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136 Zeit und Ewigkeit von Antje Jackelén „Was also ist ‚Zeit‘? Wenn mich nie- mand danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht.“ Sobald von der Zeit die Rede ist, wird diese Bemerkung des Kirchenvaters Augustin aus dem Jahre 397 gern zitiert. Sie stammt aus dem elften Buch seiner Bekenntnisse, in dem Augustin sich intensiv mit der Zeit auseinandersetzt. Viel seltener ist von den Anfangszeilen dieses elften Buchs die Rede.

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Zeit und Ewigkeit

von Antje Jackelén

„Was also ist ‚Zeit‘? Wenn mich nie-mand danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht.“ Sobald von der Zeit die Rede ist, wird diese Bemerkung des Kirchenvaters Augustin aus dem Jahre 397 gern zitiert. Sie stammt aus dem elften Buch seiner Bekenntnisse, in dem Augustin sich intensiv mit der Zeit auseinandersetzt. Viel seltener ist von den Anfangszeilen dieses elften Buchs die Rede.

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Hier wendet sich Augustin im Gebet an Gott: „Dein ist die Ewigkeit.“ Mit anderen Worten: Alle Zeit umfasst du.

Wozu dann über die Zeit nachdenken? Nicht etwa, um Gott etwas Neues zu erzäh-len, „nein, die Liebe zu Dir will ich erwecken in mir und in denen, die das lesen“. „Aus Liebe zu Deiner Liebe tu ich dies.“ Der Drang zum Verstehen ist Ausdruck der Liebe zur Weisheit und deren Quelle.

Vielleicht trifft das beson-ders auf die Frage nach Zeit und Ewigkeit zu! Wie wichtig ist es eigentlich, diese kompli-zierten Begriffe zu definieren? Für Physiker wirkt es einfach: Zeit ist, was man mit Zeitmess-geräten misst. Ewigkeit spielt dabei keine Rolle. Für Philoso-phen ist die Sache komplizier-ter. Zeitphilosophische Studien füllen etliche Regale. Theologen fragen sich, was lineare und zyklische Zeitverständnisse über Gott und die Welt aussagen, ob der Un-terschied zwischen Zeit und Ewigkeit quanti-tativ oder ontologisch (seinsmässig) ist, wie Apokalyptik oder Eschatologie (die Lehre von den letzten Dingen) das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit beschreiben und vielleicht auch, wie Zeittheorien der Physik die Theologie be-einflussen. Je mehr ich über diese Dinge nach-denke, desto deutlicher wird mir, dass die theologischen Fragen eigentlich weniger auf Definitionen von Zeit und Ewigkeit zielen als vielmehr auf die Relation und Dynamik zwi-schen Zeit und Ewigkeit.

Lineare und zyklische Zeit

Ich halte es mit Paul Ricœur und seiner These, dass man Zeit eigentlich nur als er-zählte Zeit begreifen kann, und füge hinzu, dass Zeit immer auch in Relation zu „dem Anderen der Zeit“, Ewigkeit, gesehen wer-den muss: Zeit also als erlebte Erfahrung statt als abstrakte Größe, und Zeit als Tanz-partnerin der Ewigkeit statt als geschlos-senes System. Diese Sichtweise schützt vor

unnötigen Polarisierungen und erlaubt es, Nuancen und Veränderungen im Zeit- und Ewigkeitsverständnis zu be-schreiben.

Gerade Polarisierungen und das Ausblenden von Nuancen und Veränderungen haben theologisch bisweilen in die Irre geführt. Zum Beispiel war der Alttestamentler Gerhard

von Rad der festen Überzeugung, dass ein linearer, chronologischer Zeitbegriff eine epochale Errungenschaft Israels war. Hier wurde das zyklische, an polytheistische Fruchtbarkeitskulte gebundene Zeitver-ständnis überwunden zugunsten eines his-torischen Verständnisses mit Jahve im Zen-trum. Von einer unterschwelligen Bewertung des Linearen als maskulin und überlegen in Kontrast zum Zyklischen als feminin und un-terlegen kann man hier kaum absehen.

In Wirklichkeit zeugen aber sowohl die biblischen Texte als auch menschliche Er-fahrung davon, dass lineares und zyklisches Zeitverstehen und Zeiterleben Hand in Hand

Zeit muss gesehen werden als erlebte Erfahrung statt als abstrakte Größe, als Tanzpartnerin der Ewigkeit statt als geschlossenes System.

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gehen. Wir leben gleichzeitig im Bewusstsein der unerbittlichen Linearität der Zeit - das Ver-gangene ist nicht mehr, die Zukunft ist noch nicht – und feiern dabei doch immer wieder die Wiederkehr des Gleichen. Ohne „Alle Jah-re wieder...“, ohne die Strukturierung der Zeit in liturgischen, kulturellen und biologischen Zyklen kommen wir nicht aus. Die Zeit schießt dahin wie ein Pfeil und kehrt in Jahreskreisen doch immer wieder. Existentiell können wir beides gleichzeitig als wahr erfahren.

Warum ist das so? Eine mögliche Antwort wäre: weil Zeit immer in einem Verhältnis zu einem Anderen, zu dem, was wir Ewigkeit nennen, steht. Diese Aussage ist nicht trivial, wie ein Ver-gleich mit der von dem Theo-logen Oscar Cullmann vertre-tenen Zeitauffassung deutlich macht. Cullmann meint, Ewig-keit sei nur ins Unendliche verlängerte Zeit, so dass der Unterschied zwischen beiden im Grunde aufgehoben wird. Zeit wird zu ei-ner Geraden, zu einer ansteigenden Zeitlinie. Cullmann meint, damit das neutestamentli-che Zeitverständnis korrekt widerzugeben. Ihm entgeht dabei aber zumindest zweierlei. Erstens existieren im Neuen Testament meh-rere Zeitauffassungen Seite an Seite, und zweitens ist seine Vorstellung der anstei-genden Gerade mehr Ausdruck des Newton-schen Begriffs der absoluten Zeit, gewürzt mit einer kräftigen Prise abendländischem Fortschrittsdenken, als Resultat neutesta-mentlicher Forschung. Gewiss lohnt es sich also für Theologen, beim Thema Zeit zumin-

dest ein Auge auf die naturwissenschaftliche Theoriebildung zu werfen. Manch theologi-scher Gedankengang ist tief beeinflusst von einem popularisierten Konzept der absolu-ten Zeit, ohne sich dessen bewusst zu sein. Raum und Zeit erscheinen als feste Bühne für das kosmische Theaterspiel. Hier liegt Brett an Brett. Die Position der Akteure ist objektiv beschreibbar. Gott garantiert die Stabilität des Systems.

Zeit als Theaterbühne und Trampolin

Was aber passiert mit dieser Vorstellung, wenn Theologen die Physik des 20. Jahr-

hunderts mitbedenken? Die Relativitätstheorien haben gezeigt, dass der Unterschied zwischen Bühne und Schau-spiel ein künstlicher ist. Raum und Zeit sind genauso Teil des Dramas wie die Schauspieler. Eine adäquate Beschreibung kann sich nicht mehr nur auf

die Positionen der Schauspieler beschrän-ken. Jetzt müssen sowohl Akteure als auch Schauspiel, Bühne und Zuschauer sowie de-ren Interaktion beschrieben werden. Das uni-versell geltende Jetzt als Orientierungspunkt muss einer Vielfalt von bewegungsabhän-gigen Eigenzeiten weichen. Bildlich gespro-chen ist die Newtonsche Zeit kahl und leblos wie eine leere Theaterbühne. Im Vergleich dazu hat Einstein die harten Bühnenbretter gegen ein Trampolin ausgetauscht. Mittels der Quantenphysik hat Heisenberg dieses Trampolin gleichsam mit flüssigem Stickstoff übergossen und eine Lichtorgel installiert. In

Lineares und zykli-sches Zeitverstehen und Zeiterleben ge-hen Hand in Hand.

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blitzartiger Beleuchtung sehen wir Augen-blicksbilder eines nebulösen Daseins. Die-sem Szenario entspricht dann keinesfalls die statische Vorstellung einer Kosmologie mit unendlich fließender Zeit, sondern tatsäch-lich eher das Bild eines Tanzes.

In theologische Terminologie übersetzt handelt es sich hier um die eschatologische Spannung zwischen dem Schon und dem Noch-nicht. Schon ist das Reich Gottes ange-brochen, aber es ist noch nicht verwirklicht. Schon sind die Getauften mit Christus tot und begraben, um ein neues Leben zu leben (Römer 6, 3-4), aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden (1. Johannes 3, 2). Diese eschatologische Spannung stört die lineare Chronologie. Sie bricht die Linea-

rität auf, indem sie Vergangenheit, Gegen-wart und Zukunft in so intensive Beziehung mit dem Anderen der Zeit setzt, dass Neues entsteht.

Alles hat seine Zeit

Dies lässt sich gut an einem bekann-ten Text aus dem Prediger Salomo (3, 1-15) zeigen: „Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit.“ Dieser Text wäre recht ba-nal, wenn es hier lediglich um eine chrono-logisch-lineare Zeit ginge – ein unendliches Fließband, auf dem päckchenweise Gebären und Sterben, Weinen und Tanzen, Krieg und Frieden vorbeiziehen. Aber gerade so haben

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viele Kommentatoren ihn immer wieder ver-stehen wollen. Das kommt wohl daher, dass Newton den Deutungsrahmen bestimmte, so dass Determinismus den Blick für dyna-mische Beziehung verstellte. Im Lichte der neueren Physik macht es durchaus Sinn, bei diesem Text von einer inneren Zeit, von einer Eigenzeit aller dieser Phänomene zu sprechen. „Alles hat seine Zeit, und alles hat seine innere Dynamik“, wäre in diesem Sin-ne eine angemessenere Deutung. Eine solche Interpretation ist mit Erkenntnissen aus dem Bereich der Naturwissenschaft vereinbar, lässt sich aber nicht aus diesen herleiten.

Ähnlich könnte man dann Ewigkeit anstatt als Gegensatz zur Zeit des Menschen als Gottes Eigenzeit verstehen. Diese göttliche Eigenzeit steht zu anderen Zeiten in Relati-on, geht aber nicht in diesen auf. Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit und den Menschen die Ewigkeit in ihr Herz gelegt, sagt der Prediger. Gabe und Geheimnis des Lebens ist es, dass Gott die Ewigkeit als Got-tes eigene Zeitform in alles hineingelegt hat. Deshalb können wir sowohl vom mensch-lichen Transzendenzhunger, der in Gottes-

und Sinnfragen zum Ausdruck kommt, als auch von göttlichem Drang zur Immanenz, der sich in der Menschwerdung Gottes ver-wirklicht, sprechen.

Im Lichte dieser Gedanken lässt sich auch die in rein chronologisch-linearer Perspektive widersinnige Behauptung des Predigers ver-stehen, dass man sich vor Gott nicht fürch-ten soll: „Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen; und Gott holt wieder her-vor, was vergangen ist“ (Prediger 3, 14-15). Im Rahmen einer nur chronologisch-linearen Zeitauffassung sind dies schreckeinjagende Aussichten. Mit einem Zeitverständnis, das die eschatologische Spannung von Schon und Noch-nicht und Eigenzeiten berücksich-tigt, öffnet sich hier eine weitaus versöhnli-chere und heilvollere Perspektive.

Weihnachts-Zeit

Was dem theologischen Denken immer noch schwer fällt – die Newtonsche Brille sitzt fest auf unseren Nasen! – ist der theo-logischen Poesie sehr viel mehr vertraut. Ein

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Weihnachtslied Jochen Kleppers, dessen Tod sich gerade zum siebzigsten Mal gejährt hat, zeigt dies deutlich.

„Du Kind, zu dieser heilgen Zeit gedenken wir auch an dein Leid, das wir zu dieser späten Nacht durch unsre Schuld auf dich ge-bracht. Kyrieleison.

Die Welt ist heut voll Freu-denhall. Du aber liegst im ar-men Stall. Dein Urteilsspruch ist längst gefällt, das Kreuz ist dir schon aufgestellt. Kyrielei-son.

Die Welt liegt heut im Freudenlicht. Dein aber harret das Gericht. Dein Elend wendet keiner ab. Vor deiner Krippe gähnt das Grab. Kyrieleison.“

In diesem Text von 1938 wechselt der Dich-ter frei zwischen verschiedenen Zeitebenen, zwischen Gleichzeitigkeit und Vielzeitigkeit. Das Heute der vergangenen Geburt im Stall

ist ein anderes als das der (beim Singen des Liedes) heutigen Weihnachtsfreude, den-noch werden im Lied beide gleichzeitig. Das vom Zeitpunkt der Geburt aus noch zukünf-tige Todesurteil geht dem Heute der Geburt

doch schon voraus: das Kreuz ist schon aufgestellt; vor der Krippe gähnt das Grab. Die Zeiten sind unterschieden und gleichzeitig verschränkt auf-einander bezogen. Zukunft wird Vergangenheit, Vergan-genheit wird Gegenwart.

Auf dieser Basis entwickelt Klepper in der Endstrophe dieses ernsten Weihnachtslieds dann doch noch eine hoffnungsvolle Vision. Das Schon von Krippe und Grab nimmt das Noch-nicht voraus, ohne ihm deshalb den Charakter eines wirklichen Noch-nicht zu nehmen: „Wenn wir mit dir einst auferstehn und dich von Angesichte sehn, dann erst ist ohne Bitterkeit das Herz uns zum Gesange weit. Hosianna.“

Dr. Antje Jackelén ist seit 2014 Erzbischöfin der Schwedischen Kirche. Von 2001-2007 hat sie Systematische Theologie und Religion and Science an der Lutheran School of Theology in Chi-cago gelehrt und war dort von 2003-2007 Direktorin des Zygon Center for Religion and Science. Sie war Präsidentin der European Society for the Study of Science and Theology (ESSSAT). Jackelén ist die Autorin zahlreicher Aufsätze und verschiedener Bücher, darunter „Zeit und Ewigkeit. Die Frage der Zeit in Kirche, Naturwissenschaft und Theologie“ (2002) und „The Di-alogue between Religion and Science: Challenges and Future Directions“ (2004). Ihr neuestes Buch ist „Gud är större“ (2011).

Mehr zu diesem Thema in: Antje Jackelén, Zeit und Ewigkeit. Die Frage der Zeit in Kirche, Naturwissenschaft und Theologie, Neukirchen-Vluyn 2002. Bildnachweise S. 136: #40583454 - spiral watch © adimas – Fotolia.comS. 139: #67938624 - Sand running through the bulbs of an hourglass © sergign – Fotolia.comS. 140: #70543814 - Time and Space Website Banner © Nikki Zalewski – Fotolia.com

“Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewe-sen.”

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