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Waz ist minne? Konstanten: • Liebe als anthropologisches Phänomen • Liebe als sozialpsychologisches Phänomen Historische Differenzen: • Wertung der Liebe/Ambivalenz • Liebe und Individuum • Liebe und Gesellschaft

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Page 1: Waz ist minne? Konstanten: Liebe als anthropologisches Phänomen Liebe als sozialpsychologisches Phänomen Historische Differenzen: Wertung der Liebe/Ambivalenz

Waz ist minne?

Konstanten:• Liebe als anthropologisches Phänomen• Liebe als sozialpsychologisches Phänomen

Historische Differenzen:• Wertung der Liebe/Ambivalenz• Liebe und Individuum• Liebe und Gesellschaft

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Liebe als Diskursthema um 1200

• als Phänomen der (geistlichen) Brautmystik des 12. Jahrhunderts (Bernhard von Clairvaux u.a.)

• Ausgangspunkt: das Hohe Lied (Canticum canticorum) des Alten Testaments.

• Liebe zwischen Braut und Bräutigam als Abbild der Liebe zwischen Christus und der Kirche oder zwischen Christus und der Seele des Menschen.

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Williram von Ebersberg,

Bearbeitung des Hohen

Liedes lat.-mhd.

(um 1060/70)

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Minne um 1200

• als Phänomen der Adelskultur des Hochmittelalters (Höfische Minne)

• Sprechen über Minne innerhalb der Gesellschaft (Minne als Diskurs)

• literarisches Sprechen über Minne in unterschiedlichen Formen/Gattungen: Roman, Lied, Sangspruch, Traktat.

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Minnesang

• Öffentlichkeit des Vortrags

• Rollenkonstellationen: Ich als Liebender – Sie, die edle Dame (vrouwe)

• Inhalte: – Leiden an der Liebe (Minneklage)– Glück erfüllter Liebe– Schmerz der Trennung (u.a. Kreuzlieder)– Abschied nach gemeinsamer Nacht (Tagelied)

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Minnediskurs im Höfischen Roman

Modelle:– Entstehung von Liebe– Liebe und Landesherrschaft

(Veldeke, ,Eneasroman‘)– Verhältnis von Liebesbindung des Einzelnen und

gesellschaftlicher Verpflichtung (Hartmann von Aue, ,Erec‘, ,Iwein‘)

– Liebe als absolute gesellschaftssprengende Macht (,Tristan‘)

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Minnediskurse in weiteren Gattungen

• Sangspruchdichtung

• Minnerede

• lehrhafte Dichtung

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Liebe in der lateinischen Lyrik des Mittelalters

• Entstehung, Vortrag, Sammlung und Aufzeichnung im Verfügungsbereich der geistigen Eliten Europas

• bedeutendste Sammlung: ,Carmina Burana‘ (um 1230/50)

• Inhalte, z.T. wesentlich älter:– moralisch-satirische Dichtungen

– Liebeslieder

– Trink und Spiellieder

– geistliche „Dramen“

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Minne: Wortgeschichte

• ahd. Minna, mhd. Minne– ,Erinnerung, freundliches Gedenken‘– Sant Johans minne trinken; ze minnen ,zum Dank‘– ,Liebe, religiös‘ = caritas– ,Liebe, weltlich‘ = amor

• Bedeutungsverengung im 15. Jh.:– ,Beischlaf‘ (→ „unanständiges“ Wort)

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Minne: Wortgeschichte

• mhd. liebe ,Freude, Glück‘

• liep ane leit mac niht gesin

• mhd. liebe erscheint ab etwa 1180/1200 neben minne in der Bedeutung ,Liebe‘

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Minnesang als Aufführungsform

• öffentlicher Vortrag vor der Gesellschaft des Adelshofes

• einstimmiger Gesang• Begleitung durch

Melodie und Rhythmusinstrumente

• z.T. Verwendung als Tanzlied

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Meister Heinrich Vrouwenlob, um 1300

(aus: Cod. Manesse, Zürich, um 1320)

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Der Kanzler, Mitte 13. Jh. (aus: Cod. Manesse, Zürich, um 1320)

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Margrave otte von Brandenburg

(aus: Cod. Manesse, Zürich, um 1320)

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Her Hiltbolt von Swanegau(aus: Cod. Manesse, Zürich, um 1320)

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1. Anonymus, Dû bist mîn

• Überlieferung innerhalb der ‚Tegernseer Liebesbriefe‘ (um 1160/80, s. VL): Sammlung stilistisch ausgearbeiteter lateinischer Musterbriefe: Liebesklagen eines Mädchens, Briefe zwischen Lehrer und Schülerin, zwischen Magister und seiner Geliebten.

• Kontext: Liebesbrief einer Schülerin an den Geliebten Magister.

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Des Minnesang Frühling 3,1Ausschnitt, aus: Paul/Wiehl/Grosse, Mhd.Grammatik, Abb. 2

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Tegernseer Liebesbriefe

Seitenansicht aus: Tegernseer Liebesbriefe,

Hg. v. Kühnel, 1977.

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Argumentationsgang

• (lat.) ‚Wenn meine Begabung die des Vergil, meine Redegabe die Ciceros überträfe ... Keinen anderen Geliebten werde ich nach Dir haben. Mehr zu sagen ist unnötig‘: (dt.) Dû bist mîn ...

• Frage: woher kommt die Strophe?

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Der von Kürenberg (um

1150/60)

Der von Kürenberg,Cod. Manesse, um 1320

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Handwerk

• verkiesen, stv. II, mit gramm. Wechsel im Präteritum 2. ‚verachten, preisgeben‘

• verkiesen, ich verkiuse, verkôs, wir verkurn, verkorn (s. nhd. Kür).

• Swer verallg. Pronomen ‚jeder, der‘; vgl. swaz ‚alles, was‘. Swie ‚wie auch immer‘

• holt ‚gewogen, zugetan‘• manen ‚ermahnen, erinnern‘• ze jungest ‚jüngst, beim letzten Mal‘

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Wörtliche Übersetzung MF 7,1

Auf einen überaus lieben Freund zu verzichten, bringt Schaden.

(Jeder, der ..) Wenn einer seinen Freund festhält, ist das lobenswert.

Diese Einstellung will ich lieben/achten.Bitte ihn, dass er mir gewogen sei, wie er es

zuvor war.Und erinnere ihn an das, was wir sagten, als ich

ihn das letzte Mal sah.

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Kürnberger, Lied MF 7,1: Leitfragen

• Wer spricht?

• Zu wem wird gesprochen?

• An wen richtet sich der Vortrag der Strophe vor der Gesellschaft?

• Was ist die Botschaft der Strophe?

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Kommunikationsmodell, s. Cl. Händl

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Kürnberger MF 7,10: Handwerk

• manen ‚mahnen, erinnern‘ m. Gen. d. S. (gs)• müezen an.v. ‚Bestimmt sein, sollen, mögen,

können, dürfen‘• verliesen stv II ‚verlieren‘, m. gramm.

Wechsel• entstân stv. m. gen. ‚mangeln‘; tr. ‚merken,

verstehen‘• umbe präp. (her-)um; kurz vor- oder nachher;

ungefähr; hinsichtlich.

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Kürnberger, Falkenlied MF 8,33/9,5

• Der Jagdfalke als Motiv von Liebesdichtung.

• Lyrik als Narration

• Wer spricht? Frauenstrophen

• Verständnis der Strophen erst rückblickend eröffnet: Got sende sî zesamene

• Verbindung zum Falkentraum der jungen Kriemhilt im ‚Nibelungenlied‘

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Kürnberger, Fehdeansage MF 8,1/9,29

• Fehdeansage der höfischen Dame (Herrin)

• Entgegnung des Ritters.

• Frage: an wen ist die Botschaft der beiden Strophen gerichtet

• MF 8,9: der „Wechsel“

• Zu verstehen als Parodie?