ueber die polare erregung der lebendigen substanz durch den electrischen strom

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542 Wilhelm Roux: Ueber die polare Erregung der lebendigen Substanz dutch den electrischen Strom. Yon Wilhelm Ronx~ Halle a. d. S. In Band 62 dieses Archivs Seite 417 bcriehtet M. Verworn tiber racine bezUgliehen Versuche 1) in einer Wcise, wclche den Leser glauben macht, dass dieselben im Grunde nichts den Physi o- logen Interessirendes enthalten. Da dersclbe Autor auch in scinem Buehe tiber allgemeine Physiologi c dieser Arbeit night ge- denkt, obschon sie manehes Neue, seine eigenen Untersuchungen Ueberholende und neue Gesichtspunkte erSffnende bringt, so nehme ich Veranlassung, direct den Leserkreis dieses Archivs auf dieselbe aufmerksam zu maehen, indem ich einige Hauptergeb- nisse hier reprodueire, nachdem ein grSsseres Autorreferat im biologischen Centralblatt (1895) diese Wirkung nicht gehabt hat. Aueh L. Hermann hat in seinem Jahresberiehte ftir Physio- logie (1891) nur den Titel der Abhandlung mitgetheilt. 1) Wi~hrend die Gewebe resp. Organe der erwaehsenen Wi r b e 1 t h i e r e (yon dem Epithel der Gallenblase abgesehen) dureh den Wechselstrom nicht und dureh den galvanischen Strom nur sehr wenig ,morphologiseh", das heisst in bleibender Weise sichtbar p o 1a r i s i r t werden, reagirt die e m b r y o n a I e Lebenssubstanz der Wirbelthiere sehr leicht und sehr kriiftig dureh bleibende Veriinderungen auf diese Einwirkungen und verhi~lt sich dadurch ahnlich wie die Lebenssub- stanz der Protisten. 1) Ueber die morphologische Polarisation van Eiern und Embryonen dureh den electrischen Strom etc., Sitzungsber. d. Acad. d. Wiss. zu Wien, math.-nat. Classe, Bd. 101. Abth. III. Seite 27--228. 189l. In meinen ,,Ge- sammelten Abhandlungen iiber Entwickchmgsmcchanik" Bd. II. Seite 543--763.

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Page 1: Ueber die polare Erregung der lebendigen Substanz durch den electrischen Strom

542 W i l h e l m R o u x :

U e b e r d i e p o l a r e E r r e g u n g d e r l e b e n d i g e n S u b s t a n z

d u t c h d e n e l e c t r i s c h e n S t r o m .

Yon

W i l h e l m Ronx~ Halle a. d. S.

In Band 62 dieses Archivs Seite 417 bcriehtet M. V e r w o r n tiber racine bezUgliehen Versuche 1) in einer Wcise, wclche den Leser glauben macht, dass dieselben im Grunde nichts den Phys i o- l o g e n Interessirendes enthalten. Da dersclbe Autor auch in scinem Buehe tiber allgemeine Physiologi c dieser Arbeit night ge- denkt, obschon sie manehes Neue, seine eigenen Untersuchungen Ueberholende und neue Gesichtspunkte erSffnende bringt, so nehme ich Veranlassung, direct den Leserkreis dieses Archivs auf dieselbe aufmerksam zu maehen, indem ich einige Hauptergeb- nisse hier reprodueire, nachdem ein grSsseres Autorreferat im biologischen Centralblatt (1895) diese Wirkung nicht gehabt hat. Aueh L. H e r m a n n hat in seinem Jahresberiehte ftir Physio- logie (1891) nur den Titel der Abhandlung mitgetheilt.

1) Wi~hrend die Gewebe resp. Organe der e r w a e h s e n e n Wi r b e 1 t h i e r e (yon dem Epithel der Gallenblase abgesehen) dureh den Wechselstrom nicht und dureh den galvanischen Strom nur sehr wenig , m o r p h o l o g i s e h " , das heisst in b l e i b e n d e r Weise sichtbar p o 1 a r i s i r t werden, reagirt die e m b r y o n a I e L e b e n s s u b s t a n z d e r W i r b e l t h i e r e sehr leicht und sehr kriiftig dureh bleibende Veriinderungen auf diese Einwirkungen und verhi~l t s i c h dadurch ahnlich w i e d i e L e b e n s s u b - s t a n z d e r P r o t i s t e n .

1) Ueber die morphologische Polarisation van Eiern und Embryonen

dureh den electrischen Strom etc., Sitzungsber. d. Acad. d. Wiss. zu Wien, math.-nat. Classe, Bd. 101. Abth. III. Seite 27--228. 189l. In meinen ,,Ge-

sammelten Abhandlungen iiber Entwickchmgsmcchanik" Bd. II. Seite 543--763.

Page 2: Ueber die polare Erregung der lebendigen Substanz durch den electrischen Strom

Ueber d. polare Erregung d. lebendigen Substanz dureh d. eleetr. Strom. 543

2) Die R e a k t i o n e n b e s t e h e n haupts~ichlich: erstens in

t y p i s c h zum Strom gerichteten und entsprechend an der Zelle

localisirten P i g m e n t w a n d e r u n g e n (s. ges. Abhandl. Bd. I I z. B. Seite 585, 611 u. f.), zweitens in starker, cventuell bis zur

Zerstiirung gehender C o n t r a c t i o n an den 1)olseiten, besonders

stark an der G r e n z e der veriinderten ,Polfelder" gegen den

nicht oder in anderer Weise veriinderten electrischen ,Aequator" der Zellen, und drittens im D u r c h t r i t t y o n D o t t e r nach aussen d u t c h d i e Z e l l r i n d e (s. loeo cir. S. 613), wodurch eine weitere Verfarbung hervorgebracht wird.

M. V e r w o r n berichtet dagegen fiber diese Ergebnisse: ,,Es handelt sich bei den von R o u x beobaehteten Stromwirkungen im Wesentlichen um Farbenver~tnderangen und Farbenbildungen an

den betreffenden Objekten, die auf e h e m i s e h e n V e r a n d e - r u n g e n ihrer lebendigen Substanz beruhen, deren physiologische

Deutung uns vorliiufig verborgen bleibt." Dass typisch localisirte

Pig'mentwanderungen, Contractionen und Durchtritt von Dotter durch die Zelh'inde so einfaeh auf ,,ehemisehen Veriinderungen" beruhen, ist wohl nicht erwiesen 1).

3) Diese Ver~nderungen finden im Wechselstrom und im

Gleichstrome statt, letzteren Falles auf beiden Polseiten in ver- schiedener Intensit~t, Ausbreitung and Seh~rfe der Abg'renzung'.

4) Die Abgrenzung dieser Ver:,inderungen ist auf der Anoden- scitc, im Wechselstrom auf beiden Seiten eine so scharfe, dass die

, , G e s t a l t " des lebenden Objektes dabei in interessanter Weise zur Geltung kommt (wortiber ich allerding's etwas sehr ausftihrlich

gehandelt babe, da ks reich besonders reizte, diesen Einfiuss genauer

fcstzustellen). Dabei treten zugleich Wirkung'en yon S t r o m s c h a t t e n hervor, die zum Theil noch weiterer Aufklarung bedtirfen.

5) An k u g e l r u a d e n Objekten (Froscheiern) gewahrt die

scharfe und zwar in je einer ~iveaufi~ehe erfolgende Abgrenzung

der polaren Ver~inderungen die MSglichkeit, die N i v e a u c u r v e n

e i n c s g a n z e n e l e k t r o l y t i s c h e n F e l d e s in einigen Secunden

auf das SchSnste s i c h t b a r zu m a c h e n und so auch die Ver-

1) Ebenso bcrichtet M. Verworn wesentlich Unrichtiges, ju zum Theil geradezu das G ege nt hcil des Thats'Xchlichen in seinem Buche iiber allge- meine Physiologie beziiglich der yon mir ermittelten e n t w i c k e 1 u n g s - m e c h a n i s c h e n Thatsachen.

Page 3: Ueber die polare Erregung der lebendigen Substanz durch den electrischen Strom

544 W i 1 h e 1 m R o u x : Ueber d. polare Erregung d. lebend. Substanz etc.

laufsriehtungen der StromfiidGn gegen einen ,Intraelektrolyten" zu ermitteln.

6) Das fur den PhysiGlogen interessanteste Ergebnissist wohl folgendes: An dem in wenige oder v i e l e Z e l l e n g e t h e i l t e n Ei ( M G r u l a oder B l a s t u l a ) r e a g i r t , , j e d e " e i n z e l n e Ze l l e far s i ch mit Bildung yon ver~inderten Polfeldern (Speeial- polarisation), s o f G r n d a s O b j e k t l e b G a s f r i s c h ist . War das Objekt dagegen dutch starke Abktihlung oder geringe (noch niCht zum Tode ftihrende) V e r g i f t u n g in s e i n e r V i t a l i t ~ t s t a r k g e s c h w l i e h t , so r e a g i r t de r g a n z e C o m p l e x yon Z e l l e n nur als ,,Ganzes'!, a lso WiG ein n o e h n i g h t in ZellGn z e r l e g t e s E i , mit zwGi in sich einheitlichen grossen verlinderten Polfedern, welche dureh einen, eventuell aus sehr vielen Zellen bestehenden, n i e h t siehtbar v e r a n d G r t e n Aequator getrennt sind (G e n G r a 1 p o 1 a r i s a t i o n des getheilten Eies). Zwisehen beiden extremen F~llen kommen nat[irlich bei geeigneter Versuchsanordnung alle denkbaren Uebergangsstufen, vom ersteren zum letzteren Falle, eventuell nacheinander an demselben Ob- jekte, vor.

7) Aueh die s i c h t b a r e i n h e r e P o l a r i s a t i o n durch- str(imter Embryonen an den Grenzfl:,tchen mancher Organe, sowie dig in de r S t r o m r i e h t u n g e r f o l g e n d e n W u l s t b i l d u n g c n des GGhi rns , welehe wohl auf einer in den Richtungen der Niveaufl~iehen stattfindenden Quellung beruhen, dtirften Beachtung verdiGnen.

Ich hoffe, dass sich doeh noch einige Physiologen finden werden, die diesen und den weiteren, bier nieht erwiihnten That- sachGn einiges Interesse abzugewinnen vermiigen.