzeitig ein staatlicher Maschinenbauer weiterhin auf seinen yom Staat geschiitzten Verkaufermarkt freuen kann (vgl. Fallstudien ab Seite 105 dieser Arbeit). Staatsbetriebe, die sich in einem stacker marktwirtschaftlich orientierten externen Kontext befinden, sind groBerem Druck zur betrieblichen Transformation ausgesetzt als Staatsbetriebe, dessen externer Kontext noch viele planwirtschaftliche Elemente aufweist.
2.3.1.3. Fazit
Als Fazit kann man festhalten, dass Systemtransformation qualitative Veranderungen im institutionellen Kontext eines Staatsbetriebes hervorruft. Diese Veranderungen erzeugen den
66
extemen Transformationsdruck auf den Betrieb. Bei der graduellen Systemtransformation wiichst der betriebsexteme Transformationsdruck sukzessiv, wiihrend er im Umfeld der schockartigen Systemtransformation binnen kurzer Zeit zunimmt. Das inkonsistente Umfeld, das vor allem bei der graduellen Systemtransformation zu beobachten ist, libt unterschiedlich starken Transformationsdruck auf die einzelnen Staatsbetriebe sowie auf die einzelnen Teilaspekte der Betriebsflihrung innerhalb eines Staatsbetriebes aus.
2.3.2. Betriebsinterne Bereitschaft und Fiihigkeit zur betrieblichen Transformation
Der Fortschritt der betrieblichen Transformation hiingt nicht nur vom extemen Transformationsdruck, sondem auch von der betriebsintemen Transformationsbereitschaft und -flihigkeit des Staatsbetriebes abo Unter der "Transformationsbereitschaft" versteht man die Motivation eines Staatsbetriebes, den qualitativen "Modellwechsel" der Betriebsflihrung herbeizuflihren. Unter der "Transformationsflihigkeit" versteht man die Kompetenz eines Staatsbetriebes, die Entscheidung flir Transformation in den einzelnen Teilaspekten der Betriebsflihrung erfolgreich umzusetzen.
Es ist hier darauf hinzuweisen, dass der Fortschritt der betrieblichen Transformation weniger von der Motivation und Kompetenz eines Einzelnen (z. B. des Topmanagers), sondem viel mehr von der des "Betriebes" als Kollektiv abhiingig ist. Hier spielt organisationales Lemen nach Auffassung des Verfassers eine auBerordentliche Rolle. Dies wird im folgenden Abschnitt ill. 2.3.2.l. analysiert. Genauso wie das betriebsexteme Umfeld ist der betriebsinterne Bereich auch durch Inkonsistenz und Heterogenitiit gekennzeichnet. Dies wird im folgenden Abschnitt ill. 2.3.2.2. niiher erliiutert.
2.3.2.1. Organisationales Lernen und betriebsinterne Transformationsbereitschaft undC"ahigkeit
2.3.2.1.1. Bedeutung der personlichen Transformation der Betriebsmitglieder
Betriebliche und gesellschaftliche VeriinderungsmaBnahmen werden blockiert und konnen weder mittel- noch langfristige Wirkungen entfalten, wenn die "Transformation im Kopf' der Manager und Mitarbeiter nicht vollzogen wird. Personliche Wahmehmung, Einstellungen, Motive, Wandlungsflihigkeit und -bereitschaft der Manager und Mitarbeiter spielen eine groBe Rolle flir den Erfolg betrieblicher Veriinderungsprozesse (vgl. Trommsdorffl Schuchardt 1998, S. 42-43 und die dort angegebene Literatur).
Marktwirtschaftlich orientierte Transformation der psychologischen Variablen in den Kopfen der Manager und Mitarbeiter wird in der Literatur als "individuelle" oder "personliche" Transformation bezeichnet (vgl. Trommsdorff/Schuchardt 1998, S. 42 ff.; Driiner 1997, S. 87 ff.). Aus der lemtheoretischen Sieht geht es hierbei urn die Transformation personlicher Wissensbestiinde (knowledge base) bzw. urn das "second-loop learning" auf der person lichen
Ebene. Die personliche Transformation der einzelnen Betriebsmitglieder bildet die Basis des orga
nisationalen Lemens des Staatsbetriebes (vgl. Seite 13 ff. dieser Arbeit). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Lemgeschwindigkeit der Einzelnen im Staatsbetrieb nicht gleieh sein muss. Betrachtet man marktwirtschaftlich orientierte Ideen bzw. Konzepte
67
der BetriebsfUhrung als innovative Ideen fUr den Staatsbetrieb, so kann man betriebsintem -analog dem Konzept der Neuproduktdiffusion - unterschiedliche Adoptionstypen identifizieren (siehe Abbildung 7 auf der Seite 68): Wiihrend die sogenannten "Innovatoren" Pioniere der personlichen Transformation sind und betriebliche Transformation aktiv unterstUtzen oder vorantreiben, leisten die NachzUgler (laggards) den groBten Widerstand zur betrieblichen Transformation und Ubernehmen die Rolle des Verhinderers bzw. des "Opponenten" im Staatsbetrieb (vgl. Trommsdorff/Schuchardt 1998, S. 30).
Ob und wie schnell ein Staatsbetrieb betriebliche Transformation vorantreibt, hiingt nun aus der mikropolitischen Perspektive letztendlich von der Machtstiirke der Innovatoren in dem Staatsbetrieb ab (vgl. Levy/Merry 1986, S. 222f; Kirton 1980. Vgl. auch Erliiuterungen auf der Seite 15f. dieser Arbeit). In diesem Zusammenhang kommt man nun zum Thema der machtpolitischen Konstellation in einem Staatsbetrieb, das im folgenden Abschnitt kurz erliiutert werden soli.
Abbildung 7: Unterschiedliche Adoptionstypen im Prozess der betrieblichen Transformation
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Diffusion der Transfonnaton bei den Mitgliedem eines Staatsbetriebes
QueUe: eigene DarsteUung in Anlehnung an Vanderrnerwe 1995, S. 88 und Trommsdorff/Schuchardt 1998, S.
39.
2.3.2.1.2. Die mikropolitische Konstellation im Staatsbetrieb
Nachdem das Betriebsmanagement im Rahmen der Systemtransformation Entscheidungsautonomie von der Regierung gewiihrt bekommt, sind die Topmanager des Staatsbetriebes nun die einzigen Personen, die betriebliche Transformation in Gang setzen konnen und soli en (Kozminski 1993, S. 145). Das heiBt: die Positionierung des Topmanagements im Diffusionsprozess der Ideen der Transformation (siehe Abbildung 7) ist entscheidend fUr den Modell-
68
wechsel der BetriebsfUhrung. Gehort das Topmanagement zu den Innovatoren, konnen MaBnahmen zur betrieblichen Transformation leichter initiiert und umgesetzt werden. Gehort das Topmanagement zu den "Opponenten", kann betriebliche Transformation verzogert oder gar blockiert werden.
Die entscheidende Bedeutung des Topmanagements ist durch die faktische "Macht-asymmetrie zugunsten der Leitung" in den Staatsbetrieben begriindet (vgl. Hebel 1997; S. 307; Child 1994, S. 96 ff.; Jaaksonen 1988, S. 300 ff.). Diese Machtasymmetrie existierte bereits zur Zeit der Planwirtschaft:
1m planwirtschaftlichen Kontext hatte das Topmanagement staatliche Produktionsplane und sonstige Anweisungen von den Behorden I des betriebsintemen Parteikomitees ("von oben") aufzunehmen und diese von den Mitarbeitem ("nach unten") umsetzen zu lassen. Nach "oben" hatte das Topmanagement die Rolle eines loyalen AusfUhrers und war aufgrund der politischen Bevormundung durch die Regierung/Partei "schwach" gemessen an der formalen Entscheidungskompetenz (Hebel 1997, S. 305 ff.). Nach "unten" stellte das Topmanagement die zentrale Autoritlit in dem hierarchisch organisierten Staatsbetrieb dar, in dem vertikale Kommunikation dominierte. Die innerbetriebliche "Machtasymmetrie zugunsten der Leitung" verlieh den formalen Mitbestimmungsprozeduren der Gewerkschaft undloder anderen Mitarbeitervertretung (z. B. "workers' representative congress" in China) den Charakter eines "Gummistempels" (Kozminski 1993, S. 152 ff.; HongIWarner 1998, S. 80 ff.; Yuan Lu 1996)40.
Die Machtposition des Topmanagements wird im Prozess der Systemtransformation wesentlich verstarkt. Zum einen wird staatliche Bevormundung in betrieblichen Angelegenheiten reduziert bzw. abgebaut. Das Topmanagement des Staatsbetriebes bekommt mehr Entscheidungsautonomie, auch in Personalangelegenheiten, von den ehemals iibergeordneten Behorden. Zum anderen verliert die Partei ihren Einfluss auf betriebliche Entscheidungen. In ost- und mitteleuropiiischen Liindem hat sich die KP aus den Betrieben zuriickgezogen. Burchert (1996, S. 28) berichtet yom geschlossenen Austritt der Betriebsleitung der ostdeutschen Kombinate aus der Partei Anfang der neunziger Jahre. In China ist die Parteiorganisation zwar im Betrieb geblieben. Der Parteisekretlir hat jedoch nur noch eine unterstiitzende Rolle im betrieblichen Entscheidungsprozess zu spielen (vgl. Child 1994, S. 83 ff.; Huang et al. 1997, S. 5 f.). Anstatt die Entscheidungen des Betriebsdirektors zu blockieren, versucht die Parteiorganisation zunehmend die Belegschaft fUr die Realisierung der betriebswirtschaftlichen Ziele des Betriebes zu mobilisieren (vgl. Child 1994, S. 84).
SchlieBlich ist die innerbetriebliche Machtposition der Mitarbeiter weiterhin schwach, wenn nicht schwiicher (Hebel 1997, S. 308f; Buck et al. 1998, S. 96). Denn die Mitarbeiter sind nun als "Arbeitnehmer" zunehmend dem Risiko des Arbeitsplatzverlustes ausgesetzt. Sie sind deshalb sehr daran interessiert, die Wettbewerbsfiihigkeit des Staatsbetriebes durch betriebliche Transformation zu starken und dadurch eigene Arbeitspliitze und -einkommen zu
sichem. Urn betriebsinteme Widerstande zur betrieblichen Transformation abzubauen bzw. zu redu
zieren, kann die Unterstiitzung von "Promotoren" der Transformation gewonnen werden (Trommsdorff/Schuchardt 1998, S. 33f). Wie bei der technischen Innovation im Betrieb, so bieten die Promotoren betrieblicher Transformation unterstiitzende Leistungen gegen Willens-
40 Zur Rolle des Topmanagements in den chinesischen Staatsbetrieben vor der Systemreform vgl. Seite 95 dieser Arbeit.
69
banieren (Machtpromotoren), Flihigkeitsbanieren (Fachpromotoren) und Strukturbanieren (Prozesspromotoren) (vgl. hierzu Trommsdorff/Schuchardt 1998, S. 33 ff.; vgl. auch Hausschildt 198911993; HausschildtlChakrabarti 1988, S. 383).
Zu den betriebsinternen Promotoren in einem chinesischen Staatsbetrieb konnen nach Auffassung des Verfassers interne Parteikader, wie z. B. Parteisekretlir gehoren. Die Parteiorganisation im chinesischen Staatsbetrieb hat seit der EinfUhrung des "director responsibility systems" Mitte der achtziger Jahre (vgl. hierzu Kapital IV) zunehmend versucht, die Belegschaft fiir die Realisierung der yom Topmanagement gesetzten betrieblichen Ziele zu mobilisieren (vgl. auch Child 1994, S. 83 ff.; Hebel 1997, S. 377). Da fast aile Angestellten und Arbeiter im chinesischen Staatsbetrieb Gewerkschaftsmitglieder sind (HongIWarner 1998, S. 80 ff.), konnen auch die Spitzenfunktionlire der Gewerkschaft (wie z. B. Gewerkschaftsvorsitzender) bei der Uberzeugungsarbeit und beim Schlichten innerbetrieblicher Konflikte im Transformationsprozess eine wichtige Rolle spielen (Interviews Mlirz 1999). Zu den betriebsexternen Machtpromotoren konnen zum Beispiel Reformpolitiker in der Regierung gehoren. Internationale Managementberater konnen dagegen als externe Fachpromotoren betrachtet werden41 .
Als kurzes Fazit kann man festhalten, dass, bedingt durch die mikropolitische Konstellation im Staatsbetrieb, das Topmanagement eine zentrale bzw. entscheidende Rolle im Prozess der betrieblichen Transformation spielt. Zum Abbau unterschiedlicher Widerstlinde zur betrieblichen Transformation im Betrieb konnen unter Umstlinden betriebsexterne oder -interne "Transformationspromotoren" herangezogen werden.
2.3.2.l.3. Ideenquellen der Transformation
Betrachtet man den Prozess des organisationalen Lernens im Staatsbetrieb als einen Wettbewerb zwischen den Status quo- orientierten, mehr oder weniger planwirtschaftlich gefarbten Ideen und den marktwirtschaftlich orientierten Konzepten der BetriebsfUhrung, so bestimmt der Ausgang dieses Wettbewerbs die Bereitschaft und -flihigkeit des Staatsbetriebes zur betrieblichen Transformation. Beziiglich der Herkunft der Ideen zur Transformation im Staatsbetrieb kann man grundslitzlich betriebsexterne und -interne Quellen unterscheiden:
Zu den betriebsexternen Quellen gehort zum Beispiel die Managementpraxis in den nichtstaatlichen Unternehmen, mit denen ein Staatsbetrieb im Kontakt gekommen ist, wie z. B. im Rahmen des AuBenhandels, des Technologie- oder Management-Know-howtransfers, bei der Griindung von Joint ventures mit ausliindischen Firmen oder beim Wettbewerb mit inllindischen Privatunternehmen. Auch die Transformationspraxis anderer Staatsbetriebe liefert Ideen und Impulse fUr betriebliche Transformation. Internationale Managementberater konnen auch eine Reihe von Ideen zur Transformation bzw. Management-Know-how anbieten.
Zu den betriebsinternen Ideenquellen der Transformation ziihlt nach Auffassung des Verfassers die Unzufriedenheit der meisten Mitglieder mit dem Status quo. Neue Problem-1i:isungen werden gesucht, wenn die Betriebsmitglieder das Gefiihl bekommen, dass eigene materielle und immaterielle Interessen bei Beibehaltung des Status quo nicht mehr oder nicht mehr ausreichend befriedigt werden konnen (Rinings/Greenwood 1988, S. 53 ff.). So kann
41 1m staatlichen Industriesektor von Shanghai haben bereits eine Reihe von GroBfirmen bzw. Firmengruppen die Beratungsleistungen von McKinsey, BeG oder Roland Berger & Partner etc. in Anspruch genommen (Anmerkung des Verfassers).
70
zum Beispiel das egalitiire Lohn- und Gehaltssystem im Staatsbetrieb von den meisten Mitgliedem als reformbedtirftig betrachtet werden, wenn auf der einen Seite der Staatsbetrieb steigende Umslitze und Gewinne erwirtschaftet und auf der anderen Seite die Belegschaft ihr Einkommen weiterhin nach dem starren, nicht leistungsbezogenen System bekommt (vgl. die Falistudien in dieser Arbeit).
Unzufriedenheit mit dem Status quo tritt auch auf, wenn sich die finanzielle Performance des Staatsbetriebes dramatisch oder nachhaltig verschlechtert. In dieser Situation konnen auch bestimmte Tabuthemen behandelt werden. So konnen zum Beispiel der betriebsinterne Personaltiberhang und die damit verbundenen Mehrkosten in der Krisenzeit als das dringend zu losende Problem des Staatsbetriebes erkannt werden (vgl. Fallstudie "Erfangji" in dieser Arbeit).
Ideen zum ModeIlwechsel der Betriebsfiihrung werden also in unterschiedlichen Teilbereichen des Betriebs generiert. Diese Ideen bilden die Basis, worauf einzelne Entscheidungen zur betrieblichen Transformation initiiert und umgesetzt werden.
2.3.2.2. Inkonsistenz beziigJich der betriebsinternen Transformationsbereitschaft und -flihigkeit
Betriebsinterne Bereitschaft und Flihigkeit zur Transformation miissen zu einem gegebenen Zeitpunkt nicht in allen Teilaspekten der Betriebsfiihrung gleichmliBig stark ausgeprligt sein. In diesem Zusammenhang ist auf die neusten Thesen iiber organisatorische Transformation von Dyck (1997) hinzuweisen.
Basierend auf der Multi-Rationalitlitstheorie von Weber (1958, 1968) und einer empirischen Langzeitstudie, hat Dyck die Hypothese entwickelt, dass aIle Aspekte einer Organisationskonfiguration den Kern des von den Organisationsmitgliedern geteilten Wertsystems, die von der Organisation verfolgten Sachziele sowie die Eigeninteressen der Organisationsmitglieder reflektieren (Dyck 1997, S. 797). Organisatorische Transformation erfolgt dann, wenn die Organisationsmitglieder die bestehende Konfiguration aus den oben genannten drei RationalitlitstiberJegungen als nicht mehr rational betrachten (Dyck 1997, S. 800 ff.). Andererseits konnen die Organisationsmitglieder eine transformative Idee auch aus UberJegungen zu Eigeninteressen (self-interest rationality), Organisationszielen (efficiency rationality) und gemeinsamen Wertvorstellungen (value-based rationality) ablehnen (vgl. Dyck 1997, S. 818 f.).
Dass ein Staatsbetrieb in unterschiedlichen Teilaspekten der Betriebsftihrung in der Regel unterschiedlich starke Transformationsbereitschaft und -flihigkeit aufweist, kann mit den Thesen von Dyck gut erkllirt werden. Bei der markt-orientierten Neudefinition der Produktpolitik sind zum Beispiel relativ weniger Widerstlinde und Schwierigkeiten zu erwarten als bei der Restrukturierung der betriebsinternen Sozial- und Wohlfahrtsleistungen eines Staatsbetriebes. Denn das Letztere beeintrlichtigt direkt die materiellen Interessen fast aller Betriebsmitglieder (self-interest rationality) und stellt auBerdem einen der wichtigsten Zwecke des "sozialistischen" Betriebes (value-rationality) in Frage (vgl. Fallstudien). Die Neudefinition der Produktpolitik betrifft in erster Linie die Beziehung zwischen dem Betrieb und den Kunden. Steigende Umslitze marktflihiger Produkte bringt nicht nur dem Shareholder Gewinne, sondern auch den Betriebsmitgliedern mehr Einkommen- bzw. Priimienchancen.
71
Insofern entspricht sie sowohl dem Organisationsziel als auch den Eigeninteressen der (meisten) Betriebsmitglieder'2 (vgl. hierzu auch die Beispiele in den Fallstudien).
Betriebsinterne Transformationsbereitschaft und -fahigkeit kann auch unter den Staatsbetrieben variieren. So kann zum Beispiel der Topmanager in einem Staatsbetrieb die Qualitat des Innovators and charismatischen FUhrers besitzen, der trotz der geringen marktwirtschaftlichen Orientierung des externen Umfeldes pro-aktive MaBnahmen zur betrieblichen Transformation initiiert und diese auch umsetzt. In einem anderen Staatsbetrieb kann ein konservatives Managementteam dominieren, das grundslitzlich nur dem folgt, was "von oben" bzw. von den Behorden kommt. Zwar muss sich das Managementteam zur betrieblichen Transformation nicht unbedingt querstellen. Mangelnde Eigeninitiativen verlangsamen jedoch den Transformationsfortschritt.
2.3.2.3. Fazit
Als Fazit kann man festhalten, dass betriebsinterne Transformationsbereitschaft und -flihigkeit wichtige Determinanten des Transformationsfortschritts sind. Sie basieren auf dem Verhalten der Manager und Mitarbeiter des Staatsbetriebes. Gehort das Management zu den "Innovatoren" bei der Diffusion der Ideen der Transformation im Betrieb, kann es den betriebsinternen "Ideenwettbewerb" zugunsten der betrieblichen Transformation leiten. Externe und interne Promotoren konnen hier machtpolitische, fachliche und organisatorische UnterstUtzung zur Realisierung der Ideen der Transformation leisten.
Ideen der Transformation werden im Prozess des organisatorischen Lernens generiert. Die Lernmotivation bzw. -fahigkeit des Staatsbetriebes muss zu einem gegebenen Zeitpunkt aber nicht in jedem Bereich oder Teilaspekt der Betriebsflihrung gleich stark bzw. entwickelt sein. Unterschiedliche Staatsbetriebe konnen sich im Hinblick auf die Transformationsbereitschaft und -flihigkeit auch voneinander unterscheiden.
2.3.3. Resiimee
Als ResUmee kann man die oben erlliuterten Determinanten des Fortschritts der betrieblichen Transformation im folgenden Modell darstellen (siehe Abbildung 8 auf der Seite 73). Organisatorische Trligheit und Transformation eines Staatsbetriebes konnen somit als "Output" der Interaktion zwischen den externen und internen Determinanten betrachtet werden. In der Tabelle 12 auf der Seite 74 werden organisatorische Trligheit und Transformation als zwei potentielle Extreme des organisationalen Wandels eines Staatsbetriebes dargestellt.
42 Es ist natUrlich nicht auszuschlieBen, dass durch die Restrukturierung des Produktprogramms die Produktion einiger veralteter Produkte eingestellt werden muss, so dass bestimmte Arbeitsplatze (Organisationsmitglieder) betroffen werden konnen.
72
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3. Transformationspfad und Transformationstypen
3.1. Transformationspfad eines Staatsbetriebes
Unter dem "Transformationspfad" eines Staatsbetriebes versteht der Verfasser den zeitlichen Veri auf der betrieblichen Transformation des Staatsbetriebes. Analog der Differenzierung zwischen "schockartiger" und "gradueller" Systemtransformation kann man mindestens gedanklich zwischen zwei unterschiedlichen Verlaufsmustem der betrieblichen Transformation unterscheiden:
a) schockartige betriebliche Transformation und b) graduelle betriebliche Transformation.
Dies wird im folgenden naher erlautert.
3.1.1. "Schockartige" versus "graduelle" betriebliche Transformation
Unter der "schockartigen" betrieblichen Transformation versteht der Verfasser ein zeitliches Verlaufsmuster, wonach der Betrieb fUr zeitgleiche Transformation der einzelnen Elemente im Grundmodell der BetriebsfUhrung entscheidet und die Entscheidungen auch simultan innerhalb einer relativ kurzen Zeitperiode umzusetzen versucht. Betriebliche Transformation entspricht hier dem von MillerIFriesen (1984) beschriebenen Muster des "Quantum Change" (vgl. Seite 16f. dieser Arbeit) und dem der radikalen "strategic reorientation" von Tushmanl Romanelli (1985) (vgl. Seite 18f. dieser Arbeit). Bei der sogenannten "graduellen" betrieblichen Transformation vollzieht sich der marktwirtschaftlich orientierte Modellwechsel in der Betriebsflihrung schrittweise und innerhalb einer relativ langen Zeitperiode.
Nach der Theorie von MillerlFriesen (1984) und TushmanIRomanelli (1985) sind simultane Anpassungen aller Elemente der Organisationskonfiguration an die veranderte Umwelt mehr empfehlenswert als schrittweise Modifikationen in den einzelnen Teilaspekten (vgl. Seite 16 ff. dieser Arbeit). Nach GreenwoodlHinings (1987) kann organisatorische Transformation dagegen auch einen graduellen, quasi evolutioniiren Veri auf nehmen (vgl. Zitat auf der Seite 7 dieser Arbeit).
Trommsdorff/Schuchardt wei sen nach ihren empirischen Untersuchungen darauf hin, dass beide der oben genannten Verlaufsmuster im Umfeld der schockartigen Systemtransformation in Ost- und Mitteleuropa zu beobachten sind: Die enormen betrieblichen Veranderungen dort sind "teilweise revolutioniir gelaufen, oft turbulent und erratisch, vielfach auch behutsam bis schlafrig, jedenfalls sehr unterschiedlich nach VerI auf und Erfolg." (Trommsdorff/Schuchardt
1998, S. 1). In bezug auf die betriebliche Transformation im Umfeld der graduellen Systemtransforma
tion (wie zum Beispiel in China) vertritt der Verfasser die These, dass auch hier beide Transformationspfade bzw. Verlaufsmuster vorstellbar sind. Dies wird im folgenden Abschnitt 3.l.2. erlautert.
75
3.1.2. Miigliche betriebliche Transformationspfade im Umfeld der graduellen Systemtransformation
3.1.2.1. Pfad der graduellen betrieblichen Transformation
Befindet sich ein Staatsbetrieb im Umfeld der graduellen Systemtransformation, so erhoht sich die marktwirtschaftliche Orientierung des externen Umfeldes schrittweise. Durch organisationales Lemen sammelt der Staatsbetrieb im Zeitverlauf neues Wissen bzw. neue Erfahrungen im zunehmend marktwirtschaftlichen Umfeld.
Fortschritt der Transformation wird zuerst in denjenigen Bereichen der Betriebsfiihrung gemacht, in denen der externe Transformationsdruck stark genug ist und die interne Transformationsbereitschaft sowie -flihigkeit auch gegeben sind (vgl. Seite 65f und Seite 7lf. dieser Arbeit). Mit dem Eintreten neuer "critical incidents" werden Transformationsagenda in anderen Bereichen der Betriebsfiihrung erstellt (vgl. Trommsdorff/Schuchardt 1998, S. 207), so dass im Zeitverlauf eine Serie von Managemententscheidungen entsteht, die qualitative Veranderungen in den einzelnen Teilaspekten der Betriebsfiihrung herbeifiihren. Beispielhaft wird das hier erlauterte Verlaufsschema in der Abbildung 9 auf der Seite 77 dargestellt.
Das oben beschriebene Verlaufsmuster der graduellen betrieblichen Transformation ahnelt dem der Strategiebildung in der westlichen Unternehmenspraxis. Das Letztere beschreibt Quinn (1989, 1982) mit dem Begriff "logical incrementalism": "The process used to arrive at the total strategy are typically fragmented, evolutionary, and largely intuitive. Although one can usually find embedded in these fragments some very refined pieces of formal strategic analysis, the real strategy tends to evolve as internal decisions and external events flow together to create a new, widely shared consensus for action among key members of the top management team. " (Quinn 1989, S. 45). "Effective strategies tend to emerge from a series of 'strategic subsystems', each of which attracts a specific class of strategic issues (e.g. acquisitions, divestitures, or major reorganizations) in a disciplined way, but which is blended incrementally and opportunistically into a cohesive pattern that becomes the company's strategy." (1989, S. 46).
Nach Auffassung des Verfassers gilt bei gradueller Transformation eines Staatsbetriebes genau das, was Quinn bei der Begriindung des "logical incrementalism" des betrieblichen Strategiewandels gesagt hat (vgl. hierzu auch Fallstudien dieser Arbeit): "". strategic decisions do not lend themselves to aggregation into a single massive decision matrix where all factors can be treated relatively simultaneously in order to arrive at a holistic optimum. Many have spoken of the 'cognitive limits' that prevent this. Of equal importance are the 'process limits' - i.e., the timing and sequencing imperatives necessary to create awareness, build comfort levels, develop consensus, select and train people, etc. - that constrain the system, yet ultimately determine the decision itself. Unlike the preparation of a fine banquet, it is virtually impossible for the manager to orchestrate all internal decisions, external environmental events, behavioral and power relationships, technical and informational needs, and actions of intelligent opponents so that they come together at any precise moment. " (Quinn 1989, S. 53).
SchlieBlich ist darauf hinzuweisen, dass betriebliche Transformation im Umfeld der graduellen Transformation in der Regel mit einem relativ hohen Autonomiegrad erfolgt (vgl. Seite 65 dieser Arbeit). Es gibt hier kein von Dritten vordefiniertes Konzept der betrieblichen
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Transformation. Anders formuliert: Das Grundmodell der marktwirtschaftlich orientierten Betriebsfi.ihrung wird hier nicht von auBen in den Staatsbetrieb "implantiert", wie es zum Beispiel bei vielen ostdeutschen Staatsbetrieben der Fall war, die von westdeutschen Konzernen Ubernommen wurden (vgl. Lederer 1997, S. 193; Windorf 1996 und Grunert 1992). Vielmehr wiichst das neue Modell der Betriebsfi.ihrung aus einem scheinbar "konzeptlosen" Zustand des bestehenden Staatsbetriebes heran (Transformation durch "trial and error"). Der Traditionsbruch bzw. "Kulturbruch" dauert hier liinger als im Fall der "Implantation". Dafi.ir basieren die betrieblichen Veriinderungen weniger auf dem Fremddiktat, sondern viel mehr auf der "Freiwilligkeit" des bestehenden Betriebes. Und freiwillige Entscheidungen zur betrieblichen Transformation dUrften nach Auffassung des Verfassers mehr auf dem realen (auch wenn in dem jeweiligen Schritt kleinen) Wandel in der Tiefenstruktur des Staatsbetriebes basieren als gezwungene.
Abbildung 9: Transformationspfad eines Staatsbetriebes bei der graduellen betrieblichen Transformation (Beispiel)
Phase der Phase der Phase der organisatorischen unvollkommenen konsequenten
Triigheit Transformation Neuorientierung TITI Th ~ I I I I I ! I I I I I I II I I I I I!
r--------, :: 1
I Betriebsaktivitiiten :: : :. .:. :
Teilaspekt I : ~:::::::::-II +i ===::j ••••••••• I •• Teilaspekt 2 !: : Teilaspekt n
Betrie bsorganisation
Teilaspekt I Teilaspekt 2
Teilaspekt n
I I I : .: . : I C~~~:~~JI======t====iI •• "." I I I I
! t--~--~~--.:::.~--__ ~~,}=' =:j.-.... I I I I I I
t::::::::---jt==~!===·iI ...... : .............. .. A Exteme oder/und interne kritische Ereignisse (critical incidents)
Erste, beginnende Marktorientierung
Quelle: eigene Darstellung.
c:::::::=J Zunehmende Marktorientierung -
3.1.2.2. Pfad der schockartigen betrieblichen Transformation
Hohe, vollstiindige Marktorientierung
Zei~
1m Umfeld der graduellen Systemtransformation ist schockartige betriebliche Transformation nicht unvorstellbar. In der Abbildung 6 auf der Seite 64 dieser Arbeit wird die theoretisch vorstellbare Entwicklung des externen Transformationsdrucks fUr den Staatsbetrieb dar-
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gestellt, der sich im Zeitverlauf nicht zeitgleich mit dem graduellen Fortschritt der Systemtransformation in Richtung marktwirtschaftlich orientierter BetriebsfUhrung veriindert hat. In dieser Situation beginnt der Staatsbetrieb erst dann mit dem Modellwechsel in der BetriebsfUhrung, bis der kritische "bifurcation point" erreicht wird (vgl. Modell der dissipativen Strukturen auf der Seite 20 dieser Arbeit).
Das heiBt: Urn eine gravierende Existenzkrise abzuwenden, ist es durchaus vorstellbar, dass sich der triige Staatsbetrieb, der lange Zeit den rechtzeitigen Modellwechsel verpasst hat, nun einer radikalen Restrukturierungskur unterzieht und betriebliche Transformation "schockartig" vorantreibt. Im Vergleich zum Verlaufsmuster der graduellen betrieblichen Transformation fallen relevante Entscheidungen innerhalb einer relativ kurzen Zeitperiode an, die auch sofort - evtl. mit betriebsextemer Untersttitzung (z. B. von neuen Privatinvestoren oder Untemehmensberatem) - umgesetzt werden (vgl. Abbildung 10 auf der Seite 78). Nach solcher "Schocktherapie" miisste man nach Auffassung des Verfassers bewusst entsprechende MaBnahmen zum Kulturwandel ergreifen, urn sicherzustellen, dass die direkt beobachtbare Veriinderung in der "Oberfliiche" des Betriebes auch nachhaltig seinen Niederschlag in der Tiefenstruktur des Staatsbetriebes findet.
Abbildung 10: Transformationspfad eines Staatsbetriebes bei der schockartigen betrieblichen Transformation (Beispiel)
Betriebsaktivitiiten
Teilaspekt I Teilaspekt 2
Teilaspekt n
Betriebsorganisation
Teilaspekt I Teilaspekt 2
Teilaspekt n
Phase der organisatorische Triigheit
TITI ~
I I I I I I I I I I I I I III I I ,I II , , , , , , , , , , , , , , , . : .. : : r-=--=--=-~_:CI = .. _.1 __
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z.,
Erste. beginnende Marktorientierung
Zunehmende Marktorientierung - Hohe. vollstiindige
Marktorientierung
QueUe: eigene DarsteUung
78
3.1.2.3. Fazit und sonstige Uberlegungen
Ais Fazit kann man festhaiten, dass im Umfeld der graduellen Systemtransformation sowohl ein graduelles als auch ein schockartiges Vorgehen der betrieblichen Transformation vorstellbar sind. Theoretisch ist auch die Kombination der beiden Vorgehensweisen denkbar: Nach einer relativ langen Periode der graduellen Transformation geht man zum "schockartigen" Vorgehen tiber. Dies ist vor allem dann zu erwarten, wenn bestimmte Krisenzustlinde (z. B. gravierender Ergebniseinbruch binnen kurzer Zeit) die Notwendigkeit einer beschleunigten betrieblichen Transformation deutlich machen (vgl. Fallstudie "Erfangji" dieser Arbeit).
Aus der Diskussion tiber mogliche Transformationspfade eines Staatsbetriebes kann auSerdem die Erkenntnis abgeleitet werden, dass man im Umfeld der graduellen Systemtransformation organisatorische Trligheit bzw. Transformation eines Staatsbetriebes nur im Rahmen eines llingeren Betrachtungszeitraums untersuchen kann. Zeitpunktbezogene Studien oder Untersuchungen mit geringer Zeitspanne vernachllissigen die Existenz alternativer Pfade der betrieblichen Transformation und konnten unter Umstlinden zur Fehlbeurteilung des Transformationserfolgs der untersuchten Staatsbetriebe ftihren.
3.2. Unterschiedliche Transformationstypen der Staatsbetriebe
Unterschiedliche Staatsbetriebe haben einen externen Kontext, deren marktwirtschaftliche Orientierung unterschiedlich ausgeprligt sein kann (vgl. Seite 65ff dieser Arbeit). Betriebsinterne Transformationsbereitschaft und -fahigkeit variieren auch unter den Staatsbetrieben (vgl. Seite 71ff dieser Arbeit). Unterschiedlicher Transformationsdruck von auSen und unterschiedliche Transformationsbereitschaft und -fahigkeit innerhalb des Betriebes ftihren zu unterschiedlichem Transformationsfortschritt der einzelnen Staatsbetriebe. 1m zwischenbetrieblichen Vergleich konnen deshalb unterschiedliche Transformationstypen der Staatsbetriebe identifiziert werden, die in der folgenden Abbildung 11 auf der Seite 80 dargestellt werden.
I} Typ "Sitzen gebliebene"
Es handelt sich urn Staatsbetriebe, die sich in einem weiterhin planwirtschaftlich geprligten Umfeld befinden und bei denen sich aufgrund der geringen Transformationsbereitschaft und -fahigkeit kaum Initiativen zur betrieblichen Transformation entwickeln. Diese Staatsbetriebe zeigen zum Betrachtungszeitpunkt kaum Fortschritte auf dem Weg zum marktwirtschaftlich orientierten Wertmanagement und wandeln sich innerhalb des planwirtschaftlichen Archetyps der Betriebsfiihrung (intra-archetypical change).
2} Typ "Gezwungene Mitlliufer"
Es handeit sich urn Staatsbetriebe, die zwar einen marktwirtschaftlich orientierten externen Kontext haben, deren interne Transformationsbereitschaft und -flihigkeit jedoch weiterhin begrenzt sind. Zum Betrachtungszeitpunkt befinden sich diese Staatsbetriebe bereits im Zustand der unvollkommenen Transformation. Das heiSt, zwar gibt es bereits einige markt-
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wirtschaftliche Elemente im Grundmuster der Betriebsftihrung, diese stehen jedoch weiterhin im unentschiedenen Konkurrenzkampf mit dem planwirtschaftlichen Rest.
2) Typ "Pro-aktive Pioniere"
Es handelt sich urn Staatsbetriebe, die trotz der limitierten marktwirtschaftlichen Orientierung des externen Kontextes eigene Initiativen zur Transformation entwickeln und umsetzen. Diese Staatsbetriebe machen Experimente mit neuen Konzepten der Betriebsftihrung und leisten Pionierieistungen fUr andere Staatsbetriebe in demselben oder iihnlichem Umfeld. Da jedoch im externen Umfeld blockierende Krafte dominieren, befinden sich diese Staatsbetriebe zum Betrachtungszeitpunkt auch im Zustand der unvollkommenen Transformation.
4) Typ "Konsequente Erneuerer"
Es handelt sich urn Staatsbetriebe, deren externer Kontext eine hohe marktwirtschaftliche Orientierung aufweist und deren interne Transformationsbereitschaft und -flihigkeit ausreichend vorhanden sind. Diese Staatsbetriebe haben betriebliche Transformation konsequenter vorangetrieben und im Vergleich zu anderen drei Typen der Staatsbetriebe den groBten Transformationsfortschritt erzielt.
Abbildung 11: Mogliche Transformationstypen der Staatsbetriebe
stark
Marktwirtschaftliche Orientierung desextemen
Kontexts
schwach
I I I I I I I I
Gezwungene Mitliiufer
i Konsequente I I I I I I I I
Erneuerer
---------------------~---------------------I I I I I I I I
Sitzen gebliebene ! I I I I I I I I I
schwach
Pro-aktive Pioniere
stark
Interne Transformationsbereitschaft und -flihigkeit
Quelle: eigene Darstellung
80
4. Zusammenfassung des Kapitels III
Fasst man die theoretischen Analysen und Erilluterungen in diesem Kapitel zusammen, kann man als Fazit folgende Thesen auflisten:
(1) Zwischen dem Archetyp bzw. dem Grundmodell der BetriebsfUhrung in der Planwirtschaft und Marktwirtschaft bestehen systemimmanente Unterschiede. Diese Unterschiede Iiegen in dem Betriebszweck, in den Betriebsaktivitllten und in der Betriebsorganisation sowie in der organisationalen Wissensbasis, die dem Grundmodell der Betriebsfiihrung zugrunde Iiegt.
(2) Vereinfachend kann man den Archetyp der BetriebsfUhrung in der Planwirtschaft als "planwirtschaftlich orientierte Produktionsadministration" und das Grundmodell der Betriebsfiihrung in der Marktwirtschaft als "marktwirtschaftlich orientiertes Wertmanagement" bezeichnen.
(3) Betriebliche Transformation ist der revolutionllre Ubergang eines Staatsbetriebes von dem planwirtschaftlich orientierten Archetyp zu dem neuen, marktwirtschaftIich orientierten Archetyp der Betriebsfiihrung. Anders formuliert: es handelt sich urn den qualitativen Modellwechsel in der BetriebsfUhrung.
(4) JdeaJtypisch umfasst betriebliche Transformation drei nacheinander Iiegende Phasen: 1) Phase der organisatorischen Trllgheit, 2) Phase der unvollkommenen Transformation und 3) Phase der konsequenten Neuorientierung. Diese Phasen stellen den Prozess dar, in dem sich der Staatsbetrieb von dem planwirtschaftlich orientierten Archetyp der Betriebsfiihrung abkoppeJt und an dem marktwirtschaftlich orientierten Archetyp neu anzukniipfen versucht. Die "Abkopplung" yom alten und die Ankopplung an den neuen Archetyp der BetriebsfUhrung finden sowohl in dem Grundmodell der BetriebsfUhrung (Oberflllchenstrukturen) als auch in der korrespondierenden organisationalen Wissensbasis (Tiefenstrukturen) statt.
(5) Der "Kern" der betrieblichen Transformation ist die Verllnderung der Tiefenstruktur bzw. der organisationalen Wissensbasis des Staatsbetriebes. Diese Verllnderung kann empirisch nieht direkt erfasst werden. Die Anderungen in der finanziellen Performance sind zwar direkt und leichter zu messen, konnen aber nicht als brauchbare Indikatoren fUr den Transformationsfortschritt herangezogen werden. Urn die Zuordnung eines Staatsbetriebes zu den einzelnen Transformationsphasen zu ermoglichen, sind dessen Verllnderungen in den direkt beobachtbaren Teilaspekten der BetriebsfUhrung (Zweckangaben, Betriebsaktivitllten und Betriebsorganisation) zu erfassen und zu analysieren.
(6) Systemtransformation verllndert den institutionellen Kontext eines Staatsbetriebes und erzeugt damit den extemen Transformationsdruck. Je nach dem, ob es sich urn schockartige oder graduelle Systemtransformation handelt, variiert die Entwicklung des betriebsextemen Transformationsdrucks.
81
(7) Vor allem bei der graduellen Systemtransformation (wie z. B. in China) steigt der betriebsexteme Transformationsdruck nur schrittweise und das betriebliche Umfeld ist durch Inkonsistenz bzw. Heterogenitat gekennzeichnet. Dies hat Wirkung sowohl auf den Transformationsfortschritt unterschiedlicher Teilaspekte der Betriebsfiihrung eines Staatsbetriebes als auch auf den Transformationsfortschritt unterschiedlicher Staatsbetriebe.
(8) Bereitschaft und Fahigkeit der betriebsintemen Anspruchsgruppen (Manager und Mitarbeiter) zur betrieblichen Transformation sind interne Determinanten des Transformationsfortschritts. Sie hangen ab von dem Fortschritt der personlichen Transformation der Beteiligten, dem Machtverhaltnis zwischen den betriebsintemen Innovatoren (einschlieBlich deren Promotoren) und Opponenten sowie von der Verfiigbarkeit der Ideenquellen der Transformation abo Letztendlich ist es organisationales Lemen, das innovative Ideen fiir betriebliche Transformation liefert.
(9) Die Transformationsbereitschaft und -flihigkeit eines Staatsbetriebes kann jedoch unterschiedlich hoch sein in unterschiedlichen Bereichen bzw. Teilaspekten der Betriebsfiihrung. Sie konnen auch zwischen unterschiedlichen Staatsbetrieben variieren.
(10) Der Transformationspfad eines Staatsbetriebes stellt marktwirtschaftlich orientierte Anderungen in den einzelnen Teilaspekten der Betriebsfiihrung im Zeitverlauf dar. Je nach der Geschwindigkeit der betrieblichen Transformation kann man zwischen "schockartiger" betrieblicher Transformation und "gradueller" betrieblicher Transformation unterscheiden.
(11) 1m Umfeld der graduellen Systemtransformation sind beide der oben genannten Transformationspfade oder deren Mischformen vorstellbar. Gewisse Parallelen konnen zwischen dem Verlaufsmuster der graduellen betrieblichen Transformation und dem Verlaufsmuster des Strategiewandels in westlicher Untemehmenspraxis gezogen werden.
(12) Unterschiede in dem betriebsextemen Transformationsdruck und Divergenzen in der betriebsintemen Transformationsbereitschaft und -fiihigkeit fiihren zu unterschiedlichem Transformationsfortschritt der einzelnen Staatsbetriebe. Bei einer Querschnittsbetrachtung konnen - mindestens gedanklich - vier Transformationstypen der Staatsbetriebe abgegrenzt werden: der "konsequente Emeuerer", der "pro-aktive Pionier", der "gezwungene Mitlaufer" und der "Sitzen gebliebene".
Nach den theoretischen Analysen folgen im nachsten Kapitel empirische Materialien aus dem staatlichen Industriesektor in Shanghai, mit denen die organisatorische Tragheit bzw. Transformation chinesischer Staatsbetriebe naher untersucht werden.
82
IV. Betriebliche Transformation in China am Beispiel zweier staatlicher Gro8betriebe im Shanghaier Industriesektor
1. Die Konzeption der Fallstudien dieser Arbeit
Die Konzeption einer Fallstudie beantwortet folgende Fragen, die vor jeder empirischen Untersuchung zu beantworten sind (vgl. Van de Yen 1987; Bohler 1992):
(1) Was soIl mit den Fallstudien konkret beschrieben und analysiert werden? (inhaltliche Strukturierung der Fallstudien)
(2) WeIche Staatsbetriebe sollen als Fallbeispiele ausgewiihlt werden? (FaIlauswahVStichproben wahl)
(3) Welche Datenquellen und weIche Methoden der Datensammlung soIl en verwendet werden? (Datenquellen und Datensammlung)
1m folgenden sollen diese drei Punkte kurz erliiutert werden.
1.1. Inhaltliche Strukturierung der Fallstudien
Mit den Fallstudien soIl der Fortschritt der betrieblichen Transformation der Fallbetriebe im Zeitverlauf sowie dessen betriebsextemen und -intemen Determinanten beschrieben und analysiert werden. Wie bereits im Abschnitt ID. 2.2.2.2. dieser Arbeit erwiihnt, kann der Fortschritt der betrieblichen Transformation mit den direkt beobachtbaren Veriinderungen in den einzelnen Teilaspekten der Betriebsfiihrung qualitativ beschrieben werden (vgl. Seite 59f.). In den Fallstudien hat der Verfasser - auf Basis der Erliiuterungen im Abschnitt ID. 1.2. (vgl. Seite 26 ff.) - folgende Untersuchungsfelder festgelegt:
1) Wandel der yom Management angekiindigten Betriebsziele
1m Bewusstsein, dass die Ziel- bzw. Strategieangaben eines Betriebes unter Umstiinden nur "Lippenbekenntnis" des Managements darstellen und der Betrieb durch seine Aktivitiiten in der Praxis andere Ziele oder Strategien verfolgen konnte, sollen die Informationen aus diesem Beobachtungsfeld durch Beobachtungen in den nachfolgenden zwei Untersuchungsfeldem iiberpriift werden.
2) Wandel der Betriebsaktivitiiten
Konkret werden die Veriinderungen in zwei Teilaspekten der Betriebsaktivitiiten untersucht. Zum einen wird das Portfoliomanagement, das untemehmensstrategische Entscheidungsfeld des Wertmanagements (vgl. hierzu Seite 36ff dieser Arbeit), niiher betrachtet. Dabei wird gefragt, wie der Fallbetrieb sein Geschiiftsportfolio gestaltet, welche Diversifikationsaktivitiiten er im Zeitverlauf tiitigt und wie er die Diversifikation betreibt. Zum anderen werden die Aktivitiiten in den operativen Entscheidungsfeldem des Stammgeschiifts (vgl. hierzu Seite 36ff dieser Arbeit) unter die Lupe genommen:
83
1m operativen Entscheidungsfeld "operating"43 wird untersucht, wie der Fallbetrieb Umsatzsteigerung (Wachstum) generiert und Betriebskosten senkt. Naber betrachtet werden folgende Teilbereiche: Produktprogrammgestaltung einschlieBlich Produktentwicklung, Vertrieb/Services, Preispolitik, Qualitiitsmanagement sowie Aktivitiiten zur Senkung der Material- und Personalkosten. 1m Zusammenhang mit der Erliiuterung der Personalkostenentwicklung wird auch der Wandel im Sozial- und Wohlfahrtsbereich des Fallbetriebes niiher betrachtet.
1m Entscheidungsfeld "asset management"44 wird untersucht, ob die Kapitalbindung im laufenden Betrieb kontrolliert wird und ob sich die "free raider" - Mentalitiit des Staatsbetriebes bei der Kapitalnutzung geiindert hat. Naber betrachtet werden in den Fallstudien die Aktivitiiten des jeweiligen Betriebes zur Senkung der Kapitalbindung im Umlaufvermogen.
1m Entscheidungsfeld "financing"45 wird gefragt, wie der Fallbetrieb finanziert wird und ob Entscheidungen zur Gestaltung der Kapitalstruktur bzw. zur Senkung der Kapitalkosten getroffen werden. Falls der Fallbetrieb an der Borse notiert ist, wird hier auch des sen Investor Relations-Aktivitiit betrachtet.
3) Wandel der Betriebsorganisation
Der Wandel der Betriebsorganisation bezieht sich auf die Veriinderungen in der Aufbauorganisation und in den betriebsinternen Planungs-, Steuerungs- und Kontrollsystemen des Fallbetriebes (vgl. hierzu Seite 40ff dieser Arbeit). Bei der Durchleuchtung der Struktur der Aufbauorganisation werden folgende Fragen gekliirt:
Wie wird die Grundstruktur der Aufbauorganisation gestaltet (weiterhin Funktionalorganisation oder weitere Strukturformen)? Werden markt-/wettbewerbs-bezogene Abteilungen neu geschaffen bzw. verstiirkt? Wie werden der soziale und politische Bereich der Betriebsorganisation behandelt (Beibehaltung oder Abschaffung bzw. Ausgliederung)?
Bei der Untersuchung der betriebsinternen Planungs-, Steuerungs- und Kontrollsysteme stehen folgende Punkte im Fokus der Betrachtung:
Auf welcher Basis wird die Produktionsplanung getiitigt (Markt- oder Behordenvorgaben als Planungsbasis)? Gibt es ein ganzheitliches Planungs- und Controllingsystem im Betrieb, das tiber den Produktionsbereich hinausgeht? Wie wird dies gestaltet? Wie wird die Leistungsverantwortung der einzelnen Betriebsmitglieder geregelt und verstiirkt?
Wie wird das betriebsinterne Kompensationssystem (=das interne Gehalts- und Priimiensystem) gestaltet (weiterhin egalitiir oder zunehmend leistungsbezogen)?
43 V gl. hierzu Seite 36ff dieser Arbei!. 44 Ebenda. 45 Ebenda.
84
Zur Erlauterung des betriebsindividuellen Kontextes der betrieblichen Transformation wird im einfUhrenden Teil der Fallstudie die historische Entwicklung der jeweiligen Firma kurz skizziert. AuBerdem werden die Meilensteine der Systemreform in der Firma dargestellt. Unter den "Meilensteinen der Systemreform" versteht der Verfasser die im Betrieb implementierten, wichtigsten SystemreformmaBnahmen der Regierung. SchlieBlich wird die Entwicklung der finanziellen Ergebnisse der Firma in der Beobachtungsperiode erlautert. Die Ergebnislage wird hier nicht als Indikator fUr den Transformationsfortschritt, sondern als Kontextfaktor der betrieblichen Transformation betrachtet. Die allgemeinen, fUr beide Fallbetriebe giiltigen historischen Kontextfaktoren der betrieblichen Transformation in China werden vor den Fallstudien im folgenden Abschnitt IV. 2. erlautert.
1.2. Auswahl der Fallbetriebe
1.2.1. Der Standortfaktor
Hebel (1997) weist darauf hin, dass die region ale Differenzierung in China "eine entscheidende Rolle fiir Aussagen iiber den Staatssektor und die Staatsbetriebe" spielt (Hebel 1997, S. 5). "Die Wirtschaftsstrukturen, der Stellenwert des Staatssektors und das Veranderungspotential der einzelnen Provinzen und Regionen unterscheiden sich betrachtlich .... Die Entwicklung in den Sonderwirtschaftszonen, im Siiden und in den Kiistenregionen des Ostens ist nicht vergleichbar mit der im chinesischen Binnenland." (Hebel 1997, S. 5).
Nicht nur in bezug auf die Wirtschaftsdynamik unterscheiden sich die einzelnen Regionen in China, sondern auch in bezug auf den Fortschritt der Systemreform bzw. Systemtransformation. Denn wie Hebel erkannt hat, reicht die gestaltende Kraft der Zentralregierung "nicht in allen Fallen bis auf die lokale Ebene des konkreten Handelns" hinab (Hebel 1997, S. 5). "Dieser Sachverhalt bedingt eine merkwiirdige Ambivalenz: einerseits eine GleichfOrmigkeit von Entwicklungen, die sich iiber das ganze Land ausbreiten und sich z. B. in gleichartigen politischen Topoi ausdriicken; andererseits eine Vielfalt konkreter Besonderheiten in den Regionen, die an die alte Weisheit erinnern, derzufolge Beijing und der Kaiser weit sind." (Hebel 1997, S. 5). Insgesamt iiberlagern sich die Homogenisierungs- und Differenzierungstendenzen im staatlichen Industriesektor.
In dieser Arbeit wird versucht, betriebliche Transformation in der Stadt Shanghai zu untersuchen. Shanghai befindet sich in der ostchinesischen Kiistenregion. Die Millionenstadt weist im Hinblick auf industrielle Entwicklung und bisherige Entwicklung der Systemtransformation ein iiberdurchschnittliches Niveau in China auf:
Zum einen ist Shanghai derzeit das am besten entwickelte Industriezentrum des Landes. Gemessen am BIP pro Kopf steht Shanghai an der Spitze des Landes. Der Anteil der Industrieproduktion am BIP liegt auch deutlich iiber dem nationalen Durchschnitt. Dies deutet auf den iiberdurchschnittlichen Industrialisierungsgrad der Region hin. Die finanzielle Performance der Shanghaier Industriebetriebe, gemessen an der Rentabilitat und Personalproduktivitat, liegt sowohl im staatlichen als auch im nicht staatlichen Segment auch iiber dem Niveau der Industriebetriebe in anderen Teilen des Landes (siehe Tabelle im Anhang 2).
Zum anderen ist Shanghai in bezug auf die Systemtransformation (Systemreform) im Vergleich zum Durchschnittsniveau des Landes auch weiter fortgeschritten. Aus der Tabelle im Anhang 2 ist zu entnehmen, dass der nicht staatliche Anteil der industriellen Wertschopfung
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in Shanghai deutlich hoher als der in anderen Regionen liegt, was ein Indikator fUr den hoheren LiberaIisierungsgrad des Shanghaier Industriesektors darstellt (vgl. auch Seite 97 dieser Arbeit). Die Shanghaier Regierung hat vor allem seit Anfang der neunziger Jahre viele Initiativen fUr Systernreform entwickelt (vgl. Seite 96 ff.). Einige von diesen Initiativen wurden von der Zentralregierung als Musterbeispiele fUr den Rest des Landes aufgegriffen (vgl. SETC (Hrsg.) 1996, S. 669 ff.). Dazu gehoren z. B. die Restrukturierung der staatIichen Industrieverwaltung (vgl. Seite 98ff dieser Arbeit und Weltbank 1997, S. 37 und S. 50), das UnterstUtzungsprogramm fUr finanzielle Sanierung der staatlichen GroBbetriebe (vgl. Seite 103 ff. dieser Arbeit) sowie die Errichtung der "Re-Employment Service-Centers" (RESC) zur Aufnahme redundanten Personals aus den Staatsbetrieben (vgl. Seite 104 dieser Arbeit).
Die Analyse von der Transformationspraxis in Shanghaier Staatsbetrieben liefert deshalb Erkenntnis dariiber, ob und wie ein Staatsbetrieb in einem relativ gUnstigen Makro-Kontext der Systemtransformation Fortschritte in der betrieblichen Transformation macht.
1.2.2. Die Fallbetriebe
Als Fallbetriebe werden zwei staatIiche GroBbetriebe im Shanghaier Industriesektor ausgewiihlt. Die Grunddaten beider Fallbetriebe werden in der folgenden Tabelle 13 zusammengestellt. Die Auswahl der beiden staatIichen GroBbetriebe basiert auf folgenden Uberlegungen:
Zum einen konnen die ausgewahlten Staatsbetriebe in bezug auf deren BetriebsgroBe und Branchenzugehorigkeit als "typische" Staatsbetriebe in China betrachtet werden. Denn der staatliche Industriesektor in China ist dadurch gekennzeichnet, dass die Mehrheit der Staatsbetriebe GroBbetriebe darstellen, die in der Schwerindustrie angesiedelt sind (siehe Tabelle im Anhang 3). Bei der Auswahl der Fallbetriebe wird diesem Punkt Rechnung getragen.
Zum anderen beriicksichtigt die Auswahl dieser FaIlbetriebe die Heterogenitat des staatlichen Industriesektors in bezug auf die Rechtsform. Mit dem Fortschritt der Systernreform gibt es derzeit in China neben den noch nicht in eine Kapitalgesellschaft umgewandelten Staatsbetrieben im hundertprozentigen Staatseigentum (wie z. B. Tianyuan) eine zunehmende Anzahl gesellschaftsrechtlich umgewandelter Staatsbetriebe, wovon einige (wie z.B. Erfangji) bereits an die Borse gegangen sind (vgl. SETC/SSB (Hrsg.) 1996, S. 47).
SchlieBlich haben beide FaIlbetriebe Referenzcharakter fUr den Transformationsfortschritt der chinesischen Staatsbetriebe. Tianyuan war einer der Pilotbetriebe beim Start der Systemreform im Shanghaier Industriesektor im Jahr 1979. Mit dem sogenannten "Erfangji-Modell" war Erfangji bis Anfang der neunziger Jahre einer der drei von der Regierung hoch bejubelten "Modellbetriebe der Systemreform" in China46 (Erfangji 1992; SHEC/SHIEA 1992). Insofem kann man mit empirischen Materialien dieser beiden Staatsbetriebe Erkenntnisse Uber diejenigen Staatsbetriebe in China gewinnen, die (mindestens aus chinesischer Sicht) auf dem Weg der Systernreform (Systemtransformation) am meisten fortgeschritten und mehr oder weniger Richtung weisend fUr andere Staatsbetriebe in China sind.
46 Die anderen zwei "Musterbetriebe" sind "Shougang" (Capital Steel Corp.) in der Hauptstadt Beijing und "Jilin Chemical" in der nordllstlichen Provinz Jilin (Anmerkung des Verfassers). Die Reformpraxis von Shougang wird als Fallbeispiel von Steinfeld (1998) ausfiihrlich beschrieben und kritisiert.
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Tabelle 13: Grunddaten der untersuchten Fallbetriebe in Shanghai
FaU Tianyuan Erfanltii Firma (1998) Tianyuan Chemical Works l ShanJ1;hai ErfanJ1;ii Co., Ltd.
Branche Chemische Grundstoffe Textilrnaschinenbau
GriindunJ1;siahr 1929 1923
Urnsatz in RMB Yuan (Jahr) 506 Mio. (1994) 308 Mio.(1998)2
Personalanzahl (J ahr) ca. 3.400 (1994)3 Ca. 3.300 (1998)2
Bilanzsumme in RMB Yuan (Jahr) 352 Mio. (1994) 1.756 Mio. (1998)3
Eigenkapital in RMB Yuan (Jahr) k.A. 916 Mio. (1998)2
Davon: Anteil des Staates (Jahr) 100 % (1994) 46,31 % (1998)4
Administrative ZuordnunJ1; ShanJ1;haier ReJ1;ierunJ1; ShanJ1;haier RegierunJ1;
Rechtsfonn Nicht-Kapitalgesellschaft Borsennotierte AG (ab 1992)
Offizielle BetriebsJ1:foBe5 "LarJ1;e I" "LarJ1;e I"
Anmerkungen:
I) Die Firma ist seit 1996 im Rahmen einer Fusion Bestandteil der "Shanghai Tianyuan (Group) Corp."
geworden. Aktuellere Finanzdaten sind nicht verfiigbar.
2) Zahlen aus dem chinesischen lahresbericht 1998 (erstellt nach den Chinese Accounting Standards CAS).
Nach den International Accounting Standards (lAS) betrug der Umsatz im lahr 1998 auch 308 Mio. Yuan.
Die Bilanzsumme betrugjedoch nur 1.534 Mio. Yuan und das Eigenkapital nur 694 Mio. Yuan.
Erlauterungen zu den Bewertungsunterschieden zwischen CAS und lAS findet man im Anhang dieser Arbeit
(vgl. auch Seite 174 dieser Arbeit).
3) Angaben aus den Experteninterviews.
4) Die Regierung hat hier die relative Mehrheit. Der zweitgriiBte Shareholder Ende 1997 ist ein auslandisches
Investmentfund mit einem Anteil von 4.18 %.
5) In China wird die BetriebsgriiBe offiziell nach der technischen Produktionskapazitat (falls
Einproduktbetrieb) oder nach dem Bruttowert des Anlagevermiigens (falls Mehrproduktbetrieb) definiert
(vgl. englische Erlauterung in SHSB (Hrsg.) 1996, S. 456) 47
Quelle: Chen Xing Securities (1995); Erfangji lahresbericht 1998; Experteninterviews.
In bezug auf den betrachteten Zeitraum gibt es bei den zwei Fallbetrieben leicht voneinander
abweichende Schwerpunkte:
Bei Tianyuan wird der Wandel im Zeitraum 1979-94 anhand der verfUgbaren Sekundlir
materialien analysiert. 1m Jahr 1995/96 wurde dieser Betrieb mit einem anderen GroBbetrieb
der Shanghaier Chemiebranche fusioniert und verlor seitdem die juristische Selbstandigkeit.
Die Fallstudie bezieht sich nur auf den Betrieb vor der Fusion.
47 Diese Praxis in China weicht von der konventionellen Praxis in Deutschland ab, wo die BetriebsgriiBe in der Regel nach der Anzahl der Beschaftigten, der Umsatzhohe oder der Bilanzsumme etc. definiert wird (vgl. DichtUissing (Hrsg.) 1987, S. 243-244 und die dort angegebene Literatur). Aufgrund unterschiedlicher Abgrenzungskriterien konnte ein chinesischer "GroBbetrieb" gemessen am deutschen MaBstab (z. B. UmsatzgrtiBe) eher als ein "mittelgroBer" Betrieb bezeichnet werden. In dieser Arbeit wird die offizielle GrtiBendefinition der Regierung verwendet.
87
Bei Erfangji wird der Wandel ab dem Jahr 1984 betrachtet, wo erste MaBnahmen der Systernreform in diesem Betrieb implementiert wurden. Schwerpunkt der Beschreibung bildet jedoch der Wandel des Betriebes in der Zeitperiode 1992-1998, in der Erfangji - im Gegensatz zu Tianyuan - die aus chinesischer Sicht derzeit "htichste Stufe" der Systernreform erreichte und als btirsenotierte Aktiengesellschaft mit diversifizierter Eigenkapitalstruktur das "modem enterprise system" praktizierte.
1.3. Datenquellen und Datensammlung
Die Fallstudien dieser Arbeit sind als retrospektive Studien konzipiert. Das heiBt, der Fortschritt der betrieblichen Transformation der Fallbetriebe sowie dessen externe und interne Determinanten werden im historischen Rtickblick beschrieben und analysiert. Das Vorgehen iihnelt dem von Steinfeld (1998) und Lu (1996). Die Mehrheit der historischen Daten und Fakten der Fallbetriebe konnte aus der vorhandenen Sekundiirliteratur gewonnen werden. Sowohl firmenexterne als auch firmeninterne Publikationen bzw. Dokumente der zwei Fallbetriebe wurden studiert.
Ftir die Fallstudie "Tianyuan" wurde in erster Linie die vertiffentlichte Firmenbiographie herangezogen, wo fast aile Aspekte der Betriebsflihrung von der Zeit der Grtindung bis zum Jahr 1993/1994 detaiJIiert erHiutert werden (Tianyuan (Hrsg.) 1994)48. Bei der Literaturstudie wurde versucht, keine wertenden Aussagen der Autoren, sondern nur die geschilderten Sachverhalte (Ereignisse und Zahlenmaterial) flir die vorliegende Untersuchung auszuwerten. Biographische Materialien tiber die tibergeordneten Behtirden von Tianyuan, das "Branchenbtiro flir chemische Industrie" der Shanghaier Regierung (ab 1995 die staatliche Holdingfirma in der Shanghaier Chemiebranche), wurden auch studiert, urn den Kontext der Entwicklung von Tianyuan besser zu verstehen (Shanghai Chemical 1996). Dartiber hinaus wurden Daten aus anderen Sekundiirquellen einschlieBlich Artikeln aus diversen Buchvertiffentlichungen, Pressemeldungen und Branchenberichten der chinesischen Wertpapieranalysten gesammelt und flir den Zweck der Fallstudie ausgewertet.
Urn einige Informationslticken bei der Sekundiiruntersuchung zu schlieBen und tiefgehende Erkenntnisse tiber die Ereignisse in der Firma zu gewinnen, wurden im FebruarlMiirz 1999 Interviews mit drei betriebsinternen Managementexperten von Tianyuan durchgeflihrt (siehe Liste der Interviewpartner im Anhang 4).
Ftir die Fallstudie "Erfangji" wurde auch die Firmenbiographie von Erfangji als Informationsquelle herangezogen, auch wenn deren Detaillierungsgrad unter dem der Firmenbiographie von Tianyuan liegt. Viel wichtiger sind die vielen internen und externen Sekundiirmaterialien tiber die Entwicklung der Firma in der Zeitperiode von Mitte der achtziger Jahre bis Ende 1997: Erfangji wurde Ende der achtziger Jahre und Anfang der neunziger Jahre in der Offentlichkeit als einer der "Musterbetriebe der Systernreform" in China dargestellt. Seine Reformpraxis wurde in internen und externen Vertiffentlichungen ausflihrlich erlautert. Seit 1992 hat die Firma als btirsennotierte Aktiengesellschaft regelmaBig Jahresberichte vertiffentlicht, die viele Informationen tiber die Geschafts!age, die finanzielle Situation sowie die MaBnahmen der Restrukturierung der Firma in dieser Zeit enthalten. Dartiber hinaus werden die
48 Diese Firmenbiographie wurde im Jahr 1994 zum Feiern des 65. Firmenjubilaums und mit Mittwirkung von betriebsexternen Historikern erstellt (Tianyuan (Hrsg.) 1994).
88
Branchen- und Firmenanalyse der chinesischen Wertpapierhauser (broker reports) zum besseren Verstandnis der Entwicklung von Erfangji herangezogen.
Neben der Sekundarstudie wurden im FebruarlMarz 1999 Interviews mit drei betriebsintemen Managementexperten von Erfangji durchgeflihrt (siehe Liste der Interviewpartner im Anhang 4). Diese Interviews sind notwendig, urn zusatzliche Informationen zur Firmenentwicklung, die in den offiziellen Veriiffentlichungen nicht enthalten sind, aus dem Mund der "Direktbeteiligten" zu bekommen.
Zum besseren Verstehen des allgemeinen Kontextes und der derzeitigen Probleme der betrieblichen Transformation in China wurde eine Reihe von Experteninterviews auBerhalb von den beiden Fallbetrieben im Mai/Juni 1997 und im FebruarlMarz 1999 durchgeflihrt. Zu den Interviewpartnem gehiiren Manager anderer Staatsbetriebe in Shanghai, Experten im Shanghaier akademischen Kreis sowie Beamte in der Shanghaier Regierung. 1m Anhang finden sich eine Liste aller befragten Interviewpartner in Shanghai (vgl. Anhang 4) und der beim Interview verwendete, grob strukturierte Fragebogen (vgl. Anhang 5).
Nachdem die Methodik der empirischen Untersuchung dieser Arbeit erlautert worden ist, werden in den folgenden Abschnitten die historischen Rahmenbedingungen der betrieblichen Transformation staatlicher Industriebetriebe in Shanghai erlautert, die als allgemeine Kontextfaktoren flir beide Fallbetriebe galten bzw. gel ten.
2. Historische Rahmenbedingungen der betrieblichen Transformation staatIicher Industriebetriebe in Shanghai
2.1. Entwicklung des Shanghaier Industriesektors seit 1949
Der Shanghaier Industriesektor, wie die Gesamtwirtschaft von China, hat seit 1949 mehrere Entwicklungsphasen durchlaufen (vgl. Riskin 1987; Ma 1983): In der Phase des ersten Fiinfjahresplans (1952-57) ging es urn den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach den Kriegsjahren. Das reale Wachstum der Industrieproduktion betrug 14,5 % pro Jahr im Durchschnitt. Wahrend der Phase des zweiten Fiinfjahresplans (1958-1962) startete die Regierung die Bewegung des "GroBen Sprungs nach vom" (Great Leap Forward, 1958-1960) und stellte die beschleunigte Entwicklung der Schwerindustrie in den Vordergrund. Das dadurch verursachte Ungleichgewicht im Wirtschaftsleben sowie die Naturkatastrophen in den Jahren 1959-1961 flihrte zu einem signifikanten Einbruch in der Wachstumskurve. In der nachfolgenden Peri ode der Kurskorrektur (period of re-adjustment, 1963-65) fand nun eine gesamt-wirtschaftliche Konsolidierung statt.
Die gesamtwirtschaftliche und auch die industrielle Entwicklung in Shanghai verlangsamte sich wahrend der Kulturrevolution (1966-76) auf durchschnittlich 6-7 % pro Jahr. Erst mit der Beendigung der Kulturrevolution (1976) und mit dem Beginn der Systernreform (1978179) begann eine neue Entwicklungsphase des Shanghaier Industriesektors mit rasantem Wachstum (siehe Abbildung 12 auf der Seite 93).
Die Entwicklungsphasen des Shanghaier Industriesektors unterscheiden sich nicht nur im Hinblick auf durchschnittliche Wachstumsrate, sondem auch im Hinblick auf das Branchengewicht der staatlichen Industriebetriebe:
89
Bei der Grtindung der Volksrepublik im Jahr 1949 wurde weniger als 20 % der gesamten Industrieproduktion in Shanghai im staatlichen Industriesektor erzeugt (siehe Abbildung 13 auf der Seite 94). In der Zeit des ersten Ftinfjahresplans (1953-57) wurden die Privatuntemehmen sukzessiv nationalisiert. Neue Staatsbetriebe wurden mit staatlichen Investitionen aufgebaut. Diese Periode kann als die Aufbauphase des staatlichen Industriesektors in Shanghai bezeichnet werden. Der Anteil der staatIichen Industriebetriebe an der gesamten Industrieproduktion in Shanghai stieg auf mehr als 95 % Ende dieser Periode.
In der Periode 1958-1978 herrschte die "sozialistische Planwirtschaft". Zu Beginn der Systemreform im Jahr 1978179 betrug der staatIiche Anteil an der gesamten Industrieproduktion 91 %. Der Rest der Industrieproduktion (9 %) kam von den Kollektivbetrieben, die im Besitz der jeweiJigen Belegschaft stehen. Privatuntemehmen waren kaum zu finden. Erst seit Anfang der achtziger Jahre ist der Anteil der nicht-staatIichen Industrieproduktion wieder gestiegen. 1m Jahr 1997 betrug der Produktionsanteil der nicht-staatIichen Industriebetriebe (ink\, Kollektivbetriebe) bereits knapp 70 % (siehe Abbildung 13 auf der Seite 94).
2.2. Allgemeiner Kontext der staatlichen Industriebetriebe bis 1978
2.2.1. Externer Kontext der staatlichen Industriebetriebe bis 1978
Mit dem ersten Ftinfjahresplan (1995-57) wurde das sowjetische Modell der zentral gesteuerten Planwirtschaft im staatlichen Industriesektor in Shanghai eingeflihrt (Child 1994, S. 36f; Riskin 1987; Autorenkollektiv 1998, S. 2 ff.). Dieses Modell hat den bis Ende der siebziger Jahre vorherrschenden betriebsextemen Kontext der Staatsbetriebe gepragt (Autorenkollektiv 1998, S. 2 ff.; MalSun 1993; Hebel 1997; Child 1994):
90
Der Produktionsplan kam von den ilbergeordneten Behorden in Form von imperativen Anweisungen. Die flir die Produktion erforderlichen RohstoffelMaterialien sowie Anlagen/Einrichtungen wurden zu staatlich festgesetzten Einkaufspreisen von den zustandigen Behorden flir Materialversorgung zugewiesen. Auf Chinesisch hieB solche Beschaffungspraxis "tong gou" (zentralisierte Beschaffung durch die Regierung) Die produzierten Gtiter wurden zu den staatlich festgesetzten Preisen an die zustandigen Distributionsorganisationen geliefert, die diese Gilter nach staatlichen Distributionsplanen an die Abnehmer bzw. Endverbraucher verteilten. Auf Chinesisch hieB so\Che Absatzpraxis "tong xiao" (zentralisierter Absatz durch die Regierung)
Der gesamte betriebliche Cashflow in Hohe von Gewinn und Abschreibung wurde an die Regierung abgeflihrt. Auf Chinesisch hieB es "tong shou" (aile Einnahmen an die Regierung)
Investitionsausgaben und Aufwendungen flir Forschung & Entwicklung (F & E) wurden einheitlich von der Regierung mit Geldem aus dem StaatshaushaIt finanziert. Auf Chinesisch hieB es "tong zhi" (aile Ausgaben durch die Regierung) Das betriebsnotwendige Umlaufvermogen wurde von der Regierung geplant und mit Geldem aus dem Haushalt finanziert. Der ilber das Budget hinaus gehende Teil des Umlaufvermogens wurde durch kurzfristige Kredite der Staatsbanken gedeckt.
Das Lohn- und Gehaltssystem der Staatsbetriebe wurde von der Regierung standardisiert und einheitlich geregeit. Betriebliche Lohn- und Gehaitserhtihung erfolgte sporadisch und einheitlich nach staatlichen Bestimmungen. Auf Chinesisch hieS es "tie gong zi" ("eiseme Gehiilter") Der Betriebsdirektor wurde von der Regierung bzw. der Partei emannt. Sonstiges Personal des Staatsbetriebes wurde durch zustiindige Behtirden eingestellt und gegebenenfalls versetzt. Es gab fast keine Wahl- bzw. Klindigungsmtiglichkeit des Betriebes und seinen Mitarbeitem. Auf Chinesisch hieS es "tie fan wan" ("eiseme Reisschlissel").
Staatsbetriebe haben in solchem Kontext hauptsiichlich die Aufgabe, die staatlichen Produktionspliine mengen-, qualitiits- und fristgerecht zu erflillen (Autorenkollektiv 1998, S. 2). Wiihrend die Entscheidungsautonornie der Staatsbetriebe stark eingeschriinkt war, wurde ein administrativer Verwaltungsapparat im Industriesektor aufgebaut (vgl. Child 1994, S. 21 ff.): Ein staatlicher Industriebetrieb war in erster Linie dem zustiindigen Branchenbliro (industrial bureaux) unterstellt. Zwischen dem Branchenbliro und den einzelnen Industriebetrieben kann auch eine Zwischenstufe, die sogenannten "industrial corporations", existieren. Diese "corporations" sind keine Kapitalgesellschaften im eigentlichen Sinne49, sondem Untergliederungen des Branchenbliros, die ein bestimmtes Branchensegment verwalten.
So ist zum Beispiel der Chemiebetrieb "Shanghai Tianyuan Chemical Works" eine Zeit lang der "Shanghai Basic Chemical Materials Corporation" unterstellt, die aile Chemiebetriebe in Shanghai verwaltete, die chemische Grundstoffe produzieren. Die "industrial corporation" stellte die Zwischenstufe zwischen Tianyuan und dem "Bureau of Chemical Industries" der Shanghaier Regierung dar (Tianyuan (Hrsg.) 1994; Shanghai Chemical 1996). Jedes Branchenbliro der Shanghaier Regierung unterstand dem entsprechenden Branchenministerium in der Zentralregierung. Koordiniert wurden die Branchenbliros durch die Wirtschaftskommission der Stadtregierung.
Neben den Branchenbliros sind "functional bureaux" der Regierung zu nennen, die betriebliche Funktionsbereiche eines Staatsbetriebes regulieren (Child 1994, S. 21f). Unterscheiden kann man zwischen den koordinierenden "functional bureaux" wie z. B. Planungskommission und den auf einen bestimmten Funktionsbereich des Staatsbetriebes spezialisierten "functional bureaux", wie z. B. "labour office" flir aile Angelegenheiten des Personalwesens, "material office" flir die Rohstoff- und Materialversorgung usw .. Die regionalen "functional offices" sind jeweils den zentralen "functional ministries" bzw. "specialist ministries" untergeordnet. In der Abbildung 12 auf der Seite 92 wird der Verwaltungsapparat im Shanghaier Industriesektor vor der Systernreform kurz skizziert.
Der exteme Betriebskontext und die blirokratische Industrieverwaitung flihrte zur starken Abhiingigkeit der Staatsbetriebe von den Behtirden. Auf der Betriebsebene wurden parallel zu den diversen Bliros der Behtirden gleich strukturierte Verwaltungsabteilungen errichtet, was schlieSlich zu einer homogenen, blirokratischen Organisationsstruktur aller Staatsbetriebe flihrte, unabhiingig von der BetriebsgrtiSe und der Branchenzugehtirigkeit (Chen 1995, S. 151). Diese Organisationsstruktur ist durch das Verrichtungsprinzip (Funktionalorganisation) und das Linien-Stab-Prinzip gekennzeichnet (Hebel 1997, S. 276 ff.; MalSun 1993).
49 Zum einen gab es damals noch kein richtiges Gesellschaftsrecht in China. Zum anderen handeln diese Firmen weniger nach kommerziellen Prinzipien aber vie! mehr nach biirokratischen Verwaltungsregeln.
91
Der komplexe Verwaltungsapparat im staatlichen Industriesektor fUhrte auch dazu, da eine ganze Reihe von Regierungsinstanzen an betrieblichen Entscheidungen beteiligt ist. Direktoren chinesischer Staatsbetriebe verglichen diese Instanzen mit den problematischen "SchwiegermUttem", die bei jeder Angelegenheit "immer was zu sagen haben" (Interviews Mai/Juni 1997; vgl. hierzu auch Hebel 1997, S. 68-71).
1m Rahmen der staatlichen Branchenorganisation wurde jedem Staatsbetrieb jeweils ein Branchen- bzw. Produktsegment zugeordnet. Dies ermoglichte die Monopoistellung der einzelnen Staatsbetriebe in den jeweiJigen Branchen- I Produktsegmenten in einer Region oder gar im ganzen Lande.
Abbildung 12: Struktur der Industrieverwaltung in Shanghai vor der Systemreform
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QueUe. eigene DarsteUung mit Informationen aus den Interviews mit den Experten in der Shanghaier Regierung.
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2.2.2. Interner Kontext bis 1978
In bezug auf den betriebsinternen Kontext der staatlichen Industriebetriebe bis 1978 ist kurz auf den historischen Wandel der betriebsinternen Entscheidungsstruktur einzugehen.
Die Entwicklung der betriebsinternen Entscheidungsstruktur der chinesischen Staatsbetriebe hat bis 1978 mehrere Phasen erlebt, wObei in jeder Phase die Machtverhliltnisse zwischen dem Betriebsrnanagement (Betriebsdirektor), der Partei (Parteisekretar bzw. Parteikomi tee im Betrieb) und der betriebsinternen Mitarbeitervertretung (Gewerkschaft und "workers representative congress") unterschiedlich strukturiert waren (vgl. Child 1994, S. 36 ff. und S. 60 ff.; Huang 1997, S. 71 ff.).
In den ersten Jahren der Volksrepublik wurden "factory management committees" in vielen Staatsbetrieben errichtet. Diese funktionierten wie der Board of Directors in westlichen Unternehmen (Child 1994, S. 60). Da die betriebsinterne Parteiorganisation damals noch unterentwickelt war und die seit 1950 eingeflihrte Arbeitervertretung "workers representative congress" keinen effektiven Einfluss auf betriebliche Entscheidungen hatte, war die Entscheidungsmacht faktisch in der Hand des Betriebsdirektors (Child 1994, S. 60).
1m Jahr 1953 wurde das sowjetische Model der Betriebsflihrung und damit auch das sogenannte "one-man management system" eingeflihrt. Dadurch wurde offiziell die betriebsinterne Entscheidungsautoritat in der Hand des Betriebsdirektors konzentriert. Der Betriebsdirektor war nur verantwortlich gegenUber den Ubergeordneten Behorden. Er durfte unterschiedliche Meinung des ParteisekreUirs ignorieren (Child 1994, S. 61; Chamberlain 1987). Das betriebsinterne Parteikomitee wurde unter dem Motto "politics must serve economics" an die Seite geschoben und spielte lediglich die Rolle des Propagandisten. Die Arbeitervertretung konzentrierte sich auf "Management-freundliche" Aktivitliten, wie z. B. die Veranstaltung diverser betriebsinterner Kampagnen zur Produktionssteigerung oder zur besseren Einhaltung der Arbeitsdisziplin (Child 1994, S. 60; Hearn 1977; Hong!Warner 1997). In einigen Staatsbetrieben in Shanghai wurde trotzdem partizipative FUhrung praktiziert (das "Shanghai System") (Child 1994, S. 61).
Zu Ende des 1. FUnfjahresplans (1952-1957) wurde aus ideologischen Grunden das "oneman management system" durch das "director responsibility system under the leadership of the party" ersetzt (Child 1994, S. 61-62). Nach diesem System sind aile wichtigen Entscheidungen im Rahmen kollektiver FUhrung yom Parteikomitee zu treffen. Der Betriebsdirektor bekam nun die ausfUhrende Funktion unter der FUhrung des Parteikomitees und war in erster Linie flir die Produktion zustlindig. Betriebsinterne Gewerkschaft und "workers representative congress" arbeiteten unter dem Motto "party secretary taking command" unter der FUhrung
des Parteikomitees. Mit dem Beginn der Kulturrevolution (1966) brach die etablierte Management- bzw. Ent
scheidungsstruktur in den Staatsbetrieben zusammen. "The Cultural Revolution was inter alia intended to discredit and remove the layers of administration and industrial management which intervened between the working class and its leader." (Child 1994, S.38-39). Die sogenannten "revolutionary committees" mit den Aktivisten der linksextremen Massenbewegung an der Spitze Ubernahmen die Betriebsflihrung. Die Partizipation des Parteikomitees an betrieblichen Entscheidungen wurde zuerst abgelehnt. "Workers representative congress" wurde aufgelost.
95
Ende 1972 wurde die zentrale Autoritllt des Parteikomitees in den Staatsbetrieben wieder hergestellt. Das Parteikomitee Ubernahm die Kontrolle Uber die "revolutionary committee" und den gesamten Betrieb (Child 1994, S. 63). In chinesischer Literatur wird dies als "party committee-centered management system" bezeichnet (vgl. Tianyuan (Hrsg.) 1994 und Erfangji (Hrsg.) 1994). Betriebliche Managementhierarchien sowie Arbeitervertretung (wie z.B. "trade union committee") wurden wieder schrittweise eingefUhrt. Das "party committeecentered management system" herrschte bis zum Beginn der Systemreform vor.
Die interne Entscheidungsstruktur seit Ende der fUnfziger Jahre fUhrte zur Unterordnung der okonomischen Kriterien unter die parteipolitischen Prinzipien (Child 1994, S. 64). Wichtige betriebliche Entscheidungen wurden als kollektive BeschlUsse des Parteikomitees getroffen und in Form der politischen Kampagne implementiert (Chen 1996). Politischideologische Schulung und Propaganda gehorten zum Repertoire der innerbetrieblichen Steuerungsinstrumente (vgl. Hebel 1997, S.377).
Die sogenannte "innerbetriebliche Demokratie" (qiye mingzhu guanli) bzw. die Mitarbeiterpartizipation wurde zwar offiziell betont. Der Einfluss der betriebsinternen Arbeitervertretung in den chinesischen Staatsbetrieben (Gewerkschaft oder "workers representative congress") war jedoch stets gering (vgl. Child 1994, S. 60 ff. und HongIWamer 1997)50. Interessenfokus der betriebsinternen Arbeitervertretung war in der Regel Gehlliter und Prllmien sowie Wohlfahrtsleistungen des Betriebes. FUr die Belegschaft der Shanghaier Staatsbetriebe war vor allem die (kostenlose) Vergabe von Wohnungen durch den jeweiligen Betrieb ein wichtiges Thema (Interviews Mai/Juni 1997).
2.3. Systemreform im Shanghaier Industriesektor seit 1978
Der Verlauf der Systemreform im staatlichen Industriesektor in Shanghai entspricht dem auf der nationalen Ebene (vgl. hierzu Wang (Hrsg.) 1998, s. 3 ff.; Weltbank 1997; Broadman 1995; Bohnet 1994). 1m Anhang 6 werden die wichtigsten ReformmaBnahmen der Regierung im Shanghaier Industriesektor im Zeitraum 1978-1998 chronologisch dargestellt. Dabei werden die ReformmaBnahmen in den benachbarten Sektoren, wie z. B. im Banksektor, im Handelssektor, im Bereich der Sozialpolitik und der Arbeitsmarktpolitik usw. nicht mit berUcksichtigt, auch wenn diese MaBnahmen auch den Kontext der staatlichen Industriebetriebe verllndern (vgl. hierzu Schucher 1998, S. 741 ff.; Hebel 1997; Weltbank 1997; KrieglSchrlldler 1995; Broadman 1995; Bohnet 1994; IMP 1993).
1m folgenden werden nur diejenigen MaBnahmen der Systemreform skizziert, die explizit den staatlichen Industriesektor betreffen: 1) MaBnahmen zur Einfiihrung des Marktwettbewerbs, 2) MaBnahmen zur Reorganisation des staatlichen Verwaltungsapparates im Industriesektor und 3) ReformmaBnahmen auf der Betriebsebene.
2.3.1. Einfiihrung des Marktwettbewerbs
Seit Beginn der Systemreform hat man den Umfang der staatlichen Planung sukzessiv reduziert. Auf der nationalen Ebene ist zum Beispiel der Wertanteil der staatlichen Plan-
50 Ausnahme bildeten nur die ersten Jahre der Kulturrevolution. wo die "revolutionaren" Aktivisten aus der Belegschaft die etablierte FUhrungsstruktur durch bottom-up errichtete "revolutionary committees" ersetzten und somit die Entscheidungsmacht aus der Hand der Betriebsleitung wegnahmen. V gl. Riskin 1987.
96
kontingente an der gesamten Industrieproduktion von tiber 70 % im Jahr 1979 auf nur 4,6 % im Jahr 1998 gesunken (Wang 1998, S. 6). In Shanghai gab es seit 1995 nur noch fUnf Rohstoffe bzw. Materialien, die der imperativen Planung des Staates unterlagen. Dies entspricht volumenmllBig jeweils nur noch zwei bis acht Prozent des Gesamtbedarfs der Materialversorgung des Shanghaier Industriesektors (Autorenkollektiv 1998, S. 244). Auch die Preise wurden schrittweise Iiberalisiert (vgl. IMF 1993). 1m Bereich der Investitionsgiiter ist im ganzen Lande der wertmllBige Anteil der zu Marktpreisen verkauften Produkte von 3 % im Jahr 1979 auf tiber 80 % im Jahr 1996 gestiegen (siehe Abbildung 15).
Mit diversen MaBnahmen wurde die Entwicklung des nicht-staatlichen Industriesektors von der Regierung unterstiitzt bzw. geftirdert (vgl. Autorenkollektiv (Hrsg.) 1998, S. 286 ff.). Die Bedeutung der nicht-staatlichen Industrieunternehmen (einschl. Kollektivbetriebe COEs) hat rasant zugenommen (siehe Abbildung 13 auf der Seite 94). Unter den Wettbewerbern der Staatsbetriebe haben sich vor allem die Industriebetriebe mit auslllndischer bzw. auslandchinesischer Beteiligung (Foreign-Invested Enterprises FIEs) schnell entwickelt. Der Anteil der FIEs an der gesamten Industrieproduktion in Shanghai betrug bereits 40 % im Jahr 1997 (siehe Abbildung 16 auf der Seite 98).
Abbildung 15: Gesamtumsatz der Investitionsgtiter in China nach Preiskategorien, 1990-96 (Anteil in Prozent)
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I-State Fixed Pricing 0 State Guided Pricing 0 Market Pricing I
Anmerkung: State Fixed Pricing = Preise werden vom Staat festgelegt. State Guided Pricing = Preise, woran
man sich im Handel mit staatlichen Einkaufsorganisationen zu orientieren hat; Market Pricing = Marktpreise.
Quelle: eigene Darstellung mit Rohdaten aus Economic Daily vom 25. Januar 1998; IMF 1993, S. 27
Insgesamt kann man fUr den Shanghaier Industriesektor dasselbe festhalten, was Hussain! Zhuang (1998) in bezug auf die derzeitige Lage der chinesischen Staatsbetriebe auf der nationalen Ebene schilderte: "Internal product markets are now well developed and most prices are no longer determined by the government, though significant internal trade barriers
97
still remain and the government is prone to fall back on price controls to rein in inflation .... Furthermore, the growth of market transaction has been accompanied by an increase in competition in the economy. In a wide range of industries, SOEs no longer have a captive market, and the increased competition has forced them to cut costs and upgrade product quality." (HussainlZhuang 1998, S. 23).
Abbildung 16: Bruttoproduktionswert vom Shanghaier Industriesektor nach Betriebstypen 1997, in den Preisen von 1997
Anmerkungen:
Joint Stock 9%
COEs 12%
Others 4%
FIEs= Foreign-Invested Enterprises= Joint ventures mit auslandischer oder auslandchinesischer Direktinvesti
tion und Untemehmen im hundertprozentigen Eigentum auslandischer oder auslandschinesischer Investoren.
SOEs= State-Owned Enterprises= Staatsbetriebe im hundertprozentigen Staatseigentum bzw. staatliche Nicht
Kapitalgesellschafen.
COEs= Collectively-Owned Enterprises = Industriebetriebe im kollektiven Eigentum der Belegschaft.
Joint Stock= Kapitalgesellschaften (zum Teil mit gemischter Eigenkapitalstruktur).
Others= Inlandische Privatuntemehmen.
Quelle: eigene Darstellung mit Rohdaten aus SSB I 998a.
2.3.2. Reorganisation der staatIichen IndustrieverwaItung
Die Shanghaier Regierung hat den Verwaltungsapparat im Industriesektor in zwei Schritten reorganisiert (Autorenkollektiv 1998, S. 82 ff.):
Der erste Schritt erfolgte im Jahr 1986 und 1987, in denen man die meisten "industrial corporations", die Zwischenstufe zwischen dem Branchenbliro der Regierung und den einzelnen Staatsbetrieben, abgeschafft hat. Die Funktionen der "industrial corporations" wurden zum Teil "nach oben" auf das libergeordnete Branchenbliro libertragen (sofem sie zu
98
den Funktionen der Regierungsadrninistration gehoren) oder "nach unten" auf die einzelnen Staatsbetriebe delegiert (sofem sie zu den betrieblichen Funktionen gehoren). Nach der Abschaffung der "industrial corporations" haben viele Staatsbetriebe auf freiwilliger Basis Firmengruppen gebildet, die - im Gegensatz zu den Behorden "industrial corporations" -starker kommerziell orientiert arbeiten (Autorenkollektiv (Hrsg.) 1998, S. 84 ff.).
Der zweite Schritt erfolgte in den Jahren 1995 und 1996, wo man aile Branchenbliros in staatliche Holdinggesellschaften (AG oder GmbH chinesischen Rechts) umgewandelt hat (Autoren-kollektiv (Hrsg.) 1998, S. 89 ff.). In diesem Umwandlungsprozess hat man versucht, unter-schiedliche Funktionen der Branchenbliros zu trennen: Die Industrie- bzw. Branchenpolitik soli zuklinftig von der "Economic and Trade Commission" (ETC) formuliert werden. Allgemeine Angelegenheiten einer Branche (z. B. Branchemesse etc.) werden von den neu gegrundeten "Industrial Associations" libemommen, die als halb-offentliche Einrichtungen den Branchenmitgliedem diverse Dienstleistungen anbieten sollen. Die Funktion des EigentUrners wird dem im Jahr 1993 neu gegrlindeten "State Asset Management Bureau" libertragen (siehe Abbildung 17)
Abbildung 17: Struktur der Industrieverwaltung in Shanghai, 1999
Behorden
State Asset Management Commission
·Dienstleistungen
Stadtregierung
State Asset Management Bureau
gesellschaften
Einzelbetriebe
Andere Behorden
Wirtschaftskommission
" " ·Industriepolitik " ·Branchenregulierung
Quelle: eigene Darstellung mit Informationen aus den Interviews mit den Experten in der Shanghaier Regierung
im Mai 1997 und im Marz 1999.
"State Asset Management Bureau" (SAMB) ist das ausflihrende Organ vom "State Asset Management Commission" (SAMC) der Stadtregierung. Die heiden Organe bilden die oberste Ebene eines mehrstufigen Vermogensverwaltungssystems der Regierung (state asset management system) im Shanghaier Industriesektor (vgl. Weltbank 1997, S.33 ff.). SAMB beauftragt die staatlichen Holdinggesellschaften, die Shareholder-Rolle des Staates in den
99
Tochtergesellschaften bzw. den einzelnen Staatsbetrieben wahrzunehmen. Diese Holdinggesellschaften sorgen dafUr, dass der Wert des Staatsvermtlgens in den Staatsbetrieben gesichert und erhtlht wird. Zwischen dem SAMC/SAMB und den staatlichen Holdinggesellschaften werden jlilirlich die sogenannten "Asset Management Responsibility Contracts" geschlossen, in denen die Ziele der Wertsicherung und -steigerung sowie entsprechende Motivations- bzw. SanktionsmaBnahmen vereinbart werden (vgl. Weltbank 1997, S. 50).
2.3.3. Reformma8nahmen auf der Betriebsebene
Man kann grob drei Phasen der von der Regierung eingeleiteten Reform auf der Betriebsebene unterscheiden (Autorenkollektiv 1998, S. 29 ff.; vgl. auch Hebel 1997; Chen 1996; Bohnet et al. 1994; IMP 1993):
Phase I (1979-1986): Dezentralisierung der Managementrechte Phase IT (1987-1992): Implementierung des "contract responsibility systems" Phase ill (1993- bis jetzt): Einflihrung des "modem enterprise systems"
Diese drei Phasen werden im folgenden grob skizziert.
2.3.3.1. Phase 1(1979-1986): Dezentralisierung der Managementrechte
Als der erste Meilenstein der Phase I gilt das 1979 von der Stadtregierung gestartete Experiment mit der Erweiterung der Managementrechte auf der Betriebsebene. Die ausgewahlten Pilotbetriebe durften den Teil der Produktion selbstandig verkaufen, der iiber die staatliche Planquote hinausgeht. Sie durften auBerdem einen vorher vereinbarten Anteil am Gewinn (oder Mehrgewinn) einbehalten und im eigenen Ermessen verwenden. Dafiir mussten sie die erforderlichen Materialien flir die Mehrproduktion selbst beschaffen. Zur Regulierung der Gewinnverteilung zwischen den Staatsbetrieben und dem Fiskus wurde in den Jahren 1983 und 1984 das System der Gewinnbesteuerung im chinesischen Staatssektor eingefiihrt. Damit wird der direkte Gewinntransfer der Staatsbetriebe an die Regierung durch standardisierte Besteuerung ersetzt (vgl. Bohnet et al. 1994; IMP 1993).
Als der zweite Meilenstein in der Phase I gilt die Einflihrung des sogenannten "Drei-MaBnahmen-Reformpaketes" bzw. "Vier-MaBnahmen-Reformpaketes" in mehr als 60 Pilotbetrieben in Shanghai im Jahr 1984. Die drei ReformmaBnahmen waren:
1) Einflihrung des "director responsibility systems" zur Zentralisierung der betriebsintemen Entscheidungsmacht in die Hande des Betriebsdirektors,
2) flexible Gehaltspriimien ohne Limit nach oben oder unten, urn der Belegschaft materielle Leistungsanreize zu bieten und eine mehr leistungsorientiertes Kompensationssystem einzuflihren, und
3) Einraumen von "Zehn Entscheidungsrechten", urn Managementautonomie der Staatsbetriebe zu gewlilirleisten.
Die sogenannten "Zehn Entscheidungsrechte" sind das autonome Recht des Betriebsmanagements in folgenden 10 Bereichen: a) Produktionsplanung, b) Produktabsatz, c) Preispolitik, d)
100
Materialbeschaffung, e} Verwendung intern verfUgbarer Finanzmittel, f) Disposition nicht betriebsnotwendiger VermogensgegensUlnde, g} Organisation des Betriebes, h} Personaleinsatz, i} Verwendung der Prlimien sowie j} zwischenbetriebliche Kooperation (vgl. Bohnet et aI. 1994).
Das sogenannte "Vier-MaBnahmen-Reformpaket" umfasste neben den oben genannten drei Punkten zuslltzlich die MaBnahme, dass die Entwicklung der Gehaltssumme mit der Entwicklung des Betriebsergebnisses (des Gewinns) verkoppelt wird.
Besonderer Aufmerksamkeit dient in der Phase I die EinfUhrung des "director responsibility systems", die den betriebsinternen Entscheidungskontext veriindert. Mit diesem System hat die Regierung/Partei das seit Ende der fUnfziger Jahre mehrfach geiinderte Machtverhiiltnis zwischen Management (Betriebsdirektor) und Partei (Parteisekretiir) im Staatsbetrieb zugunsten des Managements geregelt (vgl. hierzu Seite 95 dieser Arbeit). Die zentrale Entscheidungsautoritiit im Betrieb liegt nun ausschlieBlich in der Hand des Betriebsdirektors. Der Parteisekretiir konzentriert sich auf innerparteiliche Angelegenheiten. Die Rolle der Partei im Betrieb ist darauf beschriinkt, das Betriebsmanagement im Hinblick auf die Einhaltung der allgemeinen Linien der Regierung/Partei zu beaufsichtigen (vgl. Child 1994, S. 66 ff.).
Diese Funktion der Partei bleibt in der Betriebspraxis jedoch auf dem Papier. Vielmehr versucht die Parteiorganisation im Betrieb, die Belegschaft fUr die Realisierung der yom Betriebsmanagement gesetzten Leistungsziele zu mobilisieren (vgl. Seite 68f dieser Arbeit). Child (1994) kommentiert auf Basis empirischer Untersuchungen die Entwicklung wie folgt: "The party committee had lost the status of a board to which management could be held accountable. The administrative resources available for party work were reduced. In some cases they had been moved towards the margins of the managerial decision process, acting more as conciliators rather than as initiators or ratifiers." (Child 1994, S. 84). "The influence enjoyed by party secretaries did vary but, as we have noted, this influence was largely founded upon, and directed towards, the contribution they could make to management rather than stemming from an independent monitoring role which guaranteed and supervised the implementation of political policies." (ebenda, S. 85).
2.3.3.2. Phase II (1987-1992): Implementierung des "contract responsibility systems"
1m Jahr 1987 wurde das "contract responsibility system" (auf Deutsch: vertragsgebundenes Verantwortungssystem) fliichendeckend im staatlichen Industriesektor eingefUhrt (Autorenkollektiv 1998, S. 5 f. Vgl. auch Chen 1996; Bohnet et al. 1994). Die Regierung hat damit versucht, der Betriebsleitung mehr Managementautonomie zu gewiihren und gleichzeitig die Managementverpflichtung gegenUber dem Staat festzulegen (vgl. Chen 1996; Bohnet et al. 1994). In den Verantwortungsvertriigen im Shanghaier Industriesektor wurden in der Regel folgende Ziele festgelegt: Hohe der abzufUhrenden Gewinne (oder Hohe der abzubauenden Verluste), Hohe der Steuerabgaben, MaBnahmen fUr den technischen Fortschritt, Wachstum des Anlagevermogens sowie Ankopplung der Entwicklung der Gehaltssumme an die Gewinnentwicklung. SanktionsmaBnahmen wurden vereinbart fUr den Fall der ErfUliung bzw. NichtErfiillung der gesetzten Ziele (Autorenkollektiv 1998, S. 38 ff.; vgl. auch Hebel 1997; Chen 1996; Bohnet et al. 1994).
In der Phase ill hat man auch diverse Reformexperimente im Personal- und Sozialwesen der Staatsbetriebe durchgefUhrt. Ab 1991 wurde das sogenannte "labour contract system"
101
eingefiihrt. Dabei wurden aile Staatsbetriebe aufgefordert, befristete Arbeitsvertrage mit ihren Beschaftigten abzuschlieBen. Da sowohl der Betrieb als auch der Beschaftigte den Vertrag kiindigen kann, hat man mit dieser Reform die endgiiltige Abschaffung der "eisemen Reisschiissel" begonnen (vgl. Warner 1996). Zeitgleich wurde das bis dahin von der Zentralregierung einheitlich geregelte Grundgehaltssystem reformiert: Die einzelnen Staatsbetriebe durften das System individuell gestalten, urn das Leistungsprinzip bei der Einkommensverteilung starker zu beriicksichtigen. Neu eingefiihrt ist auBerdem die PfIicht zur Sozialversicherung. Damit soli ein betriebsextemes Netz der Sozialversicherung aufgebaut werden (vgl. Krieg/Schadler 1995; Warner 1997). Die Reformen in den Oben genannten Systemen (labour system, wage system, social system) wurden auch als "three-systems reform" bezeichnet (vgl. vor allem Warner 1997, S. 107 ff.; Hebel 1997).
Mitte 1992 kodifizierte der Staatsrat in Beijing 14 konkrete autonome Entscheidungsrechte der Staatsbetriebe per Verordnung. Es handelt sich urn folgende 14 autonome Entscheidungsrechte des Staatsbetriebes: a) Geschaftsplanung, b) Preispolitik, c) Produktabsatzes, d) Materialbeschaffung, e) Im- und Export, f) Investitionen, g) Verwendung der beibehaltenen Pramien, h) Vermogensdisposition, i) Betriebsfusion und Betriebskauf bzw. -verkauf (Merger & Acquisition M & A), j) Personaleinsatz, k) Emennung mittleres Management, I) Festlegung des intemen Gehalts- und Priimiensystems, m) betriebsinteme Organisation, n) Ablehnung nicht durch Gesetze legitimierter finanzieller Anspriiche der Kommunen / Regierung (vgl. Hebel 1997; Chen 1996; Bohnet et al. 1994).
1m Vergleich zu den Bestimmungen iiber die "Zehn Entscheidungsrechte" aus dem Jahr 1984 hat die Regierung explizit die Autonomie des Betriebes in bezug auf AuBenhandel, Gestaltung des intemen Gehalts- und Pramiensystems sowie Emennung des mittleren Managements erwahnt. Beziiglich der zwischenbetrieblicher Kooperation hat man explizit die Entscheidungsautonomie des Staatsbetriebes im Bereich der Merger & Akquisition genannt. AuBerdem darf der Betrieb iibermaBige Abgabenanforderungen der Regierung ablehnen.
In Shanghai gewahrte die Stadtregierung 20 Pilotbetrieben im staatlichen Industriesektor vollstandige Managementautonomie. Damit begann die vollstandige Trennung der Eigentums- und Managementrechte in den Shanghaier Staatsbetrieben.
2.3.3.3. Phase III (von 1993 bisjetzt): Einfiihrung des "modern enterprise systems"
Ende 1993 hat die KP China zum ersten Mal den Begriff "sozialistische Marktwirtschaft" ins Parteidokument aufgenommen und den Staatssektor aufgefordert, das "modem enterprise system" einzufiihren (vgl. Weltbank 1997). Die Shanghaier Stadtregierung beschloss daraufhin, durch schrittweise Umwandlung aller Shanghaier Staatsbetriebe in Kapitalgesellschaften die Basis fiir das "modem enterprise system" zu schaffen.
Durch die Vergesellschaftung (corporatization) wird die von der Regierung angestrebte Trennung von Eigentums- und Managementrechten in den Staatsbetrieben formal-juristisch vollzogen. Die Eigentiimerstruktur vieler Staatsbetriebe wurde im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Umwandlung diversifiziert. Einige Staatsbetriebe sind durch Borsengang teilweise privatisiert worden. Betriebsintem wurde durch die Errichtung der Gesellschaftsorgane (shareholders' meeting, board of directors, board of supervisors, management board) die
102
Entscheidungsstruktur auch standardisiert, die sich (mindestens formal-juristisch) der
westlichen Praxis stark angenahrt hat51 .
1m Jahr 1994 wurde Shanghai von der Zentralregierung als eine der ersten (achtzehn) Pilotstadte fUr das "Comprehensive Capital Optimization Experiment" ausgewlihlt (vgJ.
WeItbank 1997, S. 4f). Bei diesem Experiment wurde versucht, die Staatsbetriebe mit einem
hohen Verschuldungsgrad finanziell zu sanieren und nicht sanierbare Staatsbetriebe durch Konkursverfahren aus dem Markt zu ziehen. Die Shanghaier Regierung hat daraufhin einen MaBnahmenkatalog mit sechs Punkten entwickeIt52. Dabei folgte die Stadtregierung der Anforderung der Zentralregierung, den Fokus der Sanierung auf die GroBbetriebe im staatlichen Industriesektor zu konzentrieren ("zhua da" bzw. "concentrate on the large ones")
und den kIeinen und mittelgroBen Staatsbetrieben "freien Lauf' zu geben ("fang xiao" bzw. "let the small ones go") (vgJ. Weltbank 1997, S. 4 ff.).
Zur UnterstUtzung der groBen Staatsbetriebe ergriff die Stadtregierung diverse MaBnahmen, wie z. B. Finanzmittel flir technische Emeuerung, Zins- und Tilgungsverzicht der Staatsbanken sowie (teilweise) Finanzierung des LebensunterhaIts der im Rahmen der
Restrukturierung arbeitslos gewordenen Mitarbeiter der Staatsbetriebe usw .. AuBerdem wurde das sogenannte "main bank"- System (Hausbanksystem) in ausgewahIten GroBbetrieben
eingeflihrt53, urn die Zusammenarbeit zwischen den staatlichen GroBbetrieben und den seit der
Systernreform zunehmend kommerziell orientierten staatlichen Geschaftsbanken54 zu intensivieren. Die kleinen und mittelgroBen Staatsbetriebe werden - je nach Umstiinden - restruk-
51
52
53
54
In diesem Zusammenhang ist auf die Unterschiede zwischen dem chinesischen System und dem angloamerikanischen sowie dem deutschen System hinzuweisen: Das US-amerikanische System sieht vor. dass der "Board of Directors" (BOD) sowohl die Funktion der Geschaftsfiihrung als auch die der Geschliftsiiberwachung wahrnehmen soli ("One-tiered Board System"). Das deutsche System sieht grundsatzlich die Trennung der Oberwachung und Geschiiftsfiihrung vor ("Twotiered Borad System"). Wiihrend der Aufsichtsrat hauptsiichlich die Oberwachungsfunktion ausilben soli. fiihrt der Vorstand unter eigener Verantwortung das Oeschiift. Bei wichtigen Geschiiftsentscheidungen muss der Vorstand jedoch die Oenehmigung des Aufsichtsrats holen. Das chinesische System sieht auch die Trennung zwischen Oberwachung und Geschiiftsfiihrung vor. Der Unterschied zum deutschen System besteht jedoch darin. dass das "Board of Supervisors" (BOS) zwar zeitgleich mit dem "Board of Directors" von den Shareholders gewiihlt wird. deren Funktion aber nicht iiber die Oberwachung hinausgeht. Das heiBt: das BOS kann direkt keine Genehmigung oder Ablehnung relevanter Geschiiftsentscheidungen des BOD aussprechen. Diese Rechte sind ausschlieBlich den EigentUmern (shareholders) vorbehalten. Das chinesische "management team" hat die Anweisung des BOD auszufiihren und besitzt deshalb nicht dieselbe Entscheidungsmacht wie der deutsche "Vorstand". Zum US-amerikanischen und deutschen Modell vgl. vor allem LOhnert 1995. S. 52-58 und die dort angegebene Literatur. Zum chinesischen Konzept vgl. NABSOP 1995. S. 126-127. Diese sechs Punkte sind: a) Alternative Beteiligungsmodelle ink!. Mitarbeiterbeteiligung etc. wurden erlaubt; b) Verpachtung und Leasing von Boden und Gebiiuden. Handel von Sachanlagevermogen. immateriellen Vermogensgegenstiinden und Firmenbeteiligungen wurden unterstiitzt. c) Umwandlung der Schulden ins Eigenkapital (debt-equity swap) wurde angeboten. d) Merger & Akquisition (M&A) zwischen den Staatsbetrieben sowie Konkursmeldung nicht iiberlebensf<ihiger Staatsbetriebe wurden befiirwortet. e) Ergebnisverbesserung im laufenden Geschiift wurde angefordert. t) Budgetmittel in Hohe von 1 Mrd. Yuan zur Erhtihung des Eigenkapitals der Staatsbetriebe wurden zur Verfiigung gestellt. Insgesamt wurden in China 300 .. Schliisselbetriebe" bzw. staatliche Firmengruppen fiir das Experiment ausgewiihlt. Sie schlieBen Kooperationsvertriige mit ihrer jeweiligen "main bank" bzw. Hausbank abo Die Hausbank eines staatlichen GroBbetriebes soli die langfristige Entwicklung des Staatsbetriebes unterstiitzen. Sie soli die begriindeten Investitionen dieses Betriebes gemiiB kommerziellen Kriterien finanzieren. Die staatlichen GroBbetriebe sollen ihrerseits bei strategischen Entscheidungen die Beratung der Hausbank einholen (vgl. o.V. 1996; vgl. auch Weltbank 1997. S. 58). Vgl. Erliiuterungen auf der Seite 205f. dieser Arbeit.
103
turiert, zum Konkurs angemeldet, miteinander oder mit groBen Betrieben fusioniert, verpachtet oder privatisiert (Weltbank 1997, S. 5).
Urn das zunehmende Problem der offenen Arbeitslosigkeit zu beklimpfen, hat die Stadtregierung seit 1994 mit dem Aufbau der sogenannten "Re-employment Service Centers" (RESCs) begonnen. RESCs wurden auf unterschiedlichen Ebenen im staatlichen Industriesektor errichtet, urn das von den Betrieben zurUckgezogene redundante Personal provisorisch aufzufangen und bei der Suche nach neuen Beschaftigungen zu untersttitzen. Ein Arbeitslose aus dem Staatsbetrieb bekommt yom RESC einen sogenannten "Lebens-haltungszuschuss", dessen Hohe in der Regel von der finanziellen Lage seines urspriinglichen Arbeitgebers abhangt und das Niveau des jiihrlich von der Stadtregierung festgelegten Mindestlohns der Industrie nicht unterschreitet. Mitarbeiter der RESCs kommen von den jeweiligen Staatsbetrieben und werden auch von denen finanziert. FUr die Tiitigkeiten von RESCs (Zuschusszahlung, Arbeitsvermittlung und Personalschulungffraining) wird in jedem RESC ein Spezialfonds errichtet, der gemeinsam von der Regierung und den jeweils betroffenen Staatsbetrieben finanziert wird (vgl. Autorenkollektiv (Hrsg.) 1998, S. 190 ff.).
2.4. Fazit
Seit Beginn der Systemreform Ende der siebziger Jahre hat sich die Systemtransformation in Shanghai sehr dynamisch entwickelt. Zum einen hat die Politik der schrittweisen "Reform und Offnung nach au8en" die geschaftlichen Rahmenbedingungen der Staatsbetriebe sukzessiv in Richtung der Marktwirtschaft verandert. Der Marktwettbewerb nahm allmiihlich zu. Zum einen hat die Regierung den Verwaltungsapparat im staatlichen Industriesektor restrukturiert und dabei versucht, die Funktion des Staates als "shareholder", "industrial policy maker" und "service provider" zu trennen. Staatliche Industriebetriebe stehen ab Mitte der neunziger Jahre unter der FUhrung der staatlichen Holdinggesellschaften, deren Aufgabe hauptsachlich in der Sicherung und Steigerung des Wertes des Staatsvermogens liegen soil.
Auf der betrieblichen Ebene wurde eine Reihe von Ma8nahmen der Systemreform implementiert. Das Management der Staatsbetriebe hat seit 1979 mehr und mehr Entscheidungsautonomie erhalten. Das "director responsibility system" wurde etabliert, wodurch sich der Betriebsdirektor (wieder) als zentrale Entscheidungsautoritat im Betrieb etablieren kann. Die Trennung von Eigentums- und Managementrechten im staatlichen Industriesektor in Shanghai wurde durch die Vergesellschaftung der Staatsbetriebe (corporatization) im Zeitraum 1995-97 formal-juristisch vollzogen (Interviews Miirz 1999). Mit der von der Regierung angeordneten "three-systems reform" wurde die Restrukturierung im Personal- und Sozialwesen der Staatsbetriebe eingeleitet. Mit diversen anderen MaBnahmen hat die Regierung versucht, die Sanierung der Staatsbetriebe (vor allem der staatlichen Gro8betriebe) zu unterstUtzen.
In diesem historischen Kontext der Systemreform verliefen die Wandlungspfade der beiden Fallbetriebe. 1m folgenden wird nun versucht, diese Wandlungspfade zu beschreiben und zu analysieren.
104
3. Betriebliche Transformation von Shanghai Tianyuan Chemical Works (1979-1994)
3.1. Einfiihrung
3.1.1. Grobskizze der historischen Entwicklung der Firma!!
Shanghai Tianyuan Chemical Works, im folgenden als "Tianyuan" bezeichnet, wurde im Jahr 1929 von dem renommierten chinesischen Chemiker und Industriellen, Yunchu Wu, gegriindet. Die Firma ist der alteste Hersteller von Chlor-Alkali-Produkten in China (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 1). Wlihrend des Zweiten Weltkrieges musste die Firma wegen der japanischen Aggression den Standort Shanghai verlassen und ins Landesinnere umsiedeln. 1m Jahr 1943 kaufte die damalige Nationalregierung 47 % der Anteile der Firma. Der Industrielle Wu behielt 53 % Anteile. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte die Firma zum alten Standort in Shanghai zuriick.
1m Jahr 1949 tibemahm die neu gegriindete Volksregierung die Anteile der alten Nationalregierung. 1954 wurde die Firma offiziell als "Public-Private Joint Management Tianyuan Chemical Works Co. Ltd." bezeichnet, was den Beginn der sukzessiven Ubemahme der Anteile von Wu durch die Regierung bedeutete56. Die Fabrik wurde bis zum Jahr 1957 direkt der Zentralregierung zugeordnet und gehorte zu den ersten Industriebetrieben in China, die das sowjetische Managementmodell einfiihrten (Autorenkollektiv 1991, S. 259). 1m Jahr 1958 delegierte die Zentralregierung ihre Aufsichts- und Managementrechte tiber Tianyuan auf die Shanghaier Stadtregierung. Seitdem ist Tianyuan administrativ der Shanghaier Regierung bzw. ihrem Branchenbtiro ftir chemische Industrien zugeordnet. Zu Beginn der Kulturrevolution (1966-76) wurde die Fabrik in "Shanghai Liaoyuan Chemical Works" umbenannt57 • Seit 1979 begann die Systemreform in Tianyuan. 1m Jahr 1982 trug der Betrieb wieder den Namen "Shanghai Tianyuan Chemical Works".
Tianyuan hatte im Jahr 1993 sechs Produktsegmente mit 18 Produktvarianten. Die Produktionskapazitat von Tianyuan betrug im Jahr 1993 ca. 120.000 Tonnen p.a. Caustic Soda (kalziniertes Soda), 90.000 Tonnen p.a. Salzsaure, 50.000 Tonnen p.a. PVC Resin58, 30.000 Tonnen p.a. Liquide Chlorine und 8.000 Tonnen p.a. Calcium Hypochlorite (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 5). Die Anzahl der Beschliftigten betrug 3.413 im lahresdurchschnitt. Die Gesamtflliche des Betriebsgelandes betrug 250.000 qm, wovon 116.000 qm bebaute Flachen waren. Der Umsatzerlos lag bei 449 Mio. RMB Yuan, der im Jahr 1994 auf 466 Mio. RMB Yuan
55 Die folgenden Erlauterungen basieren auf der Firrnenbiographie (Tianyuan (Hrsg.) 1994). 56 In den fiinfziger Jahre wurden die meisten Privatunternehmen schrittweise nationalisiert. Typisches
Vorgehen der Regierung ist der sukzessive Kauf der Privatanteile. In der Anfangszeit hat man den Privateigentiimern einen bestimmten Prozentsatz (z. B. 25 %) des jahrlichen Gewinns iiberwiesen. Dann erfolgte die Ratenzahlung durch die (vom Staat festgelegte) jahrliche Verzinsung (z. B. von 5 % p.a.) der Privatanteile (vgl. Ma (Hrsg.) 1982, S. 52). 1m Fall von Tianyuan hat die Regierung seit 1954 dem alten Betriebseigentiimer jedes Jahr eine fiinfprozentige Verzinsung seiner Anteile iiberwiesen (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 516).
57 Das Wort "Liaoyuan" stammt aus einem Zitat von Mao Zhedong zur Massenmobilisierung: "Xingxing zhi huo, keyi liaoyuan" ("Aus den vielen kleinen Feuerplatzchen kann ein Flachenbrand entstehen") (Anmerkung des Verfassers).
58 Polyvinyl Chloride Resin
105
anstieg. Somit gehorte Tianyuan zu den lO groBten Herstellem der Branche in China (siehe folgende Tabelle).
Tabelle 14: Die lO groBten Hersteller von Chlor-Alkali-Produkten in China, 1994
in RMB Yuan Mio. Urnsatz l Bilanzsumm e
Shanl(hai Chlor-Alkali Chemical Co. Ltd. 2 1.779 4460
Tianjing Bohai Chemical Group - Tianjing Chemical Works 919 1475
Tianjinl( Bohai Chemical Group - Dagu Chemical Works 697 1238
Beijinl( Chemical Group - Chemical Works No.3 607 710
Shan2hai Tianyuan Chemical Works 506 352 Y onl(xinl( - Shenyanl( Chemical Co. Ltd. 495 863
Jiangshu Chemical Fertilizer Group Corp. 475 420
Fuzhou Chemical Works No.2 367 457
Wuhan Gehua Industrial Group - Gedian Chemical Works 300 580
Yibing Tianyuan Co. Ltd. 267 458
Anmerkung: I) Umsatzzabl beziebt sicb auf den Gesamtumsatz der Firma; 2) Diese Firma bat im Jabr 1996 mit
Tianyuan fusioniert.
Quelle: Cben Xing Securities 1995, S. 1-32
1m Jahr 1995 wurde das fUr Tianyuan zustiindige "Branchenbiiro fiir chemische Industrie" der Shanghaier Regierung zu einer staatlichen Holdinggesellschaft umgewandelt (Shanghai Chemical 1996). 1m Rahmen dieser Umwandlung legte das Branchenbiiro seine Beteiligung an der borsennotierten Firma "Shanghai Chlor Alkali Chemical Co. Ltd." mit dem Vermogen von Tianyuan zusammen. Dadurch entstand die Chemiegruppe "Shanghai Tianyuan Group", die zu den derzeit fiihrenden Firmengruppen der chinesischen Chlor-Alkali-Industrie gehort. Die Holdingfirma der Chemiegruppe heiBt "Shanghai Tianyuan (Group) Co.". Der Fallbetrieb Tianyuan ist seitdem ein unselbstiindiger Bestandteil der Chemiegruppe geworden (Interviews Februar 1999).
Diese Fallstudie bezieht sich auf den Betrieb Tianyuan vor seiner Fusion im Jahr 1995196. Eine kurze Chronik der Betriebsentwicklung im Zeitraum 1949-1993 wird im Anhang 7 gegeben.
3.1.2. Meilensteine der Systemreform bei Tianyuan im Betrachtungszeitraum
Fiir Tianyuan begann die Systernreform im Jahr 1979. Der Betrieb wurde von dem iiber
geordneten Branchenbiiro als einer der Pilotbetriebe flir das Experiment der Dezentralisierung ausgewiihlt. Der Inhalt dieses Dezentralisierungsexperimentes wird bereits an anderer Stelle dieser Arbeit erliiutert (vgl. Seite 100 dieser Arbeit). Mit dem Recht, einen bestimrnten Anteil des erzielten Gewinns im Betrieb zu thesaurieren, wurde die Peri ode der totalen Ausschiittung bei Tianyuan, die Anfang der sechziger Jahre begann, beendet (siehe folgende Abbildung 18). Die beibehaltenen Gewinne wurden nach den vom Staat festgelegten Schliisseln fUr die drei Zwecke "Geschiiftsentwicklung" (betriebliche Investitionen), "innerbetriebliche Wohlfahrts-
lO6
leistung" und "Pramienzahlungen" verwendet (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 203; vgl. hierzu auch Hebel 1997, S. 159 ff.).
Abbildung 18: Ausschiittungsquote von Tianyuan, 1952-1990
120% - .... -...... ---".---.. ~ ------ !
100%
80%
60%
40%
20%
0% 1952 1957 1962 1967 1972 1977 1982 1987
QueUe: eigene DarsteUung mit Daten von Tianyuan (Hrsg.) 1994
1m Jahr 1984 wahlte das Branchenbiiro den Betrieb fiir ein weiteres Reformexperiment aus und fiihrte das sogenannte "Drei-MaBnahmen-Reformpaket" ein (vgl. hier Seite l00f dieser Arbeit). Diese MaBnahmen der Dezentralisierung vergroBerten den Entscheidungsspielraum des Betriebes weiter.
1m Rahmen der flachendeckenden Implementierung des "Contract Responsibility Systems" in Shanghai (vgl. Seite IOlf. dieser Arbeit) schloss Tianyuan in 1984 einen "Management Responsibility Contract" mit dem zustandigen Branchenbiiro abo Der Vertrag hatte eine Laufzeit von 5 Jahren. Nach diesem Vertrag verpflichtete sich Tianyuan, jedes Jahr Gewinn und Steuer in Hohe von 48 Mio. RMB Yuan an den Fiskus zu zahlen59• Neben dem Gewinn vereinbarte man auch konkrete Ziele in anderen Bereichen wie Z. B. "technischer Fortschritt", "Exportumsatz", "Ankopplung der Gehaltssumme mit der Gewinnentwicklung" usw ..
1m Jahr 1991 lieB das BranchenbUro das "labour contract system" auch in Tianyuan einfUhren, womit die im engen Zusammenhang stehenden "three-systems reforms" gestartet wurden (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 16) (vgl. hierzu Seite 101f. dieser Arbeit). Da die Regierung nur allgemeine Orundlinien fUr die Reformen festlegte, konnten die am Reformexperiment beteiligten Staatsbetriebe betriebsspezifische Regelungen treffen. Dies betraf vor
59 Anmerkung: 1m J ahr 1989 hatte das Branchenbiiro durch Vertragsiinderung die von Tianyuan abzufiihrende Summe auf23 Mio. RMB Yuan pro Jahr gesenkt (Tianyuan (Hrsg.) 1994. S. 205).
107
allem den Inhalt des Arbeitsvertrags und das interne Lohn- und Gehaltssystem. Tianyuan implementierte entsprechende ReformmaBnahmen sukzessiv bis ins Jahr 1994 hinein.
Die Systemreform im Zeitraum 1979-1993/94 hat dem Betriebsmanagement von Tianyuan mehr Entscheidungsfreiheit und auch Ergebnisverantwortung gegeben. Die "three-systems reforms" seit 1991 haben dem Betrieb auch einen direkten AnstoB zur Restrukturierung des Personal- und Sozialbereichs gegeben. Inwieweit dies auch den qualitativen Wandel des Betriebes yom "planwirtschaftlich orientierten Produzenten" zum "marktwirtschaftlich orientierten Wertmanager" herbeigefiihrt hat, soli im Abschnitt IV. 3.2. naber erlliutert werden. 1m folgenden wird zuerst die Entwicklung der finanziellen Performance von Tianyuan im Zeitraum 1979-1993/94 dargestellt.
3.1.3. Entwicklung der tinanziellen Performance von Tianyuan im Betrachtungszeitraum
Die Produktionsmenge von Tianyuan ist seit Beginn der Systemreform (1979) nur moderat gewachsen. Die durchschnittliche Wachstumsrate des Produktionsvolumens lag bei ca. 3 % p.a. im Zeitraum 1979-1990. Der Bruttoproduktionswert (BPW) istjedoch seit Mitte der achtziger Jahre schnell angestiegen. Die Wachstumsrate betrug hier 8 % p. a. (siehe folgende Abbildung 19 auf der Seite 110). Diese Entwicklung ist zum einen darauf zUriickzufiihren, dass die Produktpreise von Tianyuan im Rahmen der Preisreform seit Mitte der achtziger Jahre mit Genehmigung der Regierung erhoht werden konnten. Zum anderen hat der technische Fortschritt die Produktion von hochwertigeren Produktvarianten ermoglicht. Dieser basierte auf drei GroBinvestitionen in den Produktsegmenten "Caustic Soda", "PVC" und "Calcium Hypochlorite" Mitte der achtziger Jahre, bei denen modernere Produktions-technologien aus dem Ausland (Japan und Kanada) importiert wurden. Mit den oben genannten drei GroB
investitionen wurde den Prozess der sukzessiven Veralterung des Anlagevermogens gestoppt, der seit der letzten GroBinvestitionswelle Ende der fiinfziger Jahre eintrat (siehe Abbildung 20 auf der Seite Ill).
Die Ergebnislage von Tianyuan hat sich seit Beginn der Systemreform Ende der siebziger Jahre kontinuierlich verschlechtert. Wlihrend im Jahr 1979 der ausgewiesene Gewinn ein Drittel des Bruttoproduktionswertes betrug, sank die Quote im Jahr 1993 auf nur knapp 2 % (siehe Abbildung 21 auf der Seite 112). Dies hat nur zum Teil mit den drei GroBinvestitionen in den achtziger Jahre zu tun, die mehr Abschreibungen und Bankzinsen verursacht haben. Denn schaltet man den Einfluss der zunehmenden Abschreibungen aus und ermittelt man nur den Brutto-Cashflow von Tianyuan, so ist auch hier eine deutliche Verschlechterung der Cashflow-Position seit 1979 zu beobachten (siehe Abbildung 22 auf der Seite 113). Dies deutet darauf hin, dass die ausgabenwirksamen Betriebskosten von Tianyuan schneller als der Umsatz bzw. der Bruttoproduktionswert angestiegen sind.
Die Verschlechterung der Ergebnislage und Cashflow-Position ist in erster Linie auf den rasanten Anstieg der Energie- bzw. Rohstoffkosten von Tianyuan seit Beginn der achtziger Jahre zuriickzufiihren. Die wlihrend der Planwirtschaft verzerrten Energie- Rohstoff- und Dienstleistungspreise wurden nach Beginn der Systemreform sukzessiv nach oben korrigiert. Fiir Tianyuan war (und ist) vor allem der immer hoher gewordene Strompreis ein groBes Problem. Denn die Produktion von Tianyuan ist sehr energieintensiv. Und der Betrieb ist bereits seit den sechziger Jahren zu den groBten "Stromfressern" in Shanghai gezlihlt worden
108
(Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 193). Die Preisinflation auf der Beschaffungsseite machte den
Spareffekt durch weniger Verbrauch wieder zunichte (vg\. niihere Erliiuterung im Abschnitt m.3.2.).
Auch die Personalkosten haben zugenommen. Diesbeziiglich ist darauf hinzuweisen, dass die Personalanzahl im Zeitraum 1980-90 relativ stabil blieb und ab Mitte der achtziger Jahre gar leicht zuruckging (siehe Abbildung 23 auf der Seite 114). Erhoht haben sich aber die
LOhne bzw. Gehiilter (ink\, Priimienzahlungen) pro Kopf sowie die betriebsinternen Wohlfahrtsleistungen, deren Anstieg den Zuwachs der Arbeitsproduktivitiit iiberstieg. Als Resultat
dieser Entwicklung ist der Anteil der Personalkosten am Bruttoproduktionswert sukzessiv gestiegen (siehe Abbildung 24 auf der Seite 115). Niiheres hierzu wird im Abschnitt m. 3.2. erliiutert.
Als Fazit kann man festhalten, dass die Entwicklung der finanziellen Lage von Tianyuan seit Beginn der Systemreform (1979) in eine neue Phase eingetreten ist. 1m Vergleich zu der Periode 1958-78, in der die planwirtschaftliche Ordnung vorherrschte60, ist diese Phase gekennzeichnet durch ein moderates Mengenwachstum der Produktion, durch die Inflation der Faktorpreise, die den Preisanstieg auf dem Absatzmarkt iibertraf, und durch die fast
kontinuierliche Verschlechterung der Ergebnislage und Cashflow-Position des Betriebes. Nach Auffassung des Verfassers war bei Tianyuan in der betrachteten Peri ode offenbar ein
"Bereinigungsprozess" bzw. "Schrumpfungsprozess" im Gange (vg\. Seite 60 dieser Arbeit). In diesem Prozess wurde die relativ hohe "Scheinrentabilitiit" von Tianyuan aus der Zeit der Planwirtschaft, die auf den verzerrten Produkt- und Faktorpreisen basierte, im Verlauf der
Systemreform sukzessiv abgebaut. Zum anderen kann man fragen, ob sich das Grundmuster der Betriebsfiihrung bei Tianyuan seit Beginn der Systemreform rechtzeitig an die veriinderte Umwelt angepasst hat oder nicht. Dies wird im Abschnitt m. 3.2. dieser Arbeit niiher er
liiutert.
60 Die Periode vor 1957 war die Autbauphase der planwirtschaftlichen Ordnung in China. Vgl. hierzu Abbildung 13 auf der Seite 94 dieser Arbeit.
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3.2. Wandel der Betriebsfiihrung von Tianyuan im Betrachtungszeitraum
1m folgenden wird zuerst der Wandel der angegebenen langfristigen Betriebsziele von Tianyuan im Zeitverlauf beschrieben und bewertet. Dann werden die Veranderungen in den Betriebsaktivitaten von Tianyuan eriautert. Schlie8lich geht der Verfasser auf den Wandel der Betriebsorganisation von Tianyuan ein.
3.2.1. Wandel der angegebenen langfristigen Betriebsziele
Die langfristigen Betriebsziele eines chinesischen Staatsbetriebes werden in der Regel in dem sogenannten FUnfjahresplan angegeben. Der FUnfjahresplan stellt die langfristige Rahmenplanung des Betriebes dar und basiert in der Regel auf den Leitlinien des FUnfjahresplans der Regierung bzw. des zustandigen Ministeriums oder BranchenbUros (Huang et al. 1997; Ma 1982). Die Planperiode des von Tianyuan erstellten FUnfjahresplans stimmte auch exakt mit der Planperiode des FUnfjahresplans der Regierung Uberein (siehe Tabelle im Anhang 8).
Der Wandel der betriebswirtschaftlichen Zielsetzung von Tianyuan im Zeitveriauf kommt in den entsprechenden FUnfjahresplanen zum Ausdruck: 1m ersten FUnfjahresplan (1952-57) war das Ziel des Betriebes - entsprechend dem Aufruf der Regierung zum "Aufbau des Sozialismus" - hauptsachlich die Erweiterung der Produktionskapazitat (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 153-154). 1m zweiten FUnfjahresplan (1958-62) hatte man neben der Kapazitatserweiterung auch die Erhohung der Produktvielfalt im Visier. Die EinfUhrung neuer Produkte war primar produktionstechnisch bedingt: Die gestiegene Produktion von Caustic Soda seit 1958 erzeugte eine gro8e Menge von Chlorgas, die flir die Erzeugung einer Reihe von Chloriden herangezogen werden konnte (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 154.).
1m dritten Fiinfjahresplan (1966-70) nannte man neben weiterer Kapazitatserweiterung die Verbesserung der Produktionstechnologie als Ziel, urn eine nachhaltige Senkung des Energieund Materialverbrauchs zu erreichen (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 14). Wahrend der Kulturrevolution (Periode des vierten und fUnften Fiinfjahresplans) strebte man weitere Produktionssteigerung und Modernisierung der Produktionstechnologie an. Seit 1971 nannte Tianyuan auch zum ersten Mal "Umweltschutz" als Betriebsziel, als die Regierung alle Staatsbetriebe in China zum Umweltschutz aufrief (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 246f)61.
Zu Beginn der Systernreform erstellte Tianyuan den sechsten FUnfjahresplan (1981-85).
Entsprechend der damaligen Wirtschaftspolitik der Regierung nannte der Betrieb "qualitatives Wachstum" als Ziel der Betriebsentwicklung (vgl. Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 154; Shanghai Chemical 1996, S. 91). Restrukturierung des Produktprogramms, Effizienz-steigerung durch Verbrauchssenkung sowie technische Modernisierung wurden als wichtige Aufgaben definiert
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116
1m Jahr 1971 rief die Regierung aile Industriebetriebe zum Umweltschutz auf (Tianyuan (Hrsg.) 1994. S. 250f; Shanghai Chemical 1996, S. 84). Tianyuan kam dem Aufruf der Regierung schnell nach und meldete innerhalb von vier Monaten den AbschluB von 34 diversen (kleinen) Umweltschutzprojekten in der Produktion an. Der Betrieb wurde deshalb von der Regierung als Modellbetrieb ausgezeichnet (Shanghai Chemical 1996. S. 84). Das Problem der Umweltverschmutzung konnte (und kann) aber nicht endgiiltig gelost worden. Dass die Regierung ab 1994 plante. den in der direkten Nahe zum Wohngebiet Iiegenden Betriebsstandort von Tianyuan in den Vorort von Shanghai zu verlagern. hangt auch direkt mit dem ungelosten Umweltproblem zusammen (Interviews).
(Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 154). AuBerdem nannte der Betrieb "Umweltschutz und Arbeitssicherheit" als Zie162.
Gewinnorientierung ist seit Anfang der achtziger Jahre das von der Regierung erkliirte Ziel der Staatsbetriebe in China geworden (Hebel 1997, S. 238). Auch Tianyuan erkliirte in ihrem siebten Flinfjahresplan (1986-1990) explizit die Ergebnisverbesserung als eine der Leitlinien der Betriebsentwicklung. Konkretes Wachstumsziel fUr Gewinne vor Abgaben wurde angegeben (siehe Tabelle im Anhang 8). 1m achten Flinfjahresplan (1991-1995) lautete die Leitlinie der Betriebsentwicklung "Verbesserung der finanziellen Performance durch Wachstum,
Wachstum auf Basis der Konsolidierung". Es deutete auf das Bestreben des Betriebes hin, ein ergebnisorientiertes, qualitatives Wachstum zu erreichen, was ausdrucklich von der Regierung
verlangt wurde. An dem grundlegenden Ziel eines sozialistischen Betriebes, die Belegschaft mit Sozial
bzw. Wohlfahrtsleistungen zu versorgen, anderte sich im Zeitverlauf nichts. In diesem Be
reich lautete das Motto von Tianyuan: "Macht die Produktion einen groBen Schritt vorwiirts, folgt die Wohlfahrtsleistung mit einem kleinen Fortschritt" (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 393)63.
Als Fazit kann man drei Punkte in bezug auf den Wandel der langfristigen Betriebsziele von Tianyuan festhalten:
1) Grundlegende betriebswirtschaftliche Zielsetzungen basierten auch nach Beginn der Systernreform weniger auf detaillierten Markt- und Betriebsanalysen, sondem viel mehr auf der Politik bzw. den Grundlinien der Regierung. Die These in der Literatur, dass es in den chinesischen Staatsbetrieben in der Regel eine enge "Korrelation" zwischen der Regierungspolitik und der Betriebsstrategie gibt, kann im Fall von Tianyuan in der betrachteten Zeitperiode bestatigt werden (vgl. hierzu auch Huang et al. 1997, S. 75 ff.).
2) Auf Basis der allgemeinen Politik der Regierung, beabsichtigte Tianyuan im betrachteten Zeitraum, die finanzielle Performance mit einem qualitativen, ergebnisorientierten Wachstum zu verbessem. Dass sich die finanzielle Performance der Firma in der betrachteten Zeitperiode nicht verbessert sondem verschlechterte, wurde bereits erlautert (vgl. Seite 108 ff.). Ob die Firma bei der konkreten Gestaltung der Betriebsaktivitaten auch das Ziel des qualitativen Wachstums verfolgte, wird in den folgenden Abschnitten naher be
trachtet. 3) Das grundlegende Ziel des Betriebes, der Belegschaft Sozial- bzw. Wohlfahrtsleistungen
zu gewahrleisten, wurde in der betrachteten Zeitperiode kaum geandert. Was Tianyuan in diesem Bereich in der betrachteten Zeitperiode untemahm, wird im folgenden an ent
sprechender Stelle erlautert.
62 BezUglich des Ziels der Arbeitssicherheit ist anzumerken, dass die Anzahl der Unfalle vor allem in den Jahren der Kulturevolution enorm hoch war. So passierten im Zeitraum 1966-76 durchschnittlich 90-100 Arbeitsunfalle pro Jahr, und die Anzahl der Unfallopfer (Verletzte und Tote) betrug ca. 3 % der gesamten Belegschaft. Nach der Kulturrevolution wurde das Ziel der Arbeitssicherheit in den Vordergrund gestellt. Seit der Systemreform ist die Anzahl der Arbeitsunfalle kontinuierlich auf weniger als 5 Unfalle pro Jahr (1990) gesunken. Die Anzahl der Unfallopfer ist auf weniger als 0,2 % der Belegschaft im Jahr 1990 gesunken (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 281 ff.).
63 In der betrachteten Zeitperiode stiegen die Ausgaben fUr Sozial- und Wohlfahrtsleistungen schneller als der Bruttoproduktionswert an. Vgl. hierzu Seite 126 dieser Arbeit.
117
3.2.2. Wandel der Betriebsaktivitaten
3.2.2.1. Gestaltung des Geschiiftsportfolios
Sieht man von den betriebsintemen Sozial- und Wohlfahrtsleistungen ab, kann man das Geschaftsportfolio von Tianyuan vor der Systemreform relativ einfach beschreiben: Der Betrieb war mit der Produktion von chemischen Grundstoffen (Chlor-Alkali) beschiiftigt. Weder in der vorgelagerten noch in der nachgelagerten Wertschopfungsstufe war der Betrieb tatig. Diese Situation hat sich seit Mitte der achtziger Jahre geandert, als Tianyuan eine Reihe von 1) vertikalen, 2) horizontalen und 3) lateralen Diversifikationen64 durchflihrte:
Zu 1): Vertikale Diversifikationen
Aufgrund der Versorgungsunsicherheit auf der Input-Seite hat Tianyuan in den achtziger Jahren (1984 und 1988) bei einigen Rohstoffen versucht, eigene Versorgungsbasen aufzubauen (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 193f). Die Diversifikation in die vorgelagerte Wertschopfungsstufe entspricht nach Ansicht des Verfassers dem Muster der "defensive vertical integration" (Pendergast 1995, S. 217), was auch bei einem idealtypischen Betrieb der Planwirtschaft beobachtet werden kann (vgl. Seite 33 ff. dieser Arbeit).
Seit 1984 versuchte sich Tianyuan auch in die nachgelagerte Industriebranche zu diversifizieren. Man hat eine betriebsinteme Wertstatt flir Kunststoffverarbeitung errichtet, urn PVCAnwendungen flir diverse Abnehmerindustrien herzustellen. 1m Jahr 1989 beteiligte sich Tianyuan an einem inlandischen Joint venture in Siidchina zur Kunststoffverarbeitung. Aus diesem Engagement zog sich der Betrieb aufgrund mangelnden Erfolgs im Jahr 1991 wieder zuriick. Ein neuer Versuch startete im Jahr 1993, als Tianyuan emeut ein inlandisches Joint venture zur Kunststoffverarbeitung in der Niihe von Shanghai griindete.
Zur Verstiirkung der eigenen Marketing- und Vertriebsfunktion hat Tianyuan im Jahr 1989 und 1992 zwei eigene GroBhandelsgesellschaften gegriindet (siehe folgende Tabelle auf der Seite 120). Mit dieser Vorwiirtsdiversifikation hat Tianyuan versucht, den eigenen Vertrieb zu verstiirken und dariiber hinaus Geschaftschancen in den benachbarten Produkt- und Dienstleistungssektoren zu nutzen (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 412f).
Zu 2): Horizontale Diversifikation
Durch die Obemahme eines benachbarten Betriebes hat Tianyuan im Jahr 1980 "heavy calcium carbonate" ins Produktprogramm aufgenommen. Die Obemahme erfolgte damals auf administrative Anweisung des zustandigen Branchenbiiros. Mit dieser Obemahme hat Tianyuan 600 Mitarbeiter mehr und eine FlachenvergroBerung urn 26.000 qm erzielt. Die Produktion verlief jedoch nicht rentable. AuBerdem verursachte die Produktion Umweltprobleme
64 Vertikale Diversifikation heiSt die Aufnahme von Vorprodukten oder/und die Ubemahme nachgelagerter Produktions- oder Handelsstufen. Horizontale Diversifikation heiSt die Entwicklung neuer Produkte fur neue Markte. wobei die Produkte weiterhin im sachlichen Zusammenhang zu den bisher verwandten Rohstoffen. Produktionsverfahren oder Vertriebswegen stehen. Laterale Diversifikation bedeutet die Aufgabe jeglichen Bezugs zu den vertrauten Produkten und Markten. Vgl. hierzu Staehle 1994. S. 626.
118
bzw. Gesundheitsschliden bei den Mitarbeitern. Deshalb wurde die Produktion in diesem Bereich ab 1988 eingestellt.
Wlihrend die Ubernahme im Jahr 1980 noch stark planwirtschaftlichen Charakter trug, ist die horizontale Diversifikation im Jahr 1988 deutlich marktorientierter. Tianyuan hat bewusst versucht, ein Dienstleistungssegment zu betreten, in dem der Betrieb Know-how und Kompetenzen besitzt. So wurde im Jahr 1988 die Firma "Tianyuan Chi or-Alkali Technical Engineering Co. " gegIiindet, die sich auf die Ingenieurleistungen und technische Beratung fUr kleine und mittelgroBe Chlor-Alkali-Werke in anderen Provinzen spezialisiert hat. Bei der
GrUndung war die Firma zu 30 % im Besitz von Tianyuan und zu 70 % im Besitz des Personals. Das Geschlift war nach der GrUndung auBerordentlich erfolgreich, so dass Tianyuan in den folgenden zwei Jahren aile Mitarbeiteranteile zurUck erwarb (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 409 ff.).
Zu 3): Laterale Diversifikationen
Mehrere laterale Diversifikationen sind ab Mitte der achtziger Jahre vollzogen worden. Die Formen und Motive dieser lateralen Diversifikationen sindjedoch unterschiedlich:
3a) Laterale Diversifikation zur Verringerung betriebsinterner Sozialbelastung
Anders als ein westlicher Betrieb, der das redundante Personal im Betrieb kUndigen kann, musste Tianyuan nach den Leitlinien der Regierung in den achtziger Jahren das Problem des
PersonalUberhangs betriebsintern losen. Bereits im Jahr 1982 wurde eine interne Gruppe fUr diverse (betriebsinterne) Dienstleistungen gebildet, die aus dem redundanten Personal im
Betrieb besteht. 1m Jahr 1984 wurde die Dienstleistungsfirma "Tianyuan Overall Services Co." gegrUndet, die redundantes Personal von Tianyuan beschliftigte.
Diese quasi "ABM"65-Firma ist stark diversifiziert. Man bietet in erster Linie diverse Dienstleistungen fUr private Haushalte in den umliegenden Stadtbezirken an: Handwerksarbeit, Zimmerdekoration, Fotogeschlift, Obsthandel, Restaurant, Hotel und eine kleine Sparkasse. AuBerdem gibt es eine Werkstatt, die sich auf kleinere Auftrlige der Reparatur und Instandhaltung in den Chemiebetrieben spezialisiert hat.
Mit der GrUndung von "Tianyuan Overall Services Co." hat Tianyuan versucht, die sonst brach liegenden Human Ressourcen in anderen produktiven Geschliftsfelder einzusetzen. Die Geschliftsentwicklung dieser Firma war sehr erfreulich. Bereits im Jahr 1985 hat man ein positives Ergebnis erwirtschaftet. Ende 1990 lag der Umsatz dieser Firma bei 41 Millionen
Yuan mit einer Umsatzrendite von 2,5 % (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 407 ff.). Das Experiment
von Tianyuan wurde von der Shanghaier Stadtregierung als "Musterbeispiel" fUr andere
Staatsbetriebe erkllirt (vgl. Autorenkollektiv 1998, S. 179f).
Eine lihnliche Initiative ergriff Tianyuan im Jahr 1992, als der Betrieb zusamrnen mit einigen Pensionliren aus eigenem Werk eine weitere Dienstleistungsfirma "Tianying Opera
ting Services Co." grUndete. Diese Servicefirma sollte nach Vorstellung von Tianyuan den
beteiligten Pensionliren zuslitzliche Einkommensquellen anbieten und die Ausgaben des
Betriebes fUr den Rest der Pensionlire decken66.
65 ABM = ArbeitsbeschaffungsmaBnahmen 66 Bei der GewinnausschUtlung flieBt ein Teil der Gewinne an Tianyuan. der dieses Geld dann fUr die
Wohlfahrtsleistungen fUr die eigenen Pensionare ausgibt.
119
3b) Laterale Diversifikation aufgrund der betrieblichen Ausgliederung
SchlieBlich ist die Ausgliederung von zwei Betriebsteilen im Jahr 1993 zu erwahnen. Der
Fuhrpark von Tianyuan und die Werkstlitten fUr Instandhaltung wurden ausgegliedert und in
zwei Gesellschaften mit eigener Rechtspersonlichkeit umgewandelt. Somit ist Tianyuan auf
dem betriebsextemen Markt fUr Speditionsleistungen und Anlageinstandhaltung tlitig.
Tabelle 15: Neugrundungen im Dienstleistungssektor und betriebliche Ausgliederungen von
Tianyuan bis Ende 1993
Finna Datum Anzahl Anmerkung Personal
Tianyuan Overall 1984 242 Aufnahme redundanten Personals von Tianyuan;
Services Co. Diverse Dienstleistungen
Tianyuan Chlor-Alkali 1988 21 Ausnutzung eigener Leistungsstiirke /
Technical Engineering Kompetenzen; Ingenieurleistung und Technische
Co. Beratung fUr k.Ieinere und mittelgroBe Chlor-Alkali-
Betriebe in anderen Provinzen
Xiamen Tianyuan 1989 46 Vertrieb der Produkte von Tianyuan. Chemiehandel
Industrial & Trade Co. und technische Beratung in der
Wirtschaftssonderzone Xiamen / SUdchina
Tianying Operating 1992 18 Diverse Dienstleistungen (Personal besteht aus
Services Co. eigenen Pensionaren)
Pudong Tianyuan 1992 40 Vertrieb der Produkte von Tianyuan. Chemiehandel Industrial & Trade Co. und dazu gehtirige Dienstleistungen in der
Wirtschaftssonderzone Pudong / Shanghai
Tianyuan 1993 295 Transport und Logistik fUr Tianyuan und exteme Transportation Kunden Development Co.
Shanghai Tianyuan 1993 292 Installation von chemischen Anlagen. Chemical Equipment Instandhaltung und GroBreparaturen Installation Co.
Quelle: eigene Zusarnmenstellung mit Angaben in Tianyuan (Hrsg.) 1994. S. 407-420.
In der Tabelle 15 werden die Neugrundungen von Tianyuan im Dienstleistungssektor seit
1984 sowie die beiden betrieblichen Ausgliederungen im Jahr 1993 dargestellt. Ende 1993
gab es nach Angaben von Tianyuan 788 Beschiiftigte in diesen Firmen. was knapp ein Viertel
(23 %) der gesamten Belegschaft von Tianyuan umfasste (Tianyuan (Hrsg.) 1994. S. 407).
Als Fazit zum Thema "Portfoliogestaltung" kann man festhalten. dass Tianyuan seit Mitte
der achtziger Jahre erste "strategische" Ansiitze zur Bildung einer diversifizierten Firmen
gruppe gezeigt hat. Zum einen hat man versucht. eigene Stiirken durch ErschlieBung betriebs
extemer Marktchancen zu nutzen. So wurde die Beratungsgesellschaft gegrundet. urn eigenes
technisches Know-how der Chlor-Alkali-Produktion an kleinere Betriebe in anderen Pro
vinzen zu verkaufen. Zum anderen hat man versucht. eigene Schwiichen durch Diversifikation
120
zu beseitigen. So wurden Tochterfirrnen im arbeitsintensiven Dienstleistungssektor gegriindet, urn redundantes Personal gewinnbringend einzusetzen.
Andererseits muss man hier auch darauf hinweisen, dass sich Tianyuan bei den primar beschaftigungspolitisch motivierten Diversifikationen aueh im "Zugzwang" befand: Das Prob
lem des Personaliiberhangs durfte nur betriebsintern gelost werden. Eintritt in den arbeitsintensiven DienstIeistungssektor ist somit zur "begrenzten strategisehen Wahl" des Betriebes geworden (vgl. Seite 1 If. dieser Arbeit).
Aus der Sicht des redundanten Personals ist das eine gute Uisung, da man besehaftigt bleibt und weiterhin die betriebsinternen Sozial- und Wohlfahrtsleistungen des Betriebes in An
sprueh nehmen kann67. Aus Sieht der Regierung kann soziale Unruhe verrnieden und politische Stabilitat erhalten werden. Fiir den Betrieb ist das eine Gelegenheit, den sonst braeh Iiegenden Teil betriebsinterner Human Ressourcen flir finanzielle Vorteile (bzw. zur Kostendeckung) aktiv zu nutzen (Interviews Marz 1999).
3.2.2.2. Betriebsaktivitiiten im Stammgeschiift
3.2.2.2.1. Aktivitaten im Entseheidungsfeld "Operating"
1) Gestaltung des Produktprogramms I Produktpolitik
1m Zeitraum 1979-90 wurde eine Reihe von Produkten eliminiert, die lange Jahre zum Produktionsprogramm von Tianyuan gehorten. Die Gemeinsamkeiten dieser Produkte waren ein relativ kleines Volumen, veraltete Teehnologie, Probleme beim Umweltschutz und zunehmende Konkurrenz mit den kleineren Produktionsbetrieben in anderen Provinzen. Hervorzuheben gilt es, dass man im Jahr 198111982 ein weiterhin profitables Produkt aus
schlieBlich aus der Wettbewerbsiiberlegung weggestrichen hat. Bei diesem Produkt verfiigte Tianyuan nur iiber kleine Produktionskapazitlit und veraltete Verfahrensteehnologie. Die Einstellung der Erzeugung dieses Produktes basierte auf der Befiirehtung, dass man nicht mehr mit einem groBen Hersteller in Nordostehina konkurrieren konne, der neue Anlagen mit wesentlieh groBerer Produktionskapazitlit aus Frankreich importiert hatte (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 81).
Eingefiihrt wurden Neuprodukte, die in manehen Fallen direkt an die Kunden aus dem nieht-staatlichen Industriesektor geliefert wurden. Ab 1981 produzierte Tianyuan z. B. "PVC Plastic Pellet" und ein Wandstreichmaterial. Kunden dieser Produkte sind jeweils niehtstaatliehe "Township-and-Village Enterprises" (TVEs)68 in der Kunststoffverarbeitung und
Abnehmer im Spezialhandel flir Wandstreichmaterial (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 67). Die
beiden Produkte unterliegen keiner staatliehen Planung. Der Vertrieb dieser Produkte erfolgte
67 Vor der Reform des Sozialversicherungssystems ist die soziale Sicherung eines Mitarbeiters (z. B. Renten-, Kranken- und UnfaHversicherung usw.) eng mit dem Staatsbetrieb verbunden. Verliert man die Arbeit im Betrieb, steht man auch ohne soziale Sicherheit da. V gl. Krieg I Schrader 1995; Li 1996.
68 TVEs sind kleine und mittelgroBe Industriebetriebe auf dem Lande, die sich im privaten Besitz oder im koHektiven Besitz der Belegschaft befinden. Zu TVEs vgl. vor aHem Broadman, H.G. (1995).
121
direkt durch Tianyuan, und die Preise wurden direkt von der Marktlage bestimmt (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 183}69.
Tianyuan entwickelte in den achtziger Jahren eine Reihe von weiteren Neuprodukten flir diverse Abnehmerindustrien. Jedoch haben diese bis Anfang der neunziger Jahre kein nennenswertes Produktionsvolumen erreicht (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 113 ff.). In den traditionellen Produktsegmenten, wie z. B. "Caustic Soda", "Calcium Hypochlorite" und PVC ersetzte Tianyuan alte Produktvarianten durch neue, hochwertige Produktvarianten. Dies war moglich mit den drei GroBinvestitionen in der zweiten Halfte der achtziger Jahre (vgl. Seite 108f. dieser Arbeit).
Ais Fazit kann man festhalten, dass die Entscheidung fUr ein "qualitatives Wachstum", die eigentlich auf der Grundlinie der Regierung basierte (vgl. Seite 116ff dieser Arbeit), mindestens in der Produktpolitik von Tianyuan umgesetzt wurde. Umsatzwachstum wird nicht mehr allein durch Volumenzuwachs bestehender Produkte, sondern auch durch Restrukturierung des Produktprogramms erzielt. Gezielte Produkteliminierung und Neu-produkteinflihrung deuten auch auf zugenommene Markt- und Wettbewerbsorientierung des Betriebes hin.
2} Vertrieb und Preispolitik
Bereits seit 1953 hatte Tianyuan staatliche Absatzkanale genutzt: Aile Produkte wurden von dem staatlichen GroBhandel Ubernommen, der diese dann weiter an die Abnehmerindustrien lei tete. Dies hat dazu geflihrt, dass die Vertriebsfunktion von Tianyuan vor der Systernreform kaum entwickelt war. Was flir Tianyuan Ubrig blieb, war das Thema der Warendistribution (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 179). Deshalb wurde die Vertriebsfunktion lange Zeit organisatorisch mit der Beschaffungsfunktion zusarnmengelegt: Es gab keine eigenstandige Marketing-Nertriebsabteilung, sondern nur das sogenannte "supply-and-sales department" (gong xiao ke), die lediglich flir die Ein- und Ausgangslogistik zustandig war.
1m Jahr 1978 hat man die Absatz- und Beschaffungsfunktion organisatorisch getrennt. Man erhohte die Anzahl der flir die Absatzfunktion zustandigen Gruppen (Teams) von zwei auf vier. Zum anderen verfeinerte man interne Arbeitsteilung und errichtete zusatzliche Teams (Gruppen) wie z. B. "trade information" und "sales statistics" etc .. 1m Jahr 1989 und 1992 wurden zwei GroBhandelsgesellschaften gegrtindet, die unter anderem Produkte von Tianyuan vertreiben (vgl. Seite 118 dieser Arbeit).
Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Marketing-Nertriebsfunktion von Tianyuan stets auf der dritten Hierarchieebene - neben der Beschaffung und Logistik -angesiedelt und nie dem Betriebsdirektor direkt untergeordnet wurde (vgl. Seite l30ff dieser Arbeit). Dies deutet auf die weiterhin untergeordnete Stellung der Marketing-Nertriebsfunktion bei Tianyuan hin. Anzumerken gilt es auch, dass bei einigen Hauptprodukten, wie z.B. Caustic Soda bis in die neunziger Jahre hinein weiterhin das Vertriebsmonopol bei einer staatlichen GroBhandelsgesellschaft lag.
1m Bereich des AuBenhandels hat sich Tianyuan auch passiv verhalten: Der Produkt "Calcium Hypochlorite" wurde bereits im Jahr 1959 exportiert (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 198 ff.). 1m Zeitraum 1979-89 gingen jedes Jahr 50-75 % der gesamten Produktion von Tianyuan
69 Bei den Hauptprodukten wie z. B. Caustic Soda, Salzsaure und PVC etc. lief der Vertrieb lange Zeit weiterhin durch staatliche Absatzkanale. Auch die Preise dieser "Volurnentrager"' wurden erst seit Mitte der achtziger Jahre schrittweise liberalisiert (vgl. folgende AusfUhrung zurn Therna "Vertrieb und Preispolitik").
122
in diesem Produktsegment ins Ausland. Exportiert wurde sporadisch auch PVC mit einem kleineren Volumen. Tianyuan war zufrieden mit diesem Export, baute aber keinen eigenen Vertrieb im Exportmarkt auf. Das Au8enhandelsgeschiift wurde bis Ende des Betrachtungszeitraums (1994) durch die staatliche Au8enhandelsgesellschaft vermittelt und abgewickelt.
Was die Preispolitik betrifft, so unterlagen vor der Systernreform aile Produkte von Tianyuan staatlicher Preisplanung. Erst nach Beginn der Systernreform hat sich das sukzessiv veriindert. In den ersten Jahren der Systernreform schritt die Preisreform nur ganz langsarn voran. Bis Mitte der achtziger Jahre blieben die Stiickpreise fUr die Hauptprodukte von Tianyuan konstant. Erst danach konnten diese Preise allmiihlich - jedoch nur mit der Genehmigung der Behorden fUr Preiskontrolle - erhoht werden. 1m Jahr 1985 blieben die Hauptprodukte Caustic Soda, Salzsiiure und Liquide Chlorine unter strikter staatlicher Preisplanung. Fiir die Hauptprodukte PVC und Calcium Hypochlorite erlieB die Regierung Empfehlungspreise, die vor allem bei der Bearbeitung staatlicher Produktionsauftriige eingehalten werden mussten. Bei anderen Produkten konnte Tianyuan je nach Marktlage eine eigene Preispolitik bestimmen. Seit Anfang der neunziger Iahre konnte Tianyuan fUr die meisten Produkte eigene Preispolitik betreiben. Ausnahmen bildeten die von der Regierung als "strategisch wichtig" eingestuften Produkte, wie Z. B. PVC und Salzsiiure, deren Preise weiterhin yom Staat reguliert wurden (Shanghai Chemical 1996, S. 128).
Als Fazit kann man festhalten, dass Tianyuan im Bereich Vertrieb im Betrachtungszeitraum nicht tatenlos war. Iedoch herrschte in einigen Bereichen - vor allem in den groBen Produktsegmenten und im AuBenhandel - weiterhin staatliches Vertriebsmonopol, so dass der direkte Zugang des Betriebes zu den Kunden mindestens in diesem Bereich weiterhin limitiert war. Der Betrieb trat insgesarnt weniger "aggressiv" auf dem Markt auf (Interviews FebruarlMarz 1999). 1m Bereich der Preispolitik konnte der Betrieb den Preis fUr die meisten Produkte- mit dem Fortschritt der Systernreform - eigenstiindig festlegen, auch wenn in einigen Produktsegmenten weiterhin staatliches Preisdiktat herrschte.
3) Qualitiitsmanagement
1m Jahr 1979 beschloss Tianyuan, "Total Quality Management" (TQM) einzufiihren. Diese Entscheidung war eigentlich nicht markt-induziert. Der Betrieb folgte - wie aile anderen Staatsbetriebe in China - der Anweisung der Regierung, die damals im Rahmen einer TQMKampagne aile Staatsbetriebe zum verbesserten Qualitiitsmanagement aufrief (Autorenkollektiv 1998, S. 274 ff.; Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 229 ff.). Das betriebsinteme System fUr TQM wurde im Zeitraum 1979-1983 schrittweise aufgebaut. Auf der Betriebsebene wurde ein Komitee fUr TQM mit dem Betriebsdirektor an der Spitze errichtet.
Tianyuan verkniipfte seit 1986 die Priimie einzelner Abteilungen und Produktionseinheiten mit den Kriterien des Qualitiitsmanagements. Damit sollten aile Mitarbeiter fUr TQM motiviert werden (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 233 ff.). Diese Entscheidung basierte damals -nach eigenen Angaben - auch auf der entsprechenden Politik der Regierung (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 233). Diverse Regierungsinstanzen, wie Z. B. das Ministerium in Beijing, das Branchenbiiro und die Stadtregierung Shanghai veranstalten regelmiiBig Kampagnen fUr bessere Qualitiit. Der Begriff "Qualitiit" bezieht sich hier weniger darauf, dass der Betrieb mit wettbewerbsfiihigen "Problemlosungen" moglichst hohe Kundenzufriedenheit erzielt. Viel
123
mehr wird darauf geachtet, ob die technische Spezifikation der Produkte dem staatlichen Standard entspricht oder nicht.
Das von der Regierung induzierte TQM hat vor diesem Hintergrund - nach Auffassung des Verfassers - nicht zu einem marktorientierten, grundlegenden Wandel des Qualitatsverstandnisses von Tianyuan ftihren konnen, auch wenn sich der Betrieb in der betrachteten Zeitperiode tiber diverse Auszeichnungen der Regierung flir seine "Produktqualitat" freuen konnte (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 230 ff.).
4) Senkung der MateriaIkosten
1m Abschnitt IV. 3.1.3. wurde bereits erwlihnt, dass sich die Preise flir Energie und Rohstoffe nach Beginn der Systemreform schrittweise erhohten. Tianyuan verstiirkte als Reaktion ihre Anstrengung zur Senkung des Energie- und Materialverbrauchs. In bezug auf die Verbesserung der sach-technischen Effizienz kntipfte Tianyuan an seine Tradition aus der Zeit der Planwirtschaft an.
Bereits im Jahr 1961 wurde Tianyuan wegen der Sparleistung beim Kohlenverbrauch von der Regierung gelobt (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 226). Seit 1984 wurde der Energieverbrauch zu einem der Zielkriterien, die im internen "economic responsibility contract" zwischen den einzelnen Produktionseinheiten und der Betriebszentrale geregelt wurden. Der Grad der Zielerreichung bestimmte die Rohe der Pramienzahlung. 1m Jahr 1985 wurde eine Arbeitsgruppe ftir Energiesparen gegriindet, deren Leiter der Betriebsdirektor war. 20 % der laufenden Investitionsausgaben wurden flir Energiesparprojekte getatigt. Ftir die Durchflihrung der drei GroBinvestitionen Mitte der achtziger Jahre hat man gezielt auslandische AnlageIieferanten ausgesucht, deren Technologie Energie sparen kann (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 226). Die Sparleistung von Tianyuan im Bereich der Energie lasst sich sehen: Wlihrend der in Standardkohle umgerechnete Energieverbrauch im Jahr 1979 noch 1,33 Tonnen pro 1.000 Yuan Bruttoproduktionswert (in Preisen von 1980) betrug, so ist diese Quote kontinuierlich auf 0,92 Tonnen pro 1.000 Yuan Bruttoproduktionswert (in Preisen von 1980) im Jahr 1990 gesunken.
Ahnliche Bemtihungen gab es im Bereich des Rohstoffverbrauchs. Der Verbrauch von Salz (eines der wichtigsten Rohstoffe von Tianyuan) betrug im Jahr 1979 ca. 1,26 Tonnen pro 1.000 Yuan Bruttoproduktionswert (in den Preisen von 1980). Die Verbrauchsquote sank auf 1 Tonne pro 1.000 Yuan im Jahr 1990 (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 194 und S. 228).
5) Senkung der Kosten im Personal- und Sozialbereich
Das Bestreben zur Kostensenkung im Personal- und SoziaIbereich war kaum vergleichbar mit dem im Bereich der Energie- und Materialkosten:
Zum einen wurde trotz der Ergebnisverschlechterung kein Personalabbau betrieben. Die Personalanzahllag in der Zeitperiode 1980-1993 ungefahr auf dem Niveau von 3.400-3500 im Jahresdurchschnitt (siehe Abbildung 23 auf der Seite 114). Der leichte Rtickgang seit 1987 wurde durch nattirliche Fluktuation verursacht (Interviews FebruarlMarz 1999). Das redundante Personal wurde in der Regel aus dem Stammhaus zuriickgezogen und in die neu gegriindeten Dienstleistungsfirmen bzw. Tochterfirmen eingesetzt (vgl. Seite 119f dieser Arbeit). Dies ist jedoch vergleichbar mit dem Fall "linke Tasche in die rechte Tasche".
124
Zum anderen war der Anstieg der Personalkosten pro Kopf schneller als der Zuwachs der Personalproduktivitiit, so dass der Anteil der Personalkosten am Bruttoproduktionswert nach oben ging (siehe Abbildung 24 auf der Seite 115). Die Reform im Kompensationssystem hat offenbar den Aspekt der Leistungsmotivation betont aber keinen Kostenspareffekt herbeigefUhrt (vgl. Seite 138 ff.). Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusarnmenhang der Anstieg der Ausgaben fUr betriebsinteme Sozial- bzw. Wohlfahrtsleistungen sowie zunehmende Investitionen fUr Wohnungsbau in einer Zeit, in der sich die Ergebnis- und Liquiditiitslage des Betriebes kontinuierlich verschlechterte.
Aufgrund ihrer stiidtischen Lage und der relativ gut entwickelten Infrastruktur der Stadt Shanghai verftigt Tianyuan im Vergleich zu denjenigen staatlichen GroBbetrieben, die ihren Standort in den abgelegenen Gebieten im Landesinneren haben, nur tiber eine begrenzte Anzahl von Sozialeinrichtungen. So wurden zum Beispiel keine Grund- oder Mittelschulen70
oder Krankenhiiuser gebaut. Trotzdem wird eine Reihe von Leistungen fUr die Sozial-, Bildungs- und Kulturangelegenheiten angeboten (siehe folgende Tabelle).
Tabelle 16: Sozial- und Wohlfahrtseinrichtungen von Tianyuan, 1993
Einrichtung Funktionen Angestelltes
Personal
I Tagesstatte fUr Babys Betreuung der Babys und Kleinkindem (im Alter von unter 14
und Kleinkinder drei Jahren) von eigenen Mitarbeitern
I Kindergarten Betreuung der Kinder (im Alter zwischen drei und sechs 18
Jahren) von eigenen Mitarbeitem
I Fachschule Ausbildung eigener Lehrlinge 22
(hauptberufliclIL
I Training Center technische Weiterbildung eigener Fachkrafte 6 (hauptberuflich)
I ,,Employees Political politische Schulung der Belegschaft 4 (hauptberuflich)
School"
2 Werkskliniken Vorbeugung der Berufskrankheit; Medizinische Versorgung; 38
Friiherkennung
I Rehabilitationsheim Rehabilitationsleistungen fUr Patienten mit Berufskrankheit 8
oder chronischer Krankheit aus eigenem Betrieb
4 Werkskantinen Versorgung der Belegschaft mit drei Mahlzeiten auf dem in 97
zwei Teile getrennten Werkgelande
3 Duschbader fUr eigene Belegschaft (Ausnutzung der Energie!Warme der k. A.
Werkskantinen)
I Arbeiterklub fUr diverse Kulturveranstaltungen der Belegschaft k. A.
2 Sportplatze fUr Basketballspiel der Belegschaft
Quelle: eigene Darstellung mit Angaben von Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 373-403.
70 Tianyuan hatte im Zeitraum 1956-1978 eine eigene Grundschule, die nur die Kinder im Schulalter eigener Mitarbeiter aufnahm. Die Schule wurde aufgrund der geringen Einschreibung im Jahr 1978 geschlossen (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 383).
125
Die Ausgaben fUr betriebsinterne Sozial- und Wohlfahrtsleistungen sind nach 1979 deutlich schneller angestiegen als der Bruttoproduktionswert. Dies hat sich in dem haheren Niveau dieser Leistungen - gemessen am Anteil entsprechender Ausgaben an dem Bruttoproduktionswert (BPW) - niedergeschlagen (siehe Abbildung 25).
Abbildung 25: Ausgaben von Tianyuan fUr Wohlfahrtsleistungen, 1957-1990
2500 1,6%
Beginn der Systernrefonn 1,4%
c 2000 II :s >
~ ,,Drei Jahre Naturkatastrophen'"
.E 1500 gesamtwirtschaftliehe
1: Konsolidierung ~
.! :E 0
1000 == ::; Kulturrevolution ... c 1: II
500 til ., :s c(
= Ausgaben fUr Mitarbeiterwohlfahrt - in % d. BPW
Anmerkung: BPW = Bruttoproduktionswert
QueUe: eigene DarsteUung mit Rohdaten aus Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 401·402
1987
1,2%
1,0% ~ III
~> 0,8%
0,6%
0,4%
0,2%
0,0%
"#.E
In den oben dargestellten Ausgaben sind keine Investitionsausgaben fUr Mitarbeiterwohnungen enthalten. Tianyuan hat im Jahr 1953 begonnen, Wohnsiedlungen fUr die eigene Belegschaft zu bauen. In den sechziger und siebziger Jahren wurde kein Wohnungsbau betrieben, da dies in den Verantwortungsbereich der Stadtregierung verlagert wurde. Die meisten Investitionen fUr den Wohnungsbau von Tianyuan fielen erst im Zeitraum 1980-90 an, als die Betriebsleitung versuchte, das zunehmende Wohnproblem der Mitarbeiterfamilien betriebsintern zu lasen. Die Knappheit von W ohnungen resultierte vor allem daraus, dass die stiidtischen Investitionen in den Wohnungsbau nicht ausreichend waren (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 399). Die erbauten Wohnungen wurden mit einem symbolischen Mietsatz an die Belegschaft verteilt71 • Die Verteilung erfolgte nach einem Plan der Betriebsleitung, der im "workers representative congress" besprochen und abgestimmt werden musste. FUr die
71 Solche Praxis war Ublieh in den chinesischen Staatsbetrieben. Diese Praxis wurde erst seit Mitte der neunziger Jahre sukzessiv reformiert. Ab 1999 plante die Regierung, die erbauten Wohnungen nieht mehr zu verteilen, sondern zu verkaufen (Interviews FebruarlMlirz 1999).
126
betriebsinteme Arbeitervertretung (Gewerkschaft und "workers representative congress") war die Verteilung der Wohnungen ein zentrales Arbeitsgebiet (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 400).
FUr den Zeitraum 1995-2000 plante Tianyuan weitere BaumaBnahmen, nachdem der Betrieb im Zeitraum 1980-90 insgesamt 15,3 Millionen Yuan fUr den Wohnungsbau investiert hat, was ca. ein Drittel der laufenden Investitionen in das Anlagevermogen in dieser Zeitperiode entsprach (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 401)72. Ziel ist es nach Angaben von Tianyuan, die durchschnittliche Wohnflache der Mitarbeiterfamilien auf vier Quadratmeter pro Kopf zu erhohen (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 401).
3.2.2.2.2. Aktivitaten im Entscheidungsfeld "Asset Management"
Das Niveau der Kapitalbindung im Lagerbestand von Tianyuan hat sich seit Mitte der achtziger Jahre kontinuierlich erhoht (siehe Abbildung 26). 1m Jahr 1990 betrug der Lagerbestand ca. 55 % des gesamten Umlaufvermogens von Tianyuan. Die langere Kapitalbindung im Lagerbereich ist zum Teil auf die Absatzprobleme einiger Produkte in der zweiten Hiilfte der achtziger Jahre zuruckzufUhren.
Abbildung 26: Lagerbestand und durchschnittliche Dauer der Kapitalbindung im Lager von Tianyuan, 1952-1990
70
60
50 c " ... oS
E-- 40 .= ... C ::I -g ;§
30
.~ 0.
~ 20
10
o
Vor der Systemreform (1970-79 )
Beginn der Systemreform (1979- )
MaBnahmen zur Senkung der Kapitalbindung
im UmlaufvermOgen ab 1989
1970 1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992
Quelle: eigene Darstellung mit Daten von Tianyuan (Hrsg.) 1994
72 Die laufenden Investitionen in Anlagevermogen betrugen 47,13 Mio. Yuan im Zeitraum 1980-90. Darin sind die einmaligen Sonderinvestitionen aufgrund der 3 GroBinvestitionen von 107 Mio. Yuan nieht enthalten (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 197; Anmerkung des Verfassers).
127
Sehr schnell angestiegen ist auch der Forderungsbestand seit Mitte der achtziger Jahre (Tian
yuan (Hrsg.) 1994, S. 207f). Das hat mit dem Problem der sogenannten ,,Dreieck-Schulden"
(triangel debt) im chinesischen Industriesektor zu tun. Unter "Dreieck-Schulden" versteht man die Ketten von Handelsschulden zwischen den Betrieben, die zum Teil aufgrund der restriktiven Geld- und Kreditpolitik der Regierung und zum Teil aufgrund der Leistungsprobleme vieler Betriebe auf den Produktmarkten gebildet wurden (vgl. hierzu Hebel 1997;
Weltbank 1997; Bohrman 1995). Lange Zeit hat Tianyuan nichts gegen die steigende Kapitalbindung im Umlaufvermogen
getan. Da die Regierung seit Beginn der Systemreform keine Haushaltsmittel mehr zur kurzfristigen Finanzierung der Staatsbetriebe zur Verfligung stellte, stlitzte Tianyuan sich auf die staatlichen Geschiiftsbanken, die kurzfristige Uberbrlickungskredite gewiihrten. Das Volu
men der kurzfristigen Bankkredite betrug ca. 2 % des Bruttoproduktionswerts im Jahr 1981. Ende der achtziger Jahre ist diese Quote bereits auf 9 % (1989/90) gestiegen (Tianyuan
(Hrsg.) 1994, S. 215f). Erst im Jahr 1989 begann Tianyuan, MaBnahmen zur Senkung der Kapitalbindung im
Umlaufvermogen zu ergreifen. So wurde ein internes Verantwortungssystem ( responsibility system) flir die Senkung des Forderungsbestandes eingeflihrt. Eine Spezialgruppe flir das
Mahnwesen wurde errichtet, die liberflillige Forderungen abbauen sollte. Die Disziplin im Zahlungsverkehr mit den Abnehmern und Lieferanten wurde verschiirft. Uberfllissige Lagerbestiinde wurden abgebaut. Der Verhaltenswandel basierte zum einen auf dem zunehmenden Liquiditiitsproblem des Betriebes (und dem steigenden Bedarf an Uberbrlickungskrediten).
Zum anderen basierte dieser auf dem Aufruf der Regierung, die damals eine nationale Kampagne startete, urn das oben genannte Problem der "Dreieck-Schulden" im Industriesektor moglichst schnell unter Kontrolle zu bringen (vgl. Autorenkollektiv 1991, S. 267f).
Die Bemlihung des Betriebes zur Senkung der Kapitalbindung zeigte Wirkung. 1m Jahr 1994 betrug das Umlaufvermogen von Tianyuan ca. 168 Millionen Yuan. Die durchschnittliche Dauer der Kapitalbindung im Umlaufvermogen betrug 120 Tage bzw. 4 Monate. Mit dieser Kennzahl gehorte Tianyuan damals nach Angaben der Branchenexperten zu den besten Firmen in der Branche (Chen Xing Securities 1995, S. 1-32).
3.2.2.2.3. Aktivitiiten im Entscheidungsfeld "Financing"
1m Rahmen des Wertmanagement ist "Financing" einer der drei operativen Entscheidungsbereiche neben "Operating" und "Investment" (Asset Management). Zu diesem Bereich gehort
in erster Linie gezielte Kapitalstrukturpolitik zur Senkung der Kapitalkosten (vgl. Botzel!
Schwilling 1998, S. 118 ff.). In der Zeit der Planwirtschaft erlibrigte sich die Gestaltung der
Finanzierungsquellen flir Tianyuan (vgl. hierzu Erliiuterungen auf der Seite 35 dieser Arbeit). Nach Beginn der Systemreform hat sich dies nur marginal geiindert.
Seit Mitte der achtziger Jahre wurde direkte Mittelzuweisung durch die Regierung sukzessiv durch die Kredite der staatlichen Geschiiftsbanken ersetzt (Huang 1996). Dies kann man auch an der Finanzierungsstruktur der drei GroBinvestitionen von Tianyuan in der zweiten Hiilfte der achtziger Jahre erkennen73 . Staatliche Geschiiftsbanken wurden zunehmend Haupt-
73 Mehr als die Halfte der Investitionssumme des ersten Projektes (1984) wurde durch die Regierung und der Rest durch eine staatliche Geschiiftsbank finanziert. Die zweite GroBinvestition (1988) wurde zu knapp 75 % durch eine staatliche Geschaftsbank und zu 25 % durch Tianyuan selbst finanziert. Die dritte
128
finanzier der langfristigen Entwicklung von Tianyuan. Seit 1981 hat Tianyuan auch zunehmend kurzfristige Kredite von den Banken aufgenommen, urn die steigende Kapitalbindung im Umlaufvermogen zu finanzieren (vgl. Seite 1270. Da aile Zinssiitze von der Regierung festgelegt wurden, gab es kaum Zinswettbewerb zwischen den Banken. Insofem war eine gezielte Gestaltung der Finanzierungsquellen flir Tianyuan weder notwendig noch moglich.
Bemerkenswert ist hier, dass staatliche Geschiiftsbanken den Kreditantrag von Tianyuan stets aufnahmen, auch wenn sich die Ergebnis- und Liquiditiitslage von Tianyuan seit Ende der siebziger Jahre kontinuierlich verschlechterte (vgl. Seite 108 ff.). Diese Beobachtung entspricht der von Steinfeld (1998), der mit dem Begriff "soft lending" das mangelnde Risikomanagement der staatlichen Geschiiftsbanken in China (bis Mitte der neunziger Jahre) kritisiert hat (vgl. Steinfeld 1998, S. 2550. Da der chinesische Banksektor im Betrachtungszeitraum weiterhin stark planwirtschaftlich gepriigt war, blieb der Druck auf Tianyuan zur gezielten Kapitalstrukturpolitik gering.
3.2.2.3. Fazit zurn Wandel der Betriebsaktivitiiten
Ais Fazit kann man die wesentlichen Veriinderungen in den Betriebsaktivitiiten von Tianyuan im betrachteten Zeitraum 1979-93 wie folgt zusarnmenfassen:
a) Von einem Einzelbetrieb der Chemieproduktion zu einer kleinen Firmengruppe mit diver-sifiziertem Geschiiftsportfolio.
Tianyuan versuchte durch GrUndung diverser Dienstleistungsfirmen sowie betriebliche Ausgliederungen, eigene Stiirken und Kompetenzen zur ErschlieBung extemer Marktchancen auszunutzen. Dabei wurde auch versucht, das Problem der Personalredundanz gemiiB der Anforderung der Regierung betriebsintem zu IOsen.
b) Erste Ansiitze zum qualitativen Wachstum Es wurde in dieser Zeitperiode versucht, Wachstum im Starnmgeschiift durch gezielte Restrukturierung des Produktprogramms und durch Modemisierung der Produktionstechnologie zu erzielen. Die Absatzfunktion wurde organisatorisch verstiirkt. Mit dem Fortschritt der Preissysternreform konnte der Betrieb Produktpreise sukzessiv in eigener Regie festlegen. TQM wurde zur Sicherung der Produktqualitiit eingeflihrt.
c) Erste Schritte zum Asset Management Ende der achtziger Jahre begann der Betrieb, Kapitalbindung im Umlaufvermogen durch MaBnahmen des Asset Managements zu senken.
Neben den oben genannten Schritten in Richtung des marktwirtschaftlich orientierten Wertmanagements zeigte Tianyuan im betrachteten Zeitraum auch eine Reihe von triigen Elementen:
GroBinvestition (1988-90) wurde zu 100 % durch Bankdarlehen finanziert. Vgl. Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 141 ff.
129
a) Beibehaltung der betriebsinternen Sozial- bzw. Wohlfahrtsleistungen Die Kosten in diesem Bereich der Betriebsaktivitaten stiegen auch in Zeit kontinuierlicher Ergebnisverschlechterung weiter an.
b) Steigerung der Verbrauchseffizienz im Material- und Energiebereich bei gleichzeitiger Inflation der Personalkosten
In bezug auf die Energie- und Materialkosten bemlihte man sich urn deutliche Steigerung der Verbrauchseffizienz. Die Personalkosten einschlieBlich Ausgaben flir Sozial- und Wohlfahrtsleistungen sind jedoch nicht gesunken, sondern viel schneller angestiegen als die Personalprodukti vi tat.
c) Weiterhin untergeordnete Stellung von Marketing und Vertrieb Dies ist zum einen daran zu erkennen, dass die Marketing-Nertriebsfunktion stets auf der dritten oder vierten Hierarchieebene des Betriebes angesiedelt und nie dem Betriebsdirektor direkt untergeordnet war. Zum anderen mangelte es an der "Aggressivitat" im Vertrieb. Man begnligte sich in einigen Bereichen (einschl. AuBenhandel) weiterhin mit den alten Absatzkaniilen aus der Zeit der Planwirtschaft und unternahm keinen deutlichen Ausbau der Marketing- und Vertriebsfunktion.
d) Planwirtschaftliche Spuren in der Politik der Kapitalnutzung Als sich die Kapitalbindung im Working Capital im Laufe der achtziger Jahre vergroBerte, hatte man sich zuerst auf die Staatsbanken als Kreditgeber verlassen, anstatt sofort interne MaBnahmen zum Asset Management einzuleiten. Erst Ende der neunziger Jahre ergriff man erste MaBnahmen.
3.2.3. Wandel der Betriebsorganisation
1m folgenden werden zuerst die seit Beginn der Systemreform eingetretenen Anderungen in der Organisationsstruktur (bzw. der betrieblichen Aufbauorganisation) beschrieben. Dann werden wesentIiche Anderungen im betriebsinternen Planungs-, Steuerungs- und Kontrollsystem im Betrachtungszeitraum erlautert.
3.2.3.1. Wandel der Organisationsstruktur
Seit der Grlindung hatte Tianyuan eine Funktionalorganisation im Betrieb (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 19 ff.). An dieser Grundstruktur anderte sich auch nach Beginn der Systemreform nichts. In der Abbildung 27 auf der Seite 130 wird das Organigramm von Tianyuan im Jahr 1993 dargestellt. Nicht dargestellt werden im Organigramm bestimmte Komitees oder ad hocArbeitsgruppen auf der Betriebsebene, die in der Regel Themen aus der Produktion oder Technik bearbeiten74•
74 Auf der Betriebsebene gab es bis Ende 1993 zum Beispiel ein "committee for energy management", "committee for TQM", "committee for equipment management" und vier Komitees fur Themen der Arbeitssicherheit (Feuer und Unfall etc.). AuBerdem gab es eine Arbeitsgruppe zur Bewertung interner Vorschlage zur Rationalisierung und technischen Erneuerung. Vgl. Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 219 ff.
130
Abbildung 27: Organigramm von Tianyuan 1993
Betriebs- -
- Chief Engineer
Research Institute Neuproduktentwicklung Energietechnik Qualitatsmanagement Umweltschutz PlanungsbiirolFabrikdesign Technische Beratung
-Chief Economist -Zentralbereich Ein- und Verkauf
Ch' f A ~ Rechnungswesen -I Ie ccountant ~ Revisionswesen
Arbeitssicherheit
direktor I-Vize-Direktor f Produktionsdisposition [7 Werkshallen Planungsabteilung 1 Hilfswerkshalle
I-Vize-Direktor
Instandhaltung MeBtechnik
Enterprise Management Department Werkssicherheit Mitarbeitertraining und -erziehung Allgemeine Angelegenheiten -- Sozialeinrichtungen Wohnungsverwaltung -- Wohnungen
I-Vize-Direktor --Neugriindungen im Dienstleistungsektor oder betriebliche AusgJiederungen (7 Firmen)
Direktoriat Organization & Personnel Lohnbiiro Managementiiberwachung
QueUe: Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 26 (libersetzt durch den Verfasser).
Als neue Strukturelemente zu bezeichnen sind die seit Mitte der achtziger Jahre gegriindeten Tochterfirmen im Dienstleistungssektor sowie die beiden betrieblichen Ausgliederungen (Fuhrpark und Werkstiitten). Diese Neugriindungen und Ausgliederungen stellen die ersten Schritte zur Bildung einer diversifizierten Firmengruppe dar.
131
Der soziale Bereich von Betriebsorganisation wurde im Betrachtungszeitraum beibehalten. Er ist der Abteilung "Allgemeine Angelegenheit" untergeordnet. Die Errichtung der neuen Abteilung "Wohnungsverwaltung" in 1993 zeigt, dass sich Tianyuan auch in den neunziger Jahren von vielen der gesellschaftlichen Funktionen bzw. Sozialleistungen (z. B. Wohnungsbau fiir die Belegschaft) kaum trennen konnte.
Unveriindert geblieben ist auch - wie fast in jedem anderen staatlichen Industriebetrieb in China (vgl. Huang et al. 1997, S. 3 ff.), der politische Bereich, der ein integrierter Bestandteil der Betriebsverwaltung von Tianyuan geworden ist (vgl. Erliiuterungen auf der Seite 135 ff.). Nach dem Motto "Partei fUhrt Kader" (dang guan ganbu) hat das Parteikomitee des Betriebes die wichtige Aufgabe, die Emennung der Fiihrungskriifte auf der mittleren und unteren Hierarchieebene zu prUfen und zu genehmigen. Der Fiihrung der Partei direkt untergeordnet sind der Kommunistische Jugendverband (mit zwei hauptberuflichen Kadem) und die betriebsinteme Gewerkschaft (mit mehreren hauptberuflichen und nebenberuflichen Funktioniiren)15.
In bezug auf die Abteilungsstruktur in der Verwaltung von Tianyuan muss man darauf hinweisen, dass sich der Spezialisierungsgrad im Laufe der Zeit und mit der zunehmenden BetriebsgroBe erhoht hat (siehe Tabelle 17 auf der Seite 135). An den Anderungen der Abteilungsstruktur kann man sowohl triige als auch transformative Elemente im Betrieb erkennen:
Planungsfunktion Im Jahr 1960 wurde iiberhaupt keine Planungsabteilung errichtet, da man sich in erster Linie urn die Implementierung der staatlichen Produktionspliine kUmmerte und die Planungsfunktion auf reine Produktionsdisposition reduziert wurde. Aufgrund der wachsenden Biirokratie in der staatlichen Industrieverwaltung musste Tianyuan Pliine und Anderungswiinsche des Ministeriums, der Stadtregierung und des iibergeordneten Branchenbiiros berUcksichtigen, so dass man im Jahr 1966 die Abteilung "Produktionsplanung" errichtete. Erst nach 1978 wurde die Planungsfunktion von reiner Produktionsplanung auf andere Planungsgebiete ausgedehnt (vgl. Seite 137 dieser Arbeit). Jedoch ist anzumerken, dass im Jahr 1993 die Planungsabteilung nicht dem Betriebsdirektor direkt, sondem dem fUr die Produktion zustiindigen Vize-Direktor zugeordnet wurde (siehe Organigramm). Nach Auffassung des Verfassers kommt hier das traditionelle "Ubergewicht" der Produktionsfunktion im Betrieb zum Ausdruck.
Enterprise Management Department Diese Abteilung wurde seit 1983 - in Korrespondenz mit der Reorganisation auf der Ebene des Branchenbiiros - errichtet. Sie hat eine koordinierende Funktion und bearbeitet in erster Linie diverse ad hoc- Anweisungen von der iibergeordneten Stelle im Branchenbiiro oder der Regierung. Vor allem die vielen Kampagnen oder Wettbewerbsveranstaltungen der Regierung nahmen viele Ressourcen dieser Abteilung in Anspruch. Die wichtigsten Kampagnen im Betrachtungszeitraum waren zum Beispiel die Kampagne fUr Betriebskonsolidierung (enter-
75 Ende 1993 waren 15 % der Beschiiftigten von Tianyuan Parteimitglieder und knapp 9 % Mitglieder des Kommunistischen Iugendverbandes. 99,8 % der Beschiiftigten waren Mitglieder der Gewerkschaft (Tianyuan (Hrsg.) 1994. S. 357 f.).
132
prise consolidation) im Jahr 198276, die Kampagne fiir den Aufbau der "Fabrik ohne UmweItverschmutzung", "Fabrik der Sauberkeit und Ordnung" und "Six Excellences' Enterprise" im Jahr 198377 sowie die Kampagne fiir "upgrading the enterprise management category" im Jahr 198678 • Die Abteilung hat im Zeitverlauf auch betriebsinteme Aufgaben bekommen, wie z. B. betriebliches Inforrnationsmanagement, Pflege interner Arbeitsstandards und Durchfiihrung betriebsinterner Reforrnprojekte, wie z. B. die Einfiihrung des betriebsinternen Verantwortungssystems (economic responsibility system) usw.
Personalwesen und Lohnbiiro 1m Jahr 1960 war die Verwaltung der Kader und die Verwaltung sonstiger Arbeiter und Angestellte getrennt. Die Abteilung "Personalwesen" kiimmerte sich urn die erste Kategorie der Mitarbeiter. Zu den "Kadern" (ganbu) gehorten neben den Managern auch das kaufmannische und technische Personal (BuchhaIter, Ingenieure und Techniker etc.). Spater wurden die beiden Abteilungen zusammengelegt, auch wenn die Trennung zwischen Kadern und sonstigen Mitarbeitern bis 1984 bestand. 1m Jahr 1993 errichtete man die Abteilung "Organization and Personnel", die als eine Funktionseinheit der betriebsinternen Parteiorganisation Parteikader und -mitgJieder verwaltete.
Mitarbeitertraining und -erziehung Mitarbeitertraining wird seit Beginn der Systernreforrn zunehmend betont. Die seit 1984 neu errichtete Abteilung kiimmert sich urn internes Mitarbeitertraining und politische Erziehung der Belegschaft. So stehen die betriebsinterne Fachschule, das (technische) Training Center und das Zentrum fiir politische Schulung der Belegschaft (employees political school) unter der Leitung dieser Abteilung. Die ehemalige Propagandaabteilung der Partei ist in diese
76
77
78
1m Jabr 1982 startete die Regierung die Kampagne zur "enterprise consolidation". Ziel der Kampagne war der SchluBstrich mit dem wahrend der Kulturrevolution entstandenen chaotischen Zustand der Staatsbetriebe. Inhaltliche Eckpunkte des Kampagne waren: a) Betonung des Verantwortungsprinzips im Betriebsmanagement; b) Betonung der Arbeitsdisziplin und Einfiihrung entsprechender Motivations- und SanktionsmaBnahmen; c) Verbesserung der Arbeitsorganisation zur Einhaltung der staatlich festgelegten Produktivitatskennzablen; d) Betonung der Finanzdisziplin. Verstarkung der Finanzfunktion (bzw. des betrieblichen Rechnungswesens); e) Anpassung im Managementteam und Klarung betriebsinterner Fiihrungsstruktur (Quelle: Shanghai Chemical 1996. S. 85; Tianyuan (Hrsg.) 1994. S. 348f). 1m Jahr 1983 ordnete das Ministerium der chemischen Industrie aile Chemiebetriebe an. aile Chemiebetriebe in "Fabriken ohne gesundheitsschiidliche Emissionen". "Fabriken der Sauberkeit und Ordnung" und "Six Excellence Enterprises" urnzuwandeln. Die sogenannten "Six Excellence" bezogen sich auf folgende Kriterien: a) gleichzeitige Beriicksichtigung der Interessen von Staat, von Betrieb und Mitarbeitern bei der Einkommensverteilung (in Bezug auf die Gewinnverteilung und Pramienzahlungen); b) gute Produktqualitat; c) gute finanzielle Performance; d) gute Arbeitsdisziplin; e) gute Produktionsordnung; f) gute politische Erziehung. Ein "Six Excellence Enterprise" muss stets eine Fabrik mit Sauberkeit und Ordnung sein. Diese muss stets auch eine Fabrik ohne gesundheitsschiidliche Emissionen sein (Shanghai Chemical 1996. S. 8Sf). Tianyuan wurde im Jahr 1984 nach Priifung durch das Ministerium und das direkt iibergeordnete BranchenbUro der Tilel "Six Excellence Enterprise" verliehen (Shanghai Chemical 1996. S. 86; Tianyuan (Hrsg.) 1994. S. 348f). Die Regierung rief im Jahr 1986 aile Staatsbetriebe auf. das Betriebsmanagement zu verbessern. Mit diesem Aufruf sollten drei Probleme der Staatsbetriebe bekiimpft werden: unbefriedigende Produktqualitat. hoher Materialverbrauch und schlechte Finanzperformance. Die Regierung kategorisierte aile Staatsbetriebe anhand bestimmter Beurteilungskriterien. wie z. B. Qualitat. Materialverbrauch und Finanzergebnis (Gewinn) usw .• und forderte. dass sich jeder Staatsbetrieb von der niedrigeren Kategorie zu der hoheren entwickeln sollte (Shanghai Chemical 1996. S. 86f). Tianyuan bildete im Jahr 1987 interne Projektgruppen. urn zuerst die Betriebsklasse II und spater dann die Betriebsklasse I zu erreichen (vgl. Tianyuan (Hrsg.) 1994. S. 349).
133
Abteilung integriert. Sie leitet das Zentrum fiir politische Schulung, in dem die Mitarbeiter Aufkliirung iiber die Reformprogramme der Regierung (der Partei) bekommen und fiir Systernreform und mehr Arbeitsdisziplin motiviert werden sollen.
Beschaffungs- und Absatzfunktion Vor der Systernreform wurde lange Zeit die Absatzfunktion und die Beschaffungsfunktion unter einem Dach bzw. in dem sogenannten "supply and sales department" (gong xiao ke) zusammengelegt, da die Verkaufsfunktion und zum Teil auch die Einkaufsfunktion79 auf reine Materialdistribution bzw. Logistik reduziert wurde. 1m Jahr 1984 richtete man zwei getrennte Abteilung fiir das Beschaffungswesen und die Absatzfunktion ein. 1m Jahr 1993 wurden die Beschaffungs- und Absatzfunktion wieder in einem Zentralbereich zusammen-gelegt, der von dem "Chief Economist" geleitet wird. Dass organisatorisch keine separate Marketing-I Vertriebsfunktion unter der direkten Leitung des Betriebsdirektors errichtet wurde, deutet auf die weiterhin untergeordnete Bedeutung von Marketing/Vertrieb in der Unternehmenshierarchie von Tianyuan hin.
Umweltschutz und Energietechnik in den fiinfziger und sechziger Jahren wurde Umweltschutz noch nicht als Managementthema erkannt. Erst seit 1973 fand der Umweltschutz organisatorische Verankerung bei Tianyuan. 1m Jahr 1993 errichtete man extra die Abteilung "Energietechnik", die den Energieverbrauch (den gro6ten Kostentreiber von Tianyuan) zu koordinieren und entsprechende Sparma6nahmen zu konzipieren hat.
Zentrallabor und Produktentwicklung Zu Beginn der Kulturrevolution (1966) wurde das Zentrallabor aufgelost. Das Personal in der Forschung und Entwicklung (F & E) wurde in die Werkshalle geschickt, da sich aile "Intellektuellen" nach damaliger Iinksextremer Vorstellung unter den "revolutioniiren Massen" umschulen lassen mussten (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 112)80. Erst im Jahr 1978 konnte das Personal fiir F & E wieder im neu eingerichteten Zentrallabor arbeiten. Seit Mitte der achtziger Jahre hat man die Abteilung "Produktentwicklung", urn mehr marktfahige Produkte zu entwickeln.
Managementiiberwachung und Revision Die seit 1989 errichtete Abteilung "Managementiiberwachung" spezialisiert sich auf die Uberpriifung der Legalitiit des Verhaltens der Fiihrungskriifte auf den mittleren und unteren Hierarchiestufen. Sie bearbeitet die Anzeigen bzw. Klagen der Individuen oder Einzelabteilungen an das Topmanagement. Sie korrespondiert mit der gleichen Stelle im iibergeordneten Branchenbiiro. Die Abteilung "Revision" wurde im Jahr 1986 - in Korrespondenz mit der Reorganisation im iibergeordneten Branchenbiiro - errichtet und ist fiir internes Revisionswesen zustiindig.
79 Seit Beginn der Kulturevolution im Jahr 1966/67 wurde die Materialversorgung immer unsicherer. Zu Beginn der Systemreform wurden 20 % des Materialbedarfs von Tianyuan ohne staatliche Planung bzw. durch eigene Markttransaktionen abgewickelt. Diese Quote stieg auf 80 % Anfang der neunziger Jahre (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 191 f.).
80 Das Personal der Forschung und Entwicklung wurde in die Werkshallen zur Mitarbeit an der Produktionslinie geschickt (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 112)
134
Tabelle 17: Abteilungsstruktur von Tianyuan im Jahr 1966,1978,1984 und 1993 im
Vergleich
Abteiluo2en/Funktiooeo 1960 1966 1978 1984 Direktorat (1960: Secretary) x x x x Managementiiberwachung
Planung (1966: "Produktionsplanunl1;") x x x Enterprise Manal1;ement Department x Rechnungswesen x x x x Revision
Personalwesen (Kaderwesen) x (1993: Orl1;anization and Personnel)
Lohnbiiro x x x x Mitarbeitertraining und -erziehung x Werkssicherheit x x x x Supply and Sales Department (einschl. Logistik) x x x (1993: Zentralbereich Beschaffunl1; und Absatz)
Materialversorgung und Logistik x Absatz x Allgemeine Angelegenheiten (ink!. Sozialbereich) x x x x Wohnungsverwaltung
Qualitatskontrolle (ab 1988 Qualitatsmanagement) x x x x
Arbeitssicherheit x x x Produktionsabteilung (Produktionsdisposition) x (x) x (1966: Produktionsplanung)
Produktionstechnik (technische Aspekte der Produktion) x x x Instandhaltung x x x x Messtechnik (im chemischen Produktionsprozess) x Umweltschutz x Zentrallabor (ab 1987: Chlor-Alkali Research Institute) x x x Produktentwicklung x Energietechnik
Technische Beratunl1;
Fabrikentwurf I Planungsbiiro x
Basic Construction (Bauabteilunl1;) x x x
1993 x x
x x x x
x
x
x
x x
x
x x
x x
x x x x x x
x x
Quelle: eigene Zusammenstellung in Anlehnung an die Organigramme von Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 19 ff.
Ais Fazit zum Wandel der Organisationsstruktur kann man folgendes festhalten: Die fUr einen
staatlichen Industriebetrieb in China typische Grundstruktur der Funktionalorganisation mit
der Stab-lLinientrennung, integrierten Parteifunktionen und Sozialbereichen ist bei Tianyuan
trotz der Systemreform im groBen und ganzen unveriindert geblieben. Neu sind seit Mitte der
achtziger Jahre die Neugriindungen im Dienstleistungssektor und betriebliche Ausgliede
rungen.
135
In bezug auf die Abteilungsstruktur der Verwaltung kann man Anfang der neunziger Jahre (1993) sowohl neue als auch alte Elemente beobachten, wobei alte Elemente iiberwogen. Als "alte" Elemente zu bezeichnen sind zum Beispiel
das Fehlen objektorientierter Gliederung des Untemehmens (z.B. nach Produkten, Regionen oder Kundengruppen), die weiterhin untergeordnete Stellung von Marketing/Vertrieb in der Organisationshierarchie, die Zuordnung der Planungs- und Kontrollfunktion des Betriebes zum Produktionsbereich, die Nachbildung der administrativen Strukturen des iibergeordneten Branchenbiiros auf der Betriebsebene (wie z. B. die Errichtung der Abteilung "Managementiiberwachung", "Revision" und "enterprise management department"), der organisatorische Ausbau der Sozialfunktion (z. B. durch die Errichtung der Abteilung "Wohnungsverwaltung"), sowie die Integration der Parteifunktionen in die Betriebsorganisation (z. B. Abteilung "organization & personnel" und "employees political school" etc.) .
Als "neue" Elemente zu bezeichnen sind zum Beispiel die Errichtung einer neuen Abteilung fiir Produktentwicklung und die organisatorische Verankerung des Umweltmanagements im Betrieb.
3.2.3.2. Wandel des betriebsinternen Planungs-, Steuerungs- und Kontrollsystems
Als einer der ersten Staatsbetriebe in Shanghai hat Tianyuan Anfang der fiinfziger Jahre ein internes Planungs-, Steuerungs- und Kontrollsystem nach dem sowjetischen Modell aufgebaut: Planvorgaben kamen yom Ministerium fiir chernische Industrien oder dem iibergeordneten Branchenbiiro. Gesteuert wurde der Betrieb durch staatlich festgelegte Plankennzahlen und motiviert durch politische Kampagnen und staatlich geregelte Priimienzahlungen. Sowohl die Planung als auch die Kontrolle ist hauptsachlich auf das Erfiillen der staatlichen Produktionsplane gerichtet (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 150). Dieses System ist bis Ende der siebziger Jahre im groBen und ganzen unverandert geblieben. Seit Beginn der Systernreform hat es einige, zum Teil qualitative Anderungen in diesem System gegeben. Zu den wesentlichen Anderungen gehtiren 1) beginnende Marktorientierung der Produktionsplanung, 2) erste Ansatze zur ganzheitIichen Betriebsplanung und -kontrolle, 3) Einflihrung des internen "economic responsibility systems" und 4) Reformen im betriebsintemen, monetaren Kompensationssystem. 1m folgenden wird dies nliher erlautert.
3.2.3.2.1. Beginnende Marktorientierung der Produktionsplanung
Vor 1980 folgte Tianyuan bei ihrer Planung stets den Vorgaben des Ministeriums flir chemische Industrien (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 152). Mit der zunehmenden Marktliberalisierung hat sich dies schrittweise geandert. Die Leitlinie der Planung von Tianyuan lautet nach eigenen Angaben nicht mehr "Soviel produziert wird, wird abgesetzt", sondem "Wieviel verkauft werden kann, wird produziert" (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 152).
136
1m Jahr 1985 hatte Tianyuan zum Beispiel drei Kategorien von Produkten im Produktionsplan: a) Produkte, die weiterhin der staatlichen Planung unteriagen, wie z. B. Caustic Soda, Salzsiiure und Liquide Chlorine. FUr diese Produkte Ubernahm Tianyuan die Planvorgaben der Regierung. b) Produkte mit dem Empfehlungspreis der Regierung, wie z. B. PVC, Calcium Hypochlorite. FUr diese Produkte sind weiterhin bestimmte staatliche Vorgaben einzuhalten. c) Produkte, wie z. B. PVC Plastic Pellets, deren Preis frei auf dem Markt bestimmt wurde. FUr diese Produkte musste Tianyuan schon damals komplett marktorientiert planen (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 152).
In den neunziger Jahren reduziert sich die Anzahl der Produkte, die der staatlichen Planung unterlagen. Die Planungsvorgaben kamen deshalb immer mehr yom Markt als von dem Ministerium.
3.2.3.2.2. Erste Ansiitze zur ganzheitlichen Betriebsplanung und -kontrolle
Vor der Systernreform waren die Planungs- und Kontrollfunktion hauptsiichlich auf die Produktion fokussiert. In den achtziger Jahren nahm man auch Themen wie z. B. Mitarbeitertraining und -erziehung in den Jahresplan auf (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 155). Seit 1990 erweiterte man den Inhalt des Jahresplans auf aile Funktions- bzw. Tiitigkeitsbereiche des Betriebes, so dass der Jahresplan von 1991 insgesamt 36 Unterpliine enthielt. Neben den produktions- und technik-bezogenen Unterpliinen wurden neue Unterpliine entworfen, wie z.B. Plan fUr Umsatz, Bruttomargin, Umlaufvermogen, F & E und TQM usw ..
Bereits zur Zeit der Planwirtschaft baute Tianyuan ein internes System der Betriebsstatistik auf, urn zum einen den Ubergeordneten Staatsbehorden relevante Statistiken zu liefern und zum anderen der Betriebsleitung Informationen tiber den Fortschritt der PlanerfUllung bereitzustellen (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 157 ff.)81. Vor der Systernreform plante der Betrieb hauptsiichlich produktionsbezogen, deshalb wurden auch nur produktionsbezogene Kontrolldaten erfasst. Seit 1990 begann man, Kontrolldaten iiber aile Funktions- bzw. Tiitigkeitsbereiche des Betriebes zu erheben. Zunehmende Bedeutung haben die Daten aus dem Finanzbereich gewonnen (z.B. Umsatz, Gewinn, Rendite und Dauer der Kapitalbindung im Umlaufvermogen etc.). Auch ftir den Bereich Forschung & Entwicklung und Mitarbeitertraining usw. werden jetzt Kennzahlen definiert. Hier kann man erste Ansiitze zur ganzheitlichen Betriebsplanung und -kontrolle bei Tianyuan erkennen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Sozial- bzw. Wohlfahrtsbereich auch im Planungs- und Kontrollsystem des Betriebes erfasst wurde. Geplant und kontrolliert wurden zum Beispiel die Kennzahlen tiber die Geburtenkontrolle der Belegschaft, da die Implementierung der staatlichen Politik der Familienplanung eine der Aufgaben von Tianyuan geblieben ist (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 156).
Trotz der ersten Schritte zur ganzheitlichen Betriebsplanung und -kontrolle bliebt das "Ubergewicht" der Produktionsfunktion. Dies kam dadurch zurn Ausdruck, dass die fUr Planung und Kontrolle zustiindige Abteilung auch im Jahr 1993 nicht dem Betriebsdirektor direkt, sondern - einer Hierarchieebene tiefer - dem fUr die Produktion zustiindigen Vize-
81 Der Monatsbericht wird bei Tianyuan acht Tage nach Ende des Monats geliefert, fiir das Quartal zwolf Tage nach Ende des Quartals und fUr das Jahr zwanzig Tage nach Ende des Jahres. 1m Jahr 1985 baute Tianyuan das interne Rechenzentrum auf. 1m Jahr 1988 wurde das Betriebsdirektorat mit dem Bereich Praduktion, Einkauf und Verkauf sowie dem Finanzbereich vernetzt, so dass der Betriebsdirektor seitdem am Terminal in seinem BUra Daten zum Uiglichen Ablauf im Betrieb abrufen kann (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 351).
137
Direktor zugeordnet wurde (vgl. Seite 130f. dieser Arbeit). Es ist auBerdem fragwUrdig, inwiefern man von der Existenz einer strategischen Planung und Kontrolle in Tianyuan sprechen kann, wenn man bedenkt, dass die FUnfjahrespliine des Betriebes jeweils im Einklang mit der Regierungspolitik entwickelt wurden (vgl. Seite 116f dieser Arbeit).
3.2.3.2.3. EinfUhrung des internen "economic responsibility systems"
Bereits im Jahr 1982 hat Tianyuan begonnen, mit dem Konzept "Management by Objective" zu experimentieren (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 354). Seit der EinfUhrung des "Drei-MaBnahmen-Reformpaketes" im Jahr 1984 wurde das Prinzip der Ergebnisverantwortung auch zunehmend im Betrieb betont. Man fUhrte schlieBlich das interne "economic responsibility system" ein. So wurde zum Beispiel fUr jede Produktionseinheit (Werkhalle) eine kalkulatorische GewinngroBe geplant. Die Hohe der Priimienzahlung an die Mitarbeiter einer Einheit (Werkhalle) hing davon ab, ob diese Einheit ihre PlangroBe erfUlite.
Seit 1988 verfeinerte man im Betrieb das "economic responsibility system". FUr unterschiedliche Einheiten definierte man nun unterschiedliche Leistungsziele. So war der kalkulatorische Gewinn das wichtigste Leistungsziel einer Produktionseinheit. Mit dem Ein- und Verkaufsbereich vereinbarte das Betriebsmanagement entsprechende Versorgungs- und Absatzziele mit BerUcksichtigung der Kapitalbindung im Lagerbestand (vgl. Autorenkollektiv 1991, S. 261; Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 320 ff.).
Es ist hier darauf hinzuweisen, dass es mindestens zwei Unterschiede zwischen dem betriebsinternen "economic responsibility system" in den achtziger Jahren und dem in der Zeit der Planwirtschaft praktizierten "Verantwortungssystem" gibt: Der erste Unterschied liegt im Leistungsziel. In den fUnfziger und sechziger Jahren wurden produktionsbezogene Kennzahlen, wie z. B. Produktionsvolumen oder staatlich definierte Qualitiitsstandards als Leistungsziele angesetzt (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 320f). In den achtziger Jahren wurde der Gewinn in den Vordergrund gestellt. Der zweite Unterschied liegt darin, dass die Ergebnisverantwortung frUher yom Betrieb "kollektiv" getragen wurde, so dass der Leistungsbeitrag der Einzelnen nicht differenziert kompensiert werden konnte. In den achtziger Jahren verknUpfte Tianyuan die Einkommen der Mitarbeiter in den einzelnen Abteilungen und Werkstiitten direkt mit deren Leistungen. Der Bezug der Arbeitseinkommen der einzelnen Mitarbeiter zu ihren individuellen Leistungen wurde immer starker.
3.2.3.2.4. Reformen im monetaren Kompensationssystem
Ein Mitarbeiter im chinesischen Staatsbetrieb wird - aus westlicher Sicht - mit dem monetiiren Einkommen und den nicht-monetaren Sozial- und Wohlfahrtsleistungen des Betriebes kompensiert. Das monetare Einkommen eines Mitarbeiters im chinesischen Staatsbetrieb kann grundsiitzlich in zwei Teile zerlegt werden: a) GrundgehaJt und b) Priimien- bzw. Bonuszahlungen (vgl. Chao 1998, S. 173 ff.; Hebel 1997, S. 386 ff.). Die Reform des monetiiren Kompensationssystems war eines der Hauptthemen der Systernreform in den chinesischen Staatsbetrieben (vgl. Warner 1995; Hebel 1997). Dies ist auch der Fall bei Tianyuan (1994, S. 285 ff.).
138
a) Reformen im Grundgehaltssystem
Mehrere Anderungen in dem Grundgehaltssystem sind im Laufe der achtziger Jahre eingetreten, wobei die Grundgehaltsdifferenz zwischen den einzelnen Stufen sukzessiv vergroBert und das Leistungsprinzip mehr und mehr in den Vordergrund gestellt wurde:
1m Jahr 1956 flihrte Tianyuan, wie aile anderen Staatsbetriebe in China, das Lohnstufensystem ein (vgl. Warner 1995, S. 18 ff.). Dabei wurde jeder Produktionsarbeiter bei Tianyuan zu einer von den acht (landesweit standardisierten) Lohnstufen zugeordnet. Ein Kader hatte 21 Gehaltsstufen. Das Stufenmodell wurde im Laufe der Zeit verfeinert, so dass zwischen den einzelnen Grundstufen jeweils eine Zwischenstufe geschaffen wurde. Der Zeitpunkt, der betroffene Personenkreis und der Umfang der Lohn- bzw. Gehaltserhohung wurden von der Regierung einheitlich geregelt. Als BefOrderungskriterien wurden zum Beispiel Arbeitseinstellung, Produktionsleistung, Beitrag zum technischen Fortschritt und nieht zuletzt die Lange der Betriebszugehorigkeit genannt (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 295 ff.). In den sechziger Jahren gab es bei Tianyuan nur zwei Lohn- / Gehaitserhohungen und in den siebziger Jahren vier (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 295 ff.).
1m Jahr 1983 beschloss die Regierung die Reform der Lohnpolitik. Staatsbetriebe durften seitdem das betriebsinteme Grundgehaltssystem selbst entwerfen. Tianyuan definierte 16 Lohnstufen (8 Grundstufen mit jeweils einer Zwischenstufe) flir die Produktionsarbeiter und 29 Gehaltsstufen (15 Grundstufen mit Zwischenstufen) flir die Kader (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 307 ff.). Jeder Mitarbeiter wurde bezUglich seiner fachlichen Erkenntnisse und praktischen Fahigkeiten geprUft und gemaB seinem PrUfungsergebnis der einzelnen Lohn- bzw. Gehaltsstufe zugeordnet.
1m Jahr 1985 hatte Tianyuan 16 Lohnstufen flir die Produktionsarbeiter und 28 Gehaltsstufen flir die Kader. BezUglich der Methoden der Lohn- bzw. Gehaltsermittlung unterschied man zwischen drei Formen von Lohn bzw. Gehait: a) "post-based wages", deren Hohe nach der Stellenanforderung bestimmt wird, und b) "technical skill-based wages", deren Hohe nach der technischen Flihigkeit und Erfahrung des jeweiligen (Produktions-)Mitarbeiters bestimmt wird, sowie c) "cadre function-based wages" flir das technische, kaufmannische und administrative Personal in der Verwaltung sowie das Management (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 313£).
1m Jahr 1986 wurde die Entwicklung der Gehaitssumme (Grundgehalt plus Pramien) von Tianyuan mit der Entwicklung des Gewinns vor Steuem verknUpft. Tianyuan war einer der beiden Pilotbetriebe flir ein solches Reformexperiment, die von dem Ubergeordneten BranchenbUro fUr chemische Industrien ausgewahlt wurden. (Shanghai Chemical 1996, S. 165).
Die groBte Anderung des Grundgehaltssystems erfolgte jedoch im Jahr 1987, als Tianyuan die bisherige Trennung zwischen der Lohntabelle flir Produktionsarbeiter und der Gehaltstabelle fUr Kader abschaffte. Eine flir aile Mitarbeiter gUitige Grundgehaltstabelle wurde vorgelegt (siehe Abbildung 29 auf der Seite 142). Weitere Anderungen vollzogen sich in den Jahren 1989 und 1990, als Tianyuan die Gehaltsdifferenz zwischen den einzelnen Gehaltsstufen vergroBerte, urn das Leistungsprinzip starker zu betonen (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 316).
Analysiert man die Kennzahlen in der Tabelle 18 auf der Seite 143, kann man den schrittweisen Wandel des Grundgehaltssystems von Tianyuan in den achtziger Jahren
139
beobachten. Sowohl die Differenz zwischen dem hochsten und dem niedrigsten Gehalt als auch die durchschnittliche Gehaltsdifferenz zwischen den einzelnen Stufen haben sich im Zeitverlauf wesentlich vergroBert. Auch die Kriterien zur Gehaitserhohung wurden schrittweise gelindert. Das Prinzip der leistungsbezogenen Kompensation hat zunehmend an Bedeutung gewonnen.
1m Jahr 1991 wurde das "labour contract system" in Tianyuan eingefiihrt. In demselben Jahr wurde Tianyuan von der Regierung als einer der 45 Pilotbetriebe in Shanghai bestimmt, in denen das so genannte "post-plus-skill"-Grundgehaltssystem einfiihren sollten (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 16; Autorenkollektiv 1998, S. 201 ff.). FUr Tianyuan war das "post-plusskill"-System (vgl. dazu Warner 1995, S. 93 ff.) eigentlich bereits im Zeitraum 1985/87 implementiert worden (vgl. Seite 142). Die Gehaitsdifferenz zwischen den einzelnen Gehaltsstufen soli aber in den neunziger Jahren nochmals vergroBert worden sein (Interviews FebruarlMlirz 1999).
b) Priimienzahlungen
Die zunehmende Betonung des Leistungsprinzips wurde auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass der Anteil der leistungsbezogenen Prlimien an der gesamten Gehaltssumme im Laufe der achtziger Jahre erhoht wurde (siehe Abbildung 28). 1m Vergleich zur Praxis in der Zeit der Planwirtschaft ist die Prlimienzahlung an den einzelnen Mitarbeiter immer enger mit seinem individuellen Leistungsbeitrag verknUpft worden.
Abbildung 28: Anteil der Prlimienzahlung an der Gehaltssumme von Tianyuan, 1979-90
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Quelle: eigene Berechnung und Darstellung mit Daten von Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 320-325.
140
Es ist darauf hinzuweisen, dass chinesische Staatsbetriebe schon in den fiinfziger und sechziger Jahren Prlimien an die Belegschaft zahlten, urn die Mitarbeiter zum Erfiillen der staatlichen Produktionsplane, zur Senkung des Energie- und Rohstoffverbrauchs undJoder zur Verbesserung der Produktqualitat usw. zu motivieren (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 320 ff.). Die Pramienzahlung erfolgte damals auf Anweisung der Regierung bzw. des zustandigen Branchenbiiros. Jedes Betriebsmitglied bekam denselben Betrag von Prlimien, so dass der individuelle Leistungsunterschied kaum beriicksichtigt wurde (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 322).
In den achtziger Jahren hat die Regierung weiterhin die Pramienzahlung reguliert, ohne jedoch den Prlimienbetrag flir den einzelnen Staatsbetrieb zu diktieren. Vorgeschrieben wurde lediglich das Prinzip, dass die Gehalts- und Prlimienzahlung an die finanzielle Performance (Gewinnlage) des Betriebes und - innerhalb des Betriebes - an die individuelle Leistung der Betriebsmitglieder angekoppelt werden sOllte (Tianyuan (Hrsg.) 1994, S. 323f; Autorenkollektiv 1998, S. 202 ff.; ). Tianyuan hat die Reform der Pramienzahlung mit der Einfiihrung des internen "economic responsibility systems" verbunden.
3.2.3.3. Fazit zum Wandel der Betriebsorganisation
Ais Fazit zum Wandel der Betriebsorganisation von Tianyuan im Betrachtungszeitraum kann man folgendes festhalten:
Die Grundstruktur der Aufbauorganisation zeigte weiterhin die Grundmerkmale eines Produktionsbetriebes der Planwirtschaft, auch wenn der Betrieb durch Diversifikationen und betriebliche Ausgliederungen erste Ansatze flir eine neue Organisationsstruktur zeigte. Der soziale und politische Bereich der Betriebsorganisation wurden beibehalten bzw. fortgeflihrt. Die Reorganisation der einzelnen Funktionsabteilungen im Zeitverlauf deutete sowohl auf transformative als auch auf trage Elemente hin, wobei die tragen Elemente iiberwogen.
Die Marktorientierung der internen Produktionspianung nahm im Zeitverlauf zu. Seit 1990 gab es erste Ansatze zur ganzheitlichen Betriebsplanung und -kontrolle, auch wenn das "U'bergewicht" der Produktionsfunktion weiter existierte. Da die strategischen Rahmenplane des Betriebes (die Fiinfjahresplane) weiterhin auf Basis der allgemeinen Regierungspolitik entwickelt wurden, kann man noch nicht von der Existenz einer strategischen Betriebsplanung und -kontrolle sprechen. Mit der Einfiihrung des internen "economic responsibility systems" fand -- analog dem "management responsibility system" zwischen dem Betrieb und der Regierung - eine gewisse Dezentralisierung statt. Gleichzeitig wurden die materiellen Anreize immer enger mit dem Leistungsbeitrag der Einzelnen verkniipft. Das Leistungsprinzip gewann im reformierten Grundgehalts- und Prlimiensystem des Betriebes an Bedeutung.
3.2.4. Das Gesamtbild des Wandels
Ais Fazit sind die Veranderungen in den einzelnen Teilaspekten der Betriebsfiihrung von Tianyuan im Betrachtungszeitraum 1979-94 im Anhang 9 zusammentragen.
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3.3. Fazit zur Fallstudie "Tianyuan"
Betrachtet man den Wandlungspfad von Tianyuan im Zeitverlauf (siehe Anhang 9), kann man das Muster der graduellen betrieblichen Transformation (vgl. Seite 76f. dieser Arbeit) wiederfinden:
Zum einen fand der marktwirtschaftlich orientierte Modellwechsel der Betriebsflihrung in einer sehr langen Zeitperiode (1979-94 und dartiber hinaus) statt, ohne dass am Ende der Betrachtungsperiode die Neuorientierung in der Gesamtheit der Betriebsfiihrung von Tianyuan vollzogen wurde. Zum anderen kann man eine Serie von Entscheidungen identifizieren, die in unterschiedlichen Bereichen der Betriebsflihrung, zum unterschiedlichen Zeitpunkt getroffen wurden. Und die Anzahl der marktwirtschaftlichen Elemente in der Betriebsfiihrung nahm mit diesen Entscheidungen im Zeitverlauf schrittweise zu (siehe Anhang 9).
Am Ende des Betrachtungszeitraums zeigte die Betriebsfiihrung von Tianyuan weiterhin viele Ahnlichkeiten mit dem Grundmodell der Betriebsfiihrung eines idealtypischen Betriebes der Planwirtschaft, auch wenn einige transformative Elemente ebenfalls zu beobachten waren (siehe Tabelle 19 auf der Seite 144). Wiihrend sich manche Teilaspekte der Betriebsflihrung sehr schnell veriinderten (z. B. marktorientierte Produktpolitik und Diversifikationsentscheidung), blieben manche Elemente auch fiinfzehn Jahre nach Beginn der Systernreform kaum veriindert (z. B. soziale Fiirsorge flir die Belegschaft und die Rolle der Partei im Betrieb).
Von einer konsequenten Neuorientierung des Betriebes im Betrachtungszeitraum kann deshalb nicht gesprochen werden. In der Betriebsflihrung herrschte ein Bild, das von den planund marktwirtschaftlichen Elementen gemischt ist. In diesem Bild iiberwiegen weiterhin die planwirtschaftlichen Elemente. Der Betrieb befand sich deshalb am Ende des Betrachtungszeitraums hOchstens in der Friihphase der "unvollkommenen Transformation"82.
1m extemen Kontext von Tianyuan gab es im Betrachtungszeitraum noch eine gro8e Menge von Faktoren, die den konsequenten Modellwechsel in der Betriebsflihrung von Tianyuan behinderte bzw. verzogerte. Zu diesen Faktoren gehoren zum Beispiel
Barrieren auf dem Absatzmarkt Staatliche Mengenplanung und Preiskontrolle existierten auch Anfang der neunziger Jahre weiterhin in einigen Produktsegmenten.
Unterentwickelte Arbeits- und Sozialpolitik der Regierung
Ein funktionierender Arbeitsmarkt und ein betriebsextemes Sozialnetz fehlten bis Anfang der neunziger Jahre. Zur Vermeidung potentieller Unruhen bei Massenentlassungen ordnete die Regierung betriebsinteme Uisung des Redundanzproblems an.
Unterentwicklung der allgemeinen Infrastruktur Dies war einer der Griinde, warum Tianyuan viele Sozial- und Wohlfahrtsleistungen anbot, die auch in Zeit der fortlaufenden Ergebnis- und Liquiditiitsverschlechterung nicht gekiirzt wurden (z. B. betrieblicher Wohnungsbau zur Minderung der Wohnungsnot der Belegschaft etc.).
82 Zu den Phasen der betrieblichen Transformation und deren Bestimmung vgl. Seite 57 ff. dieser Arbeit.
146
Banieren im Finanz- bzw. Banksektor Bis in die neunziger Jahre hinein vergaben staatliche Geschiiftsbanken "weiche Kredite". Dies verzogerte die grundlegende Anderung der "free raider"-Mentalitiit der Staatsbetriebe bei der Kapitalnutzung. Eine professionelle Kapitalstrukturpolitik eriibrigte sich in diesem Umfeld.
planwirtschaftliches Verhalten der Regierung Die Regierung verhielt sich im Betrachtungszeitraum in vieler Hinsicht weiterhin planwirtschaftlich: In den sogenannten "strategisch wichtigen" Produktsegmenten behielt sie sich weiterhin Planquoten und Preiskontrolle vor. Mit planwirtschaftlichen Mitteln, wie z. B. diversen Kampagnen versuchte die Regierung, die BetriebsfUhrung in den Staatsbetrieben zu verbessern, was aber den Managementfokus yom Marktwettbewerb ablehnte und den Abbau der Behordenorientierung des Staatsbetriebes hinderte.
Banieren aufgrund des politischen Systems in China Da das politische System im Lande trotz der Reform des Wirtschaftssystems beibehalten wurde, blieb die Partei im Betrieb, auch wenn sich deren betriebsinterne Funktion zugunsten des Betriebsmanagements geiindert hat. Das Prinzip "Partei fUhrt Kader" fUhrte dazu, dass die Ernennung und Entlassung des Managements auf hoheren und mittleren Hierarchiestufen weiter yom Parteikomitee iiberpriift und genehmigt werden mussten.
Der Transformationspfad von Tianyuan hat nach Ansicht des Verfassers gute empirische Beispiele dafiir geliefert, dass der Fortschritt der Transformation in den einzelnen Teilaspekten der Betriebsfiihrung von dem Zusarnmenspiel des externen Transformationsdrucks und der internen Transformationsbereitschaft und -fahigkeit abhiingt (vgl. entsprechende Erliiuterungen auf der Seite 62 ff. dieser Arbeit). Ein Beispiel ist der Wechsel des Wachstumsmodells in der Produktion, wo sowohl der externe Transformationsdruck als auch die interne Transformationsbereitschaft und -fahigkeit gegeben waren. Ein weiteres Beispiel ist der Bereich der betriebsinternen Sozial- und Wohlfahrtsleistungen, wo weder der externe Transformationsdruck noch die interne Transformationsbereitschaft (ausreichend) vorhanden waren (siehe folgende Tabelle 20).
Die graduelle Systemreform in China ist seit 1993/94 weiter fortgeschritten. (vgl. Seite 102ff dieser Arbeit). Wie betriebliche Transformation in dem neuen Kontext verliiuft, wird in der folgenden Fallstudie niiher erliiutert.
147
Tabelle 20: Wandel des Wachsturnsrnodells und Beibehaltung interner Sozial- und
Wohlfahrtsleistungen bei Tianyuan
Beispiel Wandel des Wachstumsmodells der BeibehaItung der internen Sozial-
Produktion und Wohlfahrtsleistuneen
Externer relativ stark. denn: sehr gering. denn:
Transformations- Aufruf der Regierung zurn Fortbestehen des sozialistischen
druck Modellwechsel Paradigmas: soziale FUr- und
zunehrnendes Urnweltbewusstsein Vorsorge fur die Belegschaft als
geringere Wachsturnschancen Zweck eines SOEs
bisheriger Produktvarianten Unterentwickelte soziale
aufgrund des zunehrnenden Infrastruktur auBerhalb des
Wettbewerbs Betriebes !Obernahrne
gesellschaftlicher Aufgaben durch
den Betrieb
Interne relativ hoch. denn: sehr gering. denn:
Transformations- Hohe Bereitschaft zurn Zufriedenheit der Belegschaft mit
bereitschaft und - Modellwechsel: Die erhoffte Status quo in diesern Bereich: Jede
fahigkeit Urnsatz- und Abstreichung wUrde kollektive
Ergebnisverbesserung ermoglicht Unzufriedenheit hervorrufen.
rnehr Pramien und kollektive Mitspracherecht der Gewerkschaft
Wohlfahrtsleistungen bzw. "workers representative
Langjahriges Know-how Uber congress") I hoher Widerstand zu
Chlor-Alkali-Produktion erwarten
Fortschritt der relativ frUh und eindeutig: keine Anderung funfzehn Jahre nach
Transformation Entwicklung marktfahiger Beginn der Systernreform:
Produkte zur Substitution alter steigende Ausgaben fUr Sozial-
Produkte mit Urnweltproblernen und Wohlfahrtsleistungen
(Anfang der achtziger Jahre) verstarkter Wohnungsbau fUr die
Investitionen zur Erstellung Belegschaft
hochwertiger Produktvarianten (ab
Mitte der achtziger Jahre)
QueUe: eigene Darstellung.
148
4. Betriebliche Transformation von Shanghai Erfangji Co. Ltd. (1984-1997)
4.1. Einfiihrung
4.1.1. Grobskizze der historischen Entwicklung der Firma
Shanghai Erfangji Co., Ltd. hatte vor dem Borsengang im Jahr 1992 den Namen "StateOwned Shanghai Textile Machinery Plant Number Two". Der Name "Erfangji" ist die chinesische Abkiirzung der urspriinglichen Finnenbezeichnung. Gegriindet wurde Erfangji im Jahr 1923 von einer japanischen Textilfinna als eine ihrer Spinnereien in Shanghai. Wahrend des zweiten Weltkrieges nutzten die Japaner die Fabrik zuerst als militiirisches Logistikzentrum und spater als Munitionsfabrik. Nach dem Zweiten Weltkrieg iibemahm die damalige Nationalregierung die Fabrik. Die Haupttatigkeit dieser Fabrik wurde dann auf die Reparatur von Textilmaschinen (Spinnmaschinen) umgestellt.
1m Jahr 1949 wurde die Finna von der neuen Volksregierung libemommen. In den flinfziger Jahren fiihrte die Regierung bei Erfangji - wie bei Tianyuan - das sowjetische Modell der Betriebsflihrung ein. 1m Jahr 1958 zag die Fabrik auf Anweisung der Regierung zu dem jetzigen (groBeren) Standort am Rande der Stadt urn. Die Produktionskapazitat wurde durch staatliche Investitionen erweitert. Seitdem gehorte Erfangji zu den Branchenflihrem in China und war lange Zeit der "Hoflieferant" von Maschinen flir groBe Textilprojekte der Regierung (siehe Chronik im Anhang).
Vor der Systemrefonn war der Betrieb administrativ dem Branchenbiiro flir Textilindustrien der Stadt Shanghai zugeordnet. Zwischen dem Betrieb und dem Branchenbiiro gab es noch die Finna "Shanghai Textile Machinery and Equipment Co.", die als "industrial corporation" aile Textilmaschinenbauer in Shanghai verwaltete (vgl. hierzu Seite 90ff dieser Arbeit). Erfangji war direkt dieser Finna untergeordnet.
Die Systemrefonn bei Erfangji begann - einige Jahre spater als die bei Tianyuan - im Jahr 1984. Die Fabrik wurde von der Regierung als einer der Pilotbetriebe flir die Implementierung des "Drei-MaBnahmen-Refonnpakets" ausgewiihlt. 1m Zeitraum 1987-1990 hatte der Betrieb eine Reihe von Refonninitiativen entwickelt und implementiert. Einige dieser Initiativen wurden spater von der Regierung in ihr Refonnprogramm flir den staatlichen Industriesektor aufgenommen. Mit dem sogenannten "Erfangji-Modell" wurde Erfangji Ende der achtziger Jahre von der Regierung als einer der drei "Modellbetriebe der Systemrefonn" im staatlichen Industriesektor gefeiert.
1m Gegensatz zu Tianyuan gehorte Erfangji zu den ersten staatlichen Industriebetrieben in China, die in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurden und anschlieBend an die Borse gingen. Seit der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft im Jahr 1991 trug der Betrieb die jetzige Finna. Mit der Emission von A- und B-Aktien83 im Jahr 1992 wurde Erfangji eine borsennotierte Kapitalgesellschaft. In der folgenden Abbildung wird die Eigentlimerstruktur von Erfangji Ende 1998 dargestellt.
83 A.Aktienn wurden an die inlandischen Investoren an der Borse emittiert. B-Aktien wurden an die auslandischen bzw. auslandchinesischen Investoren emittiert (Anmerkung des Verfassers).
149
Abbildung 30: Eigenkapitalstruktur von Erfangji Ende 1998
A-Aktioniire
B-Aktionare 41%
13%
Regierung 46%
Anmerkung: A-Aktionare = chinesische Privatinvestoren. die A-Aktien erworben haben. B-Aktionare = Private
Investoren aus Hongkong. Macao und Taiwan sowie auslandische Investoren. die B-Aktien besitzen.
Quelle: eigene Darstellung mit Daten aus dem Iahresbericht 1997.
Die Anzahl der Aktioniire belief sich auf 71.699 im Jahr 1997 (davon 68.257 A-Aktioniire und 3.442 B-Aktioniire). Ende 1998 reduzierte sich die Anzahl der Aktioniire auf 66.412. Der gro8te Aktioniir ist die staatliche Holdingfirma "Pacific Mechatronic (Group) Co., Ltd. " mit einem Anteil von 46,3 %, die in Erfangji die Shareholder-Interessen des Staates wahmehmen
soIl. Diese Holdingfirma ist aus der gesellschaftsrechtlichen Umwandlung der ehemaligen
"industrial corporation" hervorgegangen, die dem Betrieb Erfangji lange Zeit direkt iiber
geordnet war84• Neben inlandischen Aktioniiren (A-Aktioniiren) hat Erfangji auch eine Reihe
von auslandischen bzw. auslandchinesischen Aktioniiren einschlie8Iich institutioneller Investoren aus der Ubersee (B-Aktioniiren). Der Anteil des einzelnen B-Aktioniirs ist jedoch, genau
so wie der Anteil des einzelnen A-Aktioniirs, sehr gering (siehe Tabelle 21 auf der Seite 151).
Die zehn gro8ten Aktioniire der Firma zum Jahresende 1998 werden in der folgenden Tabelle 21 aufgelistet.
84 Die ehemalige Industrial Corporation "Shanghai Textile Machinery & Equipment Co." wurde im Iahr 1995 zusammen mit dem Branchenbiiro fiir Textilindustrien in Shanghai in eine staatliche Holdinggesellschaft umgewandelt. Bei der Umwandlung hat man die Firma "Pacific Mechatronic (Group) Co. Ltd." als eine rein kommerzielle Holdinggesellschaft gegrtindet, die Anteile an den Shanghaier Textilmaschinenbauem halten sollte. Der rein administrative Teil der Aktivitaten der ehemaligen "industrial corporation" wurde von dem neu gegrUndeten Fachverband "Industrial Association of Textile Machinery Manufacturers" iibernommen (Interviews; Anmerkung des Verfassers).
150
Tabelle 21: Top 10 Aktionare von Etfangji zum Jahresende 1998
Aktioniir Aktien (in Anteil Millionen) in%
Pacific Mechatronie (Group) Co., Ltd. ( State-Owned 262,3 46,31 % Holding Company) HKSBC SB AlC CMB SIA Templeton Dargon Fund Inc. 5,7 1,00% ABU DHABI, UNITED ARAB EMIRATES 4,3 0,70% Sun Wengxiong 3,8 0,67 %
An Fuyou 2,8 0,49 %
WISEMAX International Limited 2,2 0,39%
HKSBC SB AlC The Bank of NEW YORK 2,2 0,38 %
HKSBC SB AlC Chase Manhattan Bank NA SIA 2,0 0,34% Templeton China World Fund Inc.
China Technology International Trust and Investment Co. 1,9 0,34%
Liao Hongjing 1,9 0,34%
Anmerkung: HKSBC SB = Hongkong and Shanghai Banking Corporation Shanghai Branche
QueUe: Erfangji Jahresbericht 1998
Aktientyp
Staat (nieht handelbar)
B B B
B
B B
B
B
B
Zur Produktpalette von Etfangji gehoren Spinnmaschinen flir Natur- und Chemiefasem sowie Maschinen flir das Farben von Spinnstoffen. Die Firma kann jedes Jahr 2.400 Spinnmaschinen flir Natutfasem und 30 Spinnmaschinen flir synthetische Fasem herstellen. In diesen beiden Produktsegmenten ist man nach eigenen Angaben derzeit der groBte Hersteller in China. Was Spinnmaschinen flir Baumwolle betraf, so war Etfangji der Monopolist in SUdchina85 .
Die Personalanzahl der Firma betrug Ende 1998 ca. 3.300 Mitarbeiter. Der Betrieb hat ein Werksgellinde von 350.000 qm.
4.1.2. Meilensteine der Systemreform bei Erfangji im Betrachtungszeitraum
1m Gegensatz zu Tianyuan gehorte Etfangji nicht zu den Pilotbetrieben in Shanghai, die bereits im Jahr 1979 mit dem Reformexperiment der Regierung starteten (vgl. Seite 106 dieser Arbeit). Die Systernreform bei Etfangji begann erst mit der Einflihrung des "Drei-MaBnahmen-Reformpaketes" im Jahr 1984 (vgl. hierzu Seite 100f dieser Arbeit).
1m Jahr 1987 begann die Reformphase des "contract responsibility systems" in Shanghai. Etfangji hat - im Gegensatz zu Tianyuan - Eigeninitiative ergriffen und stellte der Regierung den Antrag, dass nieht nur der Betriebsdirektor, sondern aIle Mitglieder von Etfangji einen kollektiven "management responsibility contract" mit der Regierung abschlieBen sollten. Etfangji kontaktierte den damaligen Ministerprlisidenten Zhao Ziyang und bekarn UnterstUtzung von der hOchsten FUhrungsspitze des Landes flir diese Reforminitiative. Somit wurde Etfangji der erste Staatsbetrieb in Shanghai, dessen Belegschaft einen kollektiven "manage-
85 Es hat bis in die neunziger Jahre hinein nur zwei HersteUer von den Spinnmaschinen fur BaumwoUe in China gegeben. Einer is! Erfangji, der andere ist ein staatlicher GroBbetrieb in Nordwestchina (Interviews FebruarlMtirz 1999).
151
ment responsibility contract" mit der Regierung abschloss (vgl. SHEC/SHIEA (Hrsg.) 1992,
197 fO. In diesem Vertrag der "kollektiven Verantwortung" wurde eine Reihe von Zielen flir den
Zeitraum 1987-1990 vereinbart: 1) Produktion: Erftillen der staatlichen Produktionsplane mit der Menge von 1986 als Basis. 2) Gewinn: Reaiisierung der Gewinne von 20,1 Millionen Yuan pro Jahr. 3) Produktentwicklung: drei neue Produktmodelle pro Jahr. (Die bestehenden
Hauptmodelle sollen bis zum Ende der Vertragsperiode mindestens die technischen Standards
des Weltmarktes Ende der siebziger oder Anfang der achtziger Jahre erreichen). 4)
Technische Emeuerung der Produktion: selbst finanzierte Investitionen von 4 Millionen Yuan pro Jahr bzw. 16 Millionen insgesamt in der Vertragsperiode zur technischen Emeuerung. 5)
Betriebsmanagement: Erreichung des Status des "first-class management enterprises" Ende 1990 und Bemlihung urn den Status des "super-class management enterprises"86.
Zur Realisierung der oben genannten Ziele hat sich die Regierung verpflichtet, die Materialversorgung flir die Produktion der staatlichen Auftrage sicherzustellen und dem Betrieb
Entscheidungsautonomie im Exportgeschaft zu gewlihren. AuBerdem wurde ein Sondermodus zur Gewinnverteilung vereinbart. Eine weitere Vereinbarung betraf die Ankopplung des Zuwachses der Grundgehaltssumme mit dem Gewinnwachstum. Flir den Fall der Ziel
erreichung wurde ein besseres Einkommen flir die Ftihrungsmannschaft in Aussicht gestellt87. 1m Jahr 1988 erhielt Erfangji die vollstandige Autonomie im Export- und Importgeschaft
und schloss mit der Regierung einen "export responsibility contract" zur Garantie des Exportumsatzes. Erfangji war der erste Staatsbetrieb in Shanghai, der vollstlindige Entscheidungsautonomie im AuBenhandel genieBen konnte. Die Regierung anerkannte gegen Ende 1998 Erfangji als den ersten Staatsbetrieb im Shanghaier Industriesektor, der vollstandige Geschaftsautonomie nach dem von der Zentralregierung in demselben Jahr erlassenen "Enterprise Law" genoss.
Mit dieser vollstandigen Geschaftsautonomie konnte Erfangji die damaligen Privilegien eines "Foreign-Invested Enterprises" (FIEs) genieBen (SHEC/SHIEA (Hrsg.) 1992, S. 46). So
wurde der Gewinnsteuersatz, der damals bei den normaien Staatsbetrieben bei 55 % lag, auf den damals flir FIEs gtiltigen Satz von 35 % reduziert. Daftir versprach Erfangji, jedes Jahr einen Mindestbetrag yom Gewinnsteuer zu zahlen, der auf der Gewinnbasis von 1987
errechnet wurde. Flir 1988 und 1989 wurden Sonderabschreibungen im Anlagevermogen genehmigt. AuBerdem durfte Erfangji jedes Jahr 2 % des Umsatzes dem betriebsintemen
"Fund flir Produktentwicklung" zuflihren.
Als Gegenleistung garantierte Erfangji die hundertprozentige Rlickzahlung der Darlehen
der Regierung88 und versprach auBerdem, zwei Bedingungen bei der Neugestaltung des mone
taren Kompensationssystems einzuhalten: a) Die Wachstumsrate der Gehaltssumme muss unter der Wachstumsrate der Gewinne vor Abgaben liegen, und b) die Wachstumsrate des
86 Es geht hier urn die von der Regierung veranstaltete Kampagne fUr "upgrading the enterprise management category", was auch Tianyuan und aile anderen Staatsbetriebe betraf. Vgl. Seite 133 dieser Arbeit und die FuBnoten.dort.
87 Das Einkommen der FUhrungsmannschaft darf zwei oder vier mal so hoch sein wie das durchschnittliche Einkommen der Belegschaft, wenn die Ziele erreicht werden. FUr die Manager mit besonderem Leistungsbeitrag kann das Einkommen vier bis sechs mal so hoch wie das durchschnittliche Einkommen der Belegschaft sein.
88 Ein norrnaler SOE durfte den Tilgungsbetrag nach den damaligen Vorschriften der Regierung zu 55 % vom Gewinnsteuer abziehen (Anmerkung des Verfassers).
152
Gehalts (ink!. Pramien) pro Mitarbeiter muss unter der Wachstumsrate der Personalproduktivitat (Wertschtipfung pro Mitarbeiter) liegen89.
1m Jahr 1991 wurde das "labour contract system" auch bei Erfangji eingefiihrt. Mit dem Abschluss der befristeten Arbeitsvertrage zwischen den Beschaftigten und dem Betrieb wurden die "eisemen Reisschiisseln" aller Beschaftigten zerschlagen. Das Vorgehen von Erfangji war iihnlich wie bei Tianyuan (SHEC/SlllEA (Hrsg.) 1992, S. 33 ff.). Sowohl der Betrieb als auch der einzelne Mitarbeiter hat theoretisch das Recht zu kiindigen. In der Praxis wurde das redundante Personal dem betriebsintemen Arbeitsmarkt zugefiihrt, da die Regierung soziale und politische Unruhe nach einer sofortigen Massenentlassung befiirchtete. Dieses Personal bekam nur das vor der Gehaltsreform giiltige niedrigere Gehalt und erhielt auch keine Pramienzahlungen.
Ein betriebsintemer Arbeitsmarkt wurde errichtet, auf dem die einzelnen Abteilungenl Produktionseinheiten frei iiber den Personaleinsatz entscheiden konnten. Erfangji errichtete ein Spezialbiiro zur Verwaltung des redundanten Personals im Betrieb. Das Biiro bietet Umschlungen bzw. Training an und unterstiitzt die Betroffenen bei der Suche nach neuer Beschaftigung. 1m Jahr 1991 wurden 219 Mitarbeiter (ca. 5 % der Belegschaft) von Erfangji aus ihren alten Posten zuriickgezogen. 40 dieser Mitarbeiter bekamen wieder neue Stellen im Betrieb. 60 Mitarbeiter fanden Arbeit auBerhalb der Firma. Der Rest wurde weiterhin von dem betriebsintemen Verwaltungsbiiro betreut (SHEC/SlllEA (Hrsg.) 1992, S. 50 ff.).
1m Vergleich zu Tianyuan hat Erfangji mit Genehmigung der Regierung einen grtiBeren Reformschritt im Jahr 1992 getan: Vergesellschaftung und anschlieBend Btirsengang. Mit dem Btirsengang wurde aus dem ehemaligen Staatsbetrieb eine btirsennotierte Aktiengesellschaft im staatlichen Mehrheitsbesitz. Dadurch wurden die Erfolge der Systemreform bei Erfangji in der zweiten Halfte der achtziger Jahre institutionalisiert: Die Trennung zwischen Management- und Eigentumsrechten wurde gesellschaftsrechtlich verankert und formal-juristisch vollzogen. Der Btirsengang brachte Erfangji auBerdem 600 Millionen Yuan frisches Kapital. Als btirsennotiertes Untemehmen ist Erfangji jedoch auch einem grtiBeren Leistungsdruck ausgesetzt (vgl. Vorwort in: Erfangji (Hrsg.) 1995).
Als Fazit kann man folgendes festhalten: Bei Erfangji hat die Systemreform fiinf Jahre spater als die bei Tianyuan begonnen. Jedoch ist die Systemreform dank eigener Reforminitiative des Betriebes und der Unterstiitzung der Regierung sehr schnell fortgeschritten. Ob oder inwieweit die oben geschilderten MaBnahmen der Systemreform die betriebliche Transformation von Erfangji weiter als die von Tianyuan vorangetrieben hat, wird im folgenden niiher untersucht. Vorher wird noch kurz die finanzielle Performance von Erfangji im betrachteten Zeitraum beschrieben.
4.1.3. Entwicklung der finanziellen Performance von Erfangji im Betrachtungszeitraum
Von Mitte der achtziger Jahre bis Anfang der neunziger Jahre (1990) erzielte Erfangji einen regelrechten Produktions- und Ergebnisboom (siehe Tabelle 22 auf der Seite 154). Dies ist in erster Linie darauf zUriickzufiihren, dass die chinesische Textilindustrie seit Beginn der Systemreform und Offnung nach auBen ein rasantes Wachstum erlebte, was auch die Investitionen der Textilbetriebe und somit den Absatz der Textilmaschinenbauer befliigelte (SHECI SlllEA (Hrsg.) 1992, S. 57 ff.). Der Binnenmarkt flir Textilmaschinen war damals quasi ge-
89 WertschOpfung = Bruttoproduktionswert - gekaufte Vorleistungen
153
schlossen: Konkurrenz aus dem Ausland hatten die chinesischen Textilmaschinenbauer noch nicht zu befUrchten, da die meisten chinesischen Kunden damals in der Regel weder Devisen noch staatliche Importgenehmigung besaBen (Interviews FebruarIMlirz 1999). Nachdem der Absatzboom der Spinnmaschinen ftir Naturfasern gegen Ende der achtziger Jahre abflaute, begann wieder der Absatzboom ftir Spinnmaschinen fUr Chemiefaser (SHEC/ SHIEA (Hrsg.) 1992, S. 67), der bis 1993/94 andauerte.
Erfangji konnte in diesem Zeitraum seine Monopolstellung in Stidchina und seinen mit staatlicher Sonderftirderung erzielten technischen Vorsprung9O ausnutzen: Neben dem groBen Stapel der den staatlichen Planquoten unterliegenden Produktionsauftragen kamen damals noch viele Anfragen von den nicht-staatlichen TVEs (Interviews FebruarIMlirz 1999). Der Zustrom von den Kundenauftragen fUhrte im Jahr 1987 zu einem akuten Kapazitatsengpass bei Erfangji, der erst mit zahlreichen Uberstunden und politischer Massenmobilisierung im Betrieb beseitigt werden konnte (SHEC/SHIEA (Hrsg.) 1992, S. 67).
Tabelle 22: Ausgewiihlte Finanzkennzahlen von Erfangji, 1980-90
In Yuan Millionen durchschnittliches Wachstum p.a. 1980 1986 1990 1980-86 1986-90 1980-90
Bruttoproduktionswert 60,9 108,0 170,0 10,0% 12,0% 10,8 % in Preisen von 1980)
Gewinn vor Steuerabgaben 10,7 20,9 43,0 11,8 % 19,9% 15,0% (in ieweilij1;en Preisen) QueUe: eigene DarsteUung mit Daten von Autorenkollektiv 1991, S. 43 und Erfangji 1991, S. 178 ff.
In den ersten drei Jahren der neunziger Jahre konnte der positive Entwicklungstrend fortgesetzt werden (siehe Abbildung 31 auf der Seite 155 und Anhang 11). 1m Jahr 1993 hat Erfangji aile bisherigen Umsatz- und Gewinnrekorde in der Firmengeschichte tibertroffen, so dass dieses Jahr von dem Vorsitzenden des Board of Directors (BOD) als "der Meilenstein der Firmenentwicklung" bezeichnet wurde (Erfangji Jahresbericht 1993).
Das Jahr 1994 bildete jedoch einen Wendepunkt. Seitdem ist der Umsatz von Erfangji kontinuierlich gesunken. 1m Jahr 1997 lag der Umsatz bereits unter dem Niveau von 1991. Der Umsatzriickgang setzte sich auch im Jahr 1998 fort (siehe Abbildung 31 auf der Seite 155). Mit dem kontinuierlichen Umsatzeinbruch verschlechterte sich auch die Ergebnislage dramatisch: Nach den chinesischen Standards der Rechnungslegung ist die Firma im Jahr 1997 zum ersten Mal seit Anfang der fUnfziger Jahre in rote Zahlen geraten (Erfangji Jahresbericht 1997). Nach den internationalen Standards der Rechnungslegung (International Accounting Standards lAS) hat die Firma bereits im Jahr 1995 begonnen, rote Zahlen zu schreiben91 • Trotz der staatlichen Subventionen von mehr als 14 Millionen Yuan wies
90 Vgl. hierzu Erlauterungen tiber die Produktpolitik von Erfangji auf der Seite 163 ff. dieser Arbeit. 91 Da Erfangji auch auslandische Aktionare (B-Aktionare) hat, wird der Jahresbericht sowohl von einem
chinesischen als auch von einem intemationalen Wirtschaftspriifer testiert. Zwischen den chinesischen und intemationalen Standards der Rechnungslegung gibt es einige Unterschiede. Vor aUem hat das Vorsichtsprinzip im chinesischen System der Rechnungslegung nicht denselben SteUenwert, wie es im intemationalen System der Fall ist. Deshalb weichen die Zahlen des intemationalen Wirtschaftsprtifers systematisch von den Zahlen des chinesischen Wirtschaftsprtifers abo Zu den Unterschieden zwischen den
154
Erfangji nach lAS weiterhin ein negatives Ergebnis nach Steuer von -32 Millionen Yuan Ende
1998 aus (siehe Zahlenmaterial im Anhang 11 und Abbildung 31 auf der Seite 155).
Aufgrund der hohen Anlageinvestitionen in den ersten drei Jahren nach dem Borsengang
(1992-94) sowie der wachsenden Inanspruchnahme des Working Capital entstand eine hohe
Kapitalbindung, die nicht im gleichen Schritt wie der Umsatz zuriickging. Sinkende Umsatze
und Ergebnisse auf der einen Seite und hoch bleibende Kapitalbindung auf der anderen Seite
flihrten zur Verschlechterung der Liquiditatslage der Firma. Das Niveau der Bankverbindlichkeiten der Firma stieg schnell an (siehe Abbildung 32).
An der Borsen mussten die A- und B-Aktionlire dramatischen Wertverlust ihrer Anlage
hinnehmen. Der exteme Shareholder Value92, der sich aus der Marktkapitalisierung der Firma
errechnen lasst, ist von knapp 2.400 MiIlionen Yuan Ende 1993 auf nur 880 Millionen Yuan
Ende 1998 gesunken. Somit hat die Firma flinf Jahre nach dem Borsengang knapp zwei Drittel ihres Marktwertes veri oren (siehe Tabelle 23).
Abbildung 31: Umsatz- und Ergebnisentwicklung von Erfangji 1991-98*
~~~~8~~~ 843
633 655
533 501 446 ____ 42R. ______ _
308
72 67
-213
o Umsatz • Gewinn vor Steuer
• Zahlen auf der Basis von lAS.
Quelle: eigene Darstellung mit Daten aus den lahresberichten von Erfangji 1992-98
chinesischen und internationalen Standards der Rechnungslegung vgl. Ge Ming 1996. S. 316 ff. sowie Weltbank 1997. S. 65 ff. und vor allem Seite 70.
92 Der externe Shareholder Value ist der durch den Kapitalmarkt bewertete Unternehmenswert der Firma. Vgl. hierzu McTaggart et al. 1994. S. 59fund S. 64 f.
155
Abbildung 32: Investiertes Kapital * von Erfangji und der Anteil der Bankverschuldung,
1991-97
1200
1000
~ >- 800
J ~600 .S
400
200
o
Borsengang 1992 (Kapitalaufnahme
600 Millionen Yuan)
1991 1992
50%
45%
40%
35%
30%
25%
20%
15%
10%
5%
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c::::J Anlagevermogen - Working Capital ...... Anteil der Bankverbindlichkeiten
• 1nvestiertes Kapital (capital employed) = Anlagevermogen+ (Umlaufvermogen - kurzfristige nicht verzinsliche Verbindlichkeiten) = Anlagevermtlgen + Working Capital = Eigenkapital + Bankverbindlichkeiten. Bankverbindlichkeiten = langfristige Bankdarlehen + kurzfristige Bankkredite. (AUe Betr~ge nach lAS) QueUe: eigene DarsteUung mit Daten aus den Jahresberichten von Erfangji 1992-98.
Tabelle 23: Entwicklung der Aktienkurse (Jahresultimo) und des Marktwertes von Erfangji,
1993-98
Jahr 1993 1994 1995 1996 1997 1998
Kurs der A-Aktie (in YuanlAktie) 8,84 5,05 4,00 4,34 4,40 5,15
Kurs der B-Aktie (in US$/Aktie) 0,800 0,200 0,144 0,172 0,076 0,056
Anzahl der A-Aktie in Mio. 1) 53,48 53,48 58,83 64,71 71,18 71,18
Anzahl der B-Aktie in Mio. 1) 175,00 175,00 192,50 211,75 232,93 232,93
Marktkapitalisierun~ in Mio. Yuan 2) 1.279 550 457 572 455 475
Marktwert der Firma in Mio. Yuan 3) 2.383 1.024 851 1.066 847 884 Anmerkung: 1) Die Anzahl der Aktien wurde im Jahr 1995. 1996 und 1997 durch Herausgabe von Gratisaktien bzw. Kapitalerhohung aus GeseUschaftsmitteln erhoht. 2) Marktkapitalisierung = Anzahl der A-Aktie x Kurs der A-Aktie + Anzahl der B-Aktie x Kurs der B-Aktie x US$-Kurs in Yuan. Der US$-Kurs ist der Jahresdurchschnittskurs. 3) Marktwert der Firma = "external shareholder value" = Marktkapitalisierung I (Anzahl der Aktien im Umlauf I Gesamtanzahl der Aktien)
QueUe: eigene Berechnung und Darstellung mit den Rohdaten aus den Jahresberichten 1993-97 (US$-Kurse ent
nommen aus SSB 1998a).
156
Dass der Anfang der neunziger Jahre von der Regierung als "Modellbetrieb der Systemreform" bejubeJte Staatsbetrieb innerhalb von fUnf Jahren zum Kandidaten der Sanierung geworden ist, bedarf einer genaueren Ursachenanalyse. Ungiinstige Rahmenbedingungen auf dem relevanten Markt haben ohne Zweifel zur miserablen Performanceentwicklung von Erfangji beigetragen (Erfangji Jahresberichte 1994-1998; Interviews FebruarlMlirz 1999; Chen Xing Securities (Hrsg.) 1998):
Zum einen flaute der Absatzboom der Spinnmaschinen fUr Chemiefasern seit 1994 abo Insgesamt ist die chinesische Textilindustrie nach dem rasanten Wachstum in den achtziger Jahren in eine Konsolidierungsphase eingetreten. Das Preisniveau der Textilprodukte ist aufgrund des intensiven Marktwettbewerbs kontinuierlich gesunken. Gleichzeitig ist der Preis von den Rohstoffen (z. B. Baumwolle) schnell angestiegen. Ergebnis - und Liquiditiitsprobleme haben die Investitionstiitigkeiten vieler Textilbetriebe geliihmt. Der Riickgang der Investitionen ist zum Teil auch auf die damalige restriktive Finanz- und Geldpolitik der Regierung zuruckzufUhren. Viele Kreditbetriebe bekamen weder von der Regierung noch von den staatlichen Banken Kredite fUr ihr Investitionsvorhaben. Dies schlug sich direkt in den Absatzzahlen der Textilmaschinenbauer nieder.
Zum anderen trug der Anfang der neunziger Jahre begonnene Markteintritt ausliindischer Hersteller zum Absatzproblem der chinesischen Textilmaschinenbauer bei: Die in den achtziger Jahren noch vorhandenen Marktbarrieren wurden im Rahmen der Systernreform sukzessivabgebaut. Intensiver Marktwettbewerb fUhrte zum deutlichen Riickgang des Preisniveaus auf dem Absatzmarkt. Gleichzeitig stiegen die Preise fUr Energie und Rohstoffe (z. B. Stahl) an. All dies hat zur deutlichen Verschlechterung des Branchenrentabilitiit ab Mitte der neunziger Jahre gefUhrt.
SchlieBlich wurde Erfangji von der sogenannten "Industriepolitik" der Regierung fUr die Textilbranche besonders hart getroffen. Die Regierung plante, dass im Jahr 2000 der Marktanteil der chinesischen Textilbetriebe auf dem einheimischen Markt auf 70 % und der Anteil des Exportumsatzes am gesamten Branchenumsatz von ca. 11 % auf 25 % erhoht werden sollten. Urn diese Ziele zu erreichen, soli ten die chinesischen Textilbetriebe nach Ansicht der Regierung ihre Produktprogramme restrukturieren und mit besserer Technologie hochwertige Produkte herstellen. Deshalb sollte man die vermeintliche "Uberkapazitiit" in den sogenannten "low end"-Segmenten abbauen und Investitionen in neuere Technologien tiitigen. Zum Abbau der "Uberkapazitiit" hat die Regierung 1997 beschlossen, innerhalb von drei Jahren 10 Millionen Spindeln im Baumwollsegment abzubauen. Eine der MaBnahmen der Regierung zur Kontrolle des gesetzten Kapazitiitsziels war es, allen Textilmaschinenbauern den Inlandabsatz von Spinnmaschinen fiir Baumwolle zu verbieten. Somit hat Erfangji ab August 1997 keine einzige Spinnmaschine fUr Baumwolle im Inland verkaufen konnen (vgl. Erfangji Jahresbericht 1994-97; Chen Xing Securities (Hrsg.) 1998; Interviews).
Hinzu kam noch die Wiihrungs- und Wirtschaftskrise in Asien seit der zweiten Hiilfte von 1997. Der Exportmarkt von Erfangji wurde nicht unerheblich beeintriichtigt (Jahresbericht 1998). Da asiatische Nachbarliinder hintereinander ihre Wiihrungen abwerten lassen und die chinesische Regierung zum Teil aus politischen Grunden den Kurs der Volkswiihrung RMB Yuan stabil hielte, konnten siidkoreanische und taiwanesische Chemiefaserhersteller ihre Wettbewerbsfahigkeit gegeniiber ihren chinesischen Konkurrenten ausbauen. Auch im Inlandsmarkt veri oren chinesische Chemiefaserfabriken Marktanteile an Billigimporte aus Siidostasien. Somit wurden viele Investitionsprojekte in der chinesischen Chemiefaser-
157
industrie gestoppt oder hinausgezogert, was das Umsatzproblem von Erfangji zusatzlich verschiirfte (Jahresbericht 1998; Interviews FebruarlMiirz 1999).
Was fUr diese Arbeit interessant ist, ist die Frage, ob oder inwieweit sich Erfangji nach den vielen ReformmaBnahmen einschlieBlich des Borsengangs von einem "planwirtschaftlichen Produzenten" zu einem "marktwirtschaftlichen Wertmanager" transformiert hat. Ware betriebIiche Transformation erfolgreich gewesen, hatte sich Erfangji frUhzeitig bemUht, den Shareholder Value trotz des schwierigen Marktumfeldes zu sichem. Hatte Erfangji weiterhin auf dem planwirtschaftlichen Denk- und Verhaltensmuster verharrt, ware das Performanceproblem mindestens zum Teil "hausgemacht" gewesen.
Trommsdorff ISchuchardt (1998, S. 236 ff.) vertreten nach deren Beobachtung in ost- und mitteleuropaischen Liindem die These, dass es durchaus Staatsbetriebe gibt, die zwar "transformationserfolgreich" aber wenig "markterfolgreich" sind. SoIchen Typ der Staatsbetriebe bezeichnen die Autoren als "prisoner", da diese Betriebe "durch starke strukturelle undloder umweltbedingte EinflUsse daran gehindert werden, sich aus ihrer Situation zu befreien" (Trommsdorff/Schuchardt 1998, S. 237). "Es gelingt ihnen nicht, den Teufelskreis aus nicht marktfahigen Produkten, fehlenden Gewinnen und mangelnden Investitionsmitteln fUr Produktionsveranderungen zu durchbrechen." (ebenda). Db Erfangji "marktfahige" Produkte im Betrachtungszeitraum besaB: damber kann man diskutieren. Dies wird auch in den nachsten Abschnitten niiher analysiert. Dass aber Erfangji durch Borsengang im Jahr 1992 frisches Kapital von ca. 600 Millionen Yuan eingenommen und bis Anfang 1994 Gewinne erwirtschaftet hat, erlaubt die einfache Zuordnung von Erfangji zum "prisoner"- Typ der Transformationsbetriebe nicht.
Zur Gewinnung eines vertieften Verstlindnisses fUr die Probleme von Erfangji muss man deshalb das Feld der quantitativen Indikatoren verlassen und den vollzogenen (oder auch nicht vollzogenen) "Modellwechsel" in der BetriebsfUhrung untersuchen. 1m folgenden wird der Wandel der BetriebsfUhrung von Erfangji im Zeitraum 1984-98 niiher betrachtet.
4.2. Wandel der Betriebsfiihrung von Erfangji im Betrachtungszeitraum
4.2.1. Wandel der angegebenen langfristigen Betriebsziele
Seit Anfang der achtziger Jahre gab Erfangji - wie Tianyuan - das ergebnisorientierte, qualitative Wachstum als grundlegendes Betriebsziel an (vgl. Huang 1994; vgl. Seite 116 dieser Arbeit). Anfang der neunziger Jahre formulierte Erfangji den sogenannten "Zehnjahresplan der Betriebsentwicklung" (1990-2000). In diesem Zehnjahresplan wurde die Gewinnsteigerung als das zentrale Betriebsziel genannt. Nach diesem Plan sollte der Gewinn des Betriebes Ende der neunziger Jahre im Vergleich zum Gewinn im Jahr 1990 verdreifacht werden.
Wie Tianyuan verfolgte auch Erfangji das Ziel, die Belegschaft mit Sozial- und Wohlfahrtsleistungen zu versorgen. In dem oben genannten "Zehnjahresplan" sah Erfangji die Sozialund Wohlfahrtsleistungen fUr die Belegschaft sowohl als Zweck als auch Mittel eines "modemen sozialistischen Betriebes" (modem socialist enterprise) an: "Die sozialistische Modemisierung zielt darauf, die sich immer erhohenden materiellen und immateriellen BedUrfnisse des Volkes zu befriedigen. Unter der Voraussetzung, dass Produktion und betriebliche Modemisierung Fortschritt machen, soli das Wohlfahrtsniveau der Belegschaft
158
weiter erhtiht werden, urn mtiglichst die vielfaitigen materiellen und immateriellen Bediirfnisse der Mitarbeiter zu befriedigen. Die Verbesserung der Wohlfahrtsleistungen ist gleichzeitig ein Mittel daflir, im Interesse der betrieblichen Weiterentwicklung die Anziehungskraft des Betriebes zu erhtihen und die Mitarbeiter flir mehr Engagement und Kreativitiit zu motivieren. "(Erfangji 1991, S. 188-189. Obersetzung durch den Verfasser).
Der Untemehmensauftrag (business mission) in der Satzung der bOrsennotierten Gesellschaft wurde auch entsprechend dem Ideal eines "modemen sozialistischen Betriebes" formuliert. Nach der Vorstellung von Erfangji ist dieser ideale Betrieb mit Hochtechnologie ausgerustet, bietet dem Markt hochwertige Qualitiitsprodukte an, realisiert nachhaltig Gewinne und Wertsteigerungen flir aile Aktioniire und steigert gleichzeitig das Einkommen und die Wohlfahrt der Belegschaft (vgl. §12 des neuen Statuts der Gesellschaft, Erfangji 1998).
Dass Erfangji nicht mehr Produktionsmaximierung sondem Gewinnerzielung als Betriebsziel nannte, kann als ein Transformationsfortschritt gesehen werden. Auf das sogenannte Ideal des "modemen sozialistischen Betriebes" hat Erfangji jedoch im Zeitverlauf nicht verzichtet.
4.2.2. Wandel der Betriebsaktivitiiten
4.2.2.1. Gestaltung des Geschiiftsportfolios
Das Stammgeschiift von Erfangji war (und ist) Textilmaschinenbau. Der Betrieb hatte seit 1958 eine Reihe von vertikal integrierten Werkstiitten auf demselben Betriebsgeliinde. Erfangji konnte z. B. in eigenen Werkstiitten Schmiedeteile erzeugen, Metallbleche verarbeiten, Elektrokomponenten herstellen, Endmontage betreiben und flir eigene Maschinen Werkzeuge und Ersatzteile produzieren. Die autarke Produktionsstruktur aus der Zeit der Planwirtschaft ist im Zeitverlauf unveriindert geblieben93.
In den Jahren des "GroBen Sprungs nach vom" (1956-60) hatte Erfangji neben dem Textilmaschinenbau zeitweise auch Stahlproduktion, Koksproduktion, Viehzucht und Getreideanbau betrieben (siehe Chronik im Anhang 10). Diese kurzlebigen Diversifikationen erfolgten jeweils auf Anweisung der Regierung (Partei) bzw. als Reaktion auf den Aufruf der Regierung (Partei). Von einer klaren Diversifikationsstrategie des Betriebes kann hier kaum gesprochen werden.
1m Jahr 1985 griindete Erfangji eine Dienstleistungsfirma als betriebsinteme LOsung des Problems der Personalredundanz. Ende 1988 wurde zur ErschlieBung zusiitzlicher Einkommensquellen flir eigene Pensioniire eine weitere Dienstleistungsfirma gegriindet. Diese lateralen Diversifikationen in der zweiten Hiilfte der achtziger Jahre zeigen groBe Ahnlichkeit zu denen von Tianyuan in demselben Zeitraum (vgl. Seite 119f. dieser Arbeit).
Der Diversifikationsboom der Firma begann nach dem Borsengang in den Jahren 1992 und 1993 (siehe folgende Tabelle). Die meisten der Diversifikationen waren lateral. Mit diesen Diversifikationen verfolgte das Management zwei Ziele: Zum einen sollten "neue Wachstumsfelder" auBerhalb des Stammgeschiifts erschlossen und die einseitige Abhiingigkeit von dem Textilmaschinenbau reduziert werden. Zum anderen nahmen viele der neu gegriindeten
93 Nach dem Ergebniseinbruch Mitte der neunziger Jahre begann das Betriebsmanagement Gedanken tiber Fremdvergabe interner Aktivitaten (outsourcing) zu machen. Konkrete Entscheidungen sind jedoch bis Ende 1998 noch nicht getroffen worden (vgl. Seite 169 dieser Arbeit).
159
Tochterfinnen redundantes Personal aus dem Mutterhaus auf. 1m Jahr 1995, am Ende des Diversifikationsbooms, beschiiftigten die Tochterfinnen von Erfangji 1.200 Mitarbeiter, was knapp ein Viertel des gesamten Personals der Finna in dem Jahr betrug (Zhen 1995, S. 7).
BezUglich dieser Diversifikationen gab es unterschiedliche Meinungen im Betrieb und im BOD. Kritisiert wurden vor allem zwei Punkte: Mangel an einer k1aren Diversifikationsstrategie und voreiIige Investitionsentscheidungen des Managements ohne BerUcksichtigung potentieller Risiken. Dass Erfangji in die yom Starnmgeschiift weit entfemten Geschiiftsfelder, wie z. B. Schnellimbiss (fast food), Immobilien, Taxibetrieb und Handel usw. eindrang, nahm in der Tat viele Ressourcen der Finna (unter anderem Managementressourcen94) in Anspruch und brachte wenig Potential fUr effektives Synergiemanagement.
In den Jahren 1992 und 1993 hatte Erfangji eine sehr gute Ergebnislage und auBerdem das Geld aus der Aktienemission, so dass die vielen Diversifikationsprojekte neben den groBen Projekten im Stammgeschiift (vgl. Seite 163 und Seite 170 dieser Arbeit) finanziert werden konnten. Ein Interviewpartner kommentierte hierzu: "Damals wusste unser Betriebsdirektor nicht mehr, was man mit so viel Geld machen soli. Man ist leicht anflUlig fUr das Investitionsfieber. ... Einige dieser Entscheidungen (zur Diversifikation) sind aus heutiger Sicht Fehlentscheidungen." (Interview FebruarlMiirz 1999).
Nach Auffassung des Verfassers dUrfte hier auch die mangelhafte Kontrolle der Managemententscheidungen durch die Aktioniire ein wichtiger Grund fUr die "Fehlentscheidungen" von Erfangji gewesen sein. Denn aufgrund des hohen Anteils der Regierung an Erfangji und der Zersplitterung des privaten Kapitals war die Stimme der in- und ausliindischen Privatinvestoren im BOD sehr schwach. Topmanager von Erfangji kontrollierten die Meinungsmehrheit im BOD ("insider control")95: Unter den 20 Direktoren im BOD im Zeitraum 1992-94 gab es zwOlf "insider"-Direktoren aus der alten FUhrungsmannschaft von Erfangji (vgl. Seite 176 dieser Arbeit). Die Regierung war im Zeitraum 1992-1994 durch die "insider"Direktoren im BOD vertreten, weil man damals noch nicht kliiren konnte, welche der dem Betrieb Ubergeordneten Behorden als juristische Person die Rolle des staatlichen GroBaktioniirs Ubemehmen sollte. Die A-Aktioniire wurden durch fUnf Direktoren vertreten, die von den staatlichen Treuhand- und Investmentgesellschaften ins BOD versandt wurden. BAktioniire hatten nur drei Stimmen im BOD. Die Vertreter der B-Aktioniire sollten damals im BOD vergebens gegen manche Investitionsprojekte gestimmt haben (Interview FebruarlMiirz 1999)96.
94 Es mangelte in der Anfangszeit an quaJifiziertem Managementpersonal fUr die neu gegrtindeten Tochterfirmen. Erfangji musste viele FUhrungskr~fte auf der mittleren Hierarchieebene der Firma sowie sonstige Fachkrafte des Mutterhauses zur externen Schulung schicken, urn diese binnen kurzer Zeit ftir die Ftihrungsaufgaben in den neuen Geschaftsfeldern zu qualifizieren (vgl. Chen 1995).
95 Auf die Gefahr. dass das Management eines Staatsbetriebes die Meinungsmehrheit im BOD kontrollieren und ein "corporate governance vacuum" durch "insider control" verursachen konnte. hat die Weltbank (1997) in einer Studie aus dem Jahr 1996 hingewiesen. 1m Rahmen dieser Arbeit konnte das Problem der "insider control" nieht detailliert behandelt werden (vgl. Weltbank 1997. S. 50 ff.). Die verfiigbaren empirischen Materialien lassen keine konkreten Aussagen tiber die Lage bei Erfangji zu. Deshalb formuliert der Verfasser hier nur den Verdacht. dass "insider control" gewisse Rolle bei den "Fehlentscheidungen" von Erfangji zur Diversifikation gespielt haben konnte (Anmerkung des Verfassers).
96 Seit 1995 wurden die B-Aktion~re in dem neu gewahlten. 12-kopfigen BOD nicht mehr vertreten. Die "insider"-Direktoren kontrollierten mit sechs Sitzen weiterhin die Meinungsmehrheit. Die inlandischen institutionellen Investoren hatten drei Sitze. Und die staatliche Holdinggesellschaft schickte seit 1995 drei eigene Personen ins BOD.
160
Nachdem das Stammgeschaft seit 1994 dramatischen Umsatz- und Ergebniseinbruch erlitt, gewannen die Tochterfirmen zunehmend an Bedeutung fUr die Ergebnislage des Mutterhauses. Deshalb versuchte Erfangji ab 1996, die finanzielle Performance der vielen Tochterfirmen und Beteiligungen enger zu kontrollieren. AuBerdem begann Erfangji, sich aus einigen Diversifikationsprojekten zurUckzuziehen. So wurden zwei Beteiligungen in diesem Zeitraum veriiuBert ("Hehe AuBenhandel" im Jahr 1994 und "Xin Ya Fast Food" im Jahr 1997). 1m Jahr 1998 veriiuBerte Erfangji seinen Taxibetrieb. AuBerdem verkaufte Erfangji das Grundstiick einer der Tochterfirmen im Bereich der Komponentenherstellung. Anfang 1999 prUfte Erfangji die Moglichkeit weiterer VeriiuBerungen in den Nebengeschaftsfeldem, urn die erwartete Ergebnisliicke im Stammgeschiift durch VeriiuBerungsgewinne zu schlieBen (Interviews FebruarIMiirz 1999). Das mit SKF Deutschland gegrtindete Joint venture fUr Spindelproduktion, das seit seiner GrUndung im Jahr 1995 stets rote Zahlen geschrieben hatte, wurde im Einvemehmen mit dem Joint venture-Partner aufgelost (Jahresbericht 1998; Interviews FebruarIMiirz 1999).
Als Fazit kann man festhalten, dass Erfangji seit Anfang der neunziger Jahre zahlreiche Nebengeschiiftsfelder betrat. Dabei hat das damalige Management das Geschiiftsportfolio zu schnell, zu viel und teilweise auch in die dem Stammgeschiift weit entfemten Geschiifts-felder diversifiziert. Nach Ansicht des Verfassers ist dies mindestens zum Teil auf den Mangel an Erfahrungen strategischer und Shareholder Value-orientierter UntemehmensfUhrung zurUckzufiihren. Die Fehlentscheidungen des Managements konnten im von den "insiders" dominierten BOD nicht verhindert werden. Es mangeite an effektiver Kontrolle durch die Aktionare. Vor allem waren die kritischen Stimmen der Privatinvestoren sehr schwach im BOD.
Nach dem Umsatz- und Ergebniseinbruch 1994 ging Erfangji jedoch schrittweise zur Bereinigung des Geschiiftsportfolios tiber. Durch gezieite VeriiuBerungen ausgewiihlter Tochterfirmen und Beteiligungen tat Erfangji erste Schritte zum Portfoliomanagement. Diese Entwicklung ist nach Ansicht des Verfassers als ein groBer Transformationsfortschritt zu bewerten, wenn man bedenkt, dass der Betrieb am Beginn der Betrachtungsperiode noch ausschlieBlich auf der Produktionssteigerung fokussiert war.
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4.2.2.2. Betriebsaktivitliten im Stammgeschiift
4.2.2.2.1. Aktivitaten im Entscheidungsfeld "Operating"
1) Produktpolitik I Produktentwicklung
1m RUckblick auf die historische Entwicklung von Erfangji seit den fUnfziger Jahren kann man feststellen, dass die Regierung die Produktpolitik von Erfangji stets stark beeinflusst hat (vgl. Chronik von Erfangji im Anhang 10). Vor der Systemreform war die Regierung "der" Auftraggeber fUr Erfangji. Neue Maschinentypen oder -varianten wurden auf Anfrage der
Regierung entwickelt und hergestellt. Dadurch konnte Erfangji selbst in den achtziger Jahren in bestimmten Produktsegmenten Monopolstellung auf- bzw. ausbauen.
So gab die Regierung Erfangji Anfang der achtziger Jahre die Aufgabe, durch Technologietransfer aus dem Ausland modernere Spinnmaschinen fUr Chemiefasern herzustellen (SHECI SHIEA (Hrsg.) 1992, S. 84f; siehe auch Chronik im Anhang 10). 1m Jahr 1982 importierte Erfangji mit staatlieher Finanzierung moderne Produkttechnologie aus Japan. 1m Jahr 1984 begann Erfangji - unter FederfUhrung des damaligen Ministeriums fUr Textilindustrie - die Zusammenarbeit mit der deutschen Firma BARMAG97. 1m Rahmen dieser Zusammenarbeit produzierte man gemeinsam die Modelle von BARMAG fUr China. Mit den neuen, hochwertigen Maschinentypen im Produktsegment "Chemiefaser" konnte Erfangji die gr08e Chance des Absatzbooms Ende der achtziger Jahre und Anfang der neunziger Jahre wahrnehmen.
Aufgrund der guten Erfahrung mit dem Technologietransfer in der ersten Hiilfte der achtziger Jahre, versuchte Erfangji seit Mitte der achtziger Jahre das Konzept "Betriebsaufschwung durch Technologie" zu implementieren (SHEC/SHIEA (Hrsg.) 1992, S. 81£). Inhaltliche Eckpunkte dieses Konzeptes sind vor all em Entwicklung der sogenannten "high tech"-Maschinen (auf Basis von Imitationen) sowie Investitionen in hochmodernen Produktionstechnologien (vgl. Huang 1994, S. 4). Die Produktpolitik von Erfangji wurde somit auf die Hochtechnologie ausgerichtet.
Anfang der neunziger Jahre begann Erfangji im Auftrag der Regierung, Technologie fUr hochmoderne "Autoconers" (automatische Kegelwindemaschinen) aus dem Ausland zu importieren und die Produktion dieser Maschinen zu nationalisieren. Das Projekt wurde als "das gro8te Hochtechnologieprojekt der Textilbranche seit der GrUndung der Volksrepublik" gefeiert (Jahresbericht 1994). Ais der Umsatz der Firma 1994 sank, setzte das Management die Hoffnung auf den Erfolg dieses Projektes. Markterfolg dieses Projektes ist jedoch bis zum Abschluss dieser Arbeit (Juni 1999) nieht eingetreten worden.
Man kann am konkreten Verlauf des ,,Autoconers"-Projektes die planwirtschaftlichen Spuren in der Produktpolitik von Erfangji eindeutig identifizieren: Das Ministerium fUr Textilindustrie plante Anfang der neunziger Jahre, die Anzahl der in der chinesischen Textilindustrie eingesetzten ,,Autoconers" von darnals 1.500 StUck auf 4.000 StUck im Jahr 2000 zu erhiihen. Dadurch soUten nach Meinung des Ministeriums die Produktionsanlagen chinesischer Textilbetriebe modernisiert werden. Das Ministerium gab Erfangji die Aufgabe, entsprechende
97 Barmer Maschinenfabrik AG (Anmerkung des Verfassers).
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Produkttechnologie ins Land einzufUhren. Damals gab es Angebote aus Japan, Italien und
Deutschland. Das "high tech"-Angebot kam von der deutschen Firma Schlafhorst und war am teuersten. Japanische und italienische Hersteller haben billigere Varianten angeboten. Erfangji glaubte, dass man nur mit der Hochtechnologie den Markt erobern kilnnte, und setzte sich durch, das deutsche Angebot aufzunehmen.
Erfangji plante, ab Mitte der neunziger Jahre eine Produktionskapazitat von 500 StUck aufzu
bauen. Dabei sollten 70 % der Komponenten nationalisiert werden (local content). Als
Grundlage der Planung diente die oben genannte Branchenplanung des Ministeriums fUr Texti!industrie. 1m Zeitraum 1992-95 tatigte Erfangji Investitionen in Anlagevermilgen in Hilhe von
192 Millionen Yuan. Ein neuer Produktionsstandort in der Wirtschaflssonderzone Pudongl Shanghai wurde errichtet und die komplette SchlUsselausriistung der Produktion aus dem Ausland importiert.
Der Markt entwickelte sich jedoch nicht so, wie die Planer im Ministerium und von Erfangji
vorgestellt hatten. Bis Ende 1994 produzierte Erfangji nur 42 StUck dieser Maschinen, wei! nur 36 Maschinen in demselben Zeitraum verkauft werden konnten (Jahresbericht 1994). 1m Jahr 1995 hat Erfangji aufgrund der fehlenden Marktnachfrage im ganzen Jahr nur 16 StUck produziert (J ahresbericht 1995). 1m gesamten Zeitraum 1993-1998 wurden wegen fehlender
Marktnachfrage nur ca. 100 StUck dieser Maschinen hergestellt (Interviews Mlirz 1999). Die hohen Betriebskosten und Kapitaldienste konnten kaum durch erzielte Umsatzerlilse gedeckt werden. Das damals hoch bejubelte Prestigeprojekt entwickelte sich somit zum grilBten Verlustprodukt von Erfangji. 1m Jahr 1998 musste die Regierung Erfangji Subventionen von
insgesamt 14 Millionen Yuan gewiihren, urn die hohen Verluste aus diesem Projekt mit zu finanzieren (Interviews Mlirz 1999).
Nach Ansicht des Verfassers ist der Misserfolg des "Autocomers"-Projektes vorprograrnmiert: Zum einen ist das Projekt ein Produkt der staatlichen Branchenplanung und von Anfang an stark planwirtschaftlich gefarbt. Das Ministerium plante ohne detaillierte Marktforschung, dass die Textilbranche Ende des Jahrhunderts ca. 4.000 StUck Autoconers einsetzen wiirde. Erfangji ging auf dieser Grundlage davon aus, dass der Betrieb 500 StUck pro Jahr absetzen kilnnte. Es herrschte in diesem Projekt weiterhin die planwirtschaftliche Vorstellung, dass man alles absetzen kann, was man produziert hat.
Zum anderen entstand das Projekt in einer Zeit, wo es noch staatlichen Marktschutz gab.
Erfangji war Anfang der neunziger Jahre der einzige Textilmaschinenbauer in China, der im
Auf trag der Regierung die Technologie des Autoconers importieren durfte. Man hatte bei der
Durchfiihrbarkeitsstudie kaum die Auswirkung des potentiellen Marktwettbewerbs beruck
sichtigt. Seit Mitte der neunziger Jahre hat die Regierung aber den Technologieimport in diesem Bereich liberalisiert. Sowohl japanische als auch italienische Hersteller verkauften nun
ihre Produkttechnologie an chinesische Hersteller in anderen Provinzen. Da deren Modelle
wesentlich billiger als das Modell von Schlafhorst sind, konnten die Wettbewerber schneller als Erfangji Abnehmer finden. Erfangji bekam nun die bittere Erfahrung, dass sich auch in China nicht das Produkt mit dem htichsten Technologiegehalt, sondem nur das "marktflihige" Produkt verkaufen llisst.
Der Verlauf dieses Projektes zeigt die enge Verflechtung zwischen Regierung und Erfangji trotz der Systemreform in China. Es war das Ministerium, das Erfangji zur Projektdurchfiihrung auswahlte. Erfangji genoss in der Anfangsphase auch den staatlichen Marktschutz
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durch die Exklusivitat in der Projektbearbeitung. Als der Markt sich anders entwickelte und die Regierung den Monopolschutz abbaute, geriet Erfangji in Schwierigkeiten. Nun sprang die Regierung als "Feuerwehnnann" mit Subventionen ein.
Der Misserfolg des Prestigeprojektes und die dramatische Umsatz- und Ergebnisverschlechterung seit 1994 flihrte dazu, dass Erfangji im Jahr 1996 die Neudefinition der Produktpolitik anklindigte: Verstiirkt werden sollte die Entwicklung von "marktflihigeren" Produkten. Die laufenden Projekte sollten liberpriift und gegebenenfalls neu positioniert werden. AuBerdem sollte das "science & technology commission" als ein betriebsintemes Beratungsgremium flir wichtige Produkt- und Investitionsentscheidungen errichtet werden (Jahresbericht 1996).
Seit 1997 begann Erfangji angesichts der dlisteren Entwicklungsaussicht der Textilbranche, horizontale Diversifikation des Produktprogramms zu betreiben. Nicht mehr die Produkte (Textilmaschinen), sondem die in den letzten Jahren eingeflihrte modeme Produktionstechnologie sollte vennarktet werden. Man holte z. B. Auftrage zur Herstellung der Hochprazisionsteile flir die chinesischen Kemkraftwerke (Jahresbericht 1997). Im Jahr 1998 versuchte Erfangji Prazisionsteile flir einen chinesisch-auslandischen Joint venture zu produzieren (Interviews FebruarlMarz 1999). Im Stammgeschaft Textilmaschinenbau hat man die Entwicklung von Chemiefasennaschinen mittlerer Klasse intensiviert. Die bestehenden Modelle in diesem Bereich soli ten durch Kostensenkung verbilligt werden. Die Spinnmaschinen flir Baumwolle sollten flir den Exportmarkt bestimmt werden (Erfangji Jahres-bericht 1997).
Als Fazit kann man festhalten, dass die Produktpolitik von Erfangji bis Anfang der neunziger Jahre unter starkem Einfluss der Regierung stand und einen deutlich planwirtschaftlichen Charakter hatte. Spatestens ab 1996 begann bei Erfangji der Wandel zu einer eigenstandigen, mehr marktorientierten Produktpolitik. Den kritischen Wendepunkt bildeten der Misserfolg des Prestigeprojektes "Autoconer" und der dramatische Umsatz- und Ergebniseinbruch seit 1994.
2) Vertrieb IServices und Preispolitik
In den Jahren des Absatzbooms herrschte flir Erfangji ein Verkaufennarkt im Inland (vgl. Seite 153f dieser Arbeit). Die Kundenorientierung der Vertriebs-/Service-Funktion war gering. Kunden aus anderen Provinzen kritisierten: "Bei Erfangji hat man drei Schwierigkeiten: Die Tlir (der Vertriebsabteilung) ist schwer zu betreten; Das Gesicht (des Vertriebspersonals) ist schwer zu sehen; Die Spriiche (des Vertriebspersonals) sind schwer zu ertragen." (Shen et al. 1995, S. 58). Was Preispolitik betrifft, so verlief die Entwicklung bei Erfangji bis Anfang der neunziger Jahre iihnlich wie die von Tianyuan (vgl. Seite 123 dieser Arbeit).
Erst nach dem Umsatzeinbruch 1994 wurden die Vertriebs- und Servicefunktion verstiirkt. In den Jahren 1994-98 ergriff die Finna eine ganze Reihe von MaBnahmen in diesem Bereich. Im Jahr 1994 wurde das sogenannte "sales responsibility system" eingeflihrt. Dabei wurde das Einkommen des Vertriebspersonals mit dem Umsatzerlos (Ertrag) und den realisierten Umsatzeinnahmen (Einzahlungen) verknlipft98. Flir den gesamten Vertriebsprozess wurden
98 Dass die GroBe "realisierte Umsatzeinnahmen" als ein Kontrollkriterium verwendet wurde, hing damit zusammen. dass viele Kunden ihre Rechnungen niehl reehtzeilig zuriickzahlten (Problem der . .DreieekSehulden") (Anmerkung des Verfassers basiert auf den Interviews FebruarlMarz 1999).
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die Leistungsstandards definiert, flir deren Einhaltung jeder Vertriebsmitarbeiter direkt verantwortlich war (Jahresbericht 1994). Neben dem Eigenvertrieb begann Erfangji, Vertriebsagenturen an wichtigen Standorten der Textilindustrie in China aufzubauen. Da die Firma bereits ein hohes Bekanntheitsgrad in Slidchina genoss, investierte man ab 1994 verstiirkt in Referenzprojekte in Nordchina, urn auch dort das Bekanntheitsgrad eigener Firma und Produkte zu erhohen (Jahresbericht 1995).
1m Jahr 1995 wurde die Vertriebsmannschaft vergroBert. Das Mahnwesen wurde von der Vertriebsfunktion getrennt. Ein Spezialbliro wurde flir die Aufgabe errichtet, den hohen Forderungsbestand abzubauen. Ais Instrument der AbsatzfOrderung wurde zum ersten Mal Preisdifferenzierung betrieben: Unterschiedliche Regionen und Kundengruppen bekamen unterschiedliche Preise. Bei einigen veralteten Maschinentypen wurde der Preis gesenkt (Interviews Miirz 1999).
1m Jahr 1996 wertete Erfangji die Stellung der Marketing-lVertriebsfunktion in der Untemehmenshierarchie auf: Ein stellvertretender Geschliftsflihrer (General Manager) wurde zum Marketing-lVertriebsvorstand emannt, der ausschlieBlich flir den Ausbau dieses Bereichs verantwortlich sein sollte. AuBerdem vereinbarten sich die Topmanager dariiber, dass jeder Topmanager mindestens 20 Tage im Jahr an den Vertriebsaktivitiiten der Firma teilnehmen sollte. Damit sollte das Topmanagement mehr Kontakte zum Markt aufbauen und eigene Vertriebsleute besser motivieren konnen. Die Vertriebsmannschaft wurde durch Aufnahme kompetenter Flihrungs- und Fachkrlifte weiter verstiirkt. In der Vertriebsabteilung wurde eine separate Service-Gruppe errichtet, urn das Serviceniveau flir die Kunden zu erhohen. AuBerdem wurden zwei eigene Vertriebsstandorte in Nordchina eroffnet (Jahresbericht 1996).
In den Jahren 1997 und 1998 wurde der Verkauf der Spinnmaschinen flir BaumwoHe, die in den friiheren J ahren stets Absatztrliger von Erfangji waren, aufgrund der restrikti yen Industriepolitik der Regierung immer schwieriger (vgl. Seite 157f dieser Arbeit). Die Firma beschloss, den Vertrieb der Spinnmaschinen flir Chemiefasem und anderen Maschinen der Spinnerei zu intensivieren. Dariiber hinaus begann Erfangji, Produktionsauftrlige auBerhalb der Textilbranche zu akquirieren (vgl. Seite 165 dieser Arbeit).
Bezliglich des Exportgeschlifts zeigte Erfangji im Vergleich zu Tianyuan wesentlich mehr Eigeninitiative und Engagement. Bereits im Jahr 1985 bat Erfangji die staatliche AuBenhandelsfirma "China Textile Machinery Trading Corporation" (CTMTC), eine AuBenstelle bei Erfangji zu errichten. Erfangji steHte dieser AuBenstelle von CTMTC Blirorliume und Personal zur Verfligung. Dadurch versuchte Erfangji, Know-how flir das AuBenhandelsgeschlift von der staatlichen AuBenhandelsfirma zu holen und eigene Fachkrlifte flir den zuklinftigen AuBenhandel in eigener Regie zu trainieren. 1m Jahr 1988 erhielt Erfangji die Autonomie im AuBenhandelsgeschiift. Bereits in demselben Jahr schickte Erfangji eine Delegation nach Pakistan, urn die dortigen Kunden zu besuchen und eigene Spinnmaschinen zu vermarkten (SHEC/SHIEA (Hrsg.) 1992, S. 66).
Das Absatzproblem im Inland lieB Erfangji die dringende Notwendigkeit erkennen, die Vertriebsaktivitliten auf dem Exportmarkt weiter zu intensivieren und die Serviceleistungen im Ausland zu verbessem (Jahresbericht 1997). Anfang 1998 gewann Erfangji einen groBen Auf trag auf dem Exportmarkt. Damit konnte das Absatzloch wegen geringer Inlandsnachfrage wieder einigermaBen geschlossen werden. Flir die kommenden Jahre plant Erfangji weitere Verstiirkung der Vertriebsaktivitliten auf dem Exportmarkt (Interviews FebruarlMiirz 1999).
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Als Fazit kann man festhalten, dass die Vertriebs- und Serviceaktivitaten vor allem seit dem Umsatzeinbruch 1994 intensiviert wurden. Die Krise seit 1994 flihrte zur deutlichen Zunahme der Kunden- und Marktorientierung der Firma.
3) Qualitatsmanagement
In der Zeit der Planwirtschaft wurde Erfangji zeitweise wegen Qualitatsproblemen auch yom Ministerium flir Textilindustrie kritisiert (siehe Chronik von Erfangji im Anhang 10). Vor allem in den Jahren des "GroBen Sprungs nach vorn" (1958-1960) wurde Quantitiit vor Qualitat der Produktion gestellt. 1m Rahmen der TQM- Kampagne der Regierung im Jahr 1979 errichtete Erfangji ein "Total Quality Management Office" zur Implementierung des TQM-Konzeptes im Betrieb (vgl. SHEC/SHIEA (Hrsg.) 1992).
Seit dem Borsengang 1992 nannte Erfangji "Quality First, Client First" als einer der Grundsatze der Firma. 1m Jahr 1993 begann man, ISO 9000 zu implementieren. Erfangji erhielt das Zertifikat flir ISO 900 1 yom British Standards Institution Quality Assurance (BSIQA) im Jahr 1994. Zwei Jahre danach erhielt Erfangji das TiN-Zertifikat flir die Komponenten, die das Unternehmen nach Europa exportierte.
Besonderer Aufmerksamkeit gilt das Jahr 1994, in dem Erfangji interne Qualitatsstandards flir alle Stellen in der Produktion und Verwaltung neu formulierte. Dabei wurde betont, die Sicht der externen und internen Kunden der jeweiligen Stelle zu beri.icksichtigen. Die jeweils nachgelagerten Stellen im Produktions- bzw. Arbeitsprozess wurden als "interne Kunden" der vorgelagerten Stellen definiert. AuBerdem schrieb die Firma vor, dass okonomische Schaden des Unternehmens, die durch Qualitatsprobleme verursacht wurden, von den jeweils verantwortlichen Abteilungen und Individuen zu tragen sind (Shen et al. 1995, S. 57f).
1m Vergleich zu Tianyuan hat Erfangji nach Ansicht des Verfassers verstanden, die Marktbzw. Kundenorientierung in dessen TQM-Konzept in den Vordergrund zu stellen. Dies bringt ein neues Qualitatsverstandnis zum Ausdruck, das wei! tiber das sach-technische hinausgeht.
4) Senkung der Betriebskosten
Wie bei Tianyuan, bemlihte man sich bei Erfangji bereits in der Zeit der Planwirtschaft darum, den Energie- und Materialverbrauch zu senken. Dies erfolgte in der Regel durch diverse Sparkampagnen, die von der Regierung (Partei) veranstaltet wurden (Erfangji (Hrsg.) 1994). Die Personalkosten blieben jedoch ein Feld, in dem man auf der Betriebsebene wenige Gestaltungsmoglichkeiten hatte (vgl. Seite 33 und Seite 90 dieser Arbeit).
Seit Beginn der Systernreform verstarkte Erfangji die Bemlihung zur Kostenkontrolle und -senkung. Ende der achtziger Jahre (1989) errichtete Erfangji das "Office of the Chief Economist". Der "Chief Economist" und der "Chief Accountant" koordinierten die Jahresplanung des gesamten Betriebes und legten Plankosten und -gewinne flir den gesamten Betrieb und die einzelnen Abteilungen bzw. Produktionseinheiten fest. Die Einhaltung der Planzahlen war ein integrierter Bestandteil des internen Verantwortungssystems (economic responsibility system). Die betriebsinterne Parteiorganisation mobilisierte die Belegschaft dazu, RationalisierungsvorschIage zu machen. Allein im Jahr 1990 sammelte Erfangji 2.001 VorschIage, die Kostenersparnisse von 5,2 Millionen Yuan im Bereich des Material- und Energieverbrauchs brachten (SHEC/SHIEA (Hrsg.) 1992, S. 71).
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Was weniger kontrolliert wurde, waren die Personalkosten. Die Uihne und Gehalter von Erfangji stiegen in den achtziger Jahren schnell an. So vervierfachte sich der Gesamtgehalt pro Kopf im Zeitraum 1980-90, wiihrend sich der Gewinn vor Steuer pro Kopf in demselben Zeitraum nur verdreifachte. Vor allem in der ersten Riilfte der achtziger Jahre wuchs die Gehaltssumme pro Kopf fast doppelt so schnell wie das Ergebnis pro Kopf (siehe folgende Tabelle).
Tabelle 25: Gehaltssumme pro Kopf und Gewinn pro Kopf von Erfangji, 1980-90
In Yuan 1980 1986 1990 Wachstum
1980-86 1986-90 1980-90
Gewinn vor Ab2aben pro Kopf 4.244 5.740 14.394 +35 % +151 % +239 %
Gehaltssumme pro Kopf 9.77 1.692 3.914 +73 % +131 % +301 %
Quelle: eigene Darstellung mit Angaben von Autorenkollektiv 1991. S. 43 und Erfangji 1992. S. 179 ff.
Wiihrend des Absatzbooms in der zweiten Ralfte der achtziger Jahre ftihrte Erfangji eine Reihe von Projekten zur Verbesserung betriebsinterner Sozial- und Wohlfahrtsleistungen durch: In den Jahren 1986 und 1987 wurde ein "Drei-Stern"-Arbeiterklub auf dem Betriebsgeliinde errichtet, wo verschiedene Kultur- und Sportveranstaltungen ftir die Belegschaft organisiert werden konnen (Interviews FebruarlMarz 1999). 1m Jahr 1987 schloss Erfangji Gruppenversicherungsvertriige mit staatlichen Versicherungsfirmen ab, urn allen Betriebsmitgliedern Lebens- und Privatvermogensversicherung anzubieten. Erfangji kaufte in den Jahren 1987 und 1988 Omnibusse im Gesamtwert von mehr als eine Million Yuan, urn die Anzahl der betriebseigenen Transferlinien zwischen dem Stadtzentrum und dem Betriebsgeliinde (am Rande der Stadt) von zwei auf zwolf zu erhohen (SHEC/SHIEA (Hrsg.) 1992, S. 181). In der gesamten Peri ode des siebten Ftinfjahresplans (1986-1990) gab Erfangji 20 Millionen Yuan zur Uisung des Wohnproblems der Belegschaft aus. 636 Mitarbeiterfamilien konnten neue Wohnungen von der Firma verteilt bekommen (Erfangji 1992, S. 181). AuBerdem baute die Firma eine zweite Kantine, ein zweites Duschbad sowie ein modernes Klinikzentrum (mit eigenen Patientenbetten) auf dem Betriebsgeliinde.
Betriebsinterne Sozial- und Wohlfahrtsleistungen wurden von Erfangji sowohl als Zweck als auch als Mittel eines "modernen sozialistischen Betriebes" betrachtet (vgl. Seite 158 dieser Arbeit). Deshalb wurden die Aktivitaten in diesem Bereich trotz des Borsengangs fortgesetzt. 1m Jahr 1991192 baute Erfangji - kurz vor dem Borsengang - eine neue Komfortkantine "im Stil eines Drei-Stern-Restaurants" (Interviews Marz 1999) auf dem Betriebs-geliinde. SchlieBlich war diese Investition im "Zehnjahresplan der Betriebsentwicklung" vorgesehen. Beim Borsengang im Jahr 1992 wurden einige Sozialeinrichtungen zuerst ausgegliedert. Die Kantinen und das Klinikzentrum wurden jedoch beibehalten. In den nachfolgenden Jahren wurden die ausgegliederten Einheiten wieder zuriickgeholt, weil sich die Belegschaft tiber Nachteile der Ausgliederung beklagt haben sollte (Interviews FebruarlMarz 1999).
Der Umsatzeinbruch seit 1994 verstiirkte den Druck auf Erfangji zum besseren Kostenmanagement. Wiihrend die Finanzabteilung friiher hauptsiichlich ftir die Finanzbuchhaltung (financial accounting) zustandig war, bekam sie seit 1996 zusiitzlich die Aufgabe der betriebsinternen Leistungs- und Kostenrechnung (management accounting). Betriebsinterne Kosten-
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planung und -rechnung wurden verbessert. Budgetkontrolle wurde verschiirft. In den Jahren 1997 und 1998 lauteten die Mottos bei Erfangji "Primat der finanziellen Performance" und "AIle Ressourcen haben einen Preis". Zur nachhaItigen Kostensenkung dachte die Firma dariiber nach, bestimmte Betriebsaktivitliten nach auBen zu verlagem (outsourcing) (Interviews FebruarIMlirz 1999). AuBerdem wurde das Konzept des "Target Costing" eingeflihrt (Jahresbericht 1998).
AuBerst bemerkenswert sind in diesem Zusarnmenhang die Verlinderungen im Personalund Sozialbereich der Firma seit Mitte der neunziger Jahre: Die Personalanzahl der Firma ist seit 1995 sehr stark zuriickgegangen: Ende 1995 beschliftigte die gesamte Gruppe Erfangji (Starnrnhaus mit Tochterfirmen) noch 4.945 Personen. Drei Jahre danach waren nach Angaben der Interviewpartner nur noch 3.300 Personen in der Gruppe beschliftigt. Das heiBt, im Zeitraum 1996-98 verlieBen im Durchschnitt 550 Personen pro Jahr die Gruppe. Nach Angaben der befragten Interviewpartner ist der Personalriickgang auf folgende drei Griinde zuriickzuflihren: 1) Pensionierung einschlieBlich Friihrente: Viele liltere Mitarbeiter gingen freiwillig in die
Friihrente, was die Anzahl der Pensionlire der Firma schnell erhohte. 2) Zuweisung redundanten Personals zum "Re-employment Service Center" (RESC): Einige
redundante Mitarbeiter wurden aIs "Arbeitsuchende" ins RESC geschickt (vgl. 104f. dieser Arbeit).
3) NatUrliche Fluktuation: Viele (vor allem junge) Mitarbeiter wechselten in Erwartung schlechter Zukunftsperspektive von Erfangji freiwillig die Firma Uob hobbing). FUr das Jahr 1999 plante Erfangji ein Abbaukontingent von 400 Mitarbeitem (davon 150 Pensionierung oder Friihrente) (Interviews Mlirz 1999).
Es ist darauf hinzuweisen, dass die Regierung derzeit den Staatsbetrieben immer noch keine groBeren Schritte im Personalabbau erlaubt: Jeder Staatsbetrieb hat ein J ahreskontingent flir Redundanzabbau (einschlieBlich Friihpensionierung), so dass die Anzahl der Arbeitslosen und FrUhrentner aus den Staatsbetrieben im von der Regierung geplanten Umfang zunirnrnt (Interviews mit Experten von Erfangji und aus der Shanghaier Regierung Mlirz 1999)99. AuBerdem wurden die Staatsbetriebe verpflichtet, sich urn die Sicherung des Lebensunterhalts der freigesetzten Mitarbeiter und urn deren Wiederbeschliftigung zu kUmmern (vgl. Schucher 1998, S. 752). So musste Erfangji den Lebensunterhalt von jedem ins RESC geschickten Mitarbeiter mit einem Uber staatlich festgelegte Mindestgrenze hinausgehenden Pro-Kopf-Betrag finanzieren (Interviews FebruarIMlirz 1999).
Nach 1994 mussten auch erste KUrzungen im Bereich der Sozial- und Wohlfahrtsleistungen getlitigt werden, auch wenn das alte System hier nicht strukturell verlindert wurde. Abgeschafft wurde nach Angaben der Interviewpartner das Kindergarten. Die Anzahl der Mitarbeiterfamilien, die neue Wohnung von der Firma verteilt bekamen, wurde auf 50-60 % des friiheren Niveaus reduziert (Interviews FebruarIMlirz 1999).
99 FUr die Regierung geht es hier urn das Problem der Arbeitslosen- und Rentenfinanzierung. Da das System der Arbeitslosen- und Rentenversieherung erst im Autbau begriffen ist, ist die Handlungsfahigkeit der Regierung in diesem Bereich noeh begrenzt. Deshalb muss die Regierung die Gesehwindigkeit und den Umfang des Personalabbaus im staatlichen Industriesektor kontrollieren (Interviews Miirz 1999). Naeh offiziellen Angaben ging die Besehiiftigtenzahl im staatliehen Industriesektor in Shanghai von 1,56 Millionen Mensehen in 1991 auf 1,02 Millionen in 1996 zurUck (Autorenkollektiv 1998). Ende 1998 wurde diese Zahl bereits auf 0.78 Millionen reduziert. Jedes Jahr verlieBen ungefahr 0,1 Millionen Menschen das staatliehe Industriesektor in Shanghai (Interviews FebruarfMiirz 1999).
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Ais Fazit zum Betriebskostenmanagement bei Erfangji kann man folgendes festhalten: Vor
Mitte der neunziger Jahre zeigte Erfangji in bezug auf Betriebskostenmanagement keinen groBen Unterschied zu Tianyuan. Nach dem dramatischen Ergebniseinbruch ab 1994 ergriff Erfangji eine Reihe von Spanna6nahmen, wozu auch Personalabbau und Kiirzung im Sozial
bzw. Wohlfahrtsbereich ziihlten. Wiihrend der Personalabbau im Rahmen des von der Regierung festgelegten Kontingents erfolgte, wurde noch keine gro6e strukturelle Anderung
im Sozial- bzw. Wohlfahrtsbereich der Finna vorgenommen.
4.2.2.2.2. Aktivitiiten im Entscheidungsfeld "Asset Management"
Erfangji ergriff - wie Tianyuan - erst Ende der neunziger Jahre effektive Ma6nahmen zum Asset Management, als die Regierung zur Uisung des zunehmenden Problems der "Dreieck
Schulden" aufrief. Jede Abteilung oder Produktionseinheit wurde aufgefordert, bei der Jahresplanung auch die Kapitalbindung und entsprechende Spanna6nahmen zu planen. Diese Planzahlen f1ie6en als Kontrollkriterien in das betriebsinteme Vertragswerk des Verantwortungs
systems (economic responsibility system) ein (SHEC/SHIEA (Hrsg.) 1992, S. 70f). Ende der achtziger Jahre und Anfang der neunziger Jahre fiihrte Erfangji mit hoher
Investition das Computer-Integrated-Manufacturing-System (CIMS) ein. Mit diesem Projekt hoffte Erfangji unter anderem, die Kapitalbindung im Umlaufvennogen (vor allem im Lagerbestand) nachhaltig zu senken. Das seit 1995 fertiggestellte High-Tech-System hat jedoch aus
verschiedenen Grunden noch nicht die ursprUngliche Erwartung des Managements erfiillt.
Anfang der neunziger Jahre wahlte die Regierung Erfangji und drei andere Staatsbetriebe als erste Pilotbetriebe ftir die Einflihrung des CIMS-Systems in China aus. Das sogenannte .. CIMSExperiment" war ein Produkt der staatlichen Technologiepolitik: Zur Modemisierung der Produktionsausriistung chinesischer Staatsbetriebe soUte die neuste Technologie aus dem Westen importiert werden. Das Projekt passte sehr gut zur darnaligen Betriebsphilosophie von Erfangji ("Betriebsaufschwung durch Technologie"). Erfangji hoffte, mit diesem Projekt neben dem Imagegewinn eine Reihe von betriebswirtschaftlichen Zielen zu realisieren: Verktirzung der Zeit der Produktentwicklung, Verkiirzung der Lieferzeit, Senkung der Kosten und der
Fehlerquote in der Produktion sowie Senkung des Bestandsniveaus im Lager (SHEC/SHIEA (Hrsg.) 1992, S. 107).
Zur Implementierung des CIMS-Systems untersuchte Erfangji den gesamten Lagerbereich
und ergriff erste Ma6nahrnen zur Bestandssenkung (Zeng 1995, S. 72 ff.). Seit Mitte der neunziger Jahre fiel der Auftragseingang vor aUem flir die Stammprodukte von Erfangji (Spinn
rnaschinen ftir BaumwoUe) zuriick. Gerade auf diese Stammprodukte war aber das von Erfangji
konzipierte CIMS-System ausgerichtet. Angesichts der Unsicherheit in der extemen Rohstoffversorgung konnte das "Just-In-Time" (JIT)-Prinzip von CIMS noch nicht richtig funktionieren,
so dass weiterhin ein relativ hoher Sicherheitsbestand im Lager aufgebaut werden musste. Betriebsintem rnangelte es am qualifizierten Personal zur Weiterentwicklung des Systems (Interviews FebruarlMarz 1999).
Seit 1992 stieg auch die Kapitalbindung im Forderungsbestand. Zum einen verschIechterte sich die Zahlungsmoral vieler Kunden, nachdem sich die Textilbranche insgesamt probIema-
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tisch entwickelte. Zum anderen musste Erfangji im Rahmen der AbsatzfOrderung das Verkaufsziel fUr seine Kunden verllingem. Irn Jahr 1995 enichte Erfangji ein BUro fUr das Mahnwesen. Deutliche Verbesserung in diesem Bereich konnte - wie im Lagerbereich - derzeit jedoch noch nicht beobachtet werden. Irn Jahr 1997 musste Erfangji RUckstellung fUr Forderungsausfall von 54 Millionen Yuan yom Ergebnis abziehen. Dies entsprach 13 % des Nettoumsatzes der Firma in dem Jahr. 1m Jahr 1998 verschlechterte sich die Struktur des Forderungsbestandes weiler: Wlihrend im Jahr 1997 knapp ein Drittel (31,3 %) der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen llinger als 2 Jahre ausstand, erhohte sich die Quote im Jahr 1998 auf 40,8 % (Jahresbericht 1998).
Insgesarnt blieb die Performance des Asset Managements von Erfangji, gemessen an der Dauer der Kapitalbindung im Umlaufvermogen, trotz der BemUhung der Firma nicht zufriedenstellend (vgl. Zahlensmaterial im Anhang). Vor allem betriebsexteme Faktoren erschwerten eine nachhaltige Senkung der Kapitalbindung. Dies hat auch das eingefUhrte elMS-System nicht lindem konnen.
4.2.2.2.3. Aktivitliten im Entscheidungsfeld "Financing"
Bis 1992 unterschied sich Erfangji im Bereich der Eigenfinanzierung nicht wesentlich von Tianyuan. Ais die Regierung Anfang der neunziger Jahre Experimente mit dem "modem enterprise system" startete, gehorte Erfangji als der "Musterbetrieb der Systernreform" zu den ersten staatlichen Industriebetrieben in Shanghai, die privates Kapital an der Borse sammeln durften. Irn folgenden werden die Aktivitliten von Erfangji nach dem Borsengang im Bereich der (1) Eigenfinanzierung und (2) Fremdfinanzierung kurz erlliutert.
Zu (1): Aktivitliten im Bereich der Eigenfinanzierung
Der Borsengang von Erfangji erfolgte weniger auf Basis einer durchdachten Untemehmensstrategie. Viel mehr haben die "guten Beziehungen" des "experimentfreudigen" Topmanagements zu den wichtigen Entscheidungstrligem in der Regierung den Weg der Firma zur Borse geoffnet (Interviews Februar I Mlirz 1999)100. Nur vor diesem Hintergrund kann man verstehen, warum der damalige Betriebsdirektor erst nach dem Borsengang fragte, "was man mil so viel Geld machen soli" (vgl. Seite 160 dieser Arbeit). Wie Erfangji nach dem Borsengang mit den Investoren umging, wird im folgenden kurz erlliutert. Konkret geht es hier urn la) die Dividendenpolitik und Ib) Investor Relations von Erfangji.
a) Dividendenpolitik
Die Gestaltung der Dividendenpolitik kann die Kapitalstruktur und darnit auch die durchschnittlichen Kapitalkosten eines borsennotierten Untemehmens beeinflussen. Deshalb gehort die Dividendenpolitik zum Instrumentarium des Wertmanagements (Vgl. hierzu Penidonl Steiner 1993; BotzellSchwilling 1998, S. 42 ff. und S. 122).
100 Fur Borsengang muss ein Staatsbetrieb die Genehmung der Regierung haben. Vnd jedes Jahr gibt es ein Plan-Quota fur Neueinfuhrungen an der Borse. das von der Regierung festgelegt wird (Amnkerung des Verfassers auf Basis der Interviews FebruarlMarz 1999).
171
Nach den chinesischen Standards der Rechnungslegung konnten Erfangji bis 1995 Dividenden ausweisen. Die Firma wandelte diese Dividenden im lahr 1993 und 1995 in "Gratisaktien" flir die Aktionlire urn. Dadurch erhohte sich die Anzahl dividendenberechtigter Aktien, ohne dass effektive Dividendenausgaben verursacht wurden. Ahnlichen Effekt haben die beiden Kapitalerhohungen aus Gesellschaftsmitteln im lahr 1996 und 1997 (siehe Tabelle 26 auf der Seite 172)101. Durch diese KapitalmaBnahmen werden die Dividendenzahlungen in die Zukunft hinausgezogert.
Tabelle 26: KapitalmaBnahmen von Erfangji 1993-98
Jahr Mafinahme Anzah1 dividenden-
berechtil!ter Aktien
1993 Ausgabe von Gratisaktien als Ersatz der DividendenausschUttung. 425.581.660
Aus2abeverhaltnis der Gratisaktien I: 0,4 102
1994 Zufuhrung des ausgewiesenen Iahresiiberschusses in Gewinnriicklagen, daruber 425.581.660
hinaus keine KanitalmaBnahmen
1995 Ausgabe von Gratisaktien als Ersatz der Dividendenausschiittung, 468.139.826
Ausgabeverhaltnis der Gratisaktien I: 0,1
1996 Kapitalerhohung aus Gesellschaftsmitteln, Ausgabe von Gratisaktien mit dem 514.953.809
Verhaltnis I: 0,1
1997 KapitalerhOhung aus Gesellschaftsmitteln, Ausgabe von Gratisaktien mit dem 566.449.190
Verhaltnis I: 0,1
1998 Keine KapitalmaBnahme; Ausgleich der frUheren Verluste durch den nach CAS 566.449.190
ermittelten IahresUberschuss von 4,7 Mio. Yuan
Quelle: Erfangji Iahresberichte 1993-98.
Diese Entscheidungen des Managements entsprechen nicht den Interessen detjenigen Kleinaktionare, die Dividende als eine ihrer Einkommensquellen betrachten (PerridonlSteiner 1993, S. 299 f.). Flir die Firma wurde jedoch die kurzfristige Liquiditat entlastet. Es ist in diesem Zusarnmenhang darauf hinzuweisen, dass Erfangji nach den internationalen Standards der Rechnungslegung (International Accounting Standards lAS) bereits im lahr 1994 Ergebniseinbruch erlitt und im lahr 1995 schon erste rote Zahlen schrieb (vgl. lahresabschluBdaten im Anhang 12 auf der Seite 260). Dass das Management von Erfangji im Zeitraum 1993-96 keine effektiven Dividendenauszahlungen veranlasst hat, ist mindestens aus dem Managementgesichtspunkt gerechtfertigt. Denn die thesaurierten Ergebnisse stell ten Sicherheitspuffer in der Bilanz flir die nachfolgenden Verlustjahre dar.
Dass die Dividendenpolitik von Erfangji primlir auf die Unternehmensinteressen anstatt auf die Interessen der Kleinaktionlire fokussiert ist, ist nach Ansicht des Verfassers mindestens zum Teil dadurch zu erklliren, dass das Entscheidungsorgan BOD von dem staatlichen GroB-
101 Die Aktionare stellten sich zwar vermogensmaBig vor und nach diesen MaBnahmen gleich (vgl. PerridonlSteiner 1993, S. 299). Die erhOhte Anzahl der dividendenberechtigten Aktien gab einem jedoch den Anschein, als ob man in der Zukunft mehr Dividenden einnehmen konnte oder das Grundkapital jahrlich mit 10 % verzinst ware (siehe Tabelle 26).
102 Das Verhaltnis bedeutet, dass ein Aktionar mit 10 Erfangji-Aktien 4 Gratisaktien von Erfangji erhalten kann.
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aktionlir und den "Insiders" der Firma dominiert wurde. Denn sowohl die staatliche Holdinggesellschaft, die friiher die Ubergeordnete Behorde von Erfangji war, als auch die "Insider"Direktoren im BOD haben starke Interessen an der FortfUhrung des Staatsbetriebes. Private Kleinaktionlire wUrden eher AusschUttung bevorzugen, da deren Kapital anderswo zu rentableren Anlage investiert werden konnte. SchlieBlich hatte der Betrieb seit dem Borsengang Shareholder Value eher vernichtet als geschaffen (vgl. Seite 156 dieser Arbeit). Das Problem ist jedoch, dass die Kleinaktionlire kaum was im BOD bewegen konnten, auch wenn sie andere Entscheidungen gewUnscht hiitten (siehe Seite 160 und Seite 176 dieser Arbeit).
b) Investor Relations
Die kapitalmarkt-orientierte Kommunikation (Investor Relations)IOJ war fUr Erfangji ein neues Feld, als die Firma im Jahr 1992 an die Borse ging. Die Firma veroffentlicht derzeit nach den Vorschriften der Regierung jiihrlich einen Zwischenbericht und einen Jahresbericht. Interessierte Investoren konnen jederzeit den IR-Beauftragten der Firma anrufen und Gespriichstermine vereinbaren lO4• Insgesamt verhielt sich die Firma nach eigenen Angaben "entsprechend der derzeitigen Durchschnittspraxis" der borsennotierten Staatsbetriebe in China in bezug aufIR (Interviews FebruarIMiirz 1999)
In bezug auf die Reaktion der Kleinaktionlire auf das Informationsangebot von Erfangji kommentierte ein Interviewpartner wie folgt: "Am Anfang (der Borsennotierung) kamen sie noch oft zum Besuch. In den letzten Jahren kamen sie nicht mehr, da die Kurse von Erfangji sehr stark gefallen sind. Die Privataktionlire mOchten nur Kursgewinne an der Borse sehen. Andere Dinge interessieren sie nicht. Sie verkaufen die Papiere schnell, wenn sie horen, dass die Firma schIechte Ergebnisse erzielt hat." (Interviews Februar / Miirz 1999). Nach Ansicht des Verfassers hat das private Kapital von Erfangji angesichts der schwachen Priisenz im BOD eigentlich auch nur die Moglichkeit, "mit FUBen" fUr oder gegen die Entscheidung des Managements zu stimmen. Gerade die Kursschwankung an der Borse Ubt - mindestens auf der psychologischen Ebene - einen starken Leistungsdruck auf das Unternehmen.
Seit dem Ergebniseinbruch im Jahr 1994 bemUhte sich Erfangji darum, eigens Image an der Borse zu pflegen. Das Topmanagement von Erfangji hat in den jeweiligen Lageberichten stets tiber MaBnahmen zur Ergebnisverbesserung berichtet und konkrete Schritte fUr wei teres Vorgehen angegeben (vgl. Jahresberichte 1995-98). Trotzdem konnte die chinesische Offentlichkeit - nach Ansicht des Verfassers - nicht ganz richtig tiber die finanzielle Situation der Firma informiert werden. Dies lag an den derzeitigen gesetzlichen Regelungen tiber die Rechnungslegung und Publizitiit der borsennotierten Gesellschaften in China:
Denn das chinesische System der Rechnungslegung weicht trotz der Reform im Jahr 1993 weiterhin von den internationalen Standards abo Nach den chinesischen Vorschriften der Rechnungslegung wird die finanzielle Lage einer Gesellschaft wesentlich besser dargestellt, als dass es nach den internationalen Standards moglich wiire. So konnte das Management von Erfangji nach den chinesischen Standards der Rechnungslegung (Chinese Accounting Standards CAS) weiterhin Gewinne ausweisen, wiihrend die Firma nach den internationalen Standards der Rechnungslegung (International Accounting Standards lAS) bereits erste
10J Zum Thema "Investor Relations" vgl. BbtzeUSchwilling 1998. S. 183 ff. und die dort angegebene Literatur. 104 Nach der Vorschrift der Regierung muss jede bbrsennotierte Firma einen solchen IR-Beauftragten haben
(Anmerkung des V erfassers).
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Verluste erzielte (siehe folgende Tabelle). 1m Anhang 12 werden die Bewertungsunterschiede zwischen CAS und lAS fUr das Ergebnis und Eigenkapital von Erfangji im Iahr 1998 als Beispiel aufgelistet.
Tabelle 27: Iahresergebnis von Erfangji nach lAS und CAS im Zeitraum 1993-1998
Jahr Ergebnis nach Steuer Ergebnis nach Steuer Differenz CASIIAS
nach CAS in RMB Yuan Mio. nach lAS in RMB Yuan Mio. in RMB Yuan Mio.
1993 159 144 15
1994 89 50 39
1995 18 -76 94
1996 1 -70 71
1997 -174 -214 40
1998 4,7 -32,8 37,5
Quelle: eigene Zusammenstellung mit Daten aus den Jahresberichten von Erfangji 1993-98
Zwar hat Erfangji in jedem vollstiindigen Iahresbericht neben dem nach CAS erstellten Iahresabschluss auch noch einen von internationalen Wirtschaftsprtifern nach lAS geprtiften Bericht. Die in Medien veroffentlichten Kurzberichte der Firma enthielten jedoch nur die Ergebniszahlen nach CAS. Im Lagebericht 1998 gaben sowohl der General Manager als auch der Vorsitzende des BOD an, dass das Ziel von turn-around erreicht wurde und die Gesellschaft einen IahresUberschuss von mehr als 4 Millionen Yuan erzielte. Nach lAS blieb die Firma in der Verlustzone mit einem negativen Ergebnis von -32 Millionen Yuan (siehe Tabelle 27).
Zu (2): Aktivitiiten im Bereich der Fremdfinanzierung
Neben der Eigenfinanzierung an der Borse spielt die Fremdfinanzierung durch die staatlichen Geschiiftsbanken weiterhin eine groBe Rolle fUr Erfangji. Die Firma bekam Darlehen und Kredite von insgesamt knapp 350 Millionen Yuan von den staatlichen Geschiiftsbanken im Zeitraum 1992-1994. Nach dem gravierenden Ergebniseinbruch im Iahr 1994 hat Erfangji bis Ende 1997 weitere Kredite von mehr als 210 Millionen Yuan von den Banken geliehen.
Im Gegensatz zu den westIichen (z. B. deutschen) Banken, die im Sanierungsfall Kredite nur mit der Auflage gewiihren, dass das Management ein klares Restrukturierungskonzept vorlegt und SanierungsmaBnahmen zUgig umsetzt, verhielten sich die staatlichen Geschiiftsbanken gegenUber Erfangji iiuBerst passiv bzw. nachgiebig. Nach Angaben von den Interviewpartnern kamen keine Initiativen zur Unternehmenssanierung von den Banken, auch wenn die Forderungen der Banken Ende 1997 bereits so hoch waren, wie die A- und B-Aktioniire insgesamt in die Firma investierten (vgl. finanzielle Eckdaten im Anhang 11). Nach Ansicht des Verfassers ist das ein Zeichen fUr den Mangel am aktiven Kreditrisiko-management der staatlichen Geschiiftsbanken in China (vgl. hierzu auch Weltbank 1997, S. 52). FUr Erfangji stellten die nachgiebigen Banken somit weiterhin eine Quelle der "weichen Kredite" dar.
174
4.2.2.3. Fazit zum Wandel der Betriebsaktivitliten
In den vorangegangenen Abschnitten wurde der Wandel der Betriebsaktivitaten beschrieben. Vergleicht man Erfangji in 1998 mit Erfangji am Anfang der Beobachtungsperiode (1984), kann man eine ganze Reihe von Fortschritten der betrieblichen Transformation identifizieren:
Von einseitiger Fokussierung auf die Produktion von Textilmaschinen zum ergebnisorientierten Management eines diversifizierten Geschiiftsportfolios Von planwirtschaftlich gefarbter "high-tech"-Orientierung zur klaren Marktorientierung der Produktpolitik Von kundenfeindlicher BUrokratie zum verstiirkten Ausbau der Vertriebs- und Servicefunktion Von staatlicher Preisfestsetzung zur eigenstiindigen, marktorientierten Preisdifferenzierung Von sach-technischem Qualitiitsverstiindnis und behordenorientierter TQM-Kampagne zu kundenorientiertem Qualitiitsverstiindnis und vertriebs-motivierter ISO-Zertifizierung Von einseitiger sach-technischer Rationalisierung zum Kostenmanagement auch im Bereich des Personal- und Sozialwesens Von vemachliissigtem Asset Management zur bewussten Senkung der Kapitalbindung Von staatlicher Finanzierung zur Kapitalmarktfinanzierung mit ersten "Lemschritten" im Umgang mit dem Kapitalmarkt
Trotz des zum Teil deutlichen Wandels in der BetriebsfUhrungen sind noch einige Probleme im Transformationspfad von Erfangji zu beobachten:
Noch mangelnde Erfahrung in bezug auf strategische und wertorientierte UntemehmensfUhrung, was bei gleichzeitig schwacher Kontrolle durch Aktioniire zu einigen Fehlentscheidungen im Diversifikationsprozess gefUhrt hat. Beibehaltung der betriebsintemen Sozial- bzw. Wohlfahrtsleistungen auch nach dem Borsengang entsprechend dem Ideal des "modemen sozialistischen Betriebes". Weiterhin Moglichkeit zur Aufnahme "weicher Kredite" von den nachgiebigen staatlichen Geschiiftsbanken. Aktioniirfreundlicher Dividendenpolitik und kapitalmarkt-orientierter Kommunikation (IR) noch nicht derselbe Stellenwert beigemessen, wie es bei den borsennotierten GroBuntemehmen im Westen heutzutage Ublich ist.
4.2.3. Wandel der Betriebsorganisation
4.2.3.1. Wandel der Organisationsstruktur
Seit den fUnfziger Iahren hatte Erfangji die fUr den Betrieb der Planwirtschaft typische Aufbauorganisation mit integrierten Sozial- und politischen Bereichen (vgl. Seite 40 ff. dieser Arbeit). Diese wurde im Zeitverlauf im groBen und ganzen beibehalten, wie es auch der Fall bei Tianyuan war (vgl. Seite 130 ff. dieser Arbeit). Seit Beginn der Systernreform hat es bei
175
Erfangji insgesamt drei groBe Reorganisationen gegeben: 1) Betriebsinterne Dezentralisierung im Jahr 1986, 2) Reorganisation im Zusamrnenhang mit dem B5rsengang im Jahr 1992 und 3) Einfiihrung der Profit-Center-Organisation Ende 1996. 1m folgenden werden diese Reorganisationen kurz erlautert.
Zu 1): Betriebsinterne Dezentralisierung im Jahr 1986
1m Jahr 1986 kam es zur ersten groBen Reorganisation des Betriebes. Eingefiihrt wurde das fUr den damaIigen Betrieb revolutioniire Konzept der "Fabrik in der Fabrik" (vgl. SHEct SHIEA (Hrsg.) 1992, S. 36 ff.). Aus den (damals) neun Werkstatten (Produktionseinheiten) und einigen Abteilungen in der Verwaltung wurden fiinf relativ eigenstiindige "Fabriken" im Betrieb. Diese hatten jeweils eigene Jahresplanung und eigenstandige Ergebnisverantwortung. Das friihere einstufige Fiihrungsmodell mit der Betriebszentrale (dem Betriebsdirektor) als Machtzentrum wurde in ein zweistufiges Organisationsmodell transformiert. Dadurch bekamen die mittleren Manager in den Produktionseinheiten wesentlich mehr Entscheidungsautonomie und trugen gleichzeitig wesentlich mehr Ergebnisverantwortung als friiher.
Das Konzept kam von dem damals neu ern ann ten Betriebsdirektor Huang Guanchong, der den herk5mmlichen zentralistischen Fiihrungsstil im Betrieb ablehnte. Er wies darauf hin, dass iibermaBige Zentralisierung der Betriebsfiihrung die Kreativitat und das Verantwortungsbewusstsein der Mitarbeiter unterdriickte. Ein "guter" Betriebsdirektor sollte Entscheidungen delegieren, urn sich auf "wichtige Fragen der Betriebsentwicklung" konzentrieren zu k5nnen (Huang 1995, S. 6).
Es ist darauf hinzuweisen, dass die "Fabriken" im Betrieb weiterhin im Produktionsprozess von Erfangji integriert wurden und keine Funktion der externen MarkterschlieBung ausiibten. Der Absatzboom bis Anfang der neunziger Jahre brachte Erfangji viele Auftrage, so dass aile "Fabriken" mit betriebsinternen Produktionsauftragen voll ausgelastet waren. Dass diese "Fabriken" nach externen Kundenauftragen suchten, begann erst nach der Trendwende Mitte der neunziger Jahre.
Zu 2): Reorganisation im Zusammenhang mit dem B5rsengang im Jahr 1992
1m Zusammenhang mit dem B5rsengang 1992 gab es zwei wesentliche Anderungen im Organigramm des Betriebes:
Die erste Anderung war die Einfiihrung der Gesellschaftsorgane, wie z. B. "Board of Directors" (BOD) und "Board of Supervisors" (BOS). Bei dieser Anderung ging es nach Ansicht des Verfassers ledig urn einen formal-juristischen Fassadenwechsel fUr das bestehende Team des Topmanagements. In dem Board of Directors (BOD) der Gesellschaft im Zeitraum 1992-94 saBen 20 Direktoren, von denen 12 aus der alten Fiihrungsmannschaft der Firma stammten. Als Vorsitzender (chairman) von BOD fungierte der ehemalige Betriebsdirektor, der gleichzeitig die Position des Geschaftsfiihrers der Gesellschaft (general manager) besaB. Der Parteisekretiir des Betriebes wurde der stellvertretende Vorsitzende (vice chairman) von BOD. Der damalige stellvertretende Parteisekretiir wurde Vorsitzender von "Board of the
176
Supervisors" (BOS). Der Chef des Disziplinarkomitees der Partei 105 und der stellvertretende Vorsitzende der Betriebsgewerkschaft wurden Mitglieder von BOS (supervisors).
Die zweite wesentliche Anderung im Jahr 1992 war die Umwandlung der Betriebsverwaltung in die sogenannte "Matrix-Organisation" (o.V. 1995, S. 2435). Dabei versuchte Erfangji, diejenigen Abteilungen, die direkt mit dem Prozess der Leistungserstellung und -verwertung zu tun haben, von den koordinierenden bzw. untersttitzenden Funktions-abteilungen (wie z. B. "development & planning", Finanz- und Personalwesen usw.) organisa-torisch zu trennen. In dem Organigramm (siehe Abbildung 33) wurde diese "Matrix-Organisation" skizziert. Diese Reorganisation reflektiert nach Auffassung des Verfassers das Bewusstsein des Betriebsmanagements, zwischen strategischen und operativen Verwaltungsaufgaben zu differenzieren.
Abbildung 33: Organigramm von Erfangji, Ende 1998
Shareholders 'Meeting Development Planning
Financial Department
Chief Engineer's Office
General Office of the Corporation
Enterprise Managemen Department
Organization & Personnel
Disciplinary Control & Supervision
EDP Subsidiary
Import & Export Department
Domestic Sales Department
Product Development Department
Production Department - 10 Workshops
Technical Department
Quality Control Department
Subsidiaries & Ioint Ventures (excluding. EDP Subsidiary)
Employee Training Facilities
Quelle: eigene Darstellung nach dem Organigramm im Iahresbericht 1998 (iibersetzt durch den Verfasser).
Zu 3): Einfiihrung der Profit-Center-Organisation Ende 1996
Auf Basis der Reorganisation im Jahr 1992 kam es 1997 zur dritten groBen organisatorischen MaBnahme. Dabei wurden in der Firma ein "Decision Center", vier "Profit Center" und mehrere "Cost Centers" errichtet (Jahresbericht 1997; Interviews FebruarlMiirz 1999):
105 Das Disziplinarkomitee der Partei hat die Aufsichtsfunktion in der Parteiorganisation und kiimmert sich darum, dass Parteifunktionare und -mitglieder an Disziplinen und Status der Partei sowie an den Gesetzen der Regierung einhalten. Damit sollen vor allem die Korruption und sonstige UnregelmaBigkeiten der Parteifunktionlire und -mitglieder aufgedeckt und bekampft werden (Anmerkung des Verfassers). Bei der Obersetzung ins Anglo-amerikanischen hat Huang (1997, S. 5) den Begriff "Discipline Inspection Committee" verwendet. Vgl. Huang (1997. S. 5fund S. 9).
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Das sogenannte "Decision Center" umfasst die Abteilungen auf der ersten Hierarchieebene der "Matrix-Organisation" (siehe Organigramm). Neu errichtet wurden die Abteilungen "Development Research Office" (Strategieplanung) und "Investment Management Office" (Management der Tochterfirmen und Beteiligungen). Durch Neugruppierung der bisherigen Abteilungen "Domestic Sales", "Import & Export" sowie entsprechender Tochterfirmen wurden vier Geschiiftseinheiten ("Business Units") gebildet, die gleichzeitig "Profit Centers" von Erfangji darstellten: 1) Geschaftseinheit "Spinnmaschinen ftir Naturfaser (Inland)", 2) Geschaftseinheit "Spinnmaschinen flir Cherniefaser" Inland"; 3) Geschaftseinheit "General Machinery and Electronic Equipment", und 4) Auslandsgeschiift (zur ErschlieBung des Exportmarktes). Die "Cost Centers" sorgen ftir Einkauf/Logistik, Produktion und Qualitatsmanagement. Zu den "Cost Centers" gehoren die Abteilungen "Technical Department", "Production Department" und "Quality Control" sowie die einzelnen Werkstatten (Produktionseinheiten).
Die Reorganisation im Jahr 1997 bringen den Wunsch von Erfangji zur Verstarkung der Ergebnisverantwortung der einzelnen Betriebsteile zum Ausdruck. Dies ist verstandlich vor dem Hintergrund der sich dramatisch verschlechtemden finanziellen Performance der Firma. Die Bildung der Geschiiftseinheit "General Machinery and Electronic Equipment" entspricht auch dem Strategiewechsel von Erfangji nach 1996 (vgl. Seite 165 dieser Arbeit). Die Reorganisation zeigt nach Ansicht des Verfassers erste Ansatze von Erfangji zur marktorientierten Untemehmensorganisation.
Mit den oben beschriebenen drei groBen Schritten der Reorganisation wurden im Betrachtungszeitraum viele neue Elemente bzw. Strukturen in der Betriebsorganisation geschaffen. Jedoch gab es auch einige Bereiche, die im groBen und ganzen unverandert blieben: Zum einen wurde der gesamte Sozialbereich beibehalten und fortgeftihrt. Der Bereich unterlag der Abteilung "personnel & overall administration" (siehe Organigramm). Zum anderen wurden die Funktionseinheiten der Partei in die Betriebsverwaltung integriert, wie es auch bei Tianyuan der Fall war (vgl. Seite 130 ff. dieser Arbeit). SchlieBlich wurden die etablierten Beziehungen zwischen Betriebsmanagement, Partei und Gewerkschaft im neuen Gewande in den wichtigsten Entscheidungs- und Aufsichtsorganen der Gesellschaft fortgeftihrt (vgl. Seite 176 dieser Arbeit).
Nicht zuletzt sind die Elemente der Behordenorientierung in der Aufbauorganisation von Erfangji zu finden. In dem sogenannten "Decision Center" existieren weiterhin Abteilungen, die in den achtziger Jahren in Korrespondenz mit der Verwaltungsstruktur des tibergeordneten Branchenbtiros gebildet wurden (z. B. "Enterprise Management Department" und "Disciplinary Control & Supervision" etc.). Ahnliche Strukturelemente findet man auch in der Abteilungsstruktur von Tianyuan (vgl. Seite 130ff dieser Arbeit). Bemerkenswert ist es hier, dass diese Abteilungen auch heute Nachbildungen der entsprechenden Abteilungen in der staatlichen Holdinggesellschaft darstellen (vgl. Seite 150 dieser Arbeit).
178
4.2.3.2. Wandel des betriebsinternen Planungs-, Steuerungs- und Kontrollsystems
4.2.3.2.1. Der Wandel im Uberblick
Der Wandel des betriebsintemen Planungs-, Steuerungs- und Kontrollsystems von Erfangji verlief bis Anfang der neunziger Jahre im gr08en und ganzen ahnlich wie der von Tianyuan (vgl. Seite 136ff dieser Arbeit): Die friiher auf staatlichen Planvorgaben basierte Produktionsplanung wurde schrittweise durch die marktorientierte Produktionsplanung ersetzt. Ais Meilenstein in diesem Wandelprozess galt das Jahr 1987, in dem zum ersten Mal der Absatzplan als der "Leitplan" flir andere Betriebsplane verwendet wurde106 (SHEC/SlllEA (Hrsg.) 1992, S. 68).
Das betriebliche Planungs- und Kontrollsystem wurde von der Produktionsfunktion auf aile anderen Funktionsbereiche ausgedehnt. Erste Ansatze zur ganzheitlichen Betriebsplanung und -kontrolle wurden entwickelt. Bei Erfangji fand diese Entwicklung ihren Niederschlag vor allem im internen Kennzahlensystem, was im folgenden Abschnitt nliher erlautert werden soil. Mit der EinfUhrung des internen "economic responsibility systems" wurden betriebs-interne Entscheidungsrechte dezentralisiert und gleichzeitig die Leistungsverantwortung der einzelnen Betriebsmitglieder festgelegt. Erfangji tat den ersten Schritt in diese Richtung im Zusammenhang mit der Griindung der "Fabriken in der Fabrik" im Jahr 1986 (vgl. Seite 176 dieser Arbeit). Nach dem Abschluss des "kollektiven Verantwortungsvertrags" mit dem BranchenbUro im Jahr 1987 (vgl. Seite 151 dieser Arbeit) wurde ein internes Netzwerk der Verantwortungsvertrage aufgebaut.
Nicht zuletzt sind die Reformen im monetaren Entlohnungssystem zu nennen. Wie bei Tianyuan wurde auch bei Erfangji das Leistungsprinzip immer starker in den Vordergrund gestellt. Erste qualitative Veranderung des alten Grundgehaltssystems von Erfangji vollzog sich im Jahr 1988, als der Betrieb das sogenannte, variable "post-plus-skill"-System einflihrte.
Nach dem Borsengang erfolgten weitere qualitative Veranderungen in dem Planungs-, Steuerungs- und Kontrollsystem von Erfangji. Naher erlautert werden in den folgenden Abschnitten 1) der Ausbau des betriebsinternen Kennzahlensystems und 2) die Einflihrung weiterer leistungsorientierter Entlohnungsformen in Erfangji.
4.2.3.2.2. Ausbau des betriebsinternen Kennzahlensystems
Anfang der neunziger Jahre entwickelte Erfangji ein eigenes Kennzahlensystem aIs internes Planungs- und Kontrollinstrument. Das System trug den Namen "PQSM" (SHEC/SlllEA (Hrsg.) 1992, S. 126). Das "PQSM"-System bildete die Grundlage flir das betriebsinterne "economic responsibility system": Die Entwicklung des Einkommens der einzelnen Abteilungen bzw. Mitarbeiter wurde mit der Entwicklung der relevanten Kennzahlen verknUpft (SHEC/SlllEA (Hrsg.) 1992, S. 126).
Das PQSM-System umfasste vier Kennzahlenkategorien: P flir "Production", Q flir "Quality", S flir "Safety" und M flir "Management". Bei den sogenannten P-Kennzahlen handelte es sich urn Kennzahlen aus dem Prozess der Leistungserstellung und -verwertung
106 In der Planwirtschaft war stets der Produktionsplan der "Leitplan" fUr Ubrige Plane wie z. B. Materialversorgung und Absatzdistribution.
179
(z.B. Beschaffung, Logistik, Produktion und Vertrieb). Bei den Q-Kennzahlen wurden relevante Ergebnisse des Qualitiitsmanagements erfasst und bewertet. Bei den S-Kennzahlen ging es urn den Bereich der Arbeitssicherheit. Die sogenannten M-Kennzahlen umfassten aile sonstigen Bereiche, die nicht durch P-, Q- oder S-Kennzahlen abgedeckt werden. Zu diesen sonstigen Bereichen gehOrte neben dem Sozial- bzw. Wohlfahrtsbereich auch der Bereich der sogenannten "Betriebskultur". Hier wurden die Aktivitiiten der Parteiorganisation und der Gewerkschaft, die der Realisierung der Betriebsziele dienen und die "geistige Zivilisation" der Belegschaft fOrdern sollten (vgl. Seite 68f. und lOOf. dieser Arbeit), geplant und kontrolliert (z. B. Veranstaltungen der politischen Schulung, betriebsinterne Sozialhilfe usw.) (vgl. SHEC/SHIEA (Hrsg.) 1992, S. 126f).
Nach dem Borsengang im Jahr 1992 baute Erfangji das interne Kennzahlensystem weiter aus. Ende 1998 hatte die Erfangji-Gruppe ein Kennzahlensystem, das mehr als 400 Kennzahlen umfasste (siehe Tabelle 28). FUr jeden Betriebsteil bzw. Funktionsbereich wurden messbare Kennzahlen definiert. 1m Vergleich zu dem PQSM-System Anfang der neunziger Jahre wies das ausgebaute System im Jahr 1998 zwei bemerkenswerte Unterschiede auf: Zum einen wurden die sich auf die Marketing- und Vertriebsfunktion beziehenden Kennzahlen in einer separaten Kennzahlenkategorie erfasst. Dies bringt den starken Managementfokus auf den Marketing- und Vertriebsbereich seit dem Umsatzeinbruch 1994 klar zum Ausdruck. Zum anderen wurden die sich auf Ergebnis und Eigenkapital beziehenden Kennzahlen stark in den Vordergrund gestellt, indem man jeweils eine separate Kategorie fUr diese Kennzahlen bildete. Dies zeigte, dass Befriedigung der finanziellen Interessen der EigentUmer (Shareholders) bereits eine iiuBerst hohe, wenn nicht die hi:ichste Prioritiit fUr das Betriebsmanagement darstellt.
4.2.3.2.3. Weiterentwicklung des leistungsbezogenen Kompensationssystems
Die erste qualitative Anderung im traditionellen Lohnstufensystem erfolgte bei Erfangji im Jahr 1988. EingefUhrt wurde das variable "post-plus-skill"-System (SHECISHIEA (Hrsg.) 1992, S. 51 ff.). Nach diesem System besteht der GrundgehaJt eines Mitarbeiters bei Erfangji aus drei Bestandteilen:
a) Der "skill-based" -Teil Dieser Bestandteil basiert auf dem friiheren Lohnstufensystem und ahnelt dem System von Tianyuan im Jahr 1987 (vgl. Seite 138 dieser Arbeit). Insgesamt werden 12 Lohnstufen (mit jeweils drei Zwischenstufen) fUr unterschiedliche Qualifikationen der Produktionsarbeiter und Kader definiert. Der hochst mogliche Monatsgehalt betrug im Jahr 1988 235 Yuan, der niedrigste Monatsgehalt betrug 26 Yuan.
b) Der "post-based"-Teil Die Rohe dieses Gehaltsbestandteils variiert nach Position des Mitarbeiters und seiner Leistung in dieser Position. Insgesamt werden 18 Positionskategorien definiert, denen jeweils ein bestimmter Geldbetrag zugeordnet wird. FUr jede Position werden quantitative und qualitative Leistungsstandards formuliert. Die Leistungsbewertung erfolgt monatlich nach dem Scoring-Verfahren (Punktvergabe). Betriigt die "Note" 95-100 Punkte, bekommt man zu 100 % den Geldbetrag, der seiner Position zugeordnet wurde. Rat man eine "Note" unter 95
180
Punkten, erhalt man nur 90 % des Geldbetrages. Liegt die Note unter 90 Punkte, bekommt man nur 80 % des Geldbetrags, usw. (Erfangji 1992, S. 104). Die Hiihe dieses Gehaltsteils variiert deshalb monatlich nach Performance des Mitarbeiters.
c) Der Teil der Zuschusszahlungen Dieser Gehaltsbestandteil umfasst staatliche und betriebsspezifische Zuschiisse. Staatliche Zuschiisse werden von der Regierung fUr aile Staatsbetriebe einheitlich geregelt (z. B. Verkehrszuschuss usw.). Die Hiihe der betriebsspezifischen Zuschusszahlung hangt von der Ergebnislage des Betriebes abo Nur diejenigen Mitarbeiter kiinnen die betriebsspezifische Zuschusszahlung in voller Hiihe bekommen, die keine Fehlzeiten (z. B. wegen Krankheit) aufweisen und nicht wegen gravierender Fehlverhalten (z. B. gesetzwidriges Verhalten) sanktioniert werden (Erfangji 1992, S. 106).
1m Iahr 1991 wurde das oben beschriebene System im Zusammenhang mit der EinfUhrung des "labour contract systems" vereinfacht. Der "skill-based"-Teil und der "post-based"-Teil des Grundgehalts wurden zusammengelegt. Insgesamt wurden 28 Gehaltsstufen (ohne Zwischenstufen) klassifiziert. Iede Stufe entsprach einer bestimmten Position und einer bestimmten Stufe der technischen Qualifikation. Das hiichst miigliche Monatsgehalt (auf der Stufe 28) betrug 490 Yuan im Iahr 1991. Der niedrigste Monatsgehalt (auf der Stufe 1) betrug in demselben Iahr 100 Yuan. Die durchschnittliche Gehaltsdifferenz zwischen den Gehaltsstufen betrug 13,93 Yuan! Monat, was wesentlich griiBer als die bei Tianyuan (9,23 Yuan! Monat im Iahr 1990) war.
Nach dem Biirsengang im Jahr 1992 wurden weitere leistungsbezogene Entlohnungsformen eingefUhrt: 1m Rahmen der Managementbeteiligung miissen all diejenigen von Erfangji, die Mitglieder von BOD oder BOS sind, Anteile der Firma erwerben. Mit der Managementbeteiligung soli mehr Leistungsdruck auf die Fiihrungskrafte erzeugt werden. EingefUhrt wurde auch die Mitarbeiterbeteiligung. 1m Jahr 1995 besaB knapp ein Viertel der Belegschaft (24 %) Aktien der Firma. Der Anteil der Mitarbeiterbeteiligung am Grundkapital lag jedoch noch deutlich unter der gesetzlichen Hiichstgrenze von 5 % (Erfangji Iahresbericht 1996). Durch Management- und Mitarbeiterbeteiligung ist die Vermiigensentwicklung der Betriebsmitglieder mit der Wertperformance der Firma auf dem Kapitalmarkt verkniipft worden.
Urn den Leistungsbezug der Managervergiitung zu verstiirken, fUhrte Erfangji seit 1995 das sogenannte "Iahresgehaltssystem" (nian xing zhi) ein. Nach diesem System bekommt ein Manager auf der hohen und mittleren Hierarchieebene jeden Monat 60 % des am Jahresanfang vereinbarten Monatsgehalts. Werden die vereinbarten Leistungsziele der Firma undloder die des Verantwortungsbereichs des Managers realisiert, bekommt der Manager am Ende des Iahres den Rest 40 % seines Gehalts auf einem Firmenkonto gutgeschrieben. Werden die Ziele nicht erreicht, bekommt der Manager weniger als 40 % oder - in dem schlimmsten Fall -gar nichts gutgeschrieben. Die Guthaben in den guten Iahren dienen als Risikoreserven fUr die schlechten Iahren, in denen die vereinbarten Leistungsziele verfehlt werden. Erst am Ende der Amtsperiode des Managers lO7 wird die Abrechnung gemacht.
Das "Iahresgehaltssystem" von Erfangji, das im iibrigen seit Mitte der neunziger Jahre auch in einigen anderen chinesischen Staatsbetrieben eingefiihrt worden ist, zeigt bereits groBe Ahnlichkeit mit der variablen, performance-basierten Managementvergiitung in westlichen
107 Eine Amtsperiode betriigt normalerweise drei Jahre (Interviews FebruarlMiirz 1999).
181
Untemehmen (vgl. BotzeVSchwilling 1998, S. 154 ff.). Anfang 1999 wurde das System in Erfangji bereits auf der Topmanagementebene etabliert. Experimente auf der Ebene des mittleren Managements wurden noch nicht ganz abgeschlossen (Interviews FebruarlMarz 1999)
4.2.3.3. Fazit zum Wandel der Betriebsorganisation
In bezug auf die Organisationsstruktur tat Erfangji im Betrachtungszeitraum drei groBe Schritte der Transformation: betriebsinteme Dezentralisierung im Jahr 1986 ("Fabrik in der Fabrik"), Trennung zwischen operativen und strategischen Verwaltungsaufgaben im Jahr 1992 ("Matrix-Organisation") und Aufbau einer marktorientierten Organisationsstruktur mit starker Ergebnisverantwortung der einzelnen Einheiten seit 1996/1997 ("Decision Center", "Profit Centers" und "Cost Centers"). Diese Schritte sind nach Ansicht des Verfassers als wichtige Meilensteine im Prozess der organisatorischen Neugestaltung von Erfangji zu bewerten.
Unveriindert geblieben war im Betrachtungszeitraum der Sozial- bzw. Wohlfahrtsbereich des Betriebes. Die Funktionseinheiten der Partei blieben auch voll integriert in der Verwaltung. 1m Organigramm von Erfangji Ende 1998 kann man weiterhin Abteilungen finden, die Strukturen der iibergeordneten BehOrden nachbilden. AuBerdem ist darauf hinzuweisen, dass die etablierten Beziehungen zwischen Betriebsmanagement, Partei und Gewerkschaft nach dem Borsengang intakt waren. In den Entscheidungs- und Aufsichtsorganen der bOrsennotierten Firma dominierte die alte Fiihrungsmannschaft des Staatsbetriebes.
Der Wandel im betriebsintemen Planungs-, Steuerungs- und Kontrollsystem verlief bis Anfang der neunziger Jahre wie der bei Tianyuan. Nach dem Borsengang wurden weitere Transformationsschritte getan: 1m betriebsintemen Kennzahlensystem stellte man die Marketing-Nertriebs-bezogenen Kennzahlen im Vordergrund. 1m zentralen Managementfokus standen diejenigen Kennzahlen, die sich auf Ergebnis und Eigenkapital beziehen. Neu eingeflihrt wurden auch Entlohnungs- bzw. Anreizsysteme, die das Leistungsprinzip starker in den Vordergrund stellen. So wurden Manager und Mitarbeiter an der Firma beteiligt. Seit 1995 wurde schrittweise das "Jahresgehaltssystem" flir das Topmanagement und das mittlere Management eingeflihrt. Dieses System der variablen Managemententlohnung iihnelte schon sehr dem performance-basierten Managementkompensationssystem in westlichen Unternehmen.
4.2.4. Das Gesamtbild des Wandels
Als Fazit werden die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen Veriinderungen in den einzelnen Teilaspekten der Betriebsflihrung von Erfangji in der Obersichtsdarstellung im Anhang 13 zusammengestellt.
182
Tabelle 28: Betriebsintemes Kennzahlensystem von Erfangji gegen Ende 1998
Kennzahlen
1) Marketing / Vertrieb Davon: Vertrieb / Absatz (Inland) Export und Import Devisenverwaltung After-Sales-Services Marktprognose
2) Ergebois / Rentabilitiit davon: Gewinn vor Steuer Ergebnis der Finanzanlagen AuBerordentliches Ergebnis Ergebnis der Tochterfirmen (jeweils 3-10 Kennzahlen pro Tochterfirma)
3) Shareholder's Equity (Eigenkapital) davon: Bilanzielles Eigenkapital Grundkapital Gewinnverwendung Sonstige Kennzahlen in bezug auf das Eigenkapital
4) Internes Management davon: in bezug auf einzelne Funktionsbereiche Produktion Qualitatskontrolle Produktionsvorbereitung Personal sowie Lohne und Gehalter Material! Logistik Investitionen Forschung und Entwicldung Betriebsmittel (Produktionsanlagen) Arbeits- und Werkssicherheit Technische und betriebswirtschaftliche SchlUsselkennzahlen Material-/ Energieverbrauch Qualitat Kosten Kapitalbindung im Umlaufvermogen in bezug auf einzelne Werkstatten (Produktionseinheiten) in bezug auf die Niederlassungen in bezug auf unterstUtzende Einheiten
5) Zusammenfassende Bewertung davon: Fahigkeit zur Anpassung an den Markt Liquiditat! finanzielle Sicherheit Rentabilitat Produktivitat Selbstentwicldungspotential Vergleich mit anderen Betrieben (als ein separater Bereich)
Gesamtanzahl der Kennzahlen
Anzahl
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58 45 20 5 16 4
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32 9 7 6 10 34 20 13 34 6 5 9 3 11
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415
QueUe: Systematik betriebsintemer Kennzahlen von Erfangji (iibersetzt durch den Verfasser)
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4.3. Fazit zur Fallstudie "Erfangji"
Betrachtet man am Ende der Betrachtungsperiode das Grundmodell der Betriebsfiihrung bei Erfangji, kann man sowohl marktwirtschaftliche als auch planwirtschaftliche Elemente identifizieren. 1m Vergleich zu Tianyuan weist Erfangji jedoch wesentlich mehr marktwirtschaftliche als planwirtschaftliche Elemente auf (vgl. Grobbewertung auf der Seite 184). Die Firma befand sich nach Auffassung des Verfassers Ende 1998 in der Grenzzone zwischen der "unvollkommenen Transformation" und "konsequenter Neuorientierung" (vgl. Seite 57f. dieser Arbeit).
Die Fallstudie "Erfangji" macht folgende Punkte deutlich:
1) Der Transformationspfad eines Staatsbetriebes kann im Kontext der graduellen Systemtransformation (wie z. B. in China) eine Mischform zwischen gradueller und schockartiger betrieblicher Transformation aufweisen (vgl. Seite 79f. dieser Arbeit).
Bei Erfangji kann man grob zwei Phasen der betrieblichen Transformation unterscheiden (vgl. Ubersichtdarstellung im Anhang 13): Die erste Phase bezieht sich auf den Zeitraum 1984-93, in dem nur gradueller Wandel erfolgte, deren Verlauf im groBen und ganzen mit dem von Tianyuan vergleichbar war. Die Periode nach 1994 bildet die Phase der Restrukturierung, in der groBe Schritte der betrieblichen Transformation binnen relativ kurzer Zeit (1995-1998) getatigt wurden. Der "Performanceschock" seit 1994 fiihrte bei Erfangji zu einer wesentlichen Beschleunigung des Modellwechsels in der Betriebsfiihrung. Die Restrukturierung von Erfangji seit 1994 hat nach Ansicht des Verfassers den Charakter der "schock-artigen" betrieblichen Transformation gezeigt.
2) Den groBten AnstoB lOr betrieblichen Transformation hat weniger die Vergesellschaftung oder Borsengang gegeben, aber vielmehr die gravierende Ergebnisverschlechterung des Staatsbetriebes nach 1994.
Vergesellschaftung und Borsengang haben den seit 1984 begonnenen Prozess der Trennung von Eigentums- und Managementrechten bei Erfangji ein formal-juristisches Ende gesetzt. Einige alte Strukturen blieben jedoch hinter der neuen Fassade bestehen. So wurden die etablierten Beziehungen zwischen der iibergeordneten Behorde (nun als Holdinggesellschaft und GroBaktionar) und Erfangji (nun als eine der Tochterfirmen) beibehalten. Intakt war auch die enge Verflechtung zwischen Management, Partei und Gewerkschaft im Betrieb. Die alte Fiihrungsmannschaft dominierte die Entscheidungs- und Aufsichtsorgane der Gesellschaft, so dass das private Kapital nur schwache Stimrnen in dieser borsennotierten Firma hatte (vgl. Seite 160 und 176 dieser Arbeit).
Die formal-juristische Neugestaltung der Eigentumsrechte (property rights) allein hat somit nicht automatisch zur starker marktwirtschaftlich orientierten Betriebsfiihrung fiihren konnen. 1m Fall von Erfangji kamen die meisten MaBnahmen der marktwirtschaftlich orientierten Transformation erst nach dem dramatischen Ergebniseinbruch Mitte der neunziger Jahre. Es war die andauemde Ergebniskrise, die den starksten Transformationsdruck auf den Staatsbetrieb ausgeiibt hat.
186
3) Mit dem Fortschritt der graduellen Systemtransformation in China hat sich der exteme Kontext flir betriebliche Transformation von Erfangji zwar im Vergleich zu dem von Tianyuan wesentlich verbessert. Jedoch gab es im Betrachtungszeitraum weiterhin exteme Inkonsistenzen, die direkt oder indirekt betriebliche Transformation beeintriichtigen.
Die Fallstudie "Erfangji" hat z. B. folgende Inkonsistenzen im betriebsextemen Umfeld in China deutlich gemacht:
-- Inkonsistenzen auf dem Absatzmarkt:
Einerseits wurden die Miirkte schrittweise geOffnet und liberalisiert. Andererseits existierten weiterhin planwirtschaftliche Eingriffe der Regierung in Form der sogenannten "Industriepolitik". So wurde der Abbau der vermeintlichen .. Uberkapazitiit" von Spindeln flir Baumwolle im Jahr 1997 von der Regierung angeordnet und der Verkauf von Spinnmaschinen flir Baumwolle im Inland verboten. In solcher Umgebung wird nach Ansicht des Verfassers das urspriingliche Marktsignal verzerrt, und die Staatsbetriebe mUssen sich bei deren Geschiiftsplanung weiterhin stark an der Politik der Regierung orientieren als an dem Markt.
Planwirtschaftliche Eingriffe der Regierung im Rahmen der Branchen- und Technologiepolitik waren auch daflir verantwortlich, dass sich Erfangji bis Mitte der neunziger Jahre hinein in wichtigen strategischen und operativen Fragen des Wertmanagements (z.B. Produktund Technologiepolitik etc.) nur schwer von der Behiirdenorientierung und -abhiingigkeit ablOsen konnte (siehe Erliiuterungen zum Projekt .. Autoconers" auf der Seite 163 dieser Arbeit).
-- Inkonsistenzen auf dem Kapitalmarkt:
Einerseits gewann das private Kapital zunehmend an Bedeutung fUr die Finanzierung der Staatsbetriebe. Andererseits stellten die staatlichen Geschiiftsbanken mit deren nachgiebiger HaItung gegenUber den staatlichen Kreditnehmem weiterhin als Quelle .. weicher Kredite" dar. FUr Erfangji bedeutete das, dass die Firma zwar aufgrund des Wertsteigerungsanspruchs der privaten Investoren einen stiirkeren Leistungsdruck als friiher bekam. Wert vemichtende Aktivitiiten wie z. B. UbermiiBige Diversifikationen konnten jedoch problemlos mit den Krediten der staatlichen Banken finanziert werden.
-- Inkonsistenzen auf dem Arbeitsmarkt:
Einerseits wurden die sogenannten Re-employment Service Centers (RESCs) zur Erleichterung des Abbaus redundanten Personals in den Staatsbetrieben errichtet, die es zur Zeit von Tianyuan noch nicht gab. Andererseits ging die Regierung nach Ansicht des Verfassers hier weiterhin planwirtschaftlich vor, indem flir jeden Staatsbetrieb ein .. Jahres-kontingent" flir den Personalabbau festgelegt wurde. Dies flihrte dazu, dass Erfangji vorhandenes Potential zur Senkung der Personalkosten nicht sofort sondem nur schrittweise ausschopfen durfte.
187
4} Betriebsinteme Transformationsbereitschaft und -fahigkeit von Erfangji variieren - wie die von Tianytian - nach den einzelnen Teilaspekten der Betriebsfiihrung.
Die groBte Tragheit kann z. B. im Sozial- und Wohlfahrtsbereich des Betriebes beobachtet werden. Auch nach dem Borsengang blieb der Sozialbereich des Betriebes unveriindert. GroBe Wandlungsbereitschaft wurde dagegen in den fiir die Betriebsmitglieder wert- und interessenneutralen Aspekten wie z. B. Produktpolitik oder Marketing-Nertriebspolitik gezeigt (vgl. hierzu auch iihnliche Beobachtung in der Fallstudie "Tianyuan"). Dies bestiitigt die These aus den theoretischen Analysen dieser Arbeit, dass die Mitglieder eines Staats-betriebes erst dann zur Veranderung eines bestimmten Aspektes der BetriebsfUhrung bereit sind, wenn diese Veriinderung ihren Eigeninteressen und vorherrschenden Paradigmen bzw. Wertorientierungen entspricht (vgl. Seite 7lf. dieser Arbeit).
5} Die Fallstudie "Erfangji" hat deutlich gemacht, dass ein Staatsbetrieb aus dem Umgang mit dem neuen marktwirtschaftlichen Umfeld lemen soli and kann, urn den Modellwechsel der BetriebsfUhrung herbeizufUhren.
Der Pfad der Transformation von Erfangji war ein Lemprozess, in dem der Staatsbetrieb Erfahrung und Know-how iiber marktwirtschaftlich orientiertes Wertmanagement sammelte. So hat Erfangji auf Basis der ersten schmerzhaften Erfahrungen mit der Marktwirtschaft seit Mitte der neunziger Jahre einen deutlichen Kurswechsel vorgenommen: konsequenter Strategiewechsel von der "high-tech"-Orientierung zur Marktorientierung im Bereich der Produkt- und Technologiepolitik, schrittweise Korrektur der Fehlentscheidung beziiglich der Geschaftsdiversifikation, Ausbau der Marketing- und Vertriebsaktivitaten sowie erste Kiirzungen im Bereich der Sozial- bzw. Wohlfahrtsleistungen.
Der Lemprozess ist hier durch "learning by doing" bzw. "trial and error" gekennzeichnet. Das ist ein Grund dafiir, dass betriebliche Transformation von Erfangji nicht iiber Nacht, sondem nur schrittweise erfolgen konnte. Inkonsistente Anreize in der Umwelt, mangelnde Lembereitschaft und -fahigkeit der Betriebsmitglieder hindem zeitweise den Lemfortschritt in einigen Aspekten der BetriebsfUhrung. 1m Zeitverlauf kumulierten sich jedoch die einzelnen kleinen Schritte in die richtige Richtung zu einem Quantensprung.
So gesehen ist der Mangel an Transformationsbereitschaft und -fahigkeit nur ein temporares Phiinomen. Auch die Wertvorstellungen der Betriebsmitglieder konnen sich im Zeitraum deutlich iindem. So waren der Personalabbau und die Kiirzungen im Sozial- und Wohlfahrtsbereich fUr den "sozialistischen Betrieb" am Anfang der Betrachtungsperiode (Anfang der achtziger Jahre) noch kaum vorstellbar gewesen. Seit Mitte der neunziger Jahre gehoren diese MaBnahmen zum MaBnahmenpaket des Managements zur Restrukturierung von Erfangji. Insofem sind aile Einflussfaktoren der betrieblichen Transformation, wozu auch die normativen Faktoren gehoren, nicht statisch, sondem nur dynamisch zu bewerten.
188
V. Zusammenfassende Thesen und Empfehlungen fUr betriebliche Transformation in China
In diesem Kapitel wird versucht, auf Basis der vorangegangenen theoretischen Analysen und der qualitativ-empirischen Untersuchung die drei Fragen zu beantworten, die in der Einfiihrung dieser Arbeit gestellt wurden (vgl. Seite 3 dieser Arbeit). 1m ersten Schritt geht der Verfasser auf die Frage ein, ob chinesische Staatsbetriebe substanzielle Fortschritte in der betrieblichen Transformation gemacht haben (=organisatorische Transformation), oder ob sie weiterhin auf dem Grundmuster der planwirtschaftlich orientierten Betriebsfiihrung verharren (=organisatorische Tragheit). Dann werden die betriebsexternen und betriebsinternen Probleme bzw. Hindernisse der betrieblichen Transformation in China systematisiert. Dabei werden neben den Ergebnissen der beiden Fallstudien auch verfiigbare Materialien aus der Sekundarliteratur sowie Materialien aus weiteren Interviews im Shanghaier Industriesektor verwendet. Zum Abschluss dieses Kapitels werden einige konzeptionelle Ansatze zur Beschleunigung der betrieblichen Transformation in China empfohlen.
1. Zum Entwicklungsstand der betrieblichen Transformation in China
Betrachtet man den Transformationspfad der beiden Fallbetriebe, kann man feststellen, dass im Grundmodell der Betriebsfiihrung beider Firmen am Ende der jeweiligen Betrachtungsperiode sowohl plan- als auch marktwirtschaftliche Elemente zu beobachten sind. Aufgrund des "Hybridmusters" der Betriebsfiihrung kann man weder von der totalen Tragheit noch von der vollkommenen Transformation der Staatsbetriebe sprechen.
Folgt man den ganzheitlichen Ansatz der "Erfolgsmessung" und Phasendefinition fiir betriebliche Transformation (vgl. Seite 61 ff. dieser Arbeit), so befinden sich beide Fallbetriebe am Ende der jeweiligen Betrachtungsperiode in der Phase der "unvollkommenen Transformation". Es gibt bereits erste Ansatze des marktorientierten Wertmanagements (vgl. entsprechende Erlauterungen in den Fallstudien):
In bezug auf die Zielsetzung des Betriebes ist zunehmende Ergebnis- bzw. Gewinnorientierung der Staatsbetriebe zu beobachten. In bezug auf die Betriebsaktivitaten hat sich der qualitative Wandel durch eine Reihe von Punkten gekennzeichnet, wie z. B. der schrittweise Abschied yom reinen Produktionsfokus und die ersten Ansatze zur marktorientierten Geschaftsdiversifikation, die Bemiihung zur Entwicklung neuer marktfahiger Produkte, die Investitionen zur technischen Modernisierung, die Rationalisierung auch im Personal bereich sowie die Anstrengung zur Sen kung der betrieblichen Kapitalbindung (Asset Management). In bezug auf die Betriebsorganisation hat die bisherige Organisationsstruktur neue Elemente aufgenommen. So hat Erfangji erste Ansatze zur marktorientierten Organisation entwickelt (vgl. Seite 175 ff. dieser Arbeit). Von behordenorientierter Produktionsplanung und -steuerung geht man schrittweise zur marktorientierten, ganzheitlichen Unternehmensplanung und -steuerung iiber. Das betriebliche Kennzahlensystem reflektiert - als eines der internen Steuerungsinstrumente - zunehmend die Ergebnis- und Marktorien-
189
tierung des Managements. 1m Gehalts- und Pramiensystem ist das Leistungsprinzip sukzessiv in den Vordergrund gestellt worden.
Neben den genannten Fortschritten in vielen Teilaspekten der Betriebsflihrung sind aber weiterhin einige planwirtschaftliche Elemente zu beobachten (vgl. entsprechende Erliiuterungen in den beiden Fallstudien):
Die aus der Zeit der Planwirtschaft stammende Behordenorientierung der Staatsbetriebe ist immer noch nicht beseitigt worden. Anlehnung der betrieblichen Langfristplanung an staatliche Fiinfjahrespliine, Definition betrieblicher Produktpolitik im Einvemehmen mit staatlicher Industrie- und Technologiepolitik sowie Orientierung betrieblicher Aktivitiiten an den Kampagnen der Regierung usw. sind nur einige Beispiele flir die verbleibende Behordenorientierung chinesischer Staatsbetriebe. 1m Sozial- und Wohlfahrtsbereich tut es den chinesischen Staatsbetrieben schwer, sich konsequent von der planwirtschaftlichen Tradition zu verabschieden. Auf das Ideal des "modemen sozialistischen Betriebes" hat z. B. Erfangji immer noch nicht verzichten konnen, auch wenn der Betrieb bereits an der Borse notiert ist. Verzogerter Abbau der Personalredundanz und Fortfiihrung der Sozial- und Wohlfahrtseinrichtungen auch in den Krisenjahren sind Ausdruck der organisatorischen Triigheit in diesem Bereich. Von den staatlichen Geschiiftsbanken konnen viele Staatsbetriebe weiterhin weiche Kredite aufnehmen. Eine gezieite, marktwirtschaftlich orientierte Kapitalstrukturpolitik des Staatsbetriebes ist noch nicht entwickelt worden. Nicht zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass die Parteiorganisation weiterhin in der betrieblichen Verwaitung integriert ist. Politische Erziehung und Propaganda werden als betriebsinteme Steuerungsinstrumente beibehalten, wobei diese zunehmend der betriebswirtschaftlichen Zielsetzung dienen sollen. Und die Partei entscheidet weiterhin flir die Managementfragen des Staatsbetriebes (Stichwort: "Partei fiihrt Kader").
Zu erwiihnen ist schlieBlich der Mangel an Erfahrungen iiber strategische und untemehmenswertorientierte Untemehmensfiihrung in chinesischen Staatsbetrieben. Mit den neuen Moglichkeiten der Marktwirtschaft haben einige Staatsbetriebe noch nicht richtig umgehen konnen. Fehlentscheidungen von Erfangji bei der Diversifikation Anfang der neunziger Jahre liefem gute Beispiele daflir (vgl. entsprechende Erliiuterungen in der Fallstudie "Erfangji").
Nicht zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass der Fortschritt der betrieblichen Transformation in unterschiedlichen Staatsbetrieben unterschiedlich ausgepriigt ist. Vergleicht man den Stand der betrieblichen Transformation von Erfangji am Ende der Betrachtungsperiode mit dem von Tianyuan, so kann man unterschiedlichen Fortschritt der beiden Betriebe in dem Transformationspfad deutlich feststellen.:
Tianyuan befand sich nach fiinfzehn Jahren gradueller Transformation am Ende der Betrachtungsperiode (1979-94) in einem Zustand, in dem weiterhin viele planwirtschaftliche Elemente in der Betriebsfiihrung zu beobachten waren (vgl. Seite 141 ff. dieser Arbeit). Fiir Erfangji markierte der gravierende Umsatz- und Ergebniseinbruch Mitte der neunziger Jahre den Beginn der Phase beschleunigter Transformation. Am Ende der Betrachtungsperiode (1984-98) befand sich der Betrieb nach Ansicht des Verfassers bereits in der Grenzzone
190
zwischen "unvollkommener Transformation" und "konsequenter Neuorientierung" (vgl. Seite 182 ff. dieser Arbeit).
Dass beide Fallbetriebe nach jeweils vierzehn bzw. fiinfzehn Iahren keine konsequente Neuorientierung geschafft haben, deutet auf vorhandene Probleme bzw. Hindemisse im Transformationspfad chinesischer Staatsbetriebe hin. Diese werden in den folgenden Abschnitten systematisiert.
2. Zu den Hindernissen der betrieblichen Transformation in China
Zur Systematisierung der Probleme bzw. Hindemisse der betrieblichen Transformation in China kann man das im Kapitel ill erHiuterte Modell zur Erkliirung des Fortschritts der betrieblichen Transformation heranziehen. Demnach basiert der Fortschritt der betrieblichen Transformation auf zwei Ursachenkomplexen: betriebsextemer Transformationsdruck und betriebsinteme Bereitschaft und Fahigkeit zur Transformation (vgl. Seite 62 ff. und Abbildung 8 auf der Seite 73 dieser Arbeit). Die These dieser Arbeit ist es, dass chinesische Staatsbetriebe bisher noch nicht die vollkommene bzw. konsequente Neuorientierung geschafft haben, weil
1) mehrere Faktoren im betriebsextemen Umfeld den Transformationsdruck auf die Staatsbetriebe verringem oder gar als "Bremsen" der betrieblichen Transformation fungieren (exteme Hindemisse), und
2) betriebsinteme Bereitschaft und Fahigkeit zur konsequenten Transformation in vielen Staatsbetrieben weiterhin begrenzt sind (interne Hindemisse).
Dies wird in den folgenden Abschnitten naher erlautert.
2.1. Betriebsexterne Hindernisse
Die graduelle Systemtransformation in China hat mehr und mehr ein marktwirtschaftliches Umfeld flir die Staatsbetriebe geschaffen (vgl. Seite 62 ff. und Seite 96 ff. dieser Arbeit). Dadurch erhoht sich zunehmend der betriebsexteme Transformationsdruck auf die Staatsbetriebe. Andererseits ist das betriebsexteme Umfeld mit gro8er Inkonsistenz gekennzeichnet. Eine Reihe von betriebsextemen Faktoren hindem konsequente marktwirtschaftlich orientierte Transformation der Staatsbetriebe. Ohne den Anspruch auf Vollstandigkeit zu erheben, versucht der Verfasser in den folgenden Abschnitten einige der Probleme naher zu betrachten, die zum Teil bereits in den beiden Fallstudien erwiihnt wurden (vgl. Seite 146 ff. und Seite 186 ff. dieser Arbeit):
Probleme von seiten des Eigentlimers Probleme von seiten der staatlichen Geschaftsbanken Probleme auf den Produktmiirkten Probleme im sozialen Bereich Probleme im politischen System
191
2.1.1. Probleme von seiten des Eigentiimers
Die Regierung ist trotz der Teilprivatisierung der Staatsbetriebe (z. B. durch Going Public) der maBgebende Shareholder mit absoluter oder relativer Mehrheit der Stimmrechte in den chinesischen Staatsbetrieben geblieben. Bei der borsennotierten Finna Erfangji hat z. B. die
ehemals Ubergeordnete Behorde, die nun in eine staatliche Hoidinggesellschaft umgewandelt
wurde, 46 % der Anteile, wiihrend der Anteil des einzelnen privaten Investors vemachlassigbar gering ist (siehe Tabelle 21 auf der Seite 151 dieser Arbeit)I08. Die Dominanz der
Regierung als Shareholder bringt mehrere Probleme mit sich:
(1) Ein groBes Problem ist es, dass nicht-kommerzielle Ziele der Regierung in den Staats
betrieb "hineingebracht" werden.
Da das Management von dem GroBaktionlir bzw. von der Regierung bestimmt wird, neigt das Management dazu, im betrieblichen Entscheidungsprozess den Zielvorgaben der Regierung dem Vorrang zu geben, auch wenn diese Zielvorgaben nicht immer im Einklang mit dem Ziel der Shareholder Value-Steigerung stehen. Die gleichzeitige Verfolgung der gesamt- und
einzelwirtschaftlichen Ziele fUhrt zum Zielkonflikt, der ein charakteristisches Merkmal des "Hybridmusters" der BetriebsfUhrung in chinesischen Staatsbetrieben darstellt.
Der Untemehmensauftrag in der Satzung der borsennotierten Finna Erfangji (vgl. Seite 158 dieser Arbeit) Uberbetont z. B. mogliche Zielkongruenz zwischen Shareholder Value und
Nutzen der Allgemeinheit (vgl. hierzu Rappaport 1995, S. 12 f. und McTaggart et al. 1994, S. 18). Uber mogliche Zielkonflikte wird verschwiegen, und in kritischen Situationen kommt in der Regel der Aspekt "Shareholder Value" zu kurz: Das Verlustprojekt "Autoconer", die FortfUhrung der Sozial- und Wohlfahrtseinrichtungen auch in den Krisenjahren, der verzogerte Personalabbau durch Einhaltung an dem sogenannten "Abbaukontingent" der Regierung usw. sind nur einige Beispiele fUr diesen Punkt (vgl. entsprechende Erlauterungen in der Fallstudie).
Einige Interviewpartner in Shanghai berichteten ferner, dass die Stadtregierung Shanghai das jiihrliche Wachstumsziel fUr den Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach Branchen zerlegt und
den Zielbeitrag der einzelnen staatlichen Holdinggesellschaften vorgibt. BIP wird auBerdem als eines der Bewertungskriterien fUr staatliche Holdinggesellschaften verwendet (Interviews
FebruarlMlirz 1999). BIP bildet aber als Kennzahl nicht einzelwirtschaftliche Leistung der Shareholder-Value-Steigerung, sondem gesamtwirtschaftliche Wertschopfung. Die Praxis der
Stadtregierung Shanghai macht den Versuch des Staates deutlich, trotz der angekUndigten
Geschaftsautonomie den Staatsbetrieben nicht-betriebswirtschaftliche Ziele aufzuzwingen.
108 Die Statistik der beiden chinesischen Borsen (Shanghai und Shenzhen) zeigt. dass der Anteil der SAMB an den bOrsennotierten Unternehmen im Jahr 1997 rund 33 % betrug. Sonstige staatliche Unternehmen hielten mehr als 22 % der Anteile. SOInit betrug der Anteil direkter und indirekter Beteiligung des Staates an den biirsennotierten Unternehmen mehr als 55 %. Der Anteil der A- bzw. B-Aktioniire betrug jeweils 31 % bzw. 6 %. Weiterer 6 % der Anteile lag in Handen der Investoren an der Hongkonger Borse (H-Aktionare). Der Rest 3 % gehorte der Belegschaft der biirsennotierten Unternehmen. Quelle: eigene Berechnung mit Daten aus Chen Xing Securities (Hrsg.) (1998). S. 77.
192
(2) Ein wei teres Problem ist es, dass der Staatsbetrieb, auch wenn er an der Borse notiert ist, yom Transformationsdruck der privaten Investoren (z. B. A- und B-Aktioniire) quasi "abgeschirmt" wird.
Die privaten Investoren verfolgen klare einzelwirtschaftliche Ziele und sind am meisten am
Fortschritt der betrieblichen Transformation des beteiligten Staatsbetriebes interessiert. Aufgrund der Dominanz des staatlichen GroBaktioniirs haben private Investoren jedoch kaum nennenswerte Stimme in den Entscheidungs- und Aufsichtsorganen des Staatsbetriebs. Auch die Information der privaten Investoren ist nach Ansicht des Verfassers nicht zufriedenstell end: 1m Bereich der Rechnungslegung und Publizitat sind die gesetzlichen Vorschriften in
China nach westlichem MaBstab als unzureichend zu bewerten. Vor allem den einheimischen Kleinaktioniiren wird allzu oft ein systematisch verschonertes Bild der Finanzlage der staatlichen Gesellschaften prasentiert (vgl. Seite 17lf. dieser Arbeit).
(3) Die biirokratischen Elemente im staatlichen Vermogensverwaltungssystem hindern die
Regierung daran, wie ein privater Investor die Shareholder-Funktion wahrzunehmen und
effektive Kontrolle iiber Staatsbetriebe auszuiiben.
Die Reform der staatlichen Industrieverwaltung Mitte der neunziger Jahre hat das System der staatlichen Vermogensverwaltung (state asset management system) eingefiihrt. Damit wurden
zwar de juri unterschiedliche Funktionen der Regierung (shareholder, policy maker, public administrator) getrennt (vgl. Weltbank 1997, S. 33 f. und Seite 98f. dieser Arbeit). De facto ist
die Funktionstrennung jedoch noch nicht ganz vollzogen (vgl. hierzu auch Weltbank 1997, S. 37 f.).
1m Shanghaier Industriesektor spielt z. B. weiterhin die Wirtschaftskommission der Stadtregierung (Shanghai Economic Commission SHEC) die entscheidende Rolle flir strategische Zielsetzung der staatlichen Industriebetriebe. Denn der Managementvertrag ("state asset management responsibility contract") wird hauptsachlich zwischen SHEC und der einzelnen staatlichen Holdinggesellschaft ausgehandelt. Andererseits Iiegen Aufgaben wie z. B. Auswahl und Bewertung des Topmanagements wieder im Kompetenzbereich der Parteiorganisation. Abteilungen der staatlichen Vermogensverwaltung wie z. B. SAMB und SAMC haben derzeit lediglich die Aufgabe, finanzielle Performance der Staatsbetriebe sowie wichtige Transaktionen zu dokumentieren (Interviews FebruarlMiirz 1999).
Es gibt also weiterhin groBen Reformbedarf im System der staatlichen Vermogensverwaltung. Bisher mangelt es auch an kommerziellen Anreizen und effektiven Kontroll- und
Steuerungsinstrumenten in den betroffenen Regierungsabteilungen wie z. B. SAMB oder
SAMe. Die Weltbank (1997) kommentiert die Situation im staatlichen Vermogensverwal
tungssystem in China wie folgt: " ... unlike an owner that can take a number of enforcement actions for noncompliance (most significantly, replacement of management, cutoff of capital
and debt or ultimately exit by sale), these organizations have ,no teeth'. They do not have the
authority, resources or incentives, as representatives of the owner, to take specific measures to
discipline a lower-level entity's board or management in the event of noncompliance (e.g.
change existing dividend and investment policies, control bank and inter-enterprise debt,
reallocate profits, and set personnel appointment and compensation policies). There are no clear incentives for NABSOP or the SAMOs to act as market-based, efficient monitors for the
193
owner, since they have little to risk or gain as a result of enterprise financial perfonnance. Staff pay and promotions are determined by administrative criteria, not the success or failure of commercial ventures." (Weltbank 1997, S. 41-42).
(4) Die oben genannten Punkte 2 und 3 schaffen ein Vakuum in der Finnenkontrolle (corporate governance/corporate control) und fiihren zur faktischen Insiderkontrolle (insider control) der Staatsbetriebe.
Insiderkontrolle einer Publikumsgesellschaft bringt die Gefahr mit sich, dass das Unternehmen von den Insidern mit a1ten Managementphilosophien und Entscheidungsprozeduren gefiihrt wird, und dass nicht die Interessen des Eigentiimers, sondern die Interessen der Insider in den Vordergrund gestellt werden (vgl. Weltbank 1997, S. 50 f.). Die Fallstudie Erfangji hat hierfiir ein gutes Beispiel geliefert: Die alte Fiihrungsmannschaft mit Mitgliedern aus Management, Partei und Gewerkschaft dominierte de facto BOD und BOS, auch wenn die staatliche Holdinggesellschaft de juri der entscheidende GroBaktionar war. Kritische Stimmen der Privatinvestoren waren so schwach, dass Fehlentscheidungen des Managements beziiglich der Diversifikation nicht verhindert werden konnten (vgl. Seite 28, 176 und 160 dieser Arbeit).
Angesichts des in vielen chinesischen Staatsbetrieben zu beobachtenden Problems der Insiderkontrolle fonnuliert die Weltbank (1997) ihr Bedenken wie folgt: "As the nominal owners have only very limited control or even infonnation about enterprise perfonnance and asset use, control over Chinese SOEs assets and cash flow rests increasingly with enterprise managers. The result of such a corporate governance vacuum is that managers (and other insiders) end up with de facto control over enterprises. In principle, insider-dominated finns may deliver efficient perfonnance, as, in the case of small finns with an owner-manager structure. But this is true only if certain conditions exist - in particular the finn does not receive any fiscal and financial system subsidies, it faces robust inter-finn competition in product and factor markets, and it scrupulously fulfills its debt-service obligations. Experiences from other transition economies show that insider-dominated corporate control has many costs and risks: asset-stripping, poor investment decisions, decapitalization through excessive wage increases, and increases in other private benefits." (WeItbank 1997, S. 50-51).
2.1.2. Probleme von seiten der staatIichen Geschiiftsbanken
Beide Fallstudien dieser Arbeit machen deutlich, dass staatliche Geschaftsbanken in China trotz der Refonnbemiihungen der Regierung Quelle weicher Kredite geblieben sind (vgl. Seite 128f. und Seite 174 dieser Arbeit). Das Risikomanagement der chinesischen Geschaftsbanken ist weiterhin unterentwickelt, auch wenn erste Zeichen des Wandels in den letzten Jahren zu beobachten sind (vgl. Weltbank 1997, S. 52 f.). Vor allem erweisen sich staatliche Geschaftsbanken in Sanierungsfallen als nachgiebige Kreditgeber, die keinen Druck auf den betroffenen Staatsbetrieb zur Restrukturierung des operativen Geschafts ausiiben (vgl. entsprechende Erlauterungen in der Fallstudie Erfangji).
Ahnliche Beobachtung hat die Weltbank (1997) gemacht. Sie hat nach ihrer Untersuchung von 156 SOEs in China festgestellt, dass die marktwirtschaftliche Neuorientierung der staatlichen Geschaftsbanken in China noch nicht weit fortgeschritten ist: " ... banks have significant
194
deficiencies in their lending skills, their ability and incentives to monitor the financial performance of enterprises, and in their capacity to discipline loss-making enterprises. Only in exceptional circumstances can banks force a change in SOE manage-ment. ... Banks also have insufficient ability to withhold loans and recover assets." (Weltbank 1997, S. 52). "Most often, banks end up continuing to finance loss-making enterprises or simply restructuring their obligations. Debt restructuring has mostly taken place through suspension of interest (and principal) repayments, with little requirements for operational restructuring .... Banks have neither set up internal debt-workout units whose sole task is to collect on problem debts and restructure (financially and operationally) or liquidate problem borrowers .... " (Weltbank 1997, S. 53).
Die Staatsbetriebe sind in diesem finanziellen Umfeld weiter in der Lage, Shareholder Value vemichtende Aktivitliten mit den "weichen" Krediten der staatlichen Geschliftsbanken zu finanzieren. Die Entwicklung einer marktwirtschaftlich orientierten, professionellen Kapitalstrukturpolitik im Staatsbetrieb kann in solchem Umfeld nicht erwartet werden.
2.1.3. Probleme auf den Produktmarkten
Die meisten Produktmlirkte sind seit Beginn der Systemreform in China schrittweise geoffnet und liberalisiert worden (vgl. Seite 96 dieser Arbeit sowie entsprechende Erlliuterungen in den beiden Fallstudien). Jedoch existieren weiterhin planwirtschaftliche Elemente auf diesen Mlirkten, die den Prozess der marktwirtschaftlich orientierten Transformation chinesischer Staatsbetriebe verlangsamen.
Denn im Land der "sozialistischen Marktwirtschaft" ist starke staatliche Intervention ein Faktum fUr das alltligliche Wirtschaftsleben (vgl. hierzu Luffang 1997). Die langjlihrige Tradition des planwirtschaftlichen Dirigismus knUpft im Zuge der graduellen Systemreform leicht an "neue" Konzeption der sogenannten .. Industriepolitik" und .. Technologiepolitik" aus dem Westen an lO9• Behordenorientierung und Behordenabhlingigkeit der Staatsbetriebe sind natiirliche Produkte im solchen ordnungspolitischen Umfeld. Die Fallstudie .. Erfangji" hat hierfUr gute empirische Beispiele geliefert:
Der Abbau der vermeintlichen "Uberkapazitlit" in der chinesischen Textilbranche per Verordnung und ZwangsmaBnahmen der Regierung ist ein klarer Beweis fUr die ununterbrochene staatliche Intervention in das Marktgeschehen. Marktorientierte Planung des Staatsbetriebes ist in diesem Umfeld nicht mehr moglich. Stattdessen muss sich der Betrieb in erster Linie an der Politik bzw. Anweisung der Regierung orientieren (vgl. Seite 157 ff.). Der starke Einfluss der Regierung auf die Untemehmensstrategie des Staatsbetriebes kann am besten mit dem Projekt "Autoconers" von Erfangji in der ersten Rlilfte der neunziger Jahre bewiesen werden: 1m Einvemehmen mit den Planem der Regierung wurde entschieden, was man produziert, wie viel man produzieren will, und welche Marktsegmente man bedienen soli (vgl. Seite 163 ff. dieser Arbeit).
Staatliche Intervention ins Marktgeschehen begUnstigt die enge Verflechtung des Staatsbetriebs mit der Regierung. Ergebnis eines Staatsbetriebes kann in diesem Umfeld nicht klar dem Management des Staatsbetriebes zugeordnet werden. Autonomie und Eigenverantwortung des Staatsbetriebes bleiben somit Schlagworter auf dem Papier. Dagegen wird der
109 Zur Induslriepolitik und Technologiepolitik im WeSlen vgl. OberenderlDaumann (1995) und die dort angegebene LiteralUf.
195
Boden fUr weitere staatliche Subvention vorbereitet. FUr das Verlustprojekt "Autoconer" konnte z. B. Erfangji staatliche Subvention von 14 MiIIionen Yuan im Jahr 1998 erhalten (vgl. Seite 163 ff. dieser Arbeit).
2.1.4. Probleme im sozialen Bereich
Chinesische Staatsbetriebe sind - wie die Staatsbetriebe in Ost- und Mitteleuropa - mit dem Problem des groBen PersonalUberhangs konfrontiert. Die Gesamtanzahl des redundanten Personals in staatlichen Untemehmen wurde auf rund 15 Millionen Menschen bzw. 20-30 % der Beschliftigten geschlitzt (SchUller 1998, S. 286; Schucher 1998, S. 752; SchUtte/ Lasserre 1996, S. 90; MacMurrayIWoetzel1994, S. 67).
Da wichtige Voraussetzungen fUr die vollstlindige Errichtung eines betriebsextemen Arbeitsmarktes (z. B. exteme Arbeitsvermittlung und betriebsexteme Sozialversicherung usw.) trotz erster Reformfortschritte noch nicht ausreichend vorhanden sind, stellt das "nach Hause schicken" fUr die Betroffenen eine extreme Hlirte dar (Schucher 1998, S. 752; Krieg/Schlidler 1995). Aufgrund der stabilitlitspolitischen Bedenken der politischen FUhrung, die soziale Unruhe auf jeden Fall vermeiden will, werden die Entscheidungsspielrliume der Staatsbetriebe in der Personalpolitik - trotz der angekUndigten Autonomierechte - nicht unwesentlich beschrlinkt (vgl. Schucher 1998).
Die beiden Fallbetriebe haben seit Mitte der achtziger Jahre auf Anweisung der Regierung versucht, das Problem der Uberbeschliftigung betriebsintem zu lasen. Seit Anfang der neunziger Jahre wurden zwar erste Schritte in Richtung betriebsextemer Uisung getan. Das sogenannte "Abbaukontingent" der Regierung regulierte jedoch die Geschwindigkeit des Personalabbaus. AuBerdem mussten die Staatsbetriebe nach Vorschriften der Regierung den Lebensunterhalt der freigesetzten Mitarbeiter finanzieren und sich urn die Arbeitsvermittlung kUmmem (vgl. entsprechende Erlliuterungen in den Fallstudien; Schucher 1998). In solchem Umfeld kann nach Ansicht des Verfassers eine konsequent marktwirtschaftlich orientierte Personalpolitik des Staatsbetriebes nicht entwickelt werden. Die Staatsbetriebe sind im Transformationspfad mit erheblichem sozialen Druck konfrontiert.
Gleiches gilt fUr die Frage nach der Zukunft der intemen Sozial- und Wohlfahrtseinrichtungen in den Staatsbetrieben. FUr Staatsbetriebe, die in llindlichen bzw. abgelegenen Gebieten mit schwacher Infrastruktur angesiedelt sind, ist das Sozial- bzw. Wohlfahrtsangebot ein Instrument zur Personalbeschaffung. FUr Betriebe in stlidtischen Ballungsrliumen wie z. B. Tianyuan und Erfangji ist der "Sachzwang" zur FortfUhrung der Sozial- und Wohlfahrtseinrichtungen zwar wesentlich geringer. Die soziale Erwartung der Offentlichkeit Ubt jedoch "unsichtbaren" Druck auf die Staatsbetriebe. Ein Interviewpartner im Shanghaier Industriesektor kommentierte dies wie folgt: "Theoretisch kann man diese Einrichtungen auslagem oder verselbstlindigen. Aber viele andere Staatsbetriebe haben das nicht gemacht. Wir auch nicht. Manches gehart heute zum Standardangebot, das von jedem erwartet wird. Ohne das Angebot sind die Leute unten nicht mehr zufrieden." (Interviews FebruarlMlirz 1999).
196
2.1.5. Probleme im politischen System
Die Systemreform in China vollzieht sich hauptslichlich im wirtschaftIichen Bereich. 1m poIitischen System sind nennenswerte Reformen bisher ausgeblieben (vgl. Sandschneider 1998, S. 182 ff.). Als Foige dieser Entwicklung ist die Parteiorganisation weiterhin in der Verwaltung des Staatsbetriebs integriert, auch wenn die Firma bereits an der Borse notiert ist (vgl. entsprechende Erlliuterungen in der Fallstudie "Erfangji").
Zwar ist die betriebsinterne Parteiorganisation heutzutage in erster Linie damit beschliftigt, reformpoIitische Aufkllirung der Belegschaft sicherzustellen und das Betriebsmanagement bei der Realisierung der betriebswirtschaftlichen Ziele zu untersttitzen (vgl. Seite 101f. dieser Arbeit). Das sogenannte Prinzip "Partei fUhrt Kader" (dan guan ganbu) stellt sich jedoch als eine groBe Hindernis fUr betriebliche Transformation dar. Nach diesem Prinzip sind die Managementpositionen des Staatsbetriebes nur mit Zustimrnung des tibergeordneten Parteikomi tees zu besetzen: Das Parteikomitee auf der Ebene der Holdinggesellschaft sorgt fUr die Besetzung der wichtigsten Managementpositionen der Tochterfirmen. Und das Parteikomitee in der einzelnen Tochterfirma ktimmern sich urn die Besetzung der mittleren Managementpositionen im Betrieb (Interviews FebruarlMlirz 1999).
Das Prinzip "Partei fUhrt Kader" verkorpert nichts anderes als die Grundidee, die Kontrolle tiber den Staatsbetrieb durch Kontrolle dessen Managements auszutiben (Interviews Februarl Mlirz 1999). Diese Praxis bringt jedoch das Problem mit sich, dass Ftihrungskrlifte der Staatsbetriebe nicht auf dem externen Markt fUr professionelle Manager rekrutiert, sondern von den Parteifunktionliren mit btirokratischen Prozeduren selektiert werden. Die Auswahlkriterien fUr Betriebsmanagement ahneln solchen fUr Parteifunktionlire bzw. Regierungsbeamten (He 1998). Das stellt sich als Bremse fUr die Entwicklung einer neuen Generation professioneller UnternehmensfUhrer dar.
In Shanghai hat man erste Reformprojekte in diesem Gebiet durchgefUhrt. So wurden kommerziell operierende Personalberatungsfirmen (head hunting companies) gegrUndet, urn die Staatsbetriebe bei der Suche nach qualifizierten Ftihrungskrliften zu untersttitzen. Angestrebt wird die Kombination der Marktlosung mit dem Auswahlverfahren der Parteiorganisation bzw. der Regierung. Der Einfluss der Regierung bzw. Parteiorganisation auf die Managementbesetzung soli in der Zukunft sukzessiv reduziert werden. Innerhalb der Partei gibt es weiterhin Widerstand gegen diese Reform, da einige alten Funktionlire den totalen Verlust der Kontrolle der Partei tiber die Staatsbetriebe befUrchten (Interviews FebruarlMlirz 1999).
Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten einige betriebsexterne Hindernisse erlliutert worden sind, werden im folgenden betriebsinterne Hindernisse der betriebIichen Transformation in China naher betrachtet.
2.2. Betriebsinterne Hindernisse
Wie bereits im Kapitel ill erlliutert, spielt das Topmanagement - aufgrund der besonderen mikropoIitischen Konstellation in den Staatsbetrieben (vgl. Seite 68 ff. und Seite 101 dieser Arbeit) - eine entscheidende Rolle fUr den "Modellwechsel" der BetriebsfUhrung. Motivation und Qualifikation des Topmanagements sind deshalb wichtige interne Voraussetzungen fUr
197
konsequente Neuorientierung des Staatsbetriebes. Gerade in diesen beiden Punkten gibt es noch erheblichen Handlungsbedarf in den chinesischen Staatsbetrieben. Dies wird im folgenden kurz erliiutert.
2.2.1. Problem der Managementmotivation
Nach Ansicht des Verfassers gibt es zwei Faktoren, die Managementmotivation in den chinesischen Staatsbetrieben beeintriichtigen: 1) Mangel an materiellen Anreizen und 2) psychologische Motivationsbarrieren. Wiihrend sich der erste Faktor auf die materielle Motivation des Managements bezieht, betrifft der zweite Faktor die ideele Antriebskraft des Managements.
Zu 1): Mangel an materiellen Anreizen
1m Zuge der Systernreform hat das Management der chinesischen Staatsbetriebe immer mehr materielle Leistungsanreize als friiher bekommen. Beide Fallstudien haben hierfiir empirische Beispiele geliefert (vgl. Seite 138 ff. und Seite 180 ff. dieser Arbeit). 1m Vergleieh zur Managementkompensation in der Privatwirtschaft ist der materielle Leistungsanreiz flir das Management der Staatsbetriebe jedoch weiterhin als sehr gering zu bezeiehnen.
In einer repriisentativen Managementumfrage aus dem Jahr 1997 haben chinesische Forscher die deutlichen Einkommensunterschiede zwischen Managem der Staatsbetriebe und Managem der Privatwirtschaft festgestellt (vgl. o. V. 1997)110. So betrug das durchschnittliche Einkommen eines Topmanagers im SOE ca. 15.519 Yuan pro lahr, wahrend ein Manager des einheimischen Privatbetriebes 26.243 Yuan pro Jahr und ein einheimischer Manager im Untemehmen mit ausliindischer Beteiligung (FIE) ein lahreseinkommen von 33.000 bis 39.000 Yuan erzielen konnte (0. V. 1997). Nur 23 % aller befragten Manager der Staatsbetriebe waren mit deren Einkommenssituation zufrieden. In der Privatwirtschaft betrug die Zufriedenheitsquote bei 60 % (0. V.1997). Chinesische Autoren berichteten, dass selbst in den Staatsbetrieben, wo das leistungsbezogene "Jahresgehaltssystem" (nian xing zhi)11I bereits umgesetzt wurde, der Betriebsdirektor auch nur das lahreseinkommen eines normalen Sachbearbeiters im Untemehmen mit ausliindischer Beteiligung (FIE) erhielt (Jia/Wang 1998, S.16).
Die negativen Foigen dieser Entwieklung liegen auf der Hand: Zum einen sind die Staatsbetriebe nieht wettbewerbsflihig auf dem Markt flir Managementtalente. Viele qualifizierte Fiihrungs- und Fachkriifte verlassen die Staatsbetriebe, urn Positionen in der Privatwirtschaft zu iibemehmen ("brain drain") (Interviews FebruarlMarz 1999; vgl. auch Jia/Wang 1998, S. 16 f.). Zum anderen stellen die begrenzten offiziellen Verdienstmoglich-keiten eine Versuchung flir die Betriebsmanager dar, sich personliehe Vorteile zu verschaffen (Interviews FebruarlMarz 1999). SchlieBlich ist ein schlecht motivierter Manager wenig daran interessiert,
110 Die Umfrage wurde von "China Management Research System" (CMRS) durchgefiihrt (o.V. 1997). CMRS ist ein staatliches Forschungsinstitut, das im Auf trag der Regierung empirische Untersuchungen im chinesischen Industriesektor durchflihrt. Die Stichprobe umfasst in der Regel 8.000-10.000 Industriebetriebe in China. Riicklaufquote der Fragebogen ca. 30 % (Anmerkung des Verfassers; vgl. auch CMRS 1997. S. 2 f.).
III Zum "Jahresgehaltssystem" siehe entsprechende Erlauterungen in der Fallstudie "Erfangji" auf der Seite 181.
198
betriebliche Transformation voranzutreiben. Ahnliche Phanomenen haben westliche Forscher in RuBland beobachtet (vgl. Trommsdorff/Schuchardt 1999, S. III f.).
Zu 2}: Psychologische Motivationsbarrieren
Ein wei teres Motivationsproblem ist von ideeler Natur. Die langjahrige planwirtschaftliche Sozialisation hat Spuren in den Kopfen des Managements der Staatsbetriebe hinterlassen. So verfolgte das Management von Erfangji auch nach dem Borsengang das Ideal des "modemen sozialistischen Betriebes" (vgl. Seite 158 dieser Arbeit). Hinter soIchen Phanomenen muss nicht unbedingt immer die parteipolitische Ideologie stehen, auch wenn fast aIle Topmanager der chinesischen Staatsbetriebe - einschlieBlich der Manager der bOrsennotierten Gesellschaft Erfangji - Mitglieder der Partei sindl12. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass die in der Zeit der Planwirtschaft entwickelten person lichen Wertorientierungen und Praferenzen des Managements nicht binnen kurzer Zeit beseitigt werden konnen.
Representative Managementumfrage in China hat gezeigt, dass es zwischen dem personlichen Zielsystem der Manager der Staatsbetriebe und dem der Manager der Privatwirtschaft deutliche Unterschiede gibt (o.V. 1997). "Harmonische zwischen-menschliche Beziehungen" und "soziale Sicherheit" wurden von den befragten Managem der Staatsbetriebe deutlich wichtiger eingeschatzt als von den Managem in der Privatwirtschaft. Dagegen wurden Ziele wie z. B. "personliches Einkommen", "Entscheidungskompetenz" und "soziales Prestige" von den befragten Managem der Staatsbetriebe nicht so wichtig eingeschatzt, wie es bei den Managem der Privatwirtschaft der Fall war (siehe Abbildung 34 auf der Seite 2oo). Die Betonung der Beziehungswerte, wie z. B. "harmonische zwischenmenschliche Beziehungen", deutet nach Auffassung des Verfassers darauf hin, dass kollektive und feminine Werte in den Kopfen der Manager der chinesischen Staatsbetriebe weiterhin dominieren. Ahnliches konnte in russischen Staatsbetrieben beobachtet werden (vgl. Trommsdorff/Schuchardt 1999, S. 92 und die dort angegebene Literatur).
Trotz der offiziellen Trennung zwischen Betriebsmanagement und Partei bzw. Regierung waren "Karriere in der Partei" und "Karriere in der Regierung" fUr einige Manager der Staatsbetriebe weiterhin wichtige personliche Ziele (siehe Abbildung 34 auf der Seite 2oo}113.
Nach derselben Managementumfrage wiirden knapp 30 % der befragten Manager der chinesischen Staatsbetriebe lieber einen anderen Beruf als "Betriebsmanager" ausiiben, falls man die Chance hatte, den Beruf neu zu wahlen. Ein Drittel von diesen Managem der Staatsbetriebe wiirde gem in der offentlichen Verwaltung bzw. Regierung arbeiten. In der Privatwirtschaft wiirden nur 3-5 % der Manager soIchen Berufswechsel vomehmen (o.V. 1997).
112 Nach der Umfrage von CMRS waren 98,9 % der befragten Manager der Staatsbetriebe Mitglieder der KP China (vgl. o.V. 1997).
Il3 He (1998) weist darauf hin, dass die Manager der chinesischen Staatsbetriebe weiterhin quasi Regierungsbeamte sind, auch wenn die Regierung in den 1etzten Jahren offiziell den Beamtenstatus der Manager der Staatsbetriebe abgeschafft hat. Denn die Manager werden in der Regel von der iibergeordneten Parteiorganisation ausgewiihlt. Die Auswahlkriterien ahneln solchen fur Regierungsbeamte bzw. Parteifunktioniire. Nach der (in der Regel auf drei Jahre begrenzten) Amtsperiode konnen viele dieser Manager in die iibergeordnete Behorde bzw. Regierungsabteilung "befordert" werden (He 1998, S. 7).
199
Abbildung 34: Personliches Zielsystem der Manager in China - Prozent der Angaben in unterschiedlichen Untemehmenstypen
0% 20% 40% 60% 80%
Selbstverwirklichung
Arbeitsbedingungen
Entscheidungskompetenz
Soziales Prestige
Harmonische zwischen-t---J menschliche Beziehungen
Soziale Sicherheit ·SOE
Personliches Einkommen o FIE (100%)
Karriere in der Partei ~ Karriere in der Regierung •
QueUe: eigene DarsteUung mit Rohdaten aus: o.V. (1997).
100%
Die Probleme in der personlichen Einstellung beeintriichtigen direkt oder indirekt die Motivation des Managements zur Fiihrung konsequenter, marktwirtschaftlich orientierter Betriebstransformation. Wie stark die kollektive Wertschiitzung das Verhalten der Manager der chinesischen Staatsbetriebe beeinflussen, hat die Managementumfrage von CMRS deutlich gemacht (o.V. 1997): Als die Manager gefragt wurden, ob sie aufgrund der guten Leistung eine auBerordentlich hohe Leistungspriimie einnehmen wiirden, antworteten 46,4 % der befragten Manager der Staatsbetriebe, dass sie das nicht "wagen" (o.V. 1997). Denn sie befiirchteten "die Verschlechterung der Beziehung zwischen Management und Belegschaft" (45,6 % der Angaben) undloder "die VergroBerung der innerbetrieblichen Einkommensunterschiede" (34,6 % der Angaben).
Zur Aufrechterhaltung der "sozialen Gerechtigkeit" hat die Regierung das Jahreseinkommen der Topmanager in chinesischen Staatsbetrieben nach oben auf maximal das Vier- bzw. Fiinffache des durchschnittlichen Pro-Kopf-Jahreseinkommens der Belegschaft begrenzt (Interviews FebruarlMiirz 1999; Gao 1997, S. 58). Anfang 1998 hat das Arbeitsministerium kurzerhand entschieden, die fliichendeckende Einfiihrung des "Jahresgehaltssystems" (nian xing zhi) im staatlichen Untemehmenssektor hinauszuzogem (Interviews FebruarlMiirz 1999; Kan 1998, S. 24). Neben anderen Argumenten hat man hier die Befiirchtung geiiuBert, dass die VergroBerung der innerbetrieblichen Einkommensunterschiede
200
die Motivation der Belegschaft beeintrachtigen wtirde, was negativ auf die Uisung des Ergebnisproblems der Staatsbetriebe auswirken wtirde (Kan 1998, S. 25).
Dass viele Manager der chinesischen Staatsbetriebe seiber auch so\Che Argumente tragen, wurde durch Angaben mehrerer Interviewpartner im Shanghaier Industriesektor bestatigt (Interviews FebruarlMlirz 1999). Ein Interviewpartner wies auf die "moralische" Bedeutung des Themas auf: "Jetzt haben viele Staatsbetriebe finanzielle Schwierigkeiten. Viele Arbeiter verlieren den Job und mtissen ins RESC gehen. Dass der Manager in diesem Zeitpunkt ein zu hohes Einkommen erzielt, ist moralisch fragwtirdig." (Interviews FebruarlMlirz 1999).
Mit solchen Einstellungen ist das Betriebsmanagement der Staatsbetriebe nieht in der Lage, harte MaBnahmen der Restrukturierung bzw. Transformation einzuleiten. Vor diesem Hintergrund kann man sieh nun leiehter nachvollziehen, warum es den chinesischen Staatsbetrieben schwer fallt, Personalredundanz abzubauen und sieh von der alten Tradition der sozialen Ftirsorge und Wohlfahrt ftir die Belegschaft zu verabschieden (vg\. entsprechende Erlauterungen in den beiden Fallstudien).
2.2.2. Problem der Managementqualifikation
Dass es dem Management der chinesischen Staatsbetriebe an Erfahrungen tiber strategische und wertorientierte Untemehmensflihrung mangeIt, wurde bereits in der Fallstudie "Erfangji" kurz erwahnt (vg\. Seite 160f. dieser Arbeit). Nach chinesischen Medien hat die Mehrheit der Manager der Staatsbetriebe keine betriebswirtschaftliche Ausbildung gehabt. Die von CMRS im Jahr 1997 durchgeflihrte Managementumfrage deutet z. B. darauf hin, dass ungefahr die Halfte der befragten Manager der Staatsbetriebe vor der Ubemahme der Managementaufgaben Parteifunktionare oder Ingenieure war und mehr als zwei Drittel der Manager von der tibergeordneten Regierung/Parteiorganisation emannt wurden (0. V. 1997). Nach der CMRS-Umfrage im Jahr 1998 hat mehr als 50 % der befragten Manager zugegeben, dass ihnen das Know-how tiber modeme Untemehmensfiihrung fehIt (Xun et al. 1998, S. 4). Vor allem in bezug auf die Flihigkeit, im Wettbewerbsumfeld richtige Geschliftsentscheidungen zu treffen, glauben viele Manager der Staatsbetriebe noch eine groBe Qualifikationslticke zu haben (o.V. 1997; siehe Abbildung 35 auf der Seite 202).
Urn betriebliche Transformation erfolgreich voranzutreiben, braucht das staatliche Unternehmenssektor in China eine marktwirtschaftliche Qualifizierungsoffensive ftir Manager (Riehter 1995; Schwertfeger 1997; Sun et a\. 1998; ZhaolDing 1998). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Managementqualifikation als ein betriebsintemes Problemfaktor nieht isoliert von der betriebsextemen Umwelt zu sehen. Unterentwickelte Infrastruktur flir Managementtraining ist nur eins der betriebsextemen Ursachenfaktoren. Die Dominanz der Regierung als Shareholder, die ununterbrochene staatliche Intervention in das Marktgeschehen sowie die verbleibenden Transformationsbarrieren in dem sozialen und politischen System des Landes schaffen nicht gerade die idealen Rahmenbedingungen flir das Heranwachsen einer neuen, marktwirtschaftlich orientierten Managergeneration in den chinesischen Staatsbetrieben.
201
Abbildung 35: Nachholbedarf in der Qualifikation nach eigenen Angaben chinesischer Manager - Anteil an der Gesamtanzahl der befragten Manager -
Entscheidungsfahigkeit
Fiiluungstechnik
Markterfahrung
Personalentscheidung Fahigkeit zur
Technologiebewertung Innovationsfahigkeit
Einstellungswandel
Public Relations-Fahigkeit Kenntnisse iiber die
Politik der Regierung
Risikobereitschaft
0,0%
Ethische Bildung -
Allgemeinbildung -
10,0% 20,0% 30,0% 40,0%
Demokratischer Fiiluungsstil -
RechtsbewuBtsein -L-____ ______ -L ______ -L ______ ____
Quelle: eigene Zusammenstellung mit Daten aus der CMRS-Umfrage (zitiert in: o.V. (1997».
2.3. Fazit
Als Fazit kann man festhalten, dass unzureichender Transformationsdruck im betriebsexternen Umfeld sowie begrenzte interne Bereitschaft und Flihigkeit zum konsequenten Modellwechsel in der Betriebsfiihrung den Fortschritt der betrieblichen Transformation in China beeintrachtigen. In der Abbildung 36 auf der Seite 203 werden die in den vorangegangenen Abschnitten erlauterten Probleme bzw. Hindernisse der betrieblichen Transformation in China zusammengefasst dargestellt.
202
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3. Ansiitze zur Beschleunigung der betrieblichen Transformation in China
Zur Beschleunigung der betrieblichen Transfonnation in China sind vorhandene betriebsexterne und -interne Hindernisse zu beseitigen. Konzeptionell lassen sich nach Ansicht des Verfassers zwei Kategorien von Ltisungsansatzen bzw. Refonnvorschlagen differenzieren: (1) Erhohung des Transfonnationsdrucks im Betriebsumfeld, und (2) Verbesserung betriebsinterner Bereitschaft und Fiihigkeit zur Transfonnation.
3.1. Erhohung des Transformationsdrucks im Betriebsumfeld
Zur Erhohung des Transfonnationsdrucks im Betriebsumfeld sind die vorhandenen Probleme in bezug auf Shareholder, Banken, Produktmarkt, Arbeitsmarkt und soziales Netz sowie politisches System zu losen (vgl. Seite 191 ff. dieser Arbeit). Gefordert wird hier der Staat, der die Rahmenbedingungen der betrieblichen Transfonnation durch beschleunigte Systemrefonn verbessern soli. 1m folgenden werden einige konzeptionelle Refonnansatze empfohlen:
1) Refonn der staatlichen Vennogensverwaltung und Verstiirkung der Kontrolle durch Privatinvestoren,
2) Transfonnation der staatlichen Geschaftsbanken, 3) Erhohung des Wettbewerbsdrucks auf den Produktmiirkten, 4) Beschleunigte Entwicklung der sozialen Infrastruktur, und nicht zuletzt 5) Entwicklung eines Managennarktes.
3.1.1. Reform der staatIichen Vermogensverwaltung und Verstiirkung der Kontrolle durch Privatinvestoren
Da sich die politische Filhrung in China weiterhin von der vollstandigen Privatisierung der staatlichen GroBbetriebe distanziert (Weltbank 1997), ist kurz- und mittelfristig bestens mit einer Teilprivatisierung der GroBbetriebe zu rechnen, wie es z. B. bei Erfangji der Fall war. Staatliche GroBbetriebe wie Erfangji milssen deshalb in der nachsten Zukunft voraussichtlich weiterhin mit der Regierung als Mehrheitsbesitzer leben.
Urn negative Folgen dieser Konstellation (vgl. Seite 192 ff. dieser Arbeit) zu venneiden bzw. zu begrenzen, muss nach Ansicht des Verfassers in erster Linie das System der staatlichen Vennogensverwaltung reformiert werden (vgl. Weltbank 1999, S. 44 ff.). Die Institutionen der staatlichen Vennogensverwaltung wie z. B. SAMB oder SAMC sind in professionelle Investmentfonds mit klar fonnulierten Zielen des Wertmanagements zu transformieren.
Die bisher auf unterschiedliche Regierungsabteilungen verteilten Kompetenzen und Verantwortungen sind auf diese Investmentfonds zu ilbertragen, damit diese Gesellschaften effektive Kontroll- und Steuerungsinstrumente besitzen. Das heiBt, Aufgaben wie z. B. Zielfonnulierung, Erfolgskontrolle und Managementauswahl bzw. -sanktion sollen moglichst in einer Hand und zwar in der Hand der kommerziell operierenden Investmentfonds gelegt werden. Hierarchische Zwischenstufen sollen moglichst eliminiert werden. Dies bedeutet eine
204
weitere konsequente Reorganisation und Vereinfachung der bestehenden Organisation der staatlichen Verrnogensverwaltung. Dariiber hinaus soli die Qualifikation des Personals der staatlichen Verrnogensverwaltung verbessert werden. Gleichzeitig ist auch hier - wie im norrnalen Unternehmen - ein leistungsbezogenes Vergiitungssystem einzufiihren.
In den Entscheidungs- und Aufsichtsorganen des Staatsbetriebes sollen professionelle
Verrnogensverwalter sitzen. Neben der Qualifikation der Reprasentanten im BOD ist empfehlenswert, gegebenenfalls qualifizierte Personen aus der Privatwirtschaft als Direktoren im BOD zu ernennen (Weltbank 1997, S. 47). So kann z. B. einem international renom
mierten Unternehmensberater beauftragt werden, die Interessen des staatlichen GroBaktionars im BOD zu vertreten (outsourcing).
SchlieBlich soli die Kontrolle durch Privatinvestoren verstarkt werden. Neben weiterer Privatisierung und Weiterentwicklung des chinesischen Kapitalmarktes ist nach Ansicht des Verfassers das bestehende Regelwerk im Hinblick auf Aktionarschutz zu modifizieren. So
soli z. B. das chinesische System der Rechnungslegung komplett auf das internationale System umgestellt werden, so dass nationale und internationale Privatinvestoren mit gleichen, nicht systematisch verzerrten Inforrnationen iiber die staatlichen Gesellschaften versorgt werden.
3.1.2. Transformation der staatIichen Geschiiftsbanken
Damit die Staatsbetriebe in der Zukunft keine weichen Kredite mehr bekommen konnen, ist
die Bankreforrn in China weiter voranzutreiben. In diesem Zusammenhang ist ein kurzer historischer Riickblick auf die bisherige Bankreforrn in China hilfreich fiir die weitere
UberJegungen:
Die Bankrefonn in China1l4 begann im Jahr 1985, als die Zentralbank (Chinese People's Bank) von den Geschaftsbanken getrennt wurde. Eine Reihe von staatlichen Geschaftsbanken wurde zu dieser Zeit gegriindet. Ais Bankkunden konnen staatliche Industriebetriebe seitdem eigene Bankverbindungen frei wahlen. 1m Jahr 1993 wurden drei staatliche Spezialbanken gegriindet, die ausschlieBlich die im Rahmen der Strukturpolitik der Regierung zu vergebenden Darlehen und Kredite abzuwickeln haben. Sonstige staatliche Geschaftsbanken sollten sich nach Wunsch der Regierung ausschlieBlich auf das kommerzielle Bankgeschaft konzentrieren konnen.
Seit 1995 ist das Geschiiftsbankgesetz (Commercial Bank Law) in Kraft getreten. Danach sind die Rentabilitat, Sicherheit und Liquiditat drei Grundprinzipien der Geschaftstatigkeiten
der staatlichen Geschiiftsbanken. Innerhalb der staatlichen Geschaftsbanken hat man - wie in
den staatlichen Industriebetrieben - auch das CRS (Contract Responsibility System) eingefiihrt.
Die Hauptaufgabe der Bankleitung wird darin gesehen, Bankaktiva und Verbindlichkeiten unter
Beriicksichtigung des Liquiditats-, Rentabilitats- und Sicherheitsziels zu verwalten (assetliability management). Zum Management der Kreditrisiken hat man organisatorische
MaBnahmen ergriffen und neue Verfahren der Bonitatspriifung und -klassifikation entwickelt.
Urn politischen Einfluss der regionalen Regierungen auf die Kreditentscheidung der Filialen der Geschaftsbanken zu unterbinden, hat die Zentralregierung im J ahr 1998 angeordnet, dass
die Direktoren der regionalen Filialen staatlicher Geschaftsbanken nicht mehr wie bisher der
114 Vgl. Zhao/Guo 1998, S. 167 ff.; Wang 1996, S. 97 ff.; Interviews mit Experten aus der Shanghaier Bankszene im Februar 1999.
205
regionalen Regierung unterstellt werden, sondem direkt der jeweiligen Zentrale der Geschafts
banken zu verantworten haben. Den regionaien Regierungen wurde auBerdem das Recht zur Personalentscheidung in den Bankfilialen genommen. Somit hat man den fruheren ,,Hausbank"Status der regionalen Filialen der staatlichen Geschaftsbanken gegeniiber den jeweiligen
Regierungen abgeschafftllS. Aufgrund des verscharften Risikomanagements der staatlichen Geschaftsbanken haben viele
Staatsbetriebe seit 1997 Schwierigkeiten, Mittel von den staatlichen Geschaftsbanken zu bekommen. Dieses Phanomen wird in der chinesischen Literatur als "xi dai" bezeichnet (Die
Banken gehen "sehr sparsam" mit ihren Kreditkontingenten urn).
Nach Ansicht des Verfassers gibt es trotz der ersten Fortschritte der Bankreform weiterhin groBen Handlungsbedarf in bezug auf das Risikomanagement der Banken. Vor allem sollen
staatliche Gesehliftsbanken neben passivem Risikomanagement eine aktivere Rolle bei der Restrukturierung staatlicher Industriebetriebe Ubemehmen. Das bedeutet zum einen, dass die
Banken zur Rettung notleidender Kredite starker als bisher Eigeninitiative ergreifen und den
Kreditnehmer zur Untemehmenssanierung bewegen sollen. Zum anderen sollen die Banken starker als bisher in den Prozess der strategisehen und finanziellen Entseheidungen der
staatliehen Industriebetriebe einbezogen werden. Eine mogliehe MaBnahme konnte die
Platzierung der Bankvertreter im BOD sein, was in China bisher noch nieht praktiziert wurde (vgl. hierzu aueh Weltbank 1997, S. 58). Solche Praxis ist in entwiekelten Marktwirtsehaften
nieht unUblieh. So wirkt z. B. die Hausbank eines deutsehen oder japanisehen Untemehmens
oft aktiv im Prozess der strategisehen Entseheidung des Untemehmens mit (vgl. hierzu aueh Weltbank 1997, S. 58).
Transformation der staatliehen Gesehliftsbanken bezieht sieh jedoch nieht nur auf die Verbesserung des Risikomanagements, sondem auf aile Aspekte der BankbetriebsfUhrung.
Aueh staatliehe Gesehliftsbanken mUssen konsequent ihre Behordenorientierung und -abhangigkeit in der BetriebsfUhrung abbauen (Weltbank 1997, S. 52). Die Qualifikation des Bankpersonals muss verbessert, und leistungsbezogenes Kompensationssystem eingefUhrt werden.
3.1.3. ErhOhung des Wettbewerbsdrucks auf den Produktmarkten
Planwirtsehaftlieh geflirbte Wirtsehafts- bzw. Industriepolitik bereitet den Boden fUr
Behordenorientierung und -abhlingigkeit der staatliehen Industriebetriebe (vgl. Seite 195f.
dieser Arbeit). Deshalb kann die Empfehlung in diesem Bereich nur sein, dass man Uber
mliBige staatliehe Interventionen zurueknimmt und staatliehe Wettbewerbsbarrieren beseitigt.
In diesem Zusammenhang ist die Frage zu stellen, ob staatliehe GroBbetriebe weiterhin Sonderbehandlung bzw. Privilegien von der Regierung bekommen sollen. Zwar ist es positiv
zu bewerten, dass die Regierung derzeit diesen staatliehen GroBbetrieben besondere UnterstUtzung einsehlieBlieh finanzieller Hilfe fUr betriebliehe Transformation gewlihrt (vgl. Seite
lIS Gleichzeitig wurden den regionalen Regierungen erlaubt, eigene Hausbank zu griinden. Diese den jeweiligen regionalen Regierung direkt untergeordneten Hausbanken sind mit den "Landesbanken" der Bundeslander in Deutschland vergleichbar. So hat die Shanghaier Stadtregierung die "Shanghai Bank" als Hausbank gegriindet (Anmerkung des Verfassers auf Basis der Interviews FebruarlMarz 1997).
206
103 dieser Arbeit)116. Langfristig sind soIche Forder- bzw. SchutzmaBnahmen abzuschaffen, urn negative Nebenwirkungen zu vermeiden (Luffang 1997).
Der zu erwartende Beitritt der Volksrepublik China in die Welthandelsorganisation (World Trade Organization WTO) kann dazu einen entscheidenden Beitrag leisten (vgl. hierzu Lui Tang 1997; Tan 1998; Song 1998). Der WTO-Effekt Iiegt nicht nur in der weiteren Offnung der einheimischen Produkt- und Dienstleistungsmarkte fUr auslandische Untemehmen und Investoren, sondem auch im weitgehenden Abbau staatlicher Interventionen bzw. Wettbewerbsverzerrungen (Song 1998, S. 313; Tan 1998, S. 201 ff. und S. 311 ff.).
Chinesische Staatsbetriebe einschlieBlich GroBbetriebe werden nach dem WTO-Beitritt mit noch groBerer Herausforderung als bisher konfrontiert sein. Wegfall staatlicher Schutzschirme, Eintritt auslandischer Konkurrenten sowie verschiirfter Marktwettbewerb werden starke Impulse fUr betriebliche Transformation in China geben (Tan 1998, S. 311 ff.).
3.1.4. Beschleunigte Entwicklung der sozialen Infrastruktur
Ohne einen funktionierenden Arbeitsmarkt und das damit verbundene betriebsexteme Sozialnetz kann betriebliche Transformation in China keinen groBen Fortschritt machen (vgl. Seite 196 dieser Arbeit). Beschleunigte Entwicklung des betriebsextemen Arbeitsmarktes, zUgiger Aufbau des Sozialversicherungssystems sowie Reformen in anderen Bereichen der Sozialinfrastruktur sind wichtige Voraussetzungen fUr konsequente betriebliche Transformation.
In bezug auf den Arbeitsmarkt hat die Regierung in den letzten Jahren erste AufbaumaBnahmen ergriffen. So wurden mit Eigenbeteiligung der Staatsbetriebe RESCs gegriindet, urn die Arbeitslosen aus den Staatsbetrieben zu betreuen (vgl. Seite 104 dieser Arbeit). In der Stadt Shanghai hat man im Jahr 1999 ein Konzept ausgearbeitet, wonach die derzeitigen RESCs, die als provisorische LOsungen gedacht waren, in den nachsten zwei Jahren schrittweise abgeschafft werden. Redundante Arbeitskriifte sollen dann direkt zum freien Arbeitsmarkt f1ieBen (Interviews FebruarlMarz 1999). Nach Ansicht des Verfassers soli die Regierung in den kommenden Jahren versuchen, in Anlehnung an die Praxis in Deutschland ein Netz Offentlicher Arbeitsamter aufzubauen, das gegebenenfalls durch Netzwerke der privaten Arbeitsvermittler und Sozialdienste erganzt werden kann.
Auch das betriebsexteme System der Sozialversicherungen soli zUgig aufgebaut werden. Zum einen soli dadurch den Arbeitslosen ein betriebsextemes Sozialnetz angeboten werden, was stabilisierend auf die soziale und politische Lage im Lande auswirkt. Zum anderen ermoglicht das System der extemen Sozialversicherung groBere Mobilitat der Beschaftigten in den Staatsbetrieben, was eine wichtige Voraussetzung fUr das Funktionieren des extemen Arbeitsmarktes darstellt (vgl. Chao 1998, S. 228 ff.; Krieg/Schadler 1995; Weltbank 1997a und 1997b).
Die Regierung soli auch die Reformen in den sonstigen Bereichen der sozialen Infrastruktur (wie z. B. Wohnungsbau, Betriebsschulen und Betriebskrankenhauser etc.) beschleunigen. So konnen z. B. die lokalen Kommunen die Sozial- und Wohlfahrtseinrichtungen der Staatsbetriebe Ubemehmen und fortfUhren, wobei die Staatsbetriebe fUr eine begrenzte Zeitperiode weiterhin Kostendeckungsbeitrage zahlen. In der Literatur werden viele Reformvorschlage in
116 Der Gewinnsteuersatz von Erfangji als bOrsennotierter GroBbetrieb betragt zum Beispiel nUT 50 % des normalen Gewinnsteuersatzes (15 % anstatt 30 %) (Anmerkung des Verfassers).
207
diesem Bereich diskutiert, die an dieser Stelle nicht weiter erlautert werden (vgl. Krieg! Schadler 1995; Weltbank 1997, 1997a und 1997b).
3.1.5. Entwicklung eines Managermarktes
Das Haupthindemis ftir die Entwicklung des Managermarktes liegt im politischen System des Landes. Bisher tibt die Partei weiterhin den entscheidenden Einfluss auf die Besetzung relevanter Managementpositionen in den Staatsbetrieben. Ftir die Partei bedeutet Kontrolle tiber Betriebsmanagement gleichzeitig Kontrolle tiber Staatsbetriebe (vgl. Seite 197 dieser Arbeit).
Zwar haben die Reformer in China (z. B. in Shanghai) durch Grtindung staatlicher Personalberatungsfirmen erste Ansatze daflir entwickelt, Marktmechanismen zum Rekrutieren qualifizierter Manager einzuflihren (vgl. Seite 197 dieser Arbeit). Man beschrankt sich jedoch noch auf die Kompromisslosung, dass die Marktauswahl mit dem klassischen Auswahl- und Emennungsverfahren der Parteiorganisation "kombiniert" wird. Die Stadtregierung Shanghai hat z.B. Ende 1995 eine Personalberatungsfirma gegrUndet, die staatlichen Untemehmen Personalberatungsdienste anbietet (vgl. Seite 197 dieser Arbeit). lIn Unterschied zu den privatwirtschaftlich organisierten Personalberatungsfirmen (head-hunting companies) folgt die Firma stets dem Prinzip, die "Allokation durch den Markt" mit der "Allokation durch die (Partei)Organisation" zu verbinden. Konkret heiSt das, dass die Kandidaten flir offene Managementpositionen weiterhin aus den alten Kanalen der Kaderauswahl kommen: "Empfehlung durch die (Partei)Organisation", "Empfehlung durch die Basis (Belegschaft)" und "Selbstempfehlung" der Kandidaten (vgl. o.V. 1998, S. 37 f.).
Eine vollstandige Marktlosung flir die Auswahl qualifizierter Ftihrungskrafte flir die Staatsbetriebe ist nach Ansicht des Verfassers mindestens kurzfristig nicht moglich. Denn ein Durchbruch in diesem Bereich setzt konsequente Trennung der Politik (Partei) und Wirtschaft (Staatsbetriebe) voraus, was nur im Rahmen einer umfassenden Reform des vorherrschenden politischen Systems des Landes vorstellbar ist.
Die Verftigbarkeit marktwirtschaftlich orientierter, qualifizierter Manager ist der entscheidende Faktor flir betriebsinteme Bereitschaft und Flihigkeit zur konsequenten betrieblichen Transformation. lIn folgenden werden einige Uisungsansatze diskutiert, die zur Verbesserung der Motivation und Qualifikation der Manager der chinesischen Staatsbetriebe beitragen konnen.
3.2. Verbesserung betriebsinterner Bereitschaft und Fiihigkeit zur Transformation
3.2.1. Steigerung der Managementmotivation
Die Ursachen flir mangelnde Managementmotivation konnen im materiellen undloder immateriellen bzw. psychologischen Bereich liegen (vgl. Seite 198 ff. dieser Arbeit). Die psychologischen Motivationsbanieren konnen nach Ansicht des Verfassers nur durch on-thejob und off-the-job TrainingsmaSnahmen beseitigt werden. Es handelt sich hierbei urn personliche Lemprozesse der Manager, die als ein integrierter Bestandteil des gesamten Prozesses des organisationalen Lemens der Staatsbetriebe betrachtet werden kann. Dieser
208
Punkt wird zusammen mit den Ansatzen zur Verbesserung der Managementqualifikation im Abschnitt 3.2.2. dieser Arbeit nliher erHiutert.
In bezug auf materielle Leistungsanreize besteht nach Ansicht des Verfassers dringender Handlungsbedarf in den chinesischen Staatsbetrieben (vgl. Seite 198 dieser Arbeit). Der Managergehalt muss deutIich erhoht werden, urn den Verlust qualifizierter Manager in den Staatsbetrieben (brain drain) zu stoppen. Dadurch soli auch die Versuchung einiger Betriebsdirektoren, sich auf Kosten des Eigentiimers personlich zu bereichem, unterbunden werden. Als VergleichsmaBstab bzw. BezugsgrbBe (benchmark) kann man das Gehaltsniveau der vergleichbaren Managementpositionen in der Privatwirtschaft heranziehen (vgl. Seite 198 dieser Arbeit).
Dariiber hinaus soli das Managementvergiitungssystem wertorientiert gestaltet werden. Denn das erkllirte Ziel betrieblicher Transformation ist die Umwandlung des Staatsbetriebes von einem planwirtschaftlich orientierten "Produzenten" in einen marktwirtschaftlich orientierten "Wertmanager". Management des Staatsbetriebes soli deshalb dazu motiviert werden, durch konsequente betriebliche Transformation den Untemehmenswert bzw. Shareholder Value zu steigem. Das Prinzip der wertorientierten Managementvergiitung ist die Kopplung des Managergehalts an die Entwicklung des Untemehmenswertes (Botzell Schwilling 1998, S. 155 ff.). Die Kongruenz zwischen dem Handlungsanreiz des Managements zur Maximierung seiner individuellen Vergiitung und der Maximierung des Untemehmenswertes erreicht man am einfachsten durch Identitat der BezugsgroBen, wie z. B. durch Beteiligungsmodelle (owner-manager). Neben echter Managementbeteiligung wird in der westlichen Untemehmenspraxis eine ganze Reihe von wertorientierten Vergiitungsmodellen entwickelt, die nach Ansicht des Verfassers auch von chinesischen Staatsbetrieben angewandt werden konnen (vgl. detaillierte Erlauterungen in BbtzellSchwilling 1998, S. 156 ff.).
Bereits vorhandene Ansatze dieser Richtung in den chinesischen Staatsbetrieben, wie z. B. "Jahresgehaltssystem" (nian xing zhi) oder Managementbeteiligung, sollen optimiert und im staatlichen Untemehmenssektor verbreitet werden. Nach chinesischen Medien hat die Regierung im September 1999 beschlossen, in der Zukunft auch Aktienoptionen als Bestandteil der Managementkompensation der Staatsbetriebe zuzulassen l17 . Damit soli langfristige Performance eines Staatsbetriebes als BezugsgroBe der Kompensation dessen Managements herangezogen werden (Xinhua News Agency 1999). Diese ReformmaBnahme stellt nach Ansicht des Verfassers einen substanziellen Fortschritt in die richtige Richtung dar. Ob diese fUr chinesische Verhaltnisse "innovative" Vergiitungsform in der Praxis weite Verbreitung finden kann, wird sich jedoch erst im Laufe der Zeit zeigen.
117 Aktienoptionen (stock options) werden im Westen als das klassische Instrument betrachtet. das mit wertorientierten Vergiitungssystemen fiir Fiihrungskrlifte in Verbindung gebracht wird. Ais variabler Gehaltsbestandteil wird dem Manager eine Anzahl von Kaufoptionen (call options) auf die Aktien des eigenen Untemehmens gewlihrt. Der Bezugspreis der Aktien liegt in der Regel auf dem Niveau des Marktpreises zum Ausgabezeitpunkt der Option. Bei erfolgreicher Wertsteigerung des Unternehmens steigt der Aktienkurs. Der Manager kann dann die Kaufoption ausiiben und die Aktien zu dem unter dem gestiegenen Marktkurs liegenden Bezugspreis erwerben (vgl. BiltzellSchwilling 1998. S. 158 f.).
209
3.2.2. Verbesserung der Managementqualifikation
Verbesserung der Managementqualifikation in den chinesischen Staatsbetrieben bedeutet nach Ansicht des Verfassers zweierlei: Zum einen soli das Management der Staatsbetriebe mehr Know-how iiber modeme Untemehmensfiihrung im marktwirtschaftlichen Umfeld erwerben. Zum anderen sollen vorhandene Transformationsbarrieren "in den Kopfen" der Manager beseitigt werden (vgl. Seite 199 dieser Arbeit). Das heiBt, es geht hier sowohl urn Wissenserwerb als auch urn Wandel der Einstellungen des Managements.
Anstatt die theoretischen Ansatze der personlichen Transformation darzustellen (vgl. hierzu Trommsdorff/Schuchardt 1998, S. 42 ff.), werden an dieser Stelle einige praxis-orientierte Empfehlungen zur SchlieBung der Qualifikationsliicken der Manager der chinesischen Staatsbetriebe erlautert:
Off-the-job Managementtraining
Dieser Ansatz wird bereits von der chinesischen Regierung verfolgt. Anfang 1998 hat die Wirtschaftskommission der Zentralregierung (State Economic and Trade Commission SETC) eine nationale Kampagne fiir Managementtraining gestartet. Innerhalb von drei Jahren (1998-2(00) soli die Mehrheit der 16 Millionen Fiihrungskrafte in den Staatsbetrieben durch Kursbesuche betriebswirtschaftliche GrundausbiJdung bekommen. Bis 1998 hat man bereits mehr als 100.000 Besucher der von der Regierung organisierten Kurse registrieren konnen (Xinhua News Agency 1998a). In Zusammenarbeit mit intemationalen Managementinstituten bzw. renommierten Handelsschulen (business schools) werden Zertifikatslehrglinge fiir "Master of Business Administration" (MBA) angeboten. Spezialisierte Managementinstitute wurden gegriindet, urn die Nachfrage nach qualifizierter Managementschulung zu decken (ZhaolDing 1998).
Die Entwicklung im Bereich des off-the-job Managementtrainings im staatlichen Unternehmenssektor ist grundsatzlich positiv zu bewerten. Das Problem liegt jedoch darin, dass die Fiihrungskrafte hier in der Regel nur Wissen aus dem Lehrbuch vermittelt bekommen. Chinesische Autoren kritisieren, dass man beim Managementtraining in China zu viel Wert auf den Erwerb bestimmte Zertifikate gelegt hat, wahrend die Sarnmlung praxisrelevanter Managementerfahrung eher in den Hintergrund getreten ist (ZhaolDing 1998, S. 38). Neben dem off-the-job Managementtraining soli deshalb auch on-the-job Managementtraining durchgefiihrt werden.
On-the-job Managementtraining
Nach Ansicht des Verfassers kann der Transfer von Know-how tiber marktwirtschaftlich orientierte Untemehmensftihrung unter anderem im chinesisch-auslandischen Joint venture stattfinden. Auslandische Direktinvestoren bringen nicht nur Kapital und Technologie in das Gemeinschaftsuntemehmen, sondem auch Know-how ftir marktwirtschaftlich orientierte Betriebsfiihrung (vgl. hierzu TrommsdorfflWilpert (Hrsg.) 1991). Der auslandische Kooperationspartner kann hier die Rolle des "Trainers" tibemehmen bzw. "Coaching" ftir das chinesische Management anbieten.
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Eine "billigere" Variante des Wissenstransfers ist das Einholen intemationaler Managementberater (vgl. FalterlHuangffhiess 1996). Intemationale Managementberater besitzen in der Regel zahlreiche Projekterfahrungen im Bereich der Restrukturierung und Untemehmenstransformation. Sie verfiigen in der Regel auch ein intemationales Netzwerk von Firmenkontakten. Damit kann der Vergleich mit intemationalen Wettbewerbem bzw. die Ermittlung eigener Wettbewerbsposition auf dem Weltmarkt erleichtert werden. 1m Vergleich zur oben genannten "Joint venture-Uisung" ist die Zusammenarbeit mit den Managementberatem fUr den Staatsbetrieb "bilIiger", weil die Zusammenarbeit in der Regel zeitlich begrenzt ist (brain leasing) und der Staatsbetrieb nicht auf die Betriebsautonomie verzichten muss.
SchlieBlich ist darauf hinzuweisen, dass das "Selbststudium durch die Praxis" (learning by doing) auch zur Verbesserung der Managementqualifikation beitragen kann. Die Fallstudie Erfangji hat gezeigt, dass das Management des Staatsbetriebs vor allem durch Krisenbewliltigung Lemfortschritte erzielen kann. Organisationales Lemen wird vor allem dann beschleunigt, wenn sich der Staatsbetrieb in der Krisensituation befindet (vgl. Seite 188 dieser Arbeit). MaBnahmen zur Verbesserung der Managementqualifikation sind deshalb nicht isoliert von der Reform im betrieblichen Umfeld zu betrachten. Ein konsequent marktwirtschaftlich orientiertes Geschliftsumfeld ist nach Ansicht des Verfassers das beste "Klassenzimmer" fiir Managementtraining in China.
3.3. Fazit
In den vorangegangenen Abschnitten werden einige Anslitze zur Beschleunigung der betrieblichen Transformation in China diskutiert. Ais Fazit kann man festhalten, dass man auf der einen Seite den Transformationsdruck im betrieblichen Umfeld erhohen und auf der anderen Seite betriebsinteme Bereitschaft und Flihigkeit zur betrieblichen Transformation verbessem solI.
Zur Erhohung des betriebsexternen Transfonnationsdrucks ist die Regierung gefordert, Systemreform in China zu beschleunigen:
Ais Shareholder soli die Regierung das System der staatlichen Vermogensverwaltung reformieren und gleichzeitig mehr Kontrolle der Staatsbetriebe durch private Investoren ermoglichen. Dariiber hinaus soli die Regierung die Bankreform in China ziigig vorantreiben, damit staatliche Geschliftsbanken moglichst schnell in marktwirtschaftlich orientierte Unternehmen transformiert werden, die eine aktivere Rolle im Prozess der betrieblichen Transformation im staatlichen Industriesektor wahrnehmen konnen. Auf den Produktmarkten soli die Regierung staatliche Interventionen zuriicknehmen und Wettbewerbsschutz fUr Staatsbetriebe (hier vor allem GroBbetriebe) abbauen. In diesem Zusammenhang wird der zu erwartende Beitritt Chinas in die WTO neue Impulse fiir betriebliche Transformation in China geben. 1m sozialen Bereich soli die Regierung die Entwicklung des Arbeitsmarktes und des damit verbundenen betriebsextemen Sozialnetzes ziigig vorantreiben. Mit dem Aufbau der betriebsextemen sozialen Infrastruktur durch den Staat konnen die Staatsbetriebe im Transformationspfad entlastet werden.
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SchlieBlich soli die Regierung versuchen, einen Markt fUr ManagementtaJente aufzubauen. Dabei soli der nach wie vor starke Einfluss der Parteiorganisation in Managementfragen der Staatsbetriebe reduziert wenn nicht eliminiert werden. Dies erfordert den Mut zur konsequenten Trennung der Partei von der Wirtschaft, was gleichzeitig Bereitschaft zur Reform des vorherrschenden politischen Systems des Landes bedeutet.
In bezug auf betriebsinteme Bereitschaft und Fiihigkeit zur betrieblichen Transformation spielt das Management des Staatsbetriebs die entscheidende Rolle. Deshalb soli betriebsintern die Motivation und Qualifikation des Managements verbessert werden:
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Zur Steigerung der Motivation des Managements soli das allgemeine Niveau der Managementkompensation auf eine deutlich hohere Ebene als bisher erhoht werden. Vor allem sollen wertorientierte Managementverglitungsmodelle im staatlichen Unternehmenssektor verbreitet werden. Das Management soli - sowohl off-the-job als auch on-the-job - geschult werden. Dadurch soli dessen Einstellungswandel beschleunigt und dessen fachliche Qualifikation verbessert werden. Vor allem on-the-job Managemententwicklung ist erforderlich, damit die Manager der Staatsbetriebe praxisnahe Erfahrungen sammeln konnen. Flir Know-howbzw. Wissenstransfer konnen ausHindische Kooperationspartner oder Managementberater herangezogen werden.
VI. Zusammenfassung
In dieser Arbeit wurde versucht, organisatorische Triigheit und Transformation chinesischer Staatsbetriebe im Prozess der betrieblichen Transformation theoretisch und qualitativempirisch zu untersuchen. Auf Basis dieser Untersuchungen wurde femer versucht, einige konzeptionelle Ansiitze zur Beschleunigung der betrieblichen Transformation in China zu formulieren.
Theoretisch betrachtet, ist betriebliche Transformation Wandel zweiter Ordnung in der Betriebsflihrung eines Staatsbetriebes. Sie stellt den revolutioniiren Obergang eines Staatsbetriebes von dem planwirtschaftlich orientierten Archetyp zu dem marktwirtschaftlich orientierten Archetyp der Betriebsftihrung dar (inter-archetypical change). Vereinfacht kann der Archetyp der planwirtschaftlichen Betriebsftihrung mit dem Stichwort "planwirtschaftlich orientierte Betriebsadministration" bezeichnet werden. Er weist eine Reihe von systemimmanenten Unterschieden auf zum Archetyp der Betriebsftihrung in der Marktwirtschaft, der in dieser Arbeit mit dem Stichwort "marktwirtschaftlich orientiertes Wertmanagement" bezeichnet wird. Diese Unterschiede beziehen sich nicht nur auf die drei Elemente des idealtypischen Grundmodells der Betriebsftihrung (Betriebszweck, Betriebsaktivitiiten und Betriebsorganisation), sondem auch auf die dem Modell zugrundeliegende organisationale Wissensbasis, die schlieBlich die normative und kognitive Orientierung flir das Denken und Handeln der Betriebsmitglieder bietet.
Veriindert werden soli en deshalb bei der betrieblichen Transformation nicht nur die empirisch direkt beobachtbare Oberfliichenstruktur des Staatsbetriebes, sondem auch die Tiefenstruktur bzw. die organisationale Wissensbasis des Staatsbetriebes.
Mindestens gedanklich kann man drei Phasen im idealtypischen Veri auf der betrieblichen Transformation unterscheiden: 1) Phase der organisatorischen Triigheit, in der die planwirtschaftlichen Elemente in den einzelnen Teilaspekten der Betriebsftihrung weiterhin dominieren und der Fortschritt der betrieblichen Transformation noch sehr gering ist. 2) Phase der unvollkommenen Transformation, in der ein Staatsbetrieb zwar schon erste Fortschritte der Transformation macht, der Transformationsprozess aber noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden kann, da sich die plan- und marktwirtschaftlichen Elemente noch die Waage halten. 3) Phase der konsequenten Neuorientierung, in der die marktwirtschaftlichen Elemente in den einzelnen Teilaspekten der Betriebsflihrung dominieren.
Je nach dem zeitlichen Verlaufsmuster der betrieblichen Transformation kann man zwei idealtypische Transformationspfade eines Staatsbetriebes differenzieren: Bei der "schockartigen" betrieblichen Transformation erfolgen die marktwirtschaftlich orientierten Veriinderungen simultan in allen Teilaspekten der Betriebsflihrung binnen einer relativ kurzen Zeitperiode. Die "graduelle" betriebliche Transformation vollzog sich schrittweise und erstreckt sich tiber eine relativ lange Zeitperiode.
Fortschritt der betrieblichen Transformation basiert auf der Interaktion zwischen dem betriebsextemen Transformationsdruck und der betriebsintemen Transformationsbereitschaft sowie -fahigkeit. Systemtransformation und die damit verbundene qualitative Verhaltensiinderung der extemen Anspruchsgruppen, wie z. B. Kunden, Wettbewerber, Banken und Regierung usw. erzeugen extemen Druck auf den Staatsbetrieb zur betrieblichen Transfor-
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mation. Betriebsintern spielen Faktoren wie z. B. die personliche Transformation der einzelnen Betriebsmitglieder (Manager und Mitarbeiter), die mikropolitische Konstellation im Betrieb und die Verftigbarkeit der Ideen der Transformation eine entscheidende Rolle ftir den Fortschritt des organisationalen Lernens. Und die interne Transformationsbereitschaft und -fahigkeit wird direkt von dem Fortschritt des organisationalen Lernens bestimmt.
In unterschiedlichen Teilaspekten kann die Transformation unterschiedlich schnell fortschreiten. Die ist auf unterschiedliche Starke des aspekt-spezifischen Transformationsdrucks von auBen und unterschiedlich stark ausgepragte Transformationsbereitschaft und -fahigkeit der Betriebsmitglieder in diesen Bereichen zuruckzuflihren. Mit derselben Logik kann erkliirt werden, warum sich manche Staatsbetriebe als "konsequente Erneuerer" und manche als "Sitzen gebliebene" im Prozess der betrieblichen Transformation darstellen: Unterschiedliche Transformationstypen basieren auf Unterschiede im betriebs-individuellen Kontext.
Die empirische Untersuchung dieser Arbeit untersttitzt die Hypothese, dass im Umfeld der graduellen Systemtransformation, wie es derzeit in China zu beobachten ist, betriebliche Transformation in der Regel einen graduellen Veri auf aufweist. Der marktwirtschaftlich orientierte Modellwechsel in der Betriebsflihrung eines chinesischen Staatsbetriebes kann sich - entsprechend dem graduellen Verlauf der Systemreform auf der Makroebene - tiber mehrere Dekaden erstrecken. Das Transformationspfad der beiden Fallbetriebe hat dies deutlich gezeigt.
Bei einer zeitpunkt-bezogenen Analyse kann man sowohl trage als auch transformative Elemente in einem chinesischen Staatsbetrieb finden. Das Hybridrnuster der Betriebsflihrung deutet auf den Zustand der "unvollkomrnenen Transformation" in den chinesischen Staatsbetrieben hin. Moglich ist es jedoch auch, dass bestimrnte Staatsbetriebe den marktwirtschaftIich orientierten Lernprozess beschleunigen und relativ schnell in die Phase der konsequenten Neuorientierung eintreten konnen. Konsequente betriebliche Transformation ist vor allem bei denjenigen Staatsbetrieben zu erwarten, die dramatische bzw. "schockartige" Ergebnisverschlechterung erleiden oder sich in der Existenzkrise befinden. Die Entwicklung des Fallbetriebes "Erfangji" seit 1994 hat dies unter Beweis gestellt.
"Unvollkommene Transformation" der chinesischen Staatsbetriebe steht im engen Zusarnmenhang mit den folgenden beiden Faktoren: 1) Es gibt noch zahlreiche Inkonsistenzen im chinesischen Kontext der graduellen Systemtransformation, die konsequente Transformation des Staatsbetriebs verzogern, erschweren oder gar blockieren. 2) Der relativ hohe Autonomiegrad der betrieblichen Transformation in China bedeutet zugleich die hohe Abhangigkeit des Fortschritts der betrieblichen Transformation von der Bereitschaft und Fahigkeit der "alten Mannschaft" des Betriebes.
Organisationales Lemen spieJt in diesem Zusammenhang eine auBerst wichtige Rolle flir den Fortschritt der betrieblichen Transformation. Die beiden Fallstudien haben gezeigt, dass die Lernbereitschaft und -fahigkeit der chinesischen Staatsbetriebe trotz deren langjahriger planwirtschaftlicher Sozialisation gegeben sind. Marktwirtschaftlich orientiertes Wertmanagement ist auch in den chinesischen Staatsbetrieben moglich, obwohl der Weg zum Ziel - wie die beiden Fallbetriebe gezeigt haben - sehr lang sein kann.
Die Zukunft der betrieblichen Transformation in China hangt davon ab, ob betriebsexterne und - interne Hindernisse beseitigt werden konnen. Zu den betriebsexternen Hindernissen gehoren z. B. die Dominanz der Regierung als Shareholder sowie eine Reihe damit ver-
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bundener Probleme in bezug auf die Eigenttimerkontrolle des Staatsbetriebes, die "weichen" Kredite der staatlichen Geschiiftsbanken, die ununterbrochenen staatlichen Interventionen und Wettbewerbsverzerrungen auf den Produktmiirkten, das Fehlen eines funktionierenden Arbeitsmarktes sowie des betriebsextemen Sozialnetzes und - nicht zuletzt - das Problem im politischen System des Landes, das vor allem den Aufbau eines Marktes fiir professionelle Manager hindert.
Zu den betriebsintemen Hindemissen gehtiren nach Ansicht des Verfassers vor allem die Probleme in der Managementmotivation und -{jualifikation. Denn die Betriebsmanager spielen aufgrund der besonderen mikropolitischen Konstellation im chinesischen Staatsbetrieb eine entscheidende Rolle ftir betriebsinteme Bereitschaft und Fiihigkeit zur Transformation. Aber gerade die werden derzeit im Vergleich zu den Managem in der Privatwirtschaft stark unterbezahlt. Dies fiihrt zum Verlust qualifizierter Ftihrungskriifte in den Staatsbetrieben und bereitet auBerdem den Boden ftir personliche Bereicherung der Manager auf Basis deren Insiderposition. Viele Manager der Staatsbetriebe haben weiterhin personliche Einstellungen, die den Anforderungen der marktwirtschaftlich orientierten Unternehmensfiihrung nicht entsprechen. AuBerdem mangelt es sich urn Know-how und Erfahrungen tiber strategische und wertorientierte Untemehmensfiihrung.
Zur Beschleunigung der betrieblichen Transformation in China konnen zwei konzeptionelle Ansiitze empfohlen werden:
Zum einen muss die Systemreform auf der Makroebene zur Erhohung des betriebsextemen Transformationsdrucks beschleunigt werden. Mit konsequenter Systemtransformation sind institutionelle Rahmenbedingungen ftir betriebliche Transformation weiter zu verbessem. Unter anderem muss die Regierung das System der staatlichen Vermogensverwaltung reformieren und mehr Kontrolle der Staatsbetriebe durch private Investoren ermoglichen. Die Bankreform soli ztigig vorangetrieben werden. Auch im industriepolitischen, wettbewerbspolitischen und sozialpolitischen Bereich sind ReformmaBnahmen zu ergreifen. SchlieBlich ist die politische Reform ein Thema, das - wenn nicht kurzfristig - irgendwann in der Agenda der Regierung stehen muss.
Zum anderen sind die Managementmotivation und -{jualifikation zur Steigerung der betriebsintemen Bereitschaft und Fiihigkeit zur betrieblichen Transformation zu verbessem. Das Niveau des Managergehalts soli deutlich erhoht werden. Vor aHem mehr wertorientierte Vergtitungsmodelle sollen eingefiihrt werden. Durch off-the-job und on-the-job Managementtraining sollen psychologische Transformationsbarrieren beseitigt und Know-how tiber wertorientierte Untemehmensftihrung vermittelt werden. Zum Wissenstransfer konnen hierbei auch ausliindische Kooperationspartner (z. B. in einem Joint venture) oder intemationale Managementberater herangezogen werden.
Am Ende dieser Arbeit mochte der Verfasser noch kurz auf eine weiterftihrende Fragestellung hinweisen, die aufgrund anderer Schwerpunktsetzung in den bisherigen Ausfiihrungen ausgeklammert wurde: Wie stark wird betriebliche Transformation in China von der chinesischen bzw. konfuzianischen Kulturtradition beeinflusst?
In der Literatur besteht Konsens, dass die chinesische bzw. asiatische Kultur generell stark yom Kollektivismus gepriigt ist: Konsensstreben, Hervorhebung gesellschaftlicher Verantwortung des Einzelnen, Orientierung am Gemeinwohl, Betonung sozialer Werte und Primat
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der starken Regierung ("powerful states") (vgl. Chen Ming 1995 und die dort angegebene Literatur; vgl. auch Child 1994; Huang et al. 1997; SchlittelLasserre 1996 sowie Laaksonen 1988, S. 330 f.).
In bezug auf den Zustand der "unvollkommenen Transformation" in chinesischen Staatsbetrieben kann man sich fragen, ob die "trligen" Elemente, wie z. B. die ununterbrochene Betonung des Prinzips der sozialen Flirsorge flir die Belegschaft sowie die trotz der Systemreform verbleibende Behordenorientierung mehr auf den in diesen Arbeiten genannten Ursachen oder mehr auf den chinesischen Kulturwurzeln basieren. Basierten diese Elemente mehr auf den nationalen Kulturwerten, so konnte man diese Elemente weniger als Zeichen der organisatorischen Trligheit bezeichnen, aber vielmehr als Bestandteile des "Wertmanagements mit chinesischem Charakter" sehen. Die in der Literatur oft erwlihnte Existenz nationalkultureller Nuancen in der wertorientierten Unternehmensflihrung berechtigt die Vermutung des Verfassers (vgl. Black et al. 1998, S.191 ff. ; Uihnert 1996, S. 85 ff.; Porter 1992).
Zur Kllirung dieser Frage sind nach Auffassung des Verfassers komparative Studien (z. B. China versus Ostdeutschland oder Osteuropa) erforderlich. Das heiSt, man muss den Transformationspfad der Staatsbetriebe in unterschiedlichen Kulturkreisen unter die Lupe nehmen, urn den Einfluss der nationalen Kultur auf betriebliche Transformation zu identifizieren. 1m Rahmen dieser Arbeit kann dieses Themajedoch nicht weiter verfolgt werden.
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Anhang
Anhangsverzeichnis
Anhang 1: Ausgewlihlte makro- und mikrookonomische Faktoren zur Bestimmung der Phasen der Transformation ................................................................... 239
Anhang 2: Shanghai als das am meisten entwickelte Industriezentrum Chinas: ausgewahlte Daten 1997 ............................................................................. 241
Anhang 3: Strukturdaten des staatlichen Industriesektors in China (SOEs), 1997 ...... 242
Anhang 4: Liste der befragten Interviewpartner in Shanghai (in englischer Sprache) 243
Anhang 5: Grob strukturierter Fragebogen fUr Experteninterviews in Shanghai ........ 245
Anhang 6: Reformpolitik und ReformmaBnahmen der Regierung im Shanghaier Industriesektor, 1978-1998 ......................................................................... 246
Anhang 7: Chronik von Tianyuan, 1949-1994 ............................................................ 250
Anhang 8: Zielsetzung von Tianyuan in den Flinfjahresplanen (FJP) ......................... 253
Anhang 9: Prozess der betrieblichen Transformation bei Tianyuan 1979-94 .............. 254
Anhang 10: Chronik von Erfangji, 1949-93 .................................................................. 257
Anhang 11: Finanzielle Eckdaten und ausgewlihlte Kennzahlen von Erfangji, 1992-98 (ermittelt nach lAS, Betrag in Millionen yuan) ......................................... 261
Anhang 12: Bewertungsunterschiede zwischen CAS und lAS fUr das Ergebnis und Eigenkapital von Erfangji im Jahr 1998 ..................................................... 262
Anhang l3: Prozess der betrieblichen Transformation bei Erfangji 1984-98 ................ 263
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Anhang 2: Shanghai als das am meisten entwickelte Industriezentrum Chinas: ausgewiihlte Daten 1997
Daten von 1997 Landes- Shanghai durchschnitt
Basisdaten
BevOikerung in Millionen (Jahresende) 1.236 13 Bruttoinlandsprodukt in Milliarden Yuan 7.477 336 Bruttoproduktionswert der Industrie, in Milliarden Yuan 11.373 565 Anzahl der Industriebetriebe, in '000 7923 48
Entwicklungsniveau der Wirtschaft und Industrie
BIP I Kopf in Yuan 6.079 25.750
davon: Industrie 43 % 47 %
Dienstleistungen (inklusive Bausektor) 38 % 51 %
Landwirtschaft 19 % 2%
Industrieller BIP I K02f in Yuan, gesamt 2.614 12.103
Struktur des industriellen BIP
nach Sektoren: SOE (Nichtkapitalgesellschaften) * 46% 38%
Kapitalgesellschaften * 7% 11%
Sonstiges 47 % 51 %
nach Industriezweig: Schwerindustrie 60% 61 %
Leichtindustrie 40% 39%
Finanzielle Performance der Industriebetriebe
Gewinn vor Steuer pro 100 Yuan Bilanzsumme, aIle Sektoren 6,92 8,39
SOE (Nichtkapitalgesellschaften) * 6,27 6,68
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SOE (Nichtkapitalgesellschaften) * 1,86 2,66
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SOE (Nichtkapitalgesellschaften) * 23.609 38.671
Kapitalgesellschaften * 32.447 52.672
* SOE = State-Owned-Enterprise. Die Mehrheit der sogenannten ··Kapitalgesellschaften" sind staatliche In
dustriebetriebe, die sich im Rahmen der Vergesellschaftung seit Anfang der neunziger Jahre umgewandelt haben.
Quel1e: eigene Berechnung und Darstel1ung (basiert auf den Daten aus SSB 1998a und SSB 1998).
241
Anhang 3: Strukturdaten des staatlichen Industriesektors in China (SOEs)l, 1997
Betrag in Mrd. RMB Yuan Anzahl Umsatz Personal Bilanz-in Mio.2 summe
Gesamtsurnrne 74.388 2.799 39 5.911
nach Betriebsgro8e 3
Eigenkapital
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klein 59.465 423 10 910 242
nach Branchenzugehorigkeit Schwerindustrie
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nach administrativer Zuordnung
37.946 2.002
36.442 797
27 4.451 1.635
12 l.460 412
_~~~~~S~~3~ ________________ ~~~~ ____ ~L~ _____ J2 _____ Z]]2 ____ 2~~ __ Regionalregierung 69.696 l.657 29 3.584 1.101
Anmerkung:
1. Die Daten beziehen sich auf "State-awned-Enterprises" (SOEs) mit eigener Rechtspersonlichkeit und eigen
standigem Jahresabschluss. In der offiziellen Statistik sind diejenigen Staatsbetriebe nicht in der Kategorie
"SOE" erfasst, die im Rahmen der Corporatization bereits in Kapitalgesellschaften umgewandelt worden
sind.
2. Jahresdurchschnitt.
3. Nach offizieller Definition der Betriebsgro6en.
Quelle: SSB 1998; SSB 1998a; eigene Berechnung und Darstellung.
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Anhang 5: Grob strukturierter Fragebogen fUr Experteninterviews in Shanghai
A. Betriebsexterne Faktoren fiir oder gegen betriebliche Transformation
1) Was sind nach Ihrer Meinung die drei wichtigsten treibenden Krafte fiir und die drei am meisten blockierenden Faktoren gegen marktwirtschaftlich orientierte Transformation chinesischer Staatsbetriebe?
2) Wie wiirden Sie die Rollen verschiedener Anspruchsgruppen (Stakeholders) im Prozess der betrieblichen Transformation einschatzen? (z. B. Regierung I staatliche Holdinggesellschaft, Kunden, Mitarbeiter, Management, Partei, Aktioniire auf dem Aktienmarkt und Banken etc.)
3) Wie beurteilen Sie die Wirkungen der ReformmaBnahmen der Regierung (wie z. B. Dezentralisierung, "contract responsibility system" oder Vergesellschaftung I Going Public) auf die BetriebsfUhrung eines Staatsbetriebes?
B. Betriebsinterne Faktoren fUr oder gegen betriebliche Transformation
4) Wie beurteilen Sie die Bedeutung des "director responsibility systems" fiir den Prozess der betrieblichen Transformation?
5) Wie beurteilen Sie die Rolle der betriebsintemen Parteiorganisation und der Gewerkschaft (einschlieBlich "workers' representative council") im Prozess der betrieblichen Transformation?
C. Fortschritt der betrieblichen Transformation I Anderung in der Betriebsfiihrung
6) Was hat sich seit Beginn der Systernreform in den letzten lahren stark verandert in den Staatsbetrieben? Warum?
7) Was hat sich trotz der Systernreform nicht viel verandert in den Staatsbetrieben? Warum nicht?
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Anhang 11:Finanzielle Eckdaten und ausgewahlte Kennzahlen von Erfangji, 1992-98 (ennittelt nach lAS, Betrag in Millionen Yuan)
Jahr 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 Umsatzerlos (Nettobetrag) 633 843 655 533 501 428 308
Gewinn vor Steuer und Minority Interest 172 167 57 -73 -69 -213 -32
davon enthalten: staatliche Subventionen 13 14,5
Summe Anlagevermogen 586 828 1.034 1.043 1.038 995 1.009
Summe Umlaufvermogen 906 843 877 821 776 655 523
davon: Lagerbestand 181 333 323 302 245 219 209
davon: Forderungen aus LuLl) 117 212 262 185 270 183 136
Summe Working Capital 409 395 477 496 440 368 257
Summe Investiertes Kapital 996 1.223 1.512 1.539 1.477 1.362 1.266
Eigenkapital 895 999 1.106 1.031 961 747 694
davon: Grundkapital 304 426 426 468 515 566 566
Riicklagen und Bilanzergebnis 591 573 680 562 446 180 127
Minority Interest 2 3 4 5 4 5 12
Verzinsliches Fremdkapital 99 222 402 503 512 611 560
davon: Bankdarlehen 19 65 180 203 133 133 75
Kurzfristige Bankverbindlichkeiten 80 157 222 301 379 478 485
Summe Investiertes Kapital 996 1.223 1.512 1.539 1.477 1.362 1.266
Ausgewiihlte Kennzahlen Umsatzwachstum 42% 33 % -22 % -19 % -6 % -15 % -28 %
Umsatzrendite (vor Steuer) 27% 20% 9% -14 % -14 % -50 % -10 %
Dauer der Kapitalbindung in Tagen I)
im LaEerbestand 167 156 261 279 332 302 291
im Bestand der Forderungen aus LuL 2) 68 92 146 127 197 156 161
Bankdarlehen und -kredite in % des 10% 18 % 27% 33 % 35 % 45 % 44% investierten Kapitals
Anmerkung: I) = BestandsgroBe I Umsatz • 365 2) LuL = Lieferungen und Leistungen
Quelle: eigene Zusammenstellung mit Daten aus den lahresberichten von Erfangji 1993-1998
261
Anhang 12:Bewertungsunterschiede zwischen CAS und lAS filr das Ergebnis und Eigenkapital von Erfangji im Jahr 1998
in RMB Yuan '000 (konsolidiert) Jahres- Eigen-er2ebnis kapital
1m nach CAS erstellten Konzernabschluss ausgewiesen: 4.679 916.012
Korrektur nach lAS
• Abzug der Kursgewinne des Devisenbestandes -1.479 -90.848
• Zusatzliche Riickstellung_ filr Bestandsverluste im La~er -4.285 -19.681
• Zusatzliche Riickstellung flir Forderungsausfall -9.014 -49.515
• In Fremdwahrung zum Tageskurs fakturierte +15.613 Investitionspro,iekte
• Abzug des Buchgewinns aus der Neubewertung der -31.160 Anlagevermogen
• Riickbuchung der zu viel aktivierten Zinsen flir Anlagen im Bau -16.638 -37.931
• Erhohung der zu niedrig angesetzten Abschreibungen flir -5.878 -9.378 Anlagevermogen
• Sonstige Korrekturen -247 +660
1m nach lAS erstellten Konzernabschluss auszuweisen: -32.862 693.772
QueUe: Erfangji Jahresbericht 1998. S. 76 (B share financial statements) und S. 62 (A share financial statements)
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Bildungsgang
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1111988 - 0411994
05/1997 - 06/1999
Kurzer Lebenslauf des Verfassers
ZhenHuang
den 11. Februar 1968
Shanghai, Volksrepublik China
Chinesisch
Chinesisch (Mandarin), Deutsch und Englisch
Grundschule in der Provinz Anhui und in Shanghai
Besuch des Internats "Shanghaier Grund- und Mittelschule fUr Fremdsprachen" mit Deutsch als erste Fremdsprache
Studium der Germanistik an der Shanghai International Studies University
Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universitat Bayreuth mit
dem Schwerpunkt FinanzwirtschaftlBankbetriebslehre und Marketing.
Abschluss als Diplom-Kaufmann (univ.)
Fertigung der Dissertation als externer Doktorand am Lehrstuhl fUr
BWL ill der Universitat Bayreuth und irn Rahmen des zweijiihrigen Doktorantenprogramms der Firma Roland Berger & Partner GmbH
International Management Consultants, Mtinchen.
Abschluss der mtindlichen Prtifung mit der Gesamtnote "magna cum laude" (2,0) im Mai 2000
Berutliche Entwicklung
08/1994 - bis jetzt
Beratungserfahrung
Roland Berger & Partner GmbH International Management Consultants, Mtinchen
Methodische Kompetenz: Unternehmensrestrukturierungl-sanierung
Unternehmensplanung und Controlling
Branchenerfahrung:
Merger & Acquisition (M&A)
WertmanagementIV alue-based management
Internationale Markteintritts- und Standortstrategien
PharmaIMedizintechnikiGesundheitswesen (HeaIthcare)
MaschinenbaulElektroniki SpeziaIchemie
KonsumgtiterlEinzelhandel und sonstige Dienstleistungsbranchen einschl. offentlicher Verwaltung