ulrich oevermann struktur von deutungsmuster 1973

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Ulrich Oevermann 25. Januar 1973  / sn Zur Analyse der Struktur von sozialen Deutungsmustern 1. Ziel der Arbeit In der geplanten Arbeit soll das für die sozialwissenschaftliche Analyse theoretisch-allgemeine Problem der Struktur von Deutungsmustern behandelt und — darin eingebettet — die spezifische Frage untersucht werden, welche (nur unvollständigen und dann verzerrt explizierten) Interpretationen sozialer Sachverhalte als konstitutiv hinter den faktischen schulischen Lernzielen und der darin sich manifestierenden Selektion von Wissen liegen. Die Arbeit wird sich in drei Abschnitte gliedern. Im ersten Abschnitt wird ein theoretischer und methodischer Zugang für die Analyse sozialer Deutungsmuster in kritischer Gegenüberstellung zur Praxis der gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Forschung gesucht. Dabei soll speziell der vor allem in der kulturanthropologischen Forschung entwickelte strukturalistische Ansatz auf seine Aussagekraft für die Analyse der Struktur von Deutungsmustern geprüft werden. Die im ersten Abschnitt entwickelten theoretischen und methodischen Erkenntnismittel sollen dann im zweiten Abschnitt auf die Analyse von Lehrmaterialien und Lernzielkatalogen im Sozialkundeunterricht angewandt werden. Im dritten Abschnitt schließlich soll aufgrund der bei dieser Analyse gewonnenen Erfahrungen versucht werden, paradigmatisch ein Modell für die Analyse von Deutungsmustern aufzustellen.

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Ulrich Oevermann 25. Januar 1973  /sn

Zur Analyse der Struktur von sozialen Deutungsmustern

1. Ziel der Arbeit

In der geplanten Arbeit soll das für diesozialwissenschaftliche Analyse theoretisch­allgemeineProblem der Struktur von Deutungsmustern behandelt und —darin eingebettet — die spezifische Frage untersuchtwerden, welche (nur unvollständigen und dann verzerrtexplizierten) Interpretationen sozialer Sachverhalte alskonstitutiv hinter den faktischen schulischen Lernzielenund der darin sich manifestierenden Selektion von Wissenliegen. Die Arbeit wird sich in drei Abschnitte gliedern.Im ersten Abschnitt wird ein theoretischer undmethodischer Zugang für die Analyse sozialerDeutungsmuster in kritischer Gegenüberstellung zur Praxisder gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Forschunggesucht. Dabei soll speziell der vor allem in derkulturanthropologischen Forschung entwickeltestrukturalistische Ansatz auf seine Aussagekraft für dieAnalyse der Struktur von Deutungsmustern geprüft werden.Die im ersten Abschnitt entwickelten theoretischen undmethodischen Erkenntnismittel sollen dann im zweitenAbschnitt auf die Analyse von Lehrmaterialien undLernzielkatalogen im Sozialkundeunterricht angewandtwerden. Im dritten Abschnitt schließlich soll aufgrundder bei dieser Analyse gewonnenen Erfahrungen versuchtwerden, paradigmatisch ein Modell für die Analyse vonDeutungsmustern aufzustellen.

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2. Zur Problemstellung der Arbeit

2.1. Die Struktur sozialer Deutungsmuster

Neben den Bemühungen um einenverhaltenswissenschaftlichen Reduktionismus hat diejüngere Diskussion der theoretischen Soziologie die dazuim Gegensatz stehende Frage nach der Konstitution vonSinnzusammenhängen wieder in den Vordergrund gerückt unddie Kategorie des Sinns zu einer Grundkategorie derSoziologie erhoben (vgl. Habermas/Luhmann;Berger/Luckmann). Die Analyse der Subjektivität vonInterpretationen der Umwelt und damit die Rekonstruktionmentaler Strukturen steht (am Anfang und) im Zentrumeiner jeden Theorie menschlichen Handelns. Unter denWissenschaften vom menschlichen Handeln stellt sichspeziell der Soziologie eine solche Analyse als dasProblem der Rekonstruktion von Sinnzusammenhängen undInterpretationsmustern, die dem konkretenHandlungssubjekt als objektive Strukturengegenübertreten. Entsprechend kommen die soziologischeTheorienbildung und die soziologische Forschung umKonzepte wie die sozialer Normen, sozialerErwartungssysteme, von Wertorientierungen, kulturellenTraditionen und sozialen Deutungsmustern selbst dannnicht herum, wenn sie sich explizit einem behavioristischorientierten verhaltenswissenschaftlichen Programmverpflichtet fühlen.

In der soziologischen Forschungspraxis werden die mitsolchen Konzepten bezeichneten Sachverhalte in der Regelauf der Ebene ihrer individuell—konkreten Repräsentanzals Einstellungen oder Erwartungen mit Hilfe vonBefragungsmethoden erfaßt, aber kaum als sozialeTatsachen sui generis analysiert. Die genanntentheoretischen Konzepte dienen hier faktisch als formaleSammelkategorien für die "common sense" Interpretationendes Forschers. Soziologische Erklärungen nehmen dannhäufig die Gestalt trivialer Aussagen etwa der Art an,daß Handlungssubjekte einer bestimmten sozialen Kategoriedas Verhalten y zeigen (eine bestimmte Partei wählen,ihre Kinder nicht auf weiterführende Schulen schicken,etc.), weil sie die Erwartungen oder Wertorientierung xhaben, wobei der Forscher diese Wertorientierung,

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gegründet auf sein eigenes historisch und kulturellgebundenes vorgängiges Wesen, aus den Antworten aufausgewählte Fragen induziert, ohne daß zuvor dieKonstruktion dieser Fragen aus einer Sinnanalyse derStruktur von Wertorientierungen abgeleitet worden wäre.

Diese verbreitete Forschungspraxis vernachlässigt vorallem zwei systematische Fragen:

1. Welches sind die Regelhaftigkeiten der “innerenLogik” von Erwartungssystemen eines bestimmten Typus?Welche Kriterien der konsistenten Interpretation undDeutung unterliegen solchen Erwartungssystemen, wobeidavon auszugehen wäre, daß diese Kriterien der Konsistenzden Befragten selbst zumindestens in der Form präsentsind, daß sie ihnen praktisch folgen, auch wenn sie sienicht abstrakt explizieren können.

2. Auf welche strukturbedingten Handlungsproblemeantworten diese Erwartungen und Wertorientierungen?

Diese beiden Fragen korrespondieren mit zweiGrundannahmen einer hier angestrebten Theorie sozialerDeutungsmuster:

1. Unter Deutungsmustern sollen nicht isolierteMeinungen oder Einstellungen zu einem partikularenHandlungsobjekt, sondern in sich nach allgemeinenKonsistenzregeln strukturierteArgumentationszusammenhänge verstanden werden. SozialeDeutungsmuster haben also ihre je eigene “Logik”, ihre jeeigenen Kriterien der “Vernünftigkeit” und “Gültigkeit”,denen ein systematisches Urteil über “Abweichung”korreliert. Insofern sind sie durchaus wissenschaftlichenHypothesensystemen als Argumentationszusammenhängen mitspezifischen Standards der Gültigkeit vergleichbar.

2. Soziale Deutungsmuster sind funktional immer aufeine Systematik von objektiven Handlungsproblemenbezogen, die deutungsbedürftig sind.

In der konkreten empirischen Analyse lassen sich diesebeiden Gesichtspunkte häufig nur schwer trennen, weil siezirkulär

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miteinander verknüpft sind. Natürlich treten objektiveHandlungsprobleme immer schon als kulturellinterpretierte, also als in Begriffen von Deutungsmusterninterpretierte Probleme, in das Handlungsfeld desSubjekts. Insofern stehen Deutungsmuster immer am Anfangeiner soziologischen Kausalanalyse. Andererseits lassensich Deutungsmuster ohne die Rückbeziehung auf objektiveProbleme sozialen Handelns, auf die sie antworten, nichterklären; insofern stehen die objektivenHandlungsprobleme immer am Anfang. Diese Zirkularitätläßt sich nur in einer Art Spiralmodell der historisch—genetischen Analyse auflösen, in dem willkürlich zu einembestimmten historischen Zeitpunkt objektiveHandlungsprobleme als Anfangsbedingungen für die sozialeKonstruktion von Deutungsmustern angegeben werden, unddann der Prozeß der Verselbständigung dieserDeutungsmuster analysiert wird. Erst dann lassen sich dieEinflüsse der so verselbständigten Deutungsmuster aufVeränderungen der objektiven Handlungsproblemeuntersuchen, wobei davon auszugehen ist, daß neueHandlungsprobleme gerade durch die Veränderung dersozialen Deutung der Umweltbedingungen erzeugt werden.

Bevor diese Überlegungen weiter verfolgt werden, sollkurz ausgeführt werden, was hier unter sozialenDeutungsmustern verstanden wird. Dieser Begriff beziehtsich zunächst einmal auf das "ensemble" von sozialkommunizierbaren Interpretationen der physikalischen undsozialen Umwelt. Mit Habermas gesprochen umfassen sie diedas instrumentelle und kommunikative Handeln steuerndenRegeln. Da soziale Normen und Wertorientierungen immerauch eine im Prinzip als begründet oder vernünftiggeltende Deutung von physikalischen und sozialenTatsachen implizieren und gerade ihre Geltungsgründe ausdieser Deutung beziehen, sind sie natürlich auch Elementevon sozialen Deutungsmustern. Jedoch werden sie hierunter dem Gesichtspunkt der in ihnen enthaltenenDeutungen akzentuiert.

Das hier gemeinte Konzept sozialer Deutungsmuster läßtsich in Verbindung mit dem Begriff regelgeleitetenHandelns näher erläutern. Eine "Kausalerklärung"intentionalen Handelns kann sich nicht, wie das imPrinzip jedes behavioristische Programm intendiert, aufdie kausale Verknüpfung objektiv beobachtbarer

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Tatsachen reduzieren, sondern muß immer das vermittelndeElement der Handlungsregel oder der Begründung, der dasHandlungssubjekt praktisch folgt, einschließen. Insofernmuß sie empirisch über die Beobachtung äußerer Tatsachenhinausgehen und das durch sprachliche Kommunikationoperierende Erfragen der Handlungsregel beim Subjekt insZentrum der empirischen Analyse rücken. Wenn, um imAbelschen Beispiel zu bleiben, ein Handlungssubjektbeobachtbar Holzscheite aufs Feuer legt, dann liegt dieErklärung dieses Handelns darin, daß ich annehme, dasHandlungssubjekt weiß von der temperaturveränderndenWirkung des Feuers. Nicht die physikalischenGesetzmäßigkeiten, sondern die im Bewußtsein desHandlungssubjekts vollzogene Transformation des Wissensum die Zusammenhänge in Regeln instrumentellen Handelnsliefert die handlungstheoretische Erklärung. (DasSpezialproblem unbewußter Motivierungen lasse ich hierzunächst außer Acht.)

Diese Annahme des regelgeleiteten Handelns gilt analogauch für das kommunikative Handeln. Nur bemißt sich hierdie Geltung nicht instrumentell am technischenHandlungserfolg, sondern an der Legitimitätinterpersonaler Beziehungen.

Natürlich ist soziales Handeln nicht nur regelgeleitet.Unbewußte Motivierungen, eingeschliffene routinisierteGewohnheiten gehören ebenso zu den Determinanten desHandelns.

Exkurs:Zur Vermeidung von Mißverständnissen muß an dieser Stellewenigstens vorläufig etwas zur Abgrenzung desregelgeleiteten Handelns vom trieb— oder motivgesteuertenHandeln gesagt werden: Natürlich ist soziales Handelnnicht nur regelgeleitet. Unbewußte Motivierungen,eingeschliffene routinisierte Gewohnheiten zählennatürlich zu den Determinanten des Handelns. Abersoziales Handeln ist konkret nie ausschließlichtriebgesteuertes Handeln — nicht einmal der Traum — nochausschließlich regelgesteuertes Handeln. Ingattungsgeschichtlicher Perspektive ist dieRegelsteuerung im Gegensatz zur Triebsteuerung fürsoziales Handeln konstitutiv. Diesem Umstand wird

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beispielsweise die

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Freudsche Theorie dadurch gerecht, daß sie scharfzwischen einer biologisch verwurzelten Triebenergie undden Triebrepräsentanzen innerhalb des Unbewußtenscheidet. Letztere sind als gebundene Energie immerDerivate sinnhaft, d.h. durch regelgeleitetes Handelnvermittelter Erfahrungen und dem Bewußtsein entzogen,weil Handlungsregel und Triebbesetzung in bezug auf dieden gebundenen Triebrepräsentanzen zugrundeliegendenInhalte in für das Handlungssubjekt unauflöslichemKonflikt standen. Somit wird deutlich, daß die Konzeptionunbewußter Motive erst auf der Folie regelgeleitetenHandelns ihren Sinn erhält.

Diese Konzeption regelgeleiteten Handelns beinhalteteinen den sozialwissenschaftlichen gegenüber demnaturwissenschaftlichen Objektbereich kennzeichnendenRegelbegriff. Darunter wird nicht bloß eine vomwissenschaftlichen Beobachter vorgenommene gesetzmäßigeAbstraktion empirischer Regelmäßigkeiten verstanden,sondern eine Maxime, der das Handlungssubjekt praktischfolgt. Kriterium für die Existenz einer solchen Regel istjedoch nicht, daß das Handlungssubjekt diese Regelexplizit angeben kann. Ein solches Kriterium wäre zuscharf. Entscheidend ist vielmehr, daß dasHandlungssubjekt aufgrund der das Handeln steuerndenRegel ein systematisches Urteil über die Angemessenheiteines konkreten Handelns abgeben kann. Die soziologischeRede von abweichendem Handeln setzt — strenggenommen —diesen Regelbegriff voraus, denn die Erfahrung derAbweichung ist an die gleichzeitige Präsenz einerHandlungsregel, von der abgewichen wird, gebunden. DieserStandpunkt unterscheidet mich scharf von dem desBehaviorismus; in dem es, hält man sich konsequent anseine Voraussetzungen, “abweichendes Verhalten” nichtgeben kann, da es auf dieselbe Form des Stimulus­Response—Verknüpfungslernen zurückgeführt werden muß, das auchfür die Genese einer “Verhaltensgewohnheit” in Anspruchgenommen werden muß, von der vermeintlich “abgewichen”wird. Die Gleichzeitigkeit von zwei widerstrebendenVerhaltensgewohnheiten, verbunden mit der subjektivenErfahrung der Abweichung im Handeln, führt jedoch ineinen Widerspruch.

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Ein so verstandener Regelbegriff ist per definitionem einsoziologischer und kein psychologischer Begriff sofernman sich an die klassische Unterscheidung dieser beidenDisziplinen hält. “Im Sinn der Regel ist impliziert, daßdas, was A seiner Orientierung zugrunde legt, sich gleichbleibt. Dann muß aber mindestens ein weiteres Subjekt Büberprüfen können, ob A im gegebenen Fall derprätendierten Regel auch wirklich folgt. Wittgenstein hatdiesen Umstand so formuliert, daß wir niemals einer Regelprivatim folgen können. A muß in der Lage sein, von derRegel abzuweichen und systematische Fehler zu machen;zugleich muß B die Abweichungen als systematische Fehlererkennen und kritisieren können. ... Ohne dieseMöglichkeit der gegenseitigen Kritik und einer zuEinverständnis führenden Belehrung, ohne die Möglichkeiteiner Verständigung über die Regel, an der beideSubjekte, indem sie ihr folgen, ihr Verhaltenorientieren, könnte von ,derselben‘ Regel gar nicht dieRede sein, ja es gäbe, vorausgesetzt es träten keineweiteren Subjekte hinzu, überhaupt keine Regel. Denn eineRegel muß intersubjektiv gelten.” (Habermas, in:Habermas/Luhmann, S. 189 f.)

Das soziale Handeln steuernde Regeln sind also, wie schonMead zentral thematisiert hat, immer intersubjektivkommunizierbar. Mead hat gleichzeitig gezeigt, daßsoziales Handeln und soziales Selbst ohne dieseVoraussetzung der intersubjektiven Kommunizierbarkeit vonhandlungssteuernden Regeln (etwa im Meadschen Beispieldes "game") überhaupt nicht gedacht werden können.

In die sozialwissenschaftliche Diskussion ist in jüngsterZeit dieser Regelbegriff über den eigentümlichen Umwegder Rezeption theoretischer Entwicklungen in derLinguistik (Chomsky, Searle), der Entwicklungspsychologie(Piaget, Miller, Galanter, Pribram) und derSprachphilosophie (Austin, Strawson, Winch) ins Blickfeldgeraten. Vor allem Habermas hat für die Soziologie dieseEntwicklungen fruchtbar gemacht. SinngemäßeEntsprechungen finden sich schon vorher inwissenssoziologischen Analysen, etwa in Verbindung mitdem Begriff der "Relevanzsysteme" oder

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der “Realitätskonstruktion” einer der Phänomenologieverpflichteten Soziologie (Berger/Luckmann). Mit dem indiesen Nachbargebieten der Soziologie diskutiertenRegelbegriff sind die folgenden strategisch wichtigenBestimmungen verknüpft:

1. Regeln (beispielsweise grammatische oder logische)haben einen generativen Charakter. Als allgemeinePrinzipien erzeugen sie Verhalten, das demHandlungssubjekt zuvor nicht bekannt war. Damit eröffnetsich die Chance, das Verhalten von Individuen auch unterganz neuen Handlungsbedingungen prognostizieren zukönnen.

2. Generative Regeln konstituieren den intersubjektivverstehbaren Sinn einer Handlung (, auf den dasHandlungssubjekt verpflichtet ist). Die Erklärungsinnhaften Handelns kann von daher nicht eine kausalanalytische im naturwissenschaftlichen Sinne sein,sondern deckt sich mit der Rekonstruktion derhandlungsleitenden Regel, der sich das Subjektnachweisbar verpflichtet fühlt. Unter diesemGesichtspunkt nimmt der hier gemeinte Regelbegriffpräziser auf, was schon in der Durkheimschen Soziologiemit den "nicht­kontraktuellen" Elementen des Handelns ­im Sinne von Handeln konstituierenden Regeln — gemeintwar.

Ohne hier auf die kompetenztheoretischen Implikationendes Begriffs der generativen Regel in der Linguistik unddie damit verbundenen Probleme einzugehen, soll in dem indieser Arbeit zu entwickelnden Ansatz zur Analysesozialer Deutungsmuster dieser Regelbegriff fruchtbargemacht werden.

Zunächst ist festzuhalten, daß in der ChomskyschenLinguistik ­ implizit — sich der Begriff der generativengrammatischen Regeln auf einen "Formalismus" bezieht, demdas Handlungssubjekt zwar praktisch folgt, den es aberdurch Reflexion und Einsicht nicht verändern kann,während die Anwendung dieser Konzeption aufHandlungsmaximen den Umstand in Rechnung stellen muß, daßsoziale Normen Reflexion sowohl ermöglichen als auchdurch Reflexion verändert werden können.

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Zentral für den hier zu behandelnden Ansatz ist demnachdie These, daß soziale Deutungsmuster alsWeltinterpretationen mit generativem Status gedachtwerden, die prinzipiell entwicklungsoffen sind. ImUnterschied zu den Regelsystemen der Linguistik und denlogischen Strukturen auf den Stufen der Ontogenese derkognitiven Entwicklung handelt es sich hier jedoch nichtum erkenntnisanthropologisch universelle Strukturen,sondern um historisch wandelbare, je “unfertige" Systeme.Für die soziologische Analyse ist entscheidend, über die"common sense" Abbildung dieser Interpretationsmusterhinauszugelangen und die “innere Logik", d.h. diekonkrete Einstellungen und Erwartungen erzeugenden, diehistorische Identität von gleichsam epochalenDeutungsmustern ausmachenden Interpretationen zurekonstruieren. Dabei ist davon auszugehen, daß nicht nurdie innerhalb des Rahmens solcher generativenInterpretationen oder "nuclei" von Deutungsmusternhervorgebrachten konkreten Deutungen veränderbar undoffen sind, sondern daß die für eine Epoche oder einesoziale Kategorie von Menschen generativenInterpretationen selbst als “letzte Begründungen" fürHandeln einer historischen Entwicklung unterworfen sind,für die im Unterschied etwa zur Ontogenese der kognitivenEntwicklung ein letzter Bezugspunkt in Gestalt einesGeschichte stillstellenden aufgeklärten "universe ofdiscourse" nicht angegeben werden kann.

Exkurs zum Begriff der Rationalität:

Dem Anspruch nach müßte eine historisch—genetischeAnalyse sozialer Deutungsmuster letztlich die historischeEntwicklung von Standards der “Vernünftigkeit" vonWeltinterpretationen rekonstruieren und damit an Weberskulturgeschichtliche Analyse der zunehmendenRationalisierung anschließen. Eine solche Untersuchungmüßte auf das eigentümliche zirkuläre Verhältnis vonWissenschaft und Alltagsdeutung stoßen:

Im folgenden sollen einige Implikationen dieses Ansatzeszur Analyse sozialer Deutungsmuster in vorläufiger Weiseherausgearbeitet werden. Die genauere Behandlung wäreeine der Hauptaufgaben des ersten Teils der geplantenArbeit.

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1. Zum Verhältnis von individuellen Einstellungen undsozial validierten Deutungsmustern

Soziale Deutungsmuster lassen sich nach der Reichweiteihrer Geltung sowohl historisch—zeitlich als auchsynchronisch im Hinblick auf die sozialen Kategorien vonMenschen, die sie teilen, unterscheiden. Wahrscheinlichwird man davon ausgehen können, daß die Elemente vonDeutungsmustern mit großer Reichweite dem handelndenkonkreten Subjekt am selbstverständlichsten und damit amwenigsten explizierbar sind. Individuelle Einstellungen,Erwartungen und Glaubensvorstellungen stellenKonkretionen der sozialen Deutungsmuster dar. SozialeDeutungsmuster sind konstitutiv für die individuellenEinstellungen, nicht umgekehrt individuelle Einstellungenfür soziale Deutungsmuster. Derverhaltenswissenschaftliche Reduktionismus schließtdaraus, daß er mit den seinen methodischen Standardsgenügenden Meßoperationen immer nur die individuelleErscheinungsweise von sozialen Deutungsmustern erfaßt,fälschlicherweise deren psychologische Reduzierbarkeit.

Die systematische Gleichförmigkeit von individuellenEinstellungen läßt sich auf der Ebene der Psychologienicht mehr erklären. Eine psychologische Erklärung müßtenämlich von der Grundannahme einer Eins—zu—Eins—Korrespondenz von Umweltbedingungen und Einstellungenausgehen. Handlungssubjekte in ähnlichenUmweltbedingungen bilden dann ähnliche Einstellungenheraus. Eine solche Erklärung vernachlässigt die"Intervention" intersubjektiv gültiger Regeln der Deutungvon Sachverhalten im Prozeß der Einstellungsgenese. DieseRegeln sind aber, wie schon nachgewiesen, emergenteEigenschaften von Interaktionssystemen, nicht vonPersönlichkeitssystemen. Mit der Einführung diesessoziologischen Regelbegriffs läßt sich dann auchplausibel machen, warum dieselben Einstellungsmustergegenüber einem Variationsspielraum von objektivistischbeschriebenen Handlungsbedingungen aufrechterhaltenwerden und somit Eins­zu­Eins—Korrespondenz zwischenEinstellungen und Umweltbedingungen nicht vorliegen muß.Innerhalb der nicht—reduktionistischen Soziologie

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sind nämlich Bedingungen des Handelns immer schon inBegriffen der sozialen Deutungsmuster erfaßte und damitselegierte Umwelt. In der Forschungspraxis geht auch diePsychologie und die Sozialpsychologie von dieser Annahmeaus, nur können diese beiden Disziplinen, sofern sie aneinem behavioristischen Ansatz orientiert sind, die“Intervention” der Interpretationsregel zwischen denobjektivistisch beschreibbaren Parameter von Stimulus undResponse eben nicht mehr erklären.

Auch die soziologische Analyse kann Deutungsmusterweitgehend nur empirisch auf der Ebene individuellerEinstellungen erfassen. Sie behandelt sie jedoch alsDerivate von Deutungsmustern, die als "faits sociaux" denHandlungssubjekten objektiv gegenübertreten. Diese “faitssociaux” werden empirisch zwar aus der Gleichförmigkeitindividuell­konkreter Meinungen und Einstellungenerschlossen, aber als erschlossene Tatsachen erklären siedann diese Einstellungen.

2. Zur "inneren Logik" von sozialen Deutungsmustern

Im Prinzip unterscheiden sich in dem hier gewähltenAnsatz wissenschaftliche Interpretationen nicht von derStruktur sozialer Deutungsmuster. Gegenüber denalltagsrelevanten sozialen Deutungsmustern zeichnen sichwissenschaftliche Interpretationen durch Formalisierung,allgemeine Explikation und institutionelle Verankerungder Standards ihrer Geltung, nämlich der Forschungslogikaus. So wie in der Sprachanalytik die Begründung derLogik letztlich auf die Umgangssprache verwiesen wird, inder Piagetschen Entwicklungspsychologie die Beherrschungder Regeln logischen Schließens letztlich sich aus demhandelnden Umgang mit Objekten in der senso­motorischenPhase entwickelt und in der Peirceschen pragmatischenWissenschaftstheorie die Forschungslogik einePurifizierung von Regeln vernünftigen Handelns in derInterpretationsgemeinschaft der Forscher darstellt, sowird hier ebenfalls eine Kontinuität zwischen sozialenDeutungsmustern, die kraft Autorität der kulturellenÜberlieferung gelten, und den in Begriffen derForschungslogik Geltung beanspruchendenwissenschaftlichen Interpretationen angenommen. AlsHauptaufgabe

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einer Soziologie der sozialen Deutungsmuster wird auf demHintergrund dieser Annahme das rekonstruierende"Ausbuchstabieren" der eben nur teilweise expliziertenStandards der Geltung sozialer Deutungen, der “innerenLogik” sozialer Deutungsmuster angesehen. Diese Analysesozialer Deutungsmuster hat — auch auf der Ebeneindividueller Einstellungen — nicht nur die einzelnenDeutungselemente und Kategorisierungen zu sammeln,sondern vor allem ihren inneren Zusammenhangherzustellen, sie muß also ausfindig machen, welcheKonsistenzregeln jeweils gelten, nach denen sichKompatibilität und Inkompatibilität der Elemente vonDeutungsmustern jeweils bemessen. Nur unter diesemGesichtspunkt der Annahme von Konsistenzregeln ist essinnvoll, von einer Struktur sozialer Deutungsmuster zusprechen.

3. Das Verhältnis von sozialen Deutungsmustern undobjektiven sozialen Strukturbedingungen

Der zu einem historisch—genetischen Spiralmodellaufzulösende zirkuläre Zusammenhang von sozialenDeutungsmustern und objektivem sozialem Strukturkontextdes Handelns wurde schon angedeutet. Dieser Zusammenhangläßt sich genauer fassen, wenn man von einer “inneren,generativen Logik” sozialer Deutungsmuster ausgeht, inderen Rahmen sich Kompatibilitätsprobleme angeben lassen.Die historische Entwicklung von sozialen Deutungsmusternläßt sich fassen als eine Sukzession von Versuchen derLösung jeweils aktualisierter Kompatibilitätsprobleme.Jede Lösung von aktualisierten Kompatibilitätsproblemenschafft die Voraussetzungen für neueKompatibilitätsprobleme. Probleme der Kompatibilität vonElementen der Deutungsstruktur stellen sich grundsätzlichin den zwei folgenden Hinsichten:

1. Soziale Deutungsmuster sind intersubjektivkommunizierbare und verbindliche Antworten auf objektiveProbleme des Handelns. Die Menge der von einemDeutungsmuster umfaßten und implizierten einzelnenInterpretationen ist — auch nach den Deutungsmusternimmanenten Kriterien der Geltung — nie voll kompatibel.Wäre

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das irgendwann einmal der Fall gewesen, hätte es sozialenWandel nicht geben können. Nicht einmal wissenschaftlicheInterpretationen sind, vielleicht mit wenigen Ausnahmeninnerhalb der Naturwissenschaften, ihren eigenenStandards gemäß logisch widerspruchsfrei. In bezug aufdiese den Deutungsmustern immanenten Inkompatibilitätenmuß man wahrscheinlich zwischen latenten und manifestenunterscheiden. Nicht alle faktisch bestehendenInkompatibilitäten sind dem Bewußtsein in einerbestimmten historischen Situation präsent, manifest sindsie wahrscheinlich nur dann, wenn es aus irgendwelchenGründen zu einer gleichzeitigen Thematisierungunvereinbarer Elemente einer Deutungsstruktur kommt.Weiterhin ist zu unterscheiden zwischen Unvereinbarkeitenvon Inhalten eines Deutungsmusters nach Maßgabe derjeweils immanenten Standards der Geltung undUnvereinbarkeiten auf der Ebene dieser Standards selbst.Eine Eigentümlichkeit der historischen Entwicklung vonDeutungsmustern scheint darin zu bestehen, daß mit derLösung von Inkompatibilitäten auf der Ebene der Standardsder Geltung und Begründung von Meinungen eineAusdifferenzierung und Präzisierung dieser Standardsverbunden ist, auf deren Hintergrund dann neueInkonsistenzen auf der Ebene der Inhalte vonDeutungsmustern sichtbar werden, deren Lösung wiederumzur Problematisierung der Standards der Geltung führenkann usf.. Auf dem Hintergrund dieser Wechselbeziehungenist es sinnvoll, daß jede Lösung von Inkompatibilitätenneue Unvereinbarkeitsprobleme stellt, genau wie innerhalbder Wissenschaft Erkenntnisfortschritt in Gestalt derPräzisierung von Hypothesen und des Ausscheidens falscherHypothesen jeweils zuvor als unproblematisch erachteteTatsachen in Frage stellt.

Konkret können folgende Ursachen zu internenInkompatibilitäts­Problemen von Deutungsmustern führen:

a) Latente Unvereinbarkeiten werden manifest, weilunvereinbare Deutungselemente gleichzeitig für dieStrukturierung des Handelns aktualisiert werden.

b)Zuvor isolierte Deutungsmuster, die verschiedenenSektoren gesellschaftlichen Handelns zuzurechnen sind,werden miteinander verschmolzen.

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c)Implikationen zentraler Interpretationen einesDeutungsmusters werden klarer herausgearbeitet,beispielsweise zur Lösung von Problemen der Legitimierungvon Herrschaft.

Innere Kompatibilitäten werden somit indirekt alstreibende Kraft sozialer Veränderungen angesehen. InWebers Analyse der protestantischen Ethik beispielsweiseist die Säkularisierung der Bewährungsethik eine für einehistorisch­epochale Bewußtseinsstruktur konstitutiveLösung der Unvereinbarkeit zwischen der glaubensmäßigenLoyalität gegenüber der Prädestinationslehre und demdavon genährten, weil problematisierten Wunsch nachAuserwählt­Sein. Der gegenwärtig die Bildungsreform—Diskussion bestimmende Begriff der Chancengleichheit läßtsich als Versuch der Lösung von Unvereinbarkeiteninterpretieren, die aus der Gleichzeitigkeit der für diebürgerliche Gesellschaft konstitutiven Prinzipien derGleichheit und der Belohnung nach Leistung resultieren.

2. Probleme der Inkompatibilität von Elementen sozialerDeutungsmuster stellen sich vor allem in Hinblick auf dieRelation "Deutung — deutungsbedürftiges Phänomen". Dasgilt vor allem für die Interpretation sozialerSachverhalte. Veränderungen in der Sozialstruktur,beispielsweise "nicht­antezipierte Konsequenzen desHandelns” auf der Ebene der institutionellenRahmenbedingungen, stellen die Handlungssubjekte vordeutungsbedürftige Probleme: zu deren Deutung dieeingeschliffenen Interpretationsmuster nicht mehrausreichen. Es werden Lösungen erzwungen, die sich imRahmen der bis dahin geltenden Deutungsmuster nichtbegründen lassen. Wiederum läßt sich hier die These derKontinuität von tradierten Deutungsmustern bis zudurchrationalisierten wissenschaftlichen Interpretationenaufrechterhalten: Wie beispielsweise in der PeirceschenForschungslogik die "brute facts" des Handelns alsÜberraschungen angesichts eingeschliffener Überzeugungenper abduktivem Schluß über eine Uminterpretationallgemeiner Annahmen zu interpretierten Erfahrungentransformiert werden, so veranlaßt dieDeutungsbedürftigkeit sozialer Konflikte, der ebenfallseine Diskrepanz von tradierter Interpretation undunmittelbarem Handlungszwang

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zugrundeliegt, die Revision von Elementen desDeutungssystems. Solche erzwungenen Uminterpretationenstellen dann innerhalb der Logik von Deutungsmusternwiederum Konsistenzprobleme.

Die Struktur sozialer Deutungsmuster kann also in letzterKonsequenz ohne Einbeziehung der sozialenStrukturprobleme (und der daraus ableitbarenunmittelbaren Handlungsprobleme), auf die sie jeweilsantworten, nicht angemessen erfaßt werden. Die “innereLogik” sozialer Deutungsmuster liegt ja nicht explizitzutage, wie die Forschungslogik in den Wissenschaften,sondern läßt sich mit größerer Sicherheit erst inKenntnis des Zusammenhangs von Interpretation undInterpretiertem, d.h. in Kenntnis des objektivenKontextes der handlungsrelevanten Anwendung von sozialenDeutungen rekonstruieren. Sofern die Analyse der Struktursozialer Deutungsmuster immer auch Ideologiekritik seinkann, verfährt sie eben nicht nach dem Muster derrationalistischen oder neo­positivistischenIdeologiekritik, in der auf der Folie eineswissenschaftlich aufgeklärten und logisch purifiziertenWeltinterpretation lediglich die — mangelhafte — logischeStruktur von Aussagen aufgedeckt wird, sondernkonfrontiert die Inhalte von Deutungsmustern und darinimplizierte Handlungserwartungen ­ und ­maximen mit dentatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnissen, um danndie funktionale Ausrichtung solcher Diskrepanzen zuthematisieren.

4. Die Eigenständigkeit von sozialen Deutungsmustern

Gleichwohl unterstellt diese Analyse sozialerDeutungsmuster nicht — wie in vulgär­marxistischenUnterbau—Überbau Determinismen — eine einseitigeAbhängigkeit der sozialen Interpretationen von objektivenStrukturbedingungen in der Produktions­ undDistributionssphäre. Wie in dem angedeuteten historisch—genetischen Spiralmodell schon impliziert, gehe ich stattdessen von der relativen Eigenständigkeit tradierter undtradierbarer Deutungsmuster gegenüber den objektivenStrukturbedingungen aus, zu denen sie allerdings inInterdependenz stehen. Diese dem Spiralmodell inhärenteInterdependenz soll hier näher spezifiziert werden:

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Zentral ist, wie mehrfach ausgeführt, die

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Bestimmung, daß Deutungsmuster immer als Antworten aufstrukturelle Handlungsprobleme aufzufassen sind.Historisch weitreichende und einen gesellschaftlichenEntwicklungsstand wesentlich kennzeichnendeDeutungsmuster, wie beispielsweise die protestantischeEthik oder die Ideologie der Leistungsgesellschaft, sindwahrscheinlich immer in Perioden schnellen strukturellenund krisenhaften Wandels entstanden, in denen dievorausgehenden Weltinterpretationen für jedermann spürbarihre Relevanz und Deutungskraft verloren. Sind die altenDeutungsmuster in Krisenzeiten entscheidend modifiziertworden oder sind neue an ihre Stelle getreten, dannverselbständigen sie sich und lösen sich von ihremstrukturellen Ursprungskontext. Als solche eigenständigenkollektiven Bewußtseinsstrukturen steuern sie dieInterpretation neuer Strukturprobleme, verändern sichdabei wahrscheinlich allmählich, bis ihre zentraleKonzeption in neuerlichen Strukturkrisen wiederum inFrage gestellt werden. In diesem Zusammenhang erhaltenauch für die gegenwärtige Soziologie Epochen— undStilbegriffe der Geschichtswissenschaft durchaus ihreBedeutung.

Empirische Untersuchungen zur innerfamilialenRollenorganisation haben beispielsweise für diegegenwärtige Unterschichtfamilie eine nach wie vor weiteVerbreitung einer an traditionalistischenGeschlechtsrollendefinitionen orientierte rigideKompetenzverteilung zwischen den Ehepartnernnachgewiesen. Dabei ist immer wieder ohne Erfolg versuchtworden, dieses Rollenmuster aus den objektivenLebensbedingungen der gegenwärtigen typischenUnterschichtfamilie zu erklären. Wahrscheinlich würde manbei der Suche nach einer Erklärung besser so vorgehen,daß man zunächst historisch den strukturellenUrsprungskontext dieses Rollenmusters aufzuhellenversucht, von dem es sich dann möglicherweise gelöst hatund dann die gegenwärtigen Lebensbedingungen daraufhinbefragen, inwieweit sie deutungsbedürftige Problemestellen, die eine entscheidende Veränderung dertraditionalistischen Geschlechtsrollendefinitionerzwingen. Stellt man fest, daß diese Probleme mit dentraditionellen Deutungsmustern hinsichtlich derinnerfamilialen Kompetenzverteilung nicht unvereinbarinterpretiert werden können, reicht das im Verein mit der

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historisch—genetischen Rekonstruktion als Erklärung.

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In diesem Zusammenhang zeigt sich, daß für diesoziologische Analyse der Struktur sozialerDeutungsmuster die Identifikation der krisenhaftenReibungsflächen zwischen der “inneren Logik” derDeutungsmuster und den von den objektivenStrukturbedingungen gestellten Handlungsproblemenwesentlich ist. Es zeigt sich weiterhin, daß manversuchen muß, innerhalb der DeutungsmusterInterpretation nach ihrer strategischen Wichtigkeit fürdie innere Konsistenz des Deutungssystems zuunterscheiden. Die für ein Deutungsmuster zentralenAnnahmen werden wahrscheinlich gegenüber objektivenHandlungszwängen am widerstandsfähigsten sein.Dementsprechend werden sie für die in ihnensozialisierten Handlungssubjekte am ehesten als nichthinterfragbare Selbstverständlichkeiten gelten, denensich die Interpretation partikularer Konflikte undHandlungsprobleme beugen müssen. Erst wenn es gelingt,die generativen zentralen Interpretationen oder Annahmenvon Deutungssystemen herauszuarbeiten, wird man sichtbarmachen können, in welchem Maße sie aufgrund des von ihnenausgehenden Konvergenzdrucks mögliche sozialeVeränderungen vorstrukturieren und im Entwicklungstempohemmen, wie umgekehrt die Identifikation zentralerStrukturprobleme erst Aussagen über die zukünftigeEntwicklung von Deutungssystemen und daraus abzuleitendenVorurteilsstrukturen ermöglichen.

5. Die Vermittlung sozialer Deutungsmuster in derSozialisation und ihre Konkretion im aktuellenHandeln

Für den in dieser Arbeit zu entwickelnden Ansatz istkennzeichnend, daß die soziale Deutungsmusterkennzeichnenden zentralen Interpretationen, denen eingenerativer Status zugeschrieben wird, weder explizitnoch Element für Element gelernt werden müssen. Die ander behavioristischen Theorie des sozialen Lernensorientierte Einstellungsforschung geht zumindestensimplizit davon aus, daß die mit ihren Skalen empirischerfaßten Attribute gleichsam einzeln explizit gelerntwerden müssen. In dem hier vorgeschlagenen Ansatz stehtdagegen der zumindestens plausibel belegbare Sachverhaltim Vordergrund, demzufolge auf der individuellen Ebene

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komplexe Einstellungsmuster wesentlich auch durch vomIndividuum selbsttätig geleistetes “Ausbuchstabieren” vonImplikationen weniger zentraler “Schlüsselkonzepte”entstehen.

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Piaget liefert, wenn auch in bezug auf die Systematik derOntogenese der Begriffsbildung, in seiner Untersuchungzum moralischen Urteil beim Kinde für das, was hiergemeint ist, ein schönes Beispiel. Auf der Stufe desmoralischen Realismus halten Kinder Spielregeln fürexterne, unveränderbare, ein für alle mal feststehendeGebote. Fragt man diese Kinder nach dem Ursprung dieserRegeln, so geben sie, obwohl sie nachweisbar niemalsvorher mit dieser Frage konfrontiert wurden noch sichselbst jemals mit dieser Frage beschäftigt haben, alsoexplizites Lernen in bezug auf die Beantwortung dieserFrage nicht stattgefunden hat, übereinstimmend dieAntwort, der Vater, der Bürgermeister oder irgendeineandere mit Autorität versehene erwachsene Person amWohnort habe, gleichsam in einem einmaligen Aktwillkürlicher Setzung, diese Regeln erfunden. Die Kinderhaben also selbsttätig, ohne vorheriges entsprechendesLernen, eine wesentliche Implikation des ihremEntwicklungsalter entsprechenden moralischen Urteilsexpliziert. Im Grunde ist diese Tatsache für sozialesHandeln trivial. Umgangssprachlich kommt sie in der Redevon der Selbständigkeit der Meinung und des Urteilsprägnant zum Ausdruck. Die sozialwissenschaftlicheTheorie hält nur ihre Untersuchungsobjekte in dieserHinsicht für dümmer als sie wirklich sind.

Ich sehe in diesem Sachverhalt eine wichtige materielleRechtfertigung für die Annahme, daß auch die sozialeDeutungsmuster kennzeichnenden zentralen Interpretationeneinen generativen Status haben.

Von hierher ergibt sich die für die soziologischeSozialisationsforschung wichtige Frage, wie diese Kinderdiese zentralen generativen Informationen erwerben.Vermutlich geschieht das weniger über den Mechanismusexpliziter Indoktrination durch Erwachsene als durch vomKind selbsttätig vorgenommenes “Ablesen” zentralerHandlungsregeln am beobachtbaren sozialen Handeln inseiner unmittelbaren Umwelt. Das Kind generalisiertselbsttätig und kognitiv strukturiert vomHandlungskontext seiner Umwelt. Auch wenig systematischeBegründungen reichen mit der Zeit aus, die für einsoziales Deutungsmuster zentralen Interpretationen alsInvarianten des Handelns herauszulösen und

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dann als generative Regeln für die Strukturierung dereigenen konkreten Handlungssituationen zu benutzen.

Damit ist auch angedeutet, daß während der ganzenindividuellen Lebensgeschichte das Handlungssubjekt diezentralen Konzepte und Interpretationen einesDeutungsmusters immer wieder nur angesichts konkreterHandlungssituationen ausdeuten und anwenden muß, so daßauf der individuellen Ebene diese Deutungsmuster einemständigen Prozeß der Veränderung und Ausdifferenzierungunterworfen sind. Nach Maßgabe der Besonderheit derindividuellen Lebensgeschichte ergibt sich in diesemProzeß die Besonderung von individuellenEinstellungsmustern und ­syndromen. Soziologischbegreifbar ist dieser Prozeß jedoch nur, wenn wir dieobjektive Struktur kollektiver Deutungsmuster kennen.Damit wird klar, daß auch eine Psychologie oderSozialpsychologie der Einstellungsgenese und ­veränderungohne diese soziologische Analyse nicht zu angemessenenErklärungen gelangen kann.

6. Meßtheoretische Implikationen des Ansatzes

Aus diesem Ansatz ergeben sich methodische Konsequenzen,die den in der empirischen Sozialforschung verbreitetenBefragungstechniken entgegenstehen.

Für die weitere Argumentation:

Divergenz von Einstellung und Verhalten.stehen nicht im Verhältnis der Substituierbarkeit negative Fälle falsifizieren nicht.Der meßtheoretische Grundansatz: zuerstStrukturinterpretation, dann Ableitung vonHandlungssituationen mit vorgängig abgeleitetenReaktionen, die theoretischen Interpretationen schonzugeordnet sind.

damit “fundamentales Messen”.

Für soziale Deutungsmuster spezifisch: Explikation derInkonsistenzen

und entsprechender subjektiv operativer Konsistenzregeln.

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Dahinter steht ein Modell der Aufklärung.

Die “neue Form” der Prognose

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7. Meßtechnische Implikationen

Vor der Konstruktion von “Items”: Strukturinterpretationund Angabe der korrespondierenden Handlungsprobleme

Durchführung von Befragungen. Die soziale Rolle desBefragten.

Problematik faktorenanalytischer Dimensionsanalysen.

Behandlung von Inkonsistenzen im Antwortmuster.

Zur Durchführung der Arbeit:

1. Weitertreiben der theoretischen Analyse auf demHintergrund des hier Vorgetragenen

2. Kritische Rezeption des Strukturalismus im Hinblickauf a) positiv: generativer Strukturbegriffb) negativ: ahistorischer Strukturbegriff,

Problematik der Struktur außerhalb mentalerRepräsentanzen: korrespondierend: eigentümlicherBegriff des sozialen Unbewußten

3. Methodische Rekonstruktion von historischen Analysenzur Ideengeschichte, Biographien etc.

4. Betrachtung von Webers Religionssoziologie

Nachholen: Psychodynamik ebenfalls als Bereich objektiverHandlungsprobleme: Außenwelt für soziale Deutungsmuster.

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2.5 Forschungspraktische Implikationen

Aus diesem Ansatz ergeben sich methodologische undforschungstechnische Konsequenzen, die in der Praxis derempirischen Sozialforschung zu wenig oder kaum Beachtungfinden, obwohl darin die Erfassung von Einstellungen,Motiven, Erwartungen und Meinungen — im Hinblick aufwelche theoretische Frage auch immer — im Vordergrundsteht.

1. Wenn auch der extreme, auf Bridgeman zurückgehendeOperationalismus, für den theoretischen Begriffvollkommen sich in operationale Indikatoren auflösten unddamit beliebig wählbar wurden und für den die Ergebnisseverschiedener Untersuchungen nur noch bei Anwendungvollkommen gleicher Meßverfahren vergleichbar waren, inden Sozialwissenschaften heute keine große Bedeutung mehrzu haben scheint, so wird doch das Problem derVerhältnisse von theoretischem Begriff und operationalemIndikator, das Problem des Messens also noch weitgehendorientiert am Modell des naturwissenschaftlichen Messensbegriffen. In diesem Verständnis muß dann zugegebenwerden, daß die faktisch angewandten Meßverfahrenweitgehend unbefriedigend sind. Sie entsprechenausnahmslos dem “measurement by fiat”, in dem dieoperationalen Indikatoren bestenfalls aufgrund vonPlausibilitätsargumenten den theoretischen Begriffenzugeordnet werden können. Würde jedoch die Methodologiedes sozialwissenschaftlichen Messens sich eher um dasinhaltliche Problem der Operationen, die empirischeRelationssysteme konstituieren, als um das formaleProblem der Übersetzung empirischer Relationssysteme innumerische kümmern, so würde sie möglicherweise — das isthier die These — entdecken, daß fundamentales oderabgeleitetes Messen in den Sozialwissenschaften,allgemein begriffen als die Form des Messens, in der dieMeßoperationen selbst deduktiv aus den theoretischenBegriffen abgeleitet werden können, ganz andersstrukturiert ist als in den Naturwissenschaften:Fundamentales Messen im Rahmen einer Theorie der sozialenDeutungsmuster, die sich auf die Konzepte regelgeleitetenHandelns und der generativen Regel stützt, läge in derfolgenden Form vor: Die Theorie entfaltet die “innereLogik” der sich in mentalen Bewußtseinsstrukturen

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niederschlagenden Deutungsmuster und konstruiert nunidealtypisch oder konkret Handlungssituationen oderDeutungsprobleme, mit verschiedenen Lösungsausgängen.Entscheidend ist dabei, daß diese Lösungsausgänge eines“items” stringent im Rahmen der Theorie interpretierbarsind und von vornherein einem bestimmten Typ vonDeutungsmustern zugeordnet oder als Derivat einerexplizierten generativen Interpretation bestimmt werdenkönnen. Im Unterschied zu den üblichen Meßoperationenläge hier beides zugleich vor: Die Konstruktion eines“items” nach Maßgabe der Theorie und die Bestimmung der“responses” der Befragten in theoretischen Begriffen vorder Befragung selbst.

2. Damit hängt unmittelbar zusammen, daß die aus diesemtheoretischen Ansatz folgenden standardisiertenBefragungsmethoden wesentlich auf einer inhaltlichenRekonstruktion von Deutungsmustern vor jeder Konstruktionvon “items” von Befragungsinstrumenten beruhen. Es werdennicht, wie üblich, “items” nach dem mehr oder wenigentreffenden “common sense” Verständnis des Forschersgebildet und formuliert, sondern aus einer vorabvorgenommenen Explikation der zu prüfendenEinstellungsmuster abgeleitet. Diese Explikation vonDeutungsmustern und ihren Derivaten ist also derentscheidende Schritt in der Konstruktion vonMeßinstrumenten. Er fehlt bisher in der Praxis derempirischen Sozialforschung.

3. Wie gelangen wir jedoch zu dieser Explikation? Sie mußja auch empirisch fundiert sein und darf sich nicht imAusbuchstabieren des eigenen “common sense” erschöpfen.Der Explikation muß also eine hermeneutische, auf durchKommunikation und historischem Quellenstudium beruhendeOperation des Verstehens der einem deutungsbedürftigenHandlungsproblem korrespondierenden Interpretationenvorausgehen. Vor allem in diesem methodischen Schrittsehe ich die unabdingbare Rückbesinnung der gegenwärtigensozialwissenschaftlichen Forschung auf die methodischenTraditionen der Geisteswissenschaften. Die nach demKriege so moderne Abkehr von den Geisteswissenschaftenbedeutet heute häufig die Borniertheit derPrimärerfahrung des sozialwissenschaftlichen Forschers.

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4. In der Interpretation von Befragungsinstrumenten istnach Möglichkeit die Trennung individuell konkreterAusprägungen im Interpretationsspielraum von bestimmtentypischen Mustern sozialer Deutungen von derRekonstruktion dieser durchgängigen kollektivenDeutungsmuster explizit zu machen.

5. In der klassischen Einstellungsforschung istbeispielsweise die inzwischen häufig festgestellteKongruenz von (durch Befragung gemessener) Einstellungund (beobachtetem) Verhalten ein großes methodischesProblem geworden. Zum Ärgernis kann dieses Ergebnisjedoch nur für denjenigen werden, für den diemeßtechnische Substituierbarkeit vonVerhaltensbeobachtung durch Einstellungsmessung imVordergrund steht. Abgesehen davon, daß hier naiv einebehavioristische Trennung zwischen externen undbeobachtbarem Verhalten als einzig “wirklichen” Phänomenund Einstellung als “Epiphänomen” nach wie vorvorgenommen wird und dagegen vor allem einzuwenden ist,wie denn Verhalten sinnvoll beobachtet werden kann, wennnicht in Begriffen intersubjektiv verstehbarer Motive undRegeln, wird in dieser methodischen Auffassungunterschlagen, daß den Einstellungen als mentalenStrukturen eine Realität sui generis zukommt und dieDiskrepanz zwischen Einstellung und Handeln für denSozialwissenschaftler nicht ein forschungstechnischesScheitern sondern ein für sich genommenerklärungsbedürftiges und als solches interessantesPhänomen darstellen sollte. So wie für Weber einkapitalistischer Unternehmer, der nicht dieprotestantische Ethik vertritt, kein tendenziellfalsifizierender Fall sein konnte, sondern im Gegenteilzunächst einmal daraufhin geprüft werden muß, durchwelche Probleme der Inkompatibilität der protestantischenEthik mit anderen Deutungsmustern oder mit konkretenHandlungsproblemen dieser Unternehmer zu seinen“abweichenden” Handlungsmaximen gelangte, so kannallgemein die Prognostizierbarkeit konkreten Verhaltensaus der Rekonstruktion der sozialen Deutungsmuster nichtumstandslos zum Überprüfungskriterium einer Theoriesozialer Deutungsmuster erhoben werden. Die wichtigeUnterscheidung ist in dem hier diskutierten Ansatz nichtdie zwischen Einstellung und Verhalten — beides ist inBegriffen einer Konzeption des regelgeleiteten Handelns

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ein und dasselbe ­, die zwischen kollektivem generativemDeutungsmuster und deren

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individuellen Konkretionen in Einstellungen einerseitsund zwischen regelhafter, systematischerUmweltinterpretation des Handlungssubjekts und davonunabhängigen Determinationen (beispielsweise unbewußtenMotiven) andererseits.

6. Ganz ähnlich wie wir im Alltag gemessen an derSimplifizierung sozialwissenschaftlicher Hypothesen daszukünftige Handeln einer uns gut bekannten Person ineiner bestimmten zu erwartenden Situation erstaunlich gutvoraussagen können (wäre das nicht der Fall, würde eineentscheidende, bloß meistens nicht hinreichendexplizierte Voraussetzung der Rollentheoriezusammenbrechen), haben Voraussagen im Rahmen der Theoriegenerativer sozialer Deutungsmuster nicht den üblichenCharakter von auf empirischen Korrelationenzurückgehenden Prognosen, sondern stellen sich dar alsdie Explikation von konkreten Deutungen, die einebestimmte soziale Kategorie von Handlungssubjekten inkonkreten Handlungssituationen als selbsttätiges“Ausbuchstabieren” von Implikationen verinnerlichterDeutungsmuster erzeugen wird. Die Prognose besteht alsoim Grunde in einer Vorwegnahme der Explikation einerImplikation jeweils schon rekonstruierter Deutungsmuster,die dann unter angebbaren Handlungsbedingungen vomSubjekt selbst prüfbar vorgenommen wird. Damit istzugleich gesagt, daß Voraussagen des zukünftigen Handelnsnicht nur in bezug auf immer wiederkehrendeHandlungssituationen sondern auch in bezug auf neueBedingungen des Handelns möglich sind. Prognosen werdenhier also nicht aus empirischen Generalisierungenabgeleitet, sondern aus explikativen Rekonstruktionen vonBewußtseinsstrukturen.

7. Für die Operation des Befragens folgt aus denbisherigen Bestimmungen, daß nicht nur die bloßeEvokation von Meinungen, sondern vor allem derenBegründung und Interpretation entscheidend ist.Standardisierte Befragungen, vor allemEinstellungsmessungen, evozieren bloß Auswahlen ausvorgegebenen Antworten oder einfach Meinungen,entsprechend versetzen sie in der Situation der Befragungden Befragten in die Rolle einer vordergründigenAuskunftei, eines Reservoires von Antworten. Statt dessenmüßten sozialwissenschaftliche Befragungen, die die

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Erfassung von Bewußtseinsstrukturen zum Gegenstand haben,den Befragten in der Rolle desjenigen begegnen, derprinzipiell seine Äußerungen begründen kann und von demman vor allem diese Begründungen erfahren möchte. Darausfolgen im einzelnen erhebliche Einwände gegenüberspezifischen, als Kunstregeln der empirischenSozialforschung tradierten methodischen Grundsätzen derBefragung (Beispiele: Man darf keine Warum­Fragenstellen, standardisierte Befragungen sind genauer alsunstrukturierte Interviews, usf.).

8. Mit Hilfe der einer Theorie der generativenDeutungsmuster folgenden Meßtechniken sollte es möglichsein, ein Problem zu handhaben, daß bei den klassischenBefragungsmethoden notorisch auftaucht:

Unterschiede in den Deutungsmustern verschiedenersozialer Gruppen werden aufgelöst in Unterschiede aufisolierten einzelnen “Einstellungsdimensionen”, odereinzelnen konkreten Meinungen. Die Inkonsistenzenzwischen verschiedenen Äußerungen derselben Persongeraten damit weitgehend aus dem Blickfeld. DiesesProblem verschärft sich bei den angeblich methodisch soüberlegenen Einstellungsskalen.

Aus verschiedenen Gründen tendieren die klassischenBefragungsmethoden dazu, die für Einstellungsmustertypischen Inkonsistenzen zu unterschlagen oder docheinzuebnen. Dafür ist zum einen verantwortlich zu machen,daß der sozialwissenschaftliche Forscher schon vonvornherein nach Maßgabe seines vergleichsweiseaufgeklärten “common sense” eine Inkonsistenzenbeseitigende Selektion von Dimensionen und “items”vornimmt. Zum anderen bedingen die Methoden derSkalierung, der Validierung und der Dimensionsanalysetendenziell die Beseitigung von “items” Inkonsistenzensichtbar machenden “items”: Inkonsistenzen derEinstellungsmuster erscheinen in diesen Methoden häufigals Mängel der Methode und nicht als Merkmal der zuerfassenden Realität.

Nun sind aber gerade die — gemessen an konkurrierendenStandards der Geltung und Konsistenz ­ inkonsistentenElemente von Einstellungsmustern und sozialenDeutungsmustern von zentralem

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Erkenntniswert. Erst wenn wir ihnen auf die Spur kommen,eröffnet sich uns gleichzeitig der Blick auf die Typenvon sozialen Deutungsmustern eigentümliche “Rationalität”und wir vermögen dann die Konsistenzkriterien derSozialwissenschaftler als eine Form der “Rationalität”unter mehreren zu sehen. Ziel dieser Analyse ist es also,die für ein soziales Deutungsmuster spezifischen Regelnder Konsistenz von Meinungen, Interpretationen undArgumenten aufzudecken und in deren Perspektive zurekonstruieren, welche konkreten Interpretationenmiteinander sich vertragen und welche nicht, und welcheInkompatibilitätsprobleme sich infolgedessen angesichtsvon konkreten Handlungsproblemen für einHandlungssubjekt, das in ein bestimmtes Deutungsmustereinsozialisiert worden ist, stellen. Nach solchenKonsistenzregeln bzw. den entsprechenden Inkonsistenzenkönnen wir jedoch erst dann gezielt suchen, wenn vorjeder standardisierten Befragung die Struktur vonDeutungsmustern analysiert worden ist und sich aus dieserAnalyse die “items” der Meßinstrumente ableiten lassen.

Wenn eben von konkurrierenden “Standards” der“Rationalität” gesprochen wurde, so war damit nicht derenBeliebigkeit gemeint. Vielmehr lassen sich sozialeDeutungsmuster je nach der Struktur der für sie typischenInkonsistenzen, gemessen am jeweils wissenschaftlichGesicherten in eine Hierarchie zunehmender Aufgeklärtheitbringen. Dabei gehe ich jedoch davon aus, daß sozialeDeutungsmuster nie ein vollständig geschlossenes und insich widerspruchsfreies System von Interpretationenbilden. Jeder Versuch, eine entdeckte Inkonsistenz imEinstellungsmuster aufzulösen, erzeugt neueInkonsistenzen. Aber jede Auflösung einer Inkonsistenzerweitert die “Rationalität” und das Reflexionsniveaueines Deutungsmusters. Von hier aus gesehen, ergibt sichrealistisch die Möglichkeit, Typen vonEinstellungsmustern und Deutungsmustern nach dem Gradihrer Aufgeklärtheit zu ordnen.

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3. Zur Problemstellung der empirischen Analyse

Im zweiten empirischen Teil der Arbeit sollenLernzielbegründungen und Lernmaterialien desSozialkundeunterrichts als wichtiger Bestandteil desgegenwärtigen Curriculums unter dem Gesichtspunkt derzuvor begrifflich entfalteten Theorie der sozialenDeutungsmuster analysiert werden. Selbstverständlich kannin diesem empirischen Teil der vorgeschlagenetheoretische Ansatz nur bruchstückhaft und in einigenwenigen Hinsichten zudem auch weniger systematisch, alseher explorativ geprüft werden. In diesem empirischenTeil soll aber nicht nur exemplarisch der theoretischeAnsatz zur Anwendung kommen, die materielleProblemstellung einer soziologischen Analyse desgegenwärtigen Curriculums öffentlicher Schulbildung istfür sich genommen von ebenso großem Interesse.

Die Soziologie hat sich bisher erstaunlicherweise kaumdem Phänomen der Planung und Entwicklung von Curriculazugewandt, obwohl hier eines der interessantestenwissenssoziologischen Untersuchungsgebiete dergegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse liegendürfte. Während die Curriculumforschung alswissenssoziologisches Problem kaum in das Blickfeldgerückt ist, nimmt es inzwischen einen bedeutenden Raumin der erziehungssoziologischen underziehungspsychologischen Forschung ein. Dabei ist aberder Soziologe im typischen Sinne Beteiligter, nichtanalytischer Beobachter: Die Soziologie liefert demCurriculumkonstrukteur Informationen undgesellschaftstheoretische Interpretationen zur Begründungvon Lernzielen, zur Differenzierung des Lernstoffs jenach dem Adressatenkreis der schulischen Bildung usf.,aber die Soziologie hat die bürokratisch geplanteSteuerung schulischer Lernprozesse als Phänomen für sichnoch nicht entdeckt.

Dem distanzierten Betrachter der Entwicklung desBildungssystems in den letzten Jahren fällt zunächst derzunehmende Prozeß der Szientifizierung derLehrplangestaltung und der Unterrichtsmethoden auf.Während noch bis vor wenigen Jahren Lernziele undUnterrichtsmethoden mehr oder weniger naturwüchsig ausverschiedenen der wissenschaftlichen und auch der

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bürokratischen

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Kontrolle entzogenen Traditionen sich ergaben, ist mangegenwärtig dabei einen riesigen wissenschaftlichen,technischen und bürokratischen Apparat zur Steuerungdieser Prozesse aufzubauen. Dabei erleben wir nach derSäkularisierung ursprünglich religiöser Interpretationenso etwas wie eine zweite Säkularisierung: die der Kulturund Bildungsgüter. Was den vermeintlichwissenschaftlichen Kriterien der Ideologiekritik, ja der“Operationalisierung” in einzelne Lernziele undLernschritte nicht standhalten kann, soll keineBerechtigung mehr haben. Die Sozialwissenschaftendurchforsten also mit dem Anspruch wissenschaftlicherGeltung die ihrem Charakter nach immer normativenLernzielkataloge und setzen neue Normen an. Dabei istinteressant, daß gerade auch die sozialwissenschaftlicheTradition, die sonst sehr streng auf ihre Wertfreiheitbedacht war, sich intensiv an diesem Geschäft beteiligt.Mit dieser Entwicklung wird also die Grenze zwischensozialen Deutungsmustern und sozialwissenschaftlichenInterpretationen vollends unkenntlich. Werden dieCurricula, die ja gleichsam als kodifizierte undinstitutionalisierte Deutungsmuster aufgefaßt werdenkönnen, nun verwissenschaftlicht oder werden diesozialwissenschaftlichen Interpretationen zu zentralenBestandteilen sozialer Deutungsmuster?

Als Vorfrage einer wissensoziologischen Analyse vonBestandteilen des gegenwärtigen Curriculums in unserenSchulen stellt sich also das grundsätzliche Problem,welche Konsequenzen für die soziale Veränderung von fürdie gegenwärtige Industriegesellschaft zentralen sozialenDeutungsmustern sich aus dieser Entwicklung derSzientifizierung der Curricula ergeben, welcheUmstrukturierung aus der Durchdringungvorwissenschaftlicher Deutungsmuster mit den Standardsder Wissenschaftlichkeit sich ergibt und welchespezifischen Inhalte dabei ausgeschieden und welcheehemals peripheren jetzt in den Vordergrund gerücktwerden. Weiterhin stellt sich damit die Frage, in welcherWeise die verschiedenen bürokratischen Instanzen desBildungssystems die sich ihnen damit strukturelleröffnete Möglichkeit der Steuerung des Systems vonpolitischen Legitimationsinhalten reagieren und welchemDruck sie seitens des Herrschaftssystems undverschiedener

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Interessengruppen unter diesen Bedingungen ausgesetztsind. Entsprechend ist danach zu fragen, welcheKonsequenzen sich daraus für den Zwang zur Begründung voninhaltlichen curricularen Entscheidungen ergeben.

Diese Fragen lassen sich natürlich am Beispiel desSozialkundeunterrichts am ehesten verdeutlichen, weilhier die Begründung von Lernzielen dem größtengesellschaftlichen Druck ausgesetzt ist und hiergleichzeitig die Erkenntnisse der Sozialwissenschaftenselbst zur Debatte stehen.

Mit der Szientifizierung der Curricula einhergehend istdie Zunahme ihrer Bedeutung für die Sozialisation desHandlungssubjekts. Die schulischen Curricula bilden inimmer stärkerem Maße konkurrenzlos den Horizont vonWeltinterpretation, in den der Einzelnehineinsozialisiert wird. In dieser Hinsicht könnenCurricula unter zwei Gesichtspunkten als sozialeDeutungsmuster analysiert werden:

a) Die Begründung der Lernziele ist letztlich immernormativ und rekurriert auf wissenschaftlich nurteilweise ausweisbare allgemeine Argumenten. Diese“letzten Begründungen” von Lernzielen enthalten mehr oderweniger deutlich für das jeweilige Gesellschaftssystemzentrale, generative Interpretationen, wie beispielsweiseden Rekurs auf das Prinzip der Chancengleichheit, dieIdeologie der Leistungsgesellschaft, aber auch diebürgerliche Ideologie der unpolitischenSelbstverwirklichung des Menschen usf.. Es wäre unterdiesem Gesichtspunkt beispielsweise interessant dieSystematik aufzudecken, in der etwa von der gleichenQuelle einmal bildungshumanistische Werte, zum anderenaber die dazu im Gegensatz stehende Betonung derErziehung zu einer nicht weiter ausgedeutetenLeistungstüchtigkeit für die Begründung curricularerMaßnahmen herhalten müssen und die hinter dieserSystematik liegende Konsistenzregel. Unter diesemGesichtspunkt stellen also die Begründungen curriculareMaßnahmen, insbesondere im Sozialkundeunterricht für diegegenwärtige Gesellschaft in zunehmendem Maße selbstwichtige soziale Deutungsmuster dar.

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b) Nicht nur die Begründungen von Lernzielen, sondernauch als faktische Festlegung des Lernangebots lassensich Curricula als soziale Deutungsmuster betrachten.Curricula sind institutionalisierte Systeme des Wissensund der Umweltinterpretation. Als solche stellen siezwangsläufig eine Auswahl aus den gesellschaftlichmöglichen Formen des Wissens dar. Selbst wenn dieseAuswahl nicht explizit begründet ist, ist objektiv eineStrukturierung zu sehen, dessen Prinzip in einergenerativen Interpretation oder Regel eines sozialenDeutungsmusters zu sehen ist und das es aufzudecken gilt.Curricula sind für die soziologische Analyse sozialerDeutungsmuster unter einem weiteren Gesichtspunkt vongrößtem Interesse: Sie dienen explizit der Sozialisationvom Handlungssubjekt, der gesellschaftlichen Steuerungsozialen Lernens. Insofern liefern sie dem zusozialisierenden Subjekt mit besonderem Nachdruck dieSchlüsselkonzepte, die es dann in konkretenHandlungssituationen weiter ausbuchstabiert und zuindividuellen Einstellungsmustern konkretisiert. Diehinter den Curricula liegenden allgemeinen Begründungen,die zum Teil gar nicht expliziert werden, indizieren alsozum einen die für die Bildungsbürokratie als politischerInstanz und für die Erziehungswissenschaft alssäkularisierte Normeninterpretationsinstanz zentralen undtypischen Deutungsmuster, zum anderen konstituieren siein der konkreten Gestalt von Einzelcurricula gegenüberdem Schüler, die im Lernangebot invariant immer wiederauftauchenden impliziten Schlüsselkonzepte, die daslernende Handlungssubjekt schließlich selbsttätigausbuchstabiert und als generative Deutungsregelnverinnerlicht.

Die Arbeit geht also davon aus, daß die Analyse vonElementen des gegenwärtigen Sozialkundecurriculumsexemplarisch den theoretischen Ansatz zur Analysesozialer Deutungsmuster belegen kann, also auchinhaltlich einen wichtigen Beitrag zurwissenssoziologischen Analyse wichtiger aktuellerPhänomene liefern kann, weil unter den genanntenGesichtspunkten dem Curriculum im Sozialkundeunterrichtin zunehmendem Maße eine zentrale Rolle bei derVermittlung von sozialen Deutungsmustern zufällt, dieihrerseits für die Legitimation des politischenHerrschaftssystems von zentraler Bedeutung sind.

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4. Zur Durchführung der Untersuchung

4.1 Zur Durchführung des theoretischen Teils

Im theoretischen Teil sollen zunächst relativ unabhängigvon der Literaturdiskussion der in diesem Papierangedeutete theoretische Ansatz in programmatischer Formentfaltet werden. Dieser theoretischen Analyse soll einekurze Skizze der Behandlung soziokulturellerErscheinungen in der sozialwissenschaftlichenForschungspraxis vorangestellt werden. Diese Skizze sollals Problemhintergrund der Arbeit dienen, sie sollangeben, der Lösung welcher Probleme der zu entwickelndeAnsatz dienen soll. Nach seiner programmatischenEntfaltung soll der theoretische Ansatz anhand einerRezeption verwandter Theorieentwicklungen auf seineRelevanz und Konsistenz geprüft werden. Da es sich hierin gewisser Weise auch um die Entwicklung einerstrukturalistischen Methode zur Analyse vonBewußtseinsstrukturen handelt, soll die kritischeRezeption des Strukturalismus sowohl in derKulturanthropologie als auch neuerdings in derfranzösischen Soziologie im Vordergrund stehen, vor allemanhand der Schriften von Lévi­Strauss. Lévi­Strauss istfür die geplante Arbeit ein unentbehrlicher Leitfaden,weil er seinen Strukturbegriff ganz eindeutig auf denBegriff der generativen Regel stützt und damit in einerentscheidenden Hinsicht den hier vertretenentheoretischen Ansatz teilt. Gleichzeitig gerät Lévi­Strauss mit diesem Strukturbegriff jedoch inSchwierigkeiten, weil er ihn ähnlich wie Luhmann nichtnur auf Bewußtseinsstrukturen bzw. auf sinninterpretierteWelt, sondern darüber hinaus auf Welt schlechthinanwenden will. Lévi­Strauss scheint Strukturierungen mitgenerativem Status ganz abstrakt anzunehmen, ohne sie andas Kriterium mentaler Repräsentation zu binden. Aufgrundder sich daraus ergebenden Probleme ist er dann zurEinführung des eigentümlichen Konzepts eines diesengenerativen Strukturierungen korrespondierenden sozialenUnbewußten gezwungen, das mit dem Begriff des Unbewußtenin der Psychoanalyse explizitermaßen nichts gemein hat.An dieser Stelle soll die Kritik des Lévi­StrausschenStrukturalismus einsetzen, die dann zur Klärung desdahinterstehenden allgemeinen Problems beitragen soll,inwieweit es für unser Konzept sozialer Deutungsmuster,

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dessen

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Fruchtbarkeit auch anhand von Lévi­Strauss noch einmalnachgewiesen werden soll, sinnvoll ist, von einer durchReflexion gesteuerten “Logik” der historischenEntwicklung sozialer Deutungsmuster auszugehen. DieseFrage leitete über zu Max Webers These der zunehmendenRationalisierung. Webers weltgeschichtliche undreligionssoziologische Schriften, insbesondere die“Protestantische Ethik” sollen dann zunächst daraufhingeprüft werden, inwieweit nicht in ihnen schon ein aufdas Konstrukt regelgeleiteten Handelns zurückgehendesKonzept generativer Deutungsmuster angelegt war. Dieempirischen Analysen Webers sollen auf ihre spezifischeimplizite Methodik betrachtet werden. Schließlich sollenzur Abstützung des methodischen Konzepts exemplarischhistorisch—hermeneutische Untersuchungen, beispielsweisedie Arbeitsweise von Biographen betrachtet werden.

4.2 Zur Durchführung des empirischen Teils[in der Manuskript­Vorlage zwei Absätze langer, dannabreißender Text, in dieser Internet­Version weggelassen]