wiener journal august 2009

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Wien für Wiener Die Stadt neu entdecken. Andros Wandern auf der Kykladeninsel. DER MÜLLER VOM FLUSS Martin Zöberl mahlt auf der Donau traditionell Korn. Nummer 35 | 28. August 2009 BÜCHER I DVD I KROBATH I RÄTSEL I SCHACH I TAROCK I WEIN

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Wien für WienerDie Stadtneu entdecken.

AndrosWandern auf derKykladeninsel.

DER MÜLLERVOM FLUSSMartin Zöberl mahlt auf der

Donau traditionell Korn.

Nummer 35 | 28. August 2009

BÜCHER I DVD I KROBATH I RÄTSEL I SCHACH I TAROCK I WEIN

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R E I S E N I G R I E C H E N L A N D

– T E X T + F OT O S : H A R A L D S T E I N E R –

Müllers Lust auf Griechisch

Hört sich an wie ein griechischer Inselurlaubstraum: viele nette kleine Sand- und Kieselstrände, tolle Routen für Wanderfexe, gebirgiges Terrain mit zahl-

reichen Quellen und Wäldchen, eine malerisch auf einer Halbinsel gelegene alte Inselhauptstadt mit prächtigen Reedervillen, arkadisch anmutende grüne Tallandschaften. Und das Beste ist: Massentourismus hat hier nichts verloren, Pauschal-reisende gibt es auf der Insel keine, Unterkunft findet man in Famili-enhotels, kleinen Pensionen und bei Privatzimmervermietern. Das Paradies für Griechenland-Fans hat einen Namen: Andros, die nörd-lichste der Kykladen-Inseln, mit einer Fläche ein wenig kleiner als das Bundesland Wien und einer ständigen Bevölkerung von 9000 Menschen.

Und noch ein Vorteil: Andros ist sehr leicht zu erreichen, zu allen

IN DEN NÖRDLICHEN KYKLADEN gibt es für Wander- und Naturfreunde eine Trauminsel zu entdecken: Andros.

Jahreszeiten. Wenn man mit den Fahrplänen von Bus und Schiffsfäh-re Glück hat, dann kann man schon drei Stunden nach der Landung am Flughafen Athen den Fuß auf and-rotische Erde setzen, im Hafenort der Insel Gavrion. Die Schiffsver-bindung ist übrigens auch die ein-zige Möglichkeit, nach Andros zu gelangen, es sei denn, man verfügt über einen Hubschrauber wie Milli-ardär Roman Abramowitsch, den es ab und zu nach Andros verschlägt. Nicht als Urlauber, sondern aus re-ligiösen Gründen: Das St. Nikolaus-Kloster, das mit seinen meterdicken Mauern wie eine Trutzburg an einer steilen Bergflanke klebt, ist das Ziel des frommen reichen Russen.

Neben Sonnenanbetern und orthodoxen Pilgern zieht Andros aber auch noch eine dritte Spezies von Besuchern an: die Wanderer und Naturfreunde. Als Urlauber, versteht sich, aber auch als ständige

Bewohner; zu den Letzteren gehört Konstantinos Mentzelopoulos, ein Ex-Banker, der den Großteil sei-nes Lebens in New York und Brüs-sel verbracht hat und sich nun im zweiten Lebensabschnitt um den Naturschutz in seinem Heimatland kümmert.

„Ein paar Jahre haben mei-ne Frau Candice und ich auf der Dodekanes-Insel Tilos verbracht und dort ein Ökologieprojekt mit Schwerpunkt Vogelschutz betreut. Seit dem Vorjahr leben wir auf An-dros, wo uns der Bürgermeister von Korthi eingeladen hat, eine Initia-tive namens Blue Nature ins Leben zu rufen, in Kooperation mit Part-nergemeinden auf mehreren Nach-barinseln. Auf Andros gibt es fast hundert Berufsfischer, und Blue Na-ture verfolgt das Ziel, nachhaltige Fischereimethoden durchzusetzen und so der Überfischung der Ägäis entgegenzuwirken.“

Einer der Strände von Korthi mit dem makabren Namen „Tis Grias To Pidima“ (= „Wo die alte Frau in den Tod sprang“).

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Korthi liegt im südlichsten undam dünnsten besiedelten Teil der Insel. Schon bei der Anfahrt merkt man, warum Konstantinos Ment-zelopoulos Andros halb im Scherz mit der Toskana verglichen hat: In-tensives Grün mit zahlreichen Zy-pressen prägt die Täler, und wegen der vielen Quellen braucht man keine Flachdächer wie auf anderen griechischen Inseln, um das Regen-wasser in die Zisternen zu lenken, sondern man baut Giebeldächer, mit roten Dachziegeln. Die Haupt-straße von Korthi ist eine Fußgän-gerzone mit Geschäften und ver-führerisch duftenden Bäckereien; weniger gut lässt es sich derzeit an der Hafenpromenade flanieren, die wird nämlich gerade mit viel Getö-se umgebaut und neu gepflastert. Wir treffen uns mit Konstantinos und Bürgermeister Yannis Glynos im „Lithodomi“, einem urgemüt-lichen Kafeneion, wo man auch hervorragend und preiswert essen

kann: von frittierten Fleisch-, Gemü-se- und Kichererbsenbällchen über die Inselspezialität „Fourtalia“ (ein Omelett mit Kartoffeln und Speck) bis zu fangfrischen Fisch- und Mee-resfrüchtegerichten.

Yannis Glynos, im Brotberuf Schullehrer für Mathematik und Physik, will in seiner Gemeinde den sanften Tourismus voranbringen: „Andros besitzt eine intakte Natur- und Kulturlandschaft und ist alles andere als von Touristen überlau-fen. Nur im Juli und August strömen die Athener in großer Zahl auf un-sere Insel zur Sommerfrische, aber im Frühjahr oder Herbst kann man hier die Stille genießen und hat die Strände meist für sich alleine. Wenn man Glück hat, kann man sogar Mönchsrobben beobachten, die im Mittelmeer heute sehr selten gewor-den sind. Und für Wanderer ist An-dros überhaupt ideal – es gibt jede Menge abwechslungsreiche Routen, die den alten, immer noch gut er-

haltenen Maultierpfaden folgen.“ Abwechslungsreich – das ist die In-sellandschaft in der Tat. Gerade war man noch zwischen kahlen Felsen, und schon findet man sich in üp-pig wuchernder Vegetation wieder, mit Obstbäumen, Blumenwiese und plätschernden Bächen, von male-rischen steinernen Bogenbrücken überspannt. Vier parallele Bergketten durchziehen Andros, die höchsten Gipfel kratzen an der 1000-Meter-Marke – im Winter kann hier sogar Schnee fallen. Die Fuß- und Maul-tierpfade, anno dazumal Hauptver-bindungsrouten für den Inselver-kehr über Land, sind fast schon so etwas wie die Luxusausgaben von Wanderwegen – mit Steinplatten ge-pflastert und von kunstvoll errich-teten Trockenmauern aus Schiefer-steinen gesäumt. Zwölf Tagestouren sind ausgeschildert und markiert, als „Königsetappe“ gilt die Nr. 3, die von Korthi im Süden zur Inselhaupt-stadt Chora im Osten führt.

Korthi liegt im südlichsten Teil der Insel.

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„Korthi liegt am Meer, und Chora auch“, schmunzelt Yannis Glynos, „aber der Weg Nr. 3 führt über zwei Bergketten, insgesamt sind mehr als tausend Höhen-meter zu bewältigen.“ Gleich am Ortsrand von Korthi geht es steil los: Über einen alten Pfad, der stre-ckenweise eine richtige Treppe bil-det, hinauf zum Bergdorf Kochilou erklimmt man erst noch das Paleo-kastro-Hochplateau mit seinen kaum noch erkennbaren Überres-ten einer venezianischen Festung, bevor es wieder den Berg hinunter geht. Und zwar in das tiefe, dun-kle, grüne Dipotamata-Tal, vom Stefanes durchflossen, einem Wild-bach, der selbst im heißesten Som-mer reichlich Wasser führt. Wasser-kraft, die früher nicht ungenutzt verplätscherte, bis zum Ausgang der Schlucht an einem einsamen,

hübsch gelegenen Sandstrand. Und so gibt es hier eine ganz be-sondere Sehenswürdigkeit zu er-wandern: Die Ruinen von 24 Was-sermühlen, wie Perlen auf einer Schnur hintereinander aufgefädelt, die erahnen lassen, wie betriebsam es einst hier zugegangen sein muss, in der vorindustriellen Zeit, vor der Elektrizität und bevor die Land-wirtschaft ihre einstige Bedeutung weitgehend einbüßte. Zumindest

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gilt das für den Getreideanbau; Obst- und Weinbau, Mandeln und Oliven, Schaf- und Ziegenhaltung sind auf Andros auch heute noch nennenswert.

Müller gibt es keine mehr, ge-wandert wird immer noch. Durch das Labyrinth der engen Gassen im Bergdorf Sineti führt der Weg Nr. 3 auf die Anhöhe, wo man zuguter-letzt die tiefblaue Bucht von Chora überblickt. Eine atemberaubende

Von links nach rechts: Taubenturm; gepflasterter Fußpfad mit alter Steinbrücke.

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Die Landschaft bei Korthi kann man auf einem der zahlreichen Wanderwege erkunden.

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infoALLGEMEINE INFORMATION.

Griechische Zentrale für Fremdenverkehr Adresse: Opernring 8, 1010 Wien T: 01/512 53 17

Internet: www.andros.grwww.korthi.gr

ANREISE.Vom (seit den Olympischen Spielen 2004) neuen Athener Flughafen kommt man mit dem Bus in knapp einer halben Stunde direkt zum Fährhafen des Städtchens Rafina an der Ostküste von Attika; man erspart sich also den Weg über das Athe-ner Stadtzentrum. Die Fähre von Rafina nach Andros (und weiter nach Tinos und

Mykonos) verkehrt mindestens zweimal täglich (auch im Winter), zur Hauptsaison noch häufiger. Homepage für die Fahrpläne der Inselfähren: www.gtp.gr

UNTERKUNFT.Z.B. in den komfortablen Nikolas-Stu-dios, etwas außerhalb von Korthi an einer Hügelflanke gelegen, mit Blick über den ganzen Ort, auf das Meer und die Berge.

Ein örtliches Fremdenverkehrsbüro mit Zimmervermittlung ist „Volta Travel“ in Chora: www.voltatravel.gr. Wenn Inhaber Achilleas Grigorakakis in seinem Büro gerade nichts zu tun hat, hilft er im Delikatessgeschäft seiner Frau Athanasia

aus, das in der Hauptstraße liegt. Typisch griechische Süßigkeiten aus Honig, Mandeln und Pinienkernen, Wein, Olivenöl und selbstgebrannten Trebernschnaps kann man dort kaufen und verkosten. Eine besondere Spezialität sind getrocknete Feigen mit Zimt, Sesam und Lorbeer.

EMPFEHLENSWERTEREISELITERATUR.Eberhard Fohrer: „Reiseführer Kykladen“(Michael-Müller-Verlag),

Dieter Graf: „Wanderführer Amorgos, Naxos, Paros, östliche und nördliche Ky-kladen - 50 Wanderungen auf 12 Inseln“(Graf Editions); Andros ist mit 6 Wander-routenvorschlägen vertreten.

Aussicht: Das breite Zentraltal von Andros endet hier in einer weitge-schwungenen Bucht, und in diese ragt zwischen zwei Sandstränden ein langer, schmaler Felssporn. Genau auf diesem Sporn ist die Stadt erbaut, an seiner Spitze führt eine halsbrecherische Bogenbrü-cke auf eine Insel mit der Ruine eines Kastells aus venezianischer Zeit, und auf einem davorgelager-ten Felsen vervollständigt ein alter

Leuchtturm das Postkartenbild. Die Republik Venedig beherrschte die griechische Inselwelt übrigens drei Jahrhunderte lang, bis zu den türkischen Eroberungszügen; auf Andros wehte das Banner des Mar-kuslöwen sogar bis 1537.

Die prächtige Architektur von Chora stammt allerdings aus jün-gerer Zeit, derjenigen des unab-hängigen griechischen Staates, als fast die gesamte männliche Bevöl-

kerung der Insel zur See fuhr. Wohl wegen der Nähe zu Athen hatten sich zahlreiche Reeder auf Andros etabliert, Geld strömte nach Cho-ra, und herrschaftliche klassizis-tische Villen demonstrierten den Reichtum. Auf zwei großen pla-tanenbeschatteten Plätzen kann man seinen Kaffee schlürfen und sich von den Strapazen der Wan-derung erholen, und wenn man noch Energie für Kultur hat, dann sind die beiden Museen von Cho-ra einen Besuch wert. Das eine ist der modernen Kunst gewidmet, das andere der Archäologie; Prunk-stück ist eine Jünglingsstatue des berühmten antiken Bildhauers Pra-xiteles.

Vor allem aber ist Chora herr-lich malerisch, mitten in der Stadt finden sich Brunnenhäuser aus weißem Marmor und Taubentür-me mit reichem Ornamentdekor. Und steigt man vom Felssporn hinab, dann steht man an einem verschilften Bachlauf, in dem sich Wasserschildkröten und Frö-sche tummeln. Bergauf ginge es natürlich auch wieder, in allen gewünschten Steilheitsgraden: Bergdörfer, alte Klosteranlagen, Wasserfälle, Gipfel und Panorama-blicke locken. Wem fiele da nicht das Wandern ein?

Konstantinos Mentzelopoulos, Leiter des Blue Nature-Projekts, mit Gattin Candice.