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Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 1988 Die Heiligen Drei Könige Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

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Untervazer Burgenverein Untervaz

Texte zur Dorfgeschichte

von Untervaz

1988

Die Heiligen Drei Könige

Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

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1988 Die Heiligen Drei Könige René Teuteberg Volkshochschulkurs Liestal Januar 1988

Die Heiligen Drei Könige Geschichte und Legende,

in der Literatur und der Bildenden Kunst.

Dieser Text meines Volkshochschulkurses in Liestal enthält ungefähr den

Wortlaut meiner drei Vorlesungen im Januar 1988. Der ganze

wissenschaftliche Apparat wird auf die Aufzählung einiger Quellen und der

wichtigsten Literatur am Schluss reduziert. Ferner fehlen die den Text

begleitenden vierzig Bilder (Dias) mit den künstlerischen Darstellungen des

Themas. Angesichts dieser Beschränkung gibt das vorliegende Manuskript nur

einen unvollkommenen Eindruck meines Kurses. Den Wunsch einiger

Teilnehmer, die Vorträge noch einmal in Ruhe nachzulesen, wollte ich trotz

meiner Bedenken erfüllen, denn ein solcher Kontakt zwischen Dozent und

Hörern entspricht doch wohl den Ideen der Volkshochschule.

Basel, im Januar 1988 Dr. René Teuteberg

S. 01:

DIE HEILIGEN DREI KOENIGE

GESCHICHTE UND LEGENDE IN DER LITERATUR

UND BILDENDEN KUNST

VHS Liestal: 6. 13. 20. Januar 1988.

Vielleicht haben Sie heute am Dreikönigstag ein Stück Kuchen gegessen und

in Ihrem Bissen eine kleine Figur gefunden, die Sie zum "König" des Tages

bestimmt hat. Früher befand sich in manchen Gegenden Deutschlands eine

Bohne im Kuchen, die den Betreffenden zum "Bohnenkönig" machte. Er

wurde gefeiert, in die Höhe gehoben und zeichnete mit Kreide ein Kreuz an die

Diele. Der Tag endete mit einem Fest recht ausgelassen, worauf vielleicht (!),

der Ausdruck: Das geht über das Bohnenlied, zurückgeht.

Der Königskuchen ist, wie mir scheint, in unsern reformierten Gegenden noch

der einzige Brauch, der den Alltag des 6. Januar bereichert. Ein anderer Brauch

am Dreikönigstag, das "Sternsingen", das Umherziehen von jungen

verkleideten Burschen, die singend betteln und belohnt werden, ist neuerdings

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sogar wieder mancherorts neu aufgelebt. Wie kürzlich in der "Basler Zeitung"

zu lesen war, ist er auch in Arlesheim nach einem Unterbruch wieder

eingeführt worden. Die Geschichte hat mich amüsiert, den das gleiche

ereignete sich schon vor 200 Jahren: im Herzogtum Weimar verbot 1780 die

Obrigkeit, des Unfugs wegen, das öffentliche Sternsingen. Die Hofgesellschaft

verlegte die Maskerade darum ins Hoftheater, für die der Hofdichter ein

längeres Gedicht reimte, das mit dieser Strophe anfängt:

"Die heiligen drei König / mit ihrem Stern,

Sie essen, sie trinken und bezahlen nicht gern

Sie essen gern, sie trinken gern,

sie essen, trinken und bezahlen nicht gern."

Diese billige Reimerei trägt den Titel "Epiphanias" und stammt - wer hätte es

gedacht? - vom Hofdichter J. W. Goethe. Nun 40 Jahre später, 1821,

beschäftigt sich Goethe wieder mit der Dreikönigsgeschichte und davon ist

später etwas Erfreulicheres zu berichten.

Doch trotz den Erneuerungsbewegungen ist dies alles nur noch magerer

folkloristischer Rest eines einst die Menschen religiös bewegenden

Brauchtums und er ist häufig überdies mit den Silvesterbräuchen

zusammengelegt. Einst gingen die Drei Könige übers Feld, weihten die

Früchte, die Häuser, die Ställe - und das tat man von den Niederlanden bis in

die südlichen Alpen - brachten an den Türen die Buchstaben C. M. B. mit

geweihter Kreide an. Vor und nach den Buchstaben wurde die Jahreszahl, also

17 C. M. B. 80 geschrieben, man konnte also die Wirkungsdauer kontrollieren

und die Zeichen erneuern, denn die Handlung hatte einen tieferen Sinn. Die

Buchstaben hatten eine apotropäische Bedeutung, sie sollten die Dämonen

abhalten ins Haus oder in den Stall zu dringen. (Eine andere Deutung der drei

Buchstaben ist vielleicht richtiger: Christus mundum / mansionem benedicat).

Nun war bekanntlich keine Epoche so von Dämonen geplagt wie das

Mittelalter (ja noch lange darüber hinaus). In der Angst vor den Dämonen rief

das Volk unter Zustimmung der Kirche nach

S. 02: den hilfreichen und bewahrenden Heiligen, und wenige Heilige wurden sooft

bemüht wie die Drei Könige, denn sie waren doch selbst als Magier, d.h. als

Zauberer seit frühchristlicher Zeit verehrt worden.

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Wer nun aber als Mensch eines aufgeklärten Zeitalters stolz behauptet, wir

hätten keine Angst vor Dämonen, wird nicht bestreiten, dass an ihrer Stelle

andere "Ängste" getreten sind.

Zwar rufen wir nicht mehr die Heiligen an, sondern suchen Beruhigung bei den

Fachleuten, den Spezialisten der Technologie, den "Hexenmeistern" der

Neuzeit.

Die volkskundlichen Handbücher berichten noch von einem andern

Wirkungskreis der Drei Könige. Bis weit in die Neuzeit hinein verkaufte die

Kirche, resp. die Mönchsorden, sog. Drei Königs Zettel, ein Stück geweihtes

Papier mit den Namen der Drei Könige. Die Fernreisenden, Pilger, Kaufleute,

nahmen es mit wie wir heute die Reiseversicherung und die Checkkarte. Da die

Drei Könige bekannt waren als ausdauernde und glückliche Reisende, die ihr

Ziel erreicht haben, sind sie die Patrone der Reisenden geworden. In

Frankreich war es üblich, einen Drei Königs-Zettel in die Schuhe zu legen, was

auf einer Fusswanderung vor Ermüdung schützen sollte. Lächerlich? Gewiss

weniger schädlich als die heutigen Dopingmittel, denn der Glaube macht auch

in einem guten Sinn selig. Aus dem Aargau wird uns einer der vielen Bitten

um Reisesegenüberliefert:

" Jesus, Maria und Joseph sei vor

Kaspar, Melcher und Balthasar sei hinter mir,

die heilige Dreifaltigkeit sei über mir."

Andernorts wird gereimt gebetet:

Ich trete über das Geschwell Schwelle)

die hl. Drei Könige seien meine Weggesell.

Als Patrone der Gastwirte sind die Drei Könige schliesslich die Ursache,

weshalb viele Gasthöfe Namen wie "Drei Könige, Zum Mohren, Zum Stern,

Zur Krone" tragen.

Ein weiteres Überbleibsel des Drei König Kults ist der Aufzug der drei

orientalisch gekleideten Männern in den Krippenspielen, wie sie in ländlichen

Gegenden, an den sog. Schulweihnachten, noch zu sehen sind. Auch dies nur

noch ein kläglicher Rest jener grossen Magierspiele, deren Texte und

Regieanweisungen wir noch kennen. Sie entstanden im 11. Jh. in Frankreich

und sind bis ins 16. Jh. mit Pomp inszeniert worden.

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Die Drei Könige betraten mit Gefolge durch verschiedene Eingänge die

Kirchen, goldene Kronen auf dem Haupt, goldene Becher in den Händen,

folgten einem Stern in den Chor und legten ihre Gaben auf dem Tisch des

Hochaltars nieder.

Solche grossen Auftritte der Drei Könige sind verschwunden, nur noch in einer

etwas boshaft gesagt vermarkteten Form treffen wir die Drei heute in

vorweihnachtlicher Zeit, z.B. in Basel auf dem Claraplatz, als verkleidete

Schaufensterdekorateure. Doch da sie Geld für einen guten Zweck sammeln,

duldet sie jedermann, vielleicht sogar ohne die Hintergründe der Szene zu

ahnen.

Ein letzter volkstümlicher Brauch sei noch abschliessend erwähnt: Die

Weihnachtskrippen in den Haushaltungen oder grossformatig in den

katholischen Kirchen. Wie Ochs und Esel gehören dazu die Drei Könige. Die

Figuren werden immer kostbarer. In einer Basler katholischen Kirchgemeinde

ist man im Begriffe, neue fast meterhohe Figuren der Drei Könige für eine

hohe Summe Geld in Frankreich herstellen zu lassen, um sie neben eine alte

Krippe zu stellen.

S. 03: Soviel zum Brauchtum oder präziser gesagt, zum volkstümlichen christlichen

Glauben!

Nun stösst jeder Kunstfreund, der heute mit mehr oder weniger Ausdauer die

Kirchen Europas durchstreift - es sind Legionen in der Reisezeit - auf hunderte,

ja Tausend Darstellungen der Drei Könige. Er steht vor ihnen in den

Portalhallen der Kathedralen, sieht sie auf Altarbildern, entdeckt sie an den

Rückwänden des Chorgestühls, und wenn er noch in einem der einst den

Kirchen gehörenden Liturgiebücher (heute nur in den Museen schwer

zugänglich) blättern könnte, fände er sie auf herrlich gemalten Miniaturen.

Woher kommt das alles, fragen wir zunächst? Sie wissen es! Zu Grunde liegt,

gleichsam als Urfassung der Geschichte das 2. Kapitel des Matthäus

Evangeliums mit den Versen 1-12. Sie lauten in der vertrauten Übersetzung

Luthers:

1 Da Jesus geboren war zu Bethlehem im jüdischen Land, zur Zeit des Königs

Herodes, siehe, da kamen die Weisen vom Morgenland gen Jerusalem und

sprachen:

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2 Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen

im Morgenland und sind gekommen ihn anzubeten.

3 Da das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem.

4 Und liess kommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten unter dem Volk

und erforschte von ihnen, wo Christus sollte geboren werden.

5 Und sie sagten ihm: Zu Bethlehem im jüdischen Land, denn also steht

geschrieben durch den

6 Propheten: "Und du Bethlehem im jüdischen Lande bist mitnichten die

kleinste unter den Fürsten Judas, denn aus dir soll mir kommen der Herzog, der

über mein Volk Israel ein Herr sei."

7 Da berief Herodes die Weisen heimlich und erlernte mit Fleiss von ihnen,

wann der Stern erschienen wäre,

8 und wies sie gen Bethlehem und sprach: Ziehet hin und forschet fleissig nach

dem Kind lein, und wenn ihr's findet, so sagt mir's wieder, dass ich auch

komme und es anbete.

9 Als sie nun den König gehört hatten, .zogen sie hin. Und siehe, der Stern,

den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen hin, bis dass er kam und

stand oben über, da das Kindlein war.

10 Da sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut

S. 04: 11 und sie gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner

Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten Schätze auf und

schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.

12 Und Gott befahl ihnen im Traum, dass sie sich nicht sollten wieder zu

Herodes lenken, und sie zogen durch einen andern Weg wieder in ihr Land.

So der Text Luthers aus dem Jahr 1521. Fast 1500 Jahre aber las ihn der

Priester in einer andern Sprache: nämlich lateinisch, in der Übersetzung des

NT von dem grossen Kirchenlehrer Hieronymus (340-420). Der erste Vers

unseres Textes lautet dort so:

" Cum ergo natus esset Jesus in Bethlehem in Judaea in diebus Herodis regis

ecce magi ab Oriente venerunt Hierosolymam dicentes …"

Die Urtexte aber, die Hieronymus benützte, waren bekanntlich griechisch

geschrieben. Ich zitiere den ersten Vers, weil hier sprachlich besser hörbar

wird, was nachher zur sachlichen Deutung der Geschichte helfen kann.

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Das ist also der Text, in der Sprache, wie er um 80-90 im 1. Jh. nach Chr.,

vermutlich in Syrien, in einer judenchristlichen Gemeinde geschrieben worden

ist. Die Frage nach dem Verfasser beantwortet ein neues wissenschaftlich-

theologisches Werk lakonisch: "Der wirkliche Verfasser des 1. Evangeliums ist

völlig unbekannt." Aber dies hat die Künstler während 1500 Jahren nicht daran

gehindert, den Evangelisten Matthäus zu malen. (Bild des schreibenden

Matthäus aus Perikopenbuch (=Bibeltexte) des Kaisers Heinrich. II.) Ein

anderes grossartiges Bild hängt im Louvre in Paris, ein Werk Rembrandts: ein

Brustbild des Matthäus frontal gesehen, der herrliche Kopf eines alten Mannes

mit zerfurchter Stirn, und über seine rechte Achsel guckt ein lieblicher

Engelskopf.

Gerne möchte man, wie dieser Engel, dem schreibenden Matthäus über die

Achsel schauen, ins Manuskript und fragen: woher hast du diese Geschichte

von den Magiern eigentlich? Wenn sie sich zur Zeit der Geburt Jesu ereignet

hat, dann liegt sie doch weit zurück. Aber Matthäus bleibt stumm, realer

gesagt: man findet nirgends was bei antiken weltlichen Autoren möglich ist

unmittelbare Quellen, welche die Vorgeschichte des Evangelientextes erhellen.

Der Text liegt da wie ein erratischer Block in einer ganz anderen Landschaft.

S. 05: Nun gibt es zwei Verhaltensweisen der Leute, die sich mit dem 2. Kapitel

Matthäus zu beschäftigen haben. Die eine besteht zu fragen: was sagt dieser

Text unserer christlichen Gemeinde, unserer Kirche? Man nennt dies

Auslegung = Exegese oder Homiletik. Seit den frühesten Exegeten, z.B. einem

Origines (~185-254) bis auf den heutigen Tag geschieht dies immer wieder.

Davon später mehr.

Zuerst beschäftigen wir uns mit der zweiten Verhaltensweise, also mit jenen

Theologen und Kirchenhistorikern der neueren Zeit, die fragen: wie ist diese

Geschichte entstanden? Die sog. kritisch historische Bibelwissenschaft

versucht seit bald 200 Jahren darauf zu antworten.

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Natürlich geht die protestantische Bibelwissenschaft, die z.T. von der

Aufklärung herkommt, viel radikaler mit der Drei Königs Geschichte um als

die katholische, die noch, wenigstens zum Teil, an der Geschichtlichkeit, d.h.

an einem zugrunde liegenden historischen Ereignis der Magiergeschichte

festhält. (Man vergleiche dazu etwa die verschiedenen Lexika der Kirche und

Theologie.) Die Protestanten sprechen offen von einer Legende, was heisst,

dass sich um einen vielleicht historischen Kern die Phantasiegebilde gerankt

haben, welche die Volksfrömmigkeit widerspiegeln. In dieser Richtung sind

tätig gewesen grosse Namen der protestantischen Theologie: z.B. ein Friedrich

Schleiermacher, ein Wilhelm De Wette, ein David Friedrich Strauss, ein

Robert Bultmann und andere neuere Theologen.

Ich schildere einen solchen Erklärungsversuch als Beispiel der sog.

vernünftigen Theologie, die alles Wunderbare für unmöglich hält und auf

natürliche Weise erklären will. Die Magiergeschichte etwa so: Arabische

Kaufleute sind auf dem Handelsweg ans Mittelmeer zufällig nach Bethlehem

gekommen, hörten von der Geburt eines Kindes in einer armen Familie,

suchten es auf und liessen Geschenke zurück. Viele Jahre später erinnerte man

sich in der Überlieferung der christlichen Gemeinde jenes seltsamen Besuchs,

das beschenkte Kind war ihr Meister geworden, man deutete die Kaufleute in

Sterndeuter um. Dies also eine natürliche Erklärung, wie sie vor allem das 19.

Jh. liebte. Ein solcher Interpret hat freilich übersehen, was Matthäus am

wichtigsten hält: die Sterngeschichte. "Wir haben einen Stern gesehen", sagten

die Weisen aus dem Morgenland. Er setzte sie in Bewegung.

Das Sternmotiv hat den Auslegern schon immer Mühe bereitet. War es ein

Wunder? Oder gab es eine wirkliche, aber ungewöhnliche

Himmelserscheinung, welche die Sternkundigen in Bewegung setzte?

Zunächst ein Wort über die Sternkunde und die Bedeutung der Sterne im

römisch-griechischen-hellenistischen Zeitalter, in dem die Evangelien

geschrieben wurden. Für viele Menschen stand damals fest: bei der Geburt

eines grossen Mannes, etwa Alexander des Grossen, oder beim Tod eines

solchen, etwa bei Julius Caesar wurden seltsame Himmelserscheinungen

beobachtet. Ein ganzes Bündel von Himmelserscheinungen und

ungewöhnlichen Naturereignissen liefern die antiken Erzähler anlässlich der

Geburt des Octavian, des späteren Kaisers Augustus.

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Ein guter Kenner der geschichtlichen Situation um die Zeitwende meint: "In

jeder antiken Menschenseele wohnte das Bedürfnis, sich zum gestirnten

Himmel zu erheben und von ihm sich Rat zu holen."

S. 06: Die Urheimat der Sternkunde lag allerdings nicht im Mittelmeergebiet,

sondern weit östlich im alten Babylon. Dort besass man schon Jahrhunderte

vor Christus ein hohes Wissen in der Astronomie. Man verfolgte unablässig

auf Sternwarten die Himmelserscheinungen. Nach einem entzifferten

babylonischen Sternkalender sind sie fähig gewesen, sogar die Bahnen der

Planeten zu berechnen. So sollen sie z.B. gewusst haben, dass sich der Planet

Jupiter und der Planet Saturn im Sternbild der Fische begegnen. Nach

Matthäus fragen die Weisen in Jerusalem nach dem König der Juden: "Wir

haben seinen Stern gesehen". Wieso beziehen sie diese Himmelserscheinung

gerade auf den König der Juden? Die moderne Wissenschaft gibt dafür eine

Erklärung. Bei den Babyloniern hatten die Sternbilder geographische

Bedeutung: das Tierkreiszeichen der Fische stand für Palästina, der Planet

Saturn galt als Schutzgott Israels, sein Zusammentreffen mit Jupiter konnte nur

einen Herrscher in Israel weissagen. Diesen astronomische Erklärungen, die

ich nicht beweisen oder anfechten kann, darf ich noch historische

Überlegungen beifügen. Sie erinnern sich vielleicht noch an den biblischen

Unterricht. Im 6. Jh. v. Chr. sind die Juden, genauer nur die Oberschicht, nach

Babylon verschleppt worden und sassen 50 Jahre in der "babylonischen

Gefangenschaft". Das Buch Daniel im AT erzählt davon. Einst hatte der König

Nebukadnezar einen schrecklichen Traum und der jüdische Jüngling Daniel

deutete diesen Traum und endet die Weissagung so: "Der Gott des Himmels

wird ein Königreich aufrichten, das nimmermehr zerstört wird ... es wird alle

Königreiche zermalmen, aber es selbst wird ewiglich bleiben." (Daniel 2,44)

Aus Bewunderung für die Deutung des Traums beschenkte der König Daniel

reich ..." und setzte ihn zum Obersten über alle Weisen zu Babel." (Vers 48).

Es ist darum möglich, dass im Kreis dieser "Weisen" die starke jüdische

Messiashoffnung, das Kommen eines grossen Königs, ins Grundwissen

aufgenommen worden ist. Als dann die seltene Sternkonjunktion Tatsache

wurde, lag die Deutung bereit, das Signal von dem ungewöhnlichen Herrscher

war gegeben. Tatsache, - sagte ich soeben. Ja, Sie haben richtig gehört. Der

grosse Astronom Johannes Kepler (1571-1630), der Entdecker der

Planetenlaufbahn, beobachtete eine Zusammenkunft von Jupiter und Saturn im

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Dezember 1603, dank seinen Berechnungen konnte er nachweisen, dass die

gleiche Konjunktion schon früher stattgefunden hatte, aber nicht im Jahr 1,

sondern im Jahr 7 v. Chr.

Nach diesem Exkurs in die Astronomie noch einige Bemerkungen zum andern,

in der Wissenschaft diskutierten Thema: den Magiern. Auffallenderweise

brauchen die deutschsprachigen Bibelübersetzer seit Luther dieses Wort nicht.

Uns erinnert das Wort vielleicht zu stark an Zauberer = magische Künste. Im

weitesten Sinne versteht man unter den Magiern babylonische oder persische

Astrologen. Die Wissenschafter streiten um die Herkunft der Magier im

Matthäus Evangelium, persische Magier wären dann Anhänger der Lehre des

Zarathustra gewesen, babylonische, solche des Mythraskultes, der im 1. Jh.

unserer Zeitrechnung stark verbreitet war. Lassen wir alle die spekulativen

Gedanken darüber, wie die Magiergeschichte entstanden sein könnte. Die

Grundfrage blieb und bleibt unbeantwortet: was der Autor Matthäus gewusst

hat, erfährt man nie, was er gewollt hat, dies haben die Exegeten verkündigt.

S. 07: Ich komme zur zweiten Verhaltensweise: wie erklären die Prediger der

christlichen Gemeinde das Kap. 2 des Matthäus Evangeliums. Seit bald 2000

Jahren predigen sie über diesen Text. Man kennt viele solcher Predigten aus

der berühmten Sammlung des Paters J. P. Migne. Sie umfasst in 221 Bänden

die vorhandenen Predigten "von der Zeit der Apostel bis zur Zeit Innocents III.

(um 1200) ". Hier findet man den berühmtesten Prediger des christlichen

Abendlandes den Kirchenvater Aurelius Augustin (354-430). Augustin hielt

die Predigten über Matthäus 2 jeweils am 6. Januar, am Epiphaniefest. Ich

muss das Wort erklären. Die römische Kirche kennt in ihrem Messbuch, das

die Liturgie für kirchliche Feste enthält, kein Dreikönigsfest. Das Messbuch

erklärt das Epiphaniefest so: "Epiphanie ist das Fest der Erscheinung, das

Offenbar werden des Gott-Königs Christus. Drei Offenbarungen werden an

diesem Tag gefeiert: die Anbetung der Weisen aus dem Morgenland, die

Verkündigung durch den Vater bei der Taufe Christi, und die Offenbarung der

Herrschermacht Christi über die Elemente (gemeint ist die Verwandlung von

Wasser in Wein auf der Hochzeit zu Kanaan).

Und nun hören wir Augustin. "Erst vor wenigen Tagen haben wir den

Geburtstag des Herrn gefeiert, am heutigen Tag aber feiern wir mit nicht

geringerer Festlichkeit den Anfang seiner Offenbarung unter den Heiden. An

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jenem Tag (Weihnachten) sahen den Geborenen die jüdischen Hirten, heute

kommen die Magier aus dem Orient (magi ex orientes), um ihn anzubeten.

Denn es war geboren jener Eckstein, jener Friedensvermittler zwischen den

beiden Scheidewänden derer, die von den Juden und den Nichtjuden

herkamen, damit sie durch den verbunden würden, der beide vereinigt hat….

Dies wird durch die jüdischen Hirten und durch die heidnischen Magier

vorausgesagt. So begann, was in der ganzen Welt Früchte tragen und wachsen

sollte. Lasset uns also diese beiden Tage, den Tag der Geburt und den Tag der

Offenbarung unseres Herrn, mit der Freude des Geistes und in Dankbarkeit

begehen." Der Hauptgedanke, den Augustin in diesen Predigten entwickelte,

ist folgender: die Juden kennen zwar den Ort der Geburt Jesu, aber sie brechen

nicht auf, um zu huldigen, die heidnischen Magier aber finden ihn und freuen

sich. Darum sind sie "die Erstlinge unter den Heiden" (primitiae gentium) und

wir - so Augustin - sind "das Volk der Heiden" (populus gentium). Damit hatte

Augustin das Höchste und Reifste über die Magiergeschichte formuliert.

Augustin starb während der Belagerung seiner Bischofsresidenz Hippo in

Nordafrika durch die Vandalen. Die Völkerwanderung hatte eingesetzt,

germanische Stämme überfluteten das Mittelmeergebiet. Und die nördlich der

Alpen gebliebenen mächtigen Völker der Franken und Sachsen wurden

christianisiert: die Franken durch Chlodwig, die Sachsen mit blutiger Gewalt

durch Karl den Grossen. Theologisch hatten die Geistlichen der jungen

Christenvölker der Weisheit der antiken Kirchenväter nicht viel hinzuzufügen.

Vor ihnen lag eine andere Aufgabe: sie mussten der Oberschicht, d.h. dem

aristokratischen Laien das Evangelium in deutscher Sprache so darstellen, dass

es ihrem Lebensstil einigermassen entsprach. In einem grossen Versepos von

6000 Stabreimversen ist dies geschehen. Um 830 schrieb ein unbekannter

niedersächsischer Mönch (vielleicht in Corvey) auf Wunsch des Kaisers

Ludwig des Frommen den "Heliand" (der Heiland). Er erzählt

S. 08: die Magiergeschichte ausführlich, aber sie ist in ein germanisches Gewand

gesteckt worden. Aus den biblischen Magiern sind im Heliand "hochbegabte,

schnelle Degen" geworden, "fahrtenmüde Männer", "gangmüde Gäste", die

"auf waldigen Wegen" (!) nach Jerusalem gekommen sind. In einem langen

Gespräch mit Herodes beantworten sie seine Fragen nach dem Grund ihrer

Reise so:

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S. 09: Nun kennt man die Quellen des Helianddichters im 9. Jh. und weiss, wer der

"Ahn im Osten" gewesen ist, kein jüdischer, sondern ein heidnischer Prophet,

und dies ist kein anderer als Bileam (Balaam). Nach 4. Mose, 24, 7 verkündigt

er dem König Balak: "Ich sehe ihn, doch nicht schon jetzt / ich erschaue ihn,

doch nicht schon nah, / es geht auf ein Stern aus Jakob, / ein Szepter erhebt

sich aus Israel …" (Bileam, der heidnische Gottesmann, ist im Unterschied

zum oben erwähnten jüdischen Propheten Daniel aus unserm Gesichtskreis

verschwunden, die mittelalterlichen Künstler haben aber die Szene mit

Bileams Esel gelegentlich dargestellt.)

Dieser deutsche Dichter des 9. Jh. bewegte sich stofflich und theologisch noch

auf dem sicheren Boden des Matthäus Evangeliums. Aber im nachfolgenden

Hochmittelalter (nach 1000)wurde unsere Geschichte mehr und mehr zu einer

üppig wuchernden Legende, die am Ende des Mittelalters schon fast einem

Roman an Inhalt und Länge glich. Schliesslich kennt man die ganze

Lebensgeschichte der Könige vor und nach dem Besuch in Bethlehem, und

Namen haben sie natürlich auch bekommen.

Ich wähle nun aus der Fülle der Legenden nur zwei aus. Die erste findet man in

der berühmtesten Legendensammlung des Mittelalters, in der sog. Legenda

aurea des Jacobus de Voragine. Jacobus, ein hochgebildeter Dominikaner,

lebte von 1230-1298 in Genua. Er kannte die ganze altchristliche Literatur,

aber er übte an den alten Texten keine Kritik. Er suchte nach Vorbildern, die er

dem Volk vor Augen stellte. Die Sammlung fand grosse Verbreitung, wurde

bald in alle Nationalsprachen übersetzt, und das Wichtigste: fortan holten alle

bildenden Künstler des Spätmittelalters ihre Vorstellungen, wie Heilige zu

malen seien, aus der Legenda aurea.

Was nun in der Legenda aurea von den Drei Königen erzählt wird, ist ein

wahres Kompendium von allem, was die Kirchenväter und Kirchenlehrer seit

Origines (2. Jh.) bis zu Bernhard von Clairvaux. (12. Jh.) über unser Thema

ausgesagt haben. Die Magiergeschichte befindet sich nicht in einem Kapitel,

sie ist verteilt auf die Kapitel: "Von der Geburt des Herrn", "Von den

unschuldigen Kindlein" und von der "Erscheinung des Herrn" (also

Epiphanie). Und schliesslich erfährt man aus dem Kapitel "Sanct Thomas",

dass dieser Apostel in das Land kam, wo die drei Könige wohnten, sie zum

Christenglauben bekehrte und taufte.

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Was berichtet nun die Legenda aurea noch von den Drei Königen? Sie kennt

ihre Namen, und zwar hebräisch: Appellius, Amerius, Damascus, griechisch:

Galgalat, Magalat, Sarachin, lateinisch: Caspar, Melchior, Balthasar. Ferner

die Könige stammten aus dem Geschlecht Bileams, sie bildeten eine

Zwölfergemeinschaft, von der jeder während eines Monats auf dem Berg des

Sieges (? seinen Namen erfährt man erst in einem späteren Text) sass und nach

dem Stern Bileams spähte. Der Stern erscheint ihnen in Gestalt eines

"wunderschönen Kindes " am Weihnachtstag und daraufhin machten sie sich

auf den Weg. Wie aber konnten sie die mehr als tausend Kilometer lange

Distanz von ihrer Heimat in Persien oder Chaldäa in 13 Tagen zurücklegen?

Die Legenda aurea weiss es: sie benützten nicht Pferde, sondern ein Reittier,

das dreimal schneller sei als das Pferd, nämlich Dromedare. Dromedare sei ein

griechisches Wort, behauptet die Legenda aurea und bedeute "Laufekraft"

S. 10: Noch eine weitere bemerkenswerte neue Zutat der Legenda aurea: sie kennt

auch den Heimweg, von dem Matthäus nichts sagt. Die Drei Könige benützten

den Seeweg von Palästina nach Tarsos in Kilikien an der Südküste Kleinasiens

und erst von dort den Landweg nach Osten. Als Herodes nun bald nach der

Geburt Jesu nach Rom zum Kaiser Augustus zitiert wurde übrigens ein

geschichtliches Faktum -, sei er nach Tarsos gekommen und habe aus Wut

über die gelungene Heimkehr der Könige die Schiffe von Tarsos verbrennen

lassen.

Sie sehen: 1200 Jahre nach der Abfassung des Matthäus Evangeliums ist die

Geschichte schon stark gewachsen und sie wird bis ans Ende des Mittelalters

noch einmal wachsen, wie ich am 3. Abend erzählen werde. Den Übergang

zum nächsten Abend gibt uns der letzte Satz des "Epiphaniekapitels" der

Legenda aurea. Dort steht nämlich: "Die Leiber der Könige waren vor Zeiten

zu Mailand in der Kirche, die nun den Predigermönchen gehört, jetzt aber

ruhen sie in Köln." (S. 111)

Das ist doch eine höchst merkwürdige Aussage. Im Urtext des Matthäus

Evangeliums steht kein Name, kein Wohnort, kein Todesdatum, kein

Begräbnisort, aber 1100 Jahre später " ruhen ihre Leiber "wie die Legenda

aurea so schön sagt, in Köln. Tatsächlich: dort in Köln liegen in einem der

prachtvollsten Reliquienschreine, die es in Europa gibt, Gebeine:

Schädelstücke, Zähne, Arm- und Beinknochen ... Eine wirklich seltsame

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Geschichte, über die auch ein moderner Historiker nicht mit einigen ironischen

Bemerkungen hinweg gehen kann. Die Kunsthistoriker befassten sich schon

immer mit den kostbaren Behältern, in denen solche Gebeine aufbewahrt

worden sind, aber nicht mit ihrem Inhalt. Die Sozialwissenschaftler stellen

vielleicht noch die Frage, wer die riesigen Mittel für Gold, Silber, Edelsteine

und die Bezahlung der Künstler aufgebracht habe. Aber mit den Gebeinen ... ?

Wer soll sich damit befassen? Gäbe dies nicht eine Geschichte der

menschlichen Absurdität? Stösst man da nicht auf den "Abfalleimer" der

Weltgeschichte?

Es ist hier eine wichtige Vorbemerkung notwendig! Es ist m.E. ein Irrweg,

danach zu fragen, ob es sich bei den Reliquien um echt oder falsch, möglich

oder unmöglich handelt. Wichtig ist nur die Verhaltensweise der Menschen,

die an die Echtheit und die Wirksamkeit der Reliquien geglaubt haben. Das ist

Gegenstand der Geschichtsforschung. Was die Gläubigen von den Reliquien

zu glauben haben, das hat die katholische Kirche seit 1800 Jahren

vorgeschrieben. Die Kirche erlaubt den Reliquienkult, aber nur als einen sog.

relativen Kult, d.h. die Reliquie darf nur verehrt, aber nicht angebetet werden.

Und verehrungswürdig ist sie nur, weil sie eine Beziehung zu einer Person die

freilich existiert haben muss herstellt. Und diese Beziehung zwischen Relikt

und der verstorbenen Person lag ja in den ersten Jahrhunderten der christlichen

Kirche vor aller Augen. Starben nicht Tausende von Christen im Römischen

Reich den Märtyrertod? Ihren Körper, den die andern Gemeindemitglieder

behändigten, legte man in ein Grab. Vom himmlischen Lohn, der einem

Märtyrer gewiss zu Teil wurde dafür konnte man manche Stelle aus dem NT

anführen, fiel ein Teil auf die irdischen Überbleibsel des Märtyrers

S. 11: zurück. Dieser frühe Reliquienkult hatte also eine direkte Beziehung zu einem

zentralen Anliegen der Urkirche: es war "das Bekenntnis zur Auferstehung der

Toten", so wie dieses Glaubensbekenntnis am Konzil von Nicäa endgültig

formuliert worden ist. Nachdem nun die echten Märtyrer infolge der

staatlichen Anerkennung des Christentums seltener geworden waren, wurden

Menschen, die sich durch ihren Lebenswandel ausgezeichnet hatten, zu

"Heiligen" die fortan die Reihe der ehemaligen Märtyrer fortsetzten. Ihnen

verlieh die bildende Kunst jetzt den Nymbus.

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Ich meine, im Frühchristentum, war der Reliquienkult, eben in Verbindung mit

dem Glaubensbekenntnis, durchaus legitim und ernst zu nehmen. Doch 1000

Jahre später bekämpfen die Reformatoren den Reliquienkult ganz energisch.

Auch dies ist verständlich, denn der alte Reliquienkult ist aus seinen geistigen

Zusammenhängen herausgefallen, die Reliquie hatte einen Wert an sich

bekommen, der durch Geld oder gute Beziehungen zu haben war und seinem

Besitzer als Unterpfand für göttlichen Schutz dienen sollte. Als Beispiel wie

tief der einst echte Glaube an die Reliquien gefallen ist, erzähle ich eine

Anekdote, die gewiss von italienischen zynischen Humanisten erfunden

worden ist: ein hungriger Mönch kommt zu einem abgelegenen Bauernhof,

liest eine Gänsefeder auf und preist sie dem naiven Bauern als Feder aus dem

Flügel des Erzengel Gabriel, der sie beim Besuch der Maria verloren habe.

Wie steht es mit dem Reliquienkult der heiligen Drei Könige? Ich erzähle nun

seine Geschichte, aber nicht chronologisch: ich beginne also im 20. Jh., nehme

den Faden in die Vergangenheit auf und verfolge ihn bis er im Dunkel

verschwindet.

Sie wissen es: die Dreikönigsstadt ist Köln. Sie zeigt seit 1 300 in ihrem

Stadtwappen drei Kronen. Mit gutem Stolz, denn sie besitzt bis heute die Drei

Königs-Reliquien, einige kleinere Teile davon befinden sich in andern

deutschen Kirchen, in Frankreich, in Belgien und neuerdings wieder in Italien.

Jeder Besucher Kölns, vor allem jeder Kunstfreund steht nicht nur lange vor

dem sog. Dombild Stephan Lochners, ungefähr aus dem Jahr 1430, er lässt sich

in einer Domführung auch durch das Chorgitter vor das Allerwichtigste führen,

vor den Drei Königsschrein des Niklaus von Verdun, das Prunkstück der Stadt.

Man kann fast sagen: über diese Basilika im kleinen - so sieht der Schrein aus -

haben die Kölner 1248 begonnen, den schönsten gotischen Dom Deutschlands

zu bauen. Dieser Reliquienschrein ist mehrmals geöffnet worden und ein

wichtiges Stück daraus ist 1985, in der grossen Ausstellung über die

romanische Kunst (Ornamenta ecclesiae ) ausgestellt worden. Es ist ein Stück

Seidenstoff, das um Gebeine der Drei Könige gewickelt war, und es ist von der

neusten Textilwissenschaft als ein Stück Seide aus Syrien (Palmyra?),

gewoben im 2. - 4. Jh. nach Chr., identifiziert worden. Schon 1864 hatte man,

700 Jahre nachdem Köln in den Besitz der Drei Königs-Reliquien gekommen

war, den eigentlichen Holzsarg, der im Prunkschrein drin lag, geöffnet. Es gibt

davon ein genaues Protokoll, in Anwesenheit der obersten geistlichen und

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weltlichen Behörden untersuchten drei Anatomieprofessoren die vorhandenen

Gebeine: festgestellt wurde, u.a. drei z.T. erhaltene Schädel, deren Alter man

mit ca. 15, 40 und 60 Jahren bestimmen konnte. Und fest eingewickelt, waren

mit der schon erwähnten Seide die Schienbeine, was einem an die ägyptischen

Mumifizierungsmethoden erinnert.

S. 12: Nicht immer war den Drei Königs-Leibern in Köln Ruhe gegönnt. Wir hören

zweimal von einer Evakuation: 1794 und 1939. Eine richtige Odyssee. Als

nämlich 1794 Soldaten der französischen Revolutionsarmee begannen, in Köln

religiöse Figuren zu zerschlagen, evakuierte man den ganzen Domschatz in

200 Kisten ins östliche Deutschland, der Drei Königs-Schrein wurde nach

Frankfurt gebracht, weil er in der freien Reichsstadt am sichersten schien. Als

auch dort Gefahr drohte, wurden die Dreikönigsgebeine hinter dem Hochaltar

des Frankfurter Doms versteckt, bis auf Befehl Napoleons 1803 die

Dreikönigsgebeine wieder nach Köln zurück gebracht wurden, denn Napoleon,

der ja kurz vor der Kaiserkrönung stand, wollte jeden Konflikt· mit der Kirche

vermeiden. Am 6. Januar 1804 in Anwesenheit einer unabsehbaren Menge von

Gläubigen wurde der Dreikönigsschrein wieder in den Dom hineingetragen,

wie 640 Jahre vorher. Denn hier in Köln ruhten die Gebeine seit 1164! Ich

komme jetzt zu den wichtigsten Jahren der Geschichte von den Drei Königs-

Reliquien: es sind die Jahre 1158-1164. Die Reliquiengeschichte wird hoch

politisch! Ich muss etwas ausholen! Im Jahr 1152 wurde als deutscher König

der junge Hohenstaufe Friedrich I. gewählt. Die Italiener nannten ihn seines

rötlichen Bartes wegen "Barbarossa". Der gebildete, energische Mann war von

seiner Königswürde erfüllt und hatte ein grosses Ziel vor Augen: die Autorität

des Kaisertums, die schwer im Investiturstreit beeinträchtigt war, wieder zu

heben. (Karl der Grosse war sein Vorbild.) 1155 wurde Barbarossa in Rom

vom Papst zum Kaiser gekrönt. Doch bald erhoben sich Berge von

Schwierigkeiten. Der uralte Konflikt: Kaiser Papst brach wieder aus, und in

Italien gab es zusätzliche Gegner: die reich und selbstherrlich gewordenen

Städte, vor allem die Metropole Oberitaliens Mailand. Man muss betonen, der

Wunsch Mailand zu demütigen, kam zuerst von seinen kleinen unterdrückten

Nachbarn, den Städten Pavia, Lodi, Cremona. Zweimal zwischen 1158 und

1162 musste Mailand von Friedrich Barbarossa belagert werden und als es

kapitulierte, zog der Kaiser am 26. Mai 1162 ein, liess die ganze Bürgerschaft

barfuss, Strick um den Hals, antreten, die Stadtfahnen ausliefern und

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verpflanzte die Einwohner grossen Teils aufs benachbarte Land. Die Stadt

selbst wurde geplündert und stark zerstört.

Das alles ist ja nun nichts Ungewöhnliches und von den Siegern bis in unser

Jahrhundert hinein praktiziert worden, aber echt mittelalterlich ist nun

folgendes: die im Heer Barbarossas anwesenden Kirchenfürsten die Bischöfe

waren Kriegsdienst pflichtig stürzten sich auf die reichen Reliquienschätze der

gedemütigten Stadt, und der einflussreichste von ihnen, die rechte Hand des

Kaisers, der Ratgeber in allen kirchenpolitischen Fragen, forderte für sich das

beste, was Mailand in dieser Hinsicht besass: die Leiber der Heiligen Drei

Könige. Der Mann hiess: Rainald von Dassel (um 1120-1167) Dieser junge

Geistliche war damals schon vom Kaiser zum Erzbischof von Köln bestimmt

worden, die Zustimmung des Papstes nach kanonischem Recht fehlte

allerdings, denn mit dem römischen Papst lag der Kaiser in einem argen

Konflikt. Seit Frühjahr 1156 war Rainald Kanzler des deutschen Reichs. Das

aus Chroniken zusammengestellte Bild Rainalds sieht so aus: Mittlere Grösse,

schöne Züge im gebräunten Gesicht, das Haar blond, von durchdringendem

Verstand verbunden mit glänzender Beredsamkeit, scharfsinnig,

S. 13: von vortrefflicher wissenschaftlicher Bildung, dabei schlau und vorsichtig,

leutselig, hochherzig und unermüdlich tätig, immer bereit das Schwert wie die

Feder für den Kaiser zu handhaben ... Dieser Mann also bat den Kaiser um die

Reliquien der Drei Könige. Der Kaiser freilich zögerte zwei Jahre, bis er der

Bitte willfuhr. Vielleicht gab dann den Ausschlag die Nachricht, die Stadt und

das Bistum Köln hätten mit einem Heer von 120'000 Mann die Feinde

Barbarossas in Deutschland in Schach gehalten, während er in Italien focht.

Auf diese Stadt sollte nun der Glanz und der Reichtum, der bisher Mailand vor

allen italienischen Städten ausgezeichnet hatte, übertragen werden. Rainald

war über die Reliquien gewiss glücklicher als über die Villen, die ihm der

Kaiser am Ticinofluss zu Lehen gab. Nur eine Sorge belastete ihn jetzt: die

kostbaren Leiber mussten unversehrt Köln erreichen, und der Weg dorthin

konnte von seinen Gegnern und Neidern verrammelt werden. Etwa am 12. Juni

1164 schrieb er von der Stadt Vercelli aus einen Brief folgenden Inhalts:

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S. 14: Die Sorge Rainalds war unberechtigt, die Reliquien, übrigens ausser den Drei

Königen noch andere, die Heiligen Nabor und Felix, kamen wohl verpackt am

23. Juli 1164 in Köln an und wurden feierlichst vor der Stadt abgeholt und in

den alten Petersdom gebracht. Die Reise nach Köln nennt man in der

Kirchensprache eine "Translation" Es muss ein unerhörtes Ereignis gewesen

sein, und man darf sich vorstellen, dass am Ankunftsort einer Tagesreise das

Volk zusammenströmte wie heutzutage am Etappenort einer Tour de Suisse ...

Es gibt viele Quellen aus verschiedenen Städten, die behaupten, die Drei

Königs-Reliquien hätten bei ihnen, in einem kleinen Klösterlein oder an einem

Bischofssitz übernachtet. Versucht man aber danach ein Itinerar, also den

Reiseweg, zu rekonstruieren, so wären die Reliquien herumgeirrt wie der

berühmte Odysseus: nämlich zwischen Vienne - Besançon - Luzern - Zürich -

Breisach - Augsburg - Bamberg - Frankfurt. Nun wirklich interessant ist diese

Reisewegfrage nicht, aber wie das Volk reagiert hat, das von dieser Fahrt

hörte, das ist sehr aufschlussreich für das Denken des Mittelalters. Ich fand

zwei Schweizer Quellen: der eine Chronist, Petermann Etterlin in Luzern

schrieb zum Jahr 1164 (also erst 250 Jahre später):

" Der keyser Friedrich gewann Meyland und gab dem bischoff von Cölen der

heiligen Dryer Künigen lichnam zue solde ... Da wurdent also derselben

lichnam über den Gothart in einem ballen, als ob es kouffmanschatz were,

gefürt und kamet über den see nach Lutzern. Da wurdent sy uss dem schiff

geladen und in den winckel geleit, der under den hüsseren ist (folgt die

Ortsbezeichnung ….). Da sind sy übernacht gelegen. Ich will aber glouben,

hette man es gewüsst, als man nachher vernam, sy weren nit von Lutzern

kommen. Doch so wolt sy villicht Gott zu Cölen haben, do sy ouch sind."

Anders die Zürcher Quelle eines Unbekannten, der ungefähr 1420 schrieb:

" Anno domini 1164 bi keisers Fridrichs ziten, der Meilan in Lampartien

zerstörte, do bracht man die helgen dri küng gen Zürich zu den helgen martren

grebern und ouch zue Froumünster in Unser Frowen cappel und was also gross

heltum dri tag und dri necht."

Hübsch der Gegensatz zwischen Luzerner und Zürcher Tradition. In Luzern

versteckt man die Reliquien, in Zürich gibt es eine Heiltumsweisung, so nennt

man das offene Ausstellen der Reliquien während einer bestimmten Zeit,

womit das Sehen und ev. auch das Berühren verbunden war.

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Was ist nun aber 1164 in Köln angekommen? Was erfährt man über den

Zustand der Drei Königs-Reliquien? Dafür zwei Zeugnisse. Schon wenige

Jahre nach der Translation kommen zwei hohe Geistliche nach Köln, vielleicht

um auch für ihr Kloster ein Knöchelchen zu erwerben. Der eine war Robert,

Abt von Mont St. Michel in der Normandie. Er berichtet:

S. 15: "Rainald brachte die Leiber der drei Magier nach Köln. Die Leiber waren mit

Balsam und andern Spezereien einbalsamiert und daher nach aussen unversehrt

bis auf die Haare und die Haut. Wie mir jemand erzählt hat, der sie gesehen zu

haben versichert, schien der eine, soviel man aus der Gesichtsbildung

schliessen konnte, von 15 Jahren, der zweite von 30, der dritte von 40 Jahren,

Der andere Besucher Kölns, der Abt Isengrimm von Ottobeuren, erzählt: "Die

drei Magier sind zu Mailand gefunden worden und vom Erzbischof nach Köln

gebracht worden. Ihre Leiber sind, wie ich selber, während ich in Köln war

(1168 ) gesehen habe, noch unversehrt, weil einbalsamiert …."

Das sind einige Zeugnisse unter vielen, die schildern, welches Aufsehen die

Translation in ganz Mitteleuropa erregte. Und bald darauf setzte der

Pilgerstrom nach Köln ein, und es regnete Geschenke, in Form von Stiftungen,

sogar vom König von Frankreich. 1182 begann der grosse Künstler Niklaus

von Verdun den Reliquienschrein anzufertigen. Das Werk wurde erst 1220

vollendet.

Alles ist klar und gut bezeugt: Aber was nun vorher, vor dem Jahr 1158

geschehen ist, bevor die Mailänder die Leiber der Drei Könige aus der Kirche

St. Eustorgio bargen, um sie den deutschen Feinden zu entziehen, dies liegt

alles im Dunkeln. Bis vor wenigen Jahren glaubte man, aus der

Lebensgeschichte des heiligen Eustorgius, eines Griechen, der im 4. Jh.

Bischof von Mailand geworden ist, zu wissen, dass er von Konstantinopel die

Leiber der Drei Könige nach Mailand gebracht habe. Die historische

Wissenschaft bewies nun aber vor einigen Jahren, das diese Vita St. Eustorgii

erst nach 1158 geschrieben wurde. Also fehlen alle geschichtlichen

Dokumente, die genaues über die Herkunft der Leiber sagen, der Leiber, die

1158 in einem grossen alten römischen Sarkophag geborgen waren.

Auskunft allein gibt die Legende, und zwar diejenige, die man als die

klassische Legende dieses Themas bezeichnete die Legende von den Heiligen

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Drei Königen von Johannes von Hildesheim. Damit wären wir wieder bei der

Literaturgeschichte, dem Thema der dritten Vorlesung.

Heute wenden wir uns wieder den Texten zu. Wir wissen schon aus der

Legenda aurea, dass neben dem "heiligen" und daher unveränderlichen Text

des Matthäus-Evangeliums die Legende als ein Gebilde ganz eigener Art steht.

Die Legende ist zu vergleichen einem Baum, der immer neue Knospen treibt

und wächst. Am Ende des 14. Jhs. hat sie schliesslich eine Gestalt

angenommen, die man als die klassische Form der Drei Königs-Legende

bezeichnen darf. Das kleine Buch, das zwischen 1364 und 1375 geschrieben

wurde, trägt den Titel: Die Legende von den Heiligen Drei Königen. Der

Verfasser war ein Mönch: Johannes von Hildesheim. Geboren in Hildesheim

um 1310, wurde Johannes Mönch, studierte in Avignon und Paris, war Prior in

einem Kloster in Kassel und starb 1375 als Prior in Marienau, in einem Kloster

bei Hannover.

S. 16: Diesen gebildeten Mann bat ein Kölner Geistlicher, Florentinus von

Wewelkoven, in einem Buch alles zusammenzufassen, was man von den Drei

Königen wisse. Der Auftraggeber war päpstlicher Nuntius und Kollektor der

Diözese Köln. Man ahnt den Zusammenhang: interessante Einzelheiten aus der

Jugendgeschichte Jesu, verbunden mit Schilderungen der Sitten jener Länder,

aus denen die Könige gekommen waren, das musste jeden Leser fesseln. Die

rasche Verbreitung beweist es: die Legende von den hl. Drei Königen wurde

ein Bestseller wie Umberto Eccos 'Im Namen der Rose'. Schon 1389 wurde der

lateinische Urtext ins deutsche übertragen, auf Wunsch der Gräfin von

Katzenellenbogen (im Rheinland), und 1420 besassen auch die Mönche des

Kartäuserklosters in Basel ein Exemplar dieser deutschen Übersetzung.

Bekanntlich wurde um die Mitte des 15. Jhs von Johannes Gutenberg die

Kunst des Buchdruckes erfunden, und zu den Frühwerken des Buchdrucks

gehört die 1477 in Köln erschienene "Historia trium regum", die Geschichte

der "Drei Könige". Doch in den folgenden Jahrhunderten scheint die Drei

Königs Legende in Vergessenheit zu geraten, bis 1820 Goethe in der

Bibliothek in Jena eine schöne Handschrift von 80 Blättern entdeckte: Er nahm

sie mit und versuchte sie tagelang zu entziffern. Das Büchlein fesselte ihn so

stark, dass er eine moderne Übersetzung in die deutsche Sprache wünschte,

und bald war der geeignete Übersetzer gefunden, der Schwäbische Theologe

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und Schriftsteller Gustav Schwab. (Sie kennen ihn vielleicht als den

Herausgeber der "Schönsten Sagen des klassischen Altertums".) Gustav

Schwab gab sich allerdings mit einer Übersetzung der lateinischen Handschrift

nicht zufrieden, er fügte 12 eigene "Romanzen" bei, eine echt romantische

Version der Legende. Hier eine Kostprobe des ersten Gedichts: "Wie auf

einem Berg im Morgenland zwölf Sternseher gesetzt wurden…."

Umströmt von seiner Kräuter Düften

und überwallt von edlem Holz

der höchste steigt aus blauen Düften.

Ein Berg, des Morgenlandes Stolz,

steil ist der Pfad und lang die Reise.

Doch oben herrlich Tag und Nacht,

auf einem Gipfel stehn zwölf Greise

und schauen in des Himmels Pracht."

So beginnt auch die Legende des Johannes von Hildesheim. Ich fasse ihren

Inhalt kurz zusammen. Der erwähnte Berg, irgenwo in "Indien" mit dem

Namen Vaus, trug zuerst einen Wachturm gegen die bedrohlichen Israeliten,

später errichteten die Nachkommen Bileams ein astronomisches

Observatorium, weil sie auf die Erfüllung jener Weissagung Bileams: "Ein

Stern wird aufgehen aus Jakob und ein Zepter aus Israel aufkommen" ( 4.

Mose 24,7 ) warteten. Tag und Nacht sassen 12 besoldete. Astronomen auf

dem Berg, und endlich nach Jahrhunderten erschien der Stern, Jesus wird in

Bethlehem geboren. Der Autor Johannes schildert nun das Geburtshaus. "Es

war eine kleine schnöde Hütte vor den Höhlen, die Wände zerfallen, eine

steinerne Krippe war in die Wand gemauert, an die Krippe war das Rind eines

armen Mannes gebunden. Jetzt band Josef seinen Esel daneben …." Nicht

wahr, wir wissen jetzt, woher alle die Requisiten kommen, die von nun an die

Künstler in jedes Weihnachtsbild hineinkomponieren . Die Hirten, so Johannes

von Hildesheim, waren jahraus, jahrein auf den Feldern, obwohl es im August

auch kalt werden kann. Dann fällt Schnee,

S. 17: den die Hirten in Höhlen speichern und später in Töpfen auf den Markt

bringen, wo ihn die Reichen als Kühlung für den Trank benützen. Spätestens

hier, wenn nicht schon früher, fragt sich der Leser, woher unser Autor solche

Detailkenntnisse besitzt. Die Literaturforschung hat es herausgebracht:

Johannes von Hildesheim kannte eine Menge von Kreuzfahrer- und

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Pilgerberichten, er weiss Bescheid über Pflanzen, Tiere und Brauchtum der

Menschen im "Morgenland" und versteht es, all dies schön dosiert in die

Evangelienberichte von Matthäus und Lukas hineinzukomponieren. Der Leser

findet also die knappen Berichte einerseits in einer fremdartigen Landschaft

lokalisiert, anderseits in die damals noch kaum bekannte Geschichte

Vorderasiens hineingewoben.

Als der ersehnte Stern gemeldet wurde, machten sich sofort der König von

Indien, der König von Chaldäa und der König von Persien mit grossem

Gefolge auf den Weg. Ihre Lasttiere sind mit Schätzen beladen, auch mit

Hausrat und Betten, denn die Herbergen unterwegs wären zu klein, um die

Fürsten samt Dienerschaft zu beherbergen. Übrigens dies betont Johannes

wissen sie gegenseitig nichts von ihrem Unternehmen, erst am Kreuzweg vor

Jerusalem begegnen sie sich zum ersten Mal, küssen einander und verstehen

sich, obwohl sie verschiedene Sprachen reden. (Johannes macht hier also ein

Anleihen bei der Pfingstgeschichte.) Mit den Hirten auf dem Felde findet ein

Gedankenaustausch statt, die Reichen erfahren von den Ärmsten, was in

Bethlehem geschehen ist. Anmutig wird nun Maria beschrieben: sie trägt einen

armseligen blauen Mantel, ihr Kopf ist mit einem linnenen Tuch umwunden.

Dann eine hübsche Bemerkung des Erzählers: die Könige steigen von den

Dromedaren und küssen die Erde im Stall • dies sei - so Johannes - im

Morgenland eine Sitte, die bis auf den heutigen Tag" (1370) üblich sei. In der

ersten Freude vergessen die Könige, die Schätze auf den Dromedaren

abzuladen und schenken, was sie gerade in der Hand haben: Melchior z.B. 30

Geldstücke. Maria verliert sie auf der Flucht nach Ägypten, ein Beduine (so

Johannes) findet sie, nimmt sie 30 Jahre später mit, als er in Jerusalem Heilung

vom Aussatz sucht und findet, und legt sie in den Synagogenschatz. Damit

besolden die Juden den Verräter Judas. Ist das nicht ein Meisterwerk

phantasievoller Kombination? Zwei Jahre benötigen die Könige für ihre

Heimreise, also für den Weg, den sie zuerst in 13 Tagen zurückgelegt haben.

Der Autor meint dazu: "Das ist geschehn, damit sie und andere Leute den

Unterschied zwischen göttlichen und menschlichen Werken erkennen."

Bevor der Erzähler nun das Lebensende der Drei Könige schildern kann, flicht

er die Geschichte des heiligen Thomas ein, der als Missionar Indien zur

christlichen Lehre bekehrt und die inzwischen uralt gewordenen Könige

getauft und zu Erzbischöfen geweiht hat. Auf dem Berg Vaus sterben sie und

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werden dort begraben. Dreihundert Jahre später erscheint nun Helena, die

Mutter des Kaisers Konstantin, sucht alle heiligen Stätten auf und sammelt ,

was aus den Tagen Jesu zurückgeblieben ist. Sie lässt auch die Leichname der

Drei Könige ausgraben und nach Konstantinopel bringen. Nur kurz berührt

Johannes die Überführung der Leichname nach Mailand. Ein byzantinischer

Kaiser er nennt ihn Mauritius habe mit Hilfe der Mailänder die Sarazenen

vertrieben und als Dank dem Mailänder Bischof Eustorgius, einem Griechen,

die Körper der Drei Könige geschenkt. Seltsamerweise

S. 18: schiebt Johannes hier eine ca. 20-seitige Geschichte der Ketzerei (der Arianer,

der Nestorianer u.a.) ein, womit er seine Belesenheit der frühchristlichen

Literatur beweist. Mit einem lateinischen Lobgedicht auf Köln endet die

Legende der heiligen Drei Könige des Johannes von Hildesheim.

Wie schon gesagt: dieses Büchlein erschien 1822 in Stuttgart beim berühmten

Verleger der deutschen Klassiker: Cotta. 1842 folgt eine gekürzte Ausgabe,

seither wurde es mehrmals neu gedruckt. Nach meiner Meinung ist es eines der

schönsten Zeugnisse des spätmittelalterlichen Denkens und Wissens, noch

ganz unbeeinflusst von der bald einsetzenden kritischen Geschichtsschreibung

der Humanisten. Das Verdienst, dieses Werklein wieder ans Licht gebracht zu

haben, gebührt, ohne Zweifel Goethe. Warum hat er sich für die

Veröffentlichung des damals fast vergessenen Büchleins so eingesetzt? Er sagt

es selbst zweimal:

Zuerst 1819 in einem Brief an seinen Freund Boisserée, den Kunsthistoriker

und Förderer des Kölner Dombaus: "Nun aber fliesst soeben ein Bach bei mir

vorüber, den ich gar zu gerne auf Ihre Mühle leiten möchte. Ich erwerbe

zufällig ein altes Manuskript…. es enthält die Legende der heiligen Drei

Könige und ihres Sterns, vom Ausgang der Kinder Israels aus Ägypten bis zur

fortwährenden Verehrung ihrer Reste in Köln….. Geschichte, Überlieferung,

Mögliches, Unwahrscheinliches, Fabelhaftes mit Natürlichem,

Wahrscheinlichem, Wirklichem bis zur letzten individuellsten Schilderung

zusammengeschmolzen, entwaffnet wie ein Märchen alle Kritik. Ich meine

nicht, dass irgend etwas Anmutigeres und Zierlicheres dieser Art mir in die

Hände gekommen wäre."

Ein zweites Mal schrieb Goethe über die heiligen Drei Könige in den

"Schriften zur Literatur" (1822).... "Ins Deutsche übersetzt schlösse sich das

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Büchlein unmittelbar an die Volksbücher: denn es ist für die Menge erfunden

und geschrieben, die sich, ohne den kritischen Zahn zu wetzen, an allem

erfreut, was der Einbildungskraft anmutig geboten wird."

Das schönste aber über die Legende sagt er in einem Gedicht, das Gustav

Schwab seiner Ausgabe vorangestellt hat:

Wenn was irgend ist geschehen

Hört man's noch in späten Tagen,

Immer klingend wird es wehen,

Wenn die Glock ist angeschlagen,

Und so lässt von diesem Schalle

Euch erheitern, viele viele,

Denn am Ende sind wir alle

Pilgernd Könige zum Ziele.

Die Geschichte der heiligen Drei Könige ist auch für Dichter des 19. und 20.

Jhs. ein Stoff geblieben der zur künstlerischen Gestaltung lockte. Ich erinnere

nur - da die Zeit fehlt, Genaueres zu sagen - an Dichter wie Felix

Timmermans, Selma Lagerlöf, E. Scharper (der vierte König). Doch das m.E.

grossartigste ist eine ganz kurze Geschichte des deutschen Dichters Wolfgang

Borchert (1921-1948), mit dem Titel: "Die drei dunklen Könige ". Wer diese

Geschichte von Borchert nicht kennt, möge sie in einem Lesebuch oder in

einer Sammlung deutscher Kurzgeschichten nachlesen. Warum ich sie hier als

vorläufig letzte Station

S. 19: der literarischen Entwicklung des Themas erwähne, zeigt das längere Zitat. Ich

setze diesem eine knappe Widergabe der ersten 25 Zeilen voran: In einer

zerbombten deutschen Stadt hausen am Weihnachtstag (1944 oder 1945?) in

einem ebenerdigen Zimmer ein Mann und eine Frau mit ihrem eben geborenen

Knaben. Der verbitterte Mann ist gerade damit beschäftigt, mit einer morschen

Latte den Blechofen zu heizen.

" Dann waren welche an der Tür. Wir sahen das Licht, sagten sie, vom Fenster.

Wir wollen uns zehn Minuten hinsetzen. Aber wir haben ein Kind, sagte der

Mann zu ihnen. Da sagten sie nichts weiter, aber sie kamen doch ins Zimmer,

stiessen Nebel aus den Nasen und hoben die Füsse hoch. Wir sind ganz leise,

flüsterten sie und hoben die Füsse hoch. Dann fiel das Licht auf sie.

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Drei waren es. In drei alten Uniformen. Einer hatte einen Pappkarton, einer

einen Sack. Und der dritte hatte keine Hände. Erfroren, sagte er, und hielt die

Stümpfe hoch. Dann drehte er dem Mann die Manteltasche hin. Tabak war

darin und dünnes Papier. Sie drehten Zigaretten. Aber die Frau sagte: Nicht,

das Kind. Da gingen die vier vor die Tür, und ihre Zigaretten waren vier

Punkte in der Nacht. Der eine hatte dick umwickelte Füsse. Er nahm ein Stück

Holz aus seinem Sack. Ein Esel, sagte er, ich habe sieben Monate daran

geschnitzt. Für das Kind. Das sagte er und gab es dem Mann. Was ist mit den

Füssen? fragte der Mann. Wasser, sagte der Eselschnitzer, vom Hunger. Und

der andere, der dritte? fragte der Mann und befühlte im Dunkeln den Esel. Der

dritte zitterte in seiner Uniform: Oh, nichts, wisperte er, das sind nur die

Nerven. Man hat eben zuviel Angst gehabt. Dann traten sie die Zigaretten aus

und gingen wieder hinein.

Sie hoben die Füsse hoch und sahen auf das kleine schlafende Gesicht. Der

Zitternde nahm aus seinem Pappkarton zwei gelbe Bonbons und sagte dazu:

Für die Frau sind die.

Die Frau machte die blassen blauen Augen weit auf, als sie die drei Dunklen

über das Kind gebeugt sah. Sie fürchtete sich. Aber da stemmte das Kind seine

Beine gegen ihre Brust und schrie so kräftig, dass die drei Dunklen die Füsse

aufhoben und zur Tür schlichen. Hier nickten sie nochmals, dann stiegen sie, in

die Nacht hinein. Der Mann sah ihnen nach. Sonderbare Heilige, sagte er zu

seiner Frau ...."

Als Abschluss schildere ich Ihnen ein historisch gut bezeugtes Ereignis. Am

24. Oktober des Jahres 1273 wurde in der Pfalzkappelle in Aachen der neu

gewählte König Deutschlands, Rudolf von Habsburg, gekrönt. Wir kennen das

Krönungszeremoniell, das gewiss zwei bis drei Stunden dauerte, genau. Der

Erzbischof von Köln, assistiert von den Erzbischöfen von Mainz und Trier

salbte und krönte den neuen Herrscher, gab ihm Zepter und Schwert. Der

König bestätigte darauf alle an ihn gerichteten Fragen, die sein hohes Amt

betrafen, mit einem kräftigen volo ("ich will es tun"). Und jetzt schloss der

Krönungsakt mit der letzten Textvorlesung aus der Bibel: es war der Text:

Cum natus esset Jesus in Bethlehem in diebus regis Herodis, ecce magi ab

Oriente venerunt Hierosolymam dicentes ...

Mit den Worten dieses Textes in den Ohren, verliess der König die Kirche und

begann seine Laufbahn als Herrscher des heiligen römischen Reichs.

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S. 20: Kleine Auswahl von Quellen und Literatur zum Thema:

Die heiligen Drei Könige

Augustin: Predigten am Tage der Epiphanie. Original in PSL (Patrologiae

cursus completus, series latina, tomus XXXVIII, Nr. 199-204) Ed. J. P. Migne,

Paris 1845. (Davon gibt es deutsche Übersetzungen.)

Der Heliand in Simrocks Übertragung, eingeleitet von Andreas Heusler,

Leipzig 1921.

Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine. Aus dem Lateinischen übersetzt

von Richard Benz, 8. Auflage, Heidelberg 1975

Johannes von Hildesheim: Die Legende von den heiligen drei Königen.

Ausgaben von G. Schwab, 1822, K. Simrocks, 1847, W. Rath, 1925 und 1980.

Quellentexte zu Translation, H. J. Floss: Dreikönigsbuch, Köln 1864. (Hier

Texte aus MGH, SS. tomus VI, XVII, XVIII.)

Das klassische Werk zum Thema von Hugo Kehrer: Die heiligen drei Könige

in Literatur und Kunst, Leipzig 1908. (Die literarische Entwicklung des

Themas und die Darstellung in der Kunst nur bis Ende des Mittelalters erfasst.)

Das neuste Buch von Hans Hofmann: Die heiligen drei Könige. Zur

Heiligenverehrung im kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Leben

des Mittelalters, Bonn 1975.

Das Volkskundliche in Karl Meisen: Die heiligen drei Könige und ihr Festtag

im volkstümlichen Brauch, Köln 1949.

Ferner enthalten alle Lexika zur Theologie, zur Kirchen- und Kunstgeschichte

Artikel über die drei Könige. Dort auch jeweils weitere Literaturangaben.

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Bis vor wenigen Jahren war der 6. Januar (Dreikönigstag) in Untervaz

gebotener Feiertag.

Internet-Bearbeitung: K. J. Version 01/2012

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