z wir 009 1503...2018/03/15  · von alexander braun und florian schreiber verfasste und im...

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www.kgv.ch – 15. März – 3/2018 9 Im Brennpunkt Auch Versicherungen gehen digital Mit Insurtech hat die Versicherungsbranche ein eigenes Wort für ihre Digitalisierung gefunden. Unter diesen Begriff fallen jedoch ganz unterschiedliche Firmen und Geschäftsmodelle, die mit ihren neuen digitalen Ansätzen die grossen Versicherer herausfordern. Für KMU ist das interessant. Digitale Broker und Online-Versi- cherer bringen das Versicherungs- management auf die Smartphones ihrer Kunden. Technologieunterneh- men entwickeln Wearables – tragba- re Computersysteme – die Daten zu Puls, Blutdruck oder Schlafmuster sammeln können. Dies macht sol- che Technologieunternehmen wie- derum für Versicherungen interes- sant, die darauf hoffen, mit diesen Gesundheitsinformationen genau- ere Risikoeinschätzungen für ihre Kunden machen zu können. All diese Entwicklungen auf dem Versicherungsmarkt versucht der Begriff Insurtech – Versicherungs- technologie – unter einen Hut zu bringen. Einen Hut, den sich die In- vestoren weltweit derzeit nur allzu gerne aufsetzen. Im zweiten Quar- tal des vergangenen Jahres konnten sich laut PwC Deutschland 64 Ver- sicherungs-Start-ups über insgesamt 985 Millionen in sie investierte Dol- lar freuen. Das Funding sei damit höher gewesen als der addierte Wert für die drei vorangegangenen Quar- tale, schreibt PwC. Kultureller Wandel Unter Insurtech nur die digitalen Technologien zu verstehen, die in der Versicherungsbranche benutzt werden, würde aber zu kurz greifen, denn: «Bei Insurtech, wie auch bei Fintech, geht es um den kontinuierli- chen Wandel – und der ist nicht nur technologischer, sondern auch kul- tureller Art», sagt Christina Kehl, Geschäftsführerin Swiss Finance Startups und Studiengangleitern Digital Insurance an der Hochschu- le Wirtschaft Zürich. Die studier- te Rechtswissenschaftlerin weiss, wovon sie spricht. 2013 hat sie mit der Knip AG in Zürich den ersten digitalen Versicherungsbroker der Insurtech bringt das Versicherungsmanagement aufs Smartphone. Symbolbild: wutzkoh – stock.adobe Schweiz mitbegründet. Zwei Jahre später sammelte das Unternehmen 15 Millionen Franken bei Investo- ren ein. Die gemäss Handelszeitung grösste «Fintech-Finanzierung der Schweizer Geschichte». Im gleichen Jahr zog sich Christina Kehl aus dem Unternehmen zurück. «Insurtech bringt das Versiche- rungswesen in den digitalen All- tag der Kunden», sagt Kehl. Dies sei auch die Grundidee bei Knip gewe- sen: Ihrem Mitgründer und ihr habe eine praktikable digitale Lösung für ihre eigenen Versicherungsangele- genheiten gefehlt. Insurtech als Risikoträger «Nahezu alles konnten wir damals mobil erledigen, sobald es aber um Versicherungen ging, kam es sozusa- gen zum Bruch», beschreibt Chris- tina Kehl die Auslöser für die Fir- mengründung. Mit der von Knip entwickelten kostenlosen App kön- nen Kunden heute ihre Versiche- rungen digital verwalten. Der On- line-Dienst bündelt mit der App die Policen des Kunden, gibt ihm eine Übersicht, fungiert als Ansprech- partner bei Schäden oder Unfällen und wird zum Versicherungsmak- ler: Einmal pro Jahr errechnet Knip das Sparpotenzial seiner Kunden. Wechselt der Kunde daraufhin eine Versicherung, kassiert Knip eine Provision. Nebst solchen digitalen Versiche- rungsmaklern wie Knip gibt es laut Alexander Braun, Titularprofes- sor für Risikomanagement an der Universität St. Gallen, auch Insur- tech-Firmen, die nicht nur als Ver- sicherungsmakler, sondern auch als Risikoträger auftreten. Als Schweizer Beispiel erwähnt er den vollständig digitalisierten Versicherer GoFlink – ein Projekt der Helvetia, das Privat- haftplicht- und Hausratversicherun- gen anbietet. Grosse Vielfalt Die Geschäftsmodelle der Insurtech- Unternehmen sind sehr unterschied- lich. Was sie einigt: Sie alle brauchen für ihre Produkte und Dienstleis- tungen das Internet. Nebst digitalen Brokern und vollständig digitalisier- ten Versicherern unterscheidet die von Alexander Braun und Florian Schreiber verfasste und im vergan- genen Jahr erschienene Studie «The Current InsurTech Landscape» sechs weitere Insurtech-Kategorien: Dazu zählen Vergleichsportale wie Com- paris oder Peer-to-Peer-Plattfor- men, auf denen sich User gemein- schaftlich gegen Risiken absichern können. Als Schweizer Beispiel für ein Unternehmen der letzten Kate- gorie nennt die Studie das Solothur- ner Unternehmen Versicherix. Den grössten Teil der Insurtech- Aktvitität beobachtet Alexander Braun hingegen nicht im Bereich der Versicherungsprodukte für Pri- vatpersonen, sondern im Bereich der Technologielösungen für Ver- sicherungsunternehmen. Durch die neuen Technologien von Start-ups in den Bereichen künstliche Intelligenz, Blockchain-Applikationen oder In- ternet-of-Things-Geräte könnten die Versicherer die Effizienz ihrer eige- nen Wertschöpfungskette steigern. Insurtech für KMU «Unternehmenskunden, insbeson- dere KMU, stehen nur bei wenigen Insurtech-Geschäftsmodellen im Mittelpunkt», sagt Braun. Aktuell sei dies vor allem bei Vergleichsportalen wie Insureon in den USA oder digi- talen Maklern wie Embroker – eben- falls aus den USA – oder Finanz- chef24 aus Deutschland der Fall. Bei diesen Firmen gehe es im Kern darum, den Abschlussprozess in Sa- chen Versicherungen für KMU zu vereinfachen und zu beschleunigen. «Gleichzeitig soll das Kosten-Nut- zen-Verhältnis optimiert werden, in- dem unter Berücksichtigung der Un- ternehmensgrösse und Branche die am besten passende Deckung ermit- telt wird», erklärt Braun. Für Christina Kehl besteht der Kern der Digitalisierung in der Ände- rung des Blickwinkels hin zum Kundenfokus. Dieser Perspekti- venwechsel weiche die traditionel- le Top-down-Richtung auf, entlang welcher die Versicherungen bis- lang ihre überkomplexen Produkte mittels Beratungen an ihre Kunden gebracht hätten. Dies sei für KMU interessant und allgemein für Men- schen, die flexible Lösungen brau- chen, denn: «Als Unternehmerin will man sich auf sein jeweiliges Business konzentrieren und nicht Versicherungsordner wälzen», sagt Kehl. «Da ist es doch wunderbar, wenn man Versicherungen neben- bei und sogar von unterwegs erle- digen kann.». Marcel Hegetschweiler

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Page 1: Z WIR 009 1503...2018/03/15  · von Alexander Braun und Florian Schreiber verfasste und im vergan-genen Jahr erschienene Studie «The CurrentInsurTechLandscape»sechs weitereInsurtech-Kategorien:Dazu

www.kgv.ch – 15. März – 3/2018 9

Im Brennpunkt

Auch Versicherungen gehen digitalMit Insurtech hat die Versicherungsbranche ein eigenes Wortfür ihre Digitalisierung gefunden. Unter diesen Begriff fallenjedoch ganz unterschiedliche Firmen und Geschäftsmodelle,die mit ihren neuen digitalen Ansätzen die grossen Versichererherausfordern. Für KMU ist das interessant.

Digitale Broker und Online-Versi-cherer bringen das Versicherungs-management auf die Smartphonesihrer Kunden. Technologieunterneh-men entwickeln Wearables – tragba-re Computersysteme – die Daten zuPuls, Blutdruck oder Schlafmustersammeln können. Dies macht sol-che Technologieunternehmen wie-derum für Versicherungen interes-sant, die darauf hoffen, mit diesenGesundheitsinformationen genau-ere Risikoeinschätzungen für ihreKunden machen zu können.All diese Entwicklungen auf demVersicherungsmarkt versucht derBegriff Insurtech – Versicherungs-technologie – unter einen Hut zubringen. Einen Hut, den sich die In-vestoren weltweit derzeit nur allzugerne aufsetzen. Im zweiten Quar-tal des vergangenen Jahres konntensich laut PwC Deutschland 64 Ver-sicherungs-Start-ups über insgesamt985 Millionen in sie investierte Dol-lar freuen. Das Funding sei damithöher gewesen als der addierte Wertfür die drei vorangegangenen Quar-tale, schreibt PwC.

Kultureller WandelUnter Insurtech nur die digitalenTechnologien zu verstehen, die inder Versicherungsbranche benutztwerden, würde aber zu kurz greifen,denn: «Bei Insurtech, wie auch beiFintech, geht es um den kontinuierli-chen Wandel – und der ist nicht nurtechnologischer, sondern auch kul-tureller Art», sagt Christina Kehl,Geschäftsführerin Swiss FinanceStartups und StudiengangleiternDigital Insurance an der Hochschu-le Wirtschaft Zürich. Die studier-te Rechtswissenschaftlerin weiss,wovon sie spricht. 2013 hat sie mitder Knip AG in Zürich den erstendigitalen Versicherungsbroker der Insurtech bringt das Versicherungsmanagement aufs Smartphone. Symbolbild: wutzkoh – stock.adobe

Schweiz mitbegründet. Zwei Jahrespäter sammelte das Unternehmen15 Millionen Franken bei Investo-ren ein. Die gemäss Handelszeitunggrösste «Fintech-Finanzierung derSchweizer Geschichte». Im gleichenJahr zog sich Christina Kehl aus demUnternehmen zurück.«Insurtech bringt das Versiche-rungswesen in den digitalen All-tag der Kunden», sagt Kehl. Dies seiauch die Grundidee bei Knip gewe-sen: Ihrem Mitgründer und ihr habeeine praktikable digitale Lösung fürihre eigenen Versicherungsangele-genheiten gefehlt.

Insurtech als Risikoträger«Nahezu alles konnten wir damalsmobil erledigen, sobald es aber umVersicherungen ging, kam es sozusa-gen zum Bruch», beschreibt Chris-tina Kehl die Auslöser für die Fir-mengründung. Mit der von Knipentwickelten kostenlosen App kön-nen Kunden heute ihre Versiche-rungen digital verwalten. Der On-line-Dienst bündelt mit der App diePolicen des Kunden, gibt ihm eineÜbersicht, fungiert als Ansprech-partner bei Schäden oder Unfällen

und wird zum Versicherungsmak-ler: Einmal pro Jahr errechnet Knipdas Sparpotenzial seiner Kunden.Wechselt der Kunde daraufhin eineVersicherung, kassiert Knip eineProvision.Nebst solchen digitalen Versiche-rungsmaklern wie Knip gibt es lautAlexander Braun, Titularprofes-sor für Risikomanagement an derUniversität St. Gallen, auch Insur-tech-Firmen, die nicht nur als Ver-sicherungsmakler, sondern auch alsRisikoträger auftreten. Als SchweizerBeispiel erwähnt er den vollständigdigitalisierten Versicherer GoFlink –ein Projekt der Helvetia, das Privat-haftplicht- und Hausratversicherun-gen anbietet.

Grosse VielfaltDie Geschäftsmodelle der Insurtech-Unternehmen sind sehr unterschied-lich. Was sie einigt: Sie alle brauchenfür ihre Produkte und Dienstleis-tungen das Internet. Nebst digitalenBrokern und vollständig digitalisier-ten Versicherern unterscheidet dievon Alexander Braun und FlorianSchreiber verfasste und im vergan-genen Jahr erschienene Studie «TheCurrent InsurTech Landscape» sechsweitere Insurtech-Kategorien: Dazuzählen Vergleichsportale wie Com-paris oder Peer-to-Peer-Plattfor-men, auf denen sich User gemein-schaftlich gegen Risiken absichernkönnen. Als Schweizer Beispiel für

ein Unternehmen der letzten Kate-gorie nennt die Studie das Solothur-ner Unternehmen Versicherix.Den grössten Teil der Insurtech-Aktvitität beobachtet AlexanderBraun hingegen nicht im Bereichder Versicherungsprodukte für Pri-vatpersonen, sondern im Bereichder Technologielösungen für Ver-sicherungsunternehmen. Durch dieneuen Technologien von Start-ups inden Bereichen künstliche Intelligenz,Blockchain-Applikationen oder In-ternet-of-Things-Geräte könnten dieVersicherer die Effizienz ihrer eige-nen Wertschöpfungskette steigern.

Insurtech für KMU«Unternehmenskunden, insbeson-dere KMU, stehen nur bei wenigenInsurtech-Geschäftsmodellen imMittelpunkt», sagt Braun. Aktuell seidies vor allem bei Vergleichsportalenwie Insureon in den USA oder digi-talen Maklern wie Embroker – eben-falls aus den USA – oder Finanz-chef24 aus Deutschland der Fall.Bei diesen Firmen gehe es im Kerndarum, den Abschlussprozess in Sa-chen Versicherungen für KMU zuvereinfachen und zu beschleunigen.«Gleichzeitig soll das Kosten-Nut-zen-Verhältnis optimiert werden, in-dem unter Berücksichtigung der Un-ternehmensgrösse und Branche dieam besten passende Deckung ermit-telt wird», erklärt Braun.Für Christina Kehl besteht der Kernder Digitalisierung in der Ände-rung des Blickwinkels hin zumKundenfokus. Dieser Perspekti-venwechsel weiche die traditionel-le Top-down-Richtung auf, entlangwelcher die Versicherungen bis-lang ihre überkomplexen Produktemittels Beratungen an ihre Kundengebracht hätten. Dies sei für KMUinteressant und allgemein für Men-schen, die flexible Lösungen brau-chen, denn: «Als Unternehmerinwill man sich auf sein jeweiligesBusiness konzentrieren und nichtVersicherungsordner wälzen», sagtKehl. «Da ist es doch wunderbar,wenn man Versicherungen neben-bei und sogar von unterwegs erle-digen kann.». ■

Marcel Hegetschweiler