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Umweltministerien der Länder
Bundesrat
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit
Umwelt-Fachbehörden der Länder
Bundesamt für Naturschutz
Umweltbundesamt
• Rechtswidrigkeit des geplanten Abschneidekriteriums von 5 kg N/ha/a in der
Neufassung der TA Luft
• Neues Urteil des BVerwG: 5 kg – Kriterium ist mit § 30 Abs. 2 BNatSchG nicht
vereinbar
• TA Luft würde Grenzen der Ermächtigungsgrundlage nicht mehr einhalten
28.4.2021
Sehr geehrte Damen und Herren,
der aktuelle Entwurf der Neufassung der TA Luft sieht ein sog. „Abschneidekriterium“ von
5 kg N/ha/a für empfindliche Ökosysteme und damit auch für gesetzlich geschützte Bio-
tope vor.1 Ein solches Abschneidekriterium ist wissenschaftlich nicht begründbar, würde
zu einer erheblichen Gefährdung empfindlicher Ökosysteme führen und widerspricht bin-
denden Vorgaben der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Das Bun-
desverwaltungsgericht hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass ein Abschneide-
wert von 5 kg N/ha/a für Stickstoffeinträge in gesetzlich geschützte Biotope rechtswidrig
ist. Sollte die TA Luft mit diesem Wert, wie er in der Entwurfsfassung (u.a. Anhang 9 des
Entwurfs) vorgesehen ist, verabschiedet werden, würde sie gegen höherrangiges Recht
verstoßen und wäre ihrerseits rechtswidrig. Wir bitten Sie um entsprechende Überprü-
fung.
Im Einzelnen:
Das BVerwG hat in einem Urteil vom 21.1.2021, Az. 7 C 9.19, dessen Begründung2 erst seit
letzter Woche vorliegt, festgestellt, dass ein fester Abschneide- oder Bagatellwert in Höhe
von 5 kg mit den Anforderungen des gesetzlichen Biotopschutzes nicht zu vereinbaren ist.
Dem Urteil lag ein Fall zugrunde, in dem für die Prüfung der Beeinträchtigung gesetzlich
geschützter Biotope durch Stickstoffdeposition von der Behörde der Abschneidewert von
5 kg N/ha/a zugrunde gelegt worden ist.
Das OVG Berlin-Brandenburg hatte bereits mit Urteil vom 4.9.2016, OVG 11 B 24.16 die
Schwelle von 5 kg N/ha/a für gesetzlich geschützter Biotope als zu hoch und auch als nicht
1 Siehe S. 48 des Entwurf in Verbindung mit Anhang 9 2 Urteilsbegründung im Anhang
an der Empfindlichkeit der Biotope orientiert kritisiert. Das BVerwG hat dies nun bestätigt.
In Rz. 31 stellt das BVerwG fest, dass ein Abschneidewert oder eine Bagatellgrenze keinen
absoluten Wert haben darf, sondern in Abhängigkeit vom jeweils maßgeblichen Critical
Load und damit der Stickstoffempfindlichkeit eines Biotops relativ bestimmt werden muss.
Das BVerwG verweist auf seine Rechtsprechung, wonach ein solcher Wert - abhängig vom
jeweilige Critical Load - bei 0,3 kg bis 0,6 kg liegen kann und damit deutlich unter dem
pauschalen Ansatz von 5 kg. Das BVerwG macht deutlich, dass bereits Zusatzbelastungen
in einer Größenordnung von bis zu 10 % des Critical Loads nicht mehr als Bagatelle anzu-
sehen sind. Bei den für die meisten Biotope geltenden Critical-Load-Spannen von 10 bis 20
kg N/ha/a in Deutschland müsste die Schwelle also unter 1 bis maximal 2 kg liegen, wobei
diese Schwelle in Relation zur Stickstoffempfindlichkeit des Biotops gesetzt werden muss.
Sollte an dem Wert von 5 kg in Anhang 9 des Entwurfs der TA Luft (bzw. an dem Ammo-
niak-Konzentrationswert in Höhe von 2 µg/m³, der sogar zu einem Abschneidewert von 5
bis 10 kg führen würde3) festgehalten werden, wäre die TA Luft als normkonkretisierende
Verwaltungsvorschrift mit dieser Rechtsprechung des BVerwG und den Vorgaben des ge-
setzlichen Biotopschutzes in § 30 Abs. 2 BNatSchG nicht zu vereinbaren. Die TA Luft würde
mindestens in diesem Punkt die Grenzen des § 54 Abs. 11 BNatSchG überschreiten. Diese
Vorschrift erlaubt den Erlass normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften, also detail-
lierter Regelungen, die die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben sicherstellen sollen. Auf der
Grundlage von § 54 Abs. 11 BNatSchG dürfen aber keine Regelungen erlassen werden, die
zu einem Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben führen würden. Dies wäre der Fall, wenn
die Neufassung der TA Luft ein Abschneidekriterium von 5 kg/ha/a vorsähe, da § 30 Abs.
2 BNatSchG vorgibt, dass Beeinträchtigungen gesetzlich geschützter Biotope unzulässig
sind. Ob sich daraus eine Gesamtnichtigkeit der TA Luft ergeben würde, kann dahinstehen.
Zumindest die Festlegung eines Abschneide- oder Bagatellwerts in Höhe von 5 kg N/ha/a
(bzw. die Festlegung einer Konzentrationsgrenze von 2 µg/m³) für gesetzlich geschützte
Biotope wäre von Anfang an unwirksam.
Allerdings würden sich an eine derartige Festlegung in der TA Luft wiederum jahrelange
Rechtsstreitigkeiten anschließen, was sowohl bei Antragstellern als auch bei Behörden zu
entsprechender Unsicherheit und zu einer ganzen Reihe von Aufhebungen von Genehmi-
gungen führen würde, wenn diesen der in der TA Luft beabsichtigte Wert zugrunde gelegt
würde.
Mit freundlichen Grüßen
gezeichnet:
Rechtsanwalt Thorsten Deppner Rechtsanwalt apl. Prof. Dr. Martin Gellermann
Rechtsanwalt Philipp Heinz Rechtsanwältin Dr. Franziska Heß
Rechtsanwalt Peter Kremer Rechtsanwalt Rüdiger Nebelsieck
3 Siehe hierzu Ziffer 4.8 in Verbindung mit Anhang 1
Rechtsanwalt Dr. Frank Niederstadt Rechtsanwältin Ursula Philipp-Gerlach
Prof. Dr. Alexander Schmidt Rechtsanwalt Dr. Philipp Schulte
Rechtsanwalt Karsten Sommer Rechtsanwalt Tim Stähle
Rechtsanwalt Dirk Tessmer Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen
Rechtsanwalt Ulrich Werner
Anhänge:
1. Geplante Festlegungen in der TA Luft
2. Fachlicher Hintergrund
3. Rechtsprechung
4. Auszug aus dem Entwurf der TA Luft
5. Anschriften der Zeichner des Schreibens
1. Geplante Festlegungen in der TA Luft
Das Kabinett hat den Entwurf der Neufassung der TA Luft gebilligt und mit BR-Drucksache
vom 17.12.2020 (767/20) dem Bundesrat zugeleitet (Auszüge aus dem Entwurf der TA Luft
sind im Anhang Schreiben abgedruckt). Eine Beschlussfassung über die TA Luft im Bundes-
rat soll voraussichtlich Anfang Mai erfolgen. Die Festlegung eines Abschneidewerts von 5
kg N/ha/a für Stickstoffeinträge würde gegen geltendes Recht verstoßen; dies hat aktuell
das BVerwG festgestellt. Die TA Luft würde damit gegen die Ermächtigungsgrundlage ver-
stoßen und wäre von Anfang an rechtswidrig.
Im Einzelnen:
Zur Frage der Bewertung der Deposition von Stickstoff in empfindliche Lebensräume wird
auf S. 48 f. des Entwurfs auf Anhang 9 verwiesen. In Anhang 9 (S. 426 des Entwurfs) wird
ein Abschneidekriterium von 5 kg festgesetzt. Dies würde bedeuten, dass Einträge bis 5 kg
immer und ohne weitere Prüfung als unschädlich angesehen werden.
In Anhang 1 (S. 366 des Entwurfs) wird ein zweiter Wert eingezogen, nämlich eine Ammo-
niak-Konzentration von 2 µg/m³. Erst bei einer Überschreitung dieser Konzentration muss
eine Prüfung vorgenommen werden, ob es zu schädlichen Wirkungen kommen kann. Eine
Konzentration von 2 µg/m³ Ammoniak verursacht eine Stickstoffdeposition zwischen 5,2
und 10,4 kg N/ha/a (abhängig von der Oberflächenstruktur des Lebensraums).
In der Begründung des Entwurfs auf S. 468 (siehe Auszug unten) wird in dem Abschnitt
„Ammoniak in Verbindung mit Anhang 1“ angegeben, dass ein Anhaltspunkt für das Vor-
liegen erheblicher Nachteile durch Ammoniak bzw. durch Stickstoffdeposition erst vor-
liegt, wenn die Zusatzbelastung aus dem zu beurteilenden Vorhaben mindestens 2 µg/m³
beträgt. Es wird angegeben, dass diese Konzentration (2 µg/m³) einer Deposition von 5 kg
N/ha/a bei einer Depositionsgeschwindigkeit von 1 cm/s entspricht.4
Die TA Luft würde also eine Schwelle von mindestens 5 kg N/ha/a als Irrelevanzschwelle
einziehen, in vielen Fällen sogar noch höher.
4 Bei einer höheren Depositionsgeschwindigkeit würde das Abschneidekriterium sogar noch höher ausfallen. Eine Konzentration von 2 µg/m³ entspricht bei einer Depositionsgeschwindigkeit von 1,5 cm/s einer Deposition von 7,5 kg N/ha/a, bei einer Depositionsgeschwindigkeit von 2 cm/s sogar 10 kg N/ha/a. Da die Prüfschwelle an der Konzentration festgemacht wird, würde also gegenüber dem von den Gerichten verworfenen LAI-Leitfaden aus dem Jahr 2012 sogar eine deutliche Verschlechterung für Lebensräume eintreten, bei denen die Oberfläche rauer ist und dementsprechend die Depositionsgeschwindigkeit höher liegt (beispielsweise bei Gebüschen oder Wald)
2. Fachlicher Hintergrund
Zur Terminologie: Es gibt Abschneidekriterien und Bagatellschwellen.
Das Abschneidekriterium dient der Begrenzung des erforderlichen Untersuchungsraums,
innerhalb dessen es zu Auswirkungen auf die Lebensräume kommen kann. Die Schwelle
von 0,3 kg als Abschneidekriterium in der FFH-Verträglichkeitsprüfung wird vom BVerwG
zum einen durch die Messbarkeit begründet, zum anderen dadurch, dass unterhalb von
0,3 kg negative Effekte bisher nicht erkennbar gewesen seien. Ein Abschneidekriterium
setzt also voraus, dass mindestens diese beiden Voraussetzungen vorliegen. Eine Grenze
von 5 kg ist demnach kein Abschneidekriterium, weil beide Voraussetzungen nicht gege-
ben sind.
Dass in der TA Luft die Schwelle von 5 kg zumindest an einer Stelle in der Begründung als
Abschneidekriterium bezeichnet wird, nämlich auf der S. 468, ändert daran nichts, denn
auf die Bezeichnung kommt es nicht an.
Bagatellschwellen sind Grenzwerte, bei deren Unterschreiten es zu keinen schädlichen
Veränderungen kommt. Solche Bagatellschwellen müssen sich immer an der Empfindlich-
keit des Biotops orientieren, also an seinem Critical Load. Das BVerwG sagt in dem Urteil,
dass 10 % des CL schon zu hoch sind.
Dies bedeutet:
Eine feste Grenze von 5 kg als Abschneidekriterium ist per se unzulässig. Das Abschneide-
kriterium für Stickstoff liegt derzeit – nach der Rechtsprechung des BVerwG - bei 0,3 kg
N/ha/a.
Eine am CL orientierte Bagatellschwelle ist nach der Rechtsprechung zulässig. Für FFH-Le-
bensräume liegt sie bei 3 % des CL. Für gesetzlich geschützte Biotope darf sie ggf. höher
liegen, muss aber unter 10 % des CL bleiben.
Die Aussagen des Urteils gelten ausdrücklich für gesetzlich geschützte Biotope. Das
BVerwG hat das Urteil ausdrücklich im Zusammenhang mit gesetzlich geschützten Bioto-
pen gefällt.
Für die Schädlichkeit von Stickstoffeinträgen in stickstoffempfindliche Lebensräume wird
fachlich das Konzept der Critical Loads herangezogen. Nach gängiger Definition sind Criti-
cal Loads Grenzwerte, bei deren Einhaltung keine Schäden durch Stickstoffeinträge eintre-
ten. Eine Überschreitung führt in der Regel zu Schädigungen. Im Habitatschutz (Lebens-
räume in Natura 2000-Gebieten) gilt ein Abschneidekriterium von 0,3 kg N/ha/a. Fachlich
sind Lebensräume in Natura 2000-Gebieten genauso empfindlich wie gesetzlich ge-
schützte Biotope außerhalb von Natura 2000-Gebieten. Für gesetzlich geschützte Biotope
würde aber nach dem Entwurf der TA Luft eine 17fach bis 34fach höhere Schwelle gelten.
Auf diesen Widerspruch weist u.a. das OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4.9.2016, OVG
11 B 24.16 (Hühneranlage Groß Haßlow), in Rz. 61 hin (Auszug siehe unten).5 Das BVerwG
(Urteil vom 21.1.2021, 7 VC 9.19) hat aktuell bestätigt, dass ein Wert von 5 kg N/ha/a für
gesetzlich geschützte Biotope fachlich nicht zu rechtfertigen ist und hat außerdem festge-
stellt, dass sich eine solche Schwelle immer an der konkreten Empfindlichkeit des Biotops
orientieren muss. Das BVerwG sagt, dass bereits 10 % des Critical Loads für eine solche
Schwelle zu hoch sind. 10 % entsprechen je nach Empfindlichkeit des Biotops 0,5 bis ma-
ximal 2 kg N/ha/a.
Der Critical Load für zahlreiche gesetzlich geschützte Biotope liegt überwiegend im Bereich
von 10 bis 20 kg N/ha/a. Die Hintergrundbelastung in Deutschland liegt in der Regel bereits
bei über 10 kg N/ha/a. Werden (dauerhafte) Zusatzeinträge von 5 bis 10 kg N/ha/a zuge-
lassen, wird damit eine sicher vorherzusagende Schädigung der Biotope legitimiert. Da der
Abschneidewert von 5 kg N/ha/a (bzw. 2 µg/m³ NH3) für jedes Vorhaben isoliert gelten
würde, wäre sogar eine noch höhere Zusatzbelastung aus mehreren Vorhaben zugelassen.
Die Festlegung des Werts von 5 kg N/ha/a (bzw. 2 µg/m³ NH3) in der TA Luft wäre mit der
Ermächtigungsgrundlage nicht vereinbar. § 54 Abs. 11 BNatSchG lässt den Erlass von Ver-
waltungsvorschriften zur Durchführung des BNatSchG zu. Nach § 30 Abs. 2 BNatSchG sind
Handlungen, die zu einer Zerstörung oder einer sonstigen erheblichen Beeinträchtigung
von den in § 30 BNatSchG aufgelisteten Biotopen führen können6, verboten. Eine Verwal-
tungsvorschrift, die einen Schadstoffeintrag in einer Höhe zulässt, bei der es mit einer sehr
hohen Wahrscheinlichkeit in den allermeisten Fällen zu Schädigungen gesetzlich geschütz-
ter Biotope kommen wird, ist mit der materiellen Vorgabe des § 30 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG
nicht zu vereinbaren und überschreitet damit die Ermächtigungsgrundlage. Da die TA Luft
allerdings intern für die Behörden verbindlich ist, müsste dies durch ein Gericht festgestellt
werden. Bis zu einer solchen Feststellung (in letzter Instanz durch das BVerwG) würden
Jahre vergehen, in der Zwischenzeit würden zahlreiche Vorhaben genehmigt, die dann be-
standskräftig wären.
In den vorherigen Entwürfen der TA Luft waren niedrigere Schwellen für ein Abschneide-
kriterium enthalten (2 kg N/ha/a bzw. 3,5 kg N/ha/a). Warum in der letzten Fassung dieser
Wert auf 5 kg N/ha/a angehoben worden ist, wird nicht begründet. Es ist auch nicht sicher,
5 Siehe auch Schumacher, Zulässige Höhe von Stickstoffeinträgen in gesetzlich geschützte Biotope, NuL 2020, 538; genauso urteilen OVG Magdeburg, Urteil vom 8. Juni 2018 - 2 L 11/16 -, juris, Rz. 268; OVG Berlin-Bran-denburg, 23.1.2020, OVG 11 S 10.18, juris, Rz. 35; zur Kritik an der Herleitung des Abschneidekriteriums von 0,3 kg N/ha/a im Habitatschutz siehe auch Gellermann, Projektbedingte Stickstoffbelastungen von Natura 2000-Gebieten, NuR 2019, 746 ff. 6 Es handelt sich um einen sog. Gefährdungstatbestand. Dies bedeutet, dass das Verbot bereits dann gilt, wenn es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu einer Schädigung kommt. Ein sicherer Nachweis der Schädigung wird vom Gesetz nicht verlangt.
ob diese Änderung vom Kabinett überhaupt wahrgenommen worden ist, sie erfolgte je-
denfalls erst nach der Beteiligung der fachlichen Kreise.
3.2 Auszug OVG Berlin-Brandenburg, 4.9.2016, OVG 11 B 24.16
4. Gegen ein pauschales Abschneidekriterium in einer Höhe von 5 kg N/ha*a für sämtliche
geschützten Biotope, d.h. unabhängig von ihrer jeweiligen Stickstoffempfindlichkeit, spricht
vor allem der Umstand, dass ein derart hoher Schwellenwert für besonders stickstoffempfind-
liche Biotope eine Höhe von 50% bis 100% der Spannweite maximal tolerierbarer Stickstoff-
belastungen (empirische Critical Loads) erreichen würde. Eine prozentual derart hohe Stick-
stoffbelastung für ein Biotop als irrelevant zu vernachlässigen, ist weder nachvollziehbar noch
gerechtfertigt.(Rn.63)
(…)
58 2.2.2.3.3. Zu beanstanden ist jedoch vor allem die pauschale Berücksichtigung eines
sog. „Abschneidekriteriums“, d.h. einer Bagatell- bzw. Irrelevanzschwelle, von 5 kg N/ha*a
unabhängig vom für das maßgebliche Biotop geltenden empirischen Critical Load.
59 2.2.2.3.3.1. Zwar entspricht es den Regelungen des LAI-Leitfadens (s. Kapitel 7.2 Ziffer
2., S. 37), Zusatzbelastungen am Aufpunkt höchster Belastung eines (stickstoff)empfindlichen
terrestrischen Ökosystems, die einen Wert von 5 kg N/ha*a nicht überschreiten, bei der Prü-
fung von vornherein außer Betracht zu lassen, wobei allerdings die Einschränkung gemacht
wird, dass sich aus dem Naturschutzrecht ggf. „insbesondere für FFH-Gebiete“ zusätzliche An-
forderungen ergeben können. Begründet wird diese Regelung damit, dass das Abschneidekri-
terium im Sinne einer Verfahrensvereinfachung als „Bagatellprüfung“ zu verstehen sei, die
einen unverhältnismäßigen Prüfaufwand verhindere. Der Kläger rügt jedoch zu Recht, dass
eine derart hohe Bagatellschwelle, noch dazu unabhängig vom jeweiligen Vegetationstyp und
der Vorbelastung, d.h. vom jeweiligen Critical Load des betroffenen Biotops, naturschutzfach-
lich keine Rechtfertigung finde, und verweist insoweit auf das - die Anwendbarkeit des ge-
nannten Abschneidekriteriums aus diesem Grund ablehnende - Urteil des OVG Magdeburg
vom 8. Juni 2018 zum Aktenzeichen 2 L 11/16 (juris Rz. 268).
60 Soweit der Beklagte darauf verweist, dass im LAI-Leitfaden (S. 37 Fußnote 10) als
Rechtfertigung dieses Abschneidekriteriums angegeben sei, „Beispielsrechnungen“ hätten
gezeigt, dass bei einer Zusatzbelastung von weniger als 5 kg N/ha*a in der Regel nach Durch-
laufen des gesamten Verfahrens keine Anhaltspunkte für erhebliche Nachteile vorlägen, fehlt
schon ein hinreichender Beleg hierfür. Aus der vom Kläger als Anlage K 32 zum Schriftsatz
vom 3. September 2018 eingereichten, auf seine entsprechende Nachfrage erteilten Auskunft
des LAI Fachgesprächs N-Deposition (FGN) vom 14. Juni 2018 ergibt sich, dass die bezeichne-
ten Beispielsrechnungen nicht vorgelegt werden könnten und auch das Zustandekommen der
Fußnote nicht mehr im Detail nachvollziehbar sei, so dass genaue Informationen hierzu nicht
gegeben werden könnten. Eine tragfähige, naturschutzfachlich begründete Basis für ein Ab-
schneidekriterium in dieser Höhe belegt auch der weitere Inhalt dieses Schreibens nicht. Zwar
heißt es dort weiter, die persönliche Kommunikation mit Mitgliedern des ehemaligen Arbeits-
kreises, der Rückgriff auf die Vorläuferfassung des LAI-Leitfadens aus dem Jahre 2006 und das
Aktenstudium im UBA und in NRW habe ergeben, dass die Beispielsrechnungen eine in der
Probephase des Leitfadens zusammengetragene Auswahl von atmosphärenchemischen Aus-
breitungsberechnungen darstellten, um die mehrstufige Vorgehensweise des Leitfadens für
die Genehmigungspraxis zu testen, wobei man zunächst ein Abschneidekriterium von 4 kg
N/ha*a getestet, sich aber zum Schluss auf eine Konvention von 5 kg N/ha*a als Schwelle
geeinigt habe. Belegt wird das jedoch in keiner Weise, so dass diese Angaben nicht nachvoll-
ziehbar und schon gar nicht überprüfbar sind. Angesichts dessen ist eine fachwissenschaftli-
che Grundlage für die Festsetzung einer Bagatellgrenze in dieser Höhe nicht ersichtlich. Das
gilt nicht zuletzt auch für die - jegliche fachliche Begründung schuldig bleibende - Einigung
des Arbeitskreises auf die Heraufsetzung des Abschneidekriteriums von zunächst 4 kg N/ha*a
auf 5 kg N/ha*a. Im Übrigen weist der Kläger (so auch das OVG Magdeburg, Urteil vom 8.
Juni 2018 - 2 L 11/16 -, juris, Rz. 268) zutreffend darauf hin, dass zwischenzeitlich vorliegende
Referentenentwürfe für die Neufassung der TA-Luft ein Abschneidekriterium für Stickstoffbe-
lastungen von nur 2 kg N/ha*a (Entwurf vom 9. September 2016) bzw. 3,5 kg N/ha*a (Ent-
wurf vom 7. April 2017) vorsehen.
61 Eine Bagatell- bzw. Irrelevanzschwelle in Höhe von 5 kg N/ha*a erscheint schon mit
Blick darauf nicht plausibel und nachvollziehbar, dass in der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteile vom 14. April 2010 - 9 A 5/08 -, juris Rz. 87 ff., vom
6. November 2012 - 9 A 17/11 -, juris Rz. 93, vom 23. April 2014 - 9 A 25/12 -, juris Rz. 45, vom
27. November 2018 - 9 A 8/17 -, juris Rz. 79 ff. und zuletzt vom 15. Mai 2019 - 7 C 27.17 -,
juris Rz. 31 ff.) ein Abschneidekriterium von nur 0,3 kg N/ha*a bzw. 3% des jeweiligen Critical-
Load-Wertes anerkannt ist. Zwar betrifft diese Rechtsprechung den Schutz von FFH-Gebieten,
während vorliegend - nur - geschützte Biotope gemäß § 30 BNatSchG in Rede stehen (vgl.
insoweit jedoch das Urteil des VG Münster vom 12. April 2018 - 2 K 2307/16 -, juris Rz. 150,
wonach für Biotope nichts anderes gelte als für FFH-Gebiete). Jedoch erscheint es nicht nach-
vollziehbar, insoweit für gesetzlich geschützte Biotope eine Irrelevanzschwelle - bezogen
auf die genannte absolute Menge von Stickstoff von 0,3 kg N/ha*a - in Höhe des etwa 17-
fachen dieses Abschneidekriteriums zugrunde zu legen.
62 Das Bundesverwaltungsgericht begründet die Höhe der von ihm zugrunde gelegten Ir-
relevanzschwelle von 0,3 kg N/ha*a bzw. 3% des jeweiligen Critical-Load-Wertes damit, dass
aufgrund vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse unterhalb der genannten Schwellen-
werte die zusätzlich von einem Vorhaben ausgehende Stickstoffbelastung nicht mehr mit ver-
tretbarer Genauigkeit bestimmbar bzw. nicht mehr eindeutig von der vorhandenen Hinter-
grundbelastung abgrenzbar sei und sich deshalb kein kausaler Zusammenhang zwischen
Emission und Deposition nachweisen lasse (BVerwG, Urteil vom 23. April 2014 - 9 A 25/12 -,
a.a.O. Rz. 45, und zuletzt Urteil vom 15. Mai 2019 - 7 C 27.17 -, a.a.O., Rz. 35). Soweit der
Beklagte demgegenüber darauf verweist, bei der Festlegung des Abschneidekriteriums von 5
kg N/ha*a seien auch Erwägungen eingeflossen, welche Stickstoffeinträge in der Natur noch
mess- und nachweisbar seien, ist das mit Blick auf diese Ausführungen des Bundesverwal-
tungsgerichts nicht (mehr) nachvollziehbar. Denn insoweit kann für Biotope nichts anderes
gelten als für FFH-Gebiete.
63 Gegen ein pauschales Abschneidekriterium in einer Höhe von 5 kg N/ha*a für sämtliche
geschützten Biotope, d.h. unabhängig von ihrer jeweiligen Stickstoffempfindlichkeit, spricht
aber vor allem der Umstand, dass ein derart hoher Schwellenwert für besonders stickstoff-
empfindliche Biotope eine Höhe von 50% bis 100% der Spannweite maximal tolerierbarer
Stickstoffbelastungen (empirische Critical Loads) erreichen würde. Eine prozentual derart
hohe Stickstoffbelastung für ein Biotop als irrelevant zu vernachlässigen, ist nach Ansicht des
Senats weder nachvollziehbar noch gerechtfertigt (so auch OVG Magdeburg, Urteil vom 8.
Juni 2018 - 2 L 11/16 -, juris, Rz. 268).
5. Anschriften der Zeichner des Schreibens
Peter Kremer Rechtsanwalt Fachanwalt für Verwaltungsrecht Heinrich-Roller-Straße 19 10405 Berlin www.kremer-werner.de Rechtsanwalt Dirk Teßmer Niddastraße 74 60329 Frankfurt am Main www.pg-t.de apl. Prof. Dr. Gellermann Rechtsanwalt Schlesierstraße 14 49492 Westerkappeln [email protected] Rechtsanwalt Thorsten Deppner Rechtsanwalt für Umweltrecht Grolmanstraße 39 10623 Berlin https://www.kanzleideppner.de Ulrich Werner Rechtsanwalt Fachanwalt für Verwaltungsrecht Heinrich-Roller-Straße 19 10405 Berlin www.kremer-werner.de Rechtsanwalt Tim Stähle Grolmanstraße 39 10623 Berlin www.tim-staehle.de Prof. Dr. Alexander Schmidt Hochschule Anhalt Strenzfelder Allee 28 06406 Bernburg
Karsten Sommer Rechtsanwalt Fachanwalt für Verwaltungsrecht Grolmanstraße 39 10623 Berlin www.kanzleisommer.de Rechtsanwalt Dr. Frank Niederstadt Hinüberstr. 4 30175 Hannover www.rechtsanwalt-niederstadt.de Rechtsanwalt Philipp Heinz Grolmanstr. 39 10623 Berlin www.philipp-heinz.de Dr. Franziska Heß Rechtsanwältin und Fachanwältin für Verwaltungsrecht BAUMANN Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB Zweigstelle Leipzig Harkortstraße 7 04107 Leipzig www.baumann-rechtsanwaelte.de Ursula Philipp-Gerlach Rechtsanwältin und Fachanwältin für Verwaltungsrecht Niddastraße 74 60329 Frankfurt am Main www.pg-t.de Rüdiger Nebelsieck Fachanwalt für Verwaltungsrecht Mohr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB Max-Brauer-Allee 81 22765 Hamburg www.mohrpartner.de Dr. Philipp Schulte Rechtsanwalt Grolmanstr. 39 10623 Berlin [email protected]
Dr. Roda Verheyen Rechtsanwältin Rechtsanwälte Günther -Partnerschaft- Mittelweg 150 20148 Hamburg www.rae-guenther.de