wer hat morgen das sagen: die konzerne? oder doch die politik?

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Der komplette Text: Wer hat morgen das Sagen: Die Konzerne? Oder doch die Politik? Das Rad der Geschichte. Daimler, Chrysler und die Folgen Uwe Jean Heuser Was gut ist für Daimler, ist gut für ... - für wen? Für Jürgen Schrempp gewiß, den Chef des Weltunternehmens, ebenso für die Aktionäre, allen voran die Deutsche Bank. Aber für Deutschland? Längst kennen Finanz und Industrie keine Grenzen mehr, und jetzt ist die Weltwirtschaft im Fusionsfieber. Regierungen und Regulierer staunen, freuen oder ärgern sich - selten handeln sie. Die Politik ist überfordert. Im liberalen Sinne ist es ihr Auftrag, Rahmenbedingungen zu setzen; das schafft sie nicht mehr. Banken und Versicherungen, Pharma, Medien - man fusioniert. Nun sind die Autohersteller dran. Die transatlantische Verlobung von Daimler und Chrysler ist erst der Anfang. Am Ende dürfte ein halbes Dutzend Autokonzerne übrigbleiben. Auch im Lastwagengeschäft will Daimler zugreifen und verhandelt in Japan mit Nissan. Warum der Drang nach Größe? Die Staatengemeinschaft hat die nationalen Märkte geöffnet und zu globalen Märkten gebündelt. Über Computernetze können heute Mammutkonzerne, die früher unlenkbar gewesen wären, die Arbeit mehrerer hunderttausend Mitarbeiter koordinieren. Das Riesenhafte ist möglich und lohnend geworden - auch wenn Größe allein keinen Erfolg garantiert. Die Konzerne ändern ihr Wesen. Die "Multis", die einst im Kreuzfeuer der Kritik standen, waren im Grunde nationale Unternehmen mit Tochterfirmen im Ausland. Nun werden sie transnational, ihre Heimat ist der Globus - egal, ob sie in Stuttgart oder Detroit gemeldet sind. In den Vorständen sitzen die besten Leute aus aller Herren Länder; die Sprache ist Englisch. Wenn die Ökonomie global wird, braucht sie einen globalen Rahmen, in dem Wettbewerb gedeiht und die Märkte funktionieren: menschengerecht und zum Wohl der Nationen. Industrie- und Finanzriesen, die nur nach eigener Regel handeln, zerstören die Marktwirtschaft. Doch wie schafft man eine Weltwirtschaftsordnung? Als ließe sich die nationale Ordnung auf den ganzen Globus übertragen, ruft man nach neuen Weltbehörden. Superbürokratien aber sind zu Recht unbeliebt und kaum zu verwirklichen. Im Informationszeitalter bietet sich eine bessere Lösung: Die Regierungen vernetzen ihre nationalen Behörden und Organisationen und einigen sich auf gemeinsame Richtlinien. Die neue Weltwirtschaftsordnung kann nicht am Reißbrett entstehen, nur in einem Prozeß. Die Sache eilt: Gerade noch zwei Unternehmen bauen große Düsenjets auf der Welt; ein Konzern beherrscht das Softwaregeschäft. Auf anderen Märkten stimmen Großfirmen ihre Exportstrategie ab oder bilden weltweite Allianzen, um sich gegen die Unbill harter Konkurrenz zu versichern. Die Unternehmer predigen zwar den Wettbewerb, mögen ihn aber nicht sonderlich. Und wenn sich die Reihen der Anbieter lichten, wächst die Lust am Mißbrauch der eigenen Stärke - auf Kosten von Verbrauchern und Steuerzahlern. Einzelstaaten sind unfähig, ihre Sozialrechte und Umweltnormen gegen Globalunternehmen durchzusetzen. Diese vaterlandslosen Aktiengesellschaften finden immer einen Weg, nationale Bestimmungen auszuhebeln und einen Staat gegen den anderen auszuspielen. Nur langsam erkennen die Regierenden, gefangen in der Logik des Standortwettbewerbs, das gemeinsame Interesse. Nach der Asienkrise wurde deutlich: Die Kreditvergabe muß besser überwacht werden. Also eine neue, globale Aufsichtsbehörde? Alsbald verschwand sie ins Reich

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Das Rad der Geschichte: Daimler, Chrysler und die Folgen

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Page 1: Wer hat Morgen das Sagen: Die Konzerne?  Oder doch die Politik?

Der komplette Text: Wer hat morgen das Sagen: Die Konzerne? Oder doch die Politik? Das Rad der Geschichte. Daimler, Chrysler und die Folgen Uwe Jean Heuser Was gut ist für Daimler, ist gut für ... - für wen? Für Jürgen Schrempp gewiß, den Chef des Weltunternehmens, ebenso für die Aktionäre, allen voran die Deutsche Bank. Aber für Deutschland? Längst kennen Finanz und Industrie keine Grenzen mehr, und jetzt ist die Weltwirtschaft im Fusionsfieber. Regierungen und Regulierer staunen, freuen oder ärgern sich - selten handeln sie. Die Politik ist überfordert. Im liberalen Sinne ist es ihr Auftrag, Rahmenbedingungen zu setzen; das schafft sie nicht mehr. Banken und Versicherungen, Pharma, Medien - man fusioniert. Nun sind die Autohersteller dran. Die transatlantische Verlobung von Daimler und Chrysler ist erst der Anfang. Am Ende dürfte ein halbes Dutzend Autokonzerne übrigbleiben. Auch im Lastwagengeschäft will Daimler zugreifen und verhandelt in Japan mit Nissan. Warum der Drang nach Größe? Die Staatengemeinschaft hat die nationalen Märkte geöffnet und zu globalen Märkten gebündelt. Über Computernetze können heute Mammutkonzerne, die früher unlenkbar gewesen wären, die Arbeit mehrerer hunderttausend Mitarbeiter koordinieren. Das Riesenhafte ist möglich und lohnend geworden - auch wenn Größe allein keinen Erfolg garantiert. Die Konzerne ändern ihr Wesen. Die "Multis", die einst im Kreuzfeuer der Kritik standen, waren im Grunde nationale Unternehmen mit Tochterfirmen im Ausland. Nun werden sie transnational, ihre Heimat ist der Globus - egal, ob sie in Stuttgart oder Detroit gemeldet sind. In den Vorständen sitzen die besten Leute aus aller Herren Länder; die Sprache ist Englisch. Wenn die Ökonomie global wird, braucht sie einen globalen Rahmen, in dem Wettbewerb gedeiht und die Märkte funktionieren: menschengerecht und zum Wohl der Nationen. Industrie- und Finanzriesen, die nur nach eigener Regel handeln, zerstören die Marktwirtschaft. Doch wie schafft man eine Weltwirtschaftsordnung? Als ließe sich die nationale Ordnung auf den ganzen Globus übertragen, ruft man nach neuen Weltbehörden. Superbürokratien aber sind zu Recht unbeliebt und kaum zu verwirklichen. Im Informationszeitalter bietet sich eine bessere Lösung: Die Regierungen vernetzen ihre nationalen Behörden und Organisationen und einigen sich auf gemeinsame Richtlinien. Die neue Weltwirtschaftsordnung kann nicht am Reißbrett entstehen, nur in einem Prozeß. Die Sache eilt: Gerade noch zwei Unternehmen bauen große Düsenjets auf der Welt; ein Konzern beherrscht das Softwaregeschäft. Auf anderen Märkten stimmen Großfirmen ihre Exportstrategie ab oder bilden weltweite Allianzen, um sich gegen die Unbill harter Konkurrenz zu versichern. Die Unternehmer predigen zwar den Wettbewerb, mögen ihn aber nicht sonderlich. Und wenn sich die Reihen der Anbieter lichten, wächst die Lust am Mißbrauch der eigenen Stärke - auf Kosten von Verbrauchern und Steuerzahlern. Einzelstaaten sind unfähig, ihre Sozialrechte und Umweltnormen gegen Globalunternehmen durchzusetzen. Diese vaterlandslosen Aktiengesellschaften finden immer einen Weg, nationale Bestimmungen auszuhebeln und einen Staat gegen den anderen auszuspielen. Nur langsam erkennen die Regierenden, gefangen in der Logik des Standortwettbewerbs, das gemeinsame Interesse. Nach der Asienkrise wurde deutlich: Die Kreditvergabe muß besser überwacht werden. Also eine neue, globale Aufsichtsbehörde? Alsbald verschwand sie ins Reich

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der Illusionen, die Bundesregierung wollte sich gar nicht damit befassen. Ohne Chance ist auch der Vorschlag für ein Weltkartellamt. Die Welt will keine Weltämter. Aber es geht ja auch anders, die Konzerne machen es vor. Sie bauen ihre alten, amtsähnlichen Hierarchien ab, sie organisieren sich als flexible Netze: Koordination läuft nicht nur von oben nach unten, sondern auch horizontal. Davon können die Staaten lernen und ein Ordnungsnetz aufbauen - vereint, aber dezentral. Das ist keine Utopie, Zusammenarbeit ist heute schon an der Tagesordnung. Die führenden Industrienationen haben soeben vereinbart, daß ihre Finanzwächter Informationen unbürokratisch austauschen. Staatsanwälte und Richter helfen einander über die Grenzen hinweg. Kartellwächter aus Europa und Amerika arbeiten sich zu, jetzt beispielsweise bei der Prüfung eines Firmenkaufes in der Telekommunikation. Wie läßt sich das Quasimonopol von Microsoft-Chef Bill Gates überwachen, wie das Duopol von Boeing und Airbus, wenn nicht auf kooperative Weise? Die stärksten Länder müssen sich einigen: auf Mindestregeln gegen Wettbewerbsbehinderer, gegen schädliche Fusionen und den Mißbrauch von Marktmacht. Auf ein gemeinsames Vorgehen gegen Ausfuhrkartelle und andere Sünder im internationalen Handel. Auf kürzere Wege der Amtshilfe zwischen den nationalen Wächtern. Auf Verfahren, um Streit zwischen ihnen zu schlichten. Dann geht es ohne einheitliches Weltrecht und ohne internationale Kartellrichter. Die führenden Staaten können zudem Mindestanforderungen für Kreditinstitute verabreden: Seriöse Buchhaltung muß gewährleistet sein, eine strenge interne Kontrolle, eine Obergrenze für riskante Anlagen. Die Aufsichtsämter der einzelnen Länder kooperieren dann auf dieser Grundlage - vor allem zum Nutzen von Ländern mit schwachen Kreditwächtern. Gemeinsame Regeln werden auch Sozial- und Umweltpolitiker entwickeln müssen: von der Krankheitsvorsorge bis zu Abgasregeln für Automobile. Sie haben es leichter als früher. Das Bewußtsein wächst, daß es nur global geht. Inzwischen will sogar der Direktor des Internationalen Währungsfonds die Industrie- und Schwellenländer regelmäßig zur "Globalisierungsrunde" bitten. Transnationale Antworten sind fällig und der Informationsgesellschaft angemessen. Nichtstaatliche Organisationen (NGOs) spielen in diesen Netzen eine besondere Rolle. Sie sammeln international Daten, prangern den Machtmißbrauch von Konzernen in Ländern ohne Monopolkontrolle an, sensibilisieren die Bürger. Globale Institutionen von morgen werden keine Superbehörden, sondern regeln zwischenstaatliche Dispute und bereiten neue Verhandlungsrunden vor - wie das heute zum Teil die Welthandelsorganisation WTO tut. Allmählich kann so eine Weltwirtschaftsordnung von unten entstehen, bei der nationale Regierungen ihren Einfluß nicht abgeben, sondern zurückgewinnen. Wenn ein heimischer Multi noch größer und stärker wird, freuen sich viele Politiker. Aber auf lange Sicht haben sie nichts davon. Mit jeder Fusion nämlich entfernen sich die Konzerne weiter von der Heimat. Und dann gilt nur noch eines: Was gut ist für Daimler, ist gut für Daimler. Punktum! © beim Autor/DIE ZEIT 1998 Nr. 21

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