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Ist das Leben als Christ wirklich abenteuerlich, radikal und bedeutungsvoll? Andreas "Boppi" Boppart findet, dass immer mehr Christen eine Art Kuschelglauben leben, ohne etwas zu bewegen. Seine These lautet: Viele lassen sich nicht auf das Abenteuer der Nachfolge ein, weil sie auf ihre Unfertigkeit sehen - ihre Ecken, Kanten und Schwächen - und sich dadurch ausbremsen lassen. Er ermutigt dazu, ein Ja zur eigenen Begrenztheit und Sündhaftigkeit zu finden, gleichzeitig aber daran festzuhalten, dass Gott im Leben Dinge verändern kann und will - und vor allem auch durch uns! Entspannend und herausfordernd: Jesusnachfolge für Normale!

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© 2015 SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 58452 WittenInternet: www.scmedien.de; E-Mail: [email protected]

Die Bibelverse wurden, soweit nicht anders angegeben, folgenden Ausgaben ent-nommen: Neues Testament und Psalmen: Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung. Copyright © 2009 Genfer Bibelgesellscha�, CH-1204 Genf. Wiedergegeben mit der freundlichen Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten

Altes Testament: Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellscha�, Stuttgart

Weiter wurden verwendet:

Elberfelder Bibel 2006, © 2006 im SCM-Verlag GmbH & Co. KG 58452 Witten. (ELB)

Ho�nung für alle®, Copyright © 1983, 1996, 2002 by Biblica, Inc.®. Verwendet mit freundlicher Genehmigung von fontis Brunnen Basel (HFA)

Umschlaggestaltung und Satz: Yellow Tree – Agentur für Design und Kommunikation, www.yellowtree.deDruck und Bindung: Finidr s.r.o.Gedruckt in TschechienISBN 978-3-417-26723-5Bestell-Nr. 226.723

Der SCM Verlag ist eine Gesellscha� der Sti�ung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Sti�ung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher

Bücher, Zeitschri�en, Filme und Musik einsetzt.

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INHALT

0 DAS VORWORT ........................................ 7

1 DIE EINBAHNSTRASSE ............................ 13

DAS ÄTHIOPIEN-ERLEBNIS .......................................... 15DIE NATHANAEL-FRAGE .............................................. 22DIE BETROFFENHEIT ..................................................... 26

2 DER ZWEIDRITTEL-JESUS ......................... 33

DER PROZENTGLAUBE .................................................. 35DAS GOTTESBILD ............................................................. 40DAS GEHEIMNIS ............................................................... 48

3 DIE NACHFOLGE .................................... 55

DIE RICHTUNG ................................................................. 60DAS JA .................................................................................. 64DIE BEZIEHUNG ............................................................... 71

4 DAS PREISSCHILD .................................. 80

DER KOSTENVORANSCHLAG ...................................... 81DIE BILLIG-GNADE ......................................................... 86DER GEWINN .................................................................... 90

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5 DIE SPANNUNG .................................... 98

DAS ZWEI-BEINE-EVANGELIUM ................................ 99DAS ENTWICKLUNGSQUADRAT .............................. 103DER ANTRIEB .................................................................. 110

6 DER GOTTESHORIZONT ...................... 114

DAS HELDEN-DILEMMA ............................................. 116DAS REBELLENHERZ .................................................... 122DER „DAS VERÄNDERT ALLES“-MOMENT ........... 128

7 DER UNFERTIGE I ................................ 136

DIE FROMM-VERKLÄRUNG ....................................... 138DAS WAHRWERDEN ..................................................... 154

8 DER UNFERTIGE II ............................... 159

DAS „ALTER BOPPI, NEUER BOPPI“-PRINZIP ....... 160DIE SCHWEINEHUND-ADLER-PERSPEKTIVE ...... 166DER ZEITFAKTOR .......................................................... 174

9 DER WIDERSTAND .............................. 180

DAS DRANBLEIBEN ....................................................... 182DER AN-DEINER-SEITE-GOTT ................................... 186DIE AUSREDE .................................................................. 189

10 DER EINSATZ ...................................... 195

DIE BEREITSCHAFT ....................................................... 196DAS COMMITMENT ...................................................... 203DER GEHORSAMS-MUT ............................................... 212

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11 DIE „WAS NUN?“-FRAGE .................... 220

DIE SENDUNG ................................................................. 220DAS VISIONS-BÄUMCHEN .......................................... 227DER FERTIGMACHER ................................................... 232

ANMERKUNGEN ..................................... 237

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DAS VORWORT

Ich bin ganz normal. Ich habe eine Minderbegabung, wenn es darum geht, mehrere Sachen gleichzeitig zu machen, habe deinen Namen, drei Sekunden nachdem du ihn mir genannt hast, auch schon wieder vergessen, habe keine Ahnung von der Marke und der Farbe des Autos meines Nachbarn, reagiere um 2 Uhr nachts nicht immer extrem liebevoll auf überraschend originelle Wachphasen meiner vier kleinen Töchter, habe eine Schwäche beim Kleiderkombinieren, weshalb ich mich meis-tens einfach des obersten Shirts auf dem Stapel bediene, werde unausstehlich und san� aggressiv bei einem Hungerast, lebe seit mehr als dreieinhalb Jahrzehnten mit dem asymmetrischen Gesicht, das mich jeden Morgen verschlafen aus dem Spiegel grüßt, kann unterwegs vom Esstisch zur Küche bereits wieder vergessen haben, warum ich eigentlich unterwegs bin, brauche mindestens doppelt so lang wie meine Frau Tamara, wenn es um den Abwasch geht, habe die Fähigkeit, jegliche Art von zwi-schenmenschlichen unterschwelligen Kon�iktsituationen aus-zublenden, lasse regelmäßig den Abfall überquellen, bin kein sonderlich gutes Vorbild in Sachen Gemüse-und-gesund-Es-sen, kann bei Ballsportarten ziemlich verbissen werden, habe beim Zubettgehen o� trotz Zähneputzen noch Mundgeruch – behauptet jedenfalls meine Frau –, muss mir von meinen vier Mädchen erklären lassen, welche Kleidungsstücke zu welcher Tochter gehören, kann laut singen, aber nicht richtig, und vieles mehr, um nur einen kleinen Einblick in die „Hall of Fame“ mei-ner Unfertigkeiten zu gewähren. Dummerweise habe ich den Fehler gemacht, meine Frau und die besten Freunde zu fragen, ob ihnen vielleicht zufällig noch etwas Weiteres in den Sinn käme – deren Listen wurden endlos lang, ganz zur Belustigung von ihnen. Ich bin normal. Nicht trotzdem, sondern deshalb.

Auch du bist normal. Du kriegst zwar nicht alles so auf die Reihe, wie du willst, hast Eigenheiten, die es nicht unbedingt bräuchte – vor allem nicht nach Meinung der Menschen um

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dich herum –, bist ausgestattet mit ein paar Ecken und Kan-ten ... aber du bist normal. Vielmehr: Genau deshalb bist du normal. Dass du nicht alles sauber hinkriegst, hat schlicht und einfach damit zu tun, dass du unfertig bist.

Wenn du an dieser Unfertigkeit zu knabbern hast, weil du den eigenen Ansprüchen oder den Ansprüchen anderer nicht gerecht wirst und deshalb immer wieder mit dem eigenen Versagen konfrontiert wirst, darfst du dich entspannen! Es ist alles okay mit dir; Gott kann mit deiner Unfertigkeit ganz gut umgehen. Dieses Buch will dir dabei helfen, alle „Ich bin zu schlecht für die Jesus-Nachfolge“-Blockaden zu entfernen. Ich wünsche dir, dass dich das Lesen entspannt. Einerseits. Es soll dich jedoch gleichzeitig auch aufrütteln und bewegen.

Wenn du nämlich mit sehr viel Selbstbewusstsein ausge-stattet bist, dann gehen deine Gedanken vielleicht eher in die Richtung: „Gott hat irgendwie schon Schwein gehabt, dass er mich gekriegt hat.“ So habe ich lange Zeit gedacht. Natürlich hätte ich das weder so formuliert noch war ich mir dieser Tatsache wirklich bewusst. Auch habe ich meine Fehler und Unzulänglichkeiten, meine Unfertigkeit, sehr wohl gesehen – nur hatte ich die „Es ist schon alles okay mit meinem Glau-ben“-Decke darübergeworfen. Bis ich vor einigen Jahren bei meiner Äthiopien-Reise eine Linie überschritt, hinter der es kein Zurück mehr gab. Meine Okay-Decke wurde weggeris-sen. Das war wohltuend und unbequem zugleich.

Wenn du es gerne bequem magst, dann kauf dir ein Kissen und meditier über der Musterung deiner Bettde-cke. Das hier ist kein Kissen. Es ist ein Buch. Eines, das den Bequemlichkeitsfaktor einer Kaktusmat-ratze hat. Ich bete, dass es für dich ebendiese Linie auf den Boden zeichnet und dich herausfordert, den Schritt darüber hinaus zu wagen. Ganz egal, ob du dich dazu gemütlich in Bewegung setzt, dich heroisch-naiv darüber wirfst oder dich auch ein-fach vorwärtsfallen lässt – das ist rein eine Frage

DAS HIER IST KEIN KISSEN.

ES IST EIN BUCH. EINES,

DAS DEN BEQUEMLICH-KEITSFAKTOR

EINER KAK-TUSMAT-

RATZE HAT.

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deiner Persönlichkeit. Ich wünsche mir, dass du in deinem Leben die Dimension des Glaubens als Nachfolge ganz neu entdeckst und umarmst.

Uns zieht es von Natur aus in der Regel mehr zum Beque-men hin, und wir versuchen, das Leben in ein angenehmes Gleichgewicht zu bringen. Natürlich ist das nicht grundsätz-lich falsch, aber Gleichgewicht bedeutet o� auch Stillstand, und spätestens seit meinem naturwissenscha�lichen Studium ist mir klar, dass Stillstand in Systemen mit Leblosigkeit und Tod verbunden ist. Und Langeweile. Schließlich quengeln mir meine vier Mädels nicht die Ohren voll, dass sie auf die Schaukel wollen, um dort ein-fach ein bisschen zu sitzen. Sie wollen schaukeln und mit den Zehenspitzen ein paar Wolken vom Himmel kratzen. Erst wenn die Schaukel in Be-wegung ist, macht Schaukeln auch wirklich Spaß. Beim Glauben an Gott ist das genauso. Einfach nur friedlich glaubend dasitzen wird ganz schnell langweilig. Das, was den Glauben attraktiv macht, ist die Bewegung. Und ge-nau von solch einem Glauben redet Jesus, wenn er uns au�or-dert, ihm nachzufolgen.

Viele Bücher über Nachfolge haben mich inspiriert, aber mindestens ebenso viele haben mich auch san� frustriert zu-rückgelassen, weil die Inhalte in meinem Alltag schlicht nicht umsetzbar und lebbar waren. Seit Jahren macht mich die Tatsa-che betro�en, dass sich in Europa die Schere zwischen Glauben und Nachfolge permanent weiter ö�net. Wir lesen im Neuen Testament von einer Nachfolge, die mit Verzicht und Leiden verbunden ist, und hören von den geschätzten 100 Millionen Christen weltweit, die aufgrund ihres Glaubens verfolgt wer-den. Bei uns hingegen hat sich in der Regel eine Vorstellung von Christsein entwickelt, bei der Gott uns schmerzfrei alle Segnungen zukommen lässt. Ganz im Stile einer geistlichen PDA-Spritze bei Geburten. Nur dass so eine Spritze im Glau-bensbereich nicht existiert. Echtes, pulsierendes geistliches Le-

EINFACH NUR FRIEDLICH GLAUBEND DASITZEN WIRD GANZ SCHNELL LANGWEILIG.

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ben beginnt o� erst dort, wo die eigene Komfortzone au�ört. Und das kann schmerzha� sein, o� auch einfach unbequem.

Du kannst mir glauben: Ich bin alles andere als ein verkapp-ter Leidensfanatiker. Meine Schmerzerträglichkeitsgrenze liegt nur knapp über der Qual, die ein entzündetes Fingernagelhäut-chen auslöst. Und das gilt nicht nur körperlich – deshalb habe ich mir unzählige Schmerzvermeidungstaktiken angewöhnt. So macht mein Zwöl�ngerdarm immer leicht die Faust, wenn eine DVD mit dem Genre „Drama“ daherkommt. Ein Happy End löst bei mir jedoch Glückshormone aus wie eine Badewan-ne voller Haselnüsse bei einem Eichhörnchen. Dennoch bin ich überzeugt: Glaube bedeutet Nachfolge. Und an der Nachfolge hängt ein Preisschild. Wir tun gut daran, es wieder dranzuhän-gen, wenn wir es versehentlich weggerissen haben.

Nebst dem fehlenden Preisschild haben wir auch verschie-dene andere, scheinbar gute Gründe, dieser Nachfolge nicht Folge zu leisten. Vielleicht bist du bei der Au�orderung von Jesus in einer der hinteren Reihen gestanden und dir ziemlich sicher, dass er nicht dich, sondern die Person schräg vor dir angeschaut hat. Oder du guckst dein Leben mit all seinen Fle-cken an und bist überzeugt, dass er ganz bestimmt nicht dich gemeint haben kann. O� aber ist Nachfolge auch einfach an-strengend. Und da du allergisch auf Schweißgeruch reagierst und Gott dich im Zeitalter der Gnade doch sowieso liebt,

bleibst du auf deiner Schaukel sitzen, ohne all das Hin und Her.

Genau deshalb birgt das Papier zwischen diesen Buchdeckeln eine starke Botscha�. Sie soll dich, wie gesagt, durchaus entspannen, weil du merkst, dass alles okay ist – wir alle sind unfertige Menschen. Und während du dann so ganz relaxt daliegst, soll sie dich wohltuend unbequem aus dem Gleichge-wicht bringen und von der Bettkante stoßen. Ge-nieß beides, und achte auf das, was Gott in und mit deinem Herzen tun will.

MEINE SCHMERZER-

TRÄGLICH-KEITSGRENZE

LIEGT NUR KNAPP ÜBER

DER QUAL, DIE EIN ENTZÜN-

DETES FIN-GERNAGEL-HÄUTCHEN

AUSLÖST.

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Die Seiten in deinen Händen sind ein feuriges Plädoyer für die Unfertigkeit – aber keinesfalls im Sinne einer Legitimation oder einer Bagatellisie-rung der Sünde, sondern vielmehr eines Befrei-ungsschlags, als Erlöste zu leben. Mein Wunsch ist, dass dich meine Gedanken und persönlichen Er-lebnisse von falschem Druck und Schuldgefühlen befreien und dir helfen, in eine authentische, be-geisterte Jesusnachfolge hineinzu�nden. Am Ende stehen die Überzeugung und die ungebrochene Ho�nung, dass Gott mit dir und mir als Unfer-tigen, als erlösten Sündern, an sein Ziel kommen wird – und trotz unserer Unfertigkeit liebend gerne mit uns unterwegs ist.

Du bist normal. Unfertig und deswegen normal. Und es ist manchmal ganz unspektakulär, nicht selten aber auch atembe-raubend, diesem Jesus als Normaler nachzufolgen.

Bring deine Schaukel in Schwung!

ES IST MANCHMAL GANZ UN-SPEKTAKULÄR, NICHT SELTEN ABER AUCH ATEMBERAU-BEND, DIESEM JESUS ALS NORMALER NACHZU-FOLGEN.

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1 DIE EINBAHNSTRASSE

Der „Point of no Return“: Das ist ein Moment, der alles verän-dert. Es ist ein Punkt im Leben, an dem es kein Zurück mehr gibt, sondern nur noch ein Vorwärts. Wie bei einer Einbahn-straße. Wenn man da mal eingebogen ist, kann man nicht mehr so einfach wenden. Beziehungsweise kann man natür-lich schon, aber das wird teuer. Mich hat das Abenteuer 700 Schweizer Franken gekostet.

Als ich als Kind unerwartet herausfand, dass das Christ-kindlein, das an Weihnachten den Baum schmückte und die Geschenke brachte, nicht einfach nur Papa als Assistenten hat-te, sondern in Wirklichkeit Papa war, gab es kein Zurück mehr. Oder als ich zufällig auf die ernüchternde Tatsache stieß, dass der Nikolaus dieselben Schuhe trug wie der Freund meiner Eltern. Alles hat sich mit einem Mal verändert. Das ist ähn-lich, wie wenn man auf dem 10-Meter-Sprungturm den Schritt über die Kante wagt – der Point of no Return ist der Moment, in dem es nur noch eine Richtung gibt.

In meinen Teenagerjahren hatte ich die übermütige Idee, im Winter mit einem Lastwagenreifen einen Steilhang run-terzubrettern. Beim Aufsteigen auf das Gummiteil war ich noch euphorisch-naiv begeistert. Ein paar Sekunden später – ich befand mich bereits in voller Fahrt und der aufgewirbelte Schnee zuckerte mir mein damals noch bartloses Gesicht – wurde mir schlagartig klar, dass ich ein nicht ganz unbe-deutendes Detail völlig ausgeblendet hatte, nämlich dass es keine Bremse gibt. Ich hätte damals meinen ganzen Papri-ka-Chips-Notvorrat für ein Bremspedal, einen Rettungsfall-schirm oder, noch besser, eine ganze Kiste voller Anker her-gegeben. Aber es gab kein Zurück mehr. Weil der Abhang

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sehr viele Unebenheiten aufwies, kann man sich den unwei-gerlich folgenden und äußerst schmerzha�en Bremsvorgang unschwer ausmalen.

Ähnlich war es damals in Uganda, als wir mit einem bil-ligen ugandischen Schwangerscha�stest herausfanden, dass die üble Kotzerei meiner Frau während der zehnstündi-gen Busfahrt in den Norden weder von den mit Schlaglö-chern übersäten Straßen noch von den lokalen Delikatessen stammte. Mir wurde bewusst: Ab sofort gibt es kein Zurück mehr. Für den Rest meines Lebens werde ich Papa sein. Ein wunderschöner, ehrfürchtiger und gleichzeitig auch san� be-ängstigender Gedanke, dass da etwas Neues heranwuchs, das meine Zukun� de�nitiv und bleibend markant verändern würde. Beim Point of no Return überschreitet man eine Li-nie und sieht Dinge mit einem Mal anders. Als hätte man erst

beim spontanen Aufsetzen einer Brille bemerkt, dass man vorher gar nicht scharf gesehen hat. Etwa so muss es sich wohl auch anfühlen, wenn jemand zum ersten Mal in seinem Leben Schwei-zer Schokolade isst ... Man überschreitet eine Li-nie und kann nicht mehr wirklich zurück. Denn man hat die einzig wahre Schokolade gekostet, hat den kulinarischen Himmel geschmeckt.

Mir bereiten solche Momente, in denen es in meinem Leben plötzlich klar und unwiderru�ich

nur noch in eine Richtung geht, manchmal san�es Unbeha-gen. Aber gleichzeitig zwingen sie mich dazu, ein Ja zum Hier und Jetzt zu �nden und mutig in die Zukun� zu blicken. Und deshalb kann mir eigentlich nichts Besseres passieren. Manch-mal begebe ich mich bewusst in etwas Neues hinein, sehr o� erlebe ich aber auch, dass dieses Neue relativ unerwartet an der Tür klingelt. So wie damals in Äthiopien, weit weg von meinem kuscheligen Zuhause ...

BEIM POINT OF NO

RETURN ÜBERSCHREI-

TET MAN EINE LINIE UND

SIEHT DINGE MIT EINEM

MAL ANDERS.

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HOLZSPLITTER IM FINGER WÜRDE ICH AM LIEBSTEN MIT EINER TEIL-ANÄSTHESIE ENTFERNEN LASSEN.

DAS ÄTHIOPIEN-ERLEBNIS

Dort im Slum hatte ich wohl das he�igste Point-of-no-Re-turn-Erlebnis meines Lebens. Afrika war ein Ort, an den ich nie wollte. Wie bereits im Vorwort geschrieben, bin ich der Typ Mensch, der Leid und Schmerzen eher ausweicht. Boxen wäre kein Sport für mich. Dafür begeistern mich Sportarten wie Volleyball, Badminton und Tennis, wo mich ein siche-res Netz vom Gegner trennt. Man kann sich da höchstens selbst wehtun. Streitigkeiten, Todesanzeigen und Wespen im Spätsommer versuche ich, wenn möglich, zu umgehen, und Holzsplitter im Finger würde ich am liebsten mit einer Teilanästhesie entfernen lassen. Mit Afrika verband ich sehr viel Leidvolles und dieser Kontinent löste deshalb denselben Nicht-zu-genau-hinschauen-Re�ex aus. Mir war klar, dass viele Menschen dort in großer Armut leben, aber ich hatte überhaupt kein Bedürfnis, das aus nächster Nähe ansehen zu müssen. Wahrscheinlich lag es darüber hinaus an meinen unterentwickelten Fremdsprachenfähigkeiten gekoppelt mit der noch dür�iger entwickelten kulinarischen Neugierde. Aber aufgrund einer Leiterausbil-dung im Rahmen von Campus für Christus fand ich mich zu meiner eigenen Überraschung im Flugzeug nach Äthiopien wieder. Alleine der Ge-danke daran, dort Dinge essen zu müssen, die meinen Magen in einen Dauerverdauungs-Zu-stand versetzen würden, bereitete mir Unbeha-gen und präventiven Probedurchfall. Aber ich ließ mich darauf ein. Hauptsächlich, weil mich meine Frau Tamara stark dazu ermutigte. Und mein Magen spielte mit. Unerwartet besser als meine Emotionen. Wie sich zeigen sollte, war diese Reise ein von langer Hand geplantes gött-liches Date mit diesem wunderbaren Kontinent und seinen einzigartigen Bewohnern. Oder korrekter: das Entdecken von Neuland in meinem Herzen.