us-kongress: warnbrief an das us-finanzministerium zu den beps … · 2019. 10. 18. ·...

7
# 24 12.06.2015 US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS- Verhandlungen Die Vorsitzenden der jeweiligen Finanzausschüsse des Repräsentantenhauses und des Senats – zusammen der Kongress der Vereinigten Staaten – haben am 09.06.2015 einen gemeinsamen Brief an das US-Finanzministerium geschrieben. Darin äußern sie ihre Bedenken im Hinblick auf die Positionierung der US- Regierung in den BEPS-Verhandlungen mit der OECD. Der Kongress erinnert das Finanzministerium daran, dass er die Steuergesetze im Einklang mit den Interessen der Vereinigten Staaten verabschieden wird. Die- se stimmten nicht zwangsläufig mit den Verhandlungsergebnissen des Finanzmi- nisteriums innerhalb des BEPS-Projekts überein. Insbesondere sei der Kongress mit der Positionierung des Finanzministeriums in den Verhandlungen um die län- derbezogene Berichterstattung (Country-by-Country Reporting) sowie die Weiter- gabe der Master File-Dokumente an ausländische Finanzverwaltungen nicht ein- verstanden. Der Kongress fordert das US-Finanzministerium dazu auf, ihm dar- zulegen, wie die Informationen aus dem Country-by-Country Reporting verwen- det werden sollen und inwiefern es gerechtfertigt ist, dass diese Informationen von anderen Ländern angefordert werden können. Insbesondere stellt der Kon- gress die verfassungsrechtliche Rechtsetzungskompetenz des Finanzministeri- ums in Frage, die Vorschriften zum Country-by-Country Reporting ohne Zustim- mung des Kongresses einzuführen. Weiterhin wird das Finanzministerium gebe- ten, sich in Zukunft mit dem Kongress abzustimmen, bevor es in weitere wichtige Verhandlungen eintritt. Insbesondere kritisiert der Kongress: die Vorschläge zur Beschränkung des Zinsabzugs, zur Neuregelung des Betriebsstättenartikels im OECD-Muster-DBA, die Aufnahme von allgemeinen Missbrauchsvorschriften in die Doppelbesteuerungsabkommen und das Sammeln von Daten über US- ansässige Konzerne. Abschließend betont der Kongress, dass er davon ausge- he, dass das Finanzministerium keine BEPS-Dokumente unterschreiben werde, die nicht im Einklang mit den Interessen der Vereinigten Staaten stehen. In den Vereinigten Staaten ist die verfassungsrechtliche Gewaltenteilung wesent- lich stärker ausgeprägt. Der Kongress arbeitet somit wesentlich unabhängiger vom Finanzministerium als der Bundestag in Deutschland. Der Brief an das Fi- nanzministerium klingt fast wie eine Warnung und betont, wem welche Kompe- tenzen zustehen. Die genauen Auswirkungen dieser innerstaatlichen Meinungs- verschiedenheiten für das BEPS-Projekt sind schwer vorherzusehen, werden aber voraussichtlich erheblich sein. Denn nach Unterzeichnung der BEPS- Abschlussdokumente müssen alle Länder die Verhandlungsergebnisse in natio- nales Recht umsetzen. Ob es zu einer Unterzeichnung durch die USA überhaupt kommen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt fraglich. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, hat der Kongress nun klargestellt, dass er sich an die Vereinbarungen in wesentlichen Bereichen nicht halten wird. Weiterhin ist bemerkenswert, dass die USA beschlossen haben, am multilateralen Instrument (Aktion 15) nicht teil- zunehmen, sodass auch der "Übertragungsriemen" zur Umsetzung der abkom- mensrechtlichen BEPS-Aktionen für die USA nicht anwendbar sein wird. Es ist überraschend, dass der Kongress sich zu einem so späten Zeitpunkt, ins- besondere im Hinblick auf den sehr strammen Zeitplan der OECD, so deutlich Seite 1 von 7

Upload: others

Post on 28-Feb-2021

1 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

# 24 12.06.2015

US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS-Verhandlungen

Die Vorsitzenden der jeweiligen Finanzausschüsse des Repräsentantenhauses und des Senats – zusammen der Kongress der Vereinigten Staaten – haben am 09.06.2015 einen gemeinsamen Brief an das US-Finanzministerium geschrieben. Darin äußern sie ihre Bedenken im Hinblick auf die Positionierung der US-Regierung in den BEPS-Verhandlungen mit der OECD.

Der Kongress erinnert das Finanzministerium daran, dass er die Steuergesetze im Einklang mit den Interessen der Vereinigten Staaten verabschieden wird. Die-se stimmten nicht zwangsläufig mit den Verhandlungsergebnissen des Finanzmi-nisteriums innerhalb des BEPS-Projekts überein. Insbesondere sei der Kongress mit der Positionierung des Finanzministeriums in den Verhandlungen um die län-derbezogene Berichterstattung (Country-by-Country Reporting) sowie die Weiter-gabe der Master File-Dokumente an ausländische Finanzverwaltungen nicht ein-verstanden. Der Kongress fordert das US-Finanzministerium dazu auf, ihm dar-zulegen, wie die Informationen aus dem Country-by-Country Reporting verwen-det werden sollen und inwiefern es gerechtfertigt ist, dass diese Informationen von anderen Ländern angefordert werden können. Insbesondere stellt der Kon-gress die verfassungsrechtliche Rechtsetzungskompetenz des Finanzministeri-ums in Frage, die Vorschriften zum Country-by-Country Reporting ohne Zustim-mung des Kongresses einzuführen. Weiterhin wird das Finanzministerium gebe-ten, sich in Zukunft mit dem Kongress abzustimmen, bevor es in weitere wichtige Verhandlungen eintritt. Insbesondere kritisiert der Kongress: die Vorschläge zur Beschränkung des Zinsabzugs, zur Neuregelung des Betriebsstättenartikels im OECD-Muster-DBA, die Aufnahme von allgemeinen Missbrauchsvorschriften in die Doppelbesteuerungsabkommen und das Sammeln von Daten über US-ansässige Konzerne. Abschließend betont der Kongress, dass er davon ausge-he, dass das Finanzministerium keine BEPS-Dokumente unterschreiben werde, die nicht im Einklang mit den Interessen der Vereinigten Staaten stehen.

In den Vereinigten Staaten ist die verfassungsrechtliche Gewaltenteilung wesent-lich stärker ausgeprägt. Der Kongress arbeitet somit wesentlich unabhängiger vom Finanzministerium als der Bundestag in Deutschland. Der Brief an das Fi-nanzministerium klingt fast wie eine Warnung und betont, wem welche Kompe-tenzen zustehen. Die genauen Auswirkungen dieser innerstaatlichen Meinungs-verschiedenheiten für das BEPS-Projekt sind schwer vorherzusehen, werden aber voraussichtlich erheblich sein. Denn nach Unterzeichnung der BEPS-Abschlussdokumente müssen alle Länder die Verhandlungsergebnisse in natio-nales Recht umsetzen. Ob es zu einer Unterzeichnung durch die USA überhaupt kommen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt fraglich. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, hat der Kongress nun klargestellt, dass er sich an die Vereinbarungen in wesentlichen Bereichen nicht halten wird. Weiterhin ist bemerkenswert, dass die USA beschlossen haben, am multilateralen Instrument (Aktion 15) nicht teil-zunehmen, sodass auch der "Übertragungsriemen" zur Umsetzung der abkom-mensrechtlichen BEPS-Aktionen für die USA nicht anwendbar sein wird.

Es ist überraschend, dass der Kongress sich zu einem so späten Zeitpunkt, ins-besondere im Hinblick auf den sehr strammen Zeitplan der OECD, so deutlich

Seite 1 von 7

Page 2: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

# 24 12.06.2015

und in einem so harschen Ton gegenüber dem US-Finanzministerium zu Wort meldet.

BFH: Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer auf die Einkommen-steuer

Der BFH hat mit Urteil vom 15.01.2015 (I R 69/12) abschließend darüber ent-schieden, ob und unter welchen Voraussetzungen die Körperschaftsteuer, die im Ausland gegen dort ansässige Kapitalgesellschaften festgesetzt worden ist, im Inland auf die Einkommensteuer der hier ansässigen Anteilseigner dieser Gesell-schaften angerechnet werden kann. Vorangegangen war dem ein langjähriger Rechtsstreit, in welchem vorab gleich zweimal der EuGH durch dessen sog. „Mei-licke“-Urteile vom 06.03.2007 (C-292/04) und vom 30.06.2011 (C-262/09) zu Wort gekommen ist.

Die Entscheidung betrifft das besagte, seit langem (im Jahre 2001) abgeschaffte körperschaftsteuerrechtliche Anrechnungsverfahren. Allerdings ist dieses Verfah-ren nach wie vor von Bedeutung. Viele Steuerbescheide sind noch „offen“, weil die Anteilseigner den Abschluss des Klageverfahrens „Meilicke“ abgewartet ha-ben. Nach Verlautbarungen des BMF gehe es dabei um drohende Steuerausfälle aus den Altfällen in Milliardenhöhe. Zuletzt war in den Verfahren vor dem EuGH von 5 Mrd. Euro die Rede.

Konkret ging es um Körperschaftsteuer, die in Dänemark und den Niederlanden gegen dortige Kapitalgesellschaften festgesetzt worden waren. An den Kapital-gesellschaften waren die in Deutschland wohnenden Kläger – Mitglieder der Er-bengemeinschaft Meilicke – beteiligt. Die Kapitalgesellschaften hatten ihre Ge-winne an die Gesellschafter ausgeschüttet. Die Kläger begehrten nun nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG die Anrechnung der ausländischen Körperschaftsteuern auf ih-re individuelle Einkommensteuer. Das stand ihnen nach seinerzeitiger Gesetzes-lage in den Streitjahren 1995 bis 1997 nach Maßgabe des sog. körperschaftsteu-errechtlichen Anrechnungsverfahrens jedoch nicht zu; anzurechnen war danach allein die Körperschaftsteuer, die gegen inländische Kapitalgesellschaften festge-setzt worden war. Der EuGH sah in der unterschiedlichen Behandlung einen Ver-stoß gegen die unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote. Er verlangte die Gleichbehandlung der Anteilseigner an in- wie ausländischen Kapitalgesellschaf-ten.

Diesem Verlangen nach Gleichbehandlung hat der BFH nun unter Anwendung der an sich nicht "passenden" Gesetzeslage Rechnung getragen; im Ergebnis aber dennoch zu Lasten der klagenden Gesellschafter entschieden: Zum einen ist – in einem ersten Schritt – die anzurechnende ausländische Körperschaft-steuer (seit 1996) nicht anders als die inländische Körperschaftsteuer bei der Einkommensteuerfestsetzung als Einkunft zu erfassen; die Einkommensteuer er-höht sich dem entsprechend. Zum anderen sind – in einem zweiten Schritt – für die Anrechnung dieselben Maßstäbe anzusetzen wie in der "reinen" Inlandssitua-tion. Das bedeutet vor allem: Der Anrechnungsbetrag bestimmt sich danach, in welcher Höhe die Gewinne der ausländischen Kapitalgesellschaft nach deut-schem Recht mit Körperschaftsteuer vorbelastet sind. Der so ermittelte Anrech-nungsbetrag muss sodann in substantieller Weise gegenüber den deutschen Fi- Seite 2 von 7

Page 3: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

# 24 12.06.2015

nanzbehörden nachgewiesen werden. Dafür reicht es nicht aus, eine (ausländi-sche) Bankbescheinigung über die tatsächliche Zahlung von Körperschaftsteuer vorzulegen. Es reicht ebensowenig aus, jene Körperschaftsteuer grob zu schät-zen. Die Verwendungsfiktion ist vielmehr in allen ihren Belastungsschritten, wenn auch mit gewissen, vom BFH zugestandenen Erleichterungen, nachzuvollziehen und zu belegen.

Ein solcher Nachweis war den Klägern im Streitfall aber nicht gelungen. Ihre Kla-ge wurde (auch) deswegen abgewiesen. Ihr ursprünglicher Erfolg vor dem EuGH wurde im Ergebnis also nicht belohnt.

BFH: Keine verlängerte Festsetzungsfrist (fünf Jahre) bei Verletzung der Anzeigepflicht eines Notars

Die leichtfertige Verletzung der einem Notar nach § 18 GrEStG obliegenden An-zeigepflicht führt nicht zu einer Verlängerung der Frist für die Festsetzung von Grunderwerbsteuer gegenüber dem Steuerpflichtigen auf fünf Jahre (BFH-Urteil vom 03.03.2015, II R 30/13). Davon zu unterscheiden ist jedoch die (im BFH-Urteil nicht geklärte) Tatfrage, ob der Steuerpflichtige selbst die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen hat.

Nachdem im konkreten Sachverhalt vom Steuerpflichtigen zunächst der Tatbe-stand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG verwirklicht wurde, kam es innerhalb von zwei Jahren zur Rückgewähr der Anteile. Die jeweiligen Erwerbsvorgänge wurden durch den zuständigen Notar lediglich der Körperschaftsteuerstelle des Finanz-amts angezeigt. Die Grunderwerbsteuerstelle erfuhr erst Jahre später im Rahmen einer Außenprüfung durch ein anderes Finanzamt vom Rückerwerb der Anteile durch den Steuerpflichtigen. Daraufhin setzte das Finanzamt Grunderwerbsteuer bezogen auf diesen Rückerwerb fest. Hiergegen wendete der Steuerpflichtige ein, dass bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei.

Der BFH unterschied hinsichtlich des erforderlichen Rechtswidrigkeits- bzw. Ur-sachenzusammenhangs zwischen dem Fehlverhalten des Notars und dem des Steuerpflichtigen. Zwar reiche es grundsätzlich aus, wenn sich eine nicht aus-drücklich an die Grunderwerbsteuerstelle adressierte Anzeige nach ihrem Inhalt eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle richte. Dazu sei erforderlich, dass die Anzeige als solche nach dem GrEStG gekennzeichnet ist. Eine Anzeige nach § 54 EStDV an die Körperschaftsteuerstelle, wie im Entscheidungsfall, genüge dem jedoch nicht. Darüber hinaus komme es auf den tatsächlich verwirklichten Geschehensablauf an, der hier dadurch gekennzeichnet ist, dass die Grunder-werbsteuerstelle von dem Erwerbsvorgang keine Kenntnis erlangt hat. Dass die Körperschaftsteuerstelle die Grunderwerbsteuerstelle nicht informiert hat, sei für den Kausalzusammenhang unerheblich.

Insofern konnte die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO erst mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, beginnen. „Leichtfertigkeit“ gemäß § 169 Abs. 2 S. 2 AO in Bezug auf das Handeln des Notars und folglich eine verlängerte Festsetzungsfrist konnte dies jedoch nicht begründen. Liegt jedoch in der Person des Steuerpflich-tigen leichtfertiges Handeln vor, verlängert sich die Festsetzungsfrist um ein Jahr.

Seite 3 von 7

Page 4: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

# 24 12.06.2015

Feststellungen hierzu wird nunmehr das Finanzgericht nach Zurückverweisung seitens des BFH nachzuholen haben.

Das Urteil zeigt einmal mehr die Bedeutung einer rechtzeitigen und ordnungsge-mäßen Anzeige von grunderwerbsteuerpflichtigen Sachverhalten. Werden die gesetzlichen Anzeigepflichten nicht vollumfänglich eingehalten, führt dies jeden-falls zum Verlust der Steuerbefreiung nach § 16 GrEStG. In der Praxis ist daher unbedingt darauf zu achten, dass die Grunderwerbsteuerstelle durch den Notar bzw. die Steuerpflichtigen selbst rechtzeitig (und zwar gemäß § 19 Abs. 3 GrEStG innerhalb von zwei Wochen nach Erlangung der Kenntnis des Erwerbs-vorgangs) informiert wird.

Seite 4 von 7

Page 5: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

# 24 12.06.2015

Alle am 10.06.2015 veröffentlichten Entscheidungen des BFH (V)

Aktenzeichen Entscheidungs-datum

Stichwort

XI R 35/12 25.02.2015 Ermäßigter Umsatzsteuersatz auf theaterähnliche Autorenlesung gegen Ent-gelt

IX R 23/14 10.02.2015 Zwangsverwaltung - Einkommensteuer - Entrichtungspflicht des Zwangsver-walters siehe auch: Pressemitteilung Nr. 41/15 vom 10.6.2015

VIII R 54/12 24.02.2015 Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten "Par-Schuldverschreibungen" - Verfassungskonforme Auslegung von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG

VIII R 4/12 11.02.2015 Besteuerung einer Entschädigungszahlung für entgehende Einnahmen aus Genussrechten

VII R 5/11 10.03.2015 Ermittlung des Steuersatzes für als Substitutionsheizstoff verwendetes Toluol

VII R 9/11 10.03.2015 Ermittlung des Steuersatzes für als Substitutionsheizstoff verwendetes Test-benzin

II R 30/13 03.03.2015

Keine Verlängerung der Festsetzungsfrist bei leichtfertiger Verletzung der An-zeigepflicht eines Notars - Rückerwerb von Anteilen an einer grundstücksbesit-zenden Gesellschaft als Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs - An-wendbarkeit von § 16 Abs. 5 GrEStG zulasten des Rückerwerbers

I R 69/12 15.01.2015

Schlussurteil zu den EuGH-Urteilen Meilicke I und Meilicke II: Anrechnung niederländischer und dänischer Körperschaftsteuer auf die Einkommensteuer - Folgen der Unionsrechtswidrigkeit einer nationalen Vorschrift - Behördliche Erklärung als Abrechnungsbescheid - Erfolglos durchgeführtes Vorverfahren bei unvollständiger Rechtsbehelfsentscheidung - Absehen von einer Begrün-dung nach § 126 Abs. 6 Satz 1 FGO bei gerügter Gehörsverletzung siehe auch: Pressemitteilung Nr. 40/15 vom 10.6.2015

Alle am 10.06.2015 veröffentlichten Entscheidungen des BFH (NV)

Aktenzeichen Entscheidungs-datum

Stichwort

VI R 87/13 10.03.2015 Verpflegungsmehraufwand als Werbungskosten eines Lokomotiv-Rangierführers: Firmeneigenes Schienennetz als großräumige Arbeitsstätte bzw. Tätigkeitsmittelpunkt

VIII R 12/12 19.11.2014

Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO bei nachträglich bekannt gewordenen Zinseinnahmen - Anforderungen an die Tatsachenfest-stellung bei Hilfstatsachen - Nichtberücksichtigung eines Beweisantrags wegen Wahrunterstellung

Seite 5 von 7

Page 6: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

# 24 12.06.2015

Aktenzeichen Entscheidungs-

datum Stichwort

I R 20/14 28.01.2015 Versagung der erweiterten gewerbesteuerlichen Kürzung bei Grundstücksun-ternehmen wegen Betriebsaufspaltung - Annahme einer personellen Verflech-tung bei kapitalistischer Betriebsaufspaltung

III R 24/14 05.02.2015 Fahrtkosten eines Kindes wegen Fachschule und Praktikum

XI S 7/15 16.04.2015 Keine Akteneinsicht bei fehlendem Rechtsschutzbedürfnis - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verfahren der Anhörungsrüge

II R 42/12 20.01.2015 Bewertungsrechtliches Schachtelprivileg für Beteiligung an einer französischen SICAV

V B 158/14 14.04.2015 Pflicht zur elektronischen Abgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen ist ver-fassungsgemäß - Keine Verletzung des Steuergeheimnisses durch Daten-übermittlung nach StDÜV

IX B 18/15 06.05.2015 Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bei behaupteter Verfassungswid-rigkeit der BFH-Rechtsprechung zur Liebhaberei

X B 156/14 22.04.2015 Bilanzierung bei mehreren Betrieben desselben Steuerpflichtigen - Forde-rungsausbuchung bei fehlgeleiteter Zahlung

IX B 146/14 07.05.2015 Prozesskosten wegen Einlagenrückgewähr bei vermögensverwaltender Per-sonengesellschaft

VII R 6/11 10.03.2015 Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 10.03.2015 VII R 5/11 - Ermittlung des Steu-ersatzes für als Substitutionsheizstoff verwendetes Toluol

Alle bis zum 12.06.2015 veröffentlichten Erlasse

Aktenzeichen Datum

Stichwort

IV A 4 - S 1450/15/10001

09.06.2015 Einordnung in Größenklassen gemäß § 3 BpO 2000; Festlegung neuer Ab-grenzungsmerkmale zum 1. Januar 2016

IV C 1 - S 2198-b/08/10002

04.06.2015

Übersicht über die zuständigen Bescheinigungsbehörden bei Inanspruchnah-me der Steuerbegünstigung für Baudenkmale (§§ 7i, 10f, 11b EStG) oder für schutzwürdige Kulturgüter (§ 10g EStG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 2009 (BGBl I Seite 1346), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen vom 1. April 2015 (BGBl I Seite 434)

Seite 6 von 7

Page 7: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

# 24 12.06.2015

Herausgeber

WTS Steuerberatungsgesellschaft mbH www.wts.de • [email protected] Redaktion Dr. Martin Bartelt, Georg Geberth, Lothar Härteis, Stefan Hölzemann München Lothar Härteis Thomas-Wimmer-Ring 1-3 • 80539 München T: +49(0) 89 286 46-0 • F: +49 (0) 89 286 46-111 Düsseldorf Michael Wild Peter-Müller-Straße 18 • 40468 Düsseldorf T: +49 (0) 211 200 50-5 • F: +49 (0) 211 200 50-950 Erlangen Andreas Pfaller Allee am Rötelheimpark 11-15 • 91052 Erlangen T: +49 (0) 9131 97002-11 • F: +49 (0) 9131 97002-12 Frankfurt Robert Welzel Taunusanlage 19 • 60325 Frankfurt/Main T: +49 (0) 69 133 84 56-0 • F: +49 (0) 69 133 84 56-99 Hamburg Eva Doyé Neuer Wall 30 • 20354 Hamburg T: +49 (0) 40 320 86 66-0 • F: +49 (0) 40 320 86 66-29 Raubling Andreas Ochsner Rosenheimer Straße 33 • 83064 Raubling T: +49 (0) 8035 968-0 • F: +49 (0) 8035 968-150 Köln Stefan Hölzemann Lothringer Str. 56 • 50677 Köln T: +49 (0) 221 348936-0 • F: +49 (0) 221 348936-250

Diese WTS-Information stellt keine Beratung dar und verfolgt ausschließlich den Zweck, ausgewählte Themen allgemein darzu-stellen. Die hierin enthaltenen Ausführungen und Darstellungen erheben daher weder einen Anspruch auf Vollständigkeit noch sind sie geeignet, eine Beratung im Einzelfall zu ersetzen. Für die Richtigkeit der Inhalte wird keine Gewähr übernommen. Im Falle von Fragen zu den hierin aufgegriffenen oder anderen fachlichen Themen wenden Sie sich bitte an Ihren WTS-Ansprechpartner oder an einen der oben genannten Kontakte.

Seite 7 von 7

Page 8: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 9: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 10: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 15.1.2015, I R 69/12

Schlussurteil zu den EuGH-Urteilen Meilicke I und Meilicke II: Anrechnung niederländischer und dänischer Körperschaftsteuer auf die Einkommensteuer - Folgen der Unionsrechtswidrigkeit einer nationalen Vorschrift - Behördliche Erklärung als Abrechnungsbescheid - Erfolglos durchgeführtes Vorverfahren bei unvollständiger Rechtsbehelfsentscheidung - Absehen von einer Begründung nach § 126 Abs. 6 Satz 1 FGO bei gerügter Gehörsverletzung

Leitsätze

1. Die Körperschaftsteuer einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft wird nach § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG 1990 n.F./1997 nicht angerechnet, wenn die Einnahmen oder die anrechenbare Körperschaftsteuer bei der Veranlagung nicht erfasst werden. Dass die Anrechnungsbeschränkung auf unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Körperschaften gegen die unionsrechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit verstößt (Anschluss an EuGH-Urteil Meilicke I vom 6. März 2007 C-292/04, EU:C:2007:132, Slg. 2007, I-1835), ändert daran nichts. Anders verhielt es sich bezogen auf die anrechenbare Körperschaftsteuer allerdings nach Maßgabe von § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG 1990 a.F. für Veranlagungszeiträume bis 1995 (insoweit Bestätigung des Senatsurteils vom 6. Oktober 1993 I R 101/92, BFHE 172, 370, BStBl II 1994, 191).2. Um den unionsrechtlichen Anforderungen standzuhalten, muss bei der Berechnung des Anrechnungsbetrages die von der im Sitzmitgliedstaat der ausschüttenden Kapitalgesellschaft tatsächlich entrichtete Steuer berücksichtigt werden, wie sie sich aus den auf die Berechnung der Besteuerungsgrundlagen anwendbaren allgemeinen Regeln und aus dem Satz der Körperschaftsteuer im Sitzmitgliedstaat ergibt. Die tatsächliche Entrichtung der Körperschaftsteuer ist jedoch nicht Anrechnungsvoraussetzung. Die maßgebliche ausländische (hier dänische und niederländische) Körperschaftsteuer ist aus Gründen der unionsrechtlich einzufordernden Gleichbehandlung mit einem Inlandssachverhalt einem vom Anteilseigner vereinnahmten Beteiligungsertrag im grenzüberschreitenden Sachverhalt vielmehr nach den steuerlichen Grundsätzen einer "Verwendungsfiktion" zuzuordnen, und zwar unabhängig davon, ob es im Ausland an einer Verpflichtung zur Eigenkapitalgliederung fehlt.

3. Für die Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer bedarf es einerseits keiner "Schatten-Eigenkapitalgliederung". Andererseits genügt aber auch die Vorlage einer "nur-formellen" Körperschaftsteuerbescheinigung der depotführenden Bank nicht, wenn dadurch der materiell-rechtliche Anrechnungsbetrag nicht definitiv belegt wird (Anschluss an das EuGH-Urteil Meilicke II vom 30. Juni 2011 C-262/09, EU:C:2011:438, Slg. 2011, I-5669).

4. Fehlt ein Nachweis der tatsächlich entrichteten Körperschaftsteuer, kann die Berechnung der Körperschaftsteuergutschrift nicht auf eine bloße Schätzung des einschlägigen Steuersatzes gestützt werden.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 27. August 2012 2 K 2241/02 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

1 A. Es handelt sich um den Rechtsstreit, welcher den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union --früher Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften-- (EuGH) Meilicke I vom 6. März 2007 C-292/04 (EU:C:2007:132, Slg. 2007, I-1835), und Meilicke II vom 30. Juni 2011 C-262/09 (EU:C:2011:438, Slg. 2011, I-5669), zugrunde lag. Vorangegangen waren die jeweiligen Anrufungsbeschlüsse des Finanzgerichts (FG) Köln vom 24. Juni 2004 2 K 2241/02, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1374, sowie vom 14. Mai 2009 2 K 2241/02, abgedruckt in EFG 2009, 1491. In seinem Schlussurteil vom 27. August 2012 2 K 2241/02, abgedruckt in EFG 2012, 2300, hat das FG die Klage abgewiesen.

2 Gegen dieses Urteil des FG richtet sich die nunmehrige Revision der Kläger und Revisionskläger (Kläger), die die Erben nach dem im Jahre 1997 verstorbenen H.M. sind. In der Sache streiten die Kläger mit dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) darüber, ob dänische und niederländische Körperschaftsteuern, die auf von H.M. bezogenen Dividenden lasten sollen, bei der Steuerfestsetzung als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu erfassen und auf die festgesetzte Einkommensteuer anzurechnen sind. Die Dividenden waren an H.M. von dänischen und niederländischen Kapitalgesellschaften ausgeschüttet worden. Streitjahre sind 1995 bis 1997.

3 Das FA hatte die betreffenden ausländischen Körperschaftsteuern in den Einkommensteuerbescheiden, die es für die Streitjahre erlassen hat, weder bei den Veranlagungen erfasst noch im Rahmen der den Festsetzungen

Seite 1 von 8Bundesfinanzhof

10.06.2015http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh...

Page 11: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

beigefügten Anrechnungsverfügungen berücksichtigt. Die Steuerbescheide datieren unter dem 16. Februar 1998 (1995), dem 7. September 1998 (1996) und dem 26. Juli 2000 (1997); die Festsetzungen für 1995 und für 1996 standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).

4 Am 30. Oktober 2000 beantragte der Kläger zu 1. die Anrechnung von 3/7 der von H.M. in den Streitjahren erzielten Dividendeneinnahmen aus den dänischen und niederländischen Aktien in Höhe von insgesamt ... DM. Er bezog sich dabei auf das EuGH-Urteil Verkooijen vom 6. Juni 2000 C-35/98 (EU:C:2000:294, Slg. 2000, I-4071). Die Anrechnung sei im Hinblick auf die unionsrechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit und der daraus abzuleitenden Gleichbehandlung mit entsprechenden Inlandssachverhalten geboten. Das FA lehnte das ab. Es verweigerte auch die "Erteilung von geänderten Abrechnungsverfügungen zu den Einkommensteuerfestsetzungen 1995, 1996 und 1997". Im Verlaufe des anschließenden Klageverfahrens erließ es unter dem 20. Februar 2003 einen in der Sache gleichlautenden "Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO".

5 Die von den Klägern dagegen erhobene Klage blieb --nach Ergehen der EuGH-Urteile Meilicke I (EU:C:2007:132, Slg. 2007, I-1835) und Meilicke II (EU:C:2001:438, Slg. 2011, I-5669)-- erfolglos, letztlich deswegen, weil es sowohl an der Vorlage ordnungsmäßiger Körperschaftsteuerbescheinigungen als auch an Nachweisen über die Höhe ggf. anrechenbarer Körperschaftsteuern mangele. Bezogen auf das Streitjahr 1995 behandelte das FG die Klagen als unzulässig.

6 Mit ihrer Revision verfechten die Kläger ihren Standpunkt weiter. Sie beantragen sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und nach den Klageanträgen zu entscheiden, hilfsweise, den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.

7 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

8 Das dem Verfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

9 B. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen. Hinsichtlich der Einkommensteuerfestsetzungen ist die Klage nicht nur für 1995, sondern entgegen der Vorinstanz auch für die Jahre 1996 und 1997 unzulässig (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung --FGO--, dazu unten II.). Hinsichtlich des Abrechnungsbescheides liegen zwar die Sachentscheidungsvoraussetzungen vor (dazu unten I.). Die Revision ist aber auch insoweit zurückzuweisen, und zwar betreffend die Abrechnung zur Einkommensteuer 1996 und 1997 bereits deshalb, weil es an der erforderlichen Erfassung ausländischer Körperschaftsteuer im Rahmen der jeweiligen Steuerfestsetzung fehlt (dazu unten III.), und betreffend die Abrechnung zur Einkommensteuer 1995, weil ausländische Körperschaftsteuer nicht feststellbar war (dazu unten IV.). Die Verfahrensrügen der Kläger greifen nicht durch (dazu unten V.). Einer erneuten Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft --AEUV-- (Amtsblatt der Europäischen Union 2008, Nr. C-115, 47), bedurfte es zur Entscheidung nicht.

10 I. Die finanzgerichtliche Klage war hinsichtlich des Abrechnungsbescheides zur Einkommensteuer 1995 bis 1997 zulässig, insbesondere ist ein Vorverfahren durchgeführt worden.

11 1. Das Revisionsgericht hat das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 45, m.w.N.). Ist wie im Streitfall ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben, ist die Klage gemäß § 44 Abs. 1 FGO vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist.

12 2. Im Streitfall schloss die Einspruchsentscheidung vom 25. März 2002 --deren Jahresangabe "2001" nach dem Absendevermerk und dem übrigen Verfahrensablauf offensichtlich fehlerhaft ist-- das Vorverfahren über den Abrechnungsbescheid vom 30. November 2000 ab.

13 a) Der Einspruch der Kläger richtete sich gegen das Schreiben des FA vom 30. November 2000. Dieses --und nicht erst der im Klageverfahren erlassene "Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO" vom 20. Februar 2003-- war als Abrechnungsbescheid i.S. des § 218 Abs. 2 AO anzusehen. Der Bescheid vom 20. Februar 2003 stellt vielmehr lediglich eine wiederholende Verfügung dar, die nach § 68 FGO zum Verfahrensgegenstand wurde (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. Dezember 2014 IV R 53/11, BFHE 248, 57, BFH/NV 2015, 412).

14 aa) Die Auslegung eines Verwaltungsaktes richtet sich danach, ob die Äußerung des FA als eine Entscheidung über eine Streitigkeit i.S. des § 218 Abs. 2 AO anzusehen ist, ob das FA also mit ihr nach dem für den Adressaten objektiv erkennbaren Erklärungswert mit unmittelbarer Wirksamkeit nach außen zwischen den Beteiligten rechtsfeststellend diese Streitigkeit entschieden hat. Der Abrechnungsbescheid muss dabei

Seite 2 von 8Bundesfinanzhof

10.06.2015http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh...

Page 12: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

die Angaben enthalten, die erforderlich sind, um die im Einzelfall bestehende Streitigkeit, also die konkrete Streitfrage, zu klären. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist ein Abrechnungsbescheid auch dann gegeben, wenn das FA die Äußerung --wie hier-- nicht ausdrücklich als Abrechnungsbescheid oder als Bescheid nach § 218 Abs. 2 AO bezeichnet hat (vgl. BFH-Urteile vom 7. August 1990 VII R 120/89, BFH/NV 1991, 569; vom 5. Juli 1988 VII R 142/84, BFH/NV 1990, 69). Bei der Prüfung der Frage, ob der Inhalt einer behördlichen Erklärung einen Verwaltungsakt darstellt, ist das Revisionsgericht nicht an eine Wertung durch das Tatsachengericht gebunden. Es handelt sich dabei nicht um eine Tat-, sondern um eine Rechtsfrage (BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 569).

15 bb) Aus dem Wortlaut des Schreibens vom 30. November 2000 ergibt sich zwanglos, dass eine Anrechnung der beantragten Körperschaftsteuer in der Sache abgelehnt wird. Dieser Ausspruch war im Streitfall zur verbindlichen Klärung einer Streitigkeit über die Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer ausreichend, wie auch ein Vergleich mit dem während des Klageverfahrens vom FA erlassenen und in der Aussage im Kern übereinstimmenden "Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO" vom 20. Februar 2003 bestätigt. Ungeachtet seiner fehlenden Bezeichnung ist das Schreiben aus der maßgeblichen Sicht der Empfänger auch nicht als bloße Ablehnung der Änderung der Anrechnungsverfügung, sondern als Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 Satz 1 AO) anzusehen. Denn nur mit einem solchen mussten die Kläger rechnen. Der Kläger zu 1., der --wie aus den Umständen erkennbar und vom FA auch so aufgefasst-- zugleich für die Klägerinnen zu 2. und zu 3. handelte, hatte im Schreiben vom 30. Oktober 2000 die Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer beantragt. Wollte das FA über diesen Antrag abschlägig entscheiden, läge offenkundig eine Streitigkeit i.S. des § 218 Abs. 2 Satz 1 AO vor. Ein objektiver Empfänger musste angesichts dessen davon ausgehen, dass das FA mit dem Schreiben vom 30. November 2000 seiner aus § 218 Abs. 2 Satz 1 AO resultierenden Verpflichtung zum Erlass eines Abrechnungsbescheides nachgekommen war. Dies gilt umso mehr, als der Erlass eines solchen auch im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes geboten war, weil ein Abrechnungsbescheid verfahrensrechtlich gegenüber einer Anrechnungsverfügung vorrangig ist (s. bereits Senatsurteile vom 28. April 1993 I R 100/92, BFHE 171, 397, BStBl II 1993, 836; I R 123/91, BFHE 170, 573, BStBl II 1994, 147; vgl. auch BMF-Schreiben vom 22. Dezember 1994, BStBl I 1995, 5, dort Tz. 7, Nr. 3 zu § 218 AO).

16 b) Diesem Einspruchsverfahren ist auch die Einspruchsentscheidung vom 25. März 2002 zuzuordnen. Der Tenor der Entscheidung ist nicht eindeutig. Jedoch spricht die Bezeichnung des Streitgegenstands ("Abrechnung zur Einkommensteuer 1995, 1996 und 1997") --nach den obigen Darlegungen-- angesichts der offenkundigen Streitigkeit über die Körperschaftsteueranrechnung für eine Entscheidung im Einspruchsverfahren über den Abrechnungsbescheid i.S. des § 218 Abs. 2 AO. Hinzu kommt, dass nur hiergegen Einspruch eingelegt war und dieser Einspruch in der Entscheidung ausdrücklich in Bezug genommen ist. Die weitere Begründung der Einspruchsentscheidung erschüttert dieses Auslegungsergebnis nicht. Etwaige bei der Auslegung verbleibende Zweifel sind zugunsten des Steuerpflichtigen --und damit zugunsten der verfahrensrechtlich gebotenen Form-- aufzulösen (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Mai 2009 IV B 24/09, BFH/NV 2009, 1402).

17 II. Soweit die Klage auf eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzungen 1995 bis 1997 gerichtet war, ist sie unzulässig, da es diesbezüglich an dem erforderlichen Vorverfahren fehlt.

18 1. Die Einspruchsentscheidung vom 25. März 2002 ist ausschließlich im Verfahren über den Abrechnungsbescheid, nicht aber im Festsetzungsverfahren ergangen. Die Entscheidung enthält weder im Tenor noch in der Begründung Ausführungen zur Einkommensteuerfestsetzung.

19 Hierüber kann im Streitfall auch nicht mit der Begründung hinweggegangen werden, dass es sich bei der Einspruchsentscheidung um eine unvollständige Rechtsbehelfsentscheidung handele, die lediglich einzelne Begehren des Einspruchsführers unberücksichtigt lasse und gleichwohl zum Abschluss des Vorverfahrens i.S. des § 44 Abs. 1 FGO führe. Denn derartige Erwägungen greifen richtigerweise dann nicht durch, wenn ein Teil des Begehrens ein der Art nach gesondertes Verfahren betrifft (vgl. BFH-Urteil vom 17. August 2005 IX R 35/04, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2006, 575; s. auch BFH-Urteil vom 19. Mai 2004 III R 36/02, BFH/NV 2004, 1655). So liegt es aber im Streitfall, in dem sich die Einspruchsentscheidung allein auf den Abrechnungsbescheid (im Erhebungsverfahren), nicht aber auf das Festsetzungsverfahren erstreckt. Die Erwägung, die Entscheidung über ein "aliud" sei erst recht als Fall einer unvollständigen Rechtsbehelfsentscheidung anzusehen, unterliefe die gesetzlich normierten Ausnahmetatbestände (§§ 45 f. FGO).

20 2. Die Klage ist auch weder als Sprungklage noch als Untätigkeitsklage zulässig.

21 Eine Klage ist ohne Vorverfahren zulässig, wenn gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO die für den außergerichtlichen Rechtsbehelf zuständige Behörde zustimmt oder wenn gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines sachlichen Grundes in angemessener Zeit sachlich nicht entschieden worden ist. § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO setzt hierbei die Ablehnung eines Antrags auf Änderung der (formell) bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen 1995 bis 1997 zur Einbeziehung der ausländischen Körperschaftsteuer als steuerpflichtige Einnahmen voraus (vgl. BFH-Urteil vom 19. Mai 2004 III R 35/02, BFH/NV 2005, 60) und § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO erfordert einen anhängigen Einspruch. Beides liegt im Streitfall nicht vor. Ein Ablehnungsbescheid, auf den sich der Einspruch im Streitfall hätte

Seite 3 von 8Bundesfinanzhof

10.06.2015http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh...

Page 13: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

beziehen können, ist insbesondere nicht im Schreiben des FA vom 30. November 2000 zu sehen. Denn hierzu fehlt es bereits im Ausgangspunkt an einem einleitenden Antrag der Kläger. Zwar steht einer Auslegung ihres Antrags vom 30. Oktober 2000 nicht von vornherein entgegen, dass das Schreiben von einem Rechtskundigen verfasst worden ist. Allerdings findet sich hierin kein hinreichender Anhaltspunkt für das Begehren, die Bestandskraft der Einkommensteuerfestsetzungen zu durchbrechen. Der Antrag, die ausländische Körperschaftsteuer "anzurechnen", knüpft ausdrücklich an den Wortlaut von § 36 Abs. 2 Halbsatz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1990 bis zu seiner Änderung durch das Jahressteuergesetzes (JStG) 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) --EStG 1990 a.F.-- bzw. § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG in der seitdem geänderten Fassung --EStG 1990 n.F./1997-- an und nimmt zudem in der Begründung auf die Nr. 3 der Vorschrift ausdrücklich Bezug. Auch die Formulierung, die Anrechnung solle "in den Einkommensteuerbescheiden" erfolgen, ist in diesem Zusammenhang nicht auf die Einkommensteuerfestsetzung zu beziehen. Sie ist vielmehr daraus erklärlich, dass die Anrechnungsverfügung, deren Änderung die Kläger begehrten, selbständiger Verwaltungsakt in dem jeweiligen Einkommensteuerbescheid ist. Hätte das FA dem klägerischen Antrag entsprochen, hätte --mangels Streitigkeit i.S. des § 218 Abs. 2 Satz 1 AO-- nur diese Anrechnungsverfügung geändert werden müssen. Einem Rechtskundigen ist zudem bekannt, dass § 36 Abs. 2 EStG 1990/1997 Teil des --vom Festsetzungsverfahren zu unterscheidenden-- Erhebungsverfahrens ist (vgl. BFH-Urteil vom 29. Oktober 2013 VII R 68/11, BFHE 243, 111), worauf die Kläger in der Einspruchsbegründung im Übrigen auch selbst hingewiesen haben.

22 3. Der Antrag der Kläger wird auch nicht --wie die Vorinstanz meint-- durch eine allgemeine Unsicherheit hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Umsetzung der Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer auslegungsfähig. Eine solche Unsicherheit findet in der hier auszulegenden Erklärung keinen Niederschlag, auch nicht unter Heranziehung des Unionsrechts. Es ist insbesondere nichts dafür ersichtlich, dass die hier vorgenommene Auslegung die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte im Streitfall praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert hätte (Effektivitätsgrundsatz, vgl. Senatsurteil vom 9. Mai 2012 I R 73/10, BFHE 238, 1, BStBl II 2013, 566, m.w.N.). Denn der Antrag vom 30. Oktober 2000 bezog sich ausdrücklich auf die Regelung des § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG 1990 a.F. bzw. § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG 1990 n.F./1997 und bediente sich damit ausdrücklich des innerstaatlichen Anrechnungsmechanismus. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger zu 1. über die rechtliche Tragweite seiner Erklärung im Klaren gewesen ist. Das Ansinnen der Vorinstanz, den Antrag so zu verstehen, dass sämtliche zur Erreichung der Anrechnung erforderlichen Verfahrensschritte umfasst sein sollen, weil die Kläger den verfahrensrechtlich zutreffenden Weg hätten einhalten wollen, geht bei Rechtskundigen --auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes rechtsschutzgewährender Auslegung (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Januar 2010 VI B 115/09, BFH/NV 2010, 935)-- zu weit.

23 III. Hinsichtlich des Abrechnungsbescheides für die Jahre 1996 und 1997 ist die Revision bereits deswegen zurückzuweisen, weil die ausländische Körperschaftsteuer, deren Anrechnung die Kläger begehren, nicht in den Einkünften aus Kapitalvermögen erfasst ist (im Ergebnis ebenso z.B. Blümich/Ettlich, § 36 EStG Rz 185; Zimmermann in Lademann, EStG, § 36 Rz 91c; Gosch in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 36 Rz 23, m.w.N.; derselbe, BFH/PR 2011, 338, 340 f.).

24 1. § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG 1990 n.F./ 1997 schließt vom Veranlagungszeitraum 1996 an eine Anrechnung der Körperschaftsteuer aus, wenn die Einnahmen oder die anrechenbare Körperschaftsteuer bei der Veranlagung nicht erfasst werden (vgl. Senatsurteile vom 13. November 2002 I R 67/01, BFHE 201, 54, BStBl II 2003, 587; vom 27. April 2005 I R 114/03, BFH/NV 2005, 1988; vom 24. November 2009 I R 12/09, BFHE 228, 195, BStBl II 2010, 590).

25 2. Die hiernach erforderliche --im Streitfall fehlende-- Erfassung der geltend gemachten Körperschaftsteuerbeträge als Einnahme im Rahmen der Steuerfestsetzung ist nicht aus unionsrechtlichen Gründen verzichtbar.

26 a) Der EuGH hat zur vorliegenden Streitsache entschieden, dass die Freiheit des Kapitalverkehrs (Art. 56 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 1997, Nr. C-340, 1, jetzt Art. 63 AEUV) dem § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG 1990 n.F./1997 insoweit entgegensteht, als die Vorschrift keine Anwendung auf Dividenden findet, die von einer in einem anderen Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft bezogen werden (EuGH-Urteil Meilicke I, EU:C:2007:132, Slg. 2007, I-1835, im Anschluss an EuGH-Urteil Manninen vom 7. September 2004 C-319/02, EU:C:2004:484, Slg. 2004, I-7477; s. auch EuGH-Urteil Meilicke II, EU:C:2011:438, Slg. 2011, I-5669, Rz 9). Die Unionsrechtswidrigkeit führt nach ständiger Spruchpraxis, an der der Senat festhält, nicht zu einer vollständigen Unanwendbarkeit der nationalen Vorschrift. Vielmehr ist dem Anwendungsvorrang des Primärrechts vor nationalem Recht durch das "Hineinlesen" der vom EuGH verbindlich formulierten unionsrechtlichen Erfordernisse in die betroffene Norm Rechnung zu tragen (vgl. z.B. Senatsurteil vom 3. Februar 2010 I R 21/06, BFHE 228, 259, BStBl II 2010, 692, m.w.N.). Infolgedessen ist zwar das "europarechtswidrige Tatbestandsmerkmal" nicht zu beachten (BFH-Urteile vom 17. Juli 2008 X R 62/04, BFHE 222, 428, BStBl II 2008, 976; vom 21. Oktober 2008 X R 15/08, BFH/NV 2009, 559), im Übrigen bleibt die Vorschrift aber erhalten und auch auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbar. Das gilt auch hier,

Seite 4 von 8Bundesfinanzhof

10.06.2015http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh...

Page 14: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

unbeschadet des --zu bedauernden-- gesetzgeberischen Untätigkeitsbleibens, in Reaktion auf die einschlägigen EuGH-Entscheidungen (skeptisch insoweit für die hier gegebene Situation allerdings z.B. Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 36 Rz 11, m.w.N.).

27 b) Dass der Anwendung des Anrechnungsausschlusses in § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG 1990 n.F./1997 in grenzüberschreitenden Sachverhalten seinerseits das Unionsrecht entgegenstünde, ist nicht ersichtlich. Nicht nur hat der EuGH insbesondere in seinen Entscheidungen Meilicke I (EU:C:2007:132, Slg. 2007, I-1835) und Meilicke II (EU:C:2011:438, Slg. 2011, I-5669) keine derartigen Bedenken erkennen lassen. Es entspricht darüber hinaus auch der unionsrechtlichen Forderung, bei Dividendenausschüttungen gebietsfremder Gesellschaften eine gleichwertige Behandlung vorzusehen und das nationale Anrechnungssystem so weit wie möglich auf grenzübergreifende Fallgestaltungen zu übertragen (EuGH-Urteil Meilicke II, EU:C:2011:438, Slg. 2011, I-5669, Rz 29, 31).

28 c) Schließlich läuft § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG 1990 n.F./1997 nicht deshalb leer, weil § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990/1997 ausländische Körperschaftsteuer nicht erfassen würde.

29 Nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990/1997 gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen u.a. die nach § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG 1990 n.F./1997 anzurechnende Körperschaftsteuer. Kann infolge des Unionsrechts nach § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG 1990 n.F./1997 auch ausländische Körperschaftsteuer angerechnet werden, lässt sich die Einbeziehung ausländischer Körperschaftsteuer zwanglos dem Wortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990/1997 entnehmen und ist damit gesetzlich vorgegeben. Hiergegen kann nicht erfolgreich eingewendet werden, das Unionsrecht wirke ausschließlich begünstigend für den Steuerpflichtigen, sodass sich hieraus keine Pflicht zur Einnahmeerfassung ableiten lasse (so aber Friedrich/Nagler, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2005, 403). Denn § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990/1997 bleibt --aus Sicht des Unionsrechts-- unverändert. Die sich nachteilig auswirkende Erweiterung ist allein Reflex des tatbestandlich in Bezug genommenen und unionsrechtlich modifizierten § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG 1990 n.F./1997 und führt letztlich gerade zu der auch unionsrechtlich einzufordernden Gleichbehandlung mit innerstaatlichen Fällen. Eine --im Fall isolierter Anrechnung der Körperschaftsteuer eintretende-- substantielle Besserstellung grenzüberschreitender Sachverhalte gebietet das Unionsrecht nicht (vgl. EuGH-Urteil Accor vom 15. September 2011 C-310/09, EU:C:2011:581, Slg. 2011, I-8115, Rz 87, 91). Anderweitigen Überlegungen, eine solche Gleichbehandlung im Wege eines --praeter legem-- bei der Anrechnung vorzunehmenden pauschalen Abschlags auf den Anrechnungsbetrag herzustellen (so Hamacher/Hahne, Der Betrieb 2004, 2386, 2387; Delbrück/Hamacher, Internationales Steuerrecht 2007, 627, 631), braucht nach diesen Darlegungen nicht weiter nachgegangen zu werden.

30 IV. Hinsichtlich des Abrechnungsbescheides für das Jahr 1995 bleibt die Revision ebenfalls ohne Erfolg. Nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 EStG 1990 a.F. musste die anzurechnende Körperschaftsteuer zwar --abweichend von der nachfolgenden Regelungslage nach § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG 1990 n.F./1997-- nicht bei der Steuerfestsetzung erfasst werden (vgl. z.B. Senatsurteile vom 6. Oktober 1993 I R 101/92, BFHE 172, 370, BStBl II 1994, 191; vom 19. Oktober 2005 I R 72/04, BFH/NV 2006, 925; vom 30. November 2005 I R 128, 129/04, BFH/NV 2006, 1261; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 36 Rz 23, m.w.N.). An dem für die Kläger negativen Ergebnis ändert das jedoch nichts, weil das FG tatsächlich im Ausland angefallene Körperschaftsteuer nicht feststellen konnte.

31 1. Nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 EStG 1990 a.F. wird die Körperschaftsteuer einer unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Körperschaft oder Personenvereinigung in Höhe von 3/7 der Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 EStG 1990, soweit diese nicht aus Ausschüttungen stammen, für die Eigenkapital i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes --KStG 1991-- ("EK 01") als verwendet gilt, auf die Einkommensteuer angerechnet. Diese Anrechnungsvoraussetzungen sind infolge des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs --über die bereits dargelegte und im Streitfall einschlägige Erweiterung auf Ausschüttungen nicht unbeschränkt steuerpflichtiger Gesellschaften hinaus-- dahingehend modifiziert, dass sich der im Rahmen des § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG 1990 a.F. zu berücksichtigende Anrechnungsbetrag unter Beachtung einer Anrechnungshöchstgrenze (EuGH-Urteil Meilicke II, EU:C:2011:438, Slg. 2011, I-5669, Rz 32 f.; vgl. auch EuGH-Urteil Kronos vom 11. September 2014, C-47/12, EU:C:2014:2200, Internationales Steuerrecht 2014, 724, Rz 83) nach der tatsächlich im Sitzstaat der ausschüttenden Körperschaft festgesetzten ausländischen Körperschaftsteuer bemisst und diese dem vereinnahmten Beteiligungsertrag nach steuerlichen Grundsätzen ("Verwendungsfiktion") zuzuordnen ist.

32 a) Der EuGH hat in seinen Entscheidungen zum deutschen Anrechnungsverfahren ausdrücklich an seiner Rechtsprechung in der Rechtssache Manninen (EU:C:2004:484, Slg. 2004, I-7477) festgehalten, der zufolge bei der Berechnung des Anrechnungsbetrages ("Steuergutschrift") die von der im Sitzmitgliedstaat der ausschüttenden Gesellschaft tatsächlich entrichtete Steuer berücksichtigt werden muss, wie sie sich aus den auf die Berechnung der Besteuerungsgrundlagen anwendbaren allgemeinen Regeln und aus dem Satz der Körperschaftsteuer im Sitzmitgliedstaat ergibt (EuGH-Urteile Meilicke I, EU:C:2007:132, Slg. 2007, I-1835, Rz 15, und Manninen, EU:C:2004:484, Slg. 2004, I-7477, Rz 54; vgl. auch EuGH-Urteil Meilicke II, EU:C:2011:438, Slg. 2011, I-5669, Rz 27; ebenso z.B. Gosch in Kirchhof, a.a.O., 14. Aufl., § 36 Rz 11; Blümich/Ettlich, § 36 EStG, Rz 188 ff.; Zimmermann in Lademann, a.a.O., § 36 Rz 91b; Ribbrock, Betriebs-Berater 2012, 3059; von Brocke, Internationale Steuer-Rundschau 2012, 121, 122; Sydow, Neue Wirtschaftsbriefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht 2012, 2842, 2847). Es kommt daher von vornherein nicht in

Seite 5 von 8Bundesfinanzhof

10.06.2015http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh...

Page 15: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

Betracht, den Anrechnungsbetrag lediglich rein rechnerisch über die Anwendung des im Ausland anzuwendenden nominellen Steuersatzes auf den bezogenen Beteiligungsertrag zu ermitteln. Die Maßgeblichkeit der tatsächlich im Ausland angefallenen Körperschaftsteuer ist Ausfluss der unionsrechtlichen Vorgabe, eine gleichwertige und möglichst weitgehende Übertragung des Anrechnungssystems auf die grenzüberschreitenden Fälle vorzunehmen, ohne eine gegenüber dem Inlandsfall günstigere Behandlung herbeizuführen.

33 Denn das nationale Anrechnungsverfahren war in seiner Gesamtheit darauf ausgelegt, dass sich der aufseiten des Anteilseigners angerechnete Betrag und der aufseiten der Kapitalgesellschaft tatsächlich gezahlte Betrag entsprachen (s. auch EuGH-Urteil Manninen, EU:C:2004:484, Slg. 2004, I-7477, Rz 53, vgl. auch Rz 6 bis 11, 40 zur finnischen Ergänzungssteuer). Diesem Ziel dienten u.a. die gesetzliche Verpflichtung der Kapitalgesellschaft, ihr steuerbilanzielles Eigenkapital nach der Tarifbelastung zu gliedern (§ 30 KStG 1991), das diesbezügliche Feststellungsverfahren (§ 47 KStG 1991) sowie die finanzbehördlichen Prüfungsmöglichkeiten (§§ 193 ff. AO, § 50b EStG 1991). Die Anrechnung aufseiten des Anteilseigners erfolgte nach Vorlage einer auf der Grundlage der Eigenkapitalgliederungsvorschriften auszustellenden Bescheinigung (§ 44 Abs. 1 KStG 1991), für deren Richtigkeit der Aussteller einstehen musste (vgl. § 44 Abs. 4 und 5, § 45 Abs. 4 KStG 1991). In diesem normativen Umfeld war die grundsätzliche Kongruenz von Anrechnungsbetrag und Körperschaftsteuerschuld rechtstechnisch unbeschadet dessen sichergestellt, dass zwischen dem Anrechnungsbetrag und der Körperschaftsteuerschuld kein tatsächlicher, sondern nur ein vom Gesetzgeber gedanklich angenommener Zusammenhang bestand (vgl. Senatsurteil in BFHE 172, 370, BStBl II 1994, 191; Gosch, DStR 2004, 1988, 1992).

34 b) Ungeachtet der Frage, ob es der EuGH --die Mechanismen des inländischen Anrechnungssystems vor Augen-- aus unionsrechtlichen Gründen für gleichwertig gehalten hat, auf die im Ausland "tatsächlich entrichtete" Körperschaftsteuer abzustellen, ist im grenzüberschreitenden Fall die tatsächliche Zahlung als solche aber ohnehin nicht Anrechnungsvoraussetzung. Da der Gesetzgeber untätig geblieben ist und auf die Rechtsprechung des EuGH nicht reagiert hat (vgl. zu diesem gesetzgeberischen Untätigbleiben auch Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 36 Rz 11), steht dem vielmehr nach wie vor der unmissverständliche Wortlaut des § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 3 EStG 1990 entgegen, der ein solches Zahlungserfordernis nicht genügen lässt und der sich --zulasten des Steuerpflichtigen-- weder aus unionsrechtlichen Gründen noch mit den methodischen Mitteln der Rechtsanwendung überwinden lässt (vgl. Senatsurteil vom 5. Mai 2010 I R 105/08, BFH/NV 2010, 2043). Mit dem --von der Rechtsprechung (vgl. z.B. Senatsurteil in BFHE 172, 370, BStBl II 1994, 191) abweichenden-- Erfordernis einer vorherigen Festsetzung der Körperschaftsteuer gegenüber der ausschüttenden Kapitalgesellschaft hat das nichts zu tun.

35 c) Anders als die Vorinstanz im angefochtenen Urteil ausführt, ist die maßgebliche ausländische Körperschaftsteuer einem vom Anteilseigner vereinnahmten Beteiligungsertrag auch im grenzüberschreitenden Sachverhalt allein nach den steuerlichen Grundsätzen einer "Verwendungsfiktion" zuzuordnen (wie die Vorinstanz aber auch FG Münster, Urteil vom 19. Januar 2012 5 K 105/07, EFG 2012, 946; FG Düsseldorf, Urteil vom 21. März 2012 4 K 2878/09 AO, EFG 2012, 1159). Mangels anderweitiger unionsrechtlicher Vorgaben bleibt es auch insoweit dabei, eine möglichst gleichwertige Behandlung der grenzübergreifenden Fälle sicherzustellen und das Anrechnungsverfahren möglichst weitgehend zu übertragen. Angesichts dessen ist zur Zuordnung der im Ausland angefallenen Körperschaftsteuer auf das nationale Recht zurückzugreifen und es kann von den Anteilseignern ausländischer Kapitalgesellschaften nicht verlangt werden, eine Zuordnung der zivilrechtlich als ausgeschüttet anzusehenden Gewinne zum Zeitraum ihrer Erwirtschaftung vorzunehmen, um die zur Anrechnung berechtigende Steuerbelastung zu ermitteln. Einer solchen Zuordnung bedurfte es im nationalen Recht nicht, weil Eigenkapitalteilbeträge i.S. des § 30 KStG 1991 aufgrund (steuer-)gesetzlicher Verwendungsreihenfolge (§ 28 Abs. 3 KStG 1991) nach der Höhe ihrer Tarifbelastung als für eine Ausschüttung verwendet galten (vgl. Senatsurteile vom 7. November 1990 I R 68/88, BFHE 162, 337, BStBl II 1991, 177, dort insbesondere unter II.4.e der Gründe, und vom 8. Juni 2011 I R 69/10, BFH/NV 2011, 1921; Streck, KStG, 5. Aufl., 1997, § 28 Rz 9). Zwar diente die Verwendungsfiktion der Herstellung der Ausschüttungsbelastung aufseiten der Kapitalgesellschaft, die --als innerstaatliche Regelung zur Besteuerung der Körperschaft-- für den grenzüberschreitenden Fall ohne Relevanz bleiben muss. Sie hatte aber zugleich zur Folge, dass die beim Anteilseigner angerechnete Körperschaftsteuer von einer im (zivilrechtlich bestimmten) Erwirtschaftungszeitraum angefallenen Körperschaftsteuer abstrahiert war. Dieser Grundgedanke ist folglich auch der Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuerbeträge zugrunde zu legen, und zwar auch dann, wenn es im Ausland an einer Verpflichtung zur Eigenkapitalgliederung fehlt und infolgedessen aufseiten der Kapitalgesellschaft nur von einem undifferenzierten "Körperschaftsteuer-Vorrat" ausgegangen werden kann.

36 2. Zur Erörterung weiter gehender Einzelheiten besteht keine Veranlassung, weil im Streitfall so oder so eine Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer nicht in Betracht kommt. Nach den Feststellungen des FG haben die Kläger den ihnen obliegenden Nachweis hiernach zuzuordnender ausländischer Körperschaftsteuer durch die im Verfahren vorgelegten Belege nicht erbracht. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

37 a) Diese Feststellungen bleiben tragfähig, obschon die materiell-rechtlichen Ausführungen des FG zur Ermittlung des Anrechnungsbetrages den dargelegten Grundsätzen einer Verwendungsfiktion wohl widersprechen. Das FG hat ausgeführt, dass die von den Klägern vorgelegten, von den depotführenden

Seite 6 von 8Bundesfinanzhof

10.06.2015http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh...

Page 16: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

Banken ausgestellten Bescheinigungen nicht ausreichen würden, um den Beweis der tatsächlichen körperschaftsteuerlichen Vorbelastung zu erbringen. Es sei insbesondere nicht nachgewiesen, dass die Dividenden tatsächlich mit der ausgewiesenen Körperschaftsteuer belastet seien und auf welcher Grundlage die bescheinigte Vorbelastung ermittelt worden sei. Auch sonst seien keine Nachweise vorgelegt worden, die eine im Ausland tatsächlich angefallene Körperschaftsteuer hinreichend belegen würden. Diese Würdigung versteht der Senat dahin, dass bereits im Ausgangspunkt keinerlei Körperschaftsteuervorbelastung feststellbar war, ohne dass es auf (rechtliche) Einzelheiten der Ermittlung des Anrechnungsbetrages angekommen wäre. Insbesondere lässt das FG nicht erkennen, dass der fehlende Nachweis des jeweiligen Erwirtschaftungszeitraums für die Feststellungen von Bedeutung gewesen wäre.

38 b) Das FG geht bei seiner Überzeugungsbildung jedoch zu Recht davon aus, dass die Anteilseigner Nachweisobliegenheit und -risiko für die Anrechnungsvoraussetzungen treffen. Es ist unionsrechtlich geklärt, dass die Steuerbehörden eines Mitgliedstaats vom Steuerpflichtigen alle Belege verlangen dürfen, die ihnen für die Beurteilung der Frage notwendig erscheinen, ob die Voraussetzungen für einen Steuervorteil nach den einschlägigen Rechtsvorschriften erfüllt sind --einschließlich der Frage, welche Steuerabzüge in anderen Mitgliedstaaten tatsächlich vorgenommen wurden-- und ob dieser Vorteil demnach gewährt werden kann (EuGH-Urteile Meilicke II, EU:C:2011:438, Slg. 2011, I-5669, Rz 44, 45, und Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen AG vom 10. Februar 2011 C-436/08 und C-437/08, EU:C:2011:61, Slg. 2011, I-305, Rz 95, m.w.N.).

39 Diese Vorgaben gelten ungeachtet praktischer Probleme, die erforderlichen Informationen von den ausschüttenden Gesellschaften zu erlangen. Zwar hat der EuGH in anderen Fällen entschieden, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu prüfen, ob es sich --insbesondere unter Berücksichtigung der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen-- nicht als praktisch unmöglich oder als zu schwierig erweist, die Angaben über den tatsächlich angewandten Steuersatz und über die Steuer zu beschaffen (EuGH-Urteil Accor, EU:C:2011:581, Slg. 2011, I-8115, Rz 100 f.). Eine derartige Einschränkung hat der EuGH indessen in den Entscheidungen zur deutschen Rechtslage nicht gemacht, obwohl hierzu insbesondere deshalb hinreichender Anlass bestanden hätte, weil der Vorlagebeschluss des FG (in EFG 2009, 1491, unter B.III.2.d der Gründe) ausdrücklich die mögliche Vernichtung von Unterlagen und einen fehlenden Herausgabeanspruch als solche Gründe praktischer Unmöglichkeit angeführt hatte. Aufgrund dessen sowie angesichts der zeitlichen Nähe der beiden durch die Erste Kammer des EuGH in derselben Besetzung getroffenen Entscheidungen Accor (EU:C:2011:581, Slg. 2011, I-8115) und Meilicke II (EU:C:2011:438, Slg. 2011, I-5669) geht der Senat von einer bewusst differierenden Entscheidung aus. Es bleibt deshalb dabei, dass ein fehlender Informationsfluss auf Anlegerseite kein Problem ist, welches der betroffene Mitgliedstaat auffangen müsste (EuGH-Urteil Meilicke II, EU:C:2011:438, Slg. 2011, I-5669, Rz 48; vgl. auch EuGH-Urteil Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen AG, EU:C:2011:61, Slg. 2011, I-305, Rz 98), und dieser insbesondere auch nicht vom Amtshilfeverfahren (Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern, ABlEG 1977, Nr. L-336, 15; geändert durch die Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren, ABlEG 1992, Nr. L-76, 1) Gebrauch machen muss (EuGH-Urteil Meilicke II, EU:C:2011:438, Slg. 2011, I-5669, Rz 52).

40 c) Die Würdigung des FG lässt auch sonst keine entscheidungserheblichen Rechtsfehler erkennen.

41 aa) Das FG stützt seine Entscheidung zu Recht nicht darauf, dass die Vorlage einer Entwicklung des Eigenkapitals und der Körperschaftsteuerbelastung der ausschüttenden Gesellschaft seit 1977 nach Art einer "Schatten-Eigenkapitalgliederung" fehlt. Denn es bestehen keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, den Anrechnungsbetrag ausgehend vom letzten maßgeblichen Wirtschaftsjahr ("retrograd") zu belegen, und zwar unter Zuhilfenahme aller verfügbaren Beweismittel. Wie das FG in diesem Zusammenhang zutreffend erkannt hat, bedarf es zur Anrechnung --anders als im Inlandsfall-- nämlich nicht zwingend der Vorlage einer Körperschaftsteuerbescheinigung i.S. der §§ 44 ff. KStG, da § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. b EStG 1990 n.F. im grenzübergreifenden Verkehr unanwendbar ist (EuGH-Urteil Meilicke II, EU:C:2011:438, Slg. 2011, I-5669, Rz 53, 43).

42 bb) Die Vorinstanz musste eine Anrechnung auch nicht allein aufgrund der vorgelegten --allenfalls förmlich dem § 45 KStG 1991 entsprechenden-- "Körperschaftsteuerbescheinigungen" der ausländischen Banken zulassen, und zwar entgegen der Ansicht der Revision auch nicht aus Gründen einer unionsrechtlich gebotenen verfahrensrechtlichen Gleichbehandlung. Dem steht nämlich entgegen, dass der EuGH die materiell-rechtlichen Anrechnungsvoraussetzungen im Sinne einer wertenden Gleichbehandlung dahingehend erweitert hat, dass die tatsächlich im Ausland angefallene Körperschaftsteuer anzurechnen ist und so aufseiten des Anteilseigners --anders als im Inlandsfall-- auf die ausschüttende Kapitalgesellschaft "durchgegriffen" wird. Eine hierauf bezogene Nachweiswirkung wäre indessen im Streitfall mit einer den innerstaatlichen Vorgaben vollumfänglich entsprechenden Bescheinigung gleichermaßen nicht verbunden gewesen, weil die tatsächliche Belastung der Kapitalgesellschaft beim Anteilseigner lediglich unterstellt wurde (vgl. Senatsurteil in BFHE 172, 370, BStBl II 1994, 191; BFH-Beschluss vom 26. September 1991 VIII B 41/91, BFHE 165, 287, BStBl II 1991, 924) und eine Inlandsbescheinigung dementsprechend nicht die tatsächlich erhobene Körperschaftsteuer, sondern nur die nach dem festen, gesetzlich vorgeschriebenen Verhältnis berechnete Körperschaftsteuerbelastung erfasste (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Oktober 1995

Seite 7 von 8Bundesfinanzhof

10.06.2015http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh...

Page 17: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

VIII B 79/95, BFHE 179, 207, BStBl II 1996, 316). Folge dessen ist, dass --jedenfalls sofern nicht im Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft ein dem früheren deutschen System entsprechendes Anrechnungsverfahren praktiziert wird-- auch bei "äquivalenter" Behandlung der Bescheinigung ein Nachweisdefizit in Bezug auf den materiell-rechtlichen Anrechnungsbetrag verbleibt. Hierüber hilft, anders als die Revision meint, auch das EuGH-Urteil Meilicke II (EU:C:2011:438, Slg. 2011, I-5669, dort Rz 55, 59 Satz 1 Alternative 1) nicht hinweg.

43 cc) Es ist ferner nichts dafür ersichtlich, dass der EuGH die Anrechnung aufgrund einer solchen "nur-formellen" Bescheinigung zulassen wollte, ohne dass es des normativen Umfeldes aufseiten der ausschüttenden Kapitalgesellschaft bedürfte (vgl. dazu oben unter II.4.a aa der Gründe dieses Urteils), dessentwegen er die Anrechnungsvoraussetzungen im grenzübergreifenden Fall gerade erweitert hat. Die vom EuGH selbst vorgegebene materielle Gleichbehandlung würde auf diese Weise offenkundig unterlaufen. Auch käme es nicht nur zu einer im Ergebnis günstigeren Behandlung gegenüber innerstaatlichen Fällen, sondern auch gegenüber den übrigen grenzüberschreitenden Sachverhalten, in denen der Nachweis nicht durch eine solche "nur-formelle" Bescheinigung, sondern durch sonstige Belege geführt werden soll. Folglich bleibt es dabei, dass der Anrechnungsbetrag vom Anteilseigner vollen Umfangs nachzuweisen ist. Ein hierdurch (unionsrechtlich) ausgelöster und --bei isolierter Betrachtung des Anteilseigners-- gegenüber dem Inlandsfall erhöhter Verwaltungsaufwand ist hinzunehmen (vgl. auch EuGH-Urteile Persche vom 27. Januar 2009 C-318/07, EU:C:2009:33, Slg. 2009, I-359, Rz 59; Accor, EU:C:2011:581, Slg. 2011, I-8115, Rz 92 ff.). Unionsrechtliche Zweifel hieran, die zu einer neuerlichen EuGH-Vorlage Anlass gäben, bestehen nicht (vgl. EuGH-Urteil C.I.L.F.I.T. vom 6. Oktober 1982 283/81, EU:C:1982:335, Slg. 1982, 3415), zumal der EuGH im Urteil Meilicke II (EU:C:2011:438, Slg. 2011, I-5669, Rz 40) auf seine Ausführungen im Urteil Persche (EU:C:2009:33, Slg. 2009, I-359) Bezug nimmt. Dort hatte er in einer unionsrechtlich vergleichbaren Konstellation bereits entschieden, dass ein Mitgliedstaat auch dann alle erforderlichen Belege für die Prüfung der materiellen Voraussetzungen eines Steuervorteils verlangen kann, wenn dessen Gewährung im Inlandsfall ohne weitere Prüfung aufgrund der Vorlage einer förmlichen Bescheinigung --für deren Richtigkeit der Aussteller haftete-- erfolgt wäre (EuGH-Urteil Persche, EU:C:2009:33, Slg. 2009, I-359, Rz 7, 72, zu § 10b EStG; vgl. auch Vorlagebeschluss des BFH vom 9. Mai 2007 XI R 56/05, BFHE 218, 125, BStBl II 2010, 260, unter II.3. der Gründe).

44 V. Das angefochtene Urteil ist schließlich nicht wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben. Das dahingehende klägerische Vorbringen erachtet der Senat nicht für durchgreifend. Er sieht von einer Begründung nach § 126 Abs. 6 Satz 1 FGO ab, was auch bei einer Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zulässig ist, wenn sie --wie im Streitfall-- nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens betrifft (vgl. BFH-Urteil vom 29. April 2008 VIII R 28/07, BFHE 220, 332, BStBl II 2009, 842).

45 VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2, Abs. 5 Satz 1 FGO.

Siehe auch: Pressemitteilung Nr. 40/15 vom 10.6.2015

Seite 8 von 8Bundesfinanzhof

10.06.2015http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh...

Page 18: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 19: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 20: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 21: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 22: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 23: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 24: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 25: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 26: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 27: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 28: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 29: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 30: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 31: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 32: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 33: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 34: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 35: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 36: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten
Page 37: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

30. Juni 2011(*)

„Freier Kapitalverkehr – Einkommensteuer – Bescheinigung über die tatsächlich gezahlte Körperschaftsteuer, die auf Dividenden aus dem Ausland lastet – Vermeidung der

Doppelbesteuerung von Dividenden – Steuergutschrift bei von inländischen Gesellschaften gezahlten Dividenden – Erforderliche Nachweise über die anrechenbare ausländische

Steuer“

In der Rechtssache C-262/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Finanzgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 14. Mai 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Juli 2009, berichtigt mit Entscheidung vom 10. August 2009, beim

Gerichtshof eingegangen am 7. September 2009, in dem Verfahren

Wienand Meilicke,

Heidi Christa Weyde,

Marina Stöffler

gegen

Finanzamt Bonn-Innenstadt

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter M. Ilešič, E. Levits (Berichterstatter) und M. Safjan sowie der Richterin M. Berger,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Oktober 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von Herrn Meilicke, Frau Weyde und Frau Stöffler, vertreten durch Rechtsanwälte W. Meilicke und D. Rabback,

– des Finanzamts Bonn-Innenstadt, vertreten durch G. Sasonow und F. Mlosch, Prozessbevollmächtigte,

– der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als

Bevollmächtigte,

Seite 1 von 14CURIA - Dokumente

10.06.2015http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn...

Page 38: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

– der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und W. Mölls als

Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin vom 13. Januar 2011

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 56 EG und 58 EG, an

deren Stelle seit dem 1. Dezember 2009 die Art. 63 AEUV und 65 AEUV getreten sind.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn W. Meilicke, Frau Weyde und Frau Stöffler als Erben des am 3. Mai 1997 verstorbenen H. Meilicke einerseits

und dem Finanzamt Bonn-Innenstadt (im Folgenden: Finanzamt) andererseits über die Besteuerung von Dividenden, die dem Verstorbenen in den Jahren 1995 bis 1997 von

Gesellschaften mit Sitz in Dänemark und in den Niederlanden gezahlt worden waren.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Art. 56 Abs. 1 EG im Dritten Teil des EG-Vertrags über die Politiken der Europäischen Gemeinschaft, Titel III („Die Freizügigkeit, der freie Dienstleistungs- und Kapitalverkehr“),

Kapitel 4 („Der Kapital- und Zahlungsverkehr“), bestimmte:

„Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und

dritten Ländern verboten.“

4 Art. 58 Abs. 1 EG sah vor:

„Artikel 56 berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten,

a) die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln,

…“

5 Art. 58 Abs. 3 EG lautete:

„Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Maßnahmen und Verfahren dürfen weder ein

Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 56 darstellen.“

6 Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern (ABl. L 336, S. 15) bestimmt:

„Die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats kann die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaats um die Erteilung der in Artikel 1 Absatz 1 bezeichneten Auskünfte im

Einzelfall ersuchen. …“

Seite 2 von 14CURIA - Dokumente

10.06.2015http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn...

Page 39: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

Das für die Jahre 1995 bis 1997 geltende deutsche Recht

7 Nach den §§ 1, 2 und 20 des Einkommensteuergesetzes vom 7. September 1990 (BGBl. I 1990 S. 1898) in der durch das Gesetz vom 13. September 1993 (BGBl. I 1993 S. 1569) geänderten Fassung (im Folgenden: EStG) werden Dividenden, die in Deutschland

wohnhaften und somit unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Personen zugutekommen, dort als Einkünfte aus Kapitalvermögen besteuert.

8 Nach § 27 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes vom 11. März 1991 (BGBl. I 1991 S. 638) in der durch das Gesetz vom 13. September 1993 geänderten Fassung (im Folgenden: KStG) wird auf Dividenden, die von in Deutschland unbeschränkt

körperschaftsteuerpflichtigen Kapitalgesellschaften ausgeschüttet werden, Körperschaftsteuer zum Satz von 30 % erhoben. Dies schlägt sich in einer Ausschüttung von

70 % der Erträge vor Steuern und einer Steuergutschrift in Höhe von 30/70, also 3/7, der erhaltenen Dividenden nieder.

9 Diese Steuergutschrift findet nach § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG – bei einer Auslegung im

Licht des Urteils des Gerichtshofs vom 6. März 2007, Meilicke u. a. (C-292/04, Slg. 2007, I-1835) – bei Dividenden Anwendung, die von in Deutschland oder in einem anderen

Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften bezogen werden. Folglich kommen die in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Personen in den Genuss dieser Steuergutschrift, wenn sie Dividenden von deutschen oder ausländischen

Gesellschaften erhalten.

10 Nach § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. b EStG wird die Körperschaftsteuer u. a. dann nicht angerechnet, wenn die in den §§ 44 ff. KStG bezeichnete Steuerbescheinigung nicht

vorgelegt worden ist.

11 § 44 KStG sieht vor:

„(1) Erbringt eine unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft für eigene Rechnung Leistungen, die bei den Anteilseignern Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 des Einkommensteuergesetzes sind, so ist sie vorbehaltlich des Absatzes 2 verpflichtet, ihren

Anteilseignern auf Verlangen die folgenden Angaben nach amtlich vorgeschriebenem Muster zu bescheinigen:

1. den Namen und die Anschrift des Anteilseigners;

2. die Höhe der Leistungen;

3. den Zahlungstag;

4. den Betrag der nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes anrechenbaren Körperschaftsteuer;

5. den Betrag der zu vergütenden Körperschaftsteuer im Sinne des § 52; es genügt, wenn sich die Angabe auf eine einzelne Aktie, einen einzelnen Geschäftsanteil oder ein einzelnes Genussrecht bezieht;

6. die Höhe der Leistung, für die der Teilbetrag im Sinne des § 30 Abs. 2 Nr. 1 als verwendet gilt;

7. die Höhe der Leistung, für die der Teilbetrag im Sinne des § 30 Abs. 2 Nr. 4 als verwendet gilt.

Seite 3 von 14CURIA - Dokumente

10.06.2015http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn...

Page 40: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

…“

12 § 175 der Abgabenordnung (Gesetz vom 16. März 1976, BGBl. I 1976 S. 613, berichtigt in BGBl. I 1977 S. 269) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 (BGBl. I 2002 S. 3866, berichtigt in BGBl. I 2003 S. 61) (im Folgenden: AO) sieht vor:

„(1) Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern,

2. soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).

In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt.

…“

13 Am 9. Dezember 2004 wurde die AO hinsichtlich der Bestandskraft von Steuerbescheiden und ihrer Änderung im Fall rückwirkender Ereignisse durch das Gesetz zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften (BGBl. I 2004 S. 3310) geändert (im Folgenden: AO in der geänderten Fassung). Wie sich aus Art. 8 dieses Änderungsgesetzes ergibt, lautet § 175 Abs. 2 Satz 2 der AO in der geänderten Fassung wie folgt:

„Die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung gilt nicht als rückwirkendes Ereignis.“

14 Zur Abgrenzung des zeitlichen Anwendungsbereichs von § 175 Abs. 2 Satz 2 der AO in der geänderten Fassung wurde Art. 97 § 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 14. Dezember 1976 (BGBl. I 1976 S. 3341, berichtigt in BGBl. I 1977 S. 667, im Folgenden: EGAO) durch Einfügung eines Abs. 3 geändert; dort heißt es nunmehr:

„§ 175 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung in der [geänderten] Fassung … ist erstmals anzuwenden, wenn die Bescheinigung oder Bestätigung nach dem 28. Oktober 2004 vorgelegt oder erteilt wird. …“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

15 Herr H. Meilicke, der in Deutschland wohnhaft war, besaß Aktien von Gesellschaften mit Sitz in den Niederlanden und in Dänemark. In den Jahren 1995 bis 1997 erhielt er darauf Dividenden in Höhe von insgesamt 39 631,32 DM, d. h. 20 263,17 Euro.

16 Mit Schreiben vom 30. Oktober 2000 beantragten die Kläger des Ausgangsverfahrens beim Finanzamt eine Steuergutschrift in Höhe von 3/7 dieser Dividenden, die auf die für Herrn H. Meilicke veranlagte Einkommensteuer angerechnet werden sollte.

17 Das Finanzamt lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass nur die Körperschaftsteuer, die eine in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Gesellschaft belaste, auf die Einkommensteuer angerechnet werden könne.

18 Dagegen erhoben die Kläger des Ausgangsverfahrens Klage beim Finanzgericht Köln, das dem Gerichtshof mit Entscheidung vom 24. Juni 2004 folgende Frage zur Vorabentscheidung vorlegte:

Seite 4 von 14CURIA - Dokumente

10.06.2015http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn...

Page 41: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

Ist § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG, wonach nur die Körperschaftsteuer einer unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Körperschaft oder Personenvereinigung in Höhe von 3/7 der Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 EStG auf die Einkommensteuer angerechnet wird, mit Art. 56 Abs. 1 EG und Art. 58 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 EG vereinbar?

19 Infolge des Urteils vom 7. September 2004, Manninen (C-319/02, Slg. 2004, I-7477), änderten die Kläger des Ausgangsverfahrens ihren Antrag mit Schriftsätzen vom 7. Januar 2005, vom 16. Mai 2007 und vom 23. November 2007 dahin gehend, dass sie eine Steuergutschrift für die Körperschaftsteuer nicht mehr in Höhe von 3/7 der streitigen Dividenden beanspruchen, sondern in Höhe von 34/66 der Bruttodividenden aus Dänemark und 35/65 der Bruttodividenden aus den Niederlanden.

20 Im Urteil Meilicke u. a. hat der Gerichtshof für Recht erkannt:

„Die Art. 56 EG und 58 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer Steuerregelung entgegenstehen, nach der bei einer Ausschüttung von Dividenden durch eine Kapitalgesellschaft ein in einem Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtiger Anteilseigner dann in den Genuss einer Steuergutschrift kommt, die nach Maßgabe des für die ausgeschütteten Gewinne geltenden Körperschaftsteuersatzes berechnet wird, wenn die ausschüttende Gesellschaft ihren Sitz im selben Mitgliedstaat hat, nicht aber dann, wenn sie ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat.“

21 Infolge dieses Urteils ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass den Klägern des Ausgangsverfahrens ein Anspruch auf zwei Steuergutschriften zuzusprechen sei, die nach Maßgabe des in den Mitgliedstaaten, in denen die ausschüttenden Gesellschaften ihren Sitz hätten, für die ausgeschütteten Gewinne geltenden Körperschaftsteuersatzes zu berechnen seien.

22 Das Finanzgericht Köln stellt allerdings fest, dass sich die Höhe der in den Niederlanden und in Dänemark tatsächlich gezahlten Körperschaftsteuer in der Praxis nicht bestimmen lasse. Infolgedessen hat es Zweifel, wie vorzugehen ist, insbesondere in Bezug auf die konkrete Berechnung zur Bestimmung des Betrags der Steuergutschriften, den die Kläger des Ausgangsverfahrens beanspruchen können. Das vorlegende Gericht hält insoweit drei Lösungen für möglich, nämlich erstens die Anwendung einer nationalen Vorschrift, in der bestimmt werde, dass die auf ausländischen Dividenden lastende Körperschaftsteuer in der Höhe des Bruchteils, der bei von inländischen Gesellschaften ausgeschütteten Bruttodividenden zur Anwendung komme, auf die Einkommensteuer angerechnet werde, zweitens eine Schätzung des Satzes der auf den ausländischen Dividenden lastenden ausländischen Körperschaftsteuer oder drittens eine möglichst genaue Bestimmung der Höhe der erhobenen ausländischen Körperschaftsteuer. Für den letzten Fall fragt es sich, welche Beweise erforderlich sind, um die Berechnung der Steuergutschrift vornehmen zu können.

23 In diesem Kontext hat das Finanzgericht Köln erneut beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Stehen die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 EG und Art. 58 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 EG, der Effektivitätsgrundsatz und das Prinzip des Effet utile einer Regelung – wie § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG (in der in den Streitjahren geltenden Fassung) – entgegen, wonach die Körperschaftsteuer in Höhe von 3/7 der Bruttodividenden auf die Einkommensteuer angerechnet wird, soweit diese nicht aus Ausschüttungen stammen, für die Eigenkapital im Sinne des § 30 Abs. 2 Nr. 1 KStG (in der in den Streitjahren geltenden Fassung) als verwendet gilt, obwohl die auf der

Seite 5 von 14CURIA - Dokumente

10.06.2015http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn...

Page 42: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

von einer im EG-Ausland ansässigen Körperschaft bezogenen Dividende lastende tatsächlich entrichtete Körperschaftsteuer faktisch nicht feststellbar ist und höher sein könnte?

2. Stehen die Kapitalverkehrsfreiheit, der Effektivitätsgrundsatz und das Prinzip des Effet utile einer Regelung – wie § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. b EStG (in der in den Streitjahren geltenden Fassung) – entgegen, wonach die Anrechnung der Körperschaftsteuer [auf die Einkommensteuer] die Vorlage einer Körperschaftsteuerbescheinigung im Sinne der §§ 44 ff. KStG (in der in den Streitjahren geltenden Fassung) erfordert, die u. a. den Betrag der anrechenbaren Körperschaftsteuer sowie die Zusammensetzung der Leistung nach den unterschiedlichen Teilen des verwendbaren Eigenkapitals auf der Grundlage einer speziellen Eigenkapitalgliederung im Sinne des § 30 KStG (in der in den Streitjahren geltenden Fassung) enthalten muss, obwohl die tatsächlich entrichtete anzurechnende ausländische Körperschaftsteuer faktisch nicht festzustellen und die Bescheinigung im Hinblick auf ausländische Dividenden faktisch unmöglich beizubringen ist?

3. Gebietet es die Kapitalverkehrsfreiheit bei tatsächlicher Unmöglichkeit der Vorlage einer Körperschaftsteuerbescheinigung im Sinne des § 44 KStG (in der in den Streitjahren geltenden Fassung) und in Ermangelung der Feststellbarkeit der auf der ausländischen Dividende lastenden tatsächlich entrichteten Körperschaftsteuer die Höhe der Körperschaftsteuerbelastung zu schätzen und gegebenenfalls dabei auch mittelbare Körperschaftsteuervorbelastungen zu berücksichtigen?

4. a) Falls Frage 2 verneint wird und [demnach] eine Körperschaftsteuerbescheinigung erforderlich ist:

Sind der Effektivitätsgrundsatz und [das Prinzip des] Effet utile dahin gehend zu verstehen, dass sie einer Regelung – wie § 175 Abs. 2 Satz 2 [der] AO [in der geänderten Fassung] in Verbindung mit Art. 97 § 9 Abs. 3 EGAO – entgegenstehen, wonach u. a. die Vorlage einer Körperschaftsteuerbescheinigung ab dem 29. Oktober 2004 nicht mehr als rückwirkendes Ereignis gilt, wodurch die Anrechnung der ausländischen Körperschaftsteuer bei bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen [in Deutschland] verfahrensrechtlich unmöglich gemacht wird, ohne dass eine Übergangsfrist zur Geltendmachung der Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer eingeräumt worden ist?

b) Falls Frage 2 bejaht wird und [demnach] keine Körperschaftsteuerbescheinigung erforderlich ist:

Sind die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 EG, der Effektivitätsgrundsatz und [das Prinzip des] Effet utile dahin gehend zu verstehen, dass sie einer Regelung – wie § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO – entgegenstehen, wonach ein Steuerbescheid zu ändern ist, soweit ein rückwirkendes Ereignis – wie etwa die Vorlage einer Körperschaftsteuerbescheinigung – eintritt und damit bezüglich inländischer Dividenden eine Körperschaftsteueranrechnung auch bei bestandskräftigen Einkommensteuerbescheiden möglich ist, während dies bei ausländischen Dividenden mangels Körperschaftsteuerbescheinigung nicht möglich wäre?

Zu den Vorlagefragen

Seite 6 von 14CURIA - Dokumente

10.06.2015http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn...

Page 43: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

Zur ersten Frage

24 Mit dieser – im Zusammenhang mit den beiden folgenden Fragen verstandenen – Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 56 EG und 58 EG dahin gehend auszulegen sind, dass sie in dem Fall, dass die nach den Rechtsvorschriften eines

Mitgliedstaats erforderlichen Nachweise für die Inanspruchnahme einer Steuergutschrift für die auf Dividenden lastende Körperschaftsteuer nicht vorgelegt wurden, der Anwendung

einer Vorschrift wie § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG entgegenstehen, wonach die auf ausländischen Dividenden lastende Körperschaftsteuer in Höhe des Bruchteils, der der Körperschaftsteuer auf von inländischen Gesellschaften ausgeschüttete Bruttodividenden

entspricht, auf die Einkommensteuer angerechnet wird.

25 In den Gründen des Urteils Meilicke u. a. hat der Gerichtshof zunächst darauf hingewiesen,

dass das Finanzgericht Köln sein Vorabentscheidungsersuchen vor der Verkündung des Urteils Manninen vorgelegt hatte.

26 Sodann hat der Gerichtshof dargelegt, dass nach Randnr. 54 des Urteils Manninen bei der

Berechnung einer Steuergutschrift für einen in Finnland unbeschränkt steuerpflichtigen Aktionär, der Dividenden von einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat

empfangen hat, die von der in diesem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft tatsächlich entrichtete Steuer berücksichtigt werden muss, wie sie sich aus den auf die Berechnung der Besteuerungsgrundlage anwendbaren allgemeinen Regeln und aus dem Satz

der Körperschaftsteuer im letztgenannten Mitgliedstaat ergibt (Urteil Meilicke u. a., Randnr. 15).

27 Unter Berücksichtigung der Forderung der Kläger des Ausgangsverfahrens nach einer

Steuergutschrift in Höhe von 34/66 der Dividenden dänischer Herkunft und in Höhe von 35/65 der Dividenden niederländischer Herkunft sowie der Position der deutschen

Regierung, im Fall von Dividenden ausländischen Ursprungs könne eine Steuergutschrift nicht pauschal in Höhe von 3/7 der empfangenen Dividenden gewährt werden, da die Steuergutschrift an den Steuersatz anknüpfen müsse, der nach dem Körperschaftsteuerrecht

des Sitzmitgliedstaats der die Dividenden ausschüttenden Gesellschaft für die ausgeschütteten Gewinne gelte (Urteil Meilicke u. a., Randnrn. 16 und 17), hat der

Gerichtshof die sich aus dem Urteil Manninen ergebende Rechtsprechung bestätigt.

28 Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass es der Gerichtshof mit seiner in Randnr. 20 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Antwort auf die Vorlagefrage im

Urteil Meilicke u. a. ausgeschlossen hat, dass die Steuergutschrift, auf die ein in einem Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtiger Anteilseigner in Verbindung mit von einer

Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat ausgeschütteten Dividenden Anspruch hat, anders berechnet wird als nach Maßgabe des gemäß des Rechts des Sitzmitgliedstaats der ausschüttenden Gesellschaft für die von ihr ausgeschütteten Gewinne

geltenden Körperschaftsteuersatzes.

29 Darüber hinaus hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass ein Mitgliedstaat, in dem ein

System zur Vermeidung oder Abschwächung der mehrfachen Belastung oder wirtschaftlichen Doppelbesteuerung bei Dividendenausschüttungen durch gebietsansässige Gesellschaften an ebenfalls Gebietsansässige besteht, bei Dividendenausschüttungen durch

gebietsfremde Gesellschaften an Gebietsansässige eine gleichwertige Behandlung vorzusehen hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Juli 2004, Lenz, C-315/02, Slg. 2004,

I-7063, Randnrn. 27 bis 49, Manninen, Randnrn. 29 bis 55, und vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C-374/04, Slg. 2006, I-11673, Randnr. 55).

Seite 7 von 14CURIA - Dokumente

10.06.2015http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn...

Page 44: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

30 Im Rahmen solcher Systeme ist nämlich die Situation von Anteilseignern, die in einem

Mitgliedstaat ansässig sind und Dividenden von einer in diesem Staat niedergelassenen Gesellschaft beziehen, mit derjenigen von Anteilseignern, die in diesem Staat ansässig sind und Dividenden von einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft

beziehen, insoweit vergleichbar, als sowohl die Dividenden aus inländischen als auch die aus ausländischen Quellen Gegenstand einer mehrfachen Belastung – bei Gesellschaften als

Anteilseignern – und einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung – bei Endanteilseignern – sein können (vgl. in diesem Sinne Urteile Lenz, Randnrn. 31 und 32, Manninen, Randnrn. 35 und 36, sowie Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, Randnr. 56).

31 Im Licht dieser Rechtsprechung ist ein Mitgliedstaat wie die Bundesrepublik Deutschland angesichts des dort bestehenden Systems zur Vermeidung der wirtschaftlichen

Doppelbesteuerung verpflichtet, bei Dividendenausschüttungen durch gebietsfremde Gesellschaften an Gebietsansässige eine Behandlung vorzusehen, die mit der bei Dividendenausschüttungen durch gebietsansässige Gesellschaften an Gebietsansässige

gleichwertig ist. Das bedeutet, dass das entsprechende nationale System so weit wie möglich auf grenzübergreifende Fallgestaltungen übertragen werden muss. Daher ist in Fällen, in

denen im Inland eine indirekte Körperschaftsteuervorbelastung nicht berücksichtigt werden kann – was von dem nationalen Gericht zu prüfen ist –, eine solche Berücksichtigung auch nicht bei Dividenden vorzunehmen, die von gebietsfremden Gesellschaften an

Gebietsansässige ausgeschüttet werden.

32 In einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens ist die Verpflichtung eines Mitgliedstaats, eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung bei einer natürlichen Person, die

Endbegünstigter von Dividenden ausländischer Herkunft ist, zu neutralisieren, auf den Abzug der von der ausschüttenden Gesellschaft nach dem Recht des Mitgliedstaats ihres

Sitzes für diese Dividenden gezahlten Körperschaftsteuer von der von dem Anteilseigner für diese Dividenden zu entrichtenden Einkommensteuer begrenzt.

33 Der in Art. 56 Abs. 1 EG niedergelegte freie Kapitalverkehr kann nämlich entsprechend

dem Vorbringen des Finanzamts und der deutschen Regierung nicht zur Folge haben, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, über eine Aufhebung der inländischen Steuer, die der

Anteilseigner für aus dem Ausland bezogene Dividenden zu entrichten hat, hinauszugehen und einen Betrag zu erstatten, der seinen Ursprung im Steuersystem eines anderen Mitgliedstaats hat (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the

FII Group Litigation, C-446/04, Slg. 2006, I-11753, Randnr. 52), da sonst die Steuerautonomie des erstgenannten Mitgliedstaats durch die Ausübung der Steuerhoheit des

anderen Mitgliedstaats beschränkt würde (vgl. u. a. Urteile Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 47, vom 20. Mai 2008, Orange European Smallcap Fund, C-194/06, Slg.

2008, I-3747, Randnr. 30, und vom 16. Juli 2009, Damseaux, C-128/08, Slg. 2009, I-6823, Randnr. 25).

34 Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage, verstanden im Zusammenhang mit den beiden

folgenden Fragen, zu antworten, dass die Art. 56 EG und 58 EG bei der Berechnung der Höhe der Steuergutschrift, auf die ein in einem Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtiger Anteilseigner in Verbindung mit von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen

Kapitalgesellschaft gezahlten Dividenden Anspruch hat, in dem Fall, dass die nach den Rechtsvorschriften des erstgenannten Mitgliedstaats erforderlichen Nachweise nicht

vorgelegt wurden, der Anwendung einer Vorschrift wie § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG entgegenstehen, wonach die auf ausländischen Dividenden lastende Körperschaftsteuer in Höhe des Bruchteils, der der Körperschaftsteuer auf von Gesellschaften des erstgenannten

Mitgliedstaats ausgeschüttete Bruttodividenden entspricht, auf die von dem Anteilseigner zu entrichtende Einkommensteuer angerechnet wird. Die Steuergutschrift ist nach Maßgabe des

Seite 8 von 14CURIA - Dokumente

10.06.2015http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn...

Page 45: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

Körperschaftsteuersatzes zu berechnen, der nach dem Recht des Sitzmitgliedstaats der

ausschüttenden Gesellschaft auf die ausgeschütteten Dividenden angewandt wird, wobei der gutzuschreibende Betrag indessen nicht den Betrag der Einkommensteuer übersteigen kann, den der begünstigte Anteilseigner in dem Mitgliedstaat, in dem er unbeschränkt

steuerpflichtig ist, auf die bezogenen Dividenden zu entrichten hat.

Zur zweiten und zur dritten Frage

35 Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 56 EG und 58 EG dahin gehend auszulegen sind, dass sie der Anwendung einer Vorschrift wie § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. b EStG entgegenstehen, wonach die

Detailliertheit und die Präsentationsform der Nachweise, die ein Anteilseigner, der in einem Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtig ist, beizubringen hat, um dort in den Genuss einer

Steuergutschrift in Verbindung mit dem Bezug von Dividenden kommen zu können, die von einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gezahlt werden, der Detailliertheit und der Präsentationsform entsprechen müssen, die verlangt werden, wenn

die ausschüttende Gesellschaft in dem erstgenannten Mitgliedstaat ansässig ist. Für den Fall, dass dies zu bejahen ist, möchte es wissen, welches Maß an Präzision die vorgelegten

Nachweise im Hinblick auf die Feststellung des ausländischen Körperschaftsteuersatzes, zu dem die Dividenden belastet wurden, aufweisen müssen, um so den Betrag der Steuergutschrift zu bestimmen, auf den ihr Empfänger Anspruch hat, und ob es die Art. 56

EG und 58 EG dem nationalen Richter gegebenenfalls gestatten, den entsprechenden Steuersatz zu schätzen.

36 Im Hinblick auf die Beantwortung dieser Fragen ist zunächst hervorzuheben, dass der

Körperschaftsteuersatz für ausgeschüttete Gewinne, der auf die Dividenden ausschüttende Gesellschaft Anwendung findet, so genau wie möglich bestimmt werden muss, da er für die

Berechnung der Steuergutschrift, auf die der Anteilseigner in seinem Wohnsitzstaat Anspruch hat, ausschlaggebend ist. Daher ist von vornherein ausgeschlossen, dass die Berechnung dieser Steuergutschrift auf eine bloße Schätzung des einschlägigen Steuersatzes

gestützt wird.

37 Sodann ist festzustellen, dass es dem Grundsatz der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten

inhärent ist, dass die Mitgliedstaaten bestimmen, welche Nachweise nach ihrem eigenen nationalen System erforderlich sind, um in den Genuss einer solchen Steuergutschrift zu kommen.

38 Gleichwohl müssen bei der Ausübung dieser Steuerautonomie der Mitgliedstaaten die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Erfordernisse, insbesondere die durch die Bestimmungen

des Vertrags über den freien Kapitalverkehr vorgegebenen, beachtet werden.

39 Insoweit hat der Gerichtshof bereits klargestellt, dass eventuelle Schwierigkeiten bei der Ermittlung der tatsächlich in einem anderen Mitgliedstaat entrichteten Steuer ein Hindernis

für den freien Kapitalverkehr nicht rechtfertigen können (vgl. Urteile Manninen, Randnr. 54, und Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 70).

40 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass nationale Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wonach die Steuergutschrift nur bei Vorlage einer dem nationalen System des betreffenden Mitgliedstaats entsprechenden Bescheinigung

gewährt wird, ohne jede Möglichkeit für den Anteilseigner, die Höhe der von der Dividenden ausschüttenden Gesellschaft tatsächlich gezahlten Steuer mit anderen

einschlägigen Umständen und Informationen nachzuweisen, eine nach Art. 65 Abs. 3 AEUV verbotene verschleierte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt (vgl. entsprechend Urteil vom 27. Januar 2009, Persche, C-318/07, Slg. 2009, I-359, Randnr. 72).

Seite 9 von 14CURIA - Dokumente

10.06.2015http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn...

Page 46: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

41 Zwar geht aus der Rechtsprechung hervor, dass das Erfordernis, die Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle zu gewährleisten, ein zwingender Grund des Allgemeininteresses ist, der eine Beschränkung der Ausübung der vom Vertrag garantierten Grundfreiheiten rechtfertigen kann, und dass ein Mitgliedstaat zur Anwendung von Maßnahmen befugt ist, die die klare und genaue Feststellung der Höhe der in diesem Mitgliedstaat abziehbaren, aber in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Aufwendungen erlauben (vgl. u. a. Urteile vom 15. Mai 1997, Futura Participations und Singer, C-250/95, Slg. 1997, I-2471, Randnr. 31, und vom 10. März 2005, Laboratoires Fournier, C-39/04, Slg. 2005, I-2057, Randnr. 24).

42 Jedoch kann eine beschränkende Maßnahme nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, also geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das dazu Erforderliche hinausgeht (vgl. u. a. Urteile vom 18. Dezember 2007, A, C-101/05, Slg. 2007, I-11531, Randnrn. 55 und 56, sowie Persche, Randnr. 52).

43 Eine Regelung eines Mitgliedstaats, durch die in dem entsprechenden Mitgliedstaat unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Personen, die in Kapitalgesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat investiert haben, absolut daran gehindert werden, Nachweise vorzulegen, die – insbesondere hinsichtlich der Präsentation – anderen Kriterien entsprechen als den in den Rechtsvorschriften des erstgenannten Mitgliedstaats für Investitionen im Inland vorgesehenen, stünde nicht nur im Widerspruch zum Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung, sondern ginge vor allem über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels der Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle erforderlich ist.

44 Es lässt sich nämlich nicht von vornherein ausschließen, dass die entsprechenden Anteilseigner einschlägige Belege vorlegen können, anhand deren die Steuerbehörden des Besteuerungsmitgliedstaats klar und genau prüfen können, welche Steuerabzüge in anderen Mitgliedstaaten tatsächlich vorgenommen worden sind (vgl. entsprechend Urteile Laboratoires Fournier, Randnr. 25, und Persche, Randnr. 53).

45 In Bezug auf die Beweislast und das Maß an Präzision, das die Nachweise aufweisen müssen, die erforderlich sind, um in Verbindung mit von einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Dividenden in den Genuss einer Steuergutschrift zu kommen, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass die Steuerbehörden eines Mitgliedstaats vom Steuerpflichtigen alle Belege verlangen dürfen, die ihnen für die Beurteilung der Frage notwendig erscheinen, ob die Voraussetzungen für einen Steuervorteil nach den einschlägigen Rechtsvorschriften erfüllt sind und ob dieser Vorteil demnach gewährt werden kann (vgl. Urteil vom 10. Februar 2011, Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen, C-436/08 und C-437/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 95 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46 Die entsprechende Beurteilung darf nicht zu formalistisch erfolgen, so dass die Vorlage von Belegen, die nicht das Maß an Detailliertheit aufweisen und nicht in der Form der Körperschaftsteuerbescheinigung vorgelegt werden, die in den Rechtsvorschriften des Besteuerungsmitgliedstaats eines Anteilseigners vorgesehen ist, der Dividenden von einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat bezogen hat, die es den Steuerbehörden des Besteuerungsmitgliedstaats aber nichtsdestoweniger erlauben, klar und genau zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Steuervorteils vorliegen, von diesen Behörden als mit der Vorlage der entsprechenden Bescheinigung gleichwertig anzusehen ist.

Seite 10 von 14CURIA - Dokumente

10.06.2015http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn...

Page 47: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

47 Nur wenn der betreffende Anteilseigner die in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils angeführten Informationen nicht beibringt, können die zuständigen Steuerbehörden den beantragten Steuervorteil verweigern.

48 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, ist der fehlende Informationsfluss auf der Anlegerseite nämlich kein Problem, das der betroffene Mitgliedstaat auffangen müsste (vgl. Urteil Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen, Randnr. 98).

49 In jenem Urteil, das eine Gesellschaft betrifft, die Dividenden bezieht, aber auch für eine natürliche Person gilt, die sich in derselben Situation befindet, verweist der Gerichtshof im Übrigen auf die Bedeutung der Richtlinie 77/799, mit der Steuerhinterziehung verhindert werden soll.

50 Insoweit bedeutet der Umstand, dass die Finanzverwaltung eines Mitgliedstaats, der eine Steuergutschrift gewährt, bei Dividenden, die von Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten ausgeschüttet werden, vom Amtshilfeverfahren der Richtlinie 77/799 Gebrauch machen kann, nicht, dass sie gehalten wäre, die Empfängergesellschaft von der Erbringung des Nachweises der von der ausschüttenden Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat entrichteten Steuer zu entbinden (vgl. Urteil Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen, Randnr. 100).

51 Da nämlich die nationalen Steuerbehörden durch die Richtlinie 77/799 ermächtigt werden, um Auskünfte zu ersuchen, die ihnen selbst nicht zugänglich sind, lässt die Verwendung des Wortes „kann“ in Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie erkennen, dass diese Behörden zwar die Möglichkeit haben, die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaats um Auskunft zu ersuchen, dazu aber nicht verpflichtet sind. Es ist Sache jedes Mitgliedstaats, zu beurteilen, in welchen konkreten Fällen ihm Informationen über Umsätze in seinem Hoheitsgebiet ansässiger Steuerpflichtiger fehlen, und zu entscheiden, ob es in diesen Fällen gerechtfertigt ist, einen anderen Mitgliedstaat um Auskunft zu ersuchen (Urteil Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen, Randnr. 101 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52 Folglich verlangt die Richtlinie 77/799 nicht, dass die entsprechenden Steuerbehörden von dem in dieser Richtlinie vorgesehenen Amtshilfeverfahren Gebrauch machen, wenn die Auskünfte eines Steuerpflichtigen nicht ausreichen, um zu prüfen, ob er die nach den nationalen Rechtsvorschriften für die Inanspruchnahme einer Steuergutschrift festgelegten Voraussetzungen erfüllt (vgl. in diesem Sinne Urteil Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen, Randnr. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53 Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 56 EG und 58 EG in Bezug auf das Maß an Präzision, das die Nachweise aufweisen müssen, die erforderlich sind, um in den Genuss einer Steuergutschrift in Verbindung mit Dividenden zu kommen, die von einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem gezahlt werden, in dem der Empfänger unbeschränkt steuerpflichtig ist, der Anwendung einer Vorschrift wie § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. b EStG entgegenstehen, wonach die Detailliertheit und die Präsentationsform der Nachweise, die ein solcher Empfänger beizubringen hat, der Detailliertheit und der Präsentationsform entsprechen müssen, die verlangt werden, wenn die ausschüttende Gesellschaft ihren Sitz im Besteuerungsmitgliedstaat des Empfängers hat. Die Steuerbehörden des letztgenannten Mitgliedstaats sind befugt, von dem Empfänger die Vorlage von Belegen zu verlangen, anhand deren sie eindeutig und genau überprüfen können, ob die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer Steuergutschrift vorliegen, ohne dass sie dabei die Steuergutschrift schätzen dürfen.

Zur vierten Frage

Seite 11 von 14CURIA - Dokumente

10.06.2015http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn...

Page 48: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

54 Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Effektivitätsgrundsatz dahin gehend auszulegen ist, dass er einer Regelung – wie sie sich aus § 175 Abs. 2 Satz 2 der AO in der geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 97 § 9 Abs. 3 EGAO ergibt – entgegensteht, die es einer in dem betreffenden Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtigen Person rückwirkend und ohne Einräumung einer Übergangsfrist verwehrt, eine Anrechnung der ausländischen Körperschaftsteuer auf Dividenden, die ihr von einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gezahlt wurden, dadurch zu erlangen, dass sie entweder eine den Anforderungen des erstgenannten Mitgliedstaats genügende Bescheinigung über diese Steuer oder Belege vorlegt, die es dessen Steuerbehörden erlauben, eindeutig und genau zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieses Steuervorteils vorliegen.

55 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung mangels einer einschlägigen Unionsregelung die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats sind; sie dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. Urteile vom 7. Januar 2004, Wells, C-201/02, Slg. 2004, I-723, Randnr. 67, und vom 19. September 2006, i-21 Germany und Arcor, C-392/04 und C-422/04, Slg. 2006, I-8559, Randnr. 57).

56 Zum Effektivitätsgrundsatz hat der Gerichtshof entschieden, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den Abgabepflichtigen und die Behörde schützt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Solche Fristen sind nämlich nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren (Urteil vom 17. November 1998, Aprile, C-228/96, Slg. 1998, I-7141, Randnr. 19).

57 Im Übrigen hat der Gerichtshof in Bezug auf die Erstattung von zu Unrecht erhobenen nationalen Abgaben ausgeführt, dass der Effektivitätsgrundsatz bei einer rückwirkenden Änderung der Erstattungsmodalitäten durch das nationale Recht gebietet, dass die neue Regelung eine Übergangsregelung enthält, die dem Einzelnen eine Frist einräumt, die ausreicht, um nach Erlass der Regelung die Erstattungsansprüche geltend zu machen, die er unter der alten Regelung hätte geltend machen können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Juli 2002, Marks & Spencer, C-62/00, Slg. 2002, I-6325, Randnr. 38, und vom 24. September 2002, Grundig Italiana, C-255/00, Slg. 2002, I-8003, Randnr. 37).

58 Aus der Vorlageentscheidung geht indessen hervor, dass das nationale Recht mit § 175 Abs. 2 Satz 2 AO in Verbindung mit Art. 97 § 9 Abs. 3 EGAO in ihrer jeweiligen Fassung vom 9. Dezember 2004 rückwirkend geändert wurde, ohne dass es den betroffenen Anteilseignern durch eine Übergangsregelung ermöglicht worden wäre, ihren Anspruch auf eine Steuergutschrift geltend zu machen. Folglich steht der Effektivitätsgrundsatz einer solchen Gesetzesänderung entgegen, da den Steuerpflichtigen damit keine angemessene Frist zur Geltendmachung ihres Anspruchs auf eine Steuergutschrift während eines Übergangszeitraums eingeräumt wird. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die entsprechende Frist festzusetzen, um es den Anteilseignern zu ermöglichen, ihre Ansprüche durch die Vorlage entweder einer Körperschaftsteuerbescheinigung im Sinne des nationalen Rechts oder durch die in Randnr. 54 des vorliegenden Urteils angeführten Belege geltend zu machen.

Seite 12 von 14CURIA - Dokumente

10.06.2015http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn...

Page 49: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

59 Nach alledem ist auf die vierte Vorlagefrage zu antworten, dass der Effektivitätsgrundsatz einer nationalen Regelung – wie sie sich aus § 175 Abs. 2 Satz 2 der AO in der geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 97 § 9 Abs. 3 der EGAO in der geänderten Fassung ergibt – entgegensteht, die es rückwirkend und ohne Einräumung einer Übergangsfrist verwehrt, eine Anrechnung der ausländischen Körperschaftsteuer auf Dividenden, die von einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gezahlt wurden, dadurch zu erlangen, dass entweder eine den Anforderungen des Mitgliedstaats, in dem der Empfänger der Dividenden unbeschränkt steuerpflichtig ist, genügende Bescheinigung über diese Steuer oder Belege vorgelegt werden, anhand deren die Steuerbehörden dieses Mitgliedstaats eindeutig und genau überprüfen können, ob die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Steuervorteils vorliegen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu bestimmen, welche Frist für die Vorlage dieser Bescheinigung oder dieser Belege angemessen ist.

Kosten

60 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1. Die Art. 56 EG und 58 EG stehen bei der Berechnung der Höhe der

Steuergutschrift, auf die ein in einem Mitgliedstaat unbeschränkt

steuerpflichtiger Anteilseigner in Verbindung mit von einer in einem anderen

Mitgliedstaat ansässigen Kapitalgesellschaft gezahlten Dividenden Anspruch hat,

in dem Fall, dass die nach den Rechtsvorschriften des erstgenannten

Mitgliedstaats erforderlichen Nachweise nicht vorgelegt wurden, der Anwendung

einer Vorschrift wie § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes vom

7. September 1990 in der Fassung des Gesetzes vom 13. September 1993

entgegen, wonach die auf ausländischen Dividenden lastende Körperschaftsteuer

in Höhe des Bruchteils, der der Körperschaftsteuer auf von Gesellschaften des

erstgenannten Mitgliedstaats ausgeschüttete Bruttodividenden entspricht, auf die

von dem Anteilseigner zu entrichtende Einkommensteuer angerechnet wird.

Die Steuergutschrift ist nach Maßgabe des Körperschaftsteuersatzes zu

berechnen, der nach dem Recht des Sitzmitgliedstaats der ausschüttenden

Gesellschaft auf die ausgeschütteten Dividenden angewandt wird, wobei der

gutzuschreibende Betrag indessen nicht den Betrag der Einkommensteuer

übersteigen kann, den der begünstigte Anteilseigner in dem Mitgliedstaat, in dem

er unbeschränkt steuerpflichtig ist, auf die bezogenen Dividenden zu entrichten

hat.

2. Die Art. 56 EG und 58 EG stehen in Bezug auf das Maß an Präzision, das die

Nachweise aufweisen müssen, die erforderlich sind, um in den Genuss einer

Steuergutschrift in Verbindung mit Dividenden zu kommen, die von einer

Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem gezahlt

werden, in dem der Empfänger unbeschränkt steuerpflichtig ist, der Anwendung

einer Vorschrift wie § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. b des

Einkommensteuergesetzes vom 7. September 1990 in der Fassung des Gesetzes

vom 13. September 1993 entgegen, wonach die Detailliertheit und die

Präsentationsform der Nachweise, die ein solcher Empfänger beizubringen hat,

Seite 13 von 14CURIA - Dokumente

10.06.2015http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn...

Page 50: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

der Detailliertheit und der Präsentationsform entsprechen müssen, die verlangt werden, wenn die ausschüttende Gesellschaft ihren Sitz im Besteuerungsmitgliedstaat des Empfängers hat.

Die Steuerbehörden des letztgenannten Mitgliedstaats sind befugt, von dem Empfänger die Vorlage von Belegen zu verlangen, anhand deren sie eindeutig und genau überprüfen können, ob die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer Steuergutschrift vorliegen, ohne dass sie dabei die Steuergutschrift schätzen dürfen.

3. Der Effektivitätsgrundsatz steht einer nationalen Regelung – wie sie sich aus § 175 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften in Verbindung mit Art. 97 § 9 Abs. 3 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 14. Dezember 1976 in seiner geänderten Fassung ergibt – entgegen, die es rückwirkend und ohne Einräumung einer Übergangsfrist verwehrt, eine Anrechnung der ausländischen Körperschaftsteuer auf Dividenden, die von einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gezahlt wurden, dadurch zu erlangen, dass entweder eine den Anforderungen des Mitgliedstaats, in dem der Empfänger der Dividenden unbeschränkt steuerpflichtig ist, genügende Bescheinigung über diese Steuer oder Belege vorgelegt werden, anhand deren die Steuerbehörden dieses Mitgliedstaats eindeutig und genau überprüfen können, ob die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Steuervorteils vorliegen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu bestimmen, welche Frist für die Vorlage dieser Bescheinigung oder dieser Belege angemessen ist.

Unterschriften

* Verfahrenssprache: Deutsch.

Seite 14 von 14CURIA - Dokumente

10.06.2015http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&text=&pageIn...

Page 51: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 3.3.2015, II R 30/13

Keine Verlängerung der Festsetzungsfrist bei leichtfertiger Verletzung der Anzeigepflicht eines Notars - Rückerwerb von Anteilen an einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft als Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs - Anwendbarkeit von § 16 Abs. 5 GrEStG zulasten des Rückerwerbers

LeitsätzeDie leichtfertige Verletzung der einem Notar nach § 18 GrEStG obliegenden Anzeigepflicht führt nicht zu einer Verlängerung der Frist für die Festsetzung von Grunderwerbsteuer gegenüber dem Steuerpflichtigen auf fünf Jahre.

TenorAuf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 12. September 2012 5 K 1348/11 aufgehoben.Die Sache wird an das Finanzgericht Köln zurückverwiesen.Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1 I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) verkaufte durch notariell beurkundeten Vertrag vom 21. September 2000 UR-Nr. ... einen Teilgeschäftsanteil von 5.000 DM an der von ihm als Alleingesellschafter mit einem Stammkapital von 50.000 DM gegründeten grundstücksbesitzenden ... GmbH (GmbH) an P. Einen weiteren Teilgeschäftsanteil von 20.000 DM übertrug er durch den Vertrag treuhänderisch auf P. Den ihm verbliebenen Geschäftsanteil von 25.000 DM verkaufte er durch notariell beurkundeten Vertrag vom 25. April 2001 UR-Nr. ... ebenfalls an P. Der Notar übersandte die Verträge unter Bezugnahme auf seine Anzeigepflicht gemäß § 54 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) an die Körperschaftsteuerstelle des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--).

2 Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 30. Januar 2002 UR-Nr. ... erwarb der Kläger von P sämtliche Anteile an der GmbH zurück. In dem Vertrag wurde auf Befragen des Notars angegeben, dass zum Vermögen der GmbH Grundbesitz gehöre. Der Notar übersandte den Vertrag unter Bezugnahme auf seine Anzeigepflicht gemäß § 54 EStDV an die Körperschaftsteuerstelle des FA, wo er am 5. Februar 2002 einging. Am 27. März 2002 erstellte die Körperschaftsteuerstelle des FA eine Kontrollmitteilung und fügte ihr den Vertrag bei. Ob diese Mitteilung bei der Grunderwerbsteuerstelle des FA eingegangen ist, konnte nicht festgestellt werden. Der Erwerb der Anteile an der GmbH durch den Kläger wurde im Rahmen einer Außenprüfung durch ein anderes Finanzamt festgestellt und der Grunderwerbsteuerstelle des FA im September 2009 mitgeteilt.

3 Einen daraufhin am 30. September 2009 erlassenen ersten Grunderwerbsteuerbescheid hob das FA durch Bescheid vom 22. Februar 2010 wegen fehlender inhaltlicher Bestimmtheit auf den Einspruch des Klägers wieder auf. Mit Bescheid vom 22. Februar 2010 und Änderungsbescheid vom 20. April 2010 setzte das FA gegen den Kläger unter Berücksichtigung der gesondert festgestellten Grundbesitzwerte erneut Grunderwerbsteuer fest. Die Feststellungsbescheide, die in den Jahren 2009 und 2010 erlassen wurden, enthielten jeweils den Hinweis, dass sie nach Ablauf der Feststellungsfrist ergangen seien und nur für solche Steuerfestsetzungen bedeutsam seien, bei denen die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen sei.

4 Der Einspruch, mit dem der Kläger Festsetzungsverjährung geltend machte, blieb abgesehen von einer Herabsetzung der Steuer aufgrund der Feststellung eines Grundbesitzwerts erfolglos. Zur Begründung führte das FA u.a. aus, der Steuerfestsetzung stehe § 16 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes in der in den Jahren 2001/2002 geltenden Fassung (GrEStG) nicht entgegen, da die Vereinigung aller Anteile der GmbH in der Hand der P seiner Grunderwerbsteuerstelle nicht ordnungsgemäß angezeigt worden sei. Nicht erfüllt seien auch die Voraussetzungen des § 3 Nr. 8 GrEStG, weil die Steuer für diese Anteilsvereinigung nicht entrichtet worden sei. Festsetzungsverjährung sei beim Erlass der Bescheide vom 22. Februar und 20. April 2010 nicht eingetreten gewesen.

5 Das Finanzgericht (FG) gab der auf Aufhebung dieser Bescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. März 2011 gerichteten Klage durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 2038 veröffentlichte Urteil mit der Begründung statt, der Anteilserwerb des Klägers durch den Vertrag vom 30. Januar 2002 UR-Nr. ... habe zwar den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 GrEStG erfüllt. Die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung --AO--) sei aber beim Erlass der angefochtenen Bescheide bereits abgelaufen gewesen. Sie habe gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit

Seite 1 von 7Bundesfinanzhof

12.06.2015http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh...

Page 52: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

Ablauf des 31. Dezember 2005 begonnen, da der Erwerb der Anteile der GmbH durch den Kläger dem FA weder von diesem noch vom Notar ordnungsgemäß angezeigt worden sei, und mit Ablauf des 31. Dezember 2009 geendet. Entgegen der Ansicht des FA habe sie sich nicht wegen leichtfertiger Steuerverkürzung auf fünf Jahre verlängert. Es fehle an dem erforderlichen Rechtswidrigkeits- bzw. Ursachenzusammenhang zwischen dem Fehlverhalten des Notars und des Klägers und der eingetretenen Steuerverkürzung, da die Festsetzung der Grunderwerbsteuer nur deshalb unterblieben sei, weil die von der Körperschaftsteuerstelle für die Grunderwerbsteuerstelle erstellte Kontrollmitteilung entweder nicht abgesandt worden oder amtsintern verlorengegangen sei. Es könne daher auf sich beruhen, ob der Kläger oder der Notar leichtfertig gehandelt hätten.

6 Mit der Revision macht das FA geltend, die Festsetzungsfrist habe sich wegen leichtfertiger Steuerverkürzung auf fünf Jahre verlängert, so dass die Bescheide vom 22. Februar und 20. April 2010 noch vor deren Ablauf erlassen worden seien.

7 Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8 Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

9 Durch den während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheid vom 4. Dezember 2014 erklärte das FA die Steuerfestsetzung gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO für vorläufig hinsichtlich der Frage, ob die Heranziehung der Grundbesitzwerte i.S. des § 138 des Bewertungsgesetzes (BewG) als Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer verfassungsgemäß ist.

Entscheidungsgründe

10 II. Die Revision führt bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung, weil sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert hat (§ 127 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). An die Stelle des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids vom 20. April 2010, über den das FG entschieden hat, ist während des Revisionsverfahrens der Änderungsbescheid vom 4. Dezember 2014 getreten und nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden. Diese Vorschriften gelten auch, wenn ein angefochtener Bescheid lediglich um einen Vorläufigkeitsvermerk ergänzt wird (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. Januar 2013 II R 66/11, BFHE 240, 191, BStBl II 2014, 266, Rz 12, und vom 24. April 2013 II R 65/11, BFHE 240, 404, BStBl II 2013, 633, Rz 9, je m.w.N.). Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos und aufzuheben (BFH-Urteile in BFHE 240, 191, BStBl II 2014, 266, Rz 12; in BFHE 240, 404, BStBl II 2013, 633, Rz 9, und vom 17. April 2013 II R 12/11, BFHE 241, 386, BStBl II 2013, 740, Rz 9, je m.w.N.).

11 Dies ändert aber nichts daran, dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen die Grundlage für die Entscheidung des BFH bilden. Da das finanzgerichtliche Verfahren nicht an einem Verfahrensmangel leidet, fallen die Feststellungen durch die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils nämlich nicht weg (BFH-Urteile in BFHE 240, 191, BStBl II 2014, 266, Rz 13; in BFHE 240, 404, BStBl II 2013, 633, Rz 10, und in BFHE 241, 386, BStBl II 2013, 740, Rz 9, je m.w.N.).

III.

12 Die Sache ist nicht spruchreif. Aufgrund der vom FG getroffenen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) kann über die Begründetheit der Klage nicht abschließend entschieden werden. Die Sache war daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 127 FGO).

13 1. Das FG ist zu Recht übereinstimmend mit den Beteiligten davon ausgegangen, dass der Vertrag vom 30. Januar 2002 gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG zum Entstehen von Grunderwerbsteuer geführt hat.

14 a) Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG unterliegt der Grunderwerbsteuer u.a. ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers allein vereinigt werden würden, soweit eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG nicht in Betracht kommt.

15 Die Steuerbarkeit wird nur durch den Erwerb des letzten Anteils ausgelöst. Dabei ist der Vorgang, der zum Erwerb dieses Anteils führt, zwar das die Steuer auslösende Moment. Gegenstand der Steuer ist aber nicht der Anteilserwerb als solcher, sondern die durch ihn begründete Zuordnung von mindestens 95 % der Anteile in einer Hand. Mit dem Anteilserwerb wird grunderwerbsteuerrechtlich derjenige, in dessen Hand sich die Anteile vereinigen, so behandelt, als habe er die Grundstücke von der Gesellschaft erworben, deren Anteile sich in seiner Hand vereinigen (BFH-Urteile vom 11. Juni 2013 II R 52/12, BFHE 241, 419, BStBl II 2013, 752, m.w.N., und vom 18. September 2013 II R 21/12, BFHE 243, 393, BStBl II 2014, 326, Rz 9).

Seite 2 von 7Bundesfinanzhof

12.06.2015http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh...

Page 53: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

16 Der Erwerber erwirbt einen Anteil an der grundstücksbesitzenden Gesellschaft dann unmittelbar, wenn er zivilrechtlich Gesellschafter dieser Gesellschaft wird (BFH-Urteil in BFHE 243, 393, BStBl II 2014, 326, Rz 10). Wird hinsichtlich eines Anteils an einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft ein Treuhandverhältnis begründet, ist der Treuhänder unmittelbarer und der Treugeber mittelbarer Gesellschafter (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juli 1997 II R 8/95, BFH/NV 1998, 81).

17 b) Der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG wurde somit durch den Abschluss des Vertrags vom 30. Januar 2002 verwirklicht. Der Kläger hat dadurch einen Anspruch auf Übertragung der Anteile an der GmbH erlangt, die ihm nicht bereits aufgrund der mit P getroffenen Treuhandvereinbarung grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen waren. Vor dem Abschluss des Vertrags vom 30. Januar 2002 war der Kläger nicht zu mindestens 95 % der Anteile an der GmbH unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter der GmbH gewesen.

18 2. Das FG ist ebenfalls zu Recht davon ausgegangen, dass der Steuerfestsetzung § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG nicht entgegensteht.

19 a) Erwirbt der Veräußerer das Eigentum an dem veräußerten Grundstück zurück, so wird nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG auf Antrag sowohl für den Rückerwerb als auch für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang die Steuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn der Rückerwerb innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang stattfindet. Diese Vorschrift betrifft über ihren Wortlaut hinaus auch Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 2, 2a und 3 GrEStG. Dies folgt aus § 16 Abs. 5 GrEStG, wonach § 16 Abs. 1 bis 4 GrEStG nicht gilt, wenn einer der in § 1 Abs. 2, 2a und 3 GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgänge rückgängig gemacht wird, der nicht ordnungsgemäß angezeigt worden war. Diese Regelung setzt die grundsätzliche Anwendbarkeit der Begünstigungsvorschrift des § 16 GrEStG auch auf Tatbestände des § 1 Abs. 3 GrEStG voraus (BFH-Urteil in BFHE 241, 419, BStBl II 2013, 752, m.w.N.).

20 b) Die Voraussetzungen für eine Nichterhebung der Steuer gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG sind nicht erfüllt.

21 aa) Der Kläger hat zwar durch den Vertrag vom 30. Januar 2002 die auf P übertragenen Anteile an der GmbH innerhalb von zwei Jahren nach der am 25. April 2001 erfolgten Vereinigung aller Anteile an der GmbH in der Hand der P zurückerworben. Diese Anteilsvereinigung in der Hand der P stellte auch einen Erwerbsvorgang dar, der rückgängig gemacht werden konnte. Dass der Kläger aufgrund des vereinbarten Treuhandverhältnisses mittelbarer Gesellschafter der GmbH geblieben war, steht dem nicht entgegen. Entscheidend ist, dass P aufgrund des Vertrags vom 25. April 2001 zivilrechtlich Alleingesellschafterin der GmbH werden sollte.

22 bb) Der Anwendbarkeit des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG steht aber § 16 Abs. 5 GrEStG entgegen. Danach gelten die Vorschriften der Absätze 1 bis 4 des § 16 GrEStG nicht, wenn einer der in § 1 Abs. 2, 2a und 3 GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgänge rückgängig gemacht wird, der nicht ordnungsgemäß angezeigt (§§ 18, 19 GrEStG) war. Wird ein Erwerbsvorgang i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG zwar innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht, war er aber nicht ordnungsgemäß angezeigt worden, schließt § 16 Abs. 5 GrEStG also den Anspruch auf Nichtfestsetzung der Steuer oder Aufhebung der Steuerfestsetzung aus.

23 § 16 Abs. 5 GrEStG dient der Sicherung der Anzeigepflichten aus §§ 18 und 19 GrEStG und wirkt dem Anreiz entgegen, durch Nichtanzeige einer Besteuerung der in dieser Vorschrift genannten Erwerbsvorgänge zu entgehen. Insbesondere soll die Vorschrift den Beteiligten die Möglichkeit nehmen, einen dieser Erwerbsvorgänge ohne weitere steuerliche Folgen wieder aufheben zu können, sobald den Finanzbehörden ein solches Geschäft bekannt wird (BFH-Beschluss vom 11. März 2011 II B 152/10, BFH/NV 2011, 1009, m.w.N.). Soweit eine Anzeigepflicht sowohl nach § 18 GrEStG als auch nach § 19 GrEStG besteht, ist den Zwecken des § 16 Abs. 5 GrEStG schon dann genügt, wenn nur einer der Anzeigeverpflichteten seiner Anzeigepflicht ordnungsgemäß nachkommt (BFH-Urteil vom 18. April 2012 II R 51/11, BFHE 236, 569, BStBl II 2013, 830, Rz 24).

24 Unter Berücksichtigung dieses Normzwecks ist eine Anzeige i.S. des § 16 Abs. 5 GrEStG ordnungsgemäß, wenn der Vorgang innerhalb der in § 18 Abs. 3 und § 19 Abs. 3 GrEStG vorgesehenen Anzeigefristen dem Finanzamt in einer Weise bekannt wird, dass es die Verwirklichung eines Tatbestands nach § 1 Abs. 2, 2a und 3 GrEStG prüfen kann. Dazu muss die Anzeige die einwandfreie Identifizierung von Veräußerer, Erwerber und Urkundsperson (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 GrEStG) sowie der grundstücksbesitzenden Gesellschaft (§ 20 Abs. 2 GrEStG) ermöglichen; ferner müssen der Anzeige in der Regel die in § 18 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 19 Abs. 4 Satz 2 GrEStG genannten Abschriften beigefügt werden.

25 Die Anzeige muss grundsätzlich an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts übermittelt werden. Es genügt aber auch, wenn sich eine nicht ausdrücklich an die Grunderwerbsteuerstelle adressierte Anzeige nach ihrem Inhalt eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle richtet. Dazu ist erforderlich, dass die Anzeige als eine solche nach dem GrEStG gekennzeichnet ist und ihrem Inhalt nach ohne weitere Sachprüfung --insbesondere ohne dass es insoweit einer näheren Aufklärung über den Anlass der Anzeige

Seite 3 von 7Bundesfinanzhof

12.06.2015http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh...

Page 54: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

und ihre grunderwerbsteuerrechtliche Relevanz bedürfte-- an die Grunderwerbsteuerstelle weiterzuleiten ist (BFH-Urteil vom 23. Mai 2012 II R 56/10, BFH/NV 2012, 1579, Rz 15).

26 cc) Unterliegt der Rückerwerb von Anteilen an einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft, der als Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 GrEStG zu werten ist, seinerseits nach § 1 Abs. 3 GrEStG der Grunderwerbsteuer, so ist bei nicht ordnungsgemäßer Anzeige des ursprünglichen Erwerbsvorgangs § 16 Abs. 5 GrEStG auch zulasten des Rückerwerbers anwendbar. Dem steht nicht entgegen, dass der Rückerwerber den ursprünglichen Erwerbsvorgang nicht gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 oder 5 GrEStG anzeigen musste, da nach § 19 GrEStG nur Steuerschuldner zur Anzeige verpflichtet sind und bei der Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile an einer Gesellschaft in der Hand des Erwerbers gemäß § 13 Nr. 5 Buchst. a GrEStG nur der Erwerber Steuerschuldner ist, nicht aber der Anteilsveräußerer. Die Anwendbarkeit des § 16 Abs. 5 GrEStG zulasten des Rückerwerbers in diesen Fällen ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut der Vorschrift, die insoweit keine Ausnahme vorsieht, und zum anderen aus deren Sinn und Zweck. Auch in solchen Fällen soll die Vorschrift den Beteiligten die Möglichkeit nehmen, einen der in ihr genannten Erwerbsvorgänge ohne weitere steuerliche Folgen wieder aufheben zu können, sobald den Finanzbehörden ein solches Geschäft bekannt wird.

27 dd) Der Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG zugunsten des Klägers steht somit entgegen, dass der Erwerbsvorgang vom 25. April 2001 der Grunderwerbsteuerstelle des FA entgegen § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und § 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG weder von P, der Steuerschuldnerin (§ 13 Nr. 5 Buchst. a GrEStG), noch vom Notar ordnungsgemäß angezeigt worden war. Die vom Notar unter Bezugnahme auf die Anzeigepflicht gemäß § 54 EStDV ausdrücklich an die Körperschaftsteuerstelle des FA gerichtete Anzeige genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Anzeige war nach ihrem Inhalt nicht eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle gerichtet. Dass der Kläger seinerseits nicht zur Anzeige des Erwerbsvorgangs verpflichtet war, ist insoweit unerheblich.

28 3. Ob der Steuerfestsetzung durch die angefochtenen Bescheide insgesamt gemäß §§ 47, 169 Abs. 1 Satz 1 AO Festsetzungsverjährung entgegenstand, kann auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) nicht abschließend entschieden werden.

29 a) Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Festsetzungsfrist, die nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO regelmäßig vier Jahre beträgt, gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst mit Ablauf des 31. Dezember 2005 begonnen hat; denn der Kläger hat entgegen seiner Verpflichtung aus § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 13 Nr. 5 Buchst. a GrEStG den auf die Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile an der GmbH in seiner Hand gerichteten Vertrag vom 30. Januar 2002 dem FA nicht angezeigt. Auf ein Verschulden des Klägers kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (BFH-Urteil vom 24. August 1995 IV R 112/94, BFH/NV 1996, 449; ebenso zu § 16a Abs. 2 des früheren Grunderwerbsteuergesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen BFH-Urteile vom 25. März 1992 II R 46/89, BFHE 167, 448, BStBl II 1992, 680, unter II.3., und vom 12. Juni 1996 II R 3/93, BFHE 180, 474, BStBl II 1996, 485, unter II.3.b). Die Anzeige des Klägers wurde auch nicht durch die Anzeige des Notars an das FA ersetzt. Der Notar hat den Vertrag nicht der Grunderwerbsteuerstelle, sondern der Körperschaftsteuerstelle des FA übersandt und die Anzeige auch nicht als eine solche nach dem GrEStG gekennzeichnet.

30 b) Soweit die Bescheide über die gesonderte Feststellung der Grundstückswerte im Jahr 2009 und somit vor Ablauf der regelmäßigen Festsetzungsfrist von vier Jahren für die Grunderwerbsteuer ergangen sind, konnte die Grunderwerbsteuer aufgrund der durch diese Bescheide ausgelösten Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO durch die Bescheide vom 22. Februar und 20. April 2010 festgesetzt werden, ohne dass es auf eine etwaige Verlängerung der Festsetzungsfrist wegen leichtfertiger Steuerverkürzung ankommt. § 169 Abs. 1 Satz 3 AO gilt dabei gemäß § 181 Abs. 5 Satz 3 AO sinngemäß. Dies kann insbesondere für den Feststellungsbescheid vom 30. Dezember 2009 von Bedeutung sein.

31 aa) Soweit für die Festsetzung einer Steuer ein Feststellungsbescheid, ein Steuermessbescheid oder ein anderer Verwaltungsakt bindend ist (Grundlagenbescheid), endet die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids. Aufgrund der Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids ist gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Dabei steht dem Finanzamt jedenfalls die in § 171 Abs. 10 Satz 1 AO vorgesehene Frist von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids zur Verfügung (BFH-Beschlüsse vom 19. Mai 2006 II B 78/05, BFH/NV 2006, 1620; vom 19. Mai 2006 II B 79/05, BFH/NV 2006, 1622, und vom 19. Mai 2006 II B 88/05, BFH/NV 2006, 1625; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 181 AO Rz 139 f., 142; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 181 AO Rz 19, 21; Kunz in Beermann/Gosch, AO § 181 Rz 30; Klein/Ratschow, AO, 12. Aufl., § 181 Rz 26, je m.w.N.).

32 bb) Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG wird in den Fällen des § 1 Abs. 3 GrEStG die Steuer nach den Werten i.S. des § 138 Abs. 2 oder 3 BewG in der im Jahr 2002 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 36 des Jahressteuergesetzes 1997 vom 20. Dezember 1996 (BGBl I 1996, 2049) --BewG a.F.-- bemessen. Die gemäß § 138 Abs. 5 BewG a.F. ergangenen Bescheide, durch die die Grundbesitzwerte nach § 138 Abs. 2 oder 3 BewG a.F. gesondert festgestellt wurden, entfalten gemäß § 138 Abs. 5 Satz 3 BewG a.F. i.V.m. § 182

Seite 4 von 7Bundesfinanzhof

12.06.2015http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh...

Page 55: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

Abs. 1 Satz 1 AO bindende Wirkung für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer und lösen somit gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO die Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist für die Grunderwerbsteuer aus.

33 cc) Das FA war somit jedenfalls berechtigt und verpflichtet, die Grunderwerbsteuer gegen den Kläger innerhalb der in § 171 Abs. 10 Satz 1 AO bestimmten Frist von zwei Jahren nach Bekanntgabe der Feststellungsbescheide festzusetzen, die im Jahr 2009 bekannt gegeben wurden oder die unter die Regelung des § 181 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 3 AO fallen. Diese Frist hat das FA eingehalten.

34 c) Soweit die Feststellungsbescheide diese Voraussetzungen nicht erfüllen, hängt die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzung davon ab, ob sich die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO wegen leichtfertiger Steuerverkürzung auf fünf Jahre verlängert hat. Dies kann entgegen der Ansicht des FG nicht mit der Begründung verneint werden, der Rechtswidrigkeits- bzw. Ursachenzusammenhang zwischen den unterlassenen Anzeigen und der erst nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist erfolgten Steuerfestsetzung fehle.

35 aa) Sind die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer leichtfertigen Steuerverkürzung dadurch erfüllt, dass bei einer Anteilsvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 GrEStG der Erwerber die in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 13 Nr. 5 Buchst. a GrEStG vorgeschriebene Anzeige nicht erstattet hat, verlängert sich die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auch dann auf fünf Jahre, wenn die Körperschaftsteuerstelle, der die Anteilsübertragung mitgeteilt wurde, zwar eine Kontrollmitteilung für die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts erstellt, diese aber entweder nicht weitergeleitet hat oder die Kontrollmitteilung aus anderen Gründen die Grunderwerbsteuerstelle nicht erreicht hat. Entscheidend ist auch insoweit der tatsächlich verwirklichte Geschehensablauf, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die Grunderwerbsteuerstelle als die zuständige Organisationseinheit von dem Erwerbsvorgang keine Kenntnis erlangt hat (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juni 2008 II R 55/06, BFH/NV 2008, 1876) und bei einem pflichtgemäßen Verhalten des Steuerschuldners das Finanzamt die Grunderwerbsteuer alsbald hätte festsetzen können (Matthes, EFG 2013, 2040, 2041); denn die Anzeigefrist beträgt gemäß § 19 Abs. 3 GrEStG lediglich zwei Wochen nach der Erlangung der Kenntnis von dem anzeigepflichtigen Vorgang. Tatsachen, die den zum Vorliegen einer leichtfertigen Steuerverkürzung führenden Kausalverlauf möglicherweise unterbrochen hätten, können bei der Beurteilung, ob eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt, nicht berücksichtigt werden (Urteil des FG Münster vom 24. September 2009 8 K 2284/06 GrE, EFG 2010, 507, 511).

36 Diese Beurteilung steht im Einklang mit dem BFH-Urteil vom 23. Juli 2013 VIII R 32/11 (BFHE 242, 21). Danach kann eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegen, wenn Steuerpflichtige ihre Einkünfte aus selbständiger Arbeit in ihrer Gewinnfeststellungserklärung in zutreffender Höhe deklarieren, sie die Einkünfte in der zeitgleich abgegebenen Einkommensteuererklärung aber nur zum Teil angeben und das Finanzamt die Einkommensteuer daher zu niedrig festsetzt. Wird in einem solchen Fall der Gewinn zwar zutreffend festgestellt, wertet das für die Festsetzung der Einkommensteuer zuständige Finanzamt aber die ihm vorliegende Feststellungsmitteilung nicht aus, so unterbricht dies den Kausalverlauf zwischen den unrichtigen Angaben in der Einkommensteuererklärung und der durch Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids eingetretenen Steuerverkürzung nicht. Dies muss erst recht gelten, wenn die für die Steuerfestsetzung zuständige Stelle eine Kontrollmitteilung nicht einmal erhält.

37 bb) Nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist. Dies gilt gemäß § 169 Abs. 2 Satz 3 AO auch dann, wenn die Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, deren er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient, es sei denn, der Steuerschuldner weist nach, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass sie auch nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat.

38 cc) Ob eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt, bestimmt sich nach §§ 370, 378 AO, da § 169 AO diesbezüglich keine Legaldefinition enthält. Hängt die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids von der Verlängerung der Festsetzungsfrist auf fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO) und somit vom Vorliegen einer leichtfertigen Steuerverkürzung ab, müssen zur Rechtmäßigkeit des Bescheids die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 378 AO erfüllt sein (BFH-Urteile vom 29. Oktober 2013 VIII R 27/10, BFHE 243, 116, BStBl II 2014, 295, Rz 15, und vom 2. April 2014 VIII R 38/13, BFHE 245, 295, BStBl II 2014, 698, Rz 51, jeweils m.w.N.).

39 Die im Steuerrecht vorkommenden Begriffe des Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrechts sind dabei materiell-rechtlich wie im Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht zu beurteilen (BFH-Urteile in BFHE 243, 116, BStBl II 2014, 295, Rz 16, und in BFHE 245, 295, BStBl II 2014, 698, Rz 51). Dagegen ist die Frage, ob die jeweiligen Tatbestandsmerkmale im Streitfall tatsächlich erfüllt sind, nicht nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, sondern nach den Verfahrensvorschriften der AO und der FGO zu prüfen, da es sich lediglich um eine Vorfrage im Rahmen der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids handelt (BFH-Urteil in BFHE 243, 116, BStBl II 2014, 295, Rz 16, m.w.N.). Die Feststellungslast (objektive Beweislast) für das Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung trägt das Finanzamt, das sich darauf beruft.

Seite 5 von 7Bundesfinanzhof

12.06.2015http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh...

Page 56: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

40 dd) Nach § 378 Abs. 1 Satz 1 AO handelt ordnungswidrig, wer als Steuerpflichtiger oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen eine der in § 370 Abs. 1 AO bezeichneten Taten leichtfertig begeht. Täter einer leichtfertigen Steuerverkürzung kann der Schuldner der Grunderwerbsteuer sein, nicht aber der Notar, der eine Anzeigepflicht nach § 18 GrEStG verletzt (a.A. Urteile des FG Baden-Württemberg vom 17. März 2004 5 K 59/01, EFG 2004, 867, und des FG Münster in EFG 2010, 507). Der Notar ist weder Steuerpflichtiger noch nimmt er im Hinblick auf die Anzeigepflicht Angelegenheiten des Steuerpflichtigen wahr.

41 aaa) Wer Steuerpflichtiger i.S. des § 378 Abs. 1 Satz 1 AO ist, ergibt sich aus § 33 AO (Bülte in HHSp, § 378 AO Rz 11 bis 13, m.w.N.; Klein/Jäger, AO, 12. Aufl., § 378 Rz 7; Webel in Schwarz, AO, § 378 Rz 7; Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 378 Rz 10 f.). Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist Steuerpflichtiger, wer eine Steuer schuldet, für eine Steuer haftet oder in dieser Vorschrift genannte oder ihm durch die Steuergesetze auferlegte Verpflichtungen zu erfüllen hat. Steuerpflichtiger ist gemäß § 33 Abs. 2 AO nicht, wer in einer fremden Steuersache Auskunft zu erteilen, Urkunden vorzulegen, ein Sachverständigengutachten zu erstatten oder das Betreten von Grundstücken, Geschäfts- und Betriebsräumen zu gestatten hat. Über den zu engen Wortlaut dieser Vorschrift hinaus ist auch nicht Steuerpflichtiger, wer wie etwa ein Notar nach § 18 GrEStG eine Anzeige in einer fremden Steuersache zu erstatten hat; denn bei einer solchen Anzeigepflicht handelt es sich ebenso wie bei den in § 33 Abs. 2 AO genannten Fällen um eine allgemeine verfahrensrechtliche Pflicht (Boeker in HHSp, § 33 AO Rz 24; Buciek in Beermann/Gosch, AO § 33 Rz 90, 92 f.; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 33 AO Rz 20; Klein/Rüsken, AO, 12. Aufl., § 33 Rz 36; Koenig/Koenig, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 33 Rz 34; Dumke in Schwarz, AO, § 33 Rz 47, 49; Hoffmann in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl., § 33 Rz 12).

42 Der Notar handelt bei der Anzeigeerstattung nach § 18 GrEStG auch nicht in "Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen" i.S. des § 378 Abs. 1 Satz 1 AO. Dieses Tatbestandsmerkmal setzt eine rechtsgeschäftliche Beauftragung durch den Steuerpflichtigen voraus (Bülte in HHSp, § 378 AO Rz 16 ff.; Meyer in Beermann/Gosch, AO § 378 Rz 4.1). Gesetzliche Pflichten wie etwa Auskunftspflichten (§§ 93 ff. AO) genügen nicht (Bülte in HHSp, § 378 AO Rz 17). Gleiches gilt auch für die Anzeigepflichten eines Notars gemäß § 18 GrEStG. Es geht dabei nicht um die Erfüllung der Anzeigepflicht des Steuerschuldners aus § 19 GrEStG oder darum, diesem bei der Erledigung seiner steuerlichen Angelegenheiten Hilfe zu leisten, sondern um die Erfüllung einer eigenen, dem Finanzamt gegenüber bestehenden Pflicht des Notars. Eine Verletzung der Anzeigepflicht des Notars führt demgemäß auch nicht zu einer Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO (BFH-Urteile vom 16. Februar 1994 II R 125/90, BFHE 174, 185, BStBl II 1994, 866, unter II.2.b; vom 6. Juli 2005 II R 9/04, BFHE 210, 65, BStBl II 2005, 780, unter II.2.d, und vom 26. Februar 2007 II R 50/06, BFH/NV 2007, 1535).

43 bbb) Steuern sind gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 AO namentlich dann i.S. des § 370 Abs. 1 AO verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. § 370 Abs. 4 AO gilt nach § 378 Abs. 1 Satz 2 AO bei der leichtfertigen Steuerverkürzung entsprechend. Eine leichtfertige Steuerfestsetzung kann gemäß § 378 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO auch darin liegen, dass die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch Steuern verkürzt werden. Bloße Untätigkeit schließt somit Leichtfertigkeit nicht ohne Weiteres aus (BFH-Urteil vom 19. Februar 2009 II R 49/07, BFHE 225, 1, BStBl II 2009, 932, unter II.2.a).

44 ccc) Leichtfertigkeit i.S. des § 378 Abs. 1 Satz 1 AO bedeutet einen erheblichen Grad an Fahrlässigkeit, der etwa der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen Rechts entspricht, aber im Gegensatz hierzu auf die persönlichen Fähigkeiten des Täters abstellt. Ein derartiges Verschulden liegt vor, wenn ein Steuerpflichtiger nach den Gegebenheiten des Einzelfalls und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen sich im konkreten Fall ergebenden Sorgfaltspflichten zu genügen. Hierzu ist eine Gesamtbewertung des Verhaltens des Steuerpflichtigen erforderlich (BFH-Urteil in BFHE 243, 116, BStBl II 2014, 295, Rz 30; BFH-Beschluss vom 18. November 2013 X B 82/12, BFH/NV 2014, 292, Rz 7 ff., jeweils m.w.N.).

45 Hat der Steuerpflichtige die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen, so ist bei der Prüfung, ob Leichtfertigkeit gegeben ist, zu berücksichtigen, dass es dem Steuerpflichtigen obliegt, sich bei rechtlichen Zweifeln über seine steuerlichen Pflichten einschließlich der an die Steuerpflicht anknüpfenden Verfahrenspflichten bei qualifizierten Auskunftspersonen zu erkundigen (vgl. im Einzelnen BFH-Urteil in BFHE 225, 1, BStBl II 2009, 932, unter II.2.a). Zu beachten sind auch Ausbildung, Tätigkeit und Stellung des Steuerpflichtigen. So sind an Kaufleute jedenfalls bei Rechtsgeschäften, die zu ihrer kaufmännischen Tätigkeit gehören, höhere Anforderungen zu stellen als bei anderen Steuerpflichtigen (BFH-Urteil in BFHE 225, 1, BStBl II 2009, 932, unter II.2.a).

46 Ob im konkreten Einzelfall Leichtfertigkeit i.S. des § 378 Abs. 1 Satz 1 AO vorliegt, ist im Wesentlichen Tatfrage (BFH-Urteile in BFHE 243, 116, BStBl II 2014, 295, Rz 35, und in BFHE 245, 295, BStBl II 2014, 698, Rz 52, jeweils m.w.N.).

47 ee) Das FG wird nunmehr unter Beachtung der dargelegten Grundsätze Feststellungen dazu nachzuholen haben, ob der Kläger bei der Nichtabgabe der Anzeige leichtfertig gehandelt hat. Ist dies der Fall, hat sich die

Seite 6 von 7Bundesfinanzhof

12.06.2015http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh...

Page 57: US-Kongress: Warnbrief an das US-Finanzministerium zu den BEPS … · 2019. 10. 18. · Steuerbarkeit von Überschüssen aus der Veräußerung von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten

Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf fünf Jahre verlängert. Die Grunderwerbsteuer wurde verkürzt, weil sie erst mehrere Jahre nach Verwirklichung des Erwerbsvorgangs und somit nicht rechtzeitig festgesetzt wurde.

48 4. Die Übertragung der Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

Seite 7 von 7Bundesfinanzhof

12.06.2015http://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh...