white paper: focus kooperation

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focus KOOPERATION get together – create together – work together White Paper

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Das White Paper zeigt in Form von Interviews, Gastbeiträgen, Analysen und Best-practice-Beispielen unterschiedliche Möglichkeiten und Ansätze, Hemmnisse und Erfolge von Kooperationen zwischen Unternehmen aus der Kreativwirtschaft und klassischen Wirtschaftsbetrieben auf.

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KOOPERATIONget together – create together – work together

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KOOPERATIONget together – create together – work together

White Paper

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focus Kooperation

Kooperation als Schlüssel für nachhaltige Partnerschaften zwischenKreativ- und Wirtschaftsunternehmen 4Vorwort von Bettina Leidl

Kooperieren. Das Einfachste der Welt 7Gastkommentar von Carl Frech

Fokus Kooperationen 12

Die Zukunft gemeinsam neu denken 15Gastkommentar von Georg Kapsch

Kriterien für Kooperation: 1 + 1 = 3 17

Stichwort Design 21

»Die kühnsten Erwartungen übertroffen« 22Interview mit Julian Riess

Passionswege: Das Wiener Format für offene Kooperation 25

»Aus der Zusammenarbeit mit Kreativen ergeben sich klare Wettbewerbsvorteile« 28Interview mit Stefan Berger

Stichwort Multimedia 33

Jenseits des eigenen Schaffenshorizonts 34Gastkommentar von Tassilo Pellegrini

»Da kommen Sachen heraus, an die man im Vorhinein gar nicht denkt« 38Interview mit Florian Kaps

Stichwort Musik 43

Kooperation in der Musikbranche: Definitiv ja 44Best Practices

Der Reiz der Kooperation: Gemeinsam stemmen, was man allein nicht schafft 46

Stichwort Mode 51

Kooperationsutopie Mode 52Gastkommentar von Bradley Quinn

»Aus nichts etwas machen, und das laut, das können wir« 58Interview mit Hermann Fankhauser und Helga Ruthner

Inhalt

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focus Kooperation

Shop the pain away 62Best Practices

Ingredienzien für den Kooperationserfolg 65

Wertschöpfung in allen Etappen 66

Stichwort Architektur 69

Das etwas andere Baumhaus 70Best Practices

3D-Modelle als Innovationsmotor 72Best Practices

Exkurs Open Innovation 74

»Es geht darum, in der Kooperation die jeweils andere Kultur zu berücksichtigen« 76Interview mit Markus Felmayer

Das schwärzeste schwarze Kunstwerk 78Best Practices

Offene Innovationsprozesse 81

Stichwort Nachhaltigkeit 83

Aufbruch in ein neues soziotechnologisches Ökosystem 84Gastkommentar von Ezio Manzini

»Kooperation ist die notwendige Aktionsform in neuen Kontexten« 88Interview mit Harald Gründl

Non-profit goes creative 92

Phönix aus der Asche 94Best Practices

Kooperationen und Verträge 97Gastkommentar von Klaus Keider

Checkliste für Kooperationsverträge 99

Perspektiven 100

Literatur 102

Impressum 103

Dank 104

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focus Kooperation

Der prominente Unternehmensberater Daniel Goleman beschreibt die Trend- wende in Richtung kollektive Kreativität mittels gegenseitiger Inspiration und den Transfer unkonventioneller Ideen als ein notwendiges Schlüsselszenario, um auf neue Marktrealitäten reagieren zu können. Die Veränderung der Markt- realität findet im Falle ökonomischer Unsicherheiten und globaler Verschieb- ungen in der Wirtschaft statt. Sie manifestiert sich aber ebenso in der Verände- rung von Lebensgewohnheiten sowie durch neu entstehende Szenefelder als Ausdruck kulturellen Wandels im Alltag. Es zeigt sich, dass in den kreativen Szenen ebenso wie in der zeitgenössischen Kunst Spezialisierungen auf ein einzelnes Medium oder einen einzelnen Bereich längst durch transdisziplinäre Zugänge abgelöst wurden, durch einen stetigen Wechsel zwischen unter- schiedlichen Produktionsweisen und Verfahren.

Kreativer Austausch im Team, ideenreiche Zusammenarbeit im Schnittfeld der Kompetenzen und somit das Zusammenwirken in Kooperationen entsprechen mehr der Gegenwart als homogene Prozesse oder gar der Typus des Einzelkämp- fers. Dass Zeichen setzende, neue Ideen dort nachhaltig auf Schiene gebracht werden, wo mitunter sehr unterschiedliche Kräfte und Denkweisen zusammen- wirken, zeigt sich nicht bloß in den klassischen Bereichen der Kreativwirtschaft wie Design, Mode oder Multimedia. Es wird auch für die arbeitsteiligen Bereiche der Kreativwirtschaft, wie z. B. für die Architektur und für den gegenwärtigen Wohnbau, beobachtet, wo aus gruppendynamisch entstandenen Gestaltungs- ideen neue Formate im Zusammenspiel mit Investoren konzipiert werden.

Vor diesem Hintergrund geht departure, die Kreativagentur der Stadt Wien,mit dem diesjährigen Call focus Kooperation 2012 einen Schritt weiter. Während departure seit Beginn offensiv die Schaffung von Netzwerken und

Kooperation als Schlüsselfür nachhaltige Partner-schaften zwischenKreativ- und Wirtschafts-unternehmen

Vorwort von Bettina Leidl

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damit den Markteintritt von kreativen Produkten und Dienstleistungen unter-stützt, erweitert der aktuelle Schwerpunkt nun den Fächer der Instrumente durch die finanzielle Förderung von Kooperationen. Im Fokus ist die aktive Zusammenarbeit von Unternehmen der klassischen Wirtschaft und Industrie mit Unternehmen der Kreativwirtschaft mit dem Ziel der gegenseitigen Stär-kung, der gemeinsamen Produktentwicklung und des Vertriebs.

Unternehmen der Kreativwirtschaft sind eng in ihre Netzwerke eingebunden und selbst die größten Auftraggeber in der Kreativwirtschaft; die Vernetzung mit den Unternehmen der klassischen Wirtschaft hinkt hinterher. Der Aus- bau der Zusammenarbeit zwischen Kreativwirtschaft und klassischer Wirt-schaft kann Innovationen und Entwicklungen in Gang setzen, die in eine dauerhafte Partnerschaft münden. Solche Partnerschaften sind besonders auf der Ebene von Herstellung, Vertrieb und Marketing erfolgreich. Der Call will mit der Schaffung von Andockstellen und der Unterstützung erfolgversprechen-der Kooperationen innovative Geschäftsmodelle und ihre wirtschaftliche Um-setzung stärken, um für alle Partner inhaltliche und ökonomische Mehrwerte zu schaffen. Der Call hat auch zum Ziel, die Öffnung füreinander zu beschleuni-gen und Grenzen zwischen Content-Entwicklung und Produktion aufzuheben. Vision und Innovation sind ein gemeinsames Interesse der klassischen und der Kreativwirtschaft, ihre Gegensätze sind nur scheinbar. Mit der gemeinsamen Analyse des jeweils aktuellen Umfelds, mit gemeinsam erarbeiteten Maßnah-men der Neuerung, der Anpassung der Produkte und des Außenauftritts kann für beide Seiten ein Mehrwert entstehen, der den Aufwand der Kooperation mehr als wettmacht.

Das Motto des Kooperations-Calls lautet daher: get together – create together – work together. Get together steht für »Begegnungen schaffen, in denen die Wirtschaft auf die Kreativen trifft, die Zusammenarbeit zwischen der Kreativ-wirtschaft und der klassischen Wirtschaft zu intensivieren und den Nutzen der Zusammenarbeit auf beiden Seiten sichtbar und erlebbar zu machen«. Create together steht für »Produkte und Dienstleistungen gemeinsam entwickeln«. Work together steht für »Prozesse gemeinsam aufsetzen und das Marketing, den Vertrieb optimieren«.

Mit dem Call will departure das erfolgreiche Miteinander zwischen den Branchen vermitteln und fördern. Die Kooperation ist dort erfolgversprechend, wo das Interesse der klassischen Wirtschaft an Vision und Innovation auf das Markt-potenzial des Projektes der Kreativwirtschaft trifft. Um den besten Projekt-ideen zur Umsetzung zu verhelfen, arbeiten wir verstärkt mit der Wirtschafts-kammer Wien und der Industriellenvereinigung zusammen. Dabei nutzen wir unsere unterschiedlichen Kommunikationskanäle, um das Thema »Austausch und Zusammenarbeit« auf eine neue Ebene zu heben. departure unterstützt In-vestitionen in neue Entwicklungen, die im Rahmen von Kooperationen erfolgen,

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um den zukünftigen Partnern die notwendige Flexibilität zur Gestaltung der Zusammenarbeit und zum Aufbau von Teams zu geben.

Als Vermittler zwischen Kreativen und klassischen Wirtschaftsbetrieben wird departure erstmals so genannte Door-Opener einsetzen, die die Projekte be-gleiten. Sie verstehen sich als Netzwerker im strategischen Aufbau von erfolg- reichen Partnerschaften. Solche Kooperationen bilden die Grundlage für neue Wertschöpfungsketten, sie sind nicht allein Maßnahmen zur Erwirtschaftung von finanziellem Gewinn, sondern vor allem dynamisch offene Kommunikati- onsnetze im Sinne eines sensiblen, zukunftsorientierten Handelns für kulturelle und soziale Entwicklungen. Dieser Call soll ein weiteres Handlungsfeld der Wiener Wirtschaft erschließen und zum ökonomisch nachhaltigen Ideentrans- fer beitragen. Gemeinsam mit der Wirtschaftsagentur Wien baut departure mit dem aktuellen Call focus Kooperation jenes starke Fundament aus, das zur weite-ren Aufladung Wiens als innovativem Kultur- und Wirtschaftsstandort beiträgt.

Der Call wäre nicht möglich gewesen ohne die Partnerschaft und Kooperation mit der Wirtschaftsagentur Wien. Mein besonderer Dank gilt Gerhard Hirczi (Geschäftsführer). Wichtige Unterstützer bei der Entwicklung der Förderrichtlinien waren seitens departure Sabine Hofmann und seitens der Wirtschaftsagentur Wien Walter Pauger und Gabi Strobl. Ebenso unerlässlich war die Hilfe bei der Kommunikation des Calls durch Birgit Huber (departure) und Uschi Kainz (Wirtschaftsagentur Wien). Mein Dank gilt Elisabeth Noever-Ginthoer, die mir eine wichtige Diskussions- partnerin bei der Entwicklung des Themas war. Fachkundig und mit großem per-sönlichem Engagement hat Anne Zimmermann die Endredaktion übernommen.Besonders freut mich die Bereitschaft von Doris Rothauer und Thomas Jozseffi, ihre Fachkenntnis in der Rolle als Door-Opener einzusetzen. Für die Expertise bei der Ausarbeitung des Themas bedanke ich mich außerdem bei den Mitar- beitern der Wirtschaftskammer Wien und der Industriellenvereinigung sowie bei Anja Hasenlechner vom Forum Mozartplatz.An der Konzeption des White Paper waren Christian Dögl, Robert Temel und Wolfgang Reiter von uma information technology gmbh maßgeblich beteiligt, für deren interessante Textbeiträge und umsichtige Beratung ich mich bedanke. Auch Caro Wiesauer hat die Publikation mit ihrer Fachkenntnis unterstützt. Mein Dank gilt den Autoren und Interviewpartnern für ihre fundierten Beiträge, die das Thema Kooperationen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet haben.Ebenso gilt mein Dank Rosebud, Inc. für die neue grafische Umsetzung des Key Visuals und die spannende Weiterentwicklung der Designlinie des diesjährigen White Paper. Bei den Mitarbeitern von departure, Alexander Diesenreiter, Irmgard Habenicht, Silke Köstenberger, Beate Lex, Iris Mayrhofer, Elisabeth Malaniuk, Alexandra Stollreiter und Heinz Wolf, möchte ich mich für ihre produktive Unterstützung und professionelle Zusammenarbeit bedanken. •

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Fragen zum Thema Kooperation sind auch Fragen nach Richtig und Falsch oder nach Gut und Böse. Ja, das ist eine Provokation. Sie stellt aber die wichtigste Frage vorweg: Warum kooperieren Menschen? Steht davor ein Wollen oder ein Müssen? Vielleicht noch wichtiger: Steht davor Können? Niemand würde von sich behaupten, dass er nicht teamfähig wäre. Wenn man fragt, was Teamfähig- keit bedeutet, dann bleibt jedoch vieles im Allgemeinen, im Unpräzisen. Die meisten sprechen von Kooperationen und meinen sich und ihre Lieferanten. Streng hierarchisch, streng entlang einer Wertschöpfungskette und damit von oben nach unten entlang definierter Abhängigkeiten.

Andere sprechen von Kooperationen und meinen eine Art exklusiven Club, eine Option auf Zusammenarbeit, die man sich vorgenommen hat. Das ist oft so, wie wenn Kinder im Alter von etwa zwei bis drei Jahren »Kopffüßler« malen. Ein wichtiger Schritt in der Entwicklung und in die richtige Richtung. In der Realität wären diese Kreaturen aber nicht lebensfähig. Warum? Einfach deshalb, weil der Organismus (die Organisation) fehlt, er weder mitgedacht noch – im unternehmerischen Sinn – mitgenommen wurde. Wieder andere sprechen von Kooperationen und meinen damit ein nicht näher spezifiziertes Netzwerk, meist im Mantel eines Projektes. Dies sind nur einige der vielen Ausprägungen zum Thema Kooperation.

Kooperieren. Das Einfachste der WeltEin Glossar verkleidet als Text. Zum Lesen und Weiterdenken.

Gastkommentar von Carl Frech

Der Autor Carl Frech ist als Berater für die Industrie und für Unter-nehmen der Branchen Design, Kommunikation und Medientechnologie tätig. Seit 2005 unterrichtet er als Professor an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg, seit 2011 auch an der School of Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Frech ist Initiator und Vorstand der NEXT AT eG, ein projektorientierter Leistungsverbund von Unternehmen aus den Bereichen Design, Kommunikation und Medien.

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Vom Zusammenwirken zum Zusammenarbeiten

Eine wichtige Unterscheidung beziehungsweise Abgrenzung gibt es zwischen Kooperation und Kollaboration. Kooperation bedeutet Zusammenwirken. Kollaboration bedeutet Zusammenarbeit. Exakt in diesem Sinne. Da klingt der Unterschied bzw. die Erweiterung schon mit. Meint das eine mehr die Idee einer guten Sache zum Wohle aller, so schwingt im anderen Begriff etwas mit, das man gerne delegieren würde: arbeiten, machen, besser: mitmachen. War- um wird dies hier so betont? Der Begriff Kooperation hat den verführerischen Klang nach »jetzt wird alles gut« – wie von selbst. Das damit zuerst Investitio- nen gemeint, vor allem Geduld und Flexibilität gefordert sind, wird nicht immer von allen gesehen: Weshalb sich ja eben auch die meisten für teamfähig halten.

Warum sind Kooperationen heute aber notwendig? Ein paar Gründe: Die Dyna-mik der Märkte hat in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten teilweise dramatisch an Fahrt gewonnen. Das ist sicher nicht nur ein Ergebnis der für viele Errungenschaften und Fehlentwicklungen immer gerne angeführten Globalisierung, sondern auch ein Ergebnis der Digitalisierung kausaler Produk- tionsabläufe bzw. deren Optimierung. Die damit verbundenen Prozesse stiegen in ihrer Komplexität, von der Konkurrenz, die dies immer noch besser konnte, ganz zu schweigen. Das »Schlimmste« – aus Sicht der Anbieter – ist aber heute die Kompetenz der Käufer, der Konsumenten bzw. generell der Abnehmer eines Produktes oder einer Dienstleistung. Wie nie zuvor in der Wirtschafts- geschichte sehen wir heute einen umfassenden Kompetenzzuwachs auf der Nachfrageseite, sicher auch ein Ergebnis der digitalen Transparenz. Wer geht heute nicht schon mit einem »gegoogelten« Befund zum Arzt?

Die ideale kooperative Form

Darum also Kooperationen? Es gibt einen Begriff, der das Wesen einer idealen kooperativen Form gut beschreibt: die Heterarchie. Dabei geht es eben nicht um ein Oben und Unten, sondern eher um ein Mehr oder Weniger im Sinne einer optimalen, gemeinsamen Zielerreichung. Da dafür in der Regel unterschiedliche Disziplinen notwendig sind, spielt die – ebenfalls oft als selbstverständlich erachtete – Interdisziplinarität eine wesentliche Rolle. Disziplinen brauchen optimale Komplementarität. Was passt zu was, was reagiert ideal mit was, sind viel bessere Fragen als: Was baut auf was auf? Damit wird wenig Neues geschaffen, da dies eher der gewohnten schulischen Methode der instruktiven Idee von »Aufgabe erzwingt Abgabe« folgt, als dass ein konstruktiver Raum ziel- und projektorientierten Wirkens geschaffen wird. Dabei – und wenn wir vorher von Kausalität im Zusammenhang mit Produktionsabläufen gesprochen haben – ist immer auch ein Sinn für Systemik gefordert. Die Logik der Dinge, der Unterschied zwischen Effektivität und Effizienz bzw. deren Balance und die angemessene Form an Perfektion.

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Und da Disziplinen nicht von Maschinen, sondern von Menschen geleistet werden, kommt der komplizierteste Faktor dazu: Kultur bzw. so einfache Themen wie Sprache und Verhalten, aber auch Werte und Ideologien. Gerade weil Kooperationen oft wirtschaftliche Ziele, z. B. Kostenoptimierung, verfolgen, fällt diese Betrachtung gerne unter die Kategorie Soziales. Aber: Alles, was Menschen schaffen, braucht Vorbilder, Vergleiche. Jede Zahl, jede Abstraktion braucht ein Bild, eine Erfahrung, ein Muster, mit dem wir diese vergleichen, bzw.besser abgleichen können, um uns eine Meinung zu bilden und eine Ent-scheidung treffen zu können. Ohne Bildervergleich funktioniert unser Gehirn nicht. So gesehen ist Vergangenheit immer eine Form von (kooperativem) Konsens, der in der Gegenwart, im Augenblick unserer konkreten Handlung, stets neu verhandelt wird, verhandelt werden muss. Vor diesem Hinter- grund, und frei interpretiert nach dem philosophischen Konstruktivismus, ist Zukunft immer, so sicher sie uns auch scheint, vor allem eines: Konflikt.

Ein Blick in die Biologie und damit in die Evolution macht es klarer. Wenn wir entlang der Nahrungskette in die so genannte klassische und in die kreative Wirtschaft schauen, dann gibt es hier oft eine Mischung aus seltsamen Vor- urteilen, Sichtweisen und eben auch Handlungen. Frei nach der biologischen Methode des »der Größere frisst den Kleineren« entstehen oft Abgrenzungs- statt Verbindungssysteme. Die Vorurteile sind oft trivial: jung gegen alt, groß gegen klein, arm gegen reich, verrückt gegen versichert, prototypisches Auspro- bieren gegen abgesichertes Normieren. Und auch in diesem Biotop Wirtschaft ist es, wie in der Biologie, selten eine lineare Nahrungskette, sondern eher ein Nahrungsnetz. Von überall lauern potenzielle Gefahren, zumindest im Kopf der Mitspieler; und deren Aktivität wird dann eher vom Prinzip Sicherheit gesteuert als vom Mut zu etwas Neuem.

Die Firewall in den Köpfen: Schutzwall gegen Erfolg

Dabei wäre gerade die echte Durchdringung zwischen kleineren, explorativen und größeren, etablierten Akteuren ein großer Gewinn. Aber das passiert selten. Warum? Warum haben Hasen große Ohren, die sie in alle Richtungen drehen können? Es ist die Angst. Die Sorge, es könnte ihnen jederzeit etwas passieren. Darum wird das Wort Großzügigkeit und Vertrauen in professionel- len, wirtschaftlichen Beziehungen oft mit latenter Süffisanz, aber mindestens mit den Attributen Idealismus oder gar Romantik abgestempelt. Und das gilt in alle Richtungen. Die Kleinen sind in Sorge vor der Wucht der Großen (außer das Angebot stimmt), die Großen sind besorgt über die dynamischen Innovations- freudigkeit der Kleinen (außer sie sind käuflich), die sich für keinen Fehler zu schade sind (welche geradezu das Potenzial des Fehler-Machens zum Prinzip erhoben haben). So entsteht die Firewall im Kopf aller Beteiligten, die sich besser zusammentun sollten. Und so manche gute Idee bleibt in der Schublade, da man sich nicht traut oder zu lange wartet, um mit jemandem darüber zu sprechen.

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Was könnte hier helfen? Auch hier ist die Lösung oft leichter gedacht als ge-macht. Jeder kennt das: Frei nach dem Prinzip »Distanz gebiert Ungeheuer« ist es meist viel einfacher, wenn man miteinander spricht, sich sieht oder sich kennenlernt. Hier sind die Einen gefordert, eine gewisse Gutsherrenmentalität abzulegen (denn sie werden sonst eher früher als später von allen Seiten und Richtungen überholt), die Anderen sind gefordert, ihre Unsicherheit nicht in Form altkluger Jugendlichkeit zu kompensieren. Was es braucht, sind Treff- punkte, Veranstaltungen und auch Personen, die moderativ und integrativ wirken, damit aus strukturell hierarchischem Denken ein themenorientiert heterarchisches Handeln wird. Und da hat dann plötzlich der Praktikant mehr zu sagen als der Chef, die Beraterin mehr Ahnung als der Investor, der junge Gründer mehr internationalen Weitblick als die Behörde, die ihm ein zinsfreies Darlehen oder eine Förderung gewährte.

Hierarchische Verhaltensmuster als Innovationsbremsen

Schauen wir uns zum Schluss eine immer gerne öffentlich beschworene Form der Kooperation an: die zwischen staatlichen Einrichtungen und Unternehmen der Privat- bzw. Kreativwirtschaft. Was sind die Probleme? Die Einen sind häufig zu abhängig, z. B. durch laufende Förderungen bzw. andere Arten der Zu- wendungen und Hoffnungen. Die Anderen sind häufig zu unabhängig. Im Klartext: Die Behörde »fühlt« sich »irgendwie« höher positioniert. Warum auch immer kommen hier sublime, heraldische und damit auch hierarchische Ver- haltensmuster in das Tagesgeschäft und stören eine sach- und zielorientierte Partnerschaft bzw. eine qualitätsorientierte Form der Kooperation. Und so wie der Eine spricht, traut sich der Andere oft nicht zu widersprechen. Doch nur dadurch entsteht Qualität im gemeinsamen Ergebnis. Wie sagte schon Winston Churchill: Wenn zwei immer das Gleiche sagen, macht sich einer von beiden irgendwann überflüssig.

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Das Einfachste der Welt: Kreatives Teilen

Warum also Kooperationen? Menschen sind vor allem motivgesteuerte und emotional gesteuerte Wesen, mit dem Zwang zum Teilen. Die Sippe, der Verbund waren kulturstiftende Grundlagen unserer Zivilisation. Kooperatives Verhalten war immer getragen von sowohl am Nutzen der Gemeinschaft als auch am eigenen Nutzen orientierten Verhalten und seinen Handlungen. Im Kern geht es dabei ums Teilen, besser um kreatives Teilen.

Das Älteste und das Einfachste der Welt muss wohl neu erlernt werden. Teilen als Verteilen (im Sinne von Organisation), als Zerteilen (im Sinne von Struktur, der Grundlage jeder Organisation) und als Mitteilen (im Sinne von Kommuni- kation). Teilen als Grundlage von Gemeinschaft und damit von einer Gesell- schaft, die ohne Empathie und ohne das Teilhaben am Anderen nicht denkbar wäre. So gesehen gehört eine Form von Freundschaft – wann auch immer sie entsteht – zu einer wesentlichen Grundlage von Kooperation. •

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departure wurde 2003 als Österreichs erste eigenständige Wirtschaftsförde-rungs- und Servicestelle für Unternehmen der Kreativwirtschaft gegründet und gilt inzwischen europaweit als erfolgreiches Modell der Innovationsförderung auf Wettbewerbsbasis. Seit dem Start des Förderprogramms wurden 364 Projek- te mit knapp 23 Mio. Euro gefördert und über 1.600 hoch qualifizierte Arbeits- plätze neu geschaffen oder gesichert. Die Stadt Wien hat mit der Gründung von departure rechtzeitig erkannt, welches Potenzial in den kreativen Unterneh-men der Stadt steckt und dass diese nicht nur ein Lifestyle-, sondern auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sind. Der offensive Ansatz Wiens hat dazu geführt, dass mittlerweile auch auf europäischer Ebene Innovation nicht ausschließlich mit technologischem Fortschritt assoziiert wird, sondern der Bedeutung von Prozessinnovationen, wie sie in vielen Bereichen der Kreativwirtschaft vorherr- schen, verstärktes Augenmerk geschenkt wird.

Kreativwirtschaft in Wien

Die Kreativwirtschaft ist bereits seit vielen Jahren ein Handlungsfeld der Wiener Wirtschaftspolitik. Sie stellt neben der Bio- und der Informationstech- nologie ein drittes Hoffnungsfeld der Wiener Wirtschaftsentwicklung dar. departure ist dabei ein wesentlicher Akteur, der zur Weiterentwicklung deskreativwirtschaftlichen Bereichs sowie zur Kooperation zwischen diesem und anderen Wirtschaftsbranchen beiträgt. Derzeit arbeiten 60.000 Menschen in 14.000 Wiener Kreativbetrieben und generieren etwa 11 Milliarden Euro Um- satzerlöse und 4 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung pro Jahr. Die Kreativ- wirtschaft ist kleinteilig strukturiert mit hoher Personalintensität und hoher Umsatzrentabilität. 70 Prozent der Wiener Kreativunternehmen haben andere Unternehmen als Auftraggeber, 30 Prozent öffentliche Einrichtungen, 26 Pro- zent Privathaushalte und 9 Prozent den Non-profit-Sektor. 53 Prozent der Wiener Kreativunternehmen sind im Export aktiv, 22 Prozent der Umsatzerlöse werden im Export erzielt (KMU Forschung Austria, ZEW 2010: 61, 68).

Fokus KooperationenNeue Inhalte brauchen neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Kreativwirtschaft und klassischer Wirtschaft.

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Von der Content Origination zum erfolgreichen Markteintritt

Es gibt eine Vielzahl teils sehr verschiedener Definitionen davon, was Krea- tivwirtschaft ist. Für departure meint der Begriff Kreativwirtschaft jene Wirtschaftszweige, deren Produkte und Dienstleistungen im Wesentlichen auf Kreativität gründen. Zentrales Merkmal der Kreativwirtschaft ist somit die Content Origination, das heißt die Entwicklung von (neuen) Inhalten. Das umfasst die acht Sektoren Architektur, Audiovision, Design inklusive Grafik, Kunstmarkt, Medien/Verlagswesen, Mode, Multimedia inklusive Games und Musik. Manche Definitionen des Begriffs Kreativwirtschaft umfassen nicht nur privatwirtschaftliche Kreativunternehmen, sondern auch solche des öffent- lichen und »intermediären« Bereichs (das heißt gemeinnützige bzw. Non- profit-Organisationen). Die Kreativwirtschaft ist somit kein Gegensatz zur klassischen Wirtschaft, sondern ein Querschnitt durch diese.

W

IRTS

CHAFT

INTERMEDIÄR

BEREICH

EX

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UFACTURING, REPRODUCING

PRIV

AT-

ÖFFENTLICH

ER

Musik

Mode

Design inkl. Grafik Multimedia

inkl. Games

Audiovision

DEPARTURE BEREICHE

Kunstmarkt

Architektur

Medien/ Verlagswesen

CONTENT ORIGINATION

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Die in diesen Branchen produzierten kreativen Informationsgüter und -dienste sind einerseits die Basis für die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen und können andererseits Identitäten stiften und so zur Qualität eines Standorts wie Wien beitragen, beispielsweise hinsichtlich des Tourismus und der Lebensqualität für die hier lebenden Menschen.

Kooperation zwischen Kreativwirtschaft und klassischer Wirtschaft

Kooperation ist die bedeutsame Basis für schöpferische Tätigkeiten wie die Entwicklung neuer Inhalte, für die Kreativwirtschaft ebenso wie für alle anderen Wirtschaftszweige. Das vorliegende White Paper konzentriert sich dabei auf Kooperationen zwischen Kreativwirtschaftsunternehmen einerseits und Unter- nehmen der »klassischen Wirtschaft« andererseits als speziellen Fokus von departure. Dies sind freilich in der Praxis keine einander ausschließenden Berei-che: Als Kreativwirtschaft im Sinne der Förderbereiche werden von departure die acht genannten Sektoren verstanden; alle übrigen Wirtschaftsbereiche wer- den somit als »klassische Wirtschaft« verstanden. Akteure dieser klassischen Wirtschaft können beispielsweise Produktionsbetriebe, Handwerksbetriebe, Ver- triebs- und Handelsagenturen, aber auch Industrie- und Dienstleistungsbetrie- be sein. Grundsätzlich sind darunter alle Unternehmen zu verstehen, die nicht Kreativunternehmen im beschriebenen Sinne sind, vor allem aus den Bereichen Produktion, Vertrieb und Marketing.

Die departure-Förderprogramme fokussieren in erster Linie auf Content Origination und richteten sich bislang ausschließlich an Unternehmen aus der Kreativwirtschaft; Unternehmen aus anderen Bereichen konnten aber als Projektpartner beteiligt sein. Ob Content Origination wirtschaftlich erfolgreich ist, hängt auch von den darauffolgenden Elementen der Wertschöpfungskette ab, also von der Produktion (und Reproduktion) sowie von Vertrieb und Mar- keting. Mit dem Call focus Kooperation sollen diese Teile der Kette forciert und Unternehmen der klassischen Wirtschaft einmal mehr zur Vernetzung mit der Kreativwirtschaft angeregt, intensive, langfristige Kooperationen angestoßen bzw. bereits bestehende Kooperationen vertieft werden: Es geht dabei um eine Zusammenarbeit zwischen Kreativwirtschaft und klassischer Wirtschaft auf Augenhöhe, von der beide Seiten profitieren und die nachhaltige Effekte besitzt, also über ein einmaliges Projekt hinausgehend wirksam ist. Von Beginn an hat departure angestrebt, den Markteintritt von kreativen Produkten und Dienst-leistungen zu fördern. Insofern ist der Call focus Kooperation auch eine Rückbe-sinnung auf diese Ausrichtung. •

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Die Zukunft gemeinsam neu denkenKooperationen zwischen Wirtschaft und Kreativität schaffen das Klima für Innovationen.

Gastkommentar von Georg Kapsch

Der Autor Georg Kapsch, Präsident der Landesgruppe Wien der Ver-einigung Österreichischer Industrieller, ist Vorstandsvorsitzender der Kapsch AG, eines der führenden Technologieunternehmen Österreichs mit den Geschäftsfeldern Traffic, Communications, Netzwerke und IT.

Im Begriff »Creative Industries« findet sich das Wort »Industrie« wieder. Und doch scheinen »Industrie« und »Kreativindustrie« vielen Menschen auf den ersten Blick Gegensätzliches zu vermitteln. Hier die Arbeit, in der wenige Mit- arbeiter als starke »Denkfabriken« Ideen, Kunst und Kulturgüter schaffen. Dort die über Jahrhunderte gewachsene, beschäftigungsintensive und zugleich hoch technologisierte Produktion von Waren für den globalen Markt. Den klas- sischen Industriebetrieb gibt es nicht mehr. Wir alle profitieren von der Kreati- vität und Innovationskraft von Forschern, Entwicklern, Prozessspezialisten und vielen mehr.

Entsprechend sind sich beide Wirtschaftsbereiche in einem fundamentalen Punkt sehr ähnlich: Beide leben von schöpferischem Gestaltungswillen. Die Industrie braucht stetige Innovation, genauso wie die Kreativbranche frische Ideen braucht. Diese Nähe zeigt sich am Einfluss, den die Kreativen in vielen klassischen Industrie- und Wirtschaftszweigen heute haben. Das schlichte, intuitiv verständliche Produktdesign von Apple hat beispielsweise entschei- dend zum Erfolg des Unternehmens beigetragen.

Man muss nicht nach Amerika blicken, um ähnliche Erfolgsgeschichten zu finden. Auch in Wien arbeiten Werber, Designer und Filmemacher dafür, dass Konsumenten auf Industrieprodukte aufmerksam werden und sich mit ihnen identifizieren können. Verschiedene, in Wien teilweise seit Generationen tätige Nahrungs- und Genussmittelerzeuger, aber auch Erzeuger von Chemie- und

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Elektronikprodukten arbeiten am Standort eng mit der Kreativwirtschaft zusammen und generieren so einen unschätzbaren Mehrwert für beide Seiten.

Ideen- und Güterindustrie leben vom kreativen Gestaltungswillen

Kreativwirtschaft und Konsumgüterindustrie sind also schon lange gute Part- ner. In anderen Bereichen der Creative Industries sind die Anknüpfungspunkte weniger offensichtlich. Für den Wirtschaftsstandort sind Musiker, Künstler, Kuratoren oder Modemacher trotzdem wichtig. Sie bereichern nicht nur das kulturelle Angebot der Stadt, sondern sind Botschafter des Zeitgeists und damit Triebfedern permanenter Erneuerung. Mit ihrer Arbeit schaffen sie einerseits ein gesellschaftliches Klima, das neue Ideen und Innovationen fördert, und tragen andererseits dazu bei, dass die Stadt Wien heute auch für die in vielen Branchen dringend benötigten Arbeitskräfte aus dem Ausland ein derart attraktiver Standort ist. Alle diese Aspekte machen zu einem wesentlichen Teil den Erfolg unseres Wirtschaftsstandorts aus.

Der urbane Raum ist auch einer jener Bereiche, in dem Kreative und Industrie- mitarbeiter die Chance haben, die Zukunft gemeinsam »neu zu denken«. Seit 2008 leben erstmals in der Geschichte der Menschheit weltweit mehr Personen in der Stadt als auf dem Land. Eine der Hauptursachen ist das größere Arbeits- platzangebot in den Ballungszentren. Will sich der urbane Raum seine Attrakti- vität bewahren und auf lange Sicht lebenswert bleiben, müssen jedoch Stadt- konzepte entwickelt werden, die zeigen, wie verschiedenste Bereiche in Zukunft noch besser am »Standort Stadt« integriert werden können. Dazu ist etwa eine noch bessere Abstimmung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit erforderlich. In Wien zeigen Projekte wie die Seestadt Aspern oder auch der neue Hauptbahn- hof, wie die Zusammenarbeit von Kreativen, Industrie und Forschung bei den weiteren Bemühungen um eine »Stadt der Zukunft« aussehen könnte.

Beispiele für mögliche Kooperationen zwischen der »Ideenindustrie« und der »Güterindustrie« gibt es also viele. Besonders vor dem Hintergrund, dass es immer wichtiger wird, Neues zu entwickeln, um als Standort auf dem Weltmarkt zu bestehen, sollte aber noch mehr für diese Zusammenarbeit getan werden. Denn nicht die kreative Idee allein bedeutet Innovation, sondern erst ihre Um-setzung in ein Produkt. •

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Theoretisch sind Kooperationen nichts Neues. Sie sind ein evolutionäres Prinzip. Der homo cooperativus als Nachfolger des homo oeconomicus aber steht für ein neues Modell. Er kennt seine Interessen – und wahrt sie, nicht durch Exklusion, sondern durch Kooperation. Und er ersetzt damit die alte Kontrollwirtschaft durch eine neue Beziehungswirtschaft. »Alte Unternehmen« waren erfolgreich, weil sie alles im Griff hatten. »Neue Unternehmen« sind erfolgreich, weil sie wissen, mit wem sie zusammenarbeiten sollten, damit sie ein Problem lösen und mit besseren Produkten und Dienstleistungen neue Märkte schaffen können.

Kooperationen zwischen Kreativen und klassischer Wirtschaft können unter optimalen Bedingungen Innovation in neue Höhen treiben und die Grenzen dessen, was man gemeinhin mit Design oder Business Development meint, weit überschreiten – ein herausragendes und bekanntes Beispiel dafür ist die Zusam- menarbeit von Hartmut Esslinger und seiner Agentur frog design mit Apple in den 1980er Jahren, als beide mit dem Apple IIc die Grundlagen für die bis heute währende Sonderrolle des Unternehmens legten.

Know-how Exchange und Gleichberechtigung

Das Beispiel macht deutlich, worum es beim Fokus auf Kooperationen geht: Durch Kooperation und beiderseitiges Einbringen von Kompetenzen sollen die Chancen für Innovation gesteigert werden; gleichzeitig ist es Ziel, diese Inno- vationen unmittelbar zu vermarkten. Es geht um den Aufbau von Know-how, um die Erhöhung der Innovationskraft und vor allem um den notwendigen un- ternehmensübergreifenden Wissensaustausch zur Verbesserung der Wettbe- werbsfähigkeit. Der Markteintritt von kreativen Produkten und Dienstleistugen ist das zentrale Ziel, das departure verfolgt.

Kriterien für Kooperation: 1 + 1 = 3Ein altes evolutionäres Prinzip wird zur neuen Basis erfolgreicher Unternehmen.

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Die Auswahl des Themas Kooperation zwischen Kreativwirtschaft und klassi-scher Wirtschaft gründet auf der Erkenntnis, dass gerade an dieser wichtigen Schnittstelle noch großes Potenzial brachliegt und bis dato nicht abgerufen wurde. Die Innovationskraft der Wiener Kreativunternehmen ist hoch und in manchen Kreativbranchen gibt es eine Vielzahl von Kooperationen – jedoch überwiegend mit jeweils anderen Kreativunternehmen, zumeist aus derselben Branche.

Die innovativste »Beziehungswirtschaft« jedoch findet zwischen den (Überle- bens-) Zweckbündnissen innerhalb einer Branche und der Unverbindlichkeit der Netzwerke statt. Dort nämlich, wo zwei unterschiedliche, komplementäre Partner aufeinandertreffen, die ihre Stärken, aber auch ihre Schwächen kennen. Und die wissen, dass die kooperative Bündelung der Stärken die Schwächen aufwiegt und damit beide Partner wettbewerbsfähiger macht. Derartige Koope- rationen sind komplementär, verbinden also die verschiedenen Kompetenzen verschiedener Akteure zu etwas Neuem; sie sind interdisziplinär und basieren auf der Gleichberechtigung der Partner in der Zusammenarbeit und beim Teilen des Risikos, auch wenn das nicht immer völlig ausgewogen gelingt.

Erfolgreiche Kooperationen beginnen in einer frühen Phase

All das bedeutet auch, dass Kooperationen Zeit brauchen, um sich zu einem langfristig ertragreichen Prozess zu entwickeln; und dass sie möglichst früh beginnen sollten, also nicht erst dann, wenn einer der Partner schon eine ganz konkrete, eng einzugrenzende, direkt zu beantwortende Frage hat. Eine 2008 durchgeführte Studie (arge creativ wirtschaft austria 2008: 71) zeigte, dass die Kreativwirtschaft in Österreich bei gemeinsamen Projekten besonders an den frühen und späten Phasen von Innovationsprozessen beteiligt ist.

Die wechselseitigen Fragen kooperierender Unternehmen lauten dabei immer: Was könnt ihr anbieten? Und: Was können wir für euch tun? Wie kommt dabei etwas heraus, das wir – jeder für sich – nicht so gut schaffen würden? Etwas, das zusammengeführt mehr ist als die Summe der einzelnen Teile.

Ein Beispiel für so verstandene Kooperationen ist etwa die Zusammenarbeit zwischen dem Designbüro dottings und dem österreichischen Traditionsunter-nehmen Riess, das europaweit für sein Emailgeschirr bekannt ist. dottings holte das Kochgeschirr von Riess in die Gegenwart und machte daraus zusammen mit Riess ein innovatives Produkt. Eine zentrale Voraussetzung dafür: »Wenn man sich auf Betriebsgeheimnisse zurückzieht«, so der Firmenchef (siehe Inter- view mit Julian Riess), »passiert gar nichts.«

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Nach wie vor aber sind in Österreich erfolgreiche Kooperationen zwischen Kreativwirtschaft und klassischer Wirtschaft selten und bleiben häufig einma-lige Gelegenheiten, obwohl der Erfolg solcher Kooperationen kaum bestritten werden kann. Dies zu ändern, intensivere und langfristigere Kooperation anzu-stoßen bzw. bereits bestehende Kooperationen weiter vertiefen zu helfen, ist das erklärte Ziel von departure: Es geht um eine Zusammenarbeit zwischen Krea-tivwirtschaft und klassischer Wirtschaft auf Augenhöhe, von der beide Seiten profitieren und die nachhaltige Effekte besitzt, die also über ein einmaliges Pro-jekt hinausgehend wirksam ist. •

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STEFAN BERGEREternit

»BEI DER KOOPERATION MIT KREATIVEN BLEIBT DIE UNTERNEHMENS-

KULTUR NATÜRLICH NICHT UNBERÜHRT«

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Stichwort Design focus Kooperation

Stichwort Design

Design spielt eine Pionierrolle bei erfolgreichen Koope- rationen zwischen neuer Kreativ- und klassischer Güterindustrie. In diesem Bereich hat die Bündelung von unterschiedlichen Kompetenzen und Know-how auch in österreichischen Unternehmen zu zahlreichen überzeugenden Ergebnissen geführt. Dabei zeigen die Erfahrungen, dass die gemeinsamen Ergebnisse umso besser sind, je früher Kreative in den Innova-tionsprozess einbezogen werden; wenn Gestaltung nicht nur als ästhetische Aufgabe verstanden wird, sondern auch als intensive Auseinandersetzung mit Produktionsprozessen, die zur Veränderung von Produkteigenschaften und -funktionen sowie zur Erneuerung der Unternehmenskultur und des Marken- auftritts führen können.

Querverweise Interview Julian Riess: »Die kühnsten Erwartungen übertroffen« S. 22 Passionswege: Das Wiener Format für offene Kooperation S. 25 Ezio Manzini: Aufbruch in ein neues soziotechno-logisches Ökosystem S. 84 Interview Harald Gründl: »Kooperation ist die notwendige Aktionsform in neuen Kontexten« S. 88 Phönix aus der Asche S. 94 Interview Stefan Berger: »Aus der Zusammen-arbeit mit Kreativen ergeben sich klare Wettbewerbsvorteile« S. 28

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Stichwort Designfocus Kooperation

Die Firma Riess Kelomat GmbH ist ein alteinge-sessenes österreichisches Unternehmen, das für Email-Kochgeschirr in pastelligen bis kräftigen Farben bekannt ist. Seit über 80 Jahren produ- ziert Riess in Ybbsitz, formt Metall, verarbei-tet Kunststoff und emailliert. 2008 trat Riess an Sofia Podreka und Katrin Radanitsch vom Wiener Designstudio dottings, heran, um eine neue, zeitgemäße Produktreihe zu entwickeln, die Aromapots. Bereits zuvor gab es ein expe- rimentelles gemeinsames Projekt mit Polka Design für die Passionswege der Vienna Design Week 2007. Das Interview mit Julian Riess, dem geschäftsführenden Gesellschafter des Familienunternehmens, führte Robert Temel.

Herr Riess, wie ist die Kooperation mit dottings abgelaufen?Das Projekt wäre nicht möglich gewesen ohne das Umfeld der Design Week und die da-mit verbundene Szene, in der der Kontakt zu dottings – übrigens ebenso wie zu Polka – entste-hen konnte. Es gibt hierzulande sehr viele gute Designer; aber die Frage ist doch, wie die zum richtigen Betrieb kommen! Da liegen riesige Ressourcen für Österreich brach. Es geht ja nicht nur um technische Innovation; das wird oft zu technokratisch gesehen. Innovation ist

auch eine Frage der Funktion und der Form.Wir haben Marktforschung betrieben und drei Designer zu einem Wettbewerb eingeladen, bei dem eine Jury aus Internen und Externen dottings ausgewählt hat. Das Projekt wurde dann in sehr engem Kontakt mit der Technik abgewickelt. Es geht da ja nicht nur um eine Grundidee, sondern darum, was technisch möglich ist, was vom Marketing her möglich ist – da wurde auch vieles in Frage gestellt, was bei uns bisher unhinterfragt als unmög- lich galt.

Wie kann man sich das »Werkspraktikum« vorstellen, das dottings bei Riess absolviert hat?Beim Designstudium lernt man zwar viel über Werkstoffe, aber wenn es darum geht, was mit einer Maschine, einem Material, einem Produktionsbetrieb alles möglich ist, dann muss man hinausgehen zu den Mitar- beitern und das selber machen. Man kann nicht nur aufzeichnen, wie das Produkt aus- sehen soll, sondern muss sich intensiv damit befassen, und das haben die beiden Damen von dottings bei uns getan. Da geht es nicht nur darum, dass sie sehen, was genau umge- setzt werden kann und was nicht; als Externe

Julian Riess über die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Designer- innen-Duo dottings und wie die Kooperation zu einer Neuorientierung des österreichischen Traditionsunternehmens führte.

»Die kühnsten Erwartungen übertroffen«

Interview mit Julian Riess

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Stichwort Design focus Kooperation

haben sie auch einen offenen Horizont und erkennen Möglichkeiten, die wir gar nicht sehen. Das ist ein ständiges Pingpong, ein intensiver Kommunikationsprozess, bei dem in der Fertigung direkt ausprobiert wird: Wie kann der Stahl verformt werden, welche Schichtstärke der Glasur ist möglich, wie genau geht der Arbeitsgang? Wenn man den Designerinnen einfach nur Nein sagt, kön- nen sie nichts dagegensetzen; aber in diesem Kommunikationsprozess gab es den direkten Austausch. Das ist ein Aha-Effekt für die Designerinnen und für unsere Mitarbeiter in der Fertigung, die erkennen: Das ist gutes Design! Da geht es um eine gemeinsame Entwicklung. Wenn man sich auf Betriebsge- heimnisse zurückzieht, passiert gar nichts.

War das Passionswege-Projekt mit Polka bei der Design Week ein Vorläufer?Ja, wie gesagt, zentral für beide Projekte war das Umfeld, die Design Week, die Angewandte, auch departure. Das Projekt mit Polka war ganz anders ausgelegt, da war die sehr expe- rimentelle Idee der Designerinnen zentral, die haben gesagt: So gehört’s, und wir haben das umgesetzt. Da kamen keine Vorgaben von uns, es ging nur um das begeisternde Design. Dem- gegenüber war das Projekt mit dottings stark marktgetrieben, da ist die gesamte Marketing- maschinerie über die beiden Damen ergangen, der Preis, die Kommunikation, der Vertrieb.

Läuft der Vertrieb dieser Produkte anders als beim klassischen Riess-Email?Das ist eine eigene Kommunikationsschiene, zwar mit unserer Vertriebsmannschaft, aber mit einer anderen Philosophie als zuvor. Da sind mehr Argumente zu kommunizieren als beim klassischen Riess-Email, das man auch in nicht designorientierten Geschäften be- kommt. Manche verkaufen beides, aber mit den Aromapots sind wir auch in Geschäften, die stark auf Design setzen und Riess bisher

nicht führten. Das ist vor allem für ein eher urbanes Publikum, beispielsweise in Muse- umsshops. Wir haben getrennt von den ande- ren Riess-Produkten eine eigene Website für die Aromapots und das Kitchenmanagement: true homeware. Wichtig war, dass wir den gesamten Prozess in die Hände der Designe- rinnen gelegt haben, nicht nur das Produkt- design im engeren Sinne; auch die Kommuni-kation, die Prospekte und Preislisten.

dottings hat sogar den eigenen Fotografen für die Produktfotos gebracht. Sie haben auch unseren Messeauftritt in Frankfurt gestaltet, alles sollte aus einem Guss sein. Es funktio- niert nicht, wenn man eine Designsprache mit einer ganz anderen Werbesprache kombiniert, auch wenn beide jeweils für sich gut sind.

Planen Sie weitere Projekte mit dottings?Ja, es sind einige neue Projekte im Werden. Teils auch solche, die nicht ganz grundlegend Neues schaffen. Wenn ich ein Problem mit

Die Aromapots von Riess, gestaltet von dottings, bestehen aus kaltverformtem Stahl sowie aus Email.

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Stichwort Designfocus Kooperation

einem Produkt habe, dann kontaktiere ich dottings. Das sind dann manchmal Kleinigkei-ten, die bei ganz normalen Riess-Produkten geändert werden, wo niemandem die Design- entscheidung auffällt und das auch nicht kom- muniziert wird. Wir haben einen guten Draht, und wir haben da einfach auch Glück gehabt. Ich habe festgestellt, wir brauchen professio- nelle Begleitung, und zwischen dottings und uns gibt es das dafür nötige Vertrauen.

Welche Bedeutung hat das Projekt Aromapots für die Firma Riess?Sie müssen nur die Zeitschriften aufschla- gen, in denen wir plötzlich auftauchen, oder die Vielzahl an Preisen und Nominierungen sehen, die die Aromapots bekommen haben. Das hat für uns zu einer Neuorientierung des Unternehmens geführt. Durch dieses neue Design werden plötzlich Starköche auf uns aufmerksam. Wir konnten unsere Position in manchen Märkten verbessern und in an- dere überhaupt erst eintreten: In Korea und Australien etwa waren wir schon präsent,

aber konnten nachsetzen. In Frankreich hat das neue Design den Markteintritt erleichtert. Wir hatten mit diesem Projekt etwas Neues geplant – aber diesen riesigen Erfolg hatte ich nicht erwartet; ich habe dem nicht einen sol- chen Stellenwert beigemessen: Was herausge- kommen ist, hat meine kühnsten Erwartungen übertroffen.

Und was war ausschlaggebend für diesen Erfolg?Der Erfolg liegt einfach im guten Design. Das ist eine stimmige Sache, die nur funktioniert, weil wir uns gemeinsam so intensiv mit dem Werkstoff auseinandergesetzt haben. Und mit diesem Design wurde ein Mainstream getrof- fen; das ist klassisch, klar, das funktioniert auch in zehn Jahren gut.Aber die Grundvoraussetzung dafür ist die Öffnung auf allen Seiten, die Vernetzung – bei der Universität, bei den Kreativen, bei den Unternehmen. So etwas funktioniert nicht, wenn wir nur intern Unseres machen und die Kreativen im geschlossenen Rahmen Ihres. •

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Stichwort Design focus Kooperation

Wege der Erfahrung, des Leids und der Freude, der Entdeckungen und Überraschungen, bereichernd und erfüllend – das sind die Passionswege, die bisher sechs Mal im Rahmen der Vienna Design Week stattgefunden haben. Tulga Beyerle, Thomas Geisler und Lilli Hollein entwickelten dieses Format der offenen Kooperation zwischen Designern und traditionellen Wiener Produzen- ten als Mittel, um lokale handwerkliche Qualität und international tätige Desi- gner voneinander profitieren zu lassen. Insgesamt etwa 50 Projekte haben seit 2006 stattgefunden. Dabei handelt es sich jeweils um Kooperationen, nicht um Auftragssituationen: Es geht um das gemeinsame Projekt, das Kennenlernen, die gemeinsame Anstrengung, den Know-how-Transfer und gerade nicht um die Umsetzung bereits zuvor bestehender Ideen.

Offene Rahmenbedingungen – kreative Ergebnisse

Dementsprechend offen sind die Rahmenbedingungen – teils entstehen Pro- dukte, die anschließend in Serie gehen, so etwa bei der Kooperation von Mark Braun mit dem Glasproduzenten J.&L. Lobmeyr, bei der bisher eine Karaffe entstand und demnächst auch eine Gläserserie, oder von Nicolas Le Moigne mit dem Juwelier A. E. Köchert, bei der eine Ringserie entwickelt wurde; teils ent-stehen dreidimensionale Kommentare und Installationen der Designer. So machte der Künstler und Designer Walter Thaler bei dem Maßschuhmacher Rudolf Scheer&Söhne in einer Installation die vielfältigen sinnlichen Wahrneh-mungen, die die Werkstatt und das Lager dieses Unternehmens bieten, für Besucher zugänglich. In Folge wurde er mit der Gestaltung des neuen Geschäfts- lokals für Rudolf Scheer&Söhne beauftragt.

Passionswege: Das Wiener Format für offene KooperationLokale Handwerkstradition trifft auf internationales Design: Seit sechs Jahren sind die Passionswege, die alljährlich im Rahmen der Vienna Design Week beschritten werden, der Highway to Success.

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Stichwort Designfocus Kooperation

Der offene Zugang der Designer in diesen Kooperationen und die Beschäftigung mit Produktionsmethoden und Maschinen tragen zum Hinterfragen des Gege- benen bei, sodass häufig neue Ideen und Sichtweisen entstehen. So hatten Soda Designers bereits vor ihrem Passionswege-Projekt mit Wittmann gearbeitet; bei dieser neuen, offenen Kooperation entwickelte sich jedoch ein eher konzeptio- nelles, nicht direkt vermarktbares Projekt: Leder für den Außenraum in Form einer Luftmatratze, eines Rettungsrings und eines Liegestuhls. Der Liegestuhl wurde schließlich gemeinsam zur Serienreife entwickelt und ist nun eines der meistpublizierten Produkte des Möbelherstellers. Die Auseinandersetzung mit Produktionsmethoden und spezifischen Produkteigenschaften bringt manches hervor, das zuvor unbeachtet geblieben ist; und die oft sehr lokal orientierten Unternehmen bekommen durch die Projekte eine Gelegenheit, ihre Produkte einer internationalen Öffentlichkeit zu präsentieren. So wählten DANKLHAMPEL mit der Hemden-Maßschneiderei Wäscheflott einen ethnographischen Zugang,

Der Liegestuhl Lester von Soda Designers für Wittmann, Ergebnis eines gemeinsamen Projektes für die Passionswege der Vienna Design Week, aus dem schließlich ein Serienprodukt wurde.

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Stichwort Design focus Kooperation

indem sie vier Personen als »Kunden« zu dem Unternehmen schickten, um sich ihr Lieblingshemd schneidern zu lassen.

Mit unternehmerischem Mut zu ambitionierten Produkten

Dauergast bei den Passionswegen ist die Firma J.&L. Lobmeyr, die bisher in jedem Jahr ein Projekt gemacht hat. Von diesen hatten einige bereits langfris- tige Auswirkungen, so auch die Gläserserie von Max Lamb, die aus einem sehr konzeptionellen Passionswege-Projekt entstand. Lobmeyr hat sich im Laufe dieser Jahre selbst weiterentwickelt und verändert und von dieser Entwicklung sehr profitiert. Das Projekt von Maxim Velčovský etwa bestand aus Laterna-magica-Boxen, die mit Lobmeyr-Glasteilen Stadtsilhouetten erzeugten. Eine Weiterentwicklung dieser Boxen wurde schließlich für Wien Tourismus produ-ziert und dient als Messe-Exhibit. Marco Dessí entwickelte für die Porzellan- manufaktur Augarten den Nukleus des neuen, ambitionierten Services »Orbit«, das nun nach und nach weiterentwickelt wird.

Doch der Erfolg ist nicht allein mit so bekannten Herstellernamen verbunden. Adam Wehsely-Swiczinsky entwarf für die Petz Hornmanufaktur nicht nur eine opake Hornbrille, sondern auch die überaus elegante Armbanduhr »Watussi« unter einem Hornarmband, die nun in Serie produziert wird. Für solche Erfolge braucht es jedoch unternehmerischen Mut, Offenheit sowie die richtigen Partner, denn auch die persönliche Chemie muss bei solch anspruchsvollen Projekten stimmen. •

Gegenstand des Passions- wege-Projektes 2007 von Soda Designers und Wittmann war die ungewöhn- liche Kombi- nation von Leder mit Außenraum-»Möbeln«: eine Luftmatratze, ein Rettungsring, ein Liegestuhl.

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Stichwort Designfocus Kooperation

Stefan Berger leitet die Design- & Interior-Ab- teilung des österreichischen Traditionsunter- nehmens Eternit-Werke Ludwig Hatschek AG. Mit seinem Werkstoff Faserzement für Dach und Fassade ist Eternit Marktführer in Öster-reich und erzielt einen Umsatz von 250 Mio. Euro in der Gruppe (Österreich, Deutschland, Schweiz, Slowenien). Sieben Prozent davon sind dem kreativen Part wie Möbeln und Gartengefäßen zuzurechnen – ein Bereich, der international in der Designerszene Erfolge feiert. Das Interview mit Stefan Berger führte Wolfgang Reiter.

Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Eternit und Vertretern der Kreativwirtschaft wie Rainer Mutsch und vielen anderen entstanden? Was war die Motivation, die Zusammenarbeit mit Designern zu suchen?Ausgangspunkt war die Neugründung eines eigenen Design- & Interior-Bereichs bei Eternit. 2008 haben wir dafür einen nationa-len Designwettbewerb für ein Pflanzengefäß aus ebenen Faserzementplatten ausgeschrie- ben, den Mutsch mit seinem Entwurf »Shift« gewonnen hat. Das war die Basis für weitere

Kooperationen und Produktentwicklungen, auch im Bereich Garden & Design.

Welche Erfahrungen hat Eternit im Zuge die-ser Kooperationen gemacht, die eine weitere Zusammenarbeit sinnvoll erscheinen lassen?Die Erfahrungen waren sehr vielseitig. Vor allem haben wir einen umfassenden Einblick in die Anforderungen bekommen, die Kunden an Möbel und Wohnaccessoires stellen. Unser primärer Geschäftsbereich liegt ja bei Pro- dukten für die Bauwirtschaft wie Dach- und Fassadensysteme. Das ist eine andere Welt. Neu war für Eternit auch die Art der Annähe-rung an ein Endprodukt, das Herantasten an materialtechnische Grenzbereiche mit diver- ser Computersoftware.

Eternit-Designchef Stefan Berger über die Angst vieler Manager vor kreativen Interventionen, über unvorhersehbare Kettenreaktionen und wie gutes Design die Corporate Identity stärkt.

»Aus der Zusammenarbeit mit Kreativen ergeben sich klare Wettbewerbsvorteile«

Interview mit Stefan Berger

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Stichwort Design focus Kooperation

Wie unterscheidet sich ein solcher Entwick-lungsprozess von anderen Produktentwick-lungen, bei denen keine externen Designer involviert sind?Ideenfindung und Brainstorming sind bei der Zusammenarbeit mit Designern deutlich intensiver. Es wird auch mehr über Visualisie- rungen und Renderings gearbeitet. Und zwei- felsohne waren unsere Anlagentechniker und Produktmanager bei der Produktentwicklung deutlich mehr gefordert als üblich.

Was sind für Sie die wesentlichsten Kriterien für erfolgreiche Kooperationen?Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass Koopera- tionen nur wirklich erfolgreich sind, wenn die Ziele klar definiert wurden. Ein detailliertes Pflichtenheft ist dabei eines der wichtigsten, wenn auch eines der schwierigsten Elemente im gesamten Projektmanagement.

Die aus drei unterschiedlich großen Basis- elementen bestehenden Blumencon- tainer von Rainer Mutsch waren das Siegerpro-jekt des 2008 ausgeschrie- benen Design- wettbewerbs von Eternit.

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Stichwort Designfocus Kooperation

Sind im Zuge dieser Kooperationen nicht auch Ergebnisse (Produkte, veränderte Prozesse und Verfahrenstechniken etc.) entstanden, die zu Beginn gar nicht intendiert waren?Natürlich, meiner Meinung nach – wie bei der Zusammenarbeit mit Rainer Mutsch –sogar die nachhaltigsten und innovativsten. Wenn solche Prozesse mit externen Designern einmal gestartet sind, ergibt sich eine Ketten- reaktion, die man vermutlich nie voraussehen kann. »Dune«, die modulare Outdoor-Lounge, ist ein Ergebnis einer solchen Kettenreaktion. Und diese Erfahrung ist einer der Hauptgrün- de, warum wir wieder und wieder auf unsere bestehenden und bekannten Kontakte zurück- greifen. Unser Material ist einzigartig, jedoch sehr umfangreich und tricky, und benötigt seitens der Designer vermutlich deutlich mehr Eingewöhnungszeit als andere Materialien.

Welche Chancen und Probleme in Koope- rationen zwischen Kreativunternehmen und der klassischen Wirtschaft sehen Sie, aus denen andere Unternehmen in Zukunft lernen können?Die Chancen sind ganz klar: Im Blick der De- signer spiegeln sich nicht nur die aktuellen Trends und Lifestyle-Bedürfnisse der Kunden, sondern sie prägen und entwickeln diese auch mit neuen Ideen, Entwürfen und Konzepten. Daraus ergeben sich klare Wettbewerbsvor- teile. Die zahlreichen Auszeichnungen, die unsere Produkte bekommen haben, sprechen eine deutliche Sprache.

Warum gibt es dann in Österreich so wenige derartige Kooperationen? Mangelt es an der Wertschätzung kreativer Arbeit oder an der fehlenden Bereitschaft zu unternehme- rischem Risiko?Ich glaube, dass viele Unternehmen nicht den nötigen Mut haben, bestehende und auch

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Das »modular outdoor furniture system« von Rainer Mutsch ist ein weite-res, vielfach ausgezeichnetes Beispiel für die erfolgreiche Kooperation des Designers mit Eternit.

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Stichwort Design focus Kooperation

bewährte Wege und Strukturen zu verlassen. Bei der Kooperation mit externen Designern bleiben die natürlich nicht unberührt.

departure möchte mit dem Call focus Koopera-tion dazu beitragen, derartige Kooperationen zu fördern. Worauf sollte dabei besonders Wert gelegt werden?Allein das Aufzeigen von erfolgreichen Koope- rationsmodellen ist schon enorm wichtig. Es macht anderen, auch kleineren und mittleren

Unternehmen, Mut, einen zunächst vielleicht schwierigeren Weg zu gehen und sich neuen Parametern zu öffnen. Man sollte auch die wichtige Rolle betonen, die Designer und Designprodukte bei der Unterscheidung von Mitbewerbern spielen, und nicht zuletzt: Wenn Produkte mit Designpreisen ausge-zeichnet werden und damit öffentlich ganz anders wahrgenommen werden, stärkt das auch die Identifizierung jedes einzelnen Mitarbeiters mit dem Unternehmen. •

Page 33: White Paper: focus Kooperation

»KOOPERATION BEDEUTET

ZUSAMMENWIRKEN«

CARL FRECHDesigner

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Stichwort Multimedia focus Kooperation

Stichwort Multimedia

In den Multimedia-Industrien haben sich gänzlich neue Formen der Kooperation entwickelt, die zunehmend auch tradierte Wertschöpfungs- und Geschäftspraktiken radikal in Frage stellen. Koope- rationen, bei denen die Grenzen zwischen Produk- tion und Konsum verschwimmen und die Trennung zwischen Urhebern und Nutzern immer weniger klar getroffen werden kann. Das liegt vor allem an der wachsenden Komplexität sowie der rasenden Ent- wicklungsdynamik des Multimediabereichs. Zu diesem gehören zentral die Bereiche Gaming, Web-, Internet- und Mobilkommunikation sowie die content- zentrierte Hardware- und Software-Industrie. In einem breiteren Sinn reicht er aber bis in das klassische Verlagswesen, in Presse-, Radio- und Fernsehunternehmen und medienartig agierende Firmen hinein.

Querverweise Tassilo Pellegrini: Jenseits des eigenen Schaffens-horizonts S. 34 Interview Florian Kaps: »Da kommen Sachen heraus, an die man im Vorhinein gar nicht denkt« S. 38

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Stichwort Multimediafocus Kooperation

Jenseits des eigenen SchaffenshorizontsIn den Multimedia-Industrien haben Kooperationen längst strukturgebenden Charakter.

Gastkommentar von Tassilo Pellegrini

Der Autor Tassilo Pellegrini ist Dozent im Fachbereich Medienmanage-ment der Fachhochschule St. Pölten. Als Co-Gründer und Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Wiener Semantic Web Company GmbH ist er auch praktisch intensiv in kooperative webbasierte Arbeitsformen involviert.

Kooperation und der damit verbundene offene Systemcharakter sind Voraussetz- ungen für Prosperität und Nachhaltigkeit in vernetzten Gesellschaften. Denn Kooperationen verringern Unsicherheit, ermöglichen das Pooling von Expertise und Kompetenz und eröffnen Optionen, die über das individuelle Vorstellungs-und Handlungsvermögen hinausgehen. Besonders unter hochgradig arbeits- teiligen Produktionsbedingungen, wie sie in den Multimedia-Industrien allge- genwärtig sind, haben Kooperationen einen strukturgebenden Charakter; zumal mit der produktionstechnischen Ausdifferenzierung ein höheres Komplexitäts- niveau an Produkten und Dienstleistungen einhergeht, das nur durch die funk-tionale und synergetische Kopplung von Ressourcen und Produktionsmitteln bewältigt werden kann. Und dort, wo sich klassische Wertschöpfungsketten zu dynamischen Wertschöpfungsnetzwerken erweitern, tauchen gänzlich neue Formen der kooperativen Leistungserbringung auf, in denen die Aktivierung von Handlungsoptionen, Produktionsmitteln und Innovationsleistungen nicht über Kontrolle, sondern über den kontrollierten Verlust der Verfügungsgewalt über Ressourcen erfolgt. Die dieser Logik zugrunde liegenden Denkmuster, Prozesse und darausresultierenden Produktinnovationen machen es jedoch notwendig, ökonomische Konzepte wie Wert, Eigentum, Verbrauch und Produktion neu zu definieren.

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Stichwort Multimedia focus Kooperation

Aus der Vielfalt schöpfen: Kooperation, Partnerschaft, Allianz & Co

Kooperationsformen können sehr vielfältig sein und verbergen sich hinter Bezeichnungen wie Partnerschaft, Konsortium, Koalition, Allianz, Joint Venture, Assoziation, Konglomerat, Konzil, Task Force oder einfach Arbeits- gruppe. Aktuelle Kooperationsphänomene, die insbesondere auf dem Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien beruhen, kommen als Mobs, Crowds, Swarms oder Hives daher und geben dem Umstand Aus- druck, dass strenge Formalismen der Zusammenarbeit an Relevanz verlieren, die Grenze zwischen Produktion und Konsum zunehmend verschwimmt bzw. die Trennung zwischen Urhebern und Nutzern eines Produktes nicht mehr klar getroffen werden kann.

All diese Erscheinungsformen zeugen davon, dass je nach kulturellen Umfeld- bedingungen sowie (kollektiver) Verfügungsgewalt über Produktionsmittel und Infrastruktur sehr unterschiedliche Modi der Organisation möglich sind, um gemeinschaftlich Probleme zu lösen und Entwicklung unter gegenseitigem Nutzen zu initiieren. Denn aus wirtschaftlicher Perspektive befähigen Koope- rationen zur Herstellung höherwertiger (und damit auch komplexerer) Produkte und Dienstleistungen, sie verbessern die Voraussetzungen für den Markt- eintritt, reduzieren das Risiko des Scheiterns und eröffnen Handlungsoptionen über den individuellen Horizont hinaus. Kurz: Kooperationen sind eine Rückversicherung in einer sich stetig dynamisierenden und beschleunigenden Gesellschaft (Rosa 2005).

Offene Prozesse und hybride Verwertungslogiken

Open Source, Open Innovation, Open Business Models sind nur einige Schlag- worte in der aktuellen Diskussion um neue Formen der Wertschöpfung in ko- operativen Strukturen. Der US-amerikanische Sozioökonom Yochai Benkler hat für diese zeitgenössischen Organisationsformen den Ausdruck »commons-based peer production« (Benkler 2006) geprägt, womit er unter anderem auf den Um- stand Bezug nimmt, dass wir, vermittelt durch neue Informations- und Kommu- nikationstechnologien, die Möglichkeit haben, mit Menschen in Interaktion zu treten, die uns weder bekannt noch vertraut sein müssen, um komplexe Aufgaben zu lösen, sofern die Ziele, Zuständigkeiten und funktionalen Abhängigkeiten (mehr oder weniger) klar definiert sind und eine diesen Prozessen adäquate materielle und rechtliche Infrastruktur – z. B. in Form von offenen Kommuni-kationsnetzen oder Immaterialgüter- und Verwertungsrechten – existiert bzw. bereitgestellt wird. Diese neuen und erweiterten Formen der Wertschöp- fung sind jedoch nur dann wirtschaftlich praktikabel, wenn sie ergänzend zu konventionellen Verwertungsmechanismen kultiviert und eingesetzt

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Stichwort Multimediafocus Kooperation

werden. Doch gerade dieser kombinierte, hybride Ansatz neuer Verwertungs- logiken macht oftmals einen radikalen Wandel tradierter Wertschöpfungs- und Geschäftspraktiken notwendig und bedingt ein erweitertes Verständnis von Wertschöpfung.

Dazu gehört erstens, Kooperation als kontinuierliches Moment zu verstehen, das in eine Mentalität der Offenheit und des Teilens eingebettet ist; wobei zu Beginn oftmals nicht klar vorhersagbar ist, welcher konkrete Vorteil, Mehrwert oder auch Profit mit einer solchen Strategie generiert werden kann. Zweitens bedarf es des Verständnisses, dass eine Offenheitsstrategie keiner binären Logik folgt, sondern dass frei zur Verfügung gestellte Ressourcen meist nur einen Bruchteil der dahinterliegenden Ressourcenbasis ausmachen, diese in unter- schiedlichen Offenheitsgraden verfügbar gemacht werden und in den seltensten Fällen die geschäfts- und gewinnkritischen Produktivfaktoren eines Unterneh- mens betreffen. Drittens ist zu beachten, dass in kooperativen Strukturen neben vertragsrechtlichen Arrangements Faktoren wie Sympathie, Vertrauen und ein geteiltes Verständnis von Professionalität die wichtigsten Koordinationsinstru- mente für ein reibungsloses Funktionieren darstellen und dass sich diese Aspekte etwa im Verlauf einer Kooperation erst (stufenweise) entwickeln und intensivie-ren. Viertens ist Kooperation selten altruistisch, oftmals zweckgebunden, aber immer funktional – zumindest vorübergehend – und bringt Verpflichtungen mit sich, die sich nach Marshall Sahlins (1969) am besten mit dem Zweckcharakter von Geschenken vergleichen lassen. Anders als im bloßen Tauschhandel gehen Nehmer und Geber eine moralische Bindung ein, die für den Zeitraum des gemeinsamen Projektes erhalten und gepflegt werden muss.

Praktiken der Kooperation in den Multimedia-Industrien

Der Kulturwissenschaftler Brad Haseman verortet in seiner Genealogie des kreativen Handelns (2005) einen kulturübergreifenden Katalog an Praktiken, der auch für Multimedia-Industrien Gültigkeit hat. Dazu zählen 1. Offenheit als Grundbedingung emergenter Prozesse und Produkte, um aus bereits be- kannten Elementen, Materialien und Methoden Neuartiges zu entwerfen, zu komponieren und zu arrangieren; 2. Interaktivität und Transdisziplinarität als Voraussetzung für neue Formen des Interaction Design und der Gestaltung immersiver Erlebnisräume; 3. Hybridität als Ausdruck kombinierter Produk- tions- und Distributionslogiken von Ideen, Inhalten und Materialien; 4. Kombination neuer Orte und Formen der kulturellen Produktion und Dis-tribution, z. B. durch die Nutzung neuer Informations- und Kommunikations-technologien; und 5. kommerzieller Bezug des kreativen Handelns zu realen wirtschaftlichen Bedürfnislagen und Interessen der Beteiligten.

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Stichwort Multimedia focus Kooperation

Damit kommt zum Ausdruck, dass kreative Praktiken sowohl einen eklektizis- tischen als auch kooperativen Charakter haben, der erst durch seine spezifische produktive Kombinatorik radikal innovativ und disruptiv wird; sei es dadurch, dass vermeintlich komplexe Produkte und Dienstleistungen erst ermöglicht oder simplifiziert bzw. strukturelle Abhängigkeiten zum Wohle der Beteiligten neu geordnet werden. Kooperationen schaffen dadurch Mehrwert an Stellen, an denen sich die Möglichkeiten der nur der eigenen Schaffenskraft vertrauenden Kreativen erschöpft. Entsprechend sind Kooperationen immer auch eine Chance, über den eigenen Schaffenshorizont hinauszuwachsen – zum gegenseitigen Nutzen der daran Beteiligten. •

Essentials Es gibt unterschiedliche Formen der Kooperation; strenge Formalismen der Zusammenarbeit verlieren aber mehr und mehr an Relevanz Vertrauen und ein gemeinsames Verständnis von Professionalität sind zentrale Instrumente für erfolgreiche Koope- rationen Kooperationen schaffen Mehrwert an Stellen, an denen sich die Möglichkeiten der nur der eigenen Schaffenskraft vertrauenden Kreativen erschöpfen Ziele, Zuständigkeiten und funktionale Abhängigkeiten müssen klar definiert sein, um komplexe Aufgaben gemeinsam lösen zu können Kontinuierliche Kooperationen, eingebettet in eine Mentalität der Offenheit und des Teilens, führen zu einem neuen Verständnis von Wertschöpfung

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Stichwort Multimediafocus Kooperation

2008 wurde in den Polaroid-Fabrikhallen in Enschede/Niederlande das Ende der Sofort- bildfilme mit einem Abschiedsevent gefeiert. Der Wiener Unternehmer Florian Kaps, der bereits 2005 begonnen hatte, über seine Inter- netplattform (Rest-)Bestände von Polaroid-Filmen zu verkaufen, feierte mit und machte aus der Abschiedsfeier in wenigen Stunden eine Welcome-Party für sein »Impossible Pro- ject«: die Weiterentwicklung der Sofortbild- fotografie. Die Hallen wurden gemietet, die Maschinen gekauft und unter Einbeziehung ehemaliger Polaroid-Mitarbeiter machte man sich an die Neu-Entwicklung. Zwei Jahre später wurden die ersten neuen Sofortbild- filme präsentiert. Das Interview mit Florian Kaps, dessen nächstes Ziel die Kreation und Produktion neuer Kameras ist, führte Caro Wiesauer.

Die Erfindung der Sofortbildkamera ist über 60 Jahre her. Ihr »Impossible Project« trägt gleichermaßen nostalgische wie innovative Züge.Genau. Es ist ein Spagat, eine Mischform. Ich habe 2004 diese Art des Fotografierens für

mich entdeckt und festgestellt, dass es zwar noch sehr viele Kameras und Filme gibt, aber keine Kommunikation darüber. Deshalb habe ich eine Internetplattform gestartet und dazu eingeladen, Bilder hochzuladen. Das Ergebnis: Auf der einen Seite gibt es Leute, die das Fotografieren mit einer Sofortbildka- mera immer schon und immer noch spannend finden und die ihre alten Kameras hegen und pflegen. Aber es haben auch erstaunlich viele junge Leute darauf reagiert. Aufgrund ihrer eigenen digitalen Vergangenheit finden sie das Haptische, Angreifbare, Unwiederbringliche faszinierend; und sie lieben das Experimentie- ren mit der Kamera.

Was hat Sie dazu motiviert, aus einer Leidenschaft ein Business zu machen?Mich hat das Medium in seiner ganzen Viel- schichtigkeit fasziniert. Was mich aber am meisten gereizt hat, war die Kombination mit dem möglichen wirtschaftlichen Aspekt dahinter. Es gibt noch über 200 Millionen funktionierender Polaroid-Kameras auf der Welt. Die Exklusivität, eine Fabrik zu haben, die das Fotomaterial dafür beinahe noch in

Florian Kaps über den Erfolg seines »Impossible Project« und die faszi-nierenden Möglichkeiten von Kooperationen in der Kreativwirtschaft.

»Da kommen Sachen heraus, an die man im Vorhinein gar nicht denkt«

Interview mit Florian Kaps

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Stichwort Multimedia focus Kooperation

Handarbeit herstellt, fand ich sehr spannend, und damit verbunden natürlich auch die Ge-schichte und die starke Emotion dieses Pro- dukts. Aber von Anfang an war mir wichtig, dass der geschäftliche Charakter des Projekts nicht versteckt, sondern in den Vordergrund gestellt wird. Ich wollte kein Kunstprojekt machen, sondern aus ein paar Komponenten, die aus der Vergangenheit kommen, ein jetzt funktionierendes Geschäftsmodell aufbauen. Das war für manche Journalisten enttäu- schend, als sie bei der Präsentation in der Fa- brik sahen: »Was, da gibt es Angestellte, die bezahlt werden, das ist ja total uncool!« Ich sehe das anders. Ein kreatives Projekt ist erst dann spannend, wenn es auch wirtschaftlich ist. Design ist erst dann spannend, wenn es eine Funktion unterstützt. Ein Kunstprojekt ist erst dann erfolgreich, wenn Menschen Geld dafür bezahlen.

Apropos Geld ausgeben: Sie mussten einiges an Geld – über zwei Millionen Euro – ausgeben, um diese Fabrik zu kaufen.Ja, unglaublich viel Geld ausgeben und viele Leute davon überzeugen, dass das ein funkti- onierendes Geschäftsmodell sein kann! Meine Chance war, dass ich schon ein funktionie- rendes Business mit dem Onlineverkauf der Filme hatte. Es gab also Kunden, Interesse und Umsätze. Die alte Firma Unverkäuflich wurde integriert in die neue Impossible GmbH. Zur Finanzierung wurden Friends und Family eingeladen, Anteile zu erwerben. Leute, die ein Produkt oder den kreativen Aspekt dahin- ter mögen, sind eher dazu bereit, zu investie- ren. Aber ohne wirtschaftlichen Background, ohne langweilige Businesspläne und Wachs- tumskurven geht das nun einmal nicht.

Aber Sie sind doch eigentlich Biologe?Genau, deshalb habe ich zwei Partner reinge- holt, einen für die Produktion und den anderen für Wirtschaft und Finanzen. Das

war immer ganz klar definiert: Mein Part ist der kreative, also über Marketing, Verkauf und Website Geschichten zu erzählen. Dann gibt es den technischen Prozess und dann den Job, das Projekt in Zahlen und in die Sprache von Investoren und Banken zu übersetzen. Gerade dadurch macht aber ein Projekt erst richtig Spaß, weil es an Seriosität gewinnt. Der Mensch braucht Wasser, Essen, Liebe – und er muss Geld verdienen. Mit Liebeleien bleibt man eher Außenseiter, und das will man doch eigentlich nicht.

Haben Sie keine Sorge, dass der Hype ums Sofortbild wieder abflauen könnte?Es kann mir niemand einreden, dass es einer Sache guttut, wenn man ihre gesamte Infor- mation in 0 und 1 umrechnet, egal wie fein man das macht. Gut, es hat viele Vorteile, aber es geht auch viel verloren. Die analoge Foto- grafie wird immer ihre Faszination haben. Man muss jemandem nur ein Bild hinhalten,

Mit einem Team von zehn ehemaligen Polaroid-Mitarbeitern, die bereits seit Jahren im Werk in Enschede gear- beitet hatten, wurde der Neuanfang der Sofortbildfotografie begonnen.

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Stichwort Multimediafocus Kooperation

das sich in seiner Hand entwickelt. Analog und digital können gut nebeneinander existieren.

Der nächste logische Schritt ist die Herstellung neuer Kameras. Haben sich Ihre Pläne dafür schon konkretisiert?Ja, die Entwicklung des technischen Teils ist mit Hilfe eines Berliner Design-Professors fertig, der ist begeistert reingekippt auf das Thema. Ich hätte mir das nie leisten können, wenn er gesagt hätte, erst Geld, und dann überleg’ ich es mir. Und auch eine Firma, die früher analoge Kameras produziert hat, ist bereits mit im Boot. Auch hier ist wieder die Trennung wichtig. Ich bin ein Fan des Ver- netzens mit jeweiligen Experten. Auf Basis des hochspezifischen Unterteils, das die Ent- wicklung macht, kann nun jeder eine Kamera bauen. Wir stellen das Teil zur Verfügung, befreien die kreative Energie und man kann damit die absurdesten Applikationen und Kameras bauen. Mein Traum wäre eine Wett- bewerbsausschreibung, bei der möglichst viele unbekannte Leute mitmachen. Wir würden dafür die Plattform und die Produktion zur Verfügung stellen. Die Kreativen könnten sich dann auf das konzentrieren, was ihnen am meisten Spaß macht. Und es kommt etwas dabei raus, was man verkaufen kann, und en- det nicht beim Entwurf. Die Stückzahlen sind ja meist das Problem. Wir können Mengen produzieren, die ökonomisch Sinn machen.

Das heißt, in dem Fall wären Sie der produzie-rende, wirtschaftliche Part, der einem Kreati-ven die Möglichkeit zur Kooperation gibt?Genau. Ich sehe meine Company prinzipiell nicht als eine kreative – meine Kreativität besteht darin, andere Menschen dazu zu inspirieren, kreativ zu sein. Unsere ganze Kommunikation basiert auf vom User gemach-ten kreativen Werken. Das Ganze auf die Hardware umzulenken wäre superspannend. Vielleicht können wir im Herbst bei der Photokina in Köln bereits einen Prototyp

präsentieren. Ich freu’ mich da schon sehr drauf, es werden Sachen dabei rauskommen, die man so im Vorhinein gar nicht denken kann! Es geht ja nicht nur um die kreative Ge- staltung eines Gehäuses, sondern auch um Anwendungen: Man könnte mit Wärme oder Mikrowellen oder Röntgenstrahlen was ma- chen oder eine Maschine einbauen, die Gedankenblitze aufnimmt. Und auch das Ma- terial ist jetzt soweit entwickelt, dass ein Künstler sagen kann: Ich brauch einen Infra-rot-sensitiven Film oder ich hätt gern einen Fehlfarbenfilm. Das alles können wir on demand herstellen. Und auch das ist letztlich eine spannende, kreative Art der Kooperation.

Was empfehlen Sie jemandem, der eine kreative Idee hat, aber nicht weiß, wie er sie umsetzen kann?Also ich glaube sehr stark an die Teilung und Verknüpfung von Arbeit. Daran, dass man nicht alles selber machen soll, sondern Partner dazu holt, die wiederum genau die Komponen-ten, die einem selbst fehlen, spannend finden.

Das heißt, der Call focus Kooperation von departure müsste eigentlich ins Volle treffen.Das macht absolut Sinn und war höchste Zeit! Die Grundidee, Kreative und Industrie für gemeinsame Entwicklungen zu verbin- den, scheint einerseits romantisch, anderer- seits werden Kreative erdrückt oder als Dienstleister missbraucht. Aber die Kompo-nenten – Rechte, Erfolgsteilung etc. – sind auf alle Fälle richtig gesetzt, es wird spannend, was dabei rauskommt. Wichtig ist, dass eine Kooperation auf einer Ebene passiert und jeder seine Wertigkeit hat, es darf nicht der eine vom anderen als notwendiges Übel oder Bei-werk gesehen werden. Das genau müsste man bei diesem Call erwischen: dass sich die Parts aus ihrer gesicherten Position herauslösen und gemeinsam mit einem Win-win-Verständnis an ein Thema herangehen. •

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Stichwort Multimedia focus Kooperation

Bilder aus der Impossible Factory in Enschede, Niederlande, der ehemali- gen Polaroid-Fabrik, die Florian Kaps nach der Produktions- einstellung kaufte.

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HERMANN FANKHAUSERWendy&Jim

»ES GEHT GANZ KLAR UM DEN MEHRWERT

FÜR BEIDE SEITEN«

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Stichwort Musik focus Kooperation

Stichwort Musik

Musik ist Kulturgut, Wirtschaftsfaktor und Impuls- geber. Sie ist aufgrund ihrer technischen Repro- duzierbarkeit und ihrer ökonomischen Relevanz nicht nur zum Inbegriff der Kreativwirtschaft schlechthin geworden; sie spielt im Zuge des Transformations- prozesses der Kulturwirtschaft, der die einzelnen Segmente der Kreativindustrie immer näher zusam- menrücken lässt, auch eine eminent wichtige Rolle für viele andere Branchen – von der Filmwirtschaft bis zur Games-Industrie, von der Medien- bis zur Werbewirtschaft; und sie bekommt damit auch für (Konsum-) Güter- und Dienstleistungsunternehmen immer größere Bedeutung. departure hat von Anfang an auch innovative Projekte auf diesem Gebiet geför- dert, insbesondere solche, die die wirtschaftlichen Potenziale zur Erschließung neuer Distributions- und Vermarktungsmöglichkeiten der über 15.000 derzeit in Österreich arbeitenden Urheber aus allen Genres in interkreativen Netzwerken und kollaborativen Arbeitsweisen steigern helfen.

Querverweise Kooperation in der Musikbranche: Definitiv ja S. 44 Shop the pain away S. 62

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Stichwort Musikfocus Kooperation

Unterstützt von einer departure-Förderung kooperierten der Major Universal, das Independent-Label Klein Records und die Booking-Agentur Miooow für eine bessere Vermarktung von Independent-Acts. Dabei wurde versucht, die jeweiligen Vorzüge der Kooperationspartner für das gemeinsame Projekt fruchtbar zu machen: Klein Records ist ein renommiertes Independent-Label mit hoher Credibility in seinem Segment und besitzt eine sehr feingliedrige Partnerschaftsstruktur bezüglich Promotion und Vertrieb. Universal ist aus der Sicht der Nische der große, »böse« Major, aber kann mit der Vielzahl an Vor- teilen aufwarten, die nur ein großer Konzern bieten kann – Marktführerschaft, starke Vertriebsstruktur, massive öffentliche Präsenz. Was Universal nicht so gut kann, nämlich dort flexibel sein, wo Feingliedrigkeit nötig ist, und neue, noch unbekannte Acts aufbauen, ist das Spezialgebiet von Klein Records – und umgekehrt. Universal bot die Möglichkeit, beispielsweise aufstrebende heimi-sche Acts international groß zu vermarkten, Miooow besaß ergänzend dazu dierichtigen Bookingkontakte. So konnte man also in der Kooperation einen Act über feingliedrige Kanäle aufbauen; ab einer gewissen Schwelle konnte er jedoch in die großmaßstäblicheren Kanäle von Universal wechseln. Das funktionierte sehr gut, nicht zuletzt deshalb, weil die drei handelnden Personen von Seiten der drei Unternehmen – Christian Candid von Klein Records, Clemens Dostal von Universal und Wolfgang Mitter von Miooow – sich schon lange kannten.

Der Wille zur Zusammenarbeit

Nichtsdestotrotz bedeutet das Zusammenarbeiten dreier solcher Unternehmen, dass drei unterschiedliche Welten aufeinanderprallen. Das geht gut, wenn alle das gemeinsame Ziel vor Augen haben – und wenn man sich wechselseitig auf

Die Trennung zwischen Majors und kleinen Unabhängigen ist ein Leitnarrativ der Musikindustrie. Trotzdem gibt es erfolgreiche Fälle, in denen diese grundlegende Schwelle zu beiderseitigem Nutzen überschritten wird.

Kooperation in der Musikbranche: Definitiv ja

Best Practices

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Stichwort Musik focus Kooperation

die Kommunikation mit derartig verschiedenen Partnern einstellt. Wichtige Voraussetzungen dafür sind, dass alle Beteiligten wissen, was das Thema und das Ziel ist, wie die Rollen und Aufgaben verteilt sind und welche Schritte gesetzt werden müssen. Insofern war der Antrag für die departure-Förderung ein wichtiges Hilfsmittel, denn in diesem wurde detailliert festgelegt, wer was wann zu tun hat. Grundsätzlich handelte es sich um ein ungewöhnliches Projekt, das in Österreich mit kleiner Szene, in der sich die meisten kennen, also in einer Musiklandschaft mit flacher Struktur, leichter möglich ist als anderswo – schon in Deutschland sind die Voraussetzungen ganz andere, dort würde der Major vermutlich einfach das kleine Label schlucken. Das Projekt war auf Zeit angelegt und lief über drei Jahre; doch wie Clemens Dostal von Universal auf die Frage meinte, ob er es wieder tun würde: Definitiv ja. •

Cover Art für Produkte der Koopera- tion zwischen Klein Records, Universal und Miooow: Trio Exklusiv, International Standards; Bauchklang, Many People; Mauracher, Kissing my Grandma.

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focus Kooperation

Gelungene, langfristige Kooperationen sind jene, in denen Vertrauen aufgebaut und wechselseitige Anerkennung gefestigt werden, die zu einer größeren Offenheit und Transparenz, zu einem einfacheren und tieferen Zugang zu be- triebsinternen Abläufen und Know-how führen, was wiederum die Chancen für innovative Lösungen deutlich erhöht. Je mehr Einblick Kreative in Partner- unternehmen aus der klassischen Wirtschaft bekommen, je mehr Kenntnisse des spezifischen Unternehmens-Know-how sie erhalten, je umfassender sie die Unternehmenskultur, die Produktionsabläufe, die Vertriebswege und Kunden- struktur kennen, desto größer sind die Chancen, zu wirklich innovativen, zu- nächst vielleicht gar nicht angedachten Lösungen, Produkten und Dienstleistun- gen zu gelangen.

Vertrauen und Transparenz

Diese Einblicke zu gewähren, dieses Know-how nicht unter Verschluss zu halten, stößt bei vielen klassischen Unternehmen (die »Neues« oft in abgeschirmten Entwicklungsabteilungen und Labors zu produzieren gewohnt waren) aber immer noch auf große Vorbehalte. Ihre Unternehmenskultur ist (noch) nicht auf die Innovationspartnerschaften vorbereitet, die für die immer komplexeren Herausforderungen der Zukunft besser aufgestellt sind. Ob Energie oder Mobi- lität, Ökologie oder Ernährung, Informationstechnik oder Gesundheit: Ohne Kooperationen, die Bündelung von Know-how, Horizont- und Kontexterweite- rung wird in Zukunft immer weniger gehen. Was kleine kluge Unternehmen (auch und gerade in der Kreativwirtschaft) längst in funktionierende Koopera- tionen, Partnerschaften und Bündnisse übersetzt haben, gewinnt daher auch für große Unternehmen immer mehr an Reiz: Andere als Partner zu sehen, mit

Der Reiz der Kooperation: Gemeinsam stemmen, was man allein nicht schafftInnovationspartnerschaften brauchen eine neue Unternehmenskultur, die die Grenzen der alten Organisation sprengt.

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focus Kooperation

denen sich gemeinsam stemmen lässt, was man alleine nicht schafft. Oder völlig neue Produkte und Serviceleistungen zu kreieren.

Ein gutes Beispiel dafür, wie kreative »Mehrwertproduktion« durch Offenheit und Transparenz bei Kooperationen entstehen kann, ist die nun schon ins dritte Jahr gehende Zusammenarbeit des Dachdecker- und Spenglereiunternehmens Schabauer GmbH mit dem Grazer Designstudio motion code:blue.

Offenheit und Transparenz bei Kooperationen generieren auch intelligente Pro-dukte jenseits der Zielvorgaben: Dachdecker-Arbeitsoverall mit integrierter Absturzsiche-rung von motion code:blue für Schabauer GmbH.

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focus Kooperation

Ursprünglich suchte das Unternehmen nach einer kreativen Lösung für seine Blechabfälle. Im Zuge der Kooperation, bei der den beiden Designern tiefe Einblicke in das Unternehmen und die Arbeitsabläufe von Dachdeckern ge- währt wurden, sind letztlich aber zwei ganz andere Produkte entstanden, die ursprünglich gar nicht intendiert waren: Ein Dachrinnenreinigungsgerät und ein intelligenter Dachdecker-Arbeitsoverall mit integrierter Absturzsicherung mittels Gurten und Karabinern. Das patentierte System kommt nun in drei unterschiedlichen Kollektionen auf den Markt, womit sich für die Schabauer GmbH auch ein neues Geschäftsfeld eröffnet.

Kooperation und Teamarbeit

Zusammen arbeiten ist nicht gleich zusammenarbeiten. Das gilt auch bei Koope- rationen von Kreativwirtschaft und klassischen Unternehmen. Zusammen zu arbeiten kann sich auf konkrete Aufgabenstellungen (entweder die Entwicklung neuer Produkte oder Dienstleistungen) beziehen, wobei die Rollen meist klar verteilt bzw. definiert sind. Die des Kreativen zum Beispiel besteht dann primär in der formalen, ästhetischen Gestaltung des zu entwickelnden Produkts. Team- arbeit, also »Zusammenarbeiten«, geht darüber jedoch hinaus: Kreative arbei- ten mit Technikern, Management, Vertriebs- und Marketingexperten Hand in Hand, man wirft sich – auch jenseits der jeweiligen Spezialisierung – gegenseitig Aufgaben zu und verteilt Zuständigkeiten auf alle Teammitglieder. Das bricht häufig Blockaden oder eingespielte Denk- und Arbeitsmuster auf, die Kreativität und Innovationen vielfach durch den »engen Blick« verhindern oder erschweren.

Im Gegensatz zu Kooperationen lassen sich Netzwerke als meist lose, vertrag- lich nicht festgelegte, mitunter aber hochkomplexe Beziehungen zwischen heterogenen »Spielern« (Einzelpersonen oder Repräsentanten von Unternehmen, Verbänden, Vereinen etc.) definieren. Sie gelten als jene Orte bzw. Systeme, an/in denen im 21. Jahrhundert Wissen und Ressourcen zu Innovationen kombi- niert werden. Das »Neue« entsteht – so die Netzwerktheorie – heute nicht mehr »in«, sondern »zwischen« einzelnen Forschungs-, Entwicklungs-, Gestaltungs- und Produktionseinheiten. Es entsteht nicht in der »Tiefe« einer Disziplin, sondern »inter-disziplinär«.

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focus Kooperation

Netzwerke und innovative Geschäftsmodelle

Netzwerke funktionieren, auch wenn sie sich häufig lokal (selbst) organisieren, auch als inter-regionale bzw. inter-nationale Beziehungssysteme. Explizite Innovationsnetzwerke bestehen – im Unterschied zu primär auf einfache Hilfe- stellungen ausgerichteten Branchen-Netzwerken – fast immer aus heterogenen, aus unterschiedlichen Branchen und Unternehmen kommenden Personen und Institutionen. Sie werden sowohl von kleinen als auch von großen Mitspielern primär strategisch genutzt (sind also nicht projekt- bzw. produktorientiert) und unterscheiden sich dadurch von Kooperationen. Sie dienen als Brücken in wei- tere Netzwerke, als Vermittler von neuen Partnern und Kunden, als Ideengeber und »Wissensbroker«, als Instrumente zur Verbesserung der »Marktmacht«, als Door-Opener, »Akzeptanzbeschaffer« und zur Akquirierung von Kapital. Das Profitieren innerhalb von Netzwerken ist – im Unterschied zu projekt- bzw. produktbezogenen, oft temporären Kooperationen – nicht an definierte Zusammenarbeit gebunden. Kreative wie auch klassische Unternehmen können von Netzwerkpartnern auch dann profitieren, wenn sie nicht explizit zusammen arbeiten. •

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MARKUS FELMAYERIBM Austria

»MIT EINER FÖRDERUNG TUT

SICH EIN UNTERNEHMEN

LEICHTER«

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Stichwort Mode focus Kooperation

Stichwort Mode

Nicht nur die Erfolgsstory von Wendy&Jim hat Wien aus der Peripherie der Fashion-Welt gepusht. Auch viele andere Namen stehen für den Aufschwung dieses heimischen Kreativwirtschaftszweiges. Und er bietet auch klassischen Textilunternehmen, Beklei- dungs-, Schuh- und Sportartikelherstellern vielfälti- ge Chancen, eröffnet neue Märkte und interessante Nischen. Wie auch Vertreter aus anderen Bereichen der Kreativwirtschaft kooperiert die neue Generation der Modemacher gerne auf unterschiedlichen Ebe-nen und in unkonventionellen Zusammenhängen: mit Künstlern, mit Handwerkern, mit Wissenschaftlern, um neue (nachhaltige) Materialien zu erproben, funk- tionelle Arbeitskleidung zu entwerfen oder völlig neue Vertriebswege zu finden. Modemachen heißt längst nicht mehr nur Kleider zu entwerfen, sondern auch Textilien mit biotechnologischen Methoden herzu- stellen, technische Funktionen in Kleidungsstücke einzubauen oder sie mit Informations- und Kommuni- kationstechnologien zu kombinieren.

Querverweise Bradley Quinn: Kooperationsutopie Mode S. 52 Interview Wendy&Jim: »Aus nichts etwas machen, und das laut,

das können wir« S. 58 Shop the pain away S. 62

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Stichwort Modefocus Kooperation

Kooperationsutopie ModeDie Zusammenarbeit von Couturiers und Designern mit Biomimetikern und Biotechnologen wird in Zukunft unsere Vorstellung von Kleidung revolutionieren.

Der Autor Bradley Quinn ist einer der führenden britischen Design-kritiker und Fashion Trend Scouts sowie Autor zahlreicher Bücher über zeitgenössische und zukünftige Entwicklungen in den Bereichen Archi-tektur, Design und Mode.

Heute eröffnen sich immer neue Horizonte für die Mode, und damit beginnt sich auch das Potenzial kreativer Kooperationen zwischen aktuellem Mode- design und traditionellen Branchen abzuzeichnen. Die Art, wie wir Mode erleben, wandelt sich dramatisch, und auch die Verfahren der Gestaltung, Ent- wicklung und Herstellung von Kleidung werden, so viel ist sicher, in Zukunft radikal andere sein. Eine neue Generation von Modedesignern entwirft Formen und Materialien von morgen, wodurch sie – im Einklang mit Entwicklungen in Landwirtschaft, Wissenschaft, Technologie und Sicherheitswesen – neue Mög-lichkeiten der Zusammenarbeit schafft. Die so entstehenden Entwürfe werden die Grenzen zwischen Natur und Wissenschaft überwinden und dem Träger neue Erfahrungen ermöglichen. In der Mode der Zukunft werden Kommunika- tionstechnologie, IT-Systeme und Gesundheitssoftware eine große Rolle spielen und dadurch Eigenschaften und Anwendungsbereiche revolutionieren. An der Schnittstelle zwischen Mode und anderen Branchen entstehen so neue wirt- schaftliche und unternehmerische Möglichkeiten und damit neue Plattformen für Handel und Kreativwirtschaft.

Mode und Wissenschaft

Die Welten der Mode und der Wissenschaft verschmelzen. Viele der jüngsten Entwicklungen in der Materialwissenschaft werden erst aufgrund des Interes- ses der Konsumenten an Nachhaltigkeit und umweltschonenden Produkten in die Wege geleitet. Einige Wissenschaftler orientieren sich dabei an lebenden

Gastkommentar von Bradley Quinn

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Stichwort Mode focus Kooperation

Systemen und entwickeln mit Designern Kleidung, die auf in der Natur existie- renden Prozessen beruht. Stoffe aus Zellulose, die aus Meereslebewesen gewon- nen werden, oder pflanzliche Gewebe und Fasern mit natürlicher Haftkraft sind schon heute Alternativen zu Baumwollstoffen und synthetischen Textilen.

Dank der Wissenschaft der Biomimetik, die Tiere und Pflanzen und deren Systeme und Prozesse untersucht, kann die Natur als Vorbild für die Schaffung neuer Formen von Mode genutzt werden. Die neu verfügbaren, biotechnisch erzeugten Fasern und Fasertechnologien initiieren einen Innovationsschub im (Mode-)Design. Wissenschaftler und Mikrobiologen entwickeln Textilien, die sich eher wie lebendes Gewebe denn wie Modestoffe verhalten und den Körper mit einer lebendigen und atmenden zweiten Haut umgeben. Genauso wie die Züchtung pflanzlicher Proteinquellen wie Soja als Ersatz für tierisches Fleisch möglich ist, können organische Verbindungen aus Enzymen und Aminosäuren zu tragbaren Entwürfen werden.

Landwirtschaft in der Garderobe

Fortschritte in der Biotechnologie machen es möglich, Kleidung wie Kultur- pflanzen anzubauen, statt sie maschinell herzustellen. An der University of the Arts London züchtet die Forscherin Suzanne Lee harmlose Bakterien, die aktive Enzyme und Zellulosefasern zu einem textilähnlichen Material verkleben und so ganz ohne künstlich hergestellte Substanzen eine Membran auf pflanzlicher Basis produzieren. Lee gestaltet aus diesem Material Kleidungsprototypen und hofft so, Entwürfe für eine nachhaltige und umweltfreundliche Mode anzure- gen. Lees Ziel ist es, das große Potenzial mittels Mikroorganismen erzeugter biologischer Materialien sichtbar zu machen, selbständig wachsende Kleidung zu entwickeln und damit Modedesign radikal zu verändern.

Der Erfolg genetisch modifizierter Pflanzen ermöglicht es, Hybride aus Obst- und Gemüsesorten zu züchten. Genetische Modifikationsverfahren können eingesetzt werden, um eine größere Bandbreite von Kulturpflanzen als die heu- te angebauten heranzuzüchten; in einem nächsten Schritt könnten Kleidungs- stücke aus Saatgut wachsen und dann geerntet werden, sobald sie reif sind. Suzanne Lees Forschungen zeigen, dass Mikroorganismen tragbare biologische Materialien produzieren können. Wenn Pflanzen durch biotechnologische Mit- tel Kleidung herstellen, bestehen die dadurch gewonnenen Stoffe ausschließlich aus organischen Materialien, die am Ende ihrer Lebensdauer biologisch abbau- bar sind. Diese Methode der Produktion von Biomaterialien bedeutet nicht nur effizienten Ressourceneinsatz – der gesamte Prozess ist darüber hinaus abfallfrei.

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Stichwort Modefocus Kooperation

Wellness zum Anziehen

Die Kleidung der Zukunft wird den Gesundheitszustand des Trägers feststellen und ihn mit Medikamenten versorgen können; außerdem wird sie seine Lebens- kraft steigern, indem sie ihm über die Haut Vitamine und Stimulanzien zuführt. Diagnosesysteme, die die Atemtätigkeit, den Herzschlag und die Temperatur überwachen, können in Kleidung eingearbeitet werden und die Vitalparameter des Patienten drahtlos an medizinisches Personal übermitteln. Die Wundhei- lung kann durch Kleidung gefördert werden, die durch ihre Gestaltung Be- schwerden lindert, die Blutzirkulation verbessert und Schweiß aufsaugt. Eigens für medizinische Anwendungen entwickelte Kleidung wird über integrierte Blutdruckmanschetten und tragbare Abtastgeräte oder sogar über eingebaute Schienen, Stützbänder und Verbände verfügen, die sich nahtlos in das Klei- dungsstück einfügen und so unsichtbar werden.

Die Kleidung der Zukunft kann darüber hinaus den Energielevel des Trägers anheben und ihm helfen, sich vitaler zu fühlen. Die Schweizer Textilexperten von Schoeller haben Energear entwickelt, ein Gewebe, das die vom Körper ausgehenden Wärmewellen (wissenschaftlich gesprochen: Strahlen aus dem fernen Infrarotspektrum) nutzbar macht und sie zur Verbesserung des körper- lichen Befindens einsetzt, statt sie entweichen zu lassen. Indem er die Strahlen auf den Körper zurücklenkt, stärkt dieser Stoff die Blutzirkulation und hebt das Sauerstoffniveau im Blut. Die daraus entstehende regenerierende Wirkung steigert das körperliche Leistungsvermögen, verbessert die Konzentrations- fähigkeit und verhindert verfrühte Ermüdung. Aus Energear kann auch Alltags- kleidung hergestellt werden.

Sicherheit und Tarnung

Das Bedürfnis nach stärkerer persönlicher Sicherheit veranlasst Designer, Klei- dung zu entwerfen, die das Sicherheitsempfinden des Trägers steigern. Seit dem 11. September leben wir in einer Kultur verschärfter Sicherheitsmaßnahmen; Überwachungssysteme, Sicherheitsbeamte, Röntgenkontrollen und Metallde- tektoren sind beinahe überall. So wie der Einzelne seine persönliche Sicherheit selbst in die Hand nimmt, wird er sich wahrscheinlich mit tragbaren Geräten, die er selbst aktivieren kann, sicherer fühlen, als wenn er sich auf den Schutz verlässt, den aus der Ferne gesteuerte Überwachungssysteme ermöglichen.

Adam Whiton, ein Forscher am Massachusetts Institute of Technology (MIT), hat eine schützende Überjacke geschaffen, die ein elektrisches Feld aufbauen kann. Die Jacke hat eine äußere Schicht, die eine elektrische Ladung freisetzt, wenn der Träger angefasst, festgehalten oder seiner Bewegungsfreiheit beraubt wird, und kann ihn so vor Angreifern schützen. Die Ladung ist stark genug, um den

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Stichwort Mode focus Kooperation

Griff eines Angreifers zu lösen – er wird sich gut überlegen, ob er es ein zweites Mal versucht. Andere Forscher am MIT haben flüssige Metallpartikel entwickelt, die fest werden, wenn sie einem Magnetfeld ausgesetzt werden. Auch sie kön- nen in Schutzkleidung eingesetzt werden. Ein solches Kleidungsstück erstarrt auf Knopfdruck, um den Träger zu schützen, und kann sogar kugelsicher werden.

Biosensoren-Technologie könnte die Schutzwirkung eines Kleidungsstücks steigern, indem es Reize in der Umwelt wahrnimmt und auf sie reagiert. In den Stoff eingearbeitete chemische Biosensoren-Netzwerke könnten Informationen über die Personen rund um den Träger sammeln. Biosensoren könnten das Geschlecht einer anderen Person bestimmen, ihren Gefühlszustand feststellen und sie auf forensische Hinweise auf andere Orte, an denen sie sich zuvor auf- gehalten hat, abtasten. Dadurch könnte die Kleidung praktisch für ihren Träger »sehen« und »riechen« und womöglich aggressive Regungen oder bösartige

Das Kleid Skin Bubelle wurde im Design-Probes-Programm von Philips entwi-ckelt, es besteht aus blasenarti- gen Formen, die abhängig von den Emotionen der Träger leuchten.

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Stichwort Modefocus Kooperation

Absichten erkennen. Solche Kleidungsstücke könnten sogar durchsickernde Giftstoffe »riechen« und entweichende Gase »sehen« und ihre Trägerin auf sie aufmerksam machen, bevor sie Schaden anrichten können.

Diese und ähnliche Innovationen versprechen, den Nutzen von Überwachungs- anlagen zu maximieren – oder sie womöglich sogar überflüssig zu machen. Indem sie Funktionen übernehmen, die normalerweise von der Sicherheitsbran- che wahrgenommen werden, können Modedesigner Entwürfe schaffen, die ein nie dagewesenes Maß an Sicherheit bieten.

Techno-Mode

Die Mode fängt mittlerweile an, die bisher für sie charakteristische Technolo- gieferne abzuschütteln und die drahtlose Zukunft für sich zu entdecken – sie gehört so zu den visionärsten Ausdrucksformen von Technologie heute. Der rasante Fortschritt der Technologie und die unaufhörliche Weiterentwicklung der Ästhetik in der Mode ergänzen einander; die Tragbarkeit von Kleidungs- stücken macht drahtlose Technologie noch mobiler. Hochleistungsfasern in Verbindung mit leitenden Materialien können Kleidungsstücke in interaktive Geräte verwandeln, die in drahtloser Kommunikation an andere Systeme an- schließen. Dadurch kann Kleidung ganz neu aufgefasst werden: als Struktur aus elektronischen Materialien, die untereinander kommunizieren, inter- agieren und auf Anweisung ihre Farbe, Oberflächenbeschaffenheit und Form ändern können.

Elektronische Fasern, die elektrische Impulse weiterleiten können, vermögen Daten zwischen mikroelektronischen Komponenten und Anschlüssen zu über- tragen, die nahtlos in die Textilien integriert sind. So können Kleidungsstücke wie Recheneinheiten fungieren, die Informationen über winzige Leiter, Schalt- kreise, Siliziumchips und Sensoren übermitteln und durch Übertragungsgeräte und eingewobene Antennen Daten mit anderenorts befindlichen Systemen aus- tauschen. Damit dieses drahtlose Zusammenspiel reibungslos abläuft, werden Parameter der Benutzerfreundlichkeit bei der Gestaltung von Technologie zum Anziehen einschließlich der Kleidungsstücke selbst berücksichtigt. So wächst dem Modedesign eine zentrale Rolle in der heutigen technologischen Entwick- lung zu: Es wird möglich, Kleidungsstücke mit Blick auf die Bedürfnisse von Technologiekonsumenten zu entwerfen.

Praktiker aus der Mode- und der Technologiebranche arbeiten zusammen, um Wege zu entwickeln, die uns Benutzern den Umgang mit unseren Computern bequemer macht. In den letzten Jahren sind Computer und Laptops benutzer- freundlicher geworden, aber sie zwingen den Anwender noch immer zu einer sitzenden oder stehenden Haltung und beschränken seine Interaktion mit dem

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Stichwort Mode focus Kooperation

Gerät auf seine Fingerspitzen. Modedesigner bringen ihr Wissen um die Proportionen und Haltungen des Körpers sowie ihre Einsichten bezüglich der Rollen von Haptik und Berührung ein, um Vorschläge zu machen, wie der ge- samte Körper in die Interaktion mit dem Computer einbezogen werden kann.

Hybride Kleidung

Sind Computer irgendwann vollständig in die Kleidung integriert, so wird Mode in Zukunft vielleicht einfach eine weitere Form der Datenspeicherung darstellen. Kleidungstücke könnten eine große Bandbreite von Sensoren und Mikroma- schinen enthalten, außerdem Geräte wie Beschleunigungsmesser, Gyroskope und Detektoren, die ihren Ort punktgenau bestimmen können. Besorgnisse bezüglich der mit dem Tragen von Batterien und Trafos in unmittelbarer Nähe des Körpers verbundenen Gesundheitsrisiken veranlassen Forscher, ihnen flachere und weniger kompakte Formen zu geben, damit sie auf der Außenseite von Kleidungsstücken angebracht werden können. Sie auf einer äußeren Schicht anzuordnen macht es leichter, Sonnenenergie zu nutzen und effizient im gesamten Kleidungsstück zu verteilen.

Diese Grenzüberschreitungen stehen für einen ganz bestimmten Augenblick in der Geschichte der Mode: Kleidungsstücke werden als komplexe und facetten- reiche Hybride erkennbar, in deren Gestaltung die Mitwirkung von Wirtschafts- zweigen außerhalb der Mode einfließt. Ihr Vermögen, Naturprozesse nachzu- ahmen, verwandelt die Art, wie wir unsere Körper wahrnehmen; ihre Fähigkeit zum Zusammenspiel mit Wissenschaft und Technologie könnte die schöpfe- rische Entwurfstätigkeit auch in anderen Designbereichen revolutionieren. •

Essentials Die Welt der Mode und der Wissenschaft verschmelzen und generieren damit einen Innovationsschub für die Bekleidungs- industrie Der rasante Fortschritt der Materialtechnologie und die zunehmenden Ansprüche an die Ästhetik unserer Kleidung machen Kooperationen immer attraktiver Kooperationen mit Biotechnologie und Medizin werden das Modedesign radikal verändern Die Zusam-menarbeit von Praktikern aus der Mode- und der Technologiebranche wird Kleidungsstücken zu hybriden Produkten machen, die wesentlich mehr Funktionen erfüllen, als uns bloß zu kleiden

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Stichwort Modefocus Kooperation

Seit fast 15 Jahren sind Helga Ruthner und Hermann Fankhauser das Modedesigner-Duo Wendy&Jim; bereits 1999 waren sie nach Helmut Lang die ersten Österreicher in Paris. Ihr Labelname steht für Durchschnittsmen- schen beiderlei Geschlechts. 2008 wurden Wendy&Jim von der Tageszeitung Die Presse und vom ORF als Österreicher des Jahres in der Kategorie Creative Industries gekürt. Wendy&Jim sind dafür bekannt, ihre Ar-beiten mit verschiedenen Kontexten zu kom- binieren, beispielsweise Kunst, Fotografie, Musik. Das Interview mit Helga Ruthner und Hermann Fankhauser führten Elisabeth Noever-Ginthör und Robert Temel.

Was sind für Sie zentrale Faktoren für Kooperation?Hermann Fankhauser Es geht ganz klar um den Mehrwert für beide Seiten. Das bedeutet nicht unbedingt, dass am Schluss exakt gleich viel Geld für beide übrigbleibt. So war das etwa bei unserem Projekt für Nike: Nike ist an mehrere Designer herangetreten, eine Limited Edition zu gestalten. Die Form des Turnschuhs war vorgegeben, das Design wur- de von uns so verändert, dass es zwar immer

noch ein Nike-Turnschuh blieb, er aber auch als Wendy&Jim erkennbar war. Was für uns wichtig war: Wir wurden beim Marktauftritt gleichberechtigt mit Nike kommuniziert und somit hatten beide Seiten etwas davon.

Helga Ruthner Wichtig für uns war auch die Kooperation mit dem Künstler Peter Kogler: Wir haben für eine unserer Kollektionen Stoffe mit seinen Siebdrucken verwendet – das Tex- tildesign war in seiner Verantwortung, die Ver- arbeitung der Stoffe zu Kleidung in unserer. Wir hatten dann eine gemeinsam konzipierte Präsentation in Paris im Palais de Tokyo, davon haben auch beide Seiten profitiert.

Wie sehen Sie Kooperationen zwischen Vertretern der Wiener Avantgarde, etwa bei zeitgenössischer Mode, wie Sie es sind, und österreichischen Traditionsunternehmen? Sind deren besondere handwerkliche Fähig- keiten für Sie interessant?H. F. Ja, sehr. Wir kooperieren aktuell mit Augarten für unser Parfum, das wir mit der Saint Charles Apotheke entwickelt haben: Wir sind an Augarten herangetreten, weil wir deren Handwerklichkeit schätzen und nützen

Die Modedesigner Hermann Fankhauser und Helga Ruthner über den Mehrwert der Zusammenarbeit, die Lust an kooperativen Dreiecks-beziehungen und was Kreative tun müssen, damit Kooperationen mit klassischen Unternehmen zum Erfolg werden.

»Aus nichts etwas machen, und das laut, das können wir«

Interview mit Wendy&Jim

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Stichwort Mode focus Kooperation

wollen. Augarten produziert für uns einen Fuchsschädel aus Porzellan als Parfum- Flakon. Da haben wir die Kooperation initiiert.

H. R. Ein wichtiger Tätigkeitsbereich ist für uns das Segment der Arbeitsbekleidung. Vor allem durch die mediale Präsenz nach der Prämierung als Österreicher des Jahres 2008 wurden einige Gewerbe- und Industriebe- triebe auf uns aufmerksam. Beispielsweise haben wir Talare für die Universität für Bodenkultur entworfen oder die Arbeitsbe- kleidung für die Tischlerei Josef Göbel in der Steiermark.

Nach Ihrer Prämierung als Österreicher des Jahres gab es eine Kooperation mit Borckenstein. Wie ist das abgelaufen?H. R. Noch in der Nacht der Preisverleihung trat dieses steirische Familienunternehmen, eine Spinnerei, mit uns in Kontakt. Wir ko- operierten dann für eine Kollektion, suchten Stoffe aus und konnten bis zum Garn alles bestimmen und zurückverfolgen. Das ist sonst extrem schwierig in der Textilindustrie.

Warum haben die Sie geholt?H. F. Sie wollten, dass die Designer sagen: »Wir wollen dieses Garn und kein anderes«, um den Stoffherstellern die Bedeutung des Garns klarzumachen. Wir hatten eine Liste von Stoffherstellern, mit denen Borckenstein arbeitet, und bestellten dort direkt Borckenstein-Qualität für unsere Kollektion. Borckenstein präsentierte sich dann auf der Textilmesse Première Vision in Paris ausschließlich mit dieser Kollektion. Das fanden wir großartig.

Der Flakon von Augarten für das Parfum von Wendy&Jim: Ein Fuchsskelettkopf aus Porzellan mit Zerstäuber.

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Stichwort Modefocus Kooperation

Kooperativ von Peter Kogler und Wendy&Jim entwickelte Kollektion: Der Künstler lieferte das Textildesign, die Designer machten daraus Mode.

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Stichwort Mode focus Kooperation

H. R. Schlussendlich haben wir Borckenstein damit genützt, da entstand Awareness bei allen, die Stoffhändler hörten plötzlich: Wir wollen nur Borckenstein. Das Besondere bei deren Garn ist, dass die Silberionen nicht nur eine Beschichtung sind, die nach zwanzig Mal Waschen wieder weg ist, sondern direkt im Garn sind. Was wir bei dieser Kooperation auch spannend fanden, war, dass wir dadurch nachhaltigere Produkte produzieren konnten.

Dieser Aspekt der Nachhaltigkeit ist sehr interessant!H. R. Ja, das interessiert uns, mit einer Firma zu kooperieren, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt. Die produzieren beispielsweise Milchfasern, die weicher als Kaschmir sind. Das ist fast das Einzige, was Schmetterlings- kinder tragen können. Wenn wir könnten,

würden wir nur Biomode machen, allerdings ohne das draufzuschreiben. Schlussendlich geht es uns ja um die Mode.

H. F. So etwas geht auch nur als gemeinsames Projekt, als Kooperation, sonst ist so ein Pro- jekt viel zu teuer.

Offensichtlich sind Sie die Modedesigner mit den meisten Kooperationen.H. R. Es gibt schon einige, die das machen, beispielsweise Peter Pilotto, der mit Schneiders eine Kollektion und mit Kipling Taschen entwickelt hat.

H. F. Wir haben mit DJ Hell kooperiert für die Unterwäschelinie »Hell&Wendy&Jim«, die wir mit ihm zusammen entwickelt haben. Er hat das dann in einem Video von P. Diddy eingebaut und so die Vermarktung auf den Weg gebracht. Die Einnahmen aus dem Verkauf der Linie in ausgewählten Boutiquen weltweit haben wir uns schließlich geteilt.

Es scheint jedenfalls extrem schwierig zu sein, die beiden Welten der Kreativen und der klassischen Unternehmen zusammenzubringen.H. F. Ja, da haben wir wohl die Unbefangen-heit oder Naivität, diesen Schritt zu machen, sonst passiert das ja nicht.

H. R. Wir sind ideale Kooperationspartner für so etwas: Weil aus nichts etwas machen, und das laut, das können wir. •

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Stichwort Modefocus Kooperation

Eigentlich wollten Silke Maurer und Raik Hölzel Anfang 2009 nur die Second-Season-Ware ihres kleinen Berliner Modelabels Bel Alvarado loswerden. Also machten sie sich auf die Suche nach einem Laden, den sie für ein paar Wochen zu günstigen Konditionen anmieten konnten und wurden schließlich schräg gegenüber dem Friedrichspalast, nur ein wenig abseits der Luxusläden, fündig. Aber der langgezogene Raum mit schlichtem Betonboden war viel zu groß für den kleinen Restbestand. Also fragte Raik Hölzel noch bei ein paar jungen Berliner Designern an, ob sie nicht Interesse hätten, den Raum zur Präsentation und zum Verkauf ihrer Kleider und Accessoires mit ihnen zu teilen. Und da Silke Maurer neben ihrem Modelabel ja auch noch eine kleine Manufaktur zur Herstellung analoger und digitaler Tonträger (handle with care) betreibt, wurde der noch freie Platz auch mit CDs und LPs internationaler Musiklabels gefüllt. Damit wurde aus der Not nicht nur eine Tugend, sondern ein bis heute sehr erfolgreiches Konzept eines kooperativen Pop-up Stores, in dem junge Berliner Designer, Künstler und Musiker ihre Kreationen unter einem Dach präsentieren können, in dem aber auch Ausstellungen, Konzerte, Partys und Modeschauen stattfinden und sich die Berliner Kreativszene zum Ideenaustausch und Socialising trifft.

Pop up – mix up – stand up

Und auch der Name war geboren: Achteinhalb (vormals 8 ½ Wochen) nennt sich der seitdem temporär durch verschiedene Berliner Bezirke wandernde Concept Store, weil der erste Raum in der Friedrichstraße ursprünglich nur für achtein- halb Wochen angemietet werden konnte. Durch die Zwischennutzung von Ein- zelhandelsflächen in frequentierten Lagen konnten in den ersten beiden Jahren mit den Vermietern gute Konditionen ausgehandelt und damit auch Standorte genutzt werden, die unter regulären Mietbedingungen für die junge Designszene

Der Achteinhalb Concept Store in Berlin: Wie durch Kooperation und innovativen Branchenmix ein erfolgreiches Modell zur gemeinsamen Präsentation und Vermarktung von junger Mode, Design und Musik gefunden wurde.

Shop the pain awayBest Practices

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Stichwort Mode focus Kooperation

unerschwinglich gewesen wären. So aber ermöglichte das Pop-up-Konzept den teilnehmenden Künstlern und Designern, ihre Produkte an sonst unerreich- baren Orten zu verkaufen: Ende 2009, Anfang 2010 zum Beispiel in der Schloss- straße, der nach dem Kurfürstendamm umsatzstärksten Berliner Einkaufsmeile.

Aufgrund des großen Erfolgs haben sich die Mietzeiten danach deutlich verlän- gert. Mittlerweile werden die Produkte auch über einen Online-Shop vertrie- ben. Und es wurde sogar der ursprünglich konzeptbestimmende, räumlich und zeitlich temporäre Charakter des Ladens zugunsten einer festen Adresse im Herzen des Berliner Prenzlauer Bergs in der Kollwitzstraße 42 geopfert. Trotz- dem blieb alles in Bewegung. Das außergewöhnliche Angebot an Berliner und internationalen Fashion Brands, ausgewählten Kunst- und Bildbänden, CDs und Schallplatten ändert sich regelmäßig. Im neuen 80 Quadratmeter großen Store wird Mode von Designern wie John de Maya, Esther Perbandt, Kilian Kerner,

Der Berliner Concept-Store Achteinhalb erfindet sich immer neu: Die Adressen wechseln ebenso wie die Kollektionen. Konstant bleibt die Idee der Cross-over- Kooperationen.

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Stichwort Modefocus Kooperation

juliaandben, Liebig, Michalsky, Ansoho, Tiedeken, Paula Immich und Anderen präsentiert. Um dem Namen weiterhin gerecht zu werden, wird nun eben der Laden im Achteinhalb-Wochen-Rhythmus jeweils neu bespielt. Im April und Mai 2012 – unter dem Titel »Contemporary Living« – zum Beispiel mit einer erlesenen Auswahl an exklusiven originalen und handgearbeiteten persischen Teppichen, zeitgenössischer Kunst, ausgesuchten Möbeln der 1950er, 60er und 70er Jahre, German Pottery, Home Accessoires und mehr.

Der Store ist außerdem Bestandteil des Achteinhalb-Agenturkonzepts für virales und Guerilla-Marketing und visionäre Medienkampagnen. Die Kreativ-Agentur hat sich auf die Bereiche Brand Building, Fashion & Design Consulting, Event Design, Viral Campaigns und Guerilla Marketing spezialisiert und ent- wickelt und betreut auch Projekte für renommierte Fashion-, Automobil- und Technologieunternehmen wie etwa Porsche-Design.

Erfolg durch Bündelung des kreativen Potenzials

Der Erfolg des innovativen Concept Stores beruht aber nicht nur auf der initia- len Pop-up-Idee, sondern vor allem auf der Bündelung des kreativen Potenzials der Stadt, auf der Vernetzung und der Kooperation zahlreicher Designer, Künst- ler und Modemacher, die bei Achteinhalb eine gemeinsame Plattform gefunden haben und somit eines der größten Hindernisse, an denen viele Kreative oft scheitern, überwinden konnten: Dass viele gute Ideen und Produkte mangels guter Vertriebswege und ausreichenden Marketings nicht den Weg zu ihren potentiellen Kunden finden.

»Shop the pain away«, das mittlerweile legendäre Achteinhalb-Motto, eine Paraphrase eines Titels der Berliner Band »Peaches«, der bei Kitty Yo (dem Label des Achteinhalb-Mitbegründers Raik Hölzel) erschienen ist, kann damit nicht nur als schräge Konsumaufforderung an das Berliner Szenepublikum gelesen werden, sondern auch als Metapher für die Lösung des Marketing- und Vertriebsproblems durch Kooperation und innovativen Branchenmix. •

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focus Kooperation

Was sind nun die internen Voraussetzungen, die aus einer Kooperation einen Erfolg machen? Eine Kooperation ist dann am erfolgreichsten, wenn es unter den Beiträgen der Kooperationspartner Komplementarität gibt – das heißt, wenn die Beiträge einander ergänzen und einander so gegenseitig vorantreiben. Dies erfordert jedenfalls das Einbringen und Zusammenführen von Know- how und Kompetenz von beiden Seiten statt nur den Zukauf fertigen externen Wissens. Durch die Kombination komplementären Wissens und komplemen- tärer Kompetenzen steigt die Chance auf grundlegende Innovation stark an. Dem entsprechend bedeutsam ist die Kooperation zwischen unterschiedlichen Perspektiven – die Zusammenarbeit zwischen einem Kreativunternehmen und einem klassischen Unternehmen macht beispielsweise eher grundlegende Innovationen wahrscheinlich als die zwischen zwei Kreativunternehmen, die in sehr ähnlichen Bereichen arbeiten.

Do you speak coop?

Die anfangs sehr unterschiedlichen Sprachen und Wissensbereiche, das koope- rative Finden einer gemeinsamen Sprache und einer gemeinsamen Aufgabe sowie die Auseinandersetzung mit der anderen, gleichsam abweichenden Pers- pektive ermöglichen, dass Neues entsteht. Insofern handelt es sich dabei auch um interdisziplinäre Zusammenarbeit: Zwei »disziplinäre« Kulturen und Sprachen kommen in Kontakt, finden gemeinsame Anknüpfungspunkte und entwickeln so das Umfeld für etwas Neues zwischen den beiden Ausgangs-»Disziplinen«. Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Kooperation ist jedoch die Gleichberechtigung beider Seiten. Wenn eine Seite gleichsam die Hilfsdisziplin für die (bereits etablierten und damit wahrscheinlich nicht sehr innovativen) Anforderungen der anderen Seite bleibt, wird die gemeinsame Arbeit mit größerer Wahrscheinlichkeit den Bereich der grundlegenden Inno- vation nicht erreichen.

Ingredienzien für den KooperationserfolgKomplementarität, Interdisziplinarität, Gleichberechtigung und Kontinuität sind die Basis von Innovationen.

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focus Kooperation

Damit ist auch bereits zum Ausdruck gebracht, dass es bei derartigen komple- mentären, interdisziplinären, gleichberechtigten Kooperationen mit hoher Innovationswahrscheinlichkeit meist nicht um kurzfristige, auf ein einziges, eng umfasstes Projekt bezogene Zusammenarbeit gehen wird. Die Entwick- lung einer gemeinsamen Sprache als Basis für eine grundlegende Innovation braucht Zeit, und die dafür investierte Zeit ist dann rentabel eingebracht, wenn sie über einen entsprechend langen Kooperationszeitraum Basis gemein-samer Arbeit sein kann. •

Der Begriff Wertschöpfungskette bezeichnet die Abfolge von Schritten, die insgesamt zu einem Produkt oder einer Dienstleistung führen. Traditionell bedeutet das in der Industrie etwa den Weg von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung bis zum Vertrieb. Bei Dienstleistungen ist diese Abfolge etwas komplizierter zu bestimmen, weil eine Fülle von materiellen wie immateriellen Bestandteilen zur schließlich vermarkteten Dienstleistung beiträgt. Die Funk- tion der Kreativwirtschaft kann in diesem Zusammenhang entweder darin bestehen, selbstständige Ideen zu entwickeln, die in Kooperation mit anderen Unternehmen produziert und vertrieben werden; oder darin, solche Ideen speziell für die Bedürfnisse dieser anderen Unternehmen zu liefern, also etwa nicht nur für die Entwicklung neuer Inhalte, sondern auch für die Schritte der Produktion und des Vertriebs.

Wertschöpfung in allen EtappenKreative Leistungen beschränken sich nicht nur auf Produktgestaltung und Werbung.

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focus Kooperation

Von der Kette zum Netzwerk

Diese zweite Möglichkeit wird vor allem dann zu Innovation führen, wenn es zu intensiver Kooperation kommt, das heißt wenn die Kreativen Einblick in die Abläufe im Unternehmen bekommen und das Unternehmen mit weitge- hender Auseinandersetzung auf Seiten der Kreativen rechnen kann, wie das bei der Kooperation von Riess und dottings der Fall war. Dadurch entsteht eine gemeinsame Entwicklung zu beiderseitigem Nutzen, die nicht mehr strikt auf die Linearität einer Wertschöpfungskette blickt, sondern eher Wertschöp- fungsnetzwerke betrachtet: Wissensformen, Produktionsweisen und Organi- sationsformen innerhalb und außerhalb einer Linie, die zu einem bestimmten Produkt, einer bestimmten Dienstleistung führt; innerhalb und außerhalb eines Unternehmens; ebenso wie innerhalb und außerhalb einer Branche. Die Innovation kann demnach bei einzelnen Elementen einer bestehenden Wert- schöpfungskette ansetzen, etwa bei der Produktion oder beim Vertrieb, bei Materialinnovation oder Marktinnovation. Sie kann aber auch weit darüber hinausgehen und zu neuen Ketten und Netzwerken führen.

Neue Ideen: Die Geschäftsgrundlage der Kreativwirtschaft

Die Entwicklung neuer Ideen und deren Umsetzung im Markt ist die Geschäfts- grundlage für Kreativwirtschaftsunternehmen. Diese Ideen können demnach für alle Schritte der Wertschöpfungskette von Bedeutung sein; oft beziehen sie sich auf den Beginn und das Ende der Wertschöpfungskette. Zentral für den Erfolg dieser Ideen ist somit das Vertrauen und die Wertschätzung, die in der klassischen Wirtschaft für Partner aus der Kreativwirtschaft und ihre Arbeit bestehen, und umgekehrt. Da die Entwicklung und Umsetzung dieser Ideen oft eine enge Kooperation und gegenseitige Offenheit erfordert – schließlich geht es um Neuheiten, die in das jeweilige Geschäftsmodell integriert werden müs-sen –, wist dieses Vertrauen notwendige Voraussetzung. Umgekehrt braucht es jedoch das gleiche Vertrauen und das Einlassen auf die Rahmenbedingungen und Ziele, aber auch die Unternehmenskultur und die Gewohnheiten der klassischen Wirtschaft auf Seiten der kreativwirtschaftlichen Kooperations- partner. Dem entsprechend sind Vertrauen der Partner und Flexibilität im Um- gang mit deren Wünschen Erfolgsfaktoren der meisten Kreativunternehmen. Unter diesen Voraussetzungen können viele Kreativunternehmen nicht nur selbstständige Ideen entwickeln, sondern auch zu Innovationen bei ihren Part- nern beitragen und ihnen neue Märkte eröffnen. •

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»EIN KREATIVES PROJEKT IST ERST DANN SPANNEND,

WENN ES AUCH WIRTSCHAFTLICH IST«

FLORIAN KAPS

Impossible Project

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Stichwort Architektur focus Kooperation

Stichwort Architektur

Architektur war immer schon ein Synonym für Koop- eration. Bauträger und Entwerfer, Statiker und Baustoffproduzenten, Investoren und Haustechniker u. v. a. m. bringen spezifisches Know-how, besondere Leistungen, Kapital und Kreativität mit ein, um Bauwerke zu realisieren. Mit den immer komplexer werdenden Anforderungen, mit denen Bauträger und Architekten heute und in Zukunft auch jenseits technologischer Herausforderungen konfrontiert sind – von stadtplanerischen bis sozialen Fragen, von ökologischen bis zu Fragen nach der Energieeffizienz, gewinnen Kooperationen und integrative Planungs- prozesse aber einen noch größeren Stellenwert.

Querverweise Das etwas andere Baumhaus S. 70 3D-Modelle als Innovationsmotor S. 72

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Stichwort Architekturfocus Kooperation

Unter Nachhaltigkeit im Bauen versteht man heute vielfach nur Energiesparen durch Wärmedämmung: Dabei ist die so genannte »graue Energie«, die in die Errichtung von neuen Gebäuden fließt, ebenso wichtig. Deshalb bedeutet nach- haltiges Bauen auch, vermehrt nachhaltige Baustoffe einzusetzen – zum Beispiel Holz, ein Material, bei dessen Verwendung in der Architektur österreichische Architekten und Bauunternehmen im internationalen Vergleich herausragend sind. Allerdings muss die Verwendung von Holz über Einfamilienhäuser und ähnliche kleine, vor allem aber auch wenig nachhaltige Bebauungsformen hin- ausgehen. Nachhaltiges Bauen heißt dichtes Bauen und somit vor allem Bauen in der Stadt.

Diese Situation war Ausgangspunkt für das Projekt achtplus des Wiener Archi- tekten Michael Schluder und des Bauträgers S+B Gruppe AG: Dabei sollte die Umsetzbarkeit von mehrgeschoßigen Bürohochhäusern aus Holz im städtischen Kontext untersucht und erreicht werden. Nach einer Vorstudie vor fünf Jahren, bei der die prinzipielle technische und wirtschaftliche Machbarkeit für bis zu zwanzig Geschoße hohe Gebäude geklärt worden war, ging es nun um wei- tere Schritte hin zur Umsetzung: prototypische Gebäudeentwicklung sowie technische und baurechtliche Erfordernisse. Die Tragkonstruktion des Gebäu- des sollte als Holzskelett ausgeführt werden – ein bisher weltweit einzigartiger Zugang. Im Zusammenspiel mit energieeffizienter Gebäude- und Fassaden- technik wurde so ein Gebäude entwickelt, das in vielfacher Hinsicht ökologi- scher Vorreiter ist.

Holz im Hochhausbau ist die innovative Antwort auf die Frage nach nachhaltigen Bauformen für die Stadt von morgen. Das Wiener Büro schluder architektur realisiert gemeinsam mit dem Bauträger S+B Gruppe AG Österreichs erstes Holzhochhaus.

Das etwas andere Baumhaus

Best Practices

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Stichwort Architektur focus Kooperation

Kooperation als integrale Planung

Das Projekt wurde im Rahmen eines Ansatzes integraler Planung entwickelt, das heißt ganz anders als bei der bis heute oft noch üblichen Vorgangsweise, dass zunächst ein Architekt einen Entwurf entwickelt und danach die Sonder- planer verschiedener Fachrichtungen, beispielsweise Statik, Haustechnik, Fassade und Bauphysik, diesen Entwurf mit ihren Mitteln umsetzen sollen. In- tegrale Planung bedeutet stattdessen, dass alle Disziplinen, der Architekt eben- so wie die anderen Fachleute, gleichzeitig, parallel und in engem Austausch mit- einander das Projekt entwickeln. Die einzelnen Mitglieder des Planungsteams arbeiten Teilaufgaben aus, deren Lösungen dann in regelmäßig stattfindenden Planungstreffen diskutiert und entschieden werden, wodurch die Basis für die weiteren Planungsschritte gelegt ist. So konnte in diesem Projekt der Werkstoff Holz auf sein Potenzial für großmaßstäblichen Bürobau hin ausgelotet werden. Am Ende der Entwicklung stand ein Brand- und Druckversuch, bei dem ein 1:1-Modell eines Gebäudeausschnitts (Stütze, Wand, Decke) 90 Minuten lang einer Temperatur von 1.000° C ausgesetzt und schließlich einer Belastungsprobe unterzogen wurde.

Mit der erfolgreichen Absolvierung dieses Tests ist nun die technische und rechtliche Machbarkeit des hier entwickelten Tragsystems für bis zu neun Geschoße nachgewiesen – und es kann nun in die Realisierung gehen. Wich- tiger Kooperationspartner waren auch die Baubehörden in Wien, die mit dem Planungsteam zusammen an der Umsetzung gearbeitet haben. •

Zeitgenössische Bürohäuser müssen nicht aus energie- intensivem Beton gebaut werden, selbst wenn es sich um Hoch- häuser handelt: Der Baustoff Holz ist auch für diese Bauauf- gabe geeignet.

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Stichwort Architekturfocus Kooperation

Das Architekturbüro Gehry Partners LLP rief bei manchen seiner Projekte mit-hilfe von digitalen 3D-Modellen seiner Entwürfe ein komplexes Muster von Innovationen in Bezug auf Technologien, Prozesse und Strukturen bei Koope- rationspartnern hervor. Die bei Frank Gehry entwickelten digitalen Modelle des zukünftigen Gebäudes wurden an die Partner weitergegeben: Eine Vielzahl von Firmen produzierte aufbauend darauf Innovationen, die jeweils wieder Wellen weiterer Innovationen hervorriefen. Die 3D-Modelle dienten dabei als Kommunikations- und Koordinationsmedium, das diesen Austausch erst er- möglichte; Voraussetzung war, dass Gehry die Modelle uneingeschränkt an die Beteiligten weitergab.

Auslöser für die Einführung von 3D-CAD-Software war der Auftrag für eine riesige Fischskulptur für den neuen Stadtteil für die Olympischen Spiele in Barcelona 1992. Der Zeit- und Kostenplan für das Projekt war zu knapp, um die komplexe Geometrie auf konventionellem Weg zu realisieren – also versuch- te man es mit der CAD-Software Catia, die für das Design des französischen Mirage-Abfangjägers entwickelt worden war. Der Versuch war ein voller Erfolg, und so wurde die 3D-Software zum Standard-Werkzeug bei Gehry.

Die Software für erfolgreiche Kooperation

Was das bedeutet, kann am Peter B. Lewis Building in Cleveland gezeigt werden, das von 1999 bis 2002 von Gehry errichtet wurde. Dabei handelt es sich um ein Gebäude für die Management School der Case Western Reserve University. Bei dem Projekt entwickelte beispielsweise die Stahlbaufirma eine neue Methode, um Stahldächer mit gekrümmter Geometrie zu entwerfen, die eine Industrieaus-zeichnung erhielt; der Trockenbauer erfand mehrere patentierbare Methoden,

Wie Frank Gehry digitale Architekturmodelle zum Medium für kreative Kooperationen machte und damit bei seinen Partnern eine Welle von Innovationen auslöste.

3D-Modelle als Innovationsmotor

Best Practices

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Stichwort Architektur focus Kooperation

um gekrümmte Wandflächen zu montieren, und baute darauf einen neuen Geschäftsbereich auf; die Feuerpolizei in Cleveland fand neue Techniken, den Rauchabzug zu modellieren, die dann bei nationalen Fortbildungsakademien zum Einsatz kamen; der Spengler erfand ein wasserdichtes Schuppensystem, das die Dicke und damit die Kosten der Dachdeckung massiv reduzierte; der Bauleiter erweiterte seinen Tätigkeitsbereich auf die Bereitstellung von Baumaß- punkten für die beauftragten Baufirmen, um die Konstruktionszeit und die Fehlerrate zu reduzieren; und ein Auftragnehmer wurde zur ersten amerika- nischen Firma, die ein schalldämmendes Verputzsystem eines Schweizer Herstellers lizensierte und damit ein neues, hochspezialisiertes Angebot schuf. All diese Innovationen wurden über das Projekt hinaus weiter vermarktet. (Boland et al. 2007) •

Fassadenflächen des Peter B. Lewis Building in Cleveland, Ohio, von Frank Gehry. Das 3D-Modell des Gebäudes war Werkzeug für zahlreiche Inno-vationen.

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Der 2003 erschienene Band »Open Innovation. The New Imperative for Crea- ting and Profiting from Technology« von Henry Chesbrough brachte ein neues Schlagwort in die Diskussion. Was aber ist Open Innovation? Wie der Untertitel des Bandes zeigt, geht es um Kreativität sowie ihre erfolgreiche Umsetzung. Die Umsetzung steht besonders im Fokus des Interesses, weil Chesbrough zeigt, dass Kreativität allein nicht zu innovativem Wirtschaften führt; vielmehr kön- nen viele Unternehmen mit starker Forschungsorientierung ihre Resultate nicht in erfolgreiche Produktinnovationen übertragen, während andere Unterneh- men, die kaum selber forschen, von der Forschung anderer profitieren können.

Umwälzende Innovationen verändern soziale Praktiken

Es ist einfach vorherzusagen, wie man ein neues Produkt verwenden wird kön- nen; es ist jedoch fast unmöglich, zu wissen, wie ein Produkt soziale Praktiken verändern könnte. Und erfolgreiche Innovation benötigt nicht nur ein neues Produkt, sondern oft auch ein innovatives Geschäftsmodell. Chesbrough be- schreibt die gegenwärtige Situation: Einerseits geschehen große Innovationen, die bessere Produkte zu geringeren Kosten ermöglichen. Andererseits erweisen sich vielfach Investitionen in firmeneigene Forschung und Entwicklung (F & E) als Misserfolg, weil andere Unternehmen innovativ sind, indem sie die Erfindun- gen anderer nutzen. Wir stehen heute in einem Paradigmenwechsel zwischen dem alten Prinzip Closed Innovation und dem neuen der Open Innovation.

Das alte Paradigma, Closed Innovation, sieht Kontrolle als Basis für erfolgreiche Innovation an. Unternehmen müssen eigene Ideen entwickeln, umsetzen, vermarkten, betreuen, finanzieren und erhalten. Das bedeutet: Wenn du etwas richtig gemacht haben willst, mach es selbst. Doch dieses Paradigma stimmt nicht mehr: Hochqualifizierte Mitarbeiter im Bereich F & E sind zunehmend mobil; immer mehr gut ausgebildete Menschen drängen auf den Arbeitsmarkt; und zunehmend werden durch Venture Capital neue Firmen ermöglicht, die

Exkurs Open InnovationMit internen und externen Ideen effizienter und kreativer zu neuen Lösungen.

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focus Kooperation

universitäre oder sonst von großen Unternehmen unabhängige Forschung vermarkten. Außerdem wird die durchschnittliche Time-to-Market immer kürzer und Zulieferer ebenso wie Kunden verfügen über immer mehr Wissen. Wenn all das zusammenkommt, ist Closed Innovation nicht mehr nachhaltig.

Die Erfindungen anderer werden zur Basis eigener Innovationen

Damit kommt das neue Paradigma Open Innovation ins Spiel: Es geht davon aus, dass Unternehmen externe und interne Ideen und Wege in den Markt verwenden sollten. Open Innovation kombiniert interne und externe Ideen in Systemen, deren Rahmenbedingungen durch ein Geschäftsmodell bestimmt sind. Manche dieser Ideen werden außerhalb Wert schöpfen; ein bedeutender Teil jedoch wird zur Wertschöpfung im Unternehmen führen. Das im Unter- nehmen generierte Wissen kann nicht vollständig auf interne Wege zum Markt beschränkt werden; ebenso können jedoch interne Wege zum Markt nicht ausschließlich auf internem Wissen basieren.

es braucht Zusammenarbeit mit qualifizierten Menschen innerhalb und außerhalb des Unternehmens;

interne F & E ist nötig, um Wert aus externer F & E zu generieren;

man muss Forschung nicht selbst betreiben, um davon profitieren zu können;

ein besseres Geschäftsmodell zu entwickeln ist wichtiger als schneller im Markt zu sein;

die Kombination von internem und externem Wissen führt zum größten Erfolg;

man profitiert von der Verwendung des eigenen geistigen Eigentums durch andere;

man nützt das geistige Eigentum anderer, wenn es das eigene Geschäftsmodell fördert.

Grundlegend für Open Innovation ist somit:

Neue Quellen des Wissens sind demnach nicht mehr bloß die eigene (oder die fremde) F & E-Abteilung, sondern eine Vielzahl anderer Unternehmen, Kunden, Zulieferer, Universitäten, staatliche Forschung, Industriekonsortien und Start-up-Unternehmen. Die Kreativwirtschaft ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung: Eine britische Studie zeigt, dass eher solche Unterneh- men Open Innovation praktizieren, die Kreativität zur Durchführung von Innovationsprozessen verwenden. Die Bedeutung von Design (im breitesten Sinne) liegt in dessen Notwendigkeit für Schnittstellen und Übersetzungen zwischen getrennten Innovationsbereichen begründet, es geht also eher um eine instrumentelle als eine ästhetische Rolle der Kreativität (Acha 2008: 22f.). •

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focus Kooperation

Was verstehen Sie unter Kooperation?Kooperation ist wichtig, weil im Verkauf nicht immer ein Unternehmen eine gesamte Lösung anbieten kann; dann braucht es einen Kooperationspartner, der die Komponenten, die man selbst nicht im Portfolio hat, mit anbieten kann. IBM arbeitet beispielsweise oft mit Vertriebspartnern, die einen Teil, etwa die Hardwarelösung, von IBM kaufen, etwas Anderes, Eigenes beisteuern und das Gesamte weiterverkaufen. Da geht es also vorrangig um Vertriebspartnerschaften. In Kooperationen kann man gemeinsam einen Markt angehen, gemeinsam eine Lösung entwickeln, die dann über einen bestimmten Kanal vertrieben wird.

Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit Kooperationen gemacht?Meine Erfahrung ist: Je besser eine Koopera- tion definiert ist, desto rascher erkennt man, wenn etwas nicht funktioniert, und kann rechtzeitig reagieren und das Problem lösen. Oft wird der Ball bei Problemen hin und her geschoben, wenn die Definition nicht genau genug ist, und dann verschärfen sich

diese Probleme zusehends. Außerdem ist bei erfolgreichen Kooperationen der zeitliche Faktor wesentlich, es geht darum, oft und kon- stant miteinander zu kommunizieren. Und schließlich ist vor allem bei größeren Koope- rationen ein Managementsystem wesentlich, das auf verschiedenen Ebenen aufsetzt und die gesamte Kooperation im Blick hat.

Welche Chancen und Probleme sehen Sie bei der Kooperation von Kreativwirtschaft und klassischer Wirtschaft?Probleme sind sicherlich die Organisations-strukturen bzw. die Managementstrukturen in beiden Bereichen. Das sind sehr unterschied- liche Kulturen, in denen die Zusammenarbeit und das gegenseitige Verständnis nicht leicht sind, und zwar von beiden Seiten. Es geht darum, in der Kooperation die jeweils andere Kultur zu berücksichtigen; das ist das größte Problem, aber darin liegt auch die Chance.

Welche Bereiche der klassischen Wirtschaft sind für eine solche Kooperation besonders interessant?Da wird es vor allem um Produktentwicklung

Markus Felmayer, Vice President Sales von IBM Austria, über internationale Konzerne, Kooperationen mit der Kreativwirtschaft und deren Chancen und Risiken. Das Interview führte Christian Dögl.

»Es geht darum, in der Kooperation die jeweils andere Kultur zu berücksichtigen«

Interview mit Markus Felmayer

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focus Kooperation

und um Marketing gehen, beispielsweise wenn man gemeinsam neue Marketingkanäle etab- lieren will. Da kann es relevant sein, mit einer Kreativwirtschafts-Agentur neue Methoden und neue Wege zum Markt zu entwickeln. Sonst geht es eher um einzelne Projekte, wenn ein Kunde eine Kreativlösung wünscht, wird man sich danach richten.

Wie wird über solche Kooperationen entschieden?Bei Produktentwicklung entscheidet das Topmanagement im Land, bei Marketing und bei großen Strategiethemen geht es darüber hinaus, da werden meist globale Firmen mit großer Spannweite beauftragt.

Welche Bedeutung spielt Interdisziplinarität dabei?Interdisziplinarität spielt eine wichtige Rolle, das wird allerdings in großen Unternehmen oft zurückgedrängt, um sich zu konzentrieren. Große Unternehmen sind nicht so interdiszi- plinär, das ist ein Problem. Wenn interdiszi- plinäre Leute zusammenkommen, nützt das

einer Sache sehr – sonst gibt es drei große Abteilungen, die gegeneinander diskutieren.

Wie müssen Kooperationen angelegt sein, damit sie langfristig wirken?Es braucht Milestones und ein Management- system, das immer wieder reviewed wird. Und es braucht Stakeholder, die das Projekt auf der Agenda haben. Also einen Sponsor und eine gewisse Struktur darunter – und die Zielsetzung ist natürlich eine ganz wesent- liche Komponente.

Ist die Förderung für solche Kooperationen etwas, das für einen Konzern wie IBM relevant ist?Das ist schon ein relevanter Punkt. IBM ist in Österreich sehr verkaufsorientiert und daher sehr restriktiv bezüglich Investitionen. Auch bei langfristigen Kooperationsprojek- ten ist es uns am liebsten, wenn bereits das erste Projekt seine Kosten deckt, wenn schon Wertschöpfung generiert wird. Wenn eine Förderung dabei hilft, dann tut sich ein Unter- nehmen leichter. •

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focus Kooperation

Bei der Ars Electronica 2010 in Linz präsentierte der belgische Künstler Frederik de Wilde ein 60 mal 60 Zentimeter großes Werk mit dem Titel »Hostage.pt.1«. So unscheinbar, wie es auf dem ersten Blick erscheinen mochte, war es doch eine Sensation. Aus künstlerischer wie aus technologischer Sicht. Das erste »Bild« in einer neuen Technik, ein Pionierwerk der Nano-Kunst, das auch einen wissenschaftlichen Weltrekord aufstellte: Ein Bild, so schwarz, wie noch nie zuvor etwas schwarz gewesen war. Ein Bild, das das Licht zur Geisel macht und nie wieder freilässt, denn der Reflexionsfaktor der schwarzen Oberfläche be- trägt gerade einmal 0,03 Prozent. Noch nie zuvor wurde ein Material mit so geringer Lichtreflexion entwickelt. Man könnte mit einer Taschenlampe darauf leuchten oder das Bild in die grelle Sonne stellen. Und trotzdem: Es würde alles Licht schlucken und nichts reflektieren.

Millionen von feinen Prismen mit einer Breite von rund 250 Mikrometern und einer Länge von ein bis zwei Millimetern sorgen dafür, dass sich das Licht in den kleinen Schluchten dazwischen verfängt und nicht mehr nach außen tritt. Jedes einzelne Prisma wiederum besteht aus Millionen Nano-Tubes, die den absorbierenden Effekt zusätzlich verstärken.Für die ungewöhnliche künstlerische Anwendung der Nanotechnologie, die sich hinter diesem schwärzesten Schwarz verbirgt, wurde de Wilde mit dem Prix Ars Electronica in der Kategorie »the next idea – voestalpine Art and Technology Grant« ausgezeichnet. Ein Jahr später auch mit dem Best Collaboration Award 2011, der im Rahmen des zur Förderung von Unternehmen aus dem Kreativ-sektor in der EU-Nordseeregion ins Leben gerufenen Projektes Creative City Challenge vergebenen wird.

Wie die Kooperation zwischen Kunst und Wissenschaft öffentliche Aufmerksamkeit und innovative Anwendungsperspektiven für neue Technologie generiert.

Das schwärzeste schwarze Kunstwerk

Best Practices

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Kooperation mit Kunst: Fantasie-Booster für kühle Techniker

Entstanden ist das Werk im Zuge eines Artist-in-Residence-Projektes an der Rice University in Houston, Texas in Kooperation mit dem Department for Physics, Applied Physics and Astronomy am Rensselaer Polytechnic Institute (RPI) in Troy, New York. Die Kooperation war von Anfang an auf einen multi- und interdisziplinären Zugang ausgerichtet, ursprünglich aber vor allem von einem künstlerischen Bestreben und der Neugierde an einem Crossover-Projekt ausgegangen. Im Zuge der Zusammenarbeit zwischen dem Künstler und den Nano-Wissenschaftlern, des Zusammenführens unterschiedlicher Know-hows sowie philosophischer, künstlerischer und technologischer Sichtweisen wurden jedoch weitere neue Ideen geboren und die Potenziale der neuen Technologie in Kombination mit künstlerischen und architektonischen Visionen fortgedacht: Die Erzeugung bzw. Bereitstellung von Energie durch Nano-Kunstwerke im öffentlichen Raum, die in der Lage sind, (fast) das ganze Spektrum des Lichts einzufangen und in thermische Energie und in der Folge in Elektrizität umzu- wandeln. Jüngste Entwicklungen an der Rice University – die kleinste Batterie der Welt in einem Nanofaden – lassen solche Visionen in den kommenden Jahr- zehnten tatsächlich realistisch erscheinen. Nanoschwarze, energieproduzie- rende Hausdächer, weniger lichtreflektierende und daher präzisere Teleskope sowie Mikrochips und Prozessoren, die die Abwärme in Computern speichern und gezielt ableiten können etc.

Frederik de Wildes künstlerische Arbeit sprengt die Grenzen zwischen Kunst, Wissenschaft und Technologie. Das mittels Nanotechno- logie entstande-ne schwärzeste schwarze Kunstwerk inspi-riert Forscher zu neuen Anwen-dungen.

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Die Kooperation, die zum »schwärzesten schwarzen Kunstwerk« führte, ist ein überzeugendes Beispiel dafür, dass so unterschiedliche Felder wie avan- cierte Kunst und neue Technologie in Kooperation außerordentliche Resultate und zukunftsweisende Perspektiven entwickeln können und dass nachhaltige Innovation innovative Partnerschaften braucht und die Zusammenarbeit mit Kreativen die öffentliche Wahrnehmung neuer technologischer Entwicklungen deutlich steigert.

Die internationale Aufmerksamkeit, die diese Kooperation zwischen Kunst und Wissenschaft erlangte, führte in der Folge zu einer Zusammenarbeit mit der NASA zur Entwicklung weiterer radikal schwarzer Kunstwerke, die nur durch Berührung, nicht mit dem Auge wahrgenommen werden können, sowie mit Europas führendem Nanotechnologie-Unternehmen IMEC in Belgien. •

Kunst aus dem Labor: Nano-Oberflächen, die fast das gesamte Spektrum des Lichts einfangen, eröffnen nicht nur Künstlern, sondern auch für Technik- anwendungen neue Per- spektiven.

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Eng im Zusammenhang mit Open Innovation steht das Konzept der Open Sour- ce: Dabei handelt es sich um ein Software-Entwicklungsmodell, das als Vorbild für Kooperationsprozesse zwischen Kreativwirtschaft und klassischer Wirt-schaft sowie als Modell für offene Innovationsprozesse gesehen werden kann. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklungsplattform Eclipse, die aus einer internen IBM-Plattform entstanden ist, aber nun offen geführt wird; die Hälfte der daran arbeitenden Entwickler wird nach wie vor von IBM bezahlt. Die andere Hälfte setzt sich aus freiwilligen, unbezahlten Entwicklern zusammen. Die Plattform bietet demnach die Vorteile, die mit Open Source verbunden sind – häufige Nutzung, Vertrauen, Einfachheit, Klarheit, lange Lebensdauer und Flexibilität –, und kann gleichzeitig den kommerziellen Interessen des Konzerns IBM dienen. Open Source und Open Innovation sind keine Gegensätze, auch wenn es hinsichtlich des Schutzes geistigen Eigentums möglicherweise verschie- dene Ansichten aus diesen beiden Perspektiven gibt: Open Source ist eine sehr effektive Form von offener Innovation und offener Kooperation.

Ebenfalls in diesen Innovationsbereich kann man Crowdsourcing zählen, also die Auslagerung von wissensbasierter Arbeitskraft auf freiwillige Externe, vor allem über das Internet. Bekanntestes Beispiel dafür ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia: Dabei handelt es sich um die mittlerweile weltweit größte Enzyklo-pädie, die in einer riesigen Vielfalt an Sprachen angeboten wird. Wikipedia entstand 2001 als online-Wissenspool, der durch seine Benutzer selbst aufgebaut und laufend erweitert werden sollte – deshalb ist die technische Basis dafür ein Wiki, also eine von den Benutzern frei veränderbare Website im Gegensatz zum üblichen Weg, bei dem eine einzelne Instanz, etwa ein Blog-Autor, die Inhalte produziert, während viele andere sie lesen können (und oft zumindest auch kommentieren). Wikipedia wird von der Wikimedia Foundation Inc. in San Francisco getragen, weiters gibt es in jedem beteiligten Land einen Wikimedia-Verein. Wikipedia finanziert sich ausschließlich über Spenden von Privatpersonen und Unternehmen. •

Offene InnovationsprozesseEffektive Kooperationsformen auf Basis anderer Geschäftsmodelle: Open Source und Crowdsourcing

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JULIAN RIESSRiess

»WENN MAN SICH AUF BETRIEBS-

GEHEIMNISSE ZURÜCK-ZIEHT, PASSIERT

GAR NICHTS«

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Stichwort Nachhaltigkeit focus Kooperation

Stichwort Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit ist kein singulärer Sektor der Kreativwirtschaft. Nachhaltigkeit ist die begriffliche Klammer für innovative Entwicklungen in fast allen Branchen der Kreativ- wie auch der klassischen Wirt- schaft. Neue Produkte, neue Materialien, neues Design, neue Dienstleitungen sind nicht per se inno- vativ. Innovativ sind sie, wenn sie dazu beitragen, Antworten auf die zentralen Herausforderungen zu finden, mit denen wir heute mit Blick in die Zukunft konfrontiert sind; wenn sie zu Lösungen der ökolo- gischen und sozialen Probleme beitragen, die unsere globale Wirtschaftsweise und unser auf Ressourcen- verbrauch basierendes Konsumverhalten generieren. Lösungen, die ohne kreative Anstrengungen, ohne Hinterfragungen, ohne Kontextverschiebungen und Perspektivenwechsel und ohne (auch paradoxe) Interventionen kaum gefunden, zum Teil nicht einmal gesucht werden. Akteuren der Kreativwirtschaft, ob Mode- oder Medienmacher, Designer oder Architek- ten, kommt dabei eine besondere Rolle zu, die sie gerade im Zuge von Kooperationen mit der klassischen Wirtschaft spielen können.

Querverweise Ezio Manzini: Aufbruch in ein neues soziotechnolo-gisches Ökosystem S. 84 Interview Harald Gründl: »Kooperation ist die notwendige Aktionsform in neuen Kontexten« S. 88 Non-profit goes creative S. 92 Phönix aus der Asche S. 94

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Stichwort Nachhaltigkeitfocus Kooperation

Aufbruch in ein neues soziotechnologisches ÖkosystemErst soziale Innovationen und kreative Gemeinschaften schaffen Märkte für wirklich neue Produkte und Dienstleistungen.

Der Autor Ezio Manzini ist einer der weltweit führenden Experten für Sustainable Design, Professor für Industrial Design am Politecnico di Milano sowie Begründer von DESIS, einem internationalen Netzwerk universitärer Design-Labors. Die folgenden Überlegungen beruhen auf vom DESIS-Netzwerk entwickelten Forschungsprojekten.

Gastkommentar von Ezio Manzini

Vielversprechende gesellschaftliche Neuerungen lassen sich in verschiedenen Feldern des Alltagslebens beobachten: von gemeinschaftlichen Wohnformen bis zum Carsharing, von der Seniorenbetreuung bis zum Vertrieb von organischen Lebensmitteln, von der Pflege von Grünflächen bis zu alternativen Verkehrsmit- teln. Jeder dieser Neuerungen entspricht eine radikal neue Dienstleistungsidee: eine gesellschaftliche Erfindung, die erfolgreich in die Praxis umgesetzt wurde und im besten Fall feste Formen angenommen hat.

Soziale Innovation verändert das Umfeld von Kreativität und Produktion

An diesen radikal innovativen Lösungen fällt zunächst auf, dass sie bei ihrem Auftreten normalerweise auf innovativen Wegen erdacht und verwirklicht werden, die bestehende Produkte und Dienstleistungen miteinander verbinden (ein gemeinschaftliches Wohnprojekt kann mit den üblichen Haushaltsgeräten ausgerüstet werden, ein Carsharing-Dienst kann mit normalen Autos betrieben werden, eine Nachbarschaftshilfe für ältere Menschen mit handelsüblichem medizinischen Gerät usw.). Bei genauerem Hinsehen ergibt sich aus jeder dieser Lösungen ein impliziter Bedarf an neuen Produkten und Dienstleistungen: Wohnprojekte benötigen eine neue Generation von Haushaltsgeräten, die für die

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gemeinschaftliche Benutzung ausgelegt sind; genossenschaftlich strukturierte landwirtschaftliche Initiativen erfordern neue Systeme der Herstellung und des Vertriebs von Lebensmitteln; gemeinnützige Fahrrad- und Autoverleiher erzeu-gen Nachfrage nach besonders gestalteten Fahrrädern, Autos und Parkgeräten.

Wir können diese Beobachtungen dahingehend verallgemeinern, dass von gesellschaftlicher Innovation angetriebene neue Lösungen, die feste Formen annehmen und Verbreitung finden, identifizierbare neue Bedürfnisse schaffen, sodass die benötigten Produkte und Dienstleistungen entworfen und herge- stellt werden können. Die offenkundigsten Beispiele für solche von gesellschaft- licher Innovation initiierte Produktneuheiten finden sich im Bereich digitaler Dienstleistungen, wo neue Plattformen entwickelt werden, um eine wachsende Vielfalt innovativer Lösungen (von neuen Lebensmittel-Netzwerken bis hin zur Altenpflege, vom Verkehrs- bis hin zum Gesundheitswesen) zu unterstüt- zen. Doch nach und nach werden Beispiele auch außerhalb der digitalen Welt erkennbar, etwa eigens für gemeinnützige Fahrradverleiher im Stadtverkehr entwickelte Fahrräder und Parkgeräte oder Autos für fortschrittliche urbane Carsharing-Systeme.

Kurz: Wenn gesellschaftliche Neuerungen ausgereift und weit verbreitet sind, schaffen sie einen Markt für eine neue Generation von Produkten und Dienst- leistungen. Deren Einführung stärkt umgekehrt die ursprünglichen Lösungen und verbessert ihre Zugänglichkeit, Wirksamkeit und Replizierbarkeit.

Von kreativen Gemeinschaften zum »dezentralen sozialen Engagement«

Die kreativen Gemeinschaften, die innovative Lösungen erfinden, verbessern, und kooperativ verwalten, sind lebendige Einheiten, die sich im Lauf der Zeit weiterentwickeln. Unsere Beobachtungen zeigen, dass sie in diesem Prozess das Anfangsstadium (das »heroische Stadium« der Entstehung gesellschaftlicher Erfindungen und erster »funktionstüchtiger Prototypen«) hinter sich lassen und eine ausgereiftere Form annehmen, die wir mit dem Ausdruck diffused social enterprise oder dezentrales soziales Engagement (DSE) bezeichnen: Menschen, die sich in ihrem Alltagsleben organisieren, um ein bestimmtes Problem anzu-gehen und zu lösen und dabei zugleich – gewissermaßen als Nebeneffekt – das gesellschaftliche Gefüge zu stärken, also Sozialität herstellen.

DSEs bilden eine Form des gesellschaftlichen Engagements, bei der rund um ein verbreitetes Alltagsproblem (Kinderbetreuung, Unterstützung älterer Men- schen, Mobilität in der Stadt etc.) der Begriff des »Gesellschaftlichen« auf das größere Feld ausgedehnt wird, auf dem Einzelne zusammentreffen, um Schwie- rigkeiten im Alltagsleben und die sich daraus ergebenden neuen Anforderungen für das Wohlbefinden anzupacken (im Unterschied zu traditionellen Formen

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gesellschaftlichen Engagements, bei denen »sozial« sich nur auf kritische soziale Probleme wie etwa den Umgang mit an den Rand gedrängten Gruppen oder die Pflege Schwerkranker bezieht).

Ein weiteres Charakteristikum von DSEs ist, dass es sich hier um Formen gesell- schaftlichen Engagements handelt, bei denen Menschen etwas tun, um sich selbst zu helfen, und es (zumindest zum Teil) selbst tun. Anders als bei der etab- lierten Vorstellung vom gesellschaftlichen Engagement, wo die vorherrschende Figur derjenige ist, der etwas für andere tut, ist hier der Aspekt bezeichnend, dass alle Betroffenen unmittelbar und aktiv an der Verwirklichung des Ergeb- nisses beteiligt sind.

Kurz: Kreative Gemeinschaften und DSEs entwickeln innovative gesellschaft- liche Dienstleistungen auf Grundlage der kooperativen Mitwirkung von Bürgern – gemeinsam geschaffene Dienstleistungen, die wir angesichts der derzeitigen Krise des Wohlfahrtsstaates benötigen.

Konnektivität, Toleranz und die Wissensökonomie

Kreative Gemeinschaften bilden sich zumeist in rasanter Veränderung unter- worfenen Zusammenhängen heraus, die sich durch diffus verbreitetes Wissen, ein hohes Maß an Konnektivität (also die Möglichkeit, mit anderen Menschen, Vereinigungen, Firmen und Institutionen zu interagieren) und einen gewissen Grad an Toleranz (gegenüber unkonventionellen Daseins- und Handlungsfor- men) auszeichnen. Anders gesagt, sie bilden sich tendenziell in Zusammenhän- gen heraus, in denen die Wissensökonomie stärker entwickelt ist. Dieser recht naheliegenden Beobachtung müssen wir eine zweite, sie ergänzende und weni- ger naheliegende hinzufügen: Kreative Gemeinschaften und DSEs können einen höchst fruchtbaren Boden für die Entwicklung einer Wissensökonomie bilden.

Ob sie es wollten oder nicht: Gründer sozialer Initiativen, die DSEs vorantreiben, müssen lernen, wie sie ihre Unternehmen mit komplexen Organisationen und wirtschaftlichen Modellen steuern. Dann können DSEs gut ausgebildete Wissens- arbeiter heranziehen. So können DSEs nicht nur Firmen helfen, ihre Innova- tionstätigkeit auf zukünftige gesellschaftliche Anforderungen auszurichten (wie oben diskutiert), sie können auch eine neue Generation kreativer und sozial engagierter Unternehmer ausbilden.

Indem kreative Gemeinschaften und DSEs so zugleich innovative Lösungen und unternehmerische Kompetenzen fördern, wirken sie an der Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für neue soziotechnologische Ökosysteme, in denen neue materielle und immaterielle Produkte entworfen werden können.

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Experimentalräume beschleunigen positive Rückkopplungsschleifen

Was können wir tun, um diese sich herausbildenden Ökosysteme und ihre Rolle als Keimzellen gesellschaftlichen Wandels und innovativer Formen von Produk- tion und Distribution zu stärken?

Eine erste Antwort auf diese Frage ergibt sich, wenn wir eine phänomenologi- sche Perspektive einnehmen und beobachten, dass Experimentalräume einer neuen Art auf der ganzen Welt entstehen. Diese Räume tragen verschiedene Be- zeichnungen (wie etwa Living Labs, Fab Labs, Mind Labs, Change Labs), haben aber ganz klar ein Merkmal gemeinsam: Es handelt sich um Freiräume, in denen soziotechnologische Experimente leichter und sicherer stattfinden können.

Dass zahlreiche unabhängige Forschergruppen und institutionelle Akteure sich auf eine bestimmte Form von Experimentalraum einigen können, veranlasst uns zu dieser zweiten Antwort auf die oben aufgeworfene Frage: Experimentalräu- me sind vielleicht die Orte, an denen der derzeit einsetzende Schub gesellschaft- licher Neuerungen (und die Menschen, die diese in tätiger Zusammenarbeit hervorbringen) einerseits und die anderen Beteiligten (Behörden, Planer, tradi- tionelle Initiativen, Kreativwirtschaft, Dienstleister, Hersteller von Handwerks- und Industrieprodukten etc.) andererseits einander begegnen können. Dank des Experimentiergeists, den diese Räume begünstigen, sollten dort gesellschaft. liche Erfindungen und die Ableitung von Prototypen schneller die Bahn vom heroischen Anfangsstadium zu den darauffolgenden Stadien der DSEs, der aus- gereifteren Unternehmensformen und, soweit nötig, der eigens zu ihrer Unter- stützung ausgelegten Produkte und Dienstleistungen durchlaufen können.

Kurz: Diese Experimentalräume würden es den Teilnehmern ermöglichen, die positive Rückkopplungsschleife zwischen gesellschaftlichen und technolo- gischen Neuerungen auszulösen und so die komplexen systemischen Innovatio- nen voranzutreiben, die heute benötigt werden. •

Essentials Ausgereifte und weit verbreitete gesellschaftliche Neuerun-gen schaffen einen Markt für eine neue Generation von Produkten und Dienstleistungen Kreative Gemeinschaften und dezentrales soziales Engagement entwerfen angesicht der Krise des Wohlfahrtsstaates und durch Mitwirkung von Bürgern innovative Dienstleistungen zur Selbst- hilfe Dieses Engagement erzeugt die Rahmenbedingungen für neu soziotechnlogische Ökosysteme, in denen neue Produkte entworfen und hergestellt werden können Experimentalräume treiben komplexe systemische Innovationen voran

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Harald Gründl studierte Industrial Design an der Universität für angewandte Kunst in Wien, wo er mit Martin Bergmann und Gernot Bohmann zusammentraf und 1995 das Design- büro Eoos gründete. 1997 bis 1998 führte ein Stipendium die drei Designer für ein Jahr nach Paris, wo sie ihr Entwurfsprinzip, die »poetische Analyse« von Ritualen und Objek- ten, verfeinerten. Gründl hat 2005 mit einer Arbeit zum Titel »The Death of Fashion« sein postgraduales Studium mit dem Doktor der Philosophie abgeschlossen und leitet seit 2008 auch das von ihm gegründete Institute of Design Research Vienna (IDRV). Das Interview mit Harald Gründl führte Wolfgang Reiter. Eoos ist mit zahlreichen Entwürfen für renom-mierte Firmen eines der erfolgreichsten Unter- nehmen der österreichischen Kreativwirt- schaft. Handelt es sich dabei überwiegend um Auftragsarbeiten oder entstehen bestimmte Produkte auch im Zuge von Kooperationen? Unsere klassische Arbeit als Produkt- oder Möbeldesigner ist grundsätzlich auftrags-bezogen. Ich glaube, dass Kooperationen im

gesamten Profit-Bereich eher ein Anfangs- phänomen sind, wenn junge Designer versu- chen, in diesen Beruf einzusteigen. Aber Eoos ist ein Profit-Unternehmen, deshalb ist es unser Ziel, immer auftragsbezogen zu arbei- ten. Anders verhält es sich mit dem von mir vor vier Jahren gegründeten Institute of Design Reseach Vienna (IDRV), einem Non-profit-Unternehmen, das eine Plattform für Koope- rationen bietet.

Bleiben wir zunächst bei Eoos. Die Arbeit, die Sie bei vielen Aufträgen leisten, etwa für Bulthaup bei der Entwicklung der b2-Küche, geht doch weit über das normale Maß im Rahmen eines Gestaltungsauftrags hinaus. Wird diese intensive Recherchearbeit tatsäch- lich immer durch den Auftrag abgegolten?Die intensive Recherchearbeit am Beginn eines Projekts ist die eigentliche Substanz unserer Arbeit, die durch Aufträge angestoßen wird. Wir verkaufen aber keine Recherche, wir verkaufen Produkte. Die Recherche fließt dann – wie im Zuge unsere Analyse der Küchenkulturgeschichte – auch in andere

Harald Gründl über die Voraussetzungen erfolgreicher Zusammen- arbeit zwischen Designern und Produzenten, die wichtige Rolle von Non-profit-Organisationen und warum der herrschende Innova- tionsbegriff zur Disposition steht.

»Kooperation ist die notwendige Aktionsform in neuen Kontexten«

Interview mit Harald Gründl

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Produkte. Das Buch, das sich daraus entwi- ckelt hat, haben wir völlig unabhängig von Bulthaup gemacht. b2 ist eine Bulthaup-Küche, das Buch »The Cooked Kitchen« ist ein Eoos-Produkt.

Was sind für Sie die wesentlichsten Kriterien für die erfolgreiche Entwicklung neuer Produkte?Wir erleben Projektentwicklungen auch als großzügige Lernchancen: für beide Teile, für den Designer ebenso wie für den Produzenten. Die Arbeit mit Gerd Bulthaup war für uns so, als würden wir nochmals in die Designschule gehen. Wie so jemand denkt, wie so jemand seine Erfahrungen kommuniziert, das geht weit über die finanzielle Anerkennung von Leistung hinaus. Eine solche Firmenkultur, wie sie Bulthaup mit seinem Partner Otl Aicher aufgebaut hat, macht die Zusammenarbeit besonders attraktiv.

Was ist das Besondere daran?Um auf Augenhöhe arbeiten zu können, brauchen beide Partner ein Bewusstsein von der Vision, die hinter der eigenen Tätigkeit steht. Und Gerd Bulthaup denkt seit langem und immer wieder neu darüber nach, was Küche heute sein kann, wie man das heute neu formulieren kann. Diese tiefe kulturelle Auseinandersetzung eines Unternehmens mit seinen Produkten und den Kontexten, in denen sie stehen, ist die Voraussetzung für einen produktiven Entwicklungsprozess, an dessen Ende dann auch gute Produkte stehen. Die Entwicklung der b2 ist für mich daher tatsächlich ein Beispiel gelungener Koopera- tion, auch wenn die Arbeit formal auftrags- bezogen war.

Wie klar sind denn die Vorstellungen Ihrer Auftraggeber am Beginn eines Entwick-lungsprozesses, wenn etwa – um ein anderes Beispiel zu nehmen – Duravit bei Ihnen eine Sauna oder eine Badewanne in Auftrag gibt?Wenn eine Firma bei uns eine Sauna bestellt, dann kriegt sie auch eine Sauna. Aber wir haben nur ganz wenige Auftraggeber, die uns dicke Mappen mit konkreten Anforderungen auf den Tisch knallen. Und meistens lesen wir die dann auch gar nicht. Wir suchen die Ge-spräche, und im Laufe der Gespräche ändern sich dann auch die Visionen, die wir dann gemeinsam weiter entwickeln. Die Auseinan-dersetzung mit dem Thema Baden, Saunieren und Hygiene betrifft ja ein ebenso zentrales Lebensthema wie Kochen. Da beginnt dann sofort unsere kulturelle Neugierde anzusprin- gen. Im Zuge der intensiven Auseinanderset- zung entwickeln sich dann aber oft auch andere Sachen, die mit dem ursprünglichen Auftrag nicht direkt im Zusammenhang stehen.

Zum Beispiel?Im Zuge der Auseinandersetzung mit Sanitär- räumen haben wir uns auch gefragt, was passiert eigentlich nach der Benützung einer Badewanne oder eines WCs. Das Wasser rinnt in den Abfluss. Das ist nach traditionellem Verständnis eigentlich kein Designproblem. Für uns aber schon. Denn in vielen Städten der Welt ist das Abwassersystem ein Problem. Also haben wir begonnen zu recherchieren und sind dann bei Eawag, einem Institut an der ETH Zürich, das sich mit dem Problem beschäftigt und an nachhaltigen Wasser- und Abwassersystemen arbeitet, fündig geworden. Wir haben uns dort dann vorgestellt: »Guten Tag, wir entwerfen normalerweise Klos, aber vielleicht ist es hilfreich, wenn wir ins Gespräch kommen.«

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Die Innovations-Initiative geht also heute vielfach von Designern aus, die sich nicht nur als »nachrangige« Gestalter von Produkten, sondern als »vorrangige« Gestalter des sozio-technologischen Wandels verstehen.Wenn wir weiter in diese Richtung gehen wollen, mit unseren Produkten vor allem auf zentrale kulturelle und soziale Heraus- forderungen zu reagieren, dann müssen wir manchmal natürlich selbst die Initiative ergreifen bzw. Kontexte neu finden. Unser Vorteil ist, dass man uns mittlerweile solche Themen abnimmt. Dass Firmen, die dafür in Frage kommen könnten, gute Erfahrungen mit uns gemacht haben, und daher auch für Anregungen in diese Richtung offener gewor- den sind; dass es nicht immer nur darum geht, neue ästhetische Formen zu finden. Man muss sich das einmal vorstellen: In einer Welt, in der jährlich hunderte neue Klos vor- gestellt werden, gibt es keine neuen Produkte, die eine effiziente und ökologische Lösung für die Wasserwiederaufbereitung unterstüt- zen. Jetzt arbeiten wir daran. Das sind

Innovationsfelder, mit denen wir uns seit ein paar Jahren aktiv beschäftigen.

Soziotechnologische Innovationen, wie auch Ihr Projekt der Algae Community Power Station, sind aufgrund ihrer Komplexität besonders auf Kooperationen, auf die Bünde- lung von Know-how angewiesen. Ja, Kooperation ist die notwendige Aktions- form in neuen Kontexten. Um ökonomisch, ökologisch und sozial bessere Gestaltungs- prozesse zu machen, ist die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, mit der Forschung, mit innovativen Unternehmen, Stiftungen und Förderagenturen notwendig. Aber es geht dabei nicht um Kooperationen per se, es geht um sozial wirksame Kooperationen. Und da zeigt sich rasch, dass für diese neuen Formen der Kooperation auch neue Formen jenseits von Profit-Organisationen nötig sind und dass auch der herrschende Innovationsbegriff zur Disposition gestellt werden muss. Vielfach fehlen auch die Werkzeuge, die im Gestaltungsprozess helfen, Dinge gänzlich

Ergebnis eines intensiven Erfahrungs-austausches auf Augenhöhe zwischen Eoos-Design und dem Tra- ditionsbetrieb Bulthaup: Küche b2.

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neu zu denken und dabei Innovationsschritte in Richtung Nachhaltigkeit zu setzen. Öko- design gibt es seit zwanzig Jahren, aber es kommen immer noch viele Designer und De-signerinnen aus den Hochschulen, die davon noch nichts gehört haben.

Die Gründung des Institute of Design Research ist Ihre Konsequenz aus diesen Überlegungen?Ja, es ist eine andere Organisationsform, die sich noch viel mehr als Eoos auf Koopera-tionen hin entwickelt und als Katalysator des Wandels agieren kann. Wir haben zu lange Dingen applaudiert, die uns nicht wirklich weiterbringen. Der Einsatz eines neuen Ma- terials war und ist zum Teil heute noch gleich- bedeutend mit Innovation, selbst wenn das Material einen katastrophalen ökologischen Fußabdruck hat. Und ich glaube auch nicht, dass alte Formen der Organisation und die Förderung dieser Art von Organisation hilft, diesen neuen Innovationsanspruch umzu- setzen. Wir müssen begreifen, dass Profit-Organisationen nicht die einzige Form sind, Dinge zu tun. Non-profit-Organisationen fallen aber häufig aus den Förderstrukturen der Kreativwirtschaft heraus, weil die

meist an Gewinnerwartungen geknüpft sind. Wie Innovation müsste aber eigentlich auch der Begriff »Gewinn« neu definiert werden: Ein Gewinn für eine Stadt wie Wien kann auch ein Non-profit-Unternehmen sein, das eine andere Plattform für Kooperationen bietet. Sie sind das Zukunftsmodell, das den soziotech- nologischen Wandel herbeiführen kann. Aber nur dann, wenn Kooperationen nicht allein den Zweck haben, Gewinne zu machen, son- dern die Gemeinsamkeit zu fördern. •

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Toilet Challenge in Kampala: Harald Gründl präsentiert in Uganda ein in Kooperation mit Eawag (ETH Zürich) entwickeltes nach-haltiges Sanitärsystem.

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Der Begriff Sozialwirtschaft beschreibt den Teil eines Wirtschaftssystems, der sich im Wesentlichen mit Leistungen zum Nutzen der Gesellschaft befasst. Das Sachziel sozialer oder sozialwirtschaftlicher Unternehmen besteht in der direkten Produktion von individueller und gemeinschaftlicher Wohlfahrt. Damit hat das sozialwirtschaftliche Handeln sowohl ökonomische als auch soziale Aspekte. Als Sektor wirtschaftlicher Betätigung wird die Sozialwirtschaft im gewöhnlichen Sprachgebrauch zwischen dem privaten Sektor des Wirtschaf- tens (Markt) und dem öffentlichen Sektor (Staat) angesiedelt. Gebräuchliche Zuordnungen sind auch der Dritte Sektor und der Non-profit-Sektor. Die So- zialwirtschaft umfasst individuelle und kollektive Formen gemeinschaftlicher, öffentlicher oder gewerblich organisierter Versorgung. Sie kann von Betrof- fenen selbst (z. B. genossenschaftlich) organisiert oder für sie von Wohlfahrts-organisationen bereitgestellt sein.

Humane Sachzielorientierung mit kreativen Produkten und Services

Als Branche betrachtet stellt die Sozialwirtschaft einen besonderen Bereich der ökonomischen Wertschöpfung dar. Der Grund dafür ist, dass sie primär keinen Erwerbszweck, sondern Sachziele zur Deckung eines humanen Bedarfs verfolgt. In der Regel gehören zur Sozialwirtschaft Betriebe und Organisationen, die Dienstleistungen im Bereich des Sozialen, in Kinder- und Jugendhilfe und Integrationseinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung erbringen sowie Produkte in Werkstätten für Menschen mit Behinderung oder Langzeitarbeitslose herstellen (Wikipedia 2012). Sozialwirtschaftliche Unternehmen stehen dabei zunehmend im Wettbewerb mit anderen, rein privatwirtschaftlich orientierten Unternehmen. Daher müssen sie sowohl bei der Herstellung von Produkten als auch beim Angebot von Dienstleistungen wirtschaftliches Denken berücksichtigen.

Non-profit goes creativeSozialwirtschaft und Kreativwirtschaft als kongeniale Kooperationspartner.

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Andererseits führt die Sachzielorientierung häufig dazu, dass auf die Entwick- lung von Innovationen und neuen Produkten weniger Augenmerk gelegt und oft auch das Corporate Design vernachlässigt wird. Die Beschäftigung von arbeits- marktfernen Menschen und deren spezielle Bedürfnisse stehen im Vordergrund, nicht so sehr, ob mit den erzeugten Produkten Kunden- bzw. Marktbedürfnisse abgedeckt werden. Zugleich geraten soziale Unternehmen angesichts schwin- dender öffentlicher Mittel jedoch immer mehr unter Druck, ihre Mittel effizien- ter einzusetzen und zusätzliche Einkünfte zum wirtschaftlichen Überleben zu lukrieren. Aufgrund ihrer – verglichen mit privaten Unternehmen – wirtschaft- lich häufig schwächeren Position, aber auch ihrer spezifischen Mitarbeiter- struktur (Menschen mit Behinderungen, Langzeitbeschäftigungslose etc.) sind soziale Unternehmen bei der Entwicklung von Innovationen daher verstärkt auf Kooperationen mit der Kreativwirtschaft angewiesen, um attraktive Produkte anzubieten, ihr Marke und ihr Produktportfolio wettbewerbsfähig zu machen, neue, effizierte Vertriebswege zu finden und das Image ihrer Produkte und Dienstleistungen zu optimieren.

Davon können langfristig beide Sektoren profitieren, da nicht nur der Anteil der Kreativwirtschaft, sondern auch der Anteil der Sozialwirtschaft an der natio- nalen Bruttowertschöpfung in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Insbe- sondere Designer können bei solchen Kooperationen auch von der traditionell hochwertigen Verarbeitungsqualität, wie sie in Behindertenwerkstätten vielfach im Vergleich zu profitorientierten Produktionsstätten gepflegt wird, profitieren.

Upcycling Design – Upgrading Social Work

Aktuelle Beispiele von Kooperationen zwischen Sozial- und Kreativwirtschaft sind z. B. das von departure geförderte Projekt »Perspektive Design«, das die Ent-wicklung und Umsetzung des strategischen Unternehmensdesigns der Wiener Blindenwerkstätte sowie den Relaunch der Produktpalette und des Außenauf- tritts durch das Designbüro dottings zum Ziel hat. Die Kooperation führte zur Entwicklung von Badebürsten mit neuem, ansprechendem Design, die von Blin-den und sehschwachen Menschen produziert werden.

Ein weiteres – mittlerweile schon institutionalisiertes – Beispiel für die erfolg- reiche Kooperation zwischen Designern und sozialen Unternehmen ist gabarage, der seit 2005 existierende sozialökonomische Betrieb des Wiener Anton Proksch Instituts zur Behandlung von Abhängigkeiten. Gemeinsam mit etablierten De-signern und Künstlern entwickelt das gabarage creative team ökologisch nach-haltige Designerstücke, Gebrauchsgegenstände sowie Schmuck und innovative Einzelanfertigungen aus Altmaterialen von Industrie- und Gewerbebetrieben. Die Ausgangsmaterialien, mit denen gabarage arbeitet, werden durch die neue Nutzung aus ihrem ursprünglichen Kontext genommen und so aufgewertet.

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Diese so genannten Upcycling-Designprodukte werden im Showroom in Wien-Wieden präsentiert und verkauft. Kunden können aber auch spezielle Produkt- wünsche deponieren, die in Einzelanfertigungen hergestellt werden. Eine ähnliche Philosophie vertritt die TrashDesignManufaktur (TDM) in Wien als Teil eines sozialökonomischen Betriebs der Wiener Volkshochschulen GmbH, der sich der Reintegration, Qualifizierung und Vermittlung von Langzeitbe- schäftigungslosen und Menschen mit Behinderungen widmet. Die TDM fertigt eleganten und hochwertigen Schmuck, Möbel und Accessoires. Die Produkte bestehen hauptsächlich aus recycelten Teilen von gebrauchten Elektro- und Elektronik-Altgeräten. Jedes Stück ist Handarbeit und deshalb einzigartig. •

Tagtäglich gingen die jungen Berliner Designer Oliver Vogt und Hermann Weizenegger Ende der 1990er Jahre auf dem Weg in ihr Büro an dem verstaub- ten Ladengeschäft der Berliner Blindenanstalt in der Oranienstraße vorbei. Und sie fragten sich, warum dort seit Jahrzehnten unverändert handgefertigte Waren – Bürsten, Besen und Körbe – angeboten werden, die in jedem Baumarkt aus industrieller Fertigung längst um einen Bruchteil des Preises zu haben waren. Und tatsächlich stand der Laden im Parterre der Blindenanstalt 1998 kurz vor der Schließung. Kaum jemand kaufte noch handgefertigte Besen und Bürsten aus echten Schweinsborsten, Pinsel aus Ziegenhaar oder ließ sich seine durchgesessenen Freischwinger aufwändig restaurieren. Die Designer aber waren von der Materialqualität der Produkte und der handwerklichen Professionalität der Erzeuger begeistert und konnten die Betreiber der Blinden- werkstätte mit der Idee gewinnen, kreatives Design mit traditioneller Bürsten- zieherei zu verbinden, den Laden heraus aus der Behinderten-Ecke zu bringen

Wie aus der bankrotten Kreuzberger Blindenwerkstatt die mit internationalen Designpreisen ausgezeichnete Imaginäre Manufaktur wurde.

Phönix aus der AscheBest Practices

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und seine Produktpalette so zu erweitern, dass nicht nur aus Solidarität gekauft wurde, sondern auch aus Freude an der Gestaltung des Produkts.

Modernes Design, hergestellt in alter Handwerkskunst

Und so entwickelten Vogt + Weizenegger ab 1998 gemeinsam mit Studenten der Berliner Hochschule der Künste und der Potsdamer Fachhochschule sowie mit einer wachsenden Zahl internationaler Design-Kollegen in Kooperation mit der Blindenwerkstatt die originelle Produktlinie DIM (Die Imaginäre Manufaktur): Modernes Design, hergestellt in alter Handwerkskunst. Die Designer gingen in die Blindenwerkstätten und ließen sich die Besonderheiten des Materials und seiner Verarbeitung erklären. Innerhalb von zwei Jahren entstanden so über 70 ganz unterschiedliche Bürsten- und Korb-Objekte, entworfen von mehr als 40 Designern. Im Schaufenster des Ladens in der Oranienstraße in Berlin-Kreuz- berg liegen und stehen seitdem schillernde Objekte aus Rohr, Borsten und Holz: Zwitter zwischen Bürsten und Skulpturen, Gebrauchsgegenständen und Kunst- objekten wie Schuhbürsten in Highheels-Form oder Eierbecher, die das Ei in einem Kranz von Borsten halten.

2005 übertrug die Stadt Berlin die Blindenanstalt mit ihren 50 Mitarbeitern einem freien Träger: Die gemeinnützige Union sozialer Einrichtungen (USE) führt den Laden in der Oranienstraße sowie die Blindenwerkstatt weiter. Hinzugekommen zu Bürsten- und Korbwaren sind auch Keramik, Papier- und Textilprodukte aus anderen Einrichtungen der USE. Seitdem hat sich die DIM stark entwickelt, zahlreiche Designpreise gewonnen und maßgeblich dazu beigetragen, das Image der Arbeit behinderter Menschen zu verbessern. DIM-Produkte werden längst nicht mehr nur im Laden in der Oranienstraße 26 verkauft, sondern vor allem in Museumsshops, in Mailand und San Francisco, London und Tokyo.

Kooperationen zeigen Wege aus der Krise

Die Kooperation hat sich nicht nur für die Blindenanstalt rentiert. Die Imaginäre Manufaktur brachte auch den beiden Designern den internationalen Durch-bruch. Und sie hat in Berlin auch andere traditionelle Handwerksbetriebe und Designer zu mittlerweile erfolgreichen Kooperationen ermutigt und sie so aus ihren mitunter prekären Existenzen geführt. Neue Wege zu finden in Zeiten, in denen dem Handwerk die traditionellen Märkte verloren gehen, ist schließlich auch eine gestalterische Aufgabe. Um so etwas möglich zu machen, müssen Energien gebündelt, Kompetenzen vernetzt, neue Kooperationsformen und neue Vertriebswege (Museumsshops, Design- und Möbelmessen, Webshops etc.) gefunden werden.

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Gute Dinge, die lächeln. Produkte aus der Kooperation zwischen Die Imaginäre Manufaktur und Union sozialer Ein-richtungen: Radierpinsel »Limpo« von Elder Ferreira Monteiro, »Ms Brush Shoe« von Mats Theselius, Tastaturbürste »Braille« von Marti Guixé und die »Nagel- bürste« von Hartmut Ringel.

In ihren Seminaren an der Universität der Künste und der Potsdamer Fachhoch-schule regten Vogt und Weizenegger an, die Idee der Imaginären Manufaktur auszuweiten. Die Studenten sollten Handwerksbetriebe in Berlin suchen, die zu einer Zusammenarbeit bereit waren. So spürte etwa Sebastian Summa, der selbst Kunstschlosser gelernt hat, die Metalldrückerei Bräuer in Neukölln auf und entwickelte gemeinsam mit den Handwerkern neue Produkte, die das Portfolio des Unternehmens unter Anderem um Lampen und Backformen, deren eigen- willige Formen dazu einladen, sich neue Rezepte auszudenken, erweitert. Summa hatte diese gemeinsam mit seinem isländischen Kollegen Hrafnkell Birgisson und den Köchen des Berliner Kochstudios Kochlust entworfen. In den Hohlfor-men könnten sich z. B. Marzipanflüsschen oder Schokoladenrinnsale ergießen. Die Türme wiederum laden zum mehrfarbigen Teigmäandern ein. Und diese wiederum zur Überlegung, damit ein eigenes Backbuch zu gestalten. •

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Der Wille spricht bekanntlich fürs Werk. Allein der Wille reicht nicht aus, wenn es darum geht, Ideen konkrete Gestalt zu verleihen und diese in markt- fähige und erfolgreiche Produkte zu verwandeln. Der Beginn einer Kooperation kann der Grundstein einer Erfolgsgeschichte, aber auch einer langwierigen und von wechselseitigen Enttäuschungen gekennzeichneten Auseinandersetzung werden. Wer sich jemals auf das Abenteuer einer Kooperation eingelassen hat, weiß, dass beides möglich ist.

Zweifellos stehen am Beginn jeder Kooperation Überlegungen im Vordergrund, wie das eigene Produkt – seien es nun Dienstleistungen oder Waren – mithilfe eines anderen besser vermarktet und verwertet werden kann. So sehr man auch bemüht sein mag, die Interessen des Kooperationspartners in die eigene Pla- nung mit einzubeziehen, trübt die eigene Erwartungshaltung regelmäßig doch den Blick auf gegenläufige, die der Verwirklichung der Kooperation hinderlich sein können. Kooperationspartnern ist daher dringend zu empfehlen, möglichst schon vor der Beantragung von Fördermitteln anwaltlichen Rat einzuholen, um den Rahmen ihrer Zusammenarbeit abzustecken und die vertraglichen Grund- lagen der Kooperation maßgeschneidert zu regeln. Letztlich können gleichbe- rechtigte, auf Augenhöhe geführte Gespräche unter Beiziehung anwaltlicher Unterstützung auch wichtige Hinweise darauf liefern, wie ernsthaft der jeweils andere Kooperationspartner an einer fairen Zusammenarbeit interessiert ist.

Wahr ist, dass Papier geduldig ist und selbst der beste Vertrag kein gutes Pro- dukt zu erzeugen vermag. Wahr ist aber auch, dass selbst die beste Idee zu keinem guten Produkt reifen kann, wenn die Rahmenbedingungen einer Koope-ration nicht ausreichend bestimmt sind und für Situationen konfligierender

Kooperationen und VerträgeKooperationen brauchen für ihre erfolgreiche Abwicklung Zieldefinitionen und Vereinbarungen. Ein zentraler Teil dessen sind rechtliche Festlegungen.

Gastkommentar von Klaus Keider

Der Autor Klaus Keider ist Rechtsanwalt in Wien.

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Interessen nicht vorgesorgt wurde. Dieser Befund gilt auch und ganz besonders für Kooperationen, die unter Bereitstellung öffentlicher Mittel eingegangen werden, da neben den wechselseitigen Interessen der Kooperationspartner immer auch noch Auflagen des Förderungsgebers zu berücksichtigen sind. Wer den Gipfel der Förderung erklimmen und eine erfolgreiche Kooperation auf den Weg bringen will, ist daher gut beraten, sich rechtzeitig auf die Mühen der Ebene vorzubereiten, um nicht auf halbem Weg an den Tücken unbedachter oder unerkannter Probleme zu straucheln. Die Erfahrung zeigt, dass gerade im Segment der Kreativwirtschaft, aber auch in jenen Bereichen der Wirtschaft, die sich der Produkte dieses Segmentes bedienen, oft nur unzureichende Kennt- nisse darüber vorhanden sind, welche Rechte und Pflichten mit der Schaffung, der Nutzung und der Verwertung von Kreativleistungen einhergehen.

Wann liegt ein urheberrechtlich geschütztes Werk vor, wer ist überhaupt Urhe- ber, wie ist es um Werke bestellt, die Kreative gemeinsam mit Produzenten und/oder Vertriebsunternehmen entwickelt haben, wer entscheidet über die Ver- wertung, wer darüber, von wem das neu entwickelte Produkt erzeugt und wie es vertrieben werden soll? Wer darüber, ob und welche Kennzeichen für dieses geschützt werden sollen? Wie ist die Kostenverantwortung gegenüber dem Förderungsgeber wahrzunehmen? Was hat zu geschehen, wenn die Koopera- tion scheitert? Wie verteilen sich die Rechte und Pflichten bei Beendigung der Zusammenarbeit? Fragen über Fragen, die nicht erst im Konfliktfall, sondern schon vor Eingehung einer Kooperation beantwortet sein wollen. Die erfolg- reiche Entwicklung und nachhaltige Vermarktung neuer kreativer Produkte setzt zwingend voraus, dass bereits vor Eingehen einer Kooperation mit dieser Zielsetzung Aufgaben und Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten zwischen den Kooperationspartnern klar geregelt sind.

Ein brauchbarer Kooperationsvertrag ist regelmäßig unerlässlich. Die Koopera- tionspartner sind daher aufgerufen, sich bereits vor Eingehen einer Kooperation mit wesentlichen Fragen der Organisation, der Aufgabenverteilung, der Ent- scheidungsbefugnisse, der Rechtesicherung und Rechteverwertung, weiters auch der Rechnungslegung und Kostenverantwortung gegenüber dem Förde-rungsgeber sowie – last but not least – mit Fragen der Beendigung der Koopera- tion und der sich daran knüpfenden Rechtsfolgen zu befassen. Das von departure zur Verfügung gestellte und bei der Beantragung von Fördermitteln zu ver- wendende Formular sieht ausdrücklich vor, dass beide Kooperationspartner mit Beantragung von Fördermitteln auch ihr Einverständnis erklären, den von departure für Kooperationsvereinbarungen erarbeiteten »Grundsatzkatalog zur Kooperation« wechselseitig als Basis ihrer Kooperation akzeptieren. Der »Grundsatzkatalog zur Kooperation« kann aber einen auf die konkrete Ko- operation abgestimmten, die wechselseitigen Rechte und Pflichten regelnden Kooperationsvertrag nicht ersetzen, dies jedenfalls dann nicht, wenn der Fokus der Zusammenarbeit auf der Schaffung und Verwertung neuer Produkte liegen soll. •

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Checkliste für Kooperationsverträge

Die folgenden Punkte sollen einen Überblick geben, welche Aspekte für eine Kooperation zwischen Kreativwirtschaft und klassischer Wirt- schaft jedenfalls bedacht und geklärt werden müssen, um im Zuge der Zusammenarbeit Missverständnisse zu vermeiden. In einem Koopera- tionsvertrag sollte jedenfalls enthalten sein:

Projektkoordinator bestimmen;

Abstimmungserfordernisse bei Entscheidungen klären;

Minderheitenrechte festlegen;

Rechte und Pflichten beider Seiten festlegen:

untereinander,

gegenüber Dritten;

Leistungen und Aufteilung der Arbeitspakete festlegen;

Zahlungsfristen klären;

Nutzungsrechte festhalten:

bestehendes Know-how,

neues Wissen aus dem Projekt;

Rechte an Patenten, Schutzrechte festlegen:

bereits vorhandene,

neue aus dem Projekt;

Projektdauer und Kündigungsfristen festlegen;

Austrittsregeln definieren;

(Befristete) Geheimhaltungsklauseln festlegen;

anzuwendendes Recht und Gerichtsstand festlegen.

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Mit dem Call focus Kooperation will departure Wiener Unternehmen zu neuen Aufbrüchen anregen, erfolgreiche Partnerschaften zwischen der klassischen Wirtschaft und Kreativen fördern sowie mentale, strukturelle und finanzielle Hürden überwinden helfen, die Innovationen mitunter im Wege stehen. Koope- rationen sind ein zentrales Instrument für Innovationen quer durch alle Sekto- ren der Kreativwirtschaft und der klassischen Wirtschaft. Sie beschränken sich nicht auf spezielle Produktionsbereiche, Branchen oder Dienstleistungen. Dehalb ist es nicht möglich, spezielle Produktbereiche zu nennen, die diesbezüglich am Wichtigsten sind – es wären einfach zu viele. Es gibt aber Aspekte, die als wich- tige Ansätze im Zusammenhang mit Kooperationen gesehen werden können:

Kooperationen führen zu neuen Formen der WertschöpfungDie völlig neuen Formen der kooperativen Wertschöpfung und Vermarktung, die in den letzten Jahrzehnten unter anderem im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien entstanden sind, können auch als Inspiration für Branchen dienen, die vordergründig nicht direkt mit dem Bereich digitaler Medien zu tun haben. Das bedeutet für die Kreativwirtschaft etwa, stärker Bezug auf die Bedürfnisse der Kooperationspartner und zukünftigen Konsu- menten zu nehmen und intensiver mit diesen zu interagieren, also hybride Formen der Entwicklung und Verwertung umzusetzen. Und es bedeutet für die klassische Wirtschaft etwa, in derartige kooperative Prozesse mit möglichst großer Offenheit gegenüber den Partnern zu gehen. Je offener die Kooperation angelegt ist, desto größer sind die Chancen, grundsätzlich neue Produkte und Dienstleistungen zu kreieren; desto größer ist aber auch das Risiko des Schei- terns. Je früher im Entwicklungsprozess die Zusammenarbeit beginnt, desto leichter kann die richtige Balance zwischen Offenheit und Zielorientiertheit ge- funden werden, die die Risiken minimiert. Der mögliche Nutzen für beide Sei- ten sind mehr Innovationschancen bei allen Gliedern der Wertschöpfungskette. Beispiel dafür sind die Passionswege-Projekte, die häufig sehr offen angelegt

PerspektivenDie folgenden Ansätze zeigen auf, wie Kooperationen zwischen klassischer Wirtschaft und Kreativwirtschaft zum zentralen Instru- ment für Innovationen werden und departure Wiener Unternehmen dabei unterstützen kann, dieses Instrument erfolgreich einzusetzen.

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sind, aber auch nicht immer langfristig wirksam werden; wenn sie jedoch in eine dauerhafte Kooperation münden, handelt es sich meist um grundlegende Innovationen.

Kooperationen generieren neue Geschäftsmodelle und MärkteKooperationspartner können Produkte in anderen Kontexten verorten und damit neue Märkte und Kunden erschließen, sie können aber auch dazu beitra- gen, grundsätzlich neue, innovative Geschäftsmodelle entwickeln. Das erfor- dert Offenheit und gegenseitiges Vertrauen, insbesondere aber auch Risikobereit- schaft; und es erfordert Interdisziplinarität, ja sogar Transdisziplinarität, also das Zusammenwirken heterogener Akteure, die entweder aus verschiedenen Disziplinen kommen oder auch Expertise aus Nutzersicht mit einbringen. Mit der Langfristigkeit von Kooperationen steigt das wechselseitige Vertrauen und die Qualität der Zusammenarbeit, macht aber schließlich auch neue, ergänzen- de Kooperationen nötig, um die mittlerweile gemeinsame Ebene durch neue As- pekte zu ergänzen. Neue Geschäftsmodelle können etwa auf hybriden Produk- tions- und Vermarktungsweisen aufbauen. Neue Modelle sind vor allem auch dann sinnvoll, wenn sie ergänzend zu bestehenden eingesetzt werden können. Ein international bekanntes Beispiel dafür ist die von IBM unterstützte Eclipse-Plattform, die selbst keine unmittelbare Wertschöpfung für das Unternehmen generiert, sondern Kosten verursacht. Sie macht es aber möglich, erfolgreiche Wertschöpfungsprozesse auf Eclipse aufzubauen und nachhaltige Entwicklun- gen anzustoßen.

Kooperationen erzeugen soziale Innovationen, die zu neuen Produkten führenSoziale Innovationen haben schon per se große Bedeutung; andererseits führen die Praktiken und Anwendungsweisen, die die Menschen im Rahmen sozialer Innovationen entwickeln, häufig zu Ansatzpunkten für neue Produkte und Dienstleistungen, die wiederum innovativ sind. So können zwar Carsharing-Dienste mit konventionellen Fahrzeugen betrieben werden; sie erzeugen aber auch den Bedarf an neuen, spezifisch angepassten Fahrzeugen, Buchungs- und Sicherungssystemen, mit anderen Verkehrsmitteln verbundenen Systemen etc. Insofern bietet die Auseinandersetzung mit und Investition in soziale Innovation große Chancen für Produkt- und Dienstleistungsinnovation. Das bedeutet für die Kreativwirtschaft insbesondere die Notwendigkeit, sich analytisch mit jenen Bereichen auseinanderzusetzen, in denen soziale Innovationen aktuell relevant sind. Das Gleiche gilt für die klassische Wirtschaft. Es bedeutet jedoch auch, traditionell erfolgreiche Produkt-, Dienstleistungs- und Vermarktungswelten in Frage zu stellen und durch Neues zu ergänzen. •

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Acha, Virginia (2008): Open by Design. The Role of Design in Open Innovation, Londonarge creativ wirtschaft austria (2008): Dritter österreichischer Kreativwirtschaftsbericht, WienBenkler, Yochai (2006): The Wealth of Networks, New Haven: Yale University PressBMWF, BMVIT, BMWA (2009): Österreichischer Forschungs- und Technologiebericht 2009, WienBoland, Richard J.; Lyytinen, Kalle; Yoo, Youngjin (2007): »Wakes of Innovation in Project Networks. The Case of Digital 3-D Representations in Architecture, Engineering, and Construction«, in: Organization Science, 18, 4 (2007), S. 631–647Creative Industries Styria GmbH (2011): Designers in Residence CIS.doc #05, GrazGatterer, Harry; Zehetner, Elisabeth (2009): Kreativität für alle. Wie wir aus unseren Unternehmen mehr herausholen und warum wir Kreativitätspolitik brauchen, Junge Wirtschaft, Wirtschaftskammer Österreich, WienHaseman, Brad (2005): »Creative Practices«, in: Hartley, John (Hg.): Creative Industries, London: Sage Publications, S. 158–176KMU Forschung Austria, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (2010): Kreativwirtschaftsbericht Wien, WienKossen, Remco; van de Poel, Peter; Reymen, Isabelle (2010): Collaboration and Business Models in the Creative Industry, University of Technology EindhovenRosa, Hartmut (2005): Beschleunigung. Frankfurt am Main: SuhrkampSahlins, Marshall (1969): Stone Age Economics, New York: Aldine De GruyterWikipedia (2012): Stichwort »Sozialwirtschaft«, Version vom 8. Februar 2012, de.wikipedia.org/wiki/Sozialwirtschaft

Literatur

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Impressum

Herausgeber: departure – Die Kreativagentur der Stadt Wien GmbH, Bettina LeidlKonzeption: Bettina Leidl, Elisabeth Noever-GinthörProjektleitung: Elisabeth Noever-Ginthör, Anne ZimmermannAutoren: Christian Dögl, Wolfgang Reiter, Robert Temel (uma information technology gmbh)Redaktion: Sabine Hofmann, Elisabeth Noever-Ginthör,Anne ZimmermannWolfgang Reiter, Robert Temel Gastkommentare: Carl Frech, Georg Kapsch, Klaus Keider, Ezio Manzini, Tassilo Pellegrini, Bradley QuinnInterviews: Caro Wiesauer, Christian Dögl, Wolfgang Reiter, Robert Temel Art Direktion: Rosebud, Inc.Lektorat: Robert Gisshammer, Robert Temel Übersetzung: Gerrit JacksonAuflage: 1.000Veröffentlichung: Juni 2012

In dieser Publikation wird aufgrund der besseren Lesbarkeit auf sämtliche geschlechtsspezifische Endungen verzichtet.

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Der Themencall focus Kooperation wird gemeinsam von departure und der Wirtschaftsagentur Wien ausgerichtet. Einreichfrist: 18. Juni bis 1. Oktober 2012.

Dank an: Clemens Beer, Stefan Berger, Tulga Beyerle, Gudrun Bolduan, Christian Dögl, Hermann Fankhauser, Markus Felmayer, Carl Frech, Roland Gruber, Harald Gründl, Anja Hasenlechner, Franz Hergovich, Gerhard Hirczi, Lilli Hollein, Industriellenvereinigung, Thomas Jozseffi, Florian Kaps, Georg Kapsch, Klaus Keider, Christian Knechtl, Leopold Liechtenstein, Ezio Manzini, Martin Mühl, Jogi Neufeld, Tassilo Pellegrini, Bradley Quinn, Wolfgang Reiter, Julian Riess, Doris Rothauer, Helga Ruthner, Wolfgang Schreiner, Karo Simonitsch, Wolfgang Sperl, Robert Temel, Andreas Tschas, Caro Wiesauer, Brigitte Winkler, Wirtschaftsagentur Wien, Wirtschaftskammer Wien

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departure – Die Kreativagentur der Stadt Wien GmbHHörlgasse 12, 1090 Wien

T +43 1 4000-87100, F +43 1 [email protected], www.departure.at

departure ist die Kreativagentur der Stadt Wien und fördert und vernetzt  Wiener Unternehmen der Kreativwirtschaft in den Bereichen Architektur, Audiovision,  

Design, Kunstmarkt, Medien/Verlagswesen, Mode, Multimedia und Musik.  Alle Details zu den Förderprogrammen und den Netzwerkaktivitäten unter www.departure.at