transportprozesse in der atmosph¤re - nilu

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266 | © 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2007, 41, 266 – 274 Transportprozesse in der Atmosphäre MARTIN S CHULTZ | A NDREAS S TOHL | B ERNHARD VOGEL D ie Atmosphäre unseres Planeten ist in ständiger Be- wegung. Welche Kraft eine Luftbewegung entfalten kann, wird uns zum Beispiel bei Ereignissen wie Hurrika- nen oder Tornados vor Augen geführt. Winde sind für die meisten Wellen im Ozean verantwortlich, und sie stellen auch einen wesentlichen Faktor für die Erosion ganzer Ge- birgsketten dar. Mit den Winden wird einiges durch die Luft transportiert: das Sandkorn am Strand wird durch eine Windböe weiterbewegt, Blütenpollen und kleine Insekten fliegen in den Nachbargarten, und der Rauch eines offenen Feuers oder eines Schornsteins ist manchmal kilometerweit zu sehen. Auch Wolken ziehen mit dem Wind. Ihre Bewe- Die chemische Zusammensetzung unserer Atmosphäre ist ent- scheidend von Transportprozessen bestimmt, die von kleinen Wirbeln bis zu großräumigen interkontinentalen Strömungen reichen können. Transportvorgänge sorgen dafür, dass Luft- schadstoffe aus den Quellregionen abtransportiert werden und ihre Konzentration verringert wird. Andererseits können gas- und partikelförmige Schadstoffe auch über Tausende Kilometer in weit entfernte Gebiete geweht werden und dort die Luftqualität beeinflussen. DOI: 10.1002/ciuz.200700420 Abb. 1 a Ausblick auf eine arktische Landschaft von Spitzbergen unter Reinluftbedingun- gen [Fotos: A. C. Engvall].

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266 | © 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2007, 41, 266 – 274

Transportprozesse in der AtmosphäreMARTIN SCHULTZ | ANDREAS STOHL | BERNHARD VOGEL

Die Atmosphäre unseres Planeten ist in ständiger Be-wegung. Welche Kraft eine Luftbewegung entfalten

kann, wird uns zum Beispiel bei Ereignissen wie Hurrika-nen oder Tornados vor Augen geführt. Winde sind für diemeisten Wellen im Ozean verantwortlich, und sie stellenauch einen wesentlichen Faktor für die Erosion ganzer Ge-birgsketten dar. Mit den Winden wird einiges durch die Lufttransportiert: das Sandkorn am Strand wird durch eineWindböe weiterbewegt, Blütenpollen und kleine Insektenfliegen in den Nachbargarten, und der Rauch eines offenenFeuers oder eines Schornsteins ist manchmal kilometerweitzu sehen. Auch Wolken ziehen mit dem Wind. Ihre Bewe-

Die chemische Zusammensetzung unserer Atmosphäre ist ent-scheidend von Transportprozessen bestimmt, die von kleinenWirbeln bis zu großräumigen interkontinentalen Strömungenreichen können. Transportvorgänge sorgen dafür, dass Luft-schadstoffe aus den Quellregionen abtransportiert werdenund ihre Konzentration verringert wird. Andererseits könnengas- und partikelförmige Schadstoffe auch über Tausende Kilometer in weit entfernte Gebiete geweht werden und dortdie Luftqualität beeinflussen.

DOI: 10.1002/ciuz.200700420

Abb. 1 a Ausblickauf eine arktischeLandschaft vonSpitzbergen unterReinluftbedingun-gen [Fotos: A. C. Engvall].

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T R A N S P O R T P R O Z E S S E | AT M OS PH Ä R E N C H E M I E

gung kann man heute vom Weltraum aus mit Satelliten be-obachten, und tatsächlich wird das Zugmuster der Wolkenfür die Wettervorhersage verwendet: Aus ihrer Ortsverän-derung und Geschwindigkeit werden die Windrichtung und-geschwindigkeit bestimmt, die als Anfangsbedingung inWettervorhersagemodelle eingegeben werden.

Die Verbrennung von Erdöl, Kohle, Gas, die Herstellungindustrieller Produkte und viele andere menschliche Akti-vitäten und natürliche Prozesse setzen verschiedene (zumTeil schädliche) Gase und Partikel frei, die als Luftbeimen-gungen in die Atmosphäre gelangen. Der Wind sorgt dafür,dass diese Luftbeimengungen verteilt werden und die Kon-zentration der Schadstoffe abnimmt.

Mangelnde Bewegung der Atmosphäre kann dazuführen, dass die Schadstoffkonzentrationen sehr stark an-steigen. In Städten kann es während stagnierender Wetter-lagen, bei denen die Luftbewegung in Bodennähe beinahezum Erliegen kommt, zu fatalen Smogereignissen mit mess-baren Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung kommenDie Abkürzung smog bezeichnet das Zusammentreffen von„smoke“ (Rauch) und „fog“ (Nebel).

Eine besonders schlimme Smogepisode, die im Jahr1952 in London auftrat, kostete mehr als viertausend Men-schen das Leben. Der „London smog“ entstand vornehmlichdurch die Verbrennung schwefelhaltiger Kohle und stellt in

westlichen Industrieländern heute kein Problem mehr dar.In den 1960er Jahren wurde zunächst in Los Angeles eineandere Art von Smog beobachtet, welcher extrem hohe Oxi-dantienkonzentrationen (Ozon, Nitrate, Aldehyde) aufweist.Diese Schadstoffe werden nicht direkt emittiert, sondern inder Atmosphäre aufgrund von chemischen Reaktionen ausVorläufersubstanzen wie Stickoxiden, Kohlenmonoxid undKohlenwasserstoffen gebildet (siehe die Beiträge auf denSeiten 192 ff sowie 200 ff. in diesem Heft. Dieser Som-mersmog wurde später auch in Europa zu einem ernsthaf-ten Problem, welches mit Fahrverboten und anderen Maß-nahmen bekämpft werden musste. Trotz erheblicher An-strengungen zur Reduzierung der Emissionen von Ozon-vorläufersubstanzen kommt es auch heute noch zu deut-lichen Überschreitungen der Ozongrenzwerte in Deutsch-land, wie in den besonders heißen Sommern der Jahre 2003und 2006.

Luftverunreinigungen können über Hunderte oder garTausende Kilometer transportiert werden. Dies wurdeschon vor über 100 Jahren anhand von Wüstenstaub nach-gewiesen. So wurde z.B. die Ablagerung großer Mengenvon Staub in Mitteleuropa im März 1901 eindeutig auf Trans-port aus der Sahara zurückgeführt. Ein weiteres, früh er-kanntes Beispiel weitreichenden Transports ist der Arkti-sche Dunst (siehe Infokasten). Auch die Versauerung des

Abb. 1 b DerselbeAusblick einige Ta-ge später mit deut-lich sichtbarer Luft-verschmutzung, dieüber mehrere tau-send Kilometer antransportiertwurde.

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Niederschlags, von der weite Teile Eu-ropas in den 1970er Jahren betroffenwaren, war eine Folge des Ferntrans-portes von Schwefeldioxid und Stick-oxiden aus Industrieanlagen. Ironi-scherweise handelt es sich hier um ei-ne indirekte Folge von Luftreinhal-tungsmaßnahmen: Um das erwähnteSmogproblem zu mildern, wurden dieIndustrieanlagen mit höheren Schorn-steinen ausgestattet. Dadurch wurdendie freigesetzten Stickstoff- und Schwe-felverbindungen zwar einerseits stär-ker verdünnt, aufgrund der kräftigerenWinde aber auch erheblich weiter ver-teilt, so dass auch Regionen fernab derEmissionszentren von dem sauren Re-gen betroffen waren.

Solche weitreichenden Transport-vorgänge von Luftbeimengungen sindjedoch nicht auf die Industrieregionenauf der nördlichen Erdhalbkugel be-schränkt, sondern können überall be-obachtet werden. Im Rahmen einerMesskampagne im Südpazifik im Sep-tember 1996 fand man häufig Anzei-

chen starker Luftverschmutzung in Höhen zwischen vierund sechs Kilometern über dem Ozean. Die Ursachen die-ser Schadstoffwolken konnten auf die jedes Jahr um dieseZeit auftretenden weit verbreiteten Wald- und Savannen-brände in Afrika und Südamerika zurückgeführt werden,deren Emissionen in weniger als 10 Tagen bis zu 10000 kmzurückgelegt hatten [1].

Dieser Artikel soll einige der Mechanismen für den atmosphärischen Transport und ihre Bedeutung für die Che-mie und Zusammensetzung der Atmosphäre darstellen. Dabei beschränken wir uns auf eine Beschreibung der Pro-zesse in der Troposphäre, das ist die Schicht der Atmos-phäre, die sich vom Erdboden bis in etwa 10 km Höhe er-streckt.

Ursachen von LuftströmungStrömungsvorgänge in der Atmosphäre werden in derHauptsache durch Temperaturunterschiede hervorgerufen,die aufgrund der unterschiedlichen Aufheizung der Erd-oberfläche entstehen. So heizt sich eine Betonpiste bei di-rekter Sonnenstrahlung stärker auf als eine feuchte Wiese,und Kontinente werden tagsüber stärker erwärmt als Oze-ane. Berghänge erhalten je nach Ausrichtung zur Sonnemehr oder weniger Sonnenstrahlung als ebene Flächen. ImJahresmittel trifft in äquatornahen Gebieten sehr viel mehrSonnenenergie pro Fläche auf die Erde als in polaren Re-gionen [3]. Wolken führen zu einer Abschattung der dar-unter liegenden Erdoberfläche und verhindern eine starkeErwärmung am Tage und eine starke Abkühlung in derNacht. Auch das Reflektionsvermögen der Erdoberfläche

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extratropischeZyklonen

tropischeZyklonen

kleinerCumulus

Rauch-fahnen

Fronten

Gewitter

großer Cumulus

1 Sekunde1 cm 10 cm 1 m 10 m 100 m 1 km 10 km 100 km 1000 km 10000 km

1 Minute

1 Stunde

1 Tag

1 Woche

1 Monat

1 JahrmolekulareDiffusion

horizontaleWirbel

ultralange Wellen

kleinskaligeTurbulenz

interneSchallwellen

Tornado

A R K T I S C H E R D U N S T ( „ A RC T I C H A Z E “ ) |Obwohl bereits in Expeditionsberichten Ende des 19. Jahrhunderts dokumentiert, er-langte der arktische Dunst erst seit den 1950er Jahren verstärkte Aufmerksamkeit. Umdiese Zeit bemerkten Piloten, die in der Arktis unterwegs waren, häufig Dunstschichten,die sich über große Distanzen erstreckten. Diese gaben zunächst Rätsel auf, da es in derRegion keine Quellen für Smog gab, wie er in europäischen oder amerikanischen Städtenbekannt war. Mitte der 1970er Jahre erkannte man aufgrund von Messungen und Mo-dellrechnungen, dass es sich bei diesem Dunst um kleine Schwebeteilchen (Aerosole) miteinem hohen Anteil an Sulfat handelte, die aus Industrieanlagen in Europa und Asienstammen. Später wurden auch andere Quellen für die Aerosole ausgemacht, zum Beispiel ausgedehnte Brände in den Wäldern Kanadas und Russlands. Der weitreichendeTransport über mehrere Tausend Kilometer wird durch die extrem stabile vertikaleSchichtung der kalten arktischen Atmosphäre ermöglicht. Diese verhindert, dass sich dieAerosolwolke durch Turbulenzen verteilt und auflöst. Durch die Trockenheit der Luft im arktischen Winter kommt es zudem nicht zur Niederschlagsbildung, so dass auch dasAusregnen der Schwebeteilchen unterbunden wird.

Eine Konsequenz der arktischen Luftverschmutzung ist die erhebliche Verminderung derSichtweite. Dies wird eindrucksvoll durch Abbildung 1 demonstriert. Das erste Bild zeigteinen Blick über Teile von Spitzbergen unter normalen Reinluftbedingungen. Das zweiteBild zeigt denselben Blick nur wenige Tage später, nachdem Rauch aus landwirtschaft-lichen Feuern in Osteuropa über mehrere Tausend Kilometer Entfernung nach Spitz-bergen transportiert worden war. Die hier abgebildete Dunstwolke enthielt extrem hoheKonzentrationen von Schwebeteilchen und verschiedenen gasförmigen Luftverunreini-gungen. So wurden z.B. Ozonkonzentrationen gemessen, wie sie sonst nur unter Som-mersmogbedingungen in Städten auftreten [2].

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(Albedo) ist ein wichtiger Faktor. Frischer Schnee oder Eishaben ein hohes Reflexionsvermögen und werfen daher ei-nen großen Teil der einfallenden Energie in den Weltraumzurück. Dunkle Flächen wie Wälder, Ackerland oder städ-tische Siedlungen absorbieren einen höheren Anteil derStrahlung und heizen sich dadurch mehr auf. Die Verdun-stung von Wasser spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, da die-ser Prozess Energie benötigt, die dann nicht zur Erwärmungdes Bodens zur Verfügung steht. All diese Prozesse führenzu örtlichen Unterschieden in der Lufttemperatur, mit dereine Veränderung des Luftdrucks einhergeht. Das Bestrebender Atmosphäre, diese Druckunterschiede auszugleichen,führt zur Entstehung von Winden, Luftwirbeln und durchKondensation aufsteigender feuchter Luftpakete zu Wolken.

Abbildung 2 verdeutlicht die enorme Spanne der Län-gen- und Zeitskalen atmosphärischer Strömungsprozesse.Im allgemeinen gilt hier: je größer ein Phänomen ist, destolänger existiert es. Zum Beispiel weisen die das Wetter inEuropa so häufig bestimmenden atlantischen Tiefdruckge-biete („extratropische Zyklonen“) einen Durchmesser voneinigen tausend km auf und lassen sich von ihrer Entstehungbis zu ihrem Zerfall über mehrere Tage auf Satellitenbildernverfolgen. Im Gegensatz dazu dauern Turbulenzen in der bo-dennahen Grenzschicht meist nur wenige Sekunden oderMinuten. Diese weite Spanne der räumlichen und zeitlichenSkalen ist von wesentlicher Bedeutung für die Atmos-phärenchemie, da die Dauer eines Wetterphänomens mitdarüber entscheidet, wie weit eine bestimmte Luftbeimen-gung von ihrem Ursprungs- oder Emissionsort transportiertwerden kann. Stoffe mit kurzer Lebensdauer werden nor-malerweise über kürzere Strecken transportiert als solche

mit längerer Lebensdauer. Dies kann heute unmittelbar vonSatelliten beobachtet werden (siehe Artikel in diesem Heftauf S. 170 ff). Vergleicht man die Karten der Konzentrati-onsverteilungen von Stickstoffdioxid (Lebensdauer etwa 2 Tage) mit denen von Kohlenmonoxid (Lebensdauer 1-2Monate), so sieht man bei Stickstoffdioxid viel größere Kon-zentrationsunterschiede zwischen den Kontinenten, wosich die Emissionsquellen befinden, und den Ozeanen. Beieiner typischen Windgeschwindigkeit von 10 km/h ist dieKonzentration von Stickoxiden nach 500 km Horizontal-transport auf etwa ein Drittel abgefallen. Die Kohlen-monoxidkonzentration nimmt über die gleiche Entfernunghingegen nur um 5 bis 10 % ab.

Transportprozesse in der bodennahen Grenzschicht

Unter Grenzschicht versteht man die untere Schicht der At-mosphäre, in der sich der Einfluss des Erdbodens auf die at-mosphärischen Variablen wie Wind, Temperatur und Feuch-te deutlich bemerkbar macht. Im Laufe des Tages, wennsich der Erdboden aufgrund zunehmender Sonnenstrahlungerwärmt und sich verstärkt Turbulenzen ausbilden, steigtdie Höhe der Grenzschicht an. In den Nachtstunden, wenndie Turbulenz abflaut, ist die Grenzschicht sehr dünn (Ab-bildung 3). Während die Temperatur im Allgemeinen mit zu-nehmender Höhe über dem Boden abnimmt, gibt es amOberrand der Grenzschicht oft einen Höhenbereich, in demes nach oben hin wärmer wird. Diese Temperaturinversionwirkt wie ein Deckel und verhindert einen effizienten Aus-tausch von Luftmassen und dadurch auch die Verdünnungbodennaher Schadstoffkonzentrationen. Eine niedrige

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Grenzschichthöhe mit starker Inversion wird oft im Winterbeobachtet und führte zur Zeit der Kohleheizung häufig zuSmogepisoden. Auch heute werden die höchsten Fein-staubkonzentrationen in den Städten unter solchen Inver-sionsbedingungen gemessen.

Spurenstofftransport in inhomogenem GeländeAtmosphärische Strömungen werden durch die unter-schiedliche Geländegestalt modifiziert. Die großräumige An-strömung von Luft wird durch Straßenschluchten, Wälderoder Hügel abgelenkt. Berge und Täler bilden aufgrund vonTemperaturgradienten ebenso wie der Land-See-Gegensatzeigene lokale Strömungssysteme aus. Auch größere Ge-birgszüge können auf die großräumige Strömung zurück-wirken.

Als Beispiel für ein lokales Strömungssystem, das starkvon der Geländegestalt beeinflusst ist, stellen wir hier dieMessungen und Modellrechnungen vor, die während einerdreiwöchigen Epsiode im Sommer 1996 am Schauinslandim Schwarzwald durchgeführt wurden. Zum damaligen Zeit-punkt wurde in der Nähe des Schauinslandgipfels neben derMessstation des Umweltbundesamtes auch eine Station des

Forschungszentrums Jülich betrieben. Beim Aufbau der Sta-tionen war man aufgrund der Höhe des Berges (1284 müNN) davon ausgegangen, dass man hier die Zusammen-setzung der Luft außerhalb der Grenzschicht messen könn-te und dementsprechend reine Luft mit niedrigen Spuren-stoffkonzentrationen vorfinden müsste. Es stellte sich je-doch bald heraus, dass vor allem die Station des For-schungszentrums Jülich häufig von verschmutzter Luft ausdem Rheintal angeströmt wurde. Anhand von Konzentrati-onsverhältnissen verschiedener reaktiver Kohlenwasser-stoffe und Stickoxide konnte man ableiten, dass die Luft imMittel eineinhalb Stunden transportiert worden war, bevorsie die Station erreichte. Um einen genaueren Einblick in dieTransportprozesse zu erlangen, wurde im Sommer 1996 ei-ne Messkampagne durchgeführt, bei der geringe Mengen ei-nes ungefährlichen, inerten Spurengases im Tal freigesetztwurden, dessen Konzentration dann an mehreren Stellenauf dem Weg zur Messstation zeitabhängig gemessen wur-de. Zur Auswertung dieser Messungen wurden numerischeSimulationen mit einem dreidimensionalen Transportmo-dell in sehr feiner Auflösung durchgeführt. Abbildung 4zeigt das komplexe Transportmuster, welches sich aus der

A B B . 4 | T R A N S P O R T M U S T E R I N KO M PL E X E M G E L Ä N D EQuerschnitte dervertikalen Vertei-lung von SF6, dasam Morgen des 5. Juni 1996 imDreisamtal frei-gesetzt wurde. DieAbbildung zeigtdie simulierteKonzentrations-verteilung um11:30 UTC, etwadrei Stunden nachBeginn der Frei-setzung. Aus [5]

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Auswertung der Messungen und Rechnungen ergab. Daswichtigste Ergebnis war, dass die Strömung durch die Gelän-degestalt an verschiedenen Stellen aufgespalten und umge-lenkt wurde. Dies führte zur einer starken Verbreiterung deraus dem Tal antransportierten „Wolke“ des freigesetztenSpurenstoffes.

Großräumige TransportprozesseWürde die Erde bei unveränderten Einstrahlungsverhält-nissen nicht rotieren, so ergäbe sich auf der globalen Skalaein relativ einfaches Zirkulationsmuster: Luft, welche an derErdoberfläche in Äquatornähe durch die reichlich verfüg-bare Sonnenstrahlung aufgeheizt wird, erwärmt sich, dehntsich dadurch aus und wird leichter. Die leichte Luft steigtauf, wird in der Höhe in Richtung der Pole transportiert,kühlt dort wieder ab und sinkt. Schließlich wird sie bo-dennah wieder in Richtung Äquator zurückgeführt. Diesegroßräumige Kreisbewegung wird als Hadley-Zirkulationbezeichnet.

Eine solche thermisch direkte Zirkulation kann man aufder Erde allerdings kaum beobachten, weil die aufgrundder Erddrehung entstehende Coriolis-Kraft die Luftmassenablenkt: auf der Nordhemisphäre nach rechts, auf der Süd-hemisphäre nach links. Die Stärke der Coriolis-Kraft nimmtvom Äquator, wo sie exakt Null ist, zu den Polen hin zu.Durch die geringe Stärke der Coriolis-Kraft in Äquatornähekann sich dort in der Tat eine Hadley-Zelle ausbilden, wel-che jedoch nur bis zu den Subtropen reicht. Die aufstei-gende Luft in Äquatornähe bildet die Innertropische Kon-vergenzzone. Von dort wird die Luft in etwa 10-15 km Höhebis zu den Subtropen transportiert, wo sie wieder absinkt.Durch das Absinken erwärmt sich die Luft und kann mehrWasserdampf aufnehmen. Vorhandenes kondensiertes Was-ser verdampft, wodurch sich die Wolken auflösen. Das führtdazu, dass es in subtropischen Breiten nur sehr wenig Nie-derschlag gibt und erklärt so die Wüstenbildung in diesenRegionen. Mittels der Passatwinde wird die Luft in Bo-dennähe wieder zum Äquator zurückgeführt.

Durch die Veränderung der Sonneneinstrahlung verla-gert sich die Innertropische Konvergenzzone mit den Jah-reszeiten. Im Sommer der Nordhalbkugel kann sie z.B. überdem indischen Subkontinent, unterstützt durch die stärke-re Erwärmung über dem Land, besonders weit nach Nor-den vordringen. Die sich so ergebende Monsunzirkulationführt Luftmassen aus der Südhemisphäre bis nach Indien.Diese nehmen auf ihrem Weg über das warme Meer vielWasser auf und bringen dem indischen Subkontinent be-sonders starke Niederschläge, welche durch die Orographiedes Himalayas noch weiter verstärkt werden. Eine solcheMonsunzirkulation gibt es auch in anderen Teilen der Erde,wo sie allerdings weniger stark ausgeprägt ist.

Nördlich der Passatwindzone (also nördlich von etwa 25Grad nördlicher Breite) wird die Strömung durch die Co-rioliskraft abgelenkt und bildet so das Westwindband in denmittleren Breiten. Hier herrschen, auch aufgrund der Land-Ozeanverteilung, höchst variable Strömungen, und der

Wind weht nur im Mittel ziemlich genau aus westlicherRichtung. Eingebettet in das Westwindband entwickeln sichTiefdruckgebiete (Zyklonen), welche einen Wärmetrans-port nach Norden und damit einen Energieausgleich zwi-schen niedrigen und hohen Breiten bewirken. Ähnlichespassiert auf der Südhemisphäre, wobei sich dort aufgrundder anderen Land-See-Verteilung dort etwas andere Strö-mungsmuster ergeben.

Abbildung 5 zeigt etwas idealisiert die Zirkulation in ei-nem Tiefdruckgebiet an der amerikanischen Ostküste. Ein-gezeichnet sind die Kaltfront (fette Linie mit den zackigenSymbolen), die Warmfront (fette Linie mit den runden Sym-bolen) und die Okklusion (kurze fette Linie, nach Nordwe-sten weisend). Die Zacken bzw. Rundungen an den Front-linien zeigen die Bewegungsrichtung der Fronten an. In Bo-dennähe befindet sich hinter der Kaltfront besonders kalteLuft und im Warmsektor (im Südosten zwischen Kaltfrontund Warmfront) besonders warme Luft. Im Verlaufe derEntwicklung eines Tiefdruckgebiets rückt die Kaltfront typischerweise schneller vor als die Warmfront und holtdiese vom Zentrum her ein. Dabei wird die warme Luftschließlich vollständig vom Erdboden abgehoben.

Die aus den Vorgängen in einem Tiefdruckgebiet resul-tierenden Luftströmungen sind ebenfalls in Abbildung 5 dar-gestellt. Hier sind drei Luftströmungen besonders hervor-zuheben:1. Die trockene Intrusion (DA). Hierbei handelt es sich um

einen Luftstrom, der auf der Rückseite des Tiefdruck-gebiets aus großen Höhen in die mittlere und untereTroposphäre absinkt. Sehr häufig kommt ein Teil der

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Die eingezeichneten Zahlen geben die typische Höhe der Strömung in Druckein-heiten (hPa) an (kleinere Zahlen bedeuten größere Höhen) Abbildung aus [6].

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2. Der „Cold Conveyor Belt“ (CCB). Hierbei handelt essich um einen Luftstrom, der aus der unteren in diemittlere Troposphäre aufsteigt und damit Schadstoffeaus der Grenzschicht in die freie Troposphäre pumpenkann.

3. Der „Warm Conveyor Belt“ (WCB). Der WCB steigt ausdem Warmsektor des Tiefdruckgebiets über die Warm-front bis in die obere Troposphäre auf. Er führt sehrwarme, feuchte Luftmassen mit sich, die beim AufstiegWolken und schließlich Niederschlag bilden. Der Auf-stieg dauert typischerweise ein bis zwei Tage, kann aberauch schneller erfolgen.

InterkontinentaltransportIn den letzten Jahren wurde erkannt, dass der Transportvon Luftschadstoffen selbst über interkontinentale Distan-zen einen Einfluss auf die Luftqualität auch abgelegener Re-gionen haben kann. So sind Verbesserungen der Luftqualitätaufgrund von lokalen Emissionsminderungen nur begrenztmöglich, wenn gleichzeitig durch Winde große Mengen anLuftschadstoffen von einem anderen Kontinent importiertwerden. Im Folgenden sollen einige wichtige Mechanismendes interkontinentalen Schadstofftransports kurz erläutert.

Interkontinentaltransport von Luftschadstoffen gibt essowohl in Bodennähe als auch in der mittleren und oberenTroposphäre. Dort findet er wegen der größeren Windge-schwindigkeiten häufiger statt und lässt sich oft klarer be-obachten. Damit die Luft aus der bodennahen Schicht in diemittlere oder obere Troposphäre gelangt, muss sie entwe-der durch tiefe Konvektion (etwa in Gewitterwolken) oderdurch die Anhebung in Frontalzonen (s.o.) angehoben wer-den. Befindet sich im Warmsektor des Tiefdruckgebiets ver-schmutzte Luft, dann wird diese mit dem WCB angehobenund in die obere Troposphäre verfrachtet. Durch die mit derAnhebung einhergehende Niederschlagsbildung wird imNormalfall ein erheblicher Teil der Aerosolpartikel und was-serlöslichen Schadstoffe aus der Atmosphäre ausgewaschen.Andere Substanzen wie Kohlenmonoxid oder Ozon sindkaum wasserlöslich und werden in der oberen Troposphä-re mit den starken Winden im Strahlstrom rasch weiter-transportiert. Innerhalb weniger Tage können solche Luft-massen dann einen anderen Kontinent erreichen. Die WCBsentstehen besonders häufig über den warmen Ozeanen öst-lich von Asien und Nordamerika. Da sich an den Ostküstendieser Kontinente zahlreiche große Ballungsräume befin-den, unterliegen gerade deren Emissionen bevorzugt demInterkontinentaltransport.

Abbildung 6 stellt ein solches interkontinentales Trans-portereignis beispielhaft dar. In der linken Spalte sieht manInfrarot-Satellitenbilder, in welchen wolkenlose Gebiete inblauen und dunkelgrünen Farbtönen erscheinen, tiefe Be-wölkung in hellgrünen und gelben Farben und hohe Be-wölkung in roter Farbe. Zusätzlich sind Isolinien des Bo-dendrucks dargestellt und Kaltfronten (blau) und Warm-fronten (rot) eingezeichnet. In der rechten Spalte werdensimulierte Konzentrationen von Kohlenmonoxid aus nord-

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Zeitliche Entwicklung eines interkontinentalen Transportereignisses über dem Nord-atlantik vom 13.11. bis 19.11.2001. Die linke Spalte zeigt Infrarot-Falschfarben-bilder des GOES East Satelliten und eine schematische Darstellung der Hoch- undTiefdruckgebiete, in der rechten Spalte sind simulierte Konzentrationsverteilungenvon Kohlenmonoxid aus nordamerikanischen Emissionsquellen dargestellt. Abbildung aus [8]

a)

b)

c)

d)

e)

f)

g)

h)

i)

j)

absinkenden Luft aus der unteren Stratosphäre undführt hohe Ozonkonzentrationen mit sich, die manch-mal direkt beobachtet werden können.

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amerikanischen Emissionsquellen gezeigt. Am 13.11.2001befand sich ein Hochdruckgebiet über den östlichen USA(Abbildung 6a). Es gab nur geringe Luftbewegungen, unddie Luftschadstoffe konnten sich in diesem Gebiet in derGrenzschicht anreichern (6f). Zwei Tage später ist diese An-reicherung in der Modellsimulation (6g) und auch in Satel-litenbildern deutlich sichtbar. Zu dieser Zeit näherte sichvon Nordwesten kommend ein Tiefdruckgebiet (6b). DieKaltfront des Tiefdruckgebietes schob die Verschmutzungvor sich her und sorgte dafür, dass die Schadstoffkonzen-trationen in den dahinterliegenden Gebieten stark zurück-gingen. Am 17.11. hatte sich vor der Kaltfront des Tiefs einWCB mit starker Bewölkung gebildet (6c), in dem die Luft-verschmutzung bis in Höhen von etwa 6 km angehobenwurde (6h). Einen Tag danach verlagerte sich der WCB et-was weiter nach Osten (6d), und in der Modellsimulationbefindet sich die Luftverschmutzung jetzt nördlich von Is-land (6i). Am 19.11., also nur zwei Tage nach der Bildungdes WCB, hat die Luftverschmutzung Europa erreicht (6j).Ein Forschungsflugzeug, das in diese Schadstoffwolke ge-schickt wurde (die Flugroute ist in Abbildung 6j einge-zeichnet), hat über Skandinavien klar erhöhte Konzentra-tionen von CO, Ozon und anderen Luftschadstoffen gefun-den, die von Nordamerika nach Europa transportiert wur-den. Die gemessenen Spitzenkonzentrationen konnten da-bei eindeutig auf die Emissionen des New Yorker Ballungs-raumes zurückgeführt werden. Einige Tage später wurdedie gleiche Luftmasse an der Zugspitze registriert.

Der hier beschriebene Fall kann als typisch für denTransport von Luftverschmutzung von Nordamerika nachEuropa angesehen werden. Ähnliche Vorgänge werden auchbeim Interkontinentaltransport von Ostasien über den Pa-zifik beobachtet. Da sich in mittleren Breiten alle paar Ta-ge neue Tiefdruckgebiete ausbilden, treten diese Ereignis-se sehr häufig auf. Über Europa bilden sich aufgrund dergeographischen Lage weniger starke Tiefdruckgebiete unddamit weniger WCBs aus. Die in Europa emittierten Luft-schadstoffe verbleiben vornehmlich in der unteren Tro-posphäre und werden besonders im Winter häufig nachNorden in die Arktis transportiert, wo sie den „Arctic Ha-ze“ produzieren (siehe Infokasten).

Der zweite Prozess, bei dem bodennahe Luftmassen indie obere Troposphäre angehoben werden, ist die tiefe Kon-vektion. Hierbei handelt es sich um Hebung in relativ klein-räumigen Gebieten, in denen erwärmte Luft unter Wol-kenbildung rasch aufsteigt, was oftmals mit Gewittern ver-bunden ist. Auch dadurch werden Emissionen aus Bo-dennähe in die obere Troposphäre (oder sogar in die unte-re Stratosphäre) transportiert und dort den kräftigen Win-den im Strahlstrom ausgesetzt. Diese kann die Luftverun-reinigungen wiederum über lange Distanzen transportie-ren. Da die Anhebung innerhalb von wenigen Minuten unddamit viel rascher als in einem WCB erfolgt, werden in kon-vektiven Wolken deutlich weniger lösliche Substanzen aus-gewaschen. Aufgrund der geringeren Temperaturen undWasserdampfkonzentration in größeren Höhen verlängert

sich die Lebensdauer solcher chemischer Verbindungen be-trächtlich. So beträgt die Lebensdauer von Schwefeldioxidin niedrigen Luftschichten nur einige Stunden, in der obe-ren Troposphäre allerdings mehrere Tage. Während derlangsamen Anhebung in einem WCB wird Schwefeldioxidzum größten Teil in Schwefelsäure umgewandelt, welche inder Folge durch Niederschlag ausgewaschen wird. Findettiefe Konvektion allerdings direkt über einer Emissions-quelle statt, kann Schwefeldioxid so rasch in die obere Tro-posphäre transportiert werden, dass für eine Umwandlungin Schwefelsäure nicht genug Zeit bleibt. Dies ist ein Bei-spiel, dass nicht nur der Transport an sich, sondern auchseine Geschwindigkeit von entscheidender Bedeutung fürdie Verteilung reaktiver Verbindungen in der Atmosphäreist.

Bedeutung von Transportprozessen für die Atmosphärenchemie

Transportprozesse spielen auf allen Längen- und Zeitskaleneine wesentliche Rolle für die räumliche Verteilung undzeitliche Variabilität von Spurenstoffkonzentrationen in derAtmosphäre. Oftmals ergibt sich eine enge Wechselwirkungzwischen den Transportprozessen und chemischen undphysikalischen Umwandlungen von Spurengasen und Ae-rosolen. Gemeinhin bestimmt der Transport in verschiede-ne Regionen der Atmosphäre mit unterschiedlichen Tem-peraturen und Feuchtegehalten, wie schnell atmosphären-chemische Reaktionen ablaufen oder ob die Spurenstoffeausgewaschen werden. Gerade im Fall von Aerosolen mitstarkem Absorptions- oder Rückstreuvermögen kann jedochauch umgekehrt der Transport durch die chemische Zu-sammensetzung beeinflusst werden.

Hier wollen wir noch auf zwei weitere Zusammenhän-ge zwischen chemischen und Transportvorgängen hinwei-sen: Wolkensysteme, die mit den atmosphärischen Strö-mungen transportiert werden, verändern auch die Inten-sität der ultravioletten Sonneneinstrahlung (sowohl ober-halb als auch innerhalb und unterhalb der Wolke). Da vieleatmosphärenchemische Reaktionen durch Photodissoziati-on (also die Spaltung von Molekülen durch Lichteinwir-kung) angestoßen werden, hat dies einen entscheidendenEinfluss auf die Abbauraten von Luftschadstoffen.

Ein weiterer wichtiger Prozess ist die Trockendepositi-on, die für viele Luftschadstoffe in Bodennähe den bedeu-tendsten Abbauprozess darstellt. Die Depositionsrate, alsodie Menge der Substanz, die pro Zeiteinheit vom Bodenoder von der Vegetation aufgenommen wird, hängt von ver-schiedenen Faktoren ab. Zunächst muss jedoch ein Trans-port zur Oberfläche hin stattfinden, und dieser wird vor al-lem durch die Windgeschwindigkeit und atmosphärischeTurbulenz bestimmt.

Das Thema Transportprozesse in der Atmosphäre bie-tet noch viele weitere interessante Aspekte, auf die wir hiernicht eingehen konnten. In unseren Ausführungen habenwir uns auf die Troposphäre beschränkt. In den darüberliegenden „Stockwerken“ der Atmosphäre findet natürlich

WCB: „Warm Con-veyor Belt“: Luft-strom, der warme,feuchte Luftmassenmit sich führt, die beim Aufstieg Wolken bilden (s. linke Seite).

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ebenfalls Transport statt, und dort gibt es oftmals eine nochstärkere Wirkung der Chemie auf die Dynamik der Atmos-phäre. Auch die Austauschprozesse zwischen den Luft-schichten, also z.B. zwischen der Troposphäre und der dar-über liegenden Stratosphäre, sind weiter Gegenstand derForschung. Spannend ist auch die Frage, wie sich die ver-schiedenen atmosphärischen Transportprozesse unter ver-änderten Klimabedingungen wandeln und welche Auswir-kungen dies auf die Konzentration der Luftbeimengungen,d.h. auf die Qualität unserer Atemluft hat. Es bleibt noch vielzu tun, bis die atmosphärischen Phänomene einschließlichihrer vielfältigen Wechselwirkungen mit dem Erdboden undden Ozeanen vollständig erforscht sein werden.

SchlagworteAtmosphäre, Transport, Advektion, Konvektion, Luftver-schmutzung.

ZusammenfassungTransportvorgänge in der Atmosphäre bestimmen, wie Spu-renstoffe verteilt werden und wohin sich Schadstoffwolkenausbreiten. In diesem Aufsatz werden einige Grundlagen zu at-mosphärischen Transportvorgängen erörtert und die Zusam-menhänge zwischen Luftchemie und Winden aufgezeigt. An-hand einiger Beispiele aus der aktuellen Forschung wird ver-deutlicht, welche Bedeutung Transportprozesse auf der loka-len bis interkontinentalen Skala für die Belastung der Luft mitSchadstoffen haben können.

SummaryAtmospheric transport determines how trace substances andair pollutants are dispersed from their source regions. Thisarticle describes various transport processes and their inter-action with atmospheric chemistry. Using a number of ex-amples from current research the relevance of atmospherictransport from the local to the intercontinental scale on airquality is shown.

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Die AutorenDr. Martin Schultz, Jahrgang 1964, studierte Physikan den Universitäten in Bonn und Heidelberg undwechselte nach seiner Diplomarbeit in das FachAtmosphärenchemie. Nach seiner Dissertation amForschungszentrum Jülich war er von 1997-1999 alsPostdoc an der Harvard University, wo er mit derglobalen Modellierung atmosphärischer Transportund chemischer Prozesse begann. Im Sommer 1999wechselte er zum Max-Planck-Institut für Meteorolo-gie in Hamburg, wo er die Leitung einer Gruppeübernahm. Seit 2006 ist Dr. Schultz wieder amForschungszentrum Jülich beschäftigt.

Dr. Andreas Stohl, Jahrgang 1968, studierteMeteorologie an der Universität Wien. Nach seinerPromotion im Jahr 1996 wechselte er nach Münchenan die Universität (später Technische Universität)München, wo er bis 2003 als Lehrstuhlassistenttätig war. Nach einem eineinhalbjährigen Aufent-halt an der University of Colorado in Boulder,Colorado, USA, ist er seit Dezember 2004 amNorwegischen Institut für Luftforschung tätig.

Dr. Bernhard Vogel, Jahrgang 1956, studierteMeteorologie an der Technischen UniversitätDarmstadt. Dort promovierte er 1987 und wechsel-te anschließend an das Institut für Meteorologie undKlimaforschung, welches gemeinsam vom For-schungszentrum Karlsruhe und der UniversitätKarlsruhe betrieben wird. Er leitet die ArbeitsgruppeSpurenstoffmodellierung und Klimaprozesse.

Korrespondenzadresse: Dr. Martin Schultz, Forschungszentrum Jülich, ICG II,52425 Jülich,E-Mail: [email protected]