was denkt sich eigentlich renate gierus?...stellen, dass wir die gute botschaft eben als solche...
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Lebensfragen
Was denkt sich eigentlich
Renate Gierus? Was lässt Ihr Herz höher schlagen? Wenn sich Menschen verstehen, so verschieden
sie auch sind. Wenn ein „Augen-Blick“ vieles sa-
gen kann. Wenn ein Buch zu Ende geht und frau
den Eindruck hat, ein guter Freund geht seiner
Wege. Und von Herzen lachen!
Wann bzw. wo treffen Sie sich mit Gott und was besprechen Sie mit ihm? Ich treffe mich mit Gott z. B. auf dem Weg zur Ar-
beit. Da kann ich sehr gut mit ihr über den Alltag
reden. Auch im Gottesdienst, wenn mich ein schö-
nes Lied mit vielsagendem Text anspricht, da emp-
finde ich die Nähe Gottes. Da ist das Empfinden
einer direkten Antwort sehr stark. Aber auch wenn
ich voller Fragen bin, wende ich mich an Gott, sie
kennt mich ja auf jeden Fall, weiss, was ich brau-
che. Ich lege diese Fragen, Situationen, Menschen
in ihre Hände und weiß, sie sind da sehr gut auf-
bewahrt. Nicht nur aufbewahrt, sondern auch in
der Kraft und Weisheit Gottes mit Sicherheit gut
begleitet, und zu einer Lösung kommend, die ich
so, alleine und mit meinen Kräften, eher nicht für
möglich halte. Änderungen und Veränderungen
kommen ebenfalls aus Gottes Hand, gerade eben
für diese Fragen und Situationen, die ich konkret
in meinen Besprechungen mit ihr aufgezählt habe.
Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen – was fällt Ihnen dazu ein?Hören, schauen, wahrnehmen. Keine Angst haben.
Nicht denken, ich müsste etwas verteidigen. Es ist
eine Gelegenheit, sich selber zu öffnen: andere
Stimmen und Sprachen bemerken und die Viel-
fältigkeit der Welt in sich aufnehmen und daraus
sehr, sehr viel lernen. Außerdem bemerken, dass
auch ich zu dieser Vielfalt gehöre, ein kleiner Teil
davon bin – nicht das Ganze, nicht Alles – ein von
anderen abhängiges Teil, verwoben im Netz des
Lebens. Was mich betrifft, betrifft auch andere
Menschen, Kulturen, Bäume, Umwelt, Wasser, Kin-
der, Tiere, Luft. Alles ist so toll von Gott geschaffen;
sie selber sagte immer wieder, „dass es gut war”
(Genesis 1). Dieses Gute kann nur in Gemeinschaft
weiterleben, weil Gott Gemeinschaft ist und dazu
die Menschen aufruft: mit ihr selber, mit anderen
Menschen, mit der ganzen Schöpfung gemeinsam
das Leben teilen.
Was macht Sie so richtig wütend? Wenn mensch seine Religion und seinen Glauben
auf andere einfach überstülpen will, mit Macht
und Kraft, und noch dazu sagt, im Namen Gottes
zu handeln.
Ist (Ihre) Kirche gut so wie sie ist oder würden Sie gern etwas verändern? Ich würde mehr Melodie in Kirche hineinwün-
schen. Singen und lachen sollen hineinwandern.
Schön ist die Arbeit mit Jugendlichen. Sehr gut fin-
de ich es, wenn Kirche sich auch sozial engagiert,
aber so, dass Meinungen, Haltungen und Struk-
turen sich im Wandel befinden. Sie soll nicht als
eine Institution handeln, die nicht zur Gesellschaft
gehört, sondern als ein gesellschaftlicher Zusam-
menschluss ihren Beitrag in der Gerechtigkeit und
Bewahrung der Schöpfung geben. Und dies, ganz
konkret im Alltag der Notwendigkeiten veran-
kert. Das bedeutet, sich nicht nur auf die eigenen
Mitglieder zu konzentrieren, sondern auch auf
Menschen, die nicht zur Kirche gehören, welche
Unterstützung brauchen und suchen. Und nicht
gleich proselytisch werden: Die Hilfe der Kirchen
soll nicht gleich Konversion meinen. Das sollte
nicht der Grund der Hilfe sein.
Ihr Lieblingszitat/Leitspruch o. ä.? „Wer glaubt, lebt nicht in einer anderen Welt. Aber
er/sie sieht diese Welt mit anderen Augen.“
Wie hat sich Ihr Verständnis von Mission durch die Begegnung mit den Indigenen Brasiliens ver-ändert? Die Begegnung und der ständige Kontakt mit in-
Dr. Renate Gierus, studierte
Theologie in São Leopoldo, Rio
Grande do Sul/Brasilien und
promovierte über das Thema
der Fraueneinwanderung aus
Deutschland im 19. Jahrhun-
dert. 2006 als Pfarrerin der
IECLB (Evangelische Kirche
Lutherischen Bekenntnisses in
Brasilien) ordiniert, arbei-
tete sie u. a. vier Jahre in der
lutherischen Kirche Costa Ricas
im Bereich der theologischen
und biblischen Bildung, mit
Schwerpunkt “Lutherische
Identität”. Zur Zeit arbeitet sie
im Missionsrat unter Indige-
nen Völkern der IECLB und
koordiniert die pastorale und
programmatische Arbeit der
Institution.
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digenen Völkern und Menschen hat mein
Verständnis von Mission erweitert. Schon
vor Jahren, durch feministisches theolo-
gisches Studium und Arbeit, hatte ich ver-
schiedene Konzepte viel offener formuliert.
Bei mir hat sich Bibellesen und Predigen
und das Genderkonzept in ein Licht gestellt,
wie ich es zuvor nicht so sah. Und so auch
das Verständnis von Mission. Gerade in der
Arbeit im COMIN kommt diese Frage öfters
vor, nicht nur an mich persönlich gerichtet,
sondern auch an die Institution.
Beidem liegt die Antwort zugrunde, die al-
len Mitarbeitenden wichtig ist, ganz klar zu
stellen, dass wir die gute Botschaft eben als
solche sehen, indem wir sagen, dass indige-
ne Völker so leben sollen, wie es ihrer Kultur
entspricht, so wie eben Gott sie geschaffen
hat. Wir gehen mit ihnen einen solidari-
schen Weg und handeln nicht für sie, son-
dern immer zusammen mit ihnen. Da ent-
springt Vertrauen und unsere Beziehungen
sind darauf gebaut. Mission hat ja auch nicht
nur mit dem spirituellen Leben zu tun. Wenn
jemand Hunger hat, muss dieses Bedürfnis
erst mal gedeckt sein, bevor irgendetwas
anderes thematisiert werden kann. Mission
muss unbedingt auf die Lebensumstände
der Leute achten. So stehen wir den Indi-
genen Völker bei, wenn es um den Kampf
ihrer Rechte geht – Rechte auf Gesundheit,
Ernährung, Nachhaltigkeit, Land und Erzie-
hung. Das alles erweitert ständig meinen
missionarischen Blick.
Ignorierte und bedrohte KulturVertreter der Indigenen Brasiliens informieren ihre deutschen Partner über ihre Lebenssituation. Sie fordern Mit-
sprache bei Gesetzesvorhaben in ihrem Land, die sie betreffen.
Vertreter der indigenen Völker Brasiliens fordern die Ratifizierung
der ILO-Konvention 169 durch Deutschland. Das ist Ergebnis eines
Runden Tisches Ende März, zu dem das ELM-Büro für internationa-
le kirchliche Zusammenarbeit in Hannover (BikZ) und Brot für die
Welt in der Landeskirche Hannovers Vertreterinnen und Vertreter
aus Politik, Kirche und Zivilgesellschaft, Vertreter indigener Völker
und Mitarbeitende des Indigenenmissionsrates (COMIN) der Evan-
gelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien eingeladen
hatten, um die Situation der Indigenen in Brasilien zu erörtern und
mögliche Konsequenzen für die Arbeit in Niedersachsen zu beraten.
Die ILO-Konvention 169 (Übereinkommen über eingeborene und
in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern) regelt eine
umfassende Vorab-Konsultation indigener Völker bei gesetzgeben-
den oder administrativen Maßnahmen, die sie unmittelbar berühren.
Regierungen verpflichten sich mit der Unterzeichnung u. a. dazu, die
Rechte der indigenen Völker „zu schützen und die Achtung ihrer Un-
versehrtheit zu gewährleisten“.
Die größte Bedrohung der indigenen Rechte gehe heute vom bra-
silianischen Parlament aus. Darauf wiesen Merong Tapurumã vom
Volk der Pataxó Hã Hã Hãe und Jocelino da Silveira Quiezza vom Volk
der Tupinikim hin. Die Fraktion der Großgrundbesitzer kämpft mit
den indigenen Minderheiten um Land, das sie für Exportprodukte
wie Soja, Baumwolle, Zuckerrohr, Cellulose, usw. nutzen wollen. Das
Parlament versucht über Vorschläge zur Änderung der Verfassung
die Zuständigkeit für die Demarkierung der indigenen Gebiete von
der Exekutive auf die Legislative zu verlagern. Da viele Großgrund-
besitzer im Parlament vertreten sind, drohe durch diesen Schritt der
Demarkierungsprozess verhindert zu werden, so die beiden indige-
nen Vertreter.
Merong Tapurumã lebt im Lager der Guarani „Mato Preto“ in Rio Grande
do Sul. Er berichtet, dass sein Lager von Soja- und Mais-Großplantagen
umringt ist und erzählt von den Schwierigkeiten, die von der Regierung
versprochene Demarkierung von Land der Indigenen gegen die Inter-
essen der Agrar-Lobby und Großgrundbesitzer durchzusetzen. „Es soll
immer mehr produziert und exportiert werden, aber die Jahrtausende
alte Tradition und Kultur der indigenen Völker wird ignoriert“, so Me-
rong. „Wir warten seit 10 Jahren auf die Rückgabe des uns zugesicherten
Landes. Unsere Kinder müssen täglich die Agrargifte der Großplantagen
Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Zivilgesellschaft und Kirche fanden
sich zu einem Runden Tisch zusammen und informierten sich über die
Situation der indigenen Völker in Brasilien.
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Mitmachen informiert
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Mitmachen informiert
einatmen. Bis wann hält die Erde, lebendi-
ges Lebewesen, diese Ausbeutung aus? Wir
pflegen einen ganz anderen Umgang mit der
Erde – denn auch die Erde hat Rechte!“
Jocelino da Silveira Quiezza vertritt das Volk
der Tupinikim aus Aracruz, Espírito Santo.
Er erzählt, dass die Tupinikim nach über 40
Jahren Kampf ihr angestammtes Landes zu-
rückerhalten hätten, aber: „Das Land wurde
uns krank zurückgegeben, mit ausgelaugten
und vergifteten Böden. Außerdem wurden
die Stümpfe der abgeschlagenen Eukalyp-
tus-Bäume stehen gelassen, was die Rekul-
tivierung des Landes zusätzlich erschwert.“
Die Gäste möchten in Europa und Deutsch-
land auf die Situation der Indigenen auf-
merksam machen. Dazu gehört auch, die
globalen Zusammenhänge zwischen Pro-
duktion und Konsum zu beleuchten und zum
Nachdenken über einen nachhaltigen Um-
gang mit Natur und Ressourcen anzuregen.
Dabei bestünden durchaus Zusammenhänge
mit Niedersachsen. Darauf wies unter ande-
rem Uwe Becker, Leiter des Referates Brot für
die Welt im Diakonischen Werk der Ev.-luth.
Landeskirche Hannovers, hin: Als Landwirt-
schafts-Standort mit Intensivtierhaltung sei
das Bundesland auch auf Futtermittel-Im-
porte aus Brasilien angewiesen. 30 Prozent
der Sojafelder Brasiliens, Argentiniens und
Paraguays seien für EU-Exporte bestimmt.
Auf 44 Prozent der brasilianischen Anbauflä-
che werde in Monokultur Soja angebaut. Ein
Großteil der in Supermärkten angebotenen
Lebensmittel enthielten Soja-Bestandteile.
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InfoDer runde Tisch im BikZ fand im Rahmen
einer Europareise statt, die Jocelino da
Silveira Quiezza und Merong Tapurumã
(im Bild oben links und rechts in der
Mitte) sowie Dr. Renate Gierus (links)
und Hans Trein (rechts) vom Indigenen-
missionsrat der Evangelischen Kirche
lutherischen Bekenntnisses in Brasilien
in diesem Frühjahr auch zu ihren Part-
nern in Deutschland führte. Dabei ging
es u.a. darum, bestehende Beziehungen
aufzufrischen und die Zusammenarbeit
auf verschiedenen Ebenen zu stärken.
Gleichzeitig diente die Reise dazu, in
Schulen und mit Informationsveranstal-
tungen auf die prekäre Lebenssituation
der Indigenen in Brasilien hinzuweisen.
Das ELM unterstützt die Arbeit des CO-
MIN seit vielen Jahren.
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