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Original Paper UDC 165.023 Received March 2 nd , 2010 Axel Hesper Leubsdorfer Straße 39, D–53489 Sinzig [email protected] Wahrheit und Fürwahrhalten Zusammenfassung Das Ergebnis der Kantischen Reflexion des traditionellen Wahrheitsbegriffs als Überein- stimmung der Erkenntnis oder des Begriffs oder des Subjekts mit dem Gegenstand oder dem Objekt, daß es weder ein allgemeines materiales noch ein allgemeines formales hinrei- chendes Wahrheitskriterium gibt, führt zu der kritischen Einsicht, daß wir auf ein (vermeint- lich bloßes) Fürwahrhalten verwiesen sind und bleiben, das sich seinerseits in drei Modi darstellt, als entweder ein Meinen oder ein Glauben oder ein Wissen. Nicht also erst mit Hegel ist begriffen, daß das Urteil „ungeschickt“ sei, die Wahrheit „auszudrücken“, son- dern schon nach Kant ist es das Urteil, verstanden als von uns gebildetes objektiv gültiges Verhältnis, das wir für wahr halten. Das Frappante wie unüberholbar Aktuelle an diesem Befund ist vor allem die eigenartige Stellung und Gewichtung des Wissens, das nach Kant eben auch (nur) einen Modus des Fürwahrhaltens darstellt und eben nicht jenen – men- schenunmöglichen – meint, in dem wir der Wahrheit fraglos versichert sein könnten. (Man kann nicht im Ernst sagen: „Ich weiß p, weil p“.) So vollendet sich kritische Philosophie wohl nicht allein in der Einsicht, daß sich aus dem Begriff Existenz nicht „ausklauben“ las- se, sondern in der nicht minder fundamentalen, wenn auch gern und oft übersehenen, daß aus der Existenz der Begriff ebenso wenig folgt bzw. geschlossen werden kann. Schlüsselwörter Wahrheit, Fürwahrhalten, materiales Wahrheitskriterium, formales Wahrheitskriterium, Meinen, Glauben, Wissen, Relativismus Josef Simon zum 80. Geburtstag I Unsere Sprache und ihr fortwährender, sich fortwährend erneuernder Ge- brauch enthält eine Vielfalt von Wörtern, Sprachzeichen, die auf uns gekom- men ist und an deren bloßem Vorkommen wir nichts ändern können. Allen- falls können wir uns dazu entschließen, bestimmte Ausdrücke, Wörter, nicht zu gebrauchen, nicht in den Mund zu nehmen, so wie es ja Menschen gibt, die sich „so“ nicht ausdrücken würden. Prima facie aber ist die Erwartung und Vermutung nicht abzuweisen, daß mit ihnen, den Wörtern und Sprachzeichen, auch verschiedene Begriffe verbunden oder zu verbinden seien oder doch ver- bunden werden können. Denn wo einer diese Vielfalt für einen nur zufälligen und gerade deshalb zu vernachlässigenden Überfluß hält, mag ein anderer in ihr einen Reichtum sehen, der seinen gedanklichen Nuancen und Ausdrucks- bedürfnissen entgegenkommt. So nutzte beispielsweise Hegel eine sprach- liche Zufälligkeit (aus), indem er mit den beiden Ausdrücken Moralität und Sittlichkeit zwei verschiedene Begriffe bzw. Sphären menschlicher Freiheit verband (bezeichnete), wo der eine Ausdruck doch nur die Übersetzung des

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OriginalPaperUDC165.023ReceivedMarch2nd,2010

Axel HesperLeubsdorferStraße39,D–53489Sinzig

[email protected]

Wahrheit und Fürwahrhalten

ZusammenfassungDas Ergebnis der Kantischen Reflexion des traditionellen Wahrheitsbegriffs als Überein­stimmung der Erkenntnis oder des Begriffs oder des Subjekts mit dem Gegenstand oder dem Objekt, daß es weder ein allgemeines materiales noch ein allgemeines formales hinrei­chendes Wahrheitskriterium gibt, führt zu der kritischen Einsicht, daß wir auf ein (vermeint­lich bloßes) Fürwahrhalten verwiesen sind und bleiben, das sich seinerseits in drei Modi darstellt, als entweder ein Meinen oder ein Glauben oder ein Wissen. Nicht also erst mit Hegel ist begriffen, daß das Urteil „ungeschickt“ sei, die Wahrheit „auszudrücken“, son­dern schon nach Kant ist es das Urteil, verstanden als von uns gebildetes objektiv gültiges Verhältnis, das wir für wahr halten. Das Frappante wie unüberholbar Aktuelle an diesem Befund ist vor allem die eigenartige Stellung und Gewichtung des Wissens, das nach Kant eben auch (nur) einen Modus des Fürwahrhaltens darstellt und eben nicht jenen – men­schenunmöglichen – meint, in dem wir der Wahrheit fraglos versichert sein könnten. (Man kann nicht im Ernst sagen: „Ich weiß p, weil p“.) So vollendet sich kritische Philosophie wohl nicht allein in der Einsicht, daß sich aus dem Begriff Existenz nicht „ausklauben“ las­se, sondern in der nicht minder fundamentalen, wenn auch gern und oft übersehenen, daß aus der Existenz der Begriff ebenso wenig folgt bzw. geschlossen werden kann.

SchlüsselwörterWahrheit, Fürwahrhalten, materiales Wahrheitskriterium, formales Wahrheitskriterium,Meinen,Glauben,Wissen,Relativismus

Josef Simon zum 80. Geburtstag

I

Unsere Sprache und ihr fortwährender, sich fortwährend erneuernder Ge-brauchenthälteineVielfaltvonWörtern,Sprachzeichen,dieaufunsgekom-menistundanderenbloßemVorkommenwirnichtsändernkönnen.Allen-fallskönnenwirunsdazuentschließen,bestimmteAusdrücke,Wörter,nichtzugebrauchen,nichtindenMundzunehmen,sowieesjaMenschengibt,diesich„so“nichtausdrückenwürden.PrimafacieaberistdieErwartungundVermutungnichtabzuweisen,daßmitihnen,denWörternundSprachzeichen,auchverschiedeneBegriffeverbundenoderzuverbindenseienoderdochver-bundenwerdenkönnen.DennwoeinerdieseVielfaltfüreinennurzufälligenundgeradedeshalbzuvernachlässigendenÜberflußhält,mageinandererinihreinenReichtumsehen,derseinengedanklichenNuancenundAusdrucks-bedürfnissen entgegenkommt. So nutzte beispielsweiseHegel eine sprach-licheZufälligkeit(aus),indemermitdenbeidenAusdrückenMoralitätundSittlichkeitzweiverschiedeneBegriffebzw.SphärenmenschlicherFreiheitverband(bezeichnete),wodereineAusdruckdochnurdieÜbersetzungdes

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anderenist.ObdamitnunwirklichzweiverschiedeneBegriffezuverbindenseien,mansichalsoVerschiedenesdabeizudenkenhabe, ist insoferneinemüßigeFrage,weildieseUnterscheidungersteinmalSinnnur imKontextderHegelschenPhilosophieundderenSemiotikhat.Obsieanderenderge-staltetwasbedeutet,daßsiesiesichgebenlassenundübernehmenmüssen,istdamitnatürlichnichtgesagt.ÜberhauptscheintdieseFragenichtdefinitivbeantwortetwerdenzukönnen,gehendochnachdemselbenHegel„Zeichen“undBezeichnetes „einander nichts an“.1 Und auch nachKant „verbindet“„[e]iner“„dieVorstellungeinesgewissenWortsmiteinerSache,derande-remiteineranderenSache;unddieEinheitdesBewußtseins, indem,wasempirischist,istinAnsehungdessen,wasgegebenist,nichtnotwendigundallgemeingeltend“.2DieErwartung,beiGrundbegriffen(Grundworten)derPhilosophie–undderBegriffderWahrheitrechnetzweifellosdazu–müssesichdasandersverhalten,weilsonstkeinHaltundallesrelativsei,mithindasSchreckgespenst des Relativismus drohe, wird allerdings enttäuscht. NachKant stehenausnahmslos allenichtmathematischenBegriffe „niemals zwi-schen sicherenGrenzen“.3Das dürfte den philosophischGebildeten schondeshalbnichtverwundern,weileinBlickindieGeschichtederPhilosophieundderenLiteratur,zumaldieVersucheeinerWahrheitstheoriezurGenügebeweisen,daßmanmitderWahrheitirgendwieimmernochnichtfertigist.Daskannabernurdendrücken,dersichuntereinerAntwortaufeineFrageeinefüralleZukunftgültigevorstellt.Einesolcheaberkönnteohnehinnichtverifiziert,weilnichterlebtwerden.WasWittgensteininBezugaufdenpytha-goräischenLehrsatz,der„nichteinBeweisderAllgemeinheit“,sondern„einallgemeinerBeweis“4sei,sagt,trifftebensoeinenwieauchimmergefaßtenendgültigen,definitivenBegriffderWahrheit:„GäbeeseineVermutungdaßderSatzfüralleFällewahrseinwirdsokönntedassovermuteteniemalsbe-wiesen,sondernnurdurchunendlicheErfahrungbestätigtwerden“.5

Offenbarscheintmannichtzuwissen,wasWahrheit ist.Wasweißmandanicht,wennmansagt,manwisseesnicht?DielogischeSituation,indermansichhierbefindet,warPlatonbzw.Sokratesnicht unbekannt.Nachdem indemVersuch,dieFragezubeantworten,wasErkenntnissei,einigeAntwortenalsunbefriedigendabgewiesenwurden,gibtSokrateszubedenken,wieun-verschämtmandocheigentlichvorgehe(ἀναισχυντεῖν).6EinerseitsfragemannachderErkenntnis,wissealsonochnicht,wassieseioderworinsiebestehe,andererseitsweisemanbestimmteAntwortenaufdieseFrageab,in-demmandeninFragestehendenBegriffschonverwendeundbeispielsweisesage,manwisseunderkennedoch,daßeinegegebeneAntwortnichtrichtigsei,daßdarinErkenntnisundWissennichtbesteheoderbestehenkönne.DasBemerkenswerteschonhierist,daßSokrateswederfürsichdieKonsequenzzieht,nochvonanderenfordert,sichdesRedenszuenthalten.AusdrücklichwendetersichgegendiesenSchlußundnennteinenaufgrunddiesesDilem-mas sich der Rede Enthaltenden einen ἀντιλογικός.7 Im diesem Geistewarnt Sokrates in seinem letztenGespräch vor einerµισολογία,8welcheentstehenkann,„wennjemandeinerRedegetrauthat,daßsiewahrsei,ohnedieKunst,welche sich aufReden versteht, und sie ihm dann baldwiederalsfalschvorkommt,manchmalmitRecht,manchmalmitUnrecht,undsowiedereineundeineandere“9undsoeinMißtrauenindieλόγοιüberhauptsetzt.Wirkönnenesunsgarnichterlauben,aufdieSpracheunddamitaufdieIdeederWahrheitzuverzichten.Unddasnichtetwadeshalb,weilwirWesensind,diegerneRechthaben,sondernweilunsanÜbereinstimmung–unddasmeintimmeraucheineÜbereinstimmungindenWahrheitsansprüchen–liegtundumdesLebenswillen liegenmuß.10Nimmtmanhinzu,daßWahrheit

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vondenennichtbestrittenwird,dienachihrsuchen,sokannmanschonhiernichtohneallesRechtsagen,daßsieglauben,dieWahrheitseischondaodergar,daßsieinihrlebten,diegenaueBestimmungihresBegriffsaber(noch)ausstehe.Esistüberdiesjagarnichtausgemacht,sondernwarimGegenteilgeradeinderPhilosophiederNeuzeiteineFrage,obdieRedevonderWahr-heitnursinnvollundgerechtfertigtsei,wennmanüberihrenexaktenBegriffverfügeundobdasnichtdaraufhinauskäme,„dasLichtmeinerLeselampefürkeinwirklichesLicht“zuhalten,„weileskeinescharfeUmgrenzung“11habe.Soscheintesfast,daßgeradesie,dieexakteoderdefinitiveBestimmungdesBegriffsderWahrheitesseinkönnte,überdiewirumdesLebenswillennichtverfügen(können)dürfen.UnddeshalbscheintmirauchdasWortsounsinnignicht,eshabenochniejemanddieWahrheitgesagtundwerdesieauchnichtsagenkönnen,sondernimmernur(undbestenfalls)das,waserfürwahrhielt,hältoderhaltenwird.DasberühmteAugustinischeParadoxonüberdieZeit,dasmanhiergetrostaufdieWahrheitübertragen12kann,scheintmirindie-selbeRichtungzuweisen:„Ichweiß,wasdieZeitist,solangemanmichnichtfragt;fragtmanmichaber,soweißichesnichtmehr“.13

II

DamitsindeinigederfürdasThemadiesesAufsatzeswichtigstenBegriffebzw. Termini genannt:Wahrheit, Fürwahrhalten, Glauben undWissen. EswirdsichimFolgendenzeigenmüssen,obessichhierbei teilweiseumei-

1

Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaften(1830),§458,Anm.

2

Kant,KritikderreinenVernunft,B140.

3

Ebd.,B756.

4

Wittgenstein,WienerAusgabe 2, 246. 4 (1.Mai1930).

5

Ebd.,2,247.1(1.Mai1930).

6

Platon,Theaitetos,196d3.

7

Ebd.,197a1.

8

Platon,Phaidon,89c–90d.

9

Ebd., 90 b (Übersetzung nach Schleierma-cher).

10

Vgl. zu dieser Übereinstimmung als einem„gemeinschaftlichen Interesse“KantsNach-laßreflexion 2213 (AA XVI, 273): „Allerunser Streit überWahrheit hat ein gemein-schaftlich interesse wie zwischen Freunden(Mann und Frau), soll also theilnehmend,nicht ausschließend, selbstsüchtig und ego-

istischsein.Ichmußdavonanfangen,worinderandereRechthabe“.–NachWittgensteinist uns diese Übereinstimmung nicht (nur)aufgegeben, sondern „für dieVerständigungwesentlich, daß wir in einer großenAnzahlvonUrteilenübereinstimmen“(Wittgenstein,Bemerkungenüber dieGrundlagen derMa-thematik,Werkausgabe6,FrankfurtamMain1984,343).

11

Wittgenstein, Das Blaue Buch, Werkausga-be 5, Frankfurt amMain 1984, 52. –Nichtunähnlich dem Umstand, daß, wenn „allesexpliziertwerden“ „müßte“, „wir vor lauterRegelexplikationnichtmehrzuRegelanwen-dung“ „kämen“ (Markus Gabriel, An denGrenzenderErkenntnistheorie.Dienotwen-digeEndlichkeit des objektivenWissens alsLektiondesSkeptizismus,Freiburg/München2008,276).FreilichstelltesichdannauchdieFrage,wie,ohneRegelnanzuwenden,Regelnexpliziertwerdenkönnensollen.

12

Übertragbardeshalb,weildieAntwortaufdieFragenachdemWesenderZeitjaeinewah­reBestimmungverlangt bzw. erwartet.UndauchdieAntwortaufdieFrage,wasWahrheitsei,sollwahrsein.

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„quidestergotempus?sinemoexmequae-rat, scio; si quaerenti explicare velim, ne-scio“(Augustin,Confessiones,XI,14).

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nenzuvernachlässigendenReichtumanWörternhandeltoderobnichtdochbestimmteBegriffemit ihnen zu verbinden sind. So geht es beispielswei-sedarum,der „Absurdität“ zubegegnen, „Wahrheit undFürwahrhalten zuidentifizieren“,14diesichdochaufdrängtodermindestensaufdrängenkann,wennman,wie icheben,sagt,eshabenochniemanddieWahrheitgesagt,sondern immer„nur“das,waser fürwahrhielt.Mansiehtsichsprachlichgeradezugenötigt,demTerminusFürwahrhaltenimUnterschiedzu„Wahr-heit“ein„nur“beizufügen.DaskennenwirauchvomGebrauchderTermini„subjektiv“und„objektiv“.Mansagt,etwassei„nur“subjektiv,mansagtundhörtnicht,etwassei„nur“objektiv.SchonunserSprachgefühlscheintalsozwischenWahrheit und Fürwahrhalten zu unterscheiden.UndwirmachendiesenUnterschied,weilwirmitGrundgegen einebehauptete Indifferenzvonbeideneinwenden,was jemand fürwahrhalte,müssenichtwahr seinoderseinichtdeshalbschonwahr.Kant, demwir das dezidierteste Lehrstück zumFürwahrhalten verdanken,warsichdessennatürlichbewußt.GegenChristianAugustCrusius’„obersteRegelallerGewißheit“:„was ich nicht anders als wahr denken kann, das ist wahr“,wendeterineinervorkritischenSchriftein:„wennmangesteht,daßkeinandererGrundderWahrheitkönneangegebenwerden,alsweilmanesunmöglichandersalsfürwahrhaltenkönne,sogiebtmandamitzuverstehen,daßgarkeinGrundderWahrheitweiterangeblichsei,unddaßdieErkennt-nißunerweislichsei“.Zwargebees„wohlvieleunerweislicheErkenntnisse,allein“ – und damit fällt der für Kants spätere Lehre vom FürwahrhaltenwichtigeTerminusderÜberzeugung–„dasGefühlderÜberzeugunginAn-sehungderselbenisteinGeständniß,abernichteinBeweisgrunddavon,daßsiewahr sind“.15KannmanzwischeneinemGefühlderÜberzeugungunddieserselbstunterscheiden?DasscheintnichtderFallzusein.(NatürlichistsieeinGefühl,wiejaunsereSprachenochnahelegt,dieunsvom„BrusttonderÜberzeugung“sprechen läßt.Aber„manschließt“,mitWittgensteinzureden,„nichtausdemTon“,„indemmaneinenTatbestandfeststellt“„darauf,daßerberechtigtist“.16)SonstmüßteKant,entgegenseinerAnsicht,dochan-nehmen,eslassesichzwischenÜberzeugungundÜberredung,ihremGegen-begriff,subjektivunterscheiden.17Daßdiesnichtmöglichist,läßtsichleichteinsehen.Dennwerüberzeugtist,hältsichnichtfürüberredet,obgleicheresseinkann;aberwersichfürüberredethält,genauer:dasGefühlhat,überredetzuwerdenoderwordenzusein,istnichtüberzeugtundhältsichauchnichtdafür.(DerSatz„Ichbinüberredet“istsosinnlosodersinnvollwiederSatz„AlleKreterlügen“imMundeeinesKreters.)MankannsichdiesesubjektiveUnmöglichkeit–subjektivbedeutethiernur,daßmandieseUnterscheidungnichtselbstoderfürsichalleinmachenkann–auchdurchfolgendeÜberle-gungklarmachen:WirhabendieÜberzeugungen,diewirhaben, imLaufeunseresLebensübernommenoderunsgebildet.WirsindnichtmitihnenaufdieWeltgekommen,mithingabeseineZeit,dawirsienichthatten.WasaberdenAusschlagdafürgegebenhabenmag,diezuhaben,diewirnunhaben,oder demUrteilAnderer beizutreten bzw. beigetreten zu sein, könnenwirselbstnichtangeben.Zwarsagenwirgerneundmeist,eshabeunsjemandvonderWahrheitüberzeugtoderwirseienzuderÜberzeugunggelangt,aberdas sind eigentlich redundanteWendungen.Überredungkann in allenFäl-lenimSpielgewesensein,vielleichtistsieallerÜberzeugungAnfang,nichtunähnlichdemSpracherwerbdurchAbrichtungimSinneWittgensteins,beidem sich ja ähnlicheÜberlegungen finden.18DieÜberredung ist in einemabsolutenSinnesowenigzuverhütenwiederIrrtum,dernachKantja„einzigundalleinindemunvermerkten Einflusse der Sinnlichkeit auf den Verstand,

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odergenauerzuredenaufdasUrtheil“besteht.(„Hätten“wirnur„Verstand:sowürdenwirnieirren“,weil„überhauptnichtzubegreifenist,wieirgendeineKraftvonihreneigenenwesentlichenGesetzenabweichen“könne;undderSinnlichkeitistderIrrtumauchnichtanzulasten,„weildieSinnegarnichturtheilen“.19) Besteht aber der Irrtum in genannter Unvermerktheit, dannkanneinjedesunsererUrteileirrtümlichsein.Dennichkannjanichtbemer-ken, daß ich nichts bemerke.DaKant dieÜberredung ausdrücklich einen„Schein“20nennt,könntemanauchvoneinerMachtdesScheinssprechen,dernichtzuerliegenodererlegenzusein,wirniemalsgewißseinkönnen.„Nichtskannsozuseinscheinen,wennesnichtauchsoseinkann,wieeszuseinscheint“.21DaßwirüberhauptzwischenÜberzeugungundÜberredungunterscheiden(können),hatseinenGrundwohlinderErfahrungdesIrrtums,desScheiternsunsererÜberzeugungen,wasunsumzudenkennötigt,oderimBemerken,daßAnderevonanderemalswirüberzeugt sind,womöglich inderEinschüchterung,wiemansiebisweilenangesichtsunswiderstreitender,abersouveränundbrillantvorgetragenerBehauptungenempfindet.Läßtsichalso subjektivnichtzwischenbeidemunterscheiden–dennalleinhat „dasSubjektdasFürwahrhalten“„bloßalsErscheinungseineseigenenGemüts“„vorAugen“–,sokannmandoch„mitdenGründen“deseigenenFürwahr-haltensden „Versuch“ „an andererVerstandmach[en]“und sehen, „ob sieauf fremdeVernunft eben dieselbeWirkung tun, als auf die unsrige“.Dasist zwarauch immernurein„subjektivesMittel“, aberdochnicht ein sol-ches, „Überzeugungzubewirken“, sondern„diebloßePrivatgültigkeit desUrteils,d.i.etwasinihm,wasbloßeÜberredungist,zuentdecken“,22sowiemanjemandenprüft,oberfürseineÜberzeugungenvernünftigeArgumente,GründehatoderoberbloßAnhängereinerRichtung,ParteioderPersonist,undmanmituntermerkt, daß ihm für seineÜberzeugung doch das rechteHintergrundwissenfehlt.ErkenntnisistschonnachKantkeinemonologischeodersolitäreAngelegenheit,sonderneine„sozialePraxis“,wiegeradeseineRedevonder„PrivatgültigkeitdesUrteils“zeigt,diedasWittgensteinschePrivatsprachenargumentvorwegzunehmenscheint;vorallemwennmanbe-rücksichtigt,daßsie„sich“nachKant„nichtmitteilenläßt“.23

An Kants einführender Bestimmung des Fürwahrhaltens als „eine[r] Be-gebenheit inunseremVerstande,dieaufobjektivenGründenberuhenmag,aberauchsubjektiveUrsachenimGemütedessen,derdaurteilt,erfordert“,24scheintmirdieWendung,daßdasFürwahrhalten„subjektiveUrsachen im

14

MarkusGabriel,SkeptizismusundIdealismusinderAntike,FrankfurtamMain2009,32.

15

Kant,UntersuchungüberdieDeutlichkeitderGrundsätzedernatürlichenTheologieundderMoral,AAII,295.

16

Wittgenstein,ÜberGewißheit,Werkausgabe8,FrankfurtamMain1984,§30.

17

„Überredung“ „kann von der Überzeugungsubjektiv“ „nicht unterschieden werden“(Kant,KritikderreinenVernunft,B849).

18

„AmEndederGründestehtdieÜberredung“(Wittgenstein,ÜberGewißheit,§612).

19

Kant,Logik(Jäsche),AAIX,53.

20

Kant,KritikderreinenVernunft,B848.

21

Josef König, Sein und Denken. Studienim Grenzgebiet von Logik, Ontologie undSprachphilosophie,2.Aufl.,Tübingen1969,27.

22

Kant,KritikderreinenVernunft,B849.

23

Ebd.,B848.

24

Ebd.

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Gemütedessen, der daurteilt, erfordert“, besonderswichtig,wird sodochauf dieUnverzichtbarkeit des Subjekts in Fragen derWahrheit verwiesen.EsmußmitvonderPartiesein.WirhabenauchimErnstkeinBeispielfüreineErkenntnis,anderdaserkennendeSubjektnichtbeteiligtwäre.Strengernochmußmansagen,daßnachKanteinbestimmtesFürwahrhaltenfürdasindividuelle (Erkenntnis-) Subjekt vonRelevanz, Bedeutung seinmuß. Eskannnichtallesfüresgleichermaßenbedeutsam25seinundistesimLebenjaauchnicht.EinBeispielfürdieModidesFürwahrhaltens:Meinen,GlaubenundWissenmagdiesschonhierverdeutlichen.„Soistes“„fürdenRichternichtgenug,daßerbloß glaube, der einesVerbrechenswegenAngeklagtehabediesesVerbrechenwirklichbegangen.Ermußes(juridisch)wissen,oderhandelt gewissenlos“.26Die Prozeßbeobachtermüssen es nichtwissen, siekönnenglaubenoderderMeinungsein,derAngeklagteseiunschuldig,weilsienichtdenStandpunktdesRichters einnehmenunddenvondiesemherbedingtenHorizontauchnichthaben.DaßdasFürwahrhaltenauf„objektivenGründenberuhenmag“,kannmanvoraussetzenundsoschenkenwieKantdietraditionelleBestimmungderWahrheit„schenkte“und„voraussetzte“.27DenndasUrteilsolljawahrsein,jedenfallsistdasderAnspruchdesUrtei-lenden(Fürwahrhaltenden).KantnenntdieWahrheitjaauchnicht„objektive EigenschaftderErkenntniß“,28weilsiewahrist,sondernweilsiewahrseinsoll.Obsiewahrist,läßtsichauchnachKantnichtineinem(naiv-)absolutenSinneausmachen.EinjedesunsererUrteileisteinefiniteZeichenketteoder–version,29diewirindieserFinitheitstehenlassen,dieForm,inderwir„hierund jetzt“unserenWahrheitsansprucherheben. ImPrinzipkönntemanbeijedemihrerZeichenfragen,wassiebedeutenundbeideneserklärendenwie-derusw.DerWahrheitsanspruchverlöresichsoineiner„schlechtenUnend-lichkeit“.UndderGegenstand,überdendageurteiltwird,genauer,geurteiltwerdensoll–dennaufdieseWeisekommtundkämejakeinUrteilzustande–würdeuntereinemsolchenVerfahren,mitHegelzureden,„vermodern“.30SoistnachKant„allesunserBegreifen“„nurrelativ,d.h.zueinergewissenAbsichthinreichend,schlechthinbegreifenwirgarnichts“.31Daßdamitnichtimmindesten einRelativismus gemeint und/oder vonKant freiwillig oderunfreiwilligeingestandenwird,gehtschondaraushervor,daß,wiedieebenangezogenenStellenbelegen,WahrheitundFürwahrhaltenebennichtidenti-fiziertwerden.Siewerdenstrengunterschieden.Aberebennichtaufdiena-iveWeiseundeinerentsprechendenErwartungentgegenkommend,wonachmandanndochdieWahrheitnebendasFürwahrhaltengestelltsehenmöchte.DeristRelativist,dersienebeneinanderstellenzukönnenvermeint,undsoalleanderenAnsichten,allesandereFürwahrhaltengegenseine„Wahrheit“insVerhältnis, eben relativ setzt;was einBeispiel eineswahrhaft schlech-tenAbsolutenabgibt.DerRelativismusvorwurfglaubtsichanderimbeige-brachtenBeispielhervorgehobenen (unaufhebbaren)StandpunktbedingtheitunseresFürwahrhaltensimRecht.Standpunktbedingtheitsolldemnachnichtsein,weil sonstdieRedevonderWahrheit sinnlosunddasFürwahrhalteninsBeliebendesFürwahrhaltendengestelltsei.Demgegenüberwärezufra-gen,wasdenneinunbeschränkterStandpunktoder,andersausgedrückt,eine„nichtsubjektiveWeise“32desErkennensseinkönnensoll,vonderausmanderWahrheithabhaftoderversichertseinbzw.werdenkönnte.DeshalbhalteichJosefSimonsAbwehrdesRelativismusvorwurfsgegenKantunddessenKonzeptionvonWahrheitundFürwahrhaltenfürüberzeugenderalsdievoneinemvermeintlichen„Weilnichtseinkann,wasnichtseindarf“inspirierteSuchenacheinemallgemeinenmaterialenWahrheitskriteriumunddiedamit

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A.Hesper,WahrheitundFürwahrhalten323

einhergehendeRückgängigmachungoderUmkehrungderkopernikanischenWende.SimonsArgumentlautet:

„WenndasBezogenseindesDenkensaufseinenStandpunktRelativismusseinsoll,isteinabso-luterStandpunktaußerhalbderWeltvorausgesetzt,demgegenüberdasvonseinemStandpunktherinseinemHorizontbeschränkteDenkenalsrelativgedachtist.Gegenüberderinsichwi-dersprüchlichenRedevoneinemunbeschränktenStandpunktergibtsichimKantischenDenkendie Paradoxie, daß dieEinsicht, all unserBegreifen sei relativ, in denBegriff desDenkensaufzunehmensei.DasgehörtzuseinerVollkommenheit“;33

wiejaauchderZweifelbzw.dieFähigkeitzuihmindenBegriffdesDenkensaufzunehmenist,weildieUnfähigkeitzuihmunterbestimmtenUmständenZeichenderUnvollkommenheit,unvollkommenenDenkenseben,d.h.derBorniertheit ist.DenndasGefühlderSicherheit,alsodieAbwesenheitdesZweifelskannja,wieausdemBisherigenerhellt,unmöglicheinBeweisfürdasUnbezweifeltesein.WahrheitistnichtzuverdinglichenundmitdemFür-wahrhaltenzuvergleichen(inderAbsicht,dieseszuverifizierenoderzufal-sifizieren).WirhabennichtdieWahrheitunddannauchnochunserFürwahr-halten.UndsokannichauchnichtdieWahrheitmitmeinemFürwahrhaltenoderumgekehrtvergleichen.WozuaucheinsolcherVergleich,wennichdieWahrheitschonhabe?WozudanndasGeschäft(Spiel)desUrteilensundderUrteilsbildung?DasmagausKantsBetrachtungdesWahrheitsbegriffsnochdeutlicherhervorgehen,dieauchverstehenhilft,weshalbKantsichzuseinerkopernikanischenWendegenötigtsah.IndieserBetrachtunggehtesbekannt-lich um eineKritik an der vormaligenVorstellung von der Erkenntnis alseinesSich-RichtensnachdemGegenstand(wieerinWahrheitist).

III

DieseVorstellungstelltnachKanteineuneinlösbareForderungdar.Woherwill und soll ichwissen können, ob ichmich nach demGegenstand rich-te oder gerichtet habe und alsomeinUrteil über ihnwahr ist?Müßte ichdannnichtmeineVorstellungvomGegenstandmit ihm,wie er nicht (vonmir)vorgestelltist,vergleichenkönnen?SohattemanjadieNamenerklärungderWahrheit,wonachsie„dieÜbereinstimmungderErkenntnismit ihremGegenstandesei“,dieKant„schenkt“,aberdoch„voraussetzt“,gelesenund

25

Vgl. zu diesem Punkt Josef Simon, Bedeu-tungalsReferenzundals individuelleRele-vanz,in:Logossemantikos.StudialinguisticainhonoremE.Coseriu,Bd.II,ed.H.Weydt,Berlin/NewYork/Madrid1981,275–286.

26

Kant,Logik(Jäsche),AAIX,70.

27

Vgl.Kant,KritikderreinenVernunft,B82.

28

„Wahrheitistdieobjective EigenschaftderEr-kenntnis,dasUrtheil,wodurchetwasalswahrvorgestelltwird;dieBeziehungaufeinenVer-standundalsoaufeinbesonderesSubjectistsubjectiv das Fürwahrhalten“ (Kant, Logik/Jäsche/,AAIX,65f.).

29

ZuJosefSimonsBegriffderZeichenversionvgl.nebenvielenanderenseinerPublikationendie einschlägige Studie: Zeichenversionen.Überanalytischeund synthetischeHypothe-sen,ErlangenundJena1996.

30

Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes,GW9,70.

31

Kant,Logik(Jäsche),AAIX,65.

32

JosefSimon,PhilosophiedesZeichens,Ber-lin/NewYork1989,68.

33

JosefSimon,Kant.DiefremdeVernunftunddie Sprache der Philosophie, Berlin/NewYork2003,50.

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verstanden.Kantziehtinseinemmitder„KritikderreinenVernunft“begon-nenenkritischenGeschäftweitreichendeKonsequenzenausdieserBestim-mung.Erwiderlegtsienicht,weilinihreinFehleroderIrrtumenthaltensei.Eherschonkönntemansagen,erhebesieimHegelschenSinneauf,negieresiebestimmt,aufbestimmteWeise,sodaßmandas„geschenkt“und„vor-ausgesetzt“alsAufhebungzuverstehenhätte.DenndaßeineVoraussetzungeine(ArtoderWeisevon)Aufhebungist,wirdniemandernsthaftbezweifeln.KantsEinwandgegendiegenannteBestimmunglautet,esgeheausihrnichthervor, „welches das allgemeineund sichereKriteriumderWahrheit einerjedenErkenntnissei“,34„[d]enndassolldieFrage:Was ist Wahrheit? bedeu-ten“.35Wennnämlich,soargumentiertKant,

„Wahrheit inderÜbereinstimmungeinerErkenntnismit ihremGegenstandebesteht, somußdadurchdieserGegenstandvonanderenunterschiedenwerden;denneineErkenntnisistfalsch,wennsiemitdemGegenstande,woraufsiebezogenwird,nichtübereinstimmt,obsiegleichetwasenthält,waswohlvonandernGegenständengeltenkönnte.NunwürdeeinallgemeinesKriteriumderWahrheitdasjenigesein,welchesvonallenErkenntnissen,ohneUnterschiedihrerGegenstände,gültigwäre.Esistaberklar,daß,damanbeidemselbenvonallemInhaltderErkennt-nis(BeziehungaufihrObjekt)abstrahiert,undWahrheitgeradediesenInhaltangeht,esganzun-möglichundungereimtsei,nacheinemMerkmalederWahrheitdiesesInhaltsderErkenntniszufragen,unddaßalsoeinhinreichendes,unddochzugleichallgemeinesKennzeichenderWahrheitunmöglichangegebenwerdenkönne.Da[…]derInhalteinerErkenntnisdieMateriederselben“ausmacht,„wirdmansagenmüssen:vonderWahrheitderErkenntnisderMaterienachläßtsichkeinallgemeinesKennzeichenverlangen,weilesinsichselbstwidersprechendist“.36

(DieseUnmöglichkeitnichtzubemerken,heißt„dogmatischschlummern“.37)EsmachtalsoauchkeinenSinn,nacheineranderenBestimmungoderDefi-nitionderWahrheitzusuchen,diediesen,wiemanmeinenkönnte,abernichtsagenmuß,Makelnicht enthielte.DerGedanke eines allgemeinenmateri-alenWahrheitskriteriums,undnatürlichnichtdieIdeederWahrheit,istdamitvonKanteinfürallemalalsunmöglichabgewiesen.DiesnegativeMerkmalwarimtraditionellenBegriffderWahrheitversteckterweiseenthaltenundistdurchKantsAnalyseansLichtgebrachtworden.Esistauchweiterhininihm,nurebenbewußt,enthaltenundnichtzutilgenoderzuverbannen,sondernaufgehobenmitzuführen.Aus der Betrachtung Kants folgt aber auch, daß, wenn Vorstellung auch„nochnichtErkenntnißist,sondernErkenntniß“„immerVorstellung“„vor-aussetzt“,38wirnurVorstellungenmitVorstellungen,undebennichtmitdemGegenstand vergleichen können.Das stimmt aufs Beste damit zusammen,daßKantdasUrteilunteranderem„VorstellungeinerVorstellung“des„Ge-genstandes“39nennt.ZwarkannmanmitWittgensteindierhetorischeFragestellen:„Wie vergleichtmanVorstellungen?“40Undichneigedazu,michihranzuschließen,alsomitKantnichtnurdieMöglichkeiteinesVergleichsvonVorstellungeneinesGegenstandesmitdemGegenstand,wieerunvorgestell-terweisesei, sondernmitWittgensteinauchnochdienachKanteinzigüb-rigbleibendeMöglichkeit einesVergleichsvonVorstellungenzubestreiten.WittgensteinsGedankegehtaufdieMitteilungvonVorstellungen(Überzeu-gungen,Meinungen,Ansichten,Fürwahrhalten),alsodarauf,wiederanderewissenkönne,wasichmirvorstelle,meineetc.DiesesProblemerledigtWitt-gensteinlakonischmitfolgenderBemerkung:

„Wennmanabersagt:,Wiesollichwissen,wasermeint,ichsehejanurseineZeichen‘,sosageich:,Wiesollerwissen,wasermeint,erhatjaauchnurseineZeichen‘“.41

Ich kann demAnderen nichtmeineVorstellungenmitteilen in demSinne,daßerdanngenauweiß,was ichmirdenkeodervorstelle.Vielmehrstelle

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ichmeineVorstellungeninZeichendar,beidenensichderAnderedasSeinedenkenkann,genauer:zudenkenhat.Obdasmitdem,wasichmirbeiih-nendenkeodervorstelle,identischist,istunentscheidbarundstehtwahrhaftunendlichdahin.EshatjedernurseineVorstellungen.(AuchmeineeigenenvergangenenVorstellungen,Meinungen,Ansichtenetc.habeichnaturgemäßnur inZeichen,andie ichmicherinnerebzw. indenensichmirmeineEr-innerungdarstellt oder gibt.)DieZeichen sinddasGemeinsame,nicht dieVorstellungen.„WasderAndreanerkennt“,sinddennauchnichtmeineVor-stellungen,sondern„istdieAnalogie,dieichihmdarbiete,alsQuelleseinesGedankens“.42DieseKritiktrifftabernichtdenHauptpunktderKantischenBetrachtung desWahrheitsbegriffs, wonach der Gedanke eines materialenWahrheitskriteriumsinsichwidersprüchlichist.SieistaberinsofernvonBe-deutung fürKantsDarstellung seinerPhilosophie, als aucher sichaufdasAbbrechen von Zeichenversionen verstehenmußte (und verstand).So saher inderMitteilung einen„ProbiersteindesFürwahrhaltens“,43ohnederenBegriffselbstnäherzubestimmen.Offenbarhielter ihnindiesemZusam-menhangundfürseinedortigeAbsicht,dieBegriffederÜberzeugungundÜberredungzuunterscheiden, fürdeutlichbzw.verdeutlichendgenug.Dieeben angezogenen ÜberlegungenWittgensteins haben, denke ich, gezeigt,daßessichkeineswegsumeineneinfachen,weitererÜberlegungundRedeenthobenenBegriffhandelt.44AberaucheineVerdeutlichungdiesesBegriffsoderZeichensmüßteirgendwoabbrechenmitZeichen,diefürdeutlichgenuggehaltenwerden.BliebealseinzigmöglicherKandidateinesallgemeinenWahrheitskriteriumsnoch das formale, rein logische übrig. Doch logische Kriterien „betreffennur dieFormderWahrheit, d. i. desDenkensüberhaupt, und sind so fernganzrichtig,abernichthinreichend“.Sokann„eineErkenntnisderlogischenFormvölliggemäß“sein,„d.i.sichselbstnichtwiderspr[echen]“,esistnichtauszuschließen,daßsie„nochimmerdemGegenstandewiderspr[icht]“.Die„allgemeinenundnotwendigenRegeln“derLogik sindzwardie„conditiosinequanon,mithindienegativeBedingungallerWahrheit“,weiter reichtihrGebiet abernicht: sodaß siewederein„Probierstein“des Irrtums,der„den Inhalt“ und „nicht die Form“ einerErkenntnis betrifft, ist noch dazu

34

Kant,KritikderreinenVernunft,B82.

35

Kant,Logik(Jäsche),AAIX,50.

36

Kant,Kritikder reinenVernunft,B83.– InseinerLogikschreibtKantganzentsprechend:„Ein allgemeines materiales Kriterium derWahrheitistnichtmöglich;esistsogarinsichselbst widersprechend.“ Ein solches zu for-dernhießefordern,„vonallemUnterschiededer Objecte zugleich“ zu „abstrahiren undauchnicht“zu„abstrahiren“(AAIX,50f.).

37

Vgl.Kant,Prolegomena,AAIV,260.

38

Kant,Logik(Jäsche),AAIX,34.

39

Kant,KritikderreinenVernunft,B93.

40

Wittgenstein,PhilosophischeUntersuchungen,§376.

41

Ebd., § 504. – Diese Bemerkung notierteWittgenstein bereits am 31. Juli 1930 (vgl.WienerAusgabe2,319.3).

42

Wittgenstein,WienerAusgabe3,291.11(29.Juni1931).

43

Kant,KritikderreinenVernunft,B848.

44

Zu einer ausführlichen philosophisch-sys-tematischen Betrachtung des Begriffs bzw.PhänomensderMitteilungvorallemimZu-sammenhang mit der Wahrheitsfrage vgl.JosefKönig,DerlogischeUnterschiedtheo-retischer und praktischer Sätze und seinephilosophische Bedeutung, ed. F. Kümmel,Freiburg/München1994,283–345.

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ermächtigt,„überGegenständezuurteilen,undirgendetwaszubehaupten,ohnevonihnenvorhergegründeteErkundigungaußerderLogikeingezogenzuhaben“.45DielogischeKorrektheiteinerErkenntnisberuhtnichtaufderWahrheitalseinerÜbereinstimmungmitdemGegenstand,sondernaufderÜbereinstimmungmitsichselbst,alsonichtaufWahrheit.

IV

AngesichtsdiesesnegativenErgebnisses,derUnmöglichkeiteinesallgemei-nenWahrheitskriteriumsoder,wiemanindiesemZusammenhangauchge-sagthat,unserer„UnkenntnisderWahrheit“,46könnteichesmirnuneinfachmachenundsagen,daßunsMenschenalsooderebennurdasFürwahrhaltenbliebe,dergestaltdie„Wahrheit“ins(bloße,wiemandannsagt)„Fürwahrhal-ten“unddessenModioderArten:„Meinen,GlaubenundWissen“übergehenzu lassen, sowieHegeldieKategorien ineinanderübergehen läßt, also zusagen:DasFürwahrhaltenseidieWahrheitderWahrheitoder, inbrillierenwollenderDiktion,derenEntzugserscheinung.Sogewißoderwahresist,daßwir inErmangelungeinesallgemeinenKriteriumsderWahrheiteben (nur)fürwahrhalten (müssen),sokommtmireinesolcheWendungdochalseinebloßformalevor.Siewäre,michebenangestellterÜberlegungenzubedie-nen,soformalwiedasformaleWahrheitskriterium,mitdemesjaauchnichtswar,undalsophilosophischnichtaufeinmal(unerklärlicherweise)etwasseinkannoderseinwird.SiewärenachmeinemEmpfinden,dasniemandenver-läßt,unbefriedigend.StattdessenmöchteicheineandereMöglichkeiterwä-gen,umzuzeigen,daßunsnichtsalsdasFürwahrhaltenbleibt.IchverdankedieseMöglichkeit einer philosophischen Intuition, einemEinfall, vondemichselbstnatürlichnichtmitBestimmtheitsagenkann,oberetwastaugt.Ichhalteihnsozusagenhierundjetzt„anandererVerstand“,umzusehen,„ob“er„auffremdeVernunftebendieselbeWirkungtu[t]“47wieaufmeine.ZudemscheinterauchnochmiteinemMakelbehaftet,handeltessichdabeidochumeinBeispiel,woichdochwissenmüßte,daßdie„derGängelwagenderUr-teilskraft“sind,„welchenderjenige,demesannatürlichemTalentderselbenmangelt,niemalsentbehrenkann“.48Abervielleichtgibtesjazudenkenunddannkannsichzeigen,obetwasanihmist,dassichinsAllgemeinehebenläßtoderebennicht.DerberühmteSatz:„homoestanimalrationale“solldieWahrheitüberdenMenschensagen,sollsagen,wasderMenschinWahrheitist.(Insofernister,alsSatz,derwahroderfalschseinkönnensoll,einUrteil.)ErwarundistdasSchulbeispielfüreineDefinitionimSinnedertraditionellenLogik,nachderdieDefinitioneinesBegriffsoderGegenstandesinderAngabeseiner(nächst-höheren)GattungunddesartbildendenUnterschiedsbestehtbzw.zubestehenhat.(Definitio fit per genus proximum et differentia specifia.)UnddahabeichsofortdieFrage,wieerinsDeutscheübersetztlautenmuß:„DerMenschist ein vernunftbegabtesLebewesen“oder„DerMenschistdasvernunftbegabteLebewesen“?AndieserFragehängtmeinesErachtensfürdenWahrheitsbe-griffviel.Ichmeine,wennerdasersterebedeutet,kannernichtdieWahrheittreffen.DannwärenuretwasvomMenschenbehauptet,dasermitanderenWesengemeinhat.ÜberdenMenschenalsMenschenerführenwirsonichts.Also,schließtman,kannnurderzweiteSatz„wahr“sein.Aberwoherwol-lenwirdaswissen?Wirkönnennichtwissen,daßderMenschdasundalsoeinzigevernunftbegabteLebewesenist,sondernnur,daßesdaseinzigever-nunftbegabteLebewesenist,daswirkennen.Esistja,reinlogisch,nichtaus-geschlossen,daßunseinesschönenoderauchwenigerschönenTagesandere

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vernunftbegabte Lebewesen alswirMenschen begegnenwerden.Das läßtderBegriff, die „allgemeineVorstellung“49 „vernunftbegabtesLebewesen“quasizu.NatürlichkönntenwirMenschenunsdazuentschließen,dieseWe-senMenschenzunennen,aberwirmüssenesnicht,genauer:DaswirdvonGründenabhängen,diewirjetzt,dawiranderevernunftbegabteLebewesennichtkennen,nichtvorhersagenkönnen.Undobsieunssonennenwürden,wiesieselbstsichbisdahingenannthaben,wennsiesicheinenbestimmtenNamengegebenhatten,wissenwirauchnicht.AuchfürsiebestehtdazukeinzwingenderGrund.Nichtauszuschließenist,daßihreVernunfteinwenigan-derswärealsdieunsere(undunseredannnaturgemäßandersalsihre);aufalleFälleabermüßtenwirunsnacheinemanderenartspezifischenMerkmalumschauen.WirwärenimmernochMenschen,Wesen,dieJahrtausendeihrSelbstbewußtseininderVernunftgesehenhaben.Esverstehtsichvonselbst,daßdasneueartspezifischeMerkmalnichtsoetwaswieeineWiderlegungunseres bisherigen Selbstbewußtseins wäre in dem Sinne, daß wir sagenmüßten,wirhättenunsebengeirrt,unsereNaturhabenieinderVernunftbe-gabungbestanden,sondernebeninetwasanderem.DieneueNaturkanntenwirnicht,wirwußtenunsandersalssie,wienichtweiterverwunderndürfte;kanntenwirsiedochnicht.(UnbeschadetunsererExistenzbrauchenwirdieWahrheitnichtzuwissen.DarinliegtvielleichtdasGeheimnisderFreiheit.)WirhattenvorderBegegnungmitden„neuen“vernunftbegabtenLebenwe-senjagarkeinenGrund,inetwasanderenalsderVernunftbegabungunsereNatur zu sehen.Wie immer aberdasneue artspezifischeMerkmal ausseh-enmag,eswirdvonderselbenlogischenNatursein,daßauchesnichtaus-schließtdasAuftretenvonWesen,dieesauchbesitzen,diewiraberbiszumZeitpunkt ihrerErscheinungnichtkannten.DasSpielbegänneerneut.Wiegesagt,wirkönneneigentlichimmernurnachunseremWissenurteilen,unddannmußebenjedemSatz(Urteil)einZusatzfolgenwie:„daseinzige,daswirkennen“.Damitglaubeichgezeigtzuhaben,daßwirdieWahrheitnichthabenodererkennenundauchnichtsoetwassagenkönnenwie:„IchweißdieWahrheit“.AuchdasWissenistnichtaufdieWahrheitbezogen,sonderneinModus unseres Fürwahrhaltens, in demniemand behaupten kann, seinFürwahrhalten(indiesemFalldasWissen)mitderWahrheitzuvergleichenoderverglichenzuhaben,ausderBekanntschaftmitderWahrheitgleichsamzuschließen,seinWissenseiwahr.DerSchluß:„Ichweißp,weilp“schließtnicht.Er ist uns verboteneFrucht. Sie ist uns so verboten, daßwir diesesVerbotnichteinmalverletzenundsündhaftinsiebeißenkönnen.Nichtnurkennenwir„dieWahrheitselbst“nicht,sonderndieWahrheitist gleichsamdas,waswirnichtundniekennenundnichtundniewissenund,wieebenangedeutet,nichtzuwissenbrauchen.SokönnenwirnaturgemäßauchnichtdenSchlußziehenundsagen,esgebekeineWahrheit.Woherwolltemandaswissen?Ausnahmslosalles,daswirsagenundbehaupten,beruhtaufeinemFürwahrhaltenundistAusdruckeinesFürwahrhaltens.

45

Kant,KritikderreinenVernunft,B84f.

46

„,DieWahrheit‘selbstkennenwirnicht.“(JosefSimon,DasProblemderGottesbeweiseundderBegriffeinerphilosophischenEthik,in:Philo-sophiedelareligionentreéthiqueetontologie.ArchiviodiFilosofia1996,75–87,hier75).

47

Kant,KritikderreinenVernunft,B849.

48

Ebd.,B174.

49

„DieAnschauungisteineeinzelneVorstellung(repraesentatio singularis), der Begriff eineallgemeine (repraesentatio per notas com­munes) oder reflectirte Vorstellung (reprae­sentatio discursiva)“ (Kant, Logik /Jäsche/,AAIX,91).

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Wasichebenvorgetragenhabe,scheintmirausderKantischenBetrachtungdesWahrheitsbegriffsundmeinerBetrachtungdieserBetrachtungzufolgen.Und somuß ich gestehen, daß ichmit einemSatzwie dem, das „[w]ahreUrteile“„innerhalbdesUrteilsspielsanerkannt“„werden“„müssen“,49nichtsanzufangenvermag.WozueinUrteilanerkennen,wenneswahrist?Woherwillichwissen,obeswahrist?Ehermachtesm.E.Sinn,zusagen,daßwirUrteileanerkennenundmitunteranerkennenmüssen.SolcheUrteilemögenwirdannwahrnennen,wasmirnachmeinenAusführungenaberebensowe-nigsinnvollscheint.DennschließlichwirdeinUrteildurchseineAnerken-nungnichtwahr.DaßwirunsaufanerkannteUrteileverlassen,entsprächedemSachverhalt eher.Mit ihrerBildungodermit unseremBeitritt zu denUrteilenanderersignalisierenwirnur,daßwiressosehen,wiesie,dieUrteileessagen,ganzgleich,obsiewahrsind;beiallerSchwierigkeitbzw.Unmög-lichkeit,zueruieren,obwiresgenausowiedieanderensehen.Wirmüssenja,michzuwiederholen,gerade inErmangelungeinesWahrheitskriterium,eineswahrenWissens,fürwahrhalten.UndsowürdeichauchindemSatz:„DieFakten,dieFaktenfürunssind,sindaberFaktenfürunsnurso,daßwirwissen,daßsieunabhängigvonunseremFürwahrhaltenwahrsind“51dasWörtchen „wissen“ tilgen und durch das,wie ich finde, bessere „denken“ersetzen.WirwissenunabhängigvonunseremFürwahrhaltengarnichts,weiles für uns keinAußerhalb, keineAlternative zumFürwahrhalten gibt.WirkommenvondenZeichennichtzuSachen,sondernimmerwieder(nur)zu(neuen,anderen)Zeichen.Siesinddas,„wonachwirunsrichten“.52„WoherdieIdee,daßwirdasGebietderZeichenverlassenkönnten?“53

V

ImvorletztenAbsatzsprachichvondemZusatz,derjedemUrteilbeigefügtwerdenmüsse,umgleichsam(fürwahr)gehaltenwerdenzukönnen.DasistdiemodaleBestimmungoderMarkierungdesUrteils,„[o]hne“dieesnachKant„gar“nicht„möglich“54ist.IchhabedasamBeispieldesSatzesoderUrteils „DerMensch ist das vernunftbegabteLebewesen“ deutlich zuma-chenversucht.DamitnochmalszudenModidesFürwahrhaltens.DaßdiesesLehrstücklangeZeitdieAufmerksamkeitnichtgefundenhatte,dieesnichtnurverdient,weilesirgendwieauchgehaltvollist,sondernweiles,wieichdenke, aus Kants Konzeption der Erkenntnis nicht wegzudenken ist, hatseinenGrundwahrscheinlichindemUmstand,daßmansichaufdennichtminderwichtigenBegriffdesUrteilskonzentrierte,wieerinder„Transzen-dentalenAnalytik“der„KritikderreinenVernunft“entwickeltwurde.DortnannteKantdasUrteil„einVerhältnis,dasobjektiv gültigist“.55InderMe-thodenlehrenennterdasFürwahrhaltenerläuternd:„diesubjektiveGültigkeitdesUrteils“.56Soscheintdaseinemitdemanderennichtvielzutunzuhaben.DasFürwahrhaltenscheintebennur„subjektiv“zuseinunddenNimbusderZweitrangigkeitzugenießen,wiesicheingangsschonsprachlichnahezule-genschien.VonderWahrheithießes,sieseidie„objektiveEigenschaft“ei-nerErkenntnisodereinesUrteils.(VonderWahrheitalseiner„subjektivenEigenschaft“desUrteilszureden,machtinderTatkeinenSinn.)Dasklingtschon attraktiver, vor allem für solche Interpreten, die inKantsKritik der reinen Vernunft so etwas wie eineWissenschaftstheorie oder BegründungreinobjektivenWissenssahenodervermuteten.AllerdingsüberlasmanoderverstanddasWörtchen„soll“indiesemZusammenhangnicht.57DieLösungderSchwierigkeit,dieThematikdesUrteilsmitderdesFürwahrhaltenszu-sammenzudenken,scheintmirabersoschwernicht.DasUrteil,verstanden

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als objektivgültigesVerhältnis vonBegriffen,wird fürwahrgehaltenundsoandasSubjektzurückgebunden,dasesjaohnehingebildethatoderihmvorgegeben,vonanderenzuübernehmenangesonnenwird,undsichnunzuentscheidenhat,inwelchemModusesdiesfürwahrodernichtfürwahrhält.EsnimmtsozusagenalleSchuldaufsichundkannsichnichtdaraufhinaus-reden, nur dieWahrheit gesagt haben zuwollen.Es sieht denGegenstand„alsbestimmtan“undhatzudiesem„Ansehenalsbestimmt“,58wasnureinanderesWortfür„Fürwahrhalten“ist,keineAlternative.DennobdasUrteilwahrist,kannesjanichtwissen.OhnemodaleMarkierungwäreesunvoll-ständig,ingewissemSinne„unrein“.59Dashättemanfreilichschonausder„TranszendentalenAnalytik“wissenkönnen,woesheißt:„DieModalitätderUrteileisteineganzbesondereFunktionderselben,diedasUnterscheidendeansichhat,daßsienichtszumInhaltedesUrteilsbeiträgt(dennaußerGröße,QualitätundVerhältnisistnichtsmehr,wasdenInhalteinesUrteilsausmach-te,)sondernnurdenWertderKopulainBeziehungaufdasDenkenüberhauptangeht“.60Deshalb nenntKant die den Inhalt desUrteils konstituierendenKategorien(alsodiederQuantität,QualitätundderRelation)auch„objek-tivsynthetisch“,dieModalkategorien„subjektivsynthetisch“.61EsmußeinurteilenwollendesSubjektdazukommenundebenurteilen.Eshältdiesdannfürmöglich,wirklich oder notwendig.Ohne eine solcheMarkierungwärebeispielsweisedasUrteil: „DerStein ist schwer“nichtssagend.DaßwiresbeimLesendesKantischenWerksoderbeiseinerNennunganderswosogernalseinBeispiel füreinwahresUrteilnehmen,hatseinenGrundinunsererErfahrung.Wirkönnengleichsambestätigen,daßdassoist,wiedasUrteilsagt.AberessprichtjagarnichtdasUrteil,sonderndaserkennendeSubjekt.WirerinnernunsdergestaltnuranunserfrüheresFürwahrhalten,daswirmitanderengleichsamteilen,unsdabeialsfürwahrhaltendeSubjekteausklam-mernd,vergessend.DieÜbereinstimmung imFürwahrhalten ist aberkeine

50

Markus Gabriel, An den Grenzen der Er-kenntnistheorie…,a.a.O.,60.

51

Ebd.,288.

52

Wittgenstein,WienerAusgabe3,247.15(17.März1931).

53

Ebd.,3,314.10(3.Juli1931).

54

Kant,Nachlaßreflexion3111(AAXVI,663).

55

Kant,KritikderreinenVernunft,B142.

56

Ebd.,B850.

57

Dieses Sollen ist von dem der praktischenPhilosophieKantsnichtzutrennen.Daszeigtsichzumeinendarin,daßichsowenigwis-senkann,obdasUrteilwahrist,wieichnichtwissenkann,objemalseinMenschausAch-tungvordemSittengesetzgehandelthat;zumanderen darin, daßman sein Fürwahrhaltenbzw.sein„Urtheil“zu„verantworten“(Kant,Nachlaßreflexion6204,AAXVIII,488)hat;

so sollman„seinUrtheil“auch„nichtohnenoth fällen“ (Nachlaßreflexion 2588, AAXVI, 429). – Nach seiner bekannten KritikamKantischen(undFichteschen)Sollenkannman Hegels rätselhaftes Wort: „das Urteilist durch seine Form einseitig und insofernfalsch“ (Hegel, Enzyklopädie der philoso-phischenWissenschaften[1830],§31,Anm.)vielleichtbesserverstehen.

58

Vgl.Kants„ErklärungderKategorien“:„SiesindBegriffe von einemGegenstande über-haupt,dadurchdessenAnschauung inAnse-hungeinerder logischen Funktionen zuUr-teilen als bestimmt angesehen wird“ (KritikderreinenVernunft,B128).

59

WennKantdas„modaleUrtheilnichtunrein“nennt, weil [o]hne modalitaet“ „gar keinUrtheil möglich“ (Nachlaßreflexion 3111,AAXVI, 663) ist, dann kannman imUm-kehrschluß sagen, daß einnichtmodalmar-kiertesUrteilunreinist.

60

Kant,KritikderreinenVernunft,B99f.

61

Ebd.,B286.

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inderWahrheitoderinderSache.SokannesnachKantimErnstauchnichtmehrumdieFragegehen,obderSteinimSinnevormaligerMetaphysikmög-licherweise,wirklicherweiseodernotwendigerweiseschwerist,sondernnur(noch)darum,obwirdas fürwahrhalten,d.h.meinenoderglaubenoderwissen.Daswirdvielleichtklarer,wennmansichdenbegrifflichenBestim-mungendereinzelnenModioderStufendesFürwahrhaltenszuwendet.Das „Meinen, ist einmit Bewußtsein sowohl subjektiv, als objektiv unzu-reichendesFürwahrhalten“.IstdasFürwahrhalten„nursubjektivzureichendundwirdzugleichfürobjektivunzureichendgehalten,soheißtesGlauben“,das„sowohlsubjektivalsobjektivzureichendeFürwahrhalten“„Wissen“.62NimmtmanKantsBestimmungenausder„Logik“hinzu,wonachdas„Mei-neneinproblematisches,dasGlaubeneinassertorischesunddasWisseneinapodiktischesUrtheilen“63ist,sokannmandasMeineneinFürmöglichhal-ten,dasGlaubeneinFürwirklichhalten,dasWisseneinFürnotwendighaltennennen. Hier ist vor allem die Kombinatorik der Begriffe „subjektiv und„objektiv“vonBedeutung.Daß,wennichmeine,meinFürwahrhaltenwedersubjektivnochobjektivzureichendist,heißtnur,daßichmeinUrteilnoch„insuspenso“,64nochzurückhalte,nochnichtentschiedenbin,michdaraufzuverlassenundweilichnochZeithabeundmichkeineHandlungsnotdrängt.Meinendbestimmeichnicht,sondernreflektiere,dasAllgemeine,unterdaszusubsumierensei,erstnochsuchend.ImUnterschieddazuistdasGlaubenzwarsubjektiv,abernichtobjektivhinreichend,weilichmichaufdasUrteilverlasseundaufeshinhandle,wissend,daßandereesanders,dieSachean-dersbeurteilen, anderesglaubenkönnen,wie inKantsBeispielderArzt,65dereineDiagnosestellenmuß,umdaraufhineineTherapieeinzuleiten,nichtwissend,oberdasKrankheitsbildrichtigdeutet.(Undwasheißthierschonrichtigoderwahr?Eskanndochnurbedeuten,daßsichdasUrteilbzw.dieDiagnose„bewährt“–unddasmußnichtsmitWahrheitzutunhaben.)DasBeispiel zeigtübrigens sehr schöndenErnstunserer„Urteilsspiele“ (Witt-genstein). Es geht, zuletzt, immer umsLeben, als des „Vermögen[s] einesWesens, seinenVorstellungen gemäß zu handeln“.66Oder, um ein anderesBeispielzugeben:WennichüberdieRheinbrückenachBeuelgehe,zeigeichdamit,daßichglaube,daßsiehält,weilichsiesonstnichtnutzenwürde.DasistkeineMeinung,sondernein„pragmatischer“Glaube,dennichverlas-semichaufdasUrteil,handledanach.ObdieBrückehaltenwird,kannichwährenddieserHandlungnichtwissen.(Wasichweiß,ist,daßsiegestern,daichsiebenutzte,hielt.)ImModusdesWissensbinichüberzeugt,daßjeder–deranmeinerStellewäre,mußmanhinzufügen–essosehenmußwieich.DafürmagnebendiesemdasobenbereitsbeigebrachteBeispieldesRichtersundseinerPflicht,einUrteilzufällen,stehen.Der noch rein kombinatorischmögliche vierteModus, der eines rein odernur objektiv zureichenden Fürwahrhaltens scheidet nachKant aus.An ei-nerspätenStellenenntKantdiesenModusoderdiese„neueangebracht[e]“„StufedesFürwahrhaltens“„AhnungdesÜbersinnlichen“.67DaßeinsolcherModuskeineBeziehungaufsSubjekthat,ergibtsichausKantsBestimmungdesSinnlichen:„SinnlichheißtinunsererErkenntnisalles,wasbloßsubjec-tivgilt“.68DerSinnlichkeitsbezugwarabergeradedas,wasKantgegendievormaligeMetaphysikunddassensualistischeErbeHumesantretendeinge-fordert,genauer:einzugesteheneingeforderthatte,wozumannurdenerstenSatzder„TranszendentalenÄsthetik“heranziehenmuß:

„AufwelcheArtunddurchwelcheMittelsichauchimmereineErkenntnisaufGegenständebeziehenmag,soistdochdiejenige,wodurchsiesichaufdieselbenunmittelbarbezieht,undworaufallesDenkenalsMittelabzweckt,dieAnschauung“.69

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Ist aber dieAnschauung „Ausgang undZiel allerErkenntnis“,70ErkennenalsoderWegvonderunverstandenen,fragwürdigenzurfraglosverstandenenAnschauung,dannkönntemaninAnlehnungandaszitierteWortAugustinsvielleicht sagen:Fraglos anschauend, nichtmeinend, nicht glaubend, nichtwissend,seienwirinderWahrheit.Aberauchdannhättenundwüßtenwirsienicht.

Axel Hesper

Istina i smatranje istinom

SažetakRezultat Kantove refleksije o tradicionalnom pojmu istine kao sukladnosti spoznaje ili pojma ili subjekta s predmetom ili objektom – da nema ni općeg materijalnog ni općeg formalnog kriterija istine koji bi bio dostatan – vodi kritičkome uvidu da smo upućeni na (navodno puko) smatranje istinom i da ostajemo na tome, a da se ono pokazuje na tri načina: ili kao mnijenje ili kao vjerovanje ili kao znanje. Dakle, ne tek s Hegelom nego i prema Kantu, pojmilo se da sud nije »pogodan« da »izrazi« istinu, nego da je sud – shvaćen kao objektivno važeći odnos koji smo mi izgradili – ono što smatramo istinitim. Ono što je i frapantno i nenadmašno aktualno u ovom nalazu jest prije svega jedinstven položaj i težina znanja koje, prema Kantu, također pred­stavlja (samo) jedan modus smatranja istinom, i to ne onaj – čovjeku nedostupan – u kojemu bismo mogli biti neupitno sigurni u istinu. (Ne može se ozbiljno reći: »Znam p jer je p«.) Tako se kritička filozofija nipošto ne ispunjava jedino u uvidu da se egzistencija može »pokupiti« iz pojma, nego i u ništa manje fundamentalnom (iako rado i često previđanom) uvidu da se iz egzistencije pojma može jednako tako malo toga zaključiti.

Ključne riječiistina,smatranjeistinom,materijalnikriterijistine,formalnikriterijistine,mnijenje,vjerovanje,zna-nje,relativizam

Axel Hesper

Truth and Holding to be True

AbstractThe result of Kant’s reflection on the traditional concept of truth as adequacy between knowled­ge or concept and object – that there is no general material or general formal criterion of truth which would be sufficient – leads towards the critical insight that we are regarding (allegedly

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Ebd.,B850.

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Kant,Logik(Jäsche),AAIX66.–Hieristesauchganzdeutlich,daßKantunterUrteilenundFürwahrhalteneinunddasselbeversteht.

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Kant,Nachlaßreflexion2506,AAXVI,397.

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Vgl.Kant,KritikderreinenVernunft,B852.

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Kant,MetaphysikderSitten,AAVI,211.

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Kant,Voneinemneuerdingserhobenenvor-nehmen Ton in der Philosophie, AA VIII,396f.

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Kant,Nachlaßreflexion2160,AAXVI,255.–Vgl.auchKant,MetaphysikderSitten,AAVI, 211: „Man kann Sinnlichkeit durch dasSubjektive unserer Vorstellungen überhaupterklären.“

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Kant,KritikderreinenVernunft,B33.

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JosefSimon,SicheinBildmachen.ZurEnt-wicklungderBedeutungderEinbildungskraftin der neueren Philosophie, in: Kreativität.XX. Deutscher Kongreß für Philosophie.Kolloquienbeiträge, ed. G. Abel, Hamburg2006,455.

SYNTHESISPHILOSOPHICA50(2/2010)pp.(317–332)

A.Hesper,WahrheitundFürwahrhalten332

mere) holding to be true, and that it presents itself in three modes: either as opinion, belief or knowledge. Therefore, not only with Hegel, but with Kant as well, it came to be realised that proposition is not “adequate” to “express” truth, but that proposition – understood as an objectively valid relation which we formed – is what we hold to be true. What is striking and unsurpassably current in this finding is primarily the unique position and weight of knowledge which, according to Kant, also presents (just) a mode of holding to be true, and not that kind – unattainable to a human – in which we the truth could be insured without question.(One can not say seriously: “I know p, because p“.) Thus, the critical philosophy is by no means no only met in the insight that existence cannot be “picked out” of concept, but also in a no less funda­mental (although often and gladly overlooked) insight that equally little can be inferred from the existence of concept.

Key wordstruth,holdingtobetrue,materialcriterionoftruth,formalcriterionoftruth,opinion,belief,knowled-ge,relativism

Axel Hesper

La vérité et ce qui est considéré comme vrai

RésuméLe résultat de la réflexion de Kant sur le concept traditionnel de vérité comme accord de la connaissance ou du sujet avec la chose ou l’objet – à savoir qu’il n’y ait pas de critère matériel général ou formel de vérité suffisant – mène à l’idée critique que nous prenons la (dit­on simple) considération pour vraie, et que celle­ci se présente sous trois formes : opinion, croyance ou connaissance. C’est pourquoi, ce n’est pas seulement avec Hegel, mais également avec Kant, qu’il a été compris qu’un jugement ne « convient » pas à « exprimer » la vérité, mais que ce jugement – compris comme une relation objectivement valide que nous avons formée – est ce que nous considérons comme étant vrai. Ce qui est saisissant et insurpassablement actuel dans cette découverte, c’est avant tout l’unique place et le poids de cette connaissance qui, selon Kant, ne représente (qu’)un mode de considération comme vérité, qui de plus n’est pas celui – inaccessible à l’homme – qui nous permettrait d’être sûrs, sans équivoque, de la vérité. (On ne peut pas dire franchement : «Je sais p car p »). Ainsi, la philosophie critique ne s’accomplit pas seulement dans l’idée que l’existence ne peut être « relevée » dans le concept, mais aussi dans l’idée, pas moins fondamentale (quoique souvent et volontairement négligée), que peu de choses puissent être tirés de l’existence du concept.

Mots-clésvérité,considérercommevrai,critèrematérieldevérité,critèreformeldevérité,opinion,croyance,connaissance,relativisme