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Unverkäufliche Leseprobe aus: Cornelia Funke HINTER VERZAUBERTEN FENSTERN Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bil- dern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbe- sondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Ver- wendung in elektronischen Systemen. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

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Page 1: Unverkäufliche Leseprobe aus · 7. und bedeckten die schwarzen Äste und die schwarzen Dächer, die dunklen Hecken, die graue Straße und die geparkten Autos, die unter dem Schnee

Unverkäufliche Leseprobe aus:

Cornelia FunkeHinter verzauberten Fenstern

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bil-dern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbe-sondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Ver-wendung in elektronischen Systemen.© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

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Hinter verzaubertenFenstern

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1.Kapitel

Draußen wurde es dunkel, und es schneite immernoch. Julia saß auf der Fensterbank und sah hin-aus. Der Himmel war dunkelgrau, und die Bäumeund Häuser sahen aus wie Scherenschnitte ausschwarzer Pappe. Nur die Fenster leuchteten gelbvom Lampenlicht oder blau von irgendeinemFernseher. Ab und zu stapfte eine graue Gestaltmit hochgezogenen Schultern und eingezogenemKopf unten auf der Straße vorbei. Aber ihreMutter kam und kam nicht. Mindestens eineStunde saß sie schon hier, drückte sich die Nase ander Scheibe platt und wartete.Da kam wieder jemand. Julia beugte sich vor.Nein, die hatte einen Hund dabei. Wieder nichts.Zwei Kinder hüpften vorbei und verschwandenhinter einem Gartentor.Dann war alles wieder still und leer. Nur dieSchneeflocken fielen leise vom Himmel herunter

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und bedeckten die schwarzen Äste und dieschwarzen Dächer, die dunklen Hecken, die graueStraße und die geparkten Autos, die unter demSchnee wie dicke, geduckte Tiere aussahen.Julia gähnte und presste die Nase wieder gegen diekalte Scheibe. Es ist doch immer dasselbe!, dachtesie. Wenn Mütter sagen, sie sind nur mal eben ein-kaufen, dann dauert’s eine Ewigkeit, bis sie wiederda sind. Und dann haben sie meistens schlechteLaune.Ihre Zimmertür ging auf, und das Licht ging an.Ärgerlich kniff Julia die Augen zusammen und sahsich um.»Mach das Licht aus, Olli«, knurrte sie ihren jün-geren Bruder an.»Wieso sitzt du hier im Dunkeln?«»Weil ich nur so draußen was erkennen kann. Alsomach das Licht aus!«»Versteh ich nicht«, sagte Olli. Aber er machte dasLicht aus und schloss die Tür. Julia hörte, wie er imDunkeln auf sie zutappte.»Ist es dir nicht unheimlich im Dunkeln?«, fragteer und krabbelte neben sie auf die Fensterbank.»O verdammt, du Zwerg«, stöhnte Julia, »warumgehst du nicht in dein eigenes Zimmer?«

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»Da unten seh ich nichts. Nur die blöde Hecke.Hier unterm Dach ist es viel schöner.« Olli rutsch-te ein bisschen näher an sie heran. Er hatte Angstim Dunkeln. »Wetten, ich weiß, worauf du war-test?«, sagte er.»Na, sag schon.«»Du wartest auf Mama.«»Erraten«, sagte Julia. »Sie hat versprochen, mireinen Adventskalender mitzubringen.«»Mir auch!«»Dachte ich mir.«»Was hast du dir für einen gewünscht?«

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Eine vollgepackte Gestalt kam die Straße herunter.Die Mütze war die richtige. Die Jacke auch.Endlich.Julia sprang von der Fensterbank und lief durchdas dunkle Zimmer zur Tür. Olli kam hinterher.»Was für einen hast du dir gewünscht?« Ihr kleinerBruder vergaß nie eine Frage.»Einen mit Schokolade natürlich.«»Ich auch.«»Natürlich!«Julia sprang die Treppe hinunter. Ihr Zimmer wardas einzige unterm Dach. Zuerst hatte sie das gru­selig gefunden, aber inzwischen gefiel es ihr. Sienahm immer zwei Stufen auf einmal. Sie wusste,das konnte Olli ihr nicht nachmachen. Als sieatemlos die Haustür erreichte, hörte sie draußenihre Mutter fluchen. Sie fand mal wieder denSchlüssel nicht.Julia öffnete die Tür. Mama stand verfroren undzerzaust da, inmitten von vollgepackten Taschenund Tüten. Ihr einer Arm steckte bis zum Ellbo­gen in einer der Taschen und wühlte verzweifeltdarin herum. »Stell schon mal was in die Küche«,stieß sie hervor und zog den Arm aus der Tasche.Ohne Schlüssel.

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»Mama, hast du meinen Kalender?«, fragte Julia.»Alles nach der Reihe. Ich darf doch wohl erst malzu Atem kommen, oder?«Schlechte Laune. Sie hatte schlechte Laune. Wieerwartet.Wortlos schleppte Julia eine Tüte in die Küche.Olli hatte es plötzlich gar nicht eilig, die Trepperunterzukommen.»Wo ist euer Vater?«»Der hat sich nach der Arbeit hingelegt.«»Hm.« Ihre Mutter nickte und zog sich dieschneenassen Sachen aus. Sie schüttelte die letztenSchneeflocken aus ihrem kurzen, dunklen Haarund putzte sich die rote Nase. »So!«, sagte sie dannund rieb sich die Hände. »Jetzt mach ich mir erstmal einen Kaffee. Wollt ihr Kakao?«Julia suchte mit den Augen die Taschen ab.»Mama, bitte! Wo ist der Kalender?«Ihre Mutter ging zur Kaffeemaschine und gossWasser hinein. »Eigentlich sollt ihr sie ja erst mor-gen bekommen«, sagte sie. Julia warf Olli einenverzweifelten Blick zu.Der schaute grinsend zurück. Er verstand es meis-terhaft, ihre Mutter um seinen klitzekleinen Fin-ger zu wickeln. Und das wusste er. »Ach, Mama,

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bitte!«, sagte er. »Wir haben uns schon so daraufgefreut!«Große, bittende Augen.Schief gelegter Kopf.Breites – oberbreites Lächeln.Absolut unwiderstehlich!Ihre Mutter drehte sich um, sah Olli an – undmusste lachen. Er hatte mal wieder gewonnen.Mama griff in die größte Tüte, zog vorsichtig zweiKalender heraus und legte sie nebeneinander aufden Küchentisch.Der eine sah fast genauso aus wie der, den Julialetztes Jahr bekommen hatte. Mit einem dickenNikolaus und kleinen Engeln und Tieren und Tan-nenbäumen und einem Schlitten voller Ge-schenke. Na ja, eben wunderschön. Eindeutig eindicker, fetter, herrlicher Schokoladenkalender.Aber der andere – Julia runzelte die Stirn –, derandere sah komisch aus. Erstens war weit und breitnichts von einem Nikolaus zu sehen. Und es gabauch keine Engel oder Tiere. Es gab nur eingroßes Haus. Ein blödes, dunkles Haus mit einpaar blöden Bäumen drum rum. Sonst nichts. Ab-solut nichts. Und zweitens – das war das Schlimms-te, der Kalender war zu dünn. Julia fasste prüfend

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die Kante an. Keine Frage. Da passte nicht mal dasklitzekleinste Schokoladentäfelchen rein.»So, der ist für dich«, sagte Mama.Strahlend nahm Olli den dicken, fetten Schokola-denkalender entgegen.Sie hatte es gewusst. Schon als Mama den komi-schen Kalender auf den Tisch gelegt hatte. Juliakniff die Lippen zusammen und warf ihrer Mutterden finstersten Blick zu, den sie zustande brachte.»Und der hier ist für dich, Julia«, sagte Mama undlächelte dabei auch noch stolz.»Das ist ja überhaupt kein Schokoladenkalender«,sagte Julia und verschränkte die Hände hinter demRücken. »Den will ich nicht.«Ihre Mutter guckte furchtbar enttäuscht. »Aberich dachte . . .«, sie hob ratlos die Augenbrauen,»ich dachte, du bist jetzt schon zu groß fürdiese . . .«»Ich bin doch erst neun!«, sagte Julia empört undwarf dem kleinen Bruder einen hasserfüllten Blickzu. Aber der strahlte sowieso bloß seinen Schoko-ladenkalender an.»Ach, Julia«, sagte Mama tröstend und strich ihrübers Haar, »ich wollte dir doch eine Freude ma-chen, ich . . .«

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»Ich wollte aber einen Schokoladenkalender«,sagte Julia und starrte auf ihre Füße. »Er hat jaauch einen gekriegt!«»Olli ist ja auch kleiner als du, und außerdem –,ach was!« Ihre Mutter drehte sich ärgerlich umund ging zurück zu ihrer Kaffeemaschine, schau-felte Massen von Kaffeepulver in den Filter undmachte sie an. Das Ding fing fast sofort an zublubbern und zu glucksen.»Gib mir bitte mal einen Becher aus dem Schrank.«Julia ging zum Schrank und holte den Becher. Amliebsten hätte sie ihn auf dem blöden Kalender zer-deppert.»Sieh ihn dir doch wenigstens mal an!«, sagteMama.Julia schüttelte den Kopf.»Na, dann nicht!«, sagte Mama und knallte denleeren Becher auf den Tisch. Ihre Stimme klangüberhaupt nicht mehr freundlich. »Dann hast dudieses Jahr eben keinen Kalender. Glaub bloßnicht, dass ich dir noch einen kaufe.«»Mama, hängst du jetzt meinen Kalender auf?«,fragte Olli und grinste dabei triumphierend zu sei-ner großen Schwester hinüber.»Ja, ich komme«, sagte ihre Mutter und ging zur

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Tür. »Und du, Julia, gehst jetzt wohl besser nachoben in dein Zimmer und kühlst dich ab.« Undmit diesen unfreundlichen Worten drehte sie sichum und verschwand mit Olli in seinem Zimmer.Julia und der Kalender waren allein.»Du blödes, hässliches Pappding!«, zischte sie undschubste ihn ein Stück über den Tisch. Dannrannte sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer.

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