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ZEITSCHRIFT FÜR EUROPARECHT, INTERNATIONALES PRIVATRECHT UND RECHTSVERGLEICHUNG 59. Jahrgang 2018 Medieninhaber und Herausgeber: MANZsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH. Sitz der Gesellschaft: Kohl- markt 16, 1010 Wien, FN 124 181 w, HG Wien. Unternehmens- gegenstand: Verlag von Büchern und Zeitschriften. Verlagsadresse: Johannesgasse 23, 1015 Wien (verlag@manz. at). Geschäftsleitung: Mag. Susanne Stein (Geschäftsführerin) so- wie Prokurist Mag. Heinz Korntner (Verlagsleitung). Redaktion: Univ.-Prof. Dr. Helmut Ofner, LL. M.; ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Alina Lengauer, LL.M., beide Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung der Universität Wien, Schottenbastei 10 16, 1010 Wien (Juridicum). Redaktionsassistenz: Dr. Stephanie Nitsch. Wissenschaftlicher Beirat: em. o. Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Hans Hoyer (Vorsitzender), Universität Wien; o. Univ.-Prof. Dr. Michael Schweitzer, Universität Passau; o. Univ.-Prof. Dr. Willibald Posch, Universität Graz; Univ.-Prof. Dr. Manfred Straube, Universität Wien. Autoren dieser Ausgabe: Alina Lengauer, Helmut Ofner, Michael Slonina, Lukas Staffler, WANG Qiang. Verlagsredaktion: Dr. Andrea Reiber, E-Mail: [email protected] Druck: Printera Grupa d.o.o., 10431 Sveta Nedelja. Verlags- und Herstellungsort: Wien. Grundlegende Richtung: Die Zeitschrift dient der wissenschaft- lichen Darstellung von Themen aus der Rechtsvergleichung, dem Europarecht, dem internationalen Privat-, Straf- und Verfahrens- recht unter Einschluss von Judikatur und Literaturkritik. Zitiervorschlag: ZfRV 2018/Nummer. Anzeigen: Heidrun R. Engel, Tel: (01) 531 61-310, Fax: (01) 531 61-181, E-Mail: [email protected] Bezugsbedingungen: Die ZfRV erscheint 6x jährlich. Der Be- zugspreis 2018 beträgt E 314,(inkl Versand in Österreich). Ein- zelheft E 62,80. Auslandspreise auf Anfrage. Nicht rechtzeitig vor ihrem Ablauf abbestellte Abonnements gelten für ein weiteres Jahr als erneuert. Abbestellungen sind schriftlich bis spätestens sechs Wochen vor Jahresende an den Verlag zu senden. Manuskripte und Zuschriften erbitten wir an folgende Adres- sen: Univ.-Prof. Dr. Helmut Ofner, LL. M., E-Mail: helmut.ofner@ univie.ac.at oder ao. Univ.-Prof. Dr. Alina Lengauer, LL. M., E-Mail: [email protected]. Wir bitten Sie, die Formatvorlagen zu verwenden (zum Download unter www. manz.at/formatvorlagen) und sich an die im Auftrag des Österrei- chischen Juristentages herausgegebenen Abkürzungs- und Zi- tierregeln der österreichischen Rechtssprache und europarechtli- cher Rechtsquellen (AZR), 7. Aufl (Verlag MANZ, 2012), zu hal- ten. Urheberrechte: Sämtliche Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vor- behalten. Kein Teil der Zeitschrift darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Haftungsausschluss: Sämtliche Angaben in dieser Zeitschrift er- folgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haf- tung der Autoren, der Herausgeber sowie des Verlags ist aus- geschlossen. Grafisches Konzept: Michael Fürnsinn für buero8, 1070 Wien (buero8). Covergestaltung: bauer konzept & gestaltung, 1040 Wien (erwinbauer.com). Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Impressum abrufbar unter www.manz.at/impressum Abstractund optionales Peer- Review-Verfahren ZfRV 2018/6 D ie Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung verfügt über eine große Zahl internationaler Le- ser und ist in den Bibliotheken aller bedeutenden rechtswissenschaftli- chen Fakultäten der Welt vertreten. Um die Inhalte der wissenschaftli- chen Beiträge auch nichtdeutschsprachigen Lesern vermitteln zu können, werden in Hinkunft kurze Zusammenfassungen abstractsin englischer Sprache veröffentlicht. Dies entspricht dem Wunsch unserer auslän- dischen Abonnenten und wird den Leserkreis der ZfRV nochmals erheb- lich erweitern. In diesem Heft ist bereits der Beitrag von Prof. WANG Qiang über das Tierhalterhaftungsrecht der VR China mit einem abs- tractversehen. Auf vielfachen Wunsch hat sich die Redaktion auch dazu entschlossen, den Autoren zusätzlich zur bereits bestehenden Qualitätsprüfung eine Evaluation durch ein Peer-Review-Verfahren anzubieten. Wählt ein Au- tor dieses freiwillige Verfahren, so wird der Aufsatz im Wege eines double blind reviewsvon einer renommierten Professorin/einem re- nommierten Professor des einschlägigen Fachs begutachtet und gege- benenfalls mit Anmerkungen versehen. Helmut Ofner [IMPRESSUM ] [ EDITORIAL ] ZfRV [2018] 02 49

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ZEITSCHRIFT FÜR EUROPARECHT,INTERNATIONALES PRIVATRECHTUND RECHTSVERGLEICHUNG

59. Jahrgang 2018

Medieninhaber und Herausgeber: MANZ’sche Verlags- undUniversitätsbuchhandlung GmbH. Sitz der Gesellschaft: Kohl-markt 16, 1010 Wien, FN 124181w, HG Wien. Unternehmens-gegenstand: Verlag von Büchern und Zeitschriften.Verlagsadresse: Johannesgasse 23, 1015 Wien ([email protected]).Geschäftsleitung: Mag. Susanne Stein (Geschäftsführerin) so-wie Prokurist Mag. Heinz Korntner (Verlagsleitung).Redaktion: Univ.-Prof. Dr. Helmut Ofner, LL.M.; ao. Univ.-Prof.Mag. Dr. Alina Lengauer, LL.M., beide Institut für Europarecht,Internationales Recht und Rechtsvergleichung der UniversitätWien, Schottenbastei 10–16, 1010 Wien (Juridicum).Redaktionsassistenz: Dr. Stephanie Nitsch.Wissenschaftlicher Beirat: em.o. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. HansHoyer (Vorsitzender), Universität Wien; o. Univ.-Prof. Dr. MichaelSchweitzer, Universität Passau; o. Univ.-Prof. Dr. Willibald Posch,Universität Graz; Univ.-Prof. Dr. Manfred Straube, UniversitätWien.Autoren dieser Ausgabe: Alina Lengauer, Helmut Ofner, MichaelSlonina, Lukas Staffler, WANG Qiang.Verlagsredaktion: Dr. Andrea Reiber,E-Mail: [email protected]: Printera Grupa d.o.o., 10431 Sveta Nedelja.Verlags- und Herstellungsort: Wien.Grundlegende Richtung: Die Zeitschrift dient der wissenschaft-lichen Darstellung von Themen aus der Rechtsvergleichung, demEuroparecht, dem internationalen Privat-, Straf- und Verfahrens-recht unter Einschluss von Judikatur und Literaturkritik.Zitiervorschlag: ZfRV 2018/Nummer.Anzeigen: Heidrun R. Engel, Tel: (01) 531 61-310, Fax: (01) 53161-181, E-Mail: [email protected]: Die ZfRV erscheint 6x jährlich. Der Be-zugspreis 2018 beträgt E 314,– (inkl Versand in Österreich). Ein-zelheft E 62,80. Auslandspreise auf Anfrage. Nicht rechtzeitig vorihrem Ablauf abbestellte Abonnements gelten für ein weiteresJahr als erneuert. Abbestellungen sind schriftlich bis spätestenssechs Wochen vor Jahresende an den Verlag zu senden.Manuskripte und Zuschriften erbitten wir an folgende Adres-sen: Univ.-Prof. Dr. Helmut Ofner, LL.M., E-Mail: [email protected] oder ao.Univ.-Prof. Dr. Alina Lengauer, LL.M.,E-Mail: [email protected]. Wir bitten Sie, dieFormatvorlagen zu verwenden (zum Download unter www.manz.at/formatvorlagen) und sich an die im Auftrag des Österrei-chischen Juristentages herausgegebenen „Abkürzungs- und Zi-tierregeln der österreichischen Rechtssprache und europarechtli-cher Rechtsquellen (AZR)“, 7. Aufl (Verlag MANZ, 2012), zu hal-ten.Urheberrechte: Sämtliche Rechte, insbesondere das Recht derVervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vor-behalten. Kein Teil der Zeitschrift darf in irgendeiner Form (durchFotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftlicheGenehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendungelektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oderverbreitet werden.Haftungsausschluss: Sämtliche Angaben in dieser Zeitschrift er-folgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haf-tung der Autoren, der Herausgeber sowie des Verlags ist aus-geschlossen.Grafisches Konzept: Michael Fürnsinn für buero8, 1070 Wien(buero8).Covergestaltung: bauer – konzept & gestaltung, 1040 Wien(erwinbauer.com).Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier.

Impressum abrufbar unter www.manz.at/impressum

„Abstract“ undoptionales Peer-Review-VerfahrenZfRV 2018/6

D ie Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht undRechtsvergleichung verfügt über eine große Zahl internationaler Le-

ser und ist in den Bibliotheken aller bedeutenden rechtswissenschaftli-chen Fakultäten der Welt vertreten. Um die Inhalte der wissenschaftli-chen Beiträge auch nichtdeutschsprachigen Lesern vermitteln zu können,werden in Hinkunft kurze Zusammenfassungen „abstracts“ in englischerSprache veröffentlicht. Dies entspricht dem Wunsch unserer auslän-dischen Abonnenten und wird den Leserkreis der ZfRV nochmals erheb-lich erweitern. In diesem Heft ist bereits der Beitrag von Prof. WANGQiang über das Tierhalterhaftungsrecht der VR China mit einem „abs-tract“ versehen.

Auf vielfachenWunsch hat sich die Redaktion auch dazu entschlossen,den Autoren zusätzlich zur bereits bestehenden Qualitätsprüfung eineEvaluation durch ein Peer-Review-Verfahren anzubieten. Wählt ein Au-tor dieses freiwillige Verfahren, so wird der Aufsatz im Wege eines„double blind reviews“ von einer renommierten Professorin/einem re-nommierten Professor des einschlägigen Fachs begutachtet und gege-benenfalls mit Anmerkungen versehen.

Helmut Ofner

[IMPRESSUM] [EDITORIAL]

ZfRV [2018] 02 49

Ü Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49„Abstract“ und optionales Peer-Review-VerfahrenVon Helmut Ofner

EuroparechtÜ Schutz der finanziellen Interessen der Union mittels Strafrecht. . . . . . . . . . . . . 52Die Europäische Union mobilisiert ihre Kräfte zum Schutz ihrer finanziellen Interessen. Neben dem Voran-treiben institutioneller Verstärkung, namentlich der Schaffung der Europäischen Staatsanwaltschaft, wurdemit der RL (EU) 2017/1371 v 5. 7. 2017 das Fundament der sachlichen Zuständigkeit dieser Behörde ge-gossen. Nach jahrelanger Vorarbeit konnte mit dieser RL eine neue Grundlage für den strafrechtlichenSchutz der finanziellen Interessen der Union geschaffen werden, welche das PIF-Übereinkommen von1995 ablöst. Die Mitgliedstaaten haben nun bis Juli 2019 Zeit, um ihre nationalen Rechtsordnungen ent-sprechend anzupassen.Mit dem Beitrag sollen die Neuerungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Union laut RL (EU)2017/1371 vorgestellt, diese dem vormaligen PIF-Übereinkommen von 1995 gegenübergestellt sowie einBeitrag zur Reformdiskussion im österreichischen Straf- und Strafverfahrensrecht geleistet werden.Von Lukas Staffler

Ü Union Aktuell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66Von Alina Lengauer

Ü EuGH-Rechtsprechungsübersicht: ZfRV-LS 2018/10–15 . . . . . . . . . . . . . . . . 7010: Aufrechterhaltung der Eigenschaft als Selbständiger nach Beendigung der Tätigkeit11: Herstellung einer Verbindung zu nicht berufsmäßigen Fahrern fällt unter Verkehrsdienstleistungen12: Präzisierung des Rechts auf Auskunft zu personenbezogenen Daten13: Präzisierung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisungsverfügung gegen langfristig aufenhaltsberech-tigte Drittstaatsangehörige14: Anbieter von Luxuswaren kann autorisierten Händlern Verkauf über Drittplattform im Internetuntersagen15: Rom III-VO bestimmt nicht das auf Privatscheidungen anwendbare Recht

Internationales Privat- undZivilverfahrensrechtÜ Einspruch gegen vereinfachte Exekutionsbewilligung für Alt-EuGVVO-Titel ohneVollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73Nachdem der reichlich beflissene europäische Gesetzgeber in jüngerer Vergangenheit dafür gesorgt hat, dasseine Vielzahl von Vollstreckungstiteln auf unterschiedlichster Rechtsgrundlage europaweit vollstreckbarsind, haben sich in der Praxis gewisse Unsicherheiten in der Rechtsanwendung, insb an der Schnittstellevon europäischem Zivilverfahrensrecht und nationalem Exekutionsrecht, gezeigt. Der OGH hatte jüngstGelegenheit zu entscheiden, wie sich der Verpflichtete gegen eine vereinfachte Exekutionsbewilligung zurWehr setzen kann, wenn diese, in Ermangelung einer rechtskräftigen Vollstreckbarerklärung oder derenEntbehrlichkeit, nicht hätte bewilligt werden dürfen.Von Michael Slonina

Ü Rechtsprechungsübersicht: ZfRV-LS 2018/16–20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7716: Zum Umfang des Erbstatuts17: Anknüpfung eines Übergabsvertrags18: Sonderbestimmungen für den Urlaub bei Entsendung von Arbeitnehmern sind Eingriffsnormen19: Zur Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen von Rückführungshindernissen20: Eine Altersrente der Schweizerischen Ausgleichskasse (SAK) ist bei der Unterhaltsbemessung alsEigeneinkommen zu berücksichtigen. (Helmut Ofner)

[INHALT]

50 ZfRV [2018] 02

ZfRV

RechtsvergleichungÜ Eine strukturelle, rechtssystematische und -terminologische Analyse des Tier-halterhaftungsrechts der VR China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79Eine Gesamtwürdigung im Vergleich mit dem deutschen PendantDas geltende Tierhalterhaftungsrecht der VR China erzielt gesetzeskonzeptionelle Erneuerungsleistungen,weist aber anwendungsbezogene Regelungsmängel auf. Im Zuge der aktuellen Zivilrechtskodifikation –mitdem Deliktsrecht als ein Buch –, unter Heranziehung ausländischer Zivilgesetzbücher als Kodifikationsvor-bilder, ist eine Gesamtwürdigung des Spezialgesetzes ua auch in rechtsvergleichender Betrachtung dringendnotwendig.Von WANG Qiang

StandardsÜ Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

BeilageÜ Jahresregister 2017

[INHALT]

ZfRV [2018] 02 51

https://www.manz.at/list.html?isbn=978-3-214-16357-0&utm_source=ZS_App&utm_medium=mobile&utm_content=Inserat_201803&utm_campaign=Buch_Kozak_Globales_Arbeitenhttps://www.manz.at/list.html?isbn=978-3-214-16357-0&utm_source=ZS_App&utm_medium=mobile&utm_content=Inserat_201803&utm_campaign=Buch_Kozak_Globales_Arbeitenhttps://www.manz.at/list.html?isbn=978-3-214-16357-0&utm_source=ZS_App&utm_medium=mobile&utm_content=Inserat_201803&utm_campaign=Buch_Kozak_Globales_Arbeitenhttps://www.manz.at/list.html?isbn=978-3-214-16357-0&utm_source=ZS_App&utm_medium=mobile&utm_content=Inserat_201803&utm_campaign=Buch_Kozak_Globales_Arbeitenhttps://www.manz.at/list.html?isbn=978-3-214-16357-0&utm_source=ZS_App&utm_medium=mobile&utm_content=Inserat_201803&utm_campaign=Buch_Kozak_Globales_Arbeitenhttps://www.manz.at/list.html?isbn=978-3-214-16357-0&utm_source=ZS_App&utm_medium=mobile&utm_content=Inserat_201803&utm_campaign=Buch_Kozak_Globales_Arbeitenhttps://www.manz.at/list.html?isbn=978-3-214-16357-0&utm_source=ZS_App&utm_medium=mobile&utm_content=Inserat_201803&utm_campaign=Buch_Kozak_Globales_Arbeitenhttps://www.manz.at/list.html?isbn=978-3-214-16357-0&utm_source=ZS_App&utm_medium=mobile&utm_content=Inserat_201803&utm_campaign=Buch_Kozak_Globales_Arbeitenhttps://www.manz.at/list.html?isbn=978-3-214-16357-0&utm_source=ZS_App&utm_medium=mobile&utm_content=Inserat_201803&utm_campaign=Buch_Kozak_Globales_Arbeitenhttps://www.manz.at/list.html?isbn=978-3-214-16357-0&utm_source=ZS_App&utm_medium=mobile&utm_content=Inserat_201803&utm_campaign=Buch_Kozak_Globales_Arbeitenhttps://www.manz.at/list.html?isbn=978-3-214-16357-0&utm_source=ZS_App&utm_medium=mobile&utm_content=Inserat_201803&utm_campaign=Buch_Kozak_Globales_Arbeitenhttps://www.manz.at/list.html?isbn=978-3-214-16357-0&utm_source=ZS_App&utm_medium=mobile&utm_content=Inserat_201803&utm_campaign=Buch_Kozak_Globales_Arbeitenhttps://www.manz.at/list.html?isbn=978-3-214-16357-0&utm_source=ZS_App&utm_medium=mobile&utm_content=Inserat_201803&utm_campaign=Buch_Kozak_Globales_Arbeitenhttps://www.manz.at/list.html?isbn=978-3-214-16357-0&utm_source=ZS_App&utm_medium=mobile&utm_content=Inserat_201803&utm_campaign=Buch_Kozak_Globales_Arbeiten

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Wiener Arbeitsrechtsforum 2017zum Nachlesen

-33-33

mmaannzz aatt//lliisstt hhttmmll??iissbbnn==997788--33332018. XII, 90 Seiten.Br. EUR 29,80,–ISBN 978-3-214-16357-0

Kozak (Hrsg)

Globales ArbeitenWiener Arbeitsrechtsforum 2017

Globales Arbeiten wird für viele zur Wirklichkeit. Dieses neue Werk behandelt folgende Themen, die auch Blicke über die Grenze enthalten:• Normen mit Lohnschutzcharakter – Stefan Kühteubl/Karin Pusch• Aktuelle Fragen zum Arbeitsrecht – Edoardo Ales• Lohnschutz in Deutschland – Rüdiger Krause• Internationale Zuständigkeit in Arbeitsrechtssachen – Bettina Nunner-Krautgasser

MANZ’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbHtel +43 1 531 61 100 fax +43 1 531 61 455 [email protected] Kohlmarkt 16 ∙ 1010 Wien www.manz.at

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--333333---33333333333

ZfRV

52 Ü Lukas Staffler Ü Schutz der finanziellen Interessen der Union mittels Strafrechts ZfRV [2018] 02

[EUROPARECHT / STRAFRECHT]

Schutz der finanziellen Interessender Union mittels StrafrechtDie Europäische Union mobilisiert ihre Kräfte zum Schutz ihrer finanziellen Interes-sen. Neben dem Vorantreiben institutioneller Verstärkung, namentlich der Schaffungder Europäischen Staatsanwaltschaft, wurde mit der RL 2017/1371/EU v5. 7. 20171) das Fundament der sachlichen Zuständigkeit dieser Behörde gegossen.Nach jahrelanger Vorarbeit konnte mit dieser RL eine neue Grundlage für denstrafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Union geschaffen werden,welche das PIF-Übereinkommen von 19952) ablöst. Die Mitgliedstaaten haben nunbis Juli 2019 Zeit, um ihre nationalen Rechtsordnungen entsprechend anzupassen.Mit dem Beitrag sollen die Neuerungen zum Schutz der finanziellen Interessen derUnion laut RL 2017/1371/EU vorgestellt, diese dem vormaligen PIF-Übereinkom-men von 1995 gegenübergestellt sowie ein Beitrag zur Reformdiskussion imösterreichischen Straf- und Strafverfahrensrecht geleistet werden.Von Lukas Staffler

Inhaltsübersicht:

A. EinleitungB. Meilensteine bei der Rechtsentwicklung

1. Von der Mais-Entscheidung zum PIF-Überein-kommen

2. Vertrag von Amsterdam, OLAF, Corpus Juris3. Vertrag von Lissabon und PIF-Richtlinie4. Rechtliches Fundament der PIF-Richtlinie?

C. Definition der finanziellen Interessen der UnionD. Straftatbestände

1. Betrug2. Geldwäsche3. Amtsdelikte4. Anstifung, Beihilfe, Versuch5. Verjährung

E. Verantwortung juristischer PersonenF. Harmonisierung der Sanktionen

1. Sanktionen gegen natürliche Personen2. Sanktionen gegen juristische Personen3. Sicherstellung und Einziehung

G. Verfahrensrechtliche BestimmungenH. Ausgewählte Aspekte zur Umsetzung der Richtlinie

in die österreichische Rechtsordnung1. Tatbestandsebene2. Sanktionsebene

I. Ausblick

A. EinleitungBetrügereien zulasten des Unionshaushalts verursa-chen Schäden in Milliardenhöhe.3) Die Schäden entste-hen einerseits durch Vorenthaltung von Einnahmen,4)

andererseits insb über rechtswidrige Erlangung vonSubventionen (vor allem im Agrarbereich).5) Als Ver-ursacher treten dabei die Mitgliedstaaten und dieUnion bzw ihre Behörden und Bediensteten selbst,etwa bei der Auszahlung bzw Einnahme von EU-Gel-dern iVm Korruption,6) in Erscheinung, aber auch im

1) RL 2017/1371/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v5. 7. 2017 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die fi-nanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug, ABl L 2017/198, 29.

2) Rechtsakt des Rates v 27. 9. 1996 über die Ausarbeitung einesProtokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellenInteressen der Europäischen Union, ABl C 1995/316, 49 (PIF-Über-einkommen); „PIF“ steht für „Protection des intérêts financiers“.

3) Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht7 (2016) § 8 Rz 43,sprechen im Kontext von Betrügereien bei Zöllen, Agrarsubventio-nen und Strukturfonds von einer durchschnittlichen Schadenshöheim Ausmaß von ca 2% des EU-Haushalts; zum Schadensvolumen sauch Rheinbay, Die Errichtung einer Europäischen Staatsanwalt-schaft (2014) 6; Schramm, Criminal Compliance in der EU ausder Sicht der Strafrechtswissenschaft, in Rotsch (Hrsg), HandbuchCriminal Compliance (2015) § 31 Rz 49; Strobel, Die Untersuchun-gen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF)(2012) 73 f; vgl ferner Hummer, Die Einrichtung der „EuropäischenStaatsanwaltschaft“ als bisher letzter Fall einer „verstärkten Zusam-menarbeit“ in der EU, ZfRV 2018, 4 (12), sowie Zeder, Die Rolle desStrafrechts beim Schutz der finanziellen Interessen der Europä-ischen Gemeinschaft, in Bundesministerium für Justiz (Hrsg), Ent-wicklungslinien im Straf- und Strafprozessrecht, Vorträge der Rich-terwoche (1996) 183 (188 ff).

4) Zu den Einnahmen der Union vgl Bieber/Kotzur in Bieber/Epiney/Haag/Kotzur (Hrsg), Die Europäische Union: Europarecht und Poli-tik12 (2016) § 5 Rz 10 ff; Dannecker, Strafrechtlicher Schutz der Fi-nanzinteressen der Europäischen Gemeinschaft gegen Täuschung,ZStW 1996, 577 (578 f); Hecker, Europäisches Strafrecht5 (2015)§ 14 Rz 6; Killmann/Glaser, VO (EG, Euratom) 2988/95 über denSchutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft,Kommentar (2011) Allg Vorb Rz 7 ff; Rheinbay, Errichtung 8 f; Stro-bel, Untersuchungen 59 ff.

5) Zu den Ausgabenkompetenzen, die eng mit den Aufgabenberei-chen der Union zusammenhängen: Dannecker, ZStW 1996,579 ff; Hecker, Europäisches Strafrecht5 § 14 Rz 7; Killmann/Gla-ser, VO (EG, Euratom) 2988/95 Allg Vorb Rz 15 ff; Rheinbay, Errich-tung 9 f; Strobel, Untersuchungen 61 ff; vgl ferner Herbert, Straf-rechtlicher Schutz von EU-Subventionen (2013) 6 ff.

6) Treffend merkt Strobel, Untersuchungen 68 f, an, dass bloße In-effizienz oder Inkompetenz des zuständigen Personals im Normal-fall unter die Schädigung fällt.

ZfRV 2018/7

RL 2017/1371/EU;Art 83, 86, 325

AEUV;§ 74 Abs 1 Z 4a,§§ 146, 165, 304,

307 StGB;§§ 33, 34, 35, 36,

38a, 39, 53FinStrG

Abgabenhinter-ziehung;

Betrugs-bekämpfung;

europäischesStrafrecht;

missbräuchlicheVerwendung;

PIF-Überein-kommen;

PIF-Richtlinie;

Schutz der finan-ziellen Interessen

der Union;

Subventions-betrug

ZfRV [2018] 02 Ü Lukas Staffler Ü Schutz der finanziellen Interessen der Union mittels Strafrechts 53

[EUROPARECHT / STRAFRECHT]

gewichtigen Ausmaß7) unmittelbare Schuldner bzwEmpfänger der EU-Finanzmittel und damit die Wirt-schaftsbeteiligten.8) Eine umfangreiche Schädigung derfinanziellen Interessen der Union wird schließlich so-wohl in Einnahmen- als auch Ausgabenbereichendurch die organisierte Kriminalität vermutet.9)

Insofern ist der Schutz der finanziellen Interessender Union ein wichtiges Anliegen10) und es verwundertnicht, dass dieser Bereich einen wichtigen Motor beider Entwicklung des Unionsstrafrechts darstellt.11)

Mit dem Erlass der RL 2017/1371/EU wurde dassubstantielle strafrechtliche Instrumentarium für denSchutz der finanziellen Interessen der Union geschaf-fen. Die institutionelle Verstärkung für diesen Bereich,in Form der Europäischen Staatsanwaltschaft (Euro-pean Public Prosecutor’s Office, kurz: EPPO), hat nun-mehr konkrete Formen angenommen.12) So heißt es inArt 22 VO (EU) 2017/1939 über die Errichtung derEuropäischen Staatsanwaltschaft13) zur sachlichen Zu-ständigkeit, dass diese nach Abs 1 allgemeinhin dieStraftaten zum Nachteil der finanziellen Interessender Union laut gegenständlicher RL umfasst, sich aberdarüber hinaus nach Abs 3 unter gewissen Vorausset-zungen auf alle damit „untrennbar verbundenen“ Straf-taten erstreckt.14)

Bevor im gegenständlichen Beitrag die Neuerungender RL 2017/1371/EU besprochen, der Vorgängerbe-stimmung (PIF-Übereinkommen von 1995) gegen-übergestellt und anschließend Problemschwerpunktezum Reformbedarf aufgezeigt werden, erfolgt zunächsteine Skizze der wichtigsten Meilensteine beim Schutzder finanziellen Interessen der Europäischen Union.Dabei umreißt diese Darstellung die wesentlichen

Etappen ieS, während hier andere Instrumentarienzum Finanzschutz iwS, etwa die Rechtshilfe und derGrundsatz der gegenseitigen Anerkennung in Strafsa-chen, unberücksichtigt bleiben.15)

B. Meilensteine bei der RechtsentwicklungDer Schutz der finanziellen Interessen der Union er-streckt sich grundsätzlich auf zwei Bereiche, nämlichdie Eigenmittelfinanzierung und die Ausschüttungder eingenommenen Mittel zur Finanzierung der Uni-onsverwaltung und -politiken. In den 1970er-Jahrenwurde die Finanzierung des Gemeinschaftshaushaltsumgestellt. An die Stelle eines fremdmittel-gestütztenSystems rückte das System der Eigenmittelfinanzierun-gen.16) Damit finanziert sich die Union insb über dieErhebung von Agrarabschöpfungen, Zuckerabgaben,Zöllen und Mehrwertsteuern. Gerade die europaweiteErhebung der Umsatzsteuer wird dabei in einer für Be-trug besonders anfälligen Weise erhoben (Stichwort:„Umsatzsteuerkarussell“).17)

Zur Flankierung dieses Finanzbedarfs ergriff die EGverschiedene Initiativen strafrechtlicher Natur.18) We-gen rechtlicher Bedenken gegen eine entsprechendeKompetenz der Gemeinschaft wiesen Rat und Mit-gliedstaaten derartige Initiativen zurück.19) So verlief1976 ein Anlauf der Europäischen Kommission erfolg-los, den Schutz der finanziellen Interessen über dasStrafrecht auszubauen.20)

1. Von der Mais-Entscheidungzum PIF-Übereinkommen

Entscheidender Impuls für den Schutz der finanziellenInteressen der Union war die sog „griechischer Mais“-Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 1989.21) Der7) So Dannecker, Einführung von Tatbeständen mit supranationaler

Schutzrichtung (Europadelikte), in Böse (Hrsg), Enzyklopädie Euro-parecht (EnzEuR) IX (2013) § 8 Rz 22.

8) Ausführlich Hecker, Europäisches Strafrecht5 § 14 Rz 8 ff; Sieber,Subventionsbetrug und Steuerhinterziehung zum Nachteil der Eu-ropäischen Gemeinschaft, ZStR 1996, 357 (361 ff); zu den Gründender Missbrauchs-Anfälligkeit Zeder in Mayer/Stöger (Hrsg), EUV/AEUV (164. Lfg 2013) Art 325 Rz 5.

9) So Fischler, Der Schutz der finanziellen Interessen der Europä-ischen Gemeinschaften – eine gemeinsame Aufgabe von MS undEuropäischer Kommission, ÖJZ 1997, 521 (525); vgl auch Sieber,ZStR 1996, 375 ff.

10) Treffend weist Satzger, Internationales und Europäisches Straf-recht7 (2016) § 9 Rz 26, darauf hin, dass die Union im Hinblickauf den Schutz ihrer eigenen Rechtsgüter in einem Dilemma steckt.Sie verfügt über erhebliche finanzielle, personelle und sachliche Mit-tel, konnte aber vor dem Vertrag von Lissabon mangels Strafrechts-kompetenz nicht selbst für einen umfassenden Schutz ihrer Rechts-güter sorgen, sondern war auf die Strafrechtskompetenz der Mit-gliedstaaten angewiesen.

11) Brodowski, Die Europäische Staatsanwaltschaft – eine Einführung,StV 2017, 684; Dannecker in Böse, EnzEuR IX § 8 Rz 1, 20;Gaede,Das Erwachen der Macht? Die europäisierte Funktionstüchtigkeitder Strafrechtspflege, wistra 2016, 89; Gaede, Der Steuerbetrug(2016) 215; Hecker, Europäisches Strafrecht5 § 14 Rz 1; Sieber inDelmas-Marty (Hrsg), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungenzum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union(1998) Vorwort; Vogel, Begriff und Ziele der Harmonisierung, inBöse (Hrsg), Enzyklopädie Europarecht (EnzEuR) IX (2013) § 7Rz 26.

12) Instruktiv Brodowski, StV 2017, 684 ff; Hummer, ZfRV 2018, 5, 7 ff;vgl ferner Zeder, Aktuelle EU-Vorhaben im Strafrecht, AnwBl 2017,137 (151).

13) VO (EU) 2017/1939 des Rates v 12. 10. 2017 zur Durchführungeiner Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der EuropäischenStaatsanwaltschaft (EUStA), ABl L 2017/283, 1.

14) Brodowski, StV 2017, 686 f, nennt als Beispiele für Zusammen-hangstaten iSd PIF-RL Urkundenfälschungen, Sachbeschädi-gungsdelikte, aber auch einen Verdeckungsmord.

15) Ausführlich zur Entwicklung Meyer, Strafrechtsgenese in Internatio-nalen Organisationen (2012) 360 ff mwN, sowie Zeder inMayer/Stö-ger, EUV/AEUV Art 325 Rz 16 ff.

16) Beschluss des Rates v 21. 4. 1970 über die Ersetzung der Finanz-beiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaf-ten, ABl L 1970/94, 9 f; dazu Dannecker in Böse, EnzEuR IX § 8Rz 21 mwN.

17) Ausführlich bei Gaede, Steuerbetrug 167 ff; zusammenfassend beiScheil, Jüngste Entwicklungen im Finanz- und Wirtschaftsstrafrecht(2008) 20.

18) Für einen Überblick s Strobel, Untersuchungen 52 ff.19) Böse, Strafen und Sanktionen im europäischen Gemeinschafts-

recht (1996) 57 ff mwN.20) Siehe Entwurf für einen Vertrag zur Änderung der Verträge zur

Gründung der Europäischen Gemeinschaft zwecks gemeinsamerRegelung des strafrechtlichen Schutzes der finanziellen Interessender Gemeinschaft sowie der Ahndung von Zuwiderhandlungen ge-gen die Vorschriften genannter Verträge, KOM(1976) 418 endg, ABlC 1976/222, 2; vgl Killmann/Glaser, VO (EG, Euratom) 2988/95 Er-wägungsgründe Rz 9.

21) EuGH 21. 9. 1989, C-68/88, Kommission/Griechenland; im Sach-verhalt ging es um einen aus Jugoslawien stammenden Mais, der inGriechenland eingeführt und unter Mitwirkung dortiger Beamten alsursprünglich aus Griechenland stammender Mais deklariert undweiter nach Belgien gebracht wurde. Auf diese Weise wurde dieAgrarabschöpfung, die bei der Einfuhr aus Drittstaaten durch dieMitgliedstaaten (konkret: Griechenland) für die EG erhoben werdenmusste, hinterzogen. Nachdem die griechischen Behörden der Auf-forderung seitens der Kommission, gegen die involvierten Personenvorzugehen, nicht nachkamen, reichte diese Klage beim EuGH ein;vgl Dannecker in Böse, EnzEuR IX § 8 Rz 24; García Marqués/Kert,Strafrechtsänderungsgesetz 1998: Umsetzung des EU-Betrugs-Übereinkommens in Österreich, ÖJZ 1999, 213 (214); Satzger, In-ternationales und europäisches Strafrecht7 (2016) § 9 Rz 28 f; aus-führlich bei Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts (2001)334 ff.

ZfRV

54 Ü Lukas Staffler Ü Schutz der finanziellen Interessen der Union mittels Strafrechts ZfRV [2018] 02

[EUROPARECHT / STRAFRECHT]

EuGH stellte fest, dass die Mitgliedstaaten aufgrundvon Art 5 EWG verpflichtet seien, „alle geeignetenMaßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirk-samkeit des Gemeinschaftsrechtes zu gewährleisten“.22)

Daraus leitete der Gerichtshof eine Assimilierungs-bzw Gleichstellungspflicht her:23) Demnach müssendie Mitgliedstaaten darauf achten, dass „Verstöße gegendas Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen undverfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nachArt und Schwere gleichartiger Verstöße gegen nationalesRecht“.24) Dabei präzisierte der EuGH, dass die natio-nalen Sanktionsinstrumentarien „jedenfalls wirksam,verhältnismäßig und abschreckend“25) sein müssen(sog „Mindesttrias“). Hieraus kann sich im Einzelnendie Pflicht von Mitgliedstaaten ergeben, entsprechendtätig zu werden.26)

Im Vertrag von Maastricht von 1992 wurde überArt 209 a EWGV das vom EuGH aufgestellte Gleich-stellungsgebot für den Schutz der finanziellen Interes-sen der EG vorgesehen und insofern erstmals aus-drücklich im Primärrecht verankert,27) wenngleichnicht in Form einer Kompetenz für die supranationale(Straf-)Rechtssetzung, sondern über die Konkretisie-rung der allgemeinen Verpflichtung zum gemein-schaftsfreundlichen Verhalten.28)

Strafrechtliche Vorgaben wurden erstmals mit demÜbereinkommen zum Schutz der finanziellen Interes-sen der Europäischen Gemeinschaft vom 26. 7. 1995geschaffen, dem sog PIF-Übereinkommen, einschließ-lich seiner Zusatzprotokolle.29) Der Rechtsakt zielte aufdie Bestrafung von Betrugshandlungen, aber auch vonKorruptionsdelikten (Erstes PIF-Zusatzprotokoll) so-wie von Geldwäsche ab und enthielt Bestimmungenüber die Zusammenarbeit (Zweites PIF-Zusatzproto-koll).30) Im Zentrum des PIF-Übereinkommens stan-den die finanziellen Interessen der EG, welche das ein-schlägige Schutzgut darstellt.31) Mit dem Übereinkom-men sollten die Mitgliedstaaten einerseits das Straf-

recht zum Schutz der finanziellen Interessen der EGkompatibler gestalten und entsprechende Mindest-standards entwickeln, andererseits sollte die Zusam-menarbeit der Mitgliedstaaten bei der Ahndung dieserStraftaten verbessert werden.32) Österreich hat die Vor-gaben mit dem StRÄG 1998 umgesetzt.33) Insgesamtging die Ratifizierung der PIF-Rechtsakte von 1995 al-lerdings nur zögerlich voran.34)

2. Vertrag von Amsterdam, OLAF,Corpus Juris

Eine erhebliche Ausweitung des strafrechtlichenSchutzes der finanziellen Interessen der EG erfolgtemit dem Vertrag von Amsterdam (1997). Die Vorga-ben der „griechischer Mais“-Entscheidung zu denwirksamen, verhältnismäßigen und abschreckendenSanktionen hingegen wurde in Art 280 Abs 1 EGVnormiert.35) In Art 280 Abs 2 EGV wurde die Ver-pflichtung der Mitgliedstaaten zur gemeinschafts-treuen und loyalen Zusammenarbeit (Art 10 EGV)konkretisiert. Die Koordination zwischen den Mit-gliedstaaten zum Schutz der finanziellen Interessender EG und die Zusammenarbeit mit der Kommissionwurde in Art 280 Abs 3 EGV festgeschrieben.36)

Schließlich verankerte Art 280 Abs 4 EGV die Kompe-tenz des Rats, die erforderlichen Maßnahmen zur Ver-hütung und Bekämpfung von gegen die finanziellenInteressen der EG gerichteten Betrügereien zu treffen,um einen effektiven und gleichwertigen Schutz in denMitgliedstaaten zu gewährleisten. Entgegen der Auf-fassung der Kommission wurde Art 280 Abs 1 EGVlediglich deklaratorischer Charakter zugesprochen,weshalb Abs 4 letztlich keine originäre Strafsetzungs-kompetenz für die EG bereitstellte.37)

22) EuGH 21. 9. 1989, C-68/88, Kommission/Griechenland, Rz 23.23) EuGH 21. 9. 1989, C-68/88, Kommission/Griechenland, Rz 25; vgl

auch Dannecker, ZStW 1996, 585; Satzger, Europäisierung 336;Strobel, Untersuchungen 54 f.

24) EuGH 21. 9. 1989, C-68/88, Kommission/Griechenland, Rz 24.25) EuGH 21. 9. 1989, C-68/88, Kommission/Griechenland, Rz 24.26) Satzger, Europäisierung 336 f; Hecker, Europäisches Strafrecht5

§ 7 Rz 27 f.27) Hierzu Vogel in Böse, EnzEuR IX § 7 Rz 16.28) Dannecker in Böse, EnzEuR IX § 8 Rz 25.29) Rechtsakt des Rates v 27. 9. 1996 über die Ausarbeitung eines

Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellenInteressen der Europäischen Gemeinschaften, ABl C 1996/313, 2(Erstes PIF-Protokoll); Rechtsakt des Rates v 29. 11. 1996 über dieAusarbeitung des Protokolls aufgrund von Artikel K.3 des Vertragsüber die Europäische Union betreffend die Auslegung des Überein-kommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europä-ischen Gemeinschaften durch den Gerichtshof der EuropäischenGemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung, ABl C 1997/151 (EuGH-Protokoll); Rechtsakt des Rates v 19. 6. 1997 überdie Ausarbeitung des zweiten Protokolls zum Übereinkommen überden Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemein-schaften, ABl C 1997/221 (Zweites PIF-Protokoll).

30) Ausführlich bei Ambos, Internationales Strafrecht5 (2018) § 11Rz 14; Dannecker, ZStW 1996, 594 ff; García Marqués/Kert, ÖJZ1999, 215 ff; Hecker, Europäisches Strafrecht5 § 14 Rz 20 ff; Her-bert, Strafrechtlicher Schutz 17 ff; Killmann/Glaser, VO (EG, Eura-tom) 2988/95 passim; Rheinbay, Errichtung 22 ff; Zeder in BMfJ194 ff.

31) So Killmann/Schröder in Sieber/Satzger/von Heintschel-Heinegg(Hrsg), Europäisches Strafrecht2 (2014) § 12 Rz 15; Killmann/Gla-ser, VO (EG, Euratom) 2988/95 Allg Vorb Rz 5 ff.

32) Vgl Entschließung des Rates v 6. 12. 1994 über den rechtlichenSchutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften, ABl C1994/355, 2 und 3; Dannecker, ZStW 1996, 594 ff; Herbert, Straf-rechtlicher Schutz 23 ff.

33) StrafrechtsänderungsG 1998 BGBl I 1998/153; vgl dazu Flora inLeukauf/Steininger (Hrsg), StGB – Strafgesetzbuch Kommentar4(2017) § 153b Rz 1; García Marqués/Kert, ÖJZ 1999, 213 ff; Her-bert, Strafrechtlicher Schutz 152 ff; Kert in Triffterer/Rosboud/Hin-terhofer (Hrsg), StGB – Salzburger Kommentar zum Strafgesetz-buch (37. Lfg 2017) § 146 Rz 32; Zeder in BMfJ 199 f, 205; Zeder,Umsetzung des Übereinkommens über den Schutz der finanziellenInteressen der Europäischen Gemeinschaft im Finanzstrafrecht, inLeitner (Hrsg), Finanzstrafrecht 1996–2002 (2006) 942 (950 f).

34) Deshalb entwarf die Kommission 2001 auf Grundlage von Art 280EGV einen Vorschlag für eine RL zum strafrechtlichen Schutz derfinanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft KOM(2001)272 endg, ABl C 2001/240 E 125, der im Wesentlichen den Inhaltder PIF-Rechtsakte widerspiegelte. Um dem Erlass dieser RL zu-vorzukommen, beschleunigten die Mitgliedstaaten den Ratifika-tionsprozess, sodass sämtliche PIF-Rechtsakte am 17. 10. 2002in Kraft traten (mit Ausnahme des Zweiten PIF-Protokolls, welcheserst am 19. 5. 2009 in Kraft trat); vgl ferner die rechtsvergleichendeStudie von Herbert, Strafrechtlicher Schutz 261 f, wonach die Um-setzung der Vorgaben zum Schutz der EU-Subventionen nicht vomprimären Anliegen getragen waren, die EG-Vorgaben umzusetzen,sondern insb Deutschland und Österreich darauf bedacht waren,das geltende Recht nur minimal zu ändern, um die gemeinschaft-lichen Vorgaben zu erfüllen; ebenso bereits Zeder in Leitner, Finanz-strafrecht 951.

35) Strobel, Untersuchungen 58.36) Nach dem Satz 2 in Abs 3 blieb „die Anwendung des Strafrechts

der MS und ihrer Strafrechtspflege [. . .] von diesen Maßnahmen un-berührt“.

37) So etwa Pache, Der Schutz der finanziellen Interessen der Europä-ischen Gemeinschaft (1994) 341 f; aA etwa Zieschang, Chancenund Risiken der Europäisierung des Strafrechts, ZStW 2001,

ZfRV [2018] 02 Ü Lukas Staffler Ü Schutz der finanziellen Interessen der Union mittels Strafrechts 55

[EUROPARECHT / STRAFRECHT]

Zwei Jahre später wurde das Europäische Amt fürBetrugsbekämpfung (OLAF) gegründet:38) eine Ein-richtung, die innerhalb der Kommission (als Organ-glied) angesiedelt und mit organisatorischer bzw insti-tutioneller Autonomie39) ausgestattet ist. OLAF sam-melt als Untersuchungsbehörde40) innerhalb der Unio-nsorgane Fakten und gibt diese den zuständigenStellen in der EU bzw den Mitgliedstaaten bekannt.

Auf Initiative der Europäischen Kommission unddes Europäischen Parlaments erarbeitete eine straf-rechtliche Sachverständigengruppe das sog „CorpusJuris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz derfinanziellen Interessen der Europäischen Union“.41)

Damit wurden Leitprinzipien zum Schutz der finanzi-ellen Unionsinteressen durch Strafrecht im Rahmeneines europäischen Rechtsraums entwickelt.42) 2001stützte die Kommission die Inhalte ihres Grünbuchszum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessender EG und zur Schaffung eines EPPO43) auf das Mo-dell des Corpus Juris. Während das Corpus Juris alsoals Diskussionsgrundlage gut aufgenommen wurde,44)

konnten die konkreten Vorschläge aufgrund der da-mals geltenden Rechtslage nicht umgesetzt werden,da der EG-Vertrag keine entsprechende Rechtsgrund-lage bereithielt.

3. Vertrag von Lissabon und PIF-Richtlinie

Seit dem Vertrag von Lissabon (2009) wird der straf-rechtliche Schutz der finanziellen Interessen derUnion45) in vier Artikeln des Primärrechts erwähnt.46)

Die zentrale Vorschrift zur Bekämpfung strafbarer

Handlungen gegen die finanziellen Interessen derUnion bildet dabei Art 325 AEUV, der die Betrugsbe-kämpfung zur Unionspolitik erklärt.47) Als Motor zumSchutz der finanziellen Interessen der Union gilt insbArt 325 Abs 4 AEUV.48) Diese Vorschrift bildet dieKompetenzgrundlage, auf der die Union „die erforder-lichen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfungvon Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interes-sen der Union richten“ trifft.49) Nach hA wird damitden Gesetzgebungsorganen der Union eingeräumt,Rechtsakte strafrechtlichen Charakters zu erlassen.50)

Trotz dieser neuen Kompetenz der Union bleibt diestrafrechtliche Betrugsbekämpfung in erster Liniedem nationalen Strafrecht vorbehalten, zumal die Mit-gliedstaaten etwa 80% der EU-Gelder verwalten.51)

Vor diesem Hintergrund forderte das EuropäischeParlament in seiner Entschließung vom 19. 4. 2012konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerbe-trug sowie Steuerhinterziehung und stellte diesbezüg-lich 15 Programmpunkte auf.52) Bereits am 31. 7. 2012wurde von der Kommission ein Vorschlag für einenMechanismus zur schnellen Reaktion auf Mehrwert-steuerbetrug vorgelegt, demzufolge die Umsatzsteuervom Erwerber bzw Empfänger der Dienstleistung ge-schuldet wird und nicht vom Dienstleistungserbringerbzw Lieferanten der Gegenstände. Auf der Grundlagevon Art 325 Abs 4 AEUV hingegen legte die Kommis-sion am 11. 7. 2012 einen Vorschlag einer RL über diestrafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellenInteressen der EU gerichtetem Betrug vor.53) Mit derWahl einer „Richtlinie“ anstelle einer „Verordnung“verzichtete die Kommission auf die Einführung unmit-telbarer europäischer Strafnormen.54) Die Umsetzungdieses Vorschlags sollte fast genau fünf Jahre dauernund in der RL 2017/1371/EU gipfeln.55) Ü

260 f; zur Diskussion vgl Herbert, Strafrechtlicher Schutz 11 ff; Ro-senau, Zur Europäisierung im Strafrecht, ZIS 2008, 9 (14 f).

38) Rheinbay, Errichtung 54 ff; Schramm in Rotsch § 31 Rz 11; Strobel,Untersuchungen 35 ff; es ging aus der zentralen Einheit zur Koordi-nierung der Betrugsbekämpfung (UCLAF) hervor, das bei der Euro-päischen Kommission eingerichtet war: vgl Strobel, Untersuchun-gen 31 ff.

39) Vgl dazu die Entschließung des Europäischen Parlaments v22. 10. 1997 zu dem Jahresbericht der Kommission 1996 und ih-rem Arbeitsprogramm 1997/1998 zum Schutz der finanziellen Inte-ressen der Gemeinschaft und zur Betrugsbekämpfung, ABl C1997/339, 68 f; näher bei Killmann/Glaser, VO (EG, Euratom)2988/95 Allg Vorb Rz 85 ff.

40) Die Untersuchungskompetenz von OLAF wurde 2013 mit dem Zielkonkretisiert, die Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der fi-nanziellen Interessen der Union zu intensivieren: VO (EU, Euratom)883/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v11. 9. 2013 über die Untersuchungen des Europäischen Amtesfür Betrugsbekämpfung (OLAF), ABl L 2013/248, 1.

41) Delmas-Marty, Corpus Juris passim; zum Inhalt vgl Hecker, Euro-päisches Strafrecht5 § 14 Rz 26 ff; Zeder in Mayer/Stöger, EUV/AEUV Art 325 Rz 64.

42) Im Einzelnen sah das Corpus Juris Straftatbestände (Art 1 bis 8)und Regeln eines Allgemeinen Teils vor (Art 9 bis 17) sowie verfah-rensrechtliche Anstöße (Art 18 bis 35), wobei bei Letzteren die Er-richtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft ein deutlicherSchwerpunkt war.

43) Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessender Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Euro-päischen Staatsanwaltschaft, KOM(2001) 715 endg; dazu Hecker,Europäisches Strafrecht5 § 14 Rz 32 ff; Zeder in Mayer/Stöger,EUV/AEUV Art 325 Rz 28.

44) Vgl die Nachweise bei Dannecker in Böse, EnzEuR IX § 8 Rz 45 ff.45) Nach Bieber, Strafrecht, polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit

in Strafsachen, in Bieber/Epiney/Haag/Kotzur (Hrsg), Die Europä-ische Union12 (2016) § 16 Rz 7, bildet der Vertrag von Lissabondiesbezüglich den Höhepunkt der Entwicklung.

46) Vgl Art 85 Abs 1 lit a und b (Aufgabenbereiche von Eurojust), Art 86(Kompetenz zur Einsetzung einer Europäischen Staatsanwalt-schaft), Art 310 Abs 6 (Bekämpfung von Betrügereien iSv Art 325AEUV durch Union und Mitgliedstaaten), Art 325 AEUV.

47) Rheinbay, Errichtung 17 ff; Zeder in Mayer/Stöger, EUV/AEUVArt 325 Rz 29.

48) Herbert, Strafrechtlicher Schutz 15 f; Kert in Kert/Kodek (Hrsg), Dasgroße Handbuch Wirtschaftsstrafrecht: Profiwissen für die Praxis(2016) Rz 1.86; Strobel, Untersuchungen 58.

49) Frenz, Handbuch Europarecht VI (2011) Rz 1679, spricht treffendvon einer „Rechtsetzungsermächtigung“.

50) Diese Neuerung ergibt sich ua aus dem Umstand, dass der in derVorgängernorm (Art 280 EGV) enthaltene Satz „Die Anwendungdes Strafrechts der MS und ihrer Strafrechtspflege bleiben von die-sen Maßnahmen unberührt“ gestrichen wurde; vgl hierzu Frenz,Handbuch VI Rz 1679; Hecker, Europäisches Strafrecht5 § 9Rz 54; Zeder in Mayer/Stöger, EUV/AEUV Art 325 Rz 29, sowieausführlich bei Fromm,Der strafrechtliche Schutz der Finanzinteres-sen der EG – Die Frage der Einführung einer supranationalen Straf-rechtskompetenz durch Artikel 280 IV EGV (2004) 304 ff.

51) So Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht7 § 8 Rz 44.52) Diese beinhalteten mit Blick auf das Strafrecht bzw Strafverfahrens-

recht den automatischen Informationsaustausch (Z 3), die Zusam-menarbeit zwischen den nationalen Verwaltungen (Z 8) und den In-formationsaustausch mit ausländischen Steuerbehörden (Z 15).

53) Vorschlag für eine RL des Europäischen Parlaments und des Ratesüber die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen In-teressen der Europäischen Union gerichteten Betrug, KOM(2012)363 endg v. 11. 7. 2012; Der Vorschlag baute auf dem PIF-Über-einkommen v 26. 7. 1995 auf, welches immer noch nicht von allenMitgliedstaaten ratifiziert wurde.

54) Vgl dazu Kert in Kert/Kodek, Rz 1.94 f, 1.96 f, und Zeder in Mayer/Stöger, EUV/AEUV Art 325 Rz 67, sowie ferner Dannecker in Böse,EnzEuR IX § 8 Rz 57, und Schramm in Rotsch § 31 Rz 16.

55) Vgl dazu auch Hummer, ZfRV 2018, 6 f, sowie Glaser/Kert, RL zurBekämpfung von EU-Betrug angenommen, ZWF 2017, 290.

4. Rechtliches Fundamentder PIF-Richtlinie?

Bemerkenswert bei der RL-Genese und gleichzeitigproblematisch sind die Divergenzen zum rechtlichenFundament, auf dem RL 2017/1371/EU fußt. Dennnach der Präambel der RL stützten Europäisches Par-lament und Rat die gegenwärtige RL auf Art 83 Abs 2AEUV, wonach Mindestvorschriften für die Festle-gung von Straftaten und Strafen auf dem betreffendenGebiet festgelegt werden sollen. Demgegenüber entwi-ckelte die Kommission ihren RL-Vorschlag auf derGrundlage von Art 325 AEUV.56)

Zuletzt hat der EuGH in der Rechtsache Taricco57)

klargestellt, dass der Schutz der finanziellen Interessender Union über Art 325 AEUV verwirklicht wird.Auch das Schrifttum58) identifiziert Art 325 AEUVgrundsätzlich als Fundament der RL bzw schließtden Anwendungsbereich von Art 83 Abs 2 AEUV fürHarmonisierungsmaßnahmen zum Schutz der finanzi-ellen Interessen der Union aus.59) Konkrete Auswir-kungen bei der Wahl des Fundaments für die RL zei-gen sich bei einer Gegenüberstellung von Art 83AEUV mit Art 325 AEUV. Über die Fundierung desRegelwerks in Art 325 AEUV können gegenüberArt 83 AEUV etwa Regelungsbereiche über die Min-deststandards hinaus getroffen werden, ohne auf densog „Notbremsmechanismus“ in Art 83 AEUV Rück-sicht zu nehmen.60) Insofern könnte im Rahmen einerNichtigkeitsklage (Art 263 AEUV) eine unmittelbareobjektive Rechtskontrolle durch den EuGH61) vorge-nommen werden, um gegen das rechtliche Fundamentdes Art 83 AEUV der aktuellen RL 2017/1371/EU vor-zugehen.62)

C. Definition der finanziellen Interessender Union

Anders als im PIF-Übereinkommen von 1995 definiertnun die RL 2017/1371/EU erstmals dezidiert, was unterden „finanziellen Interessen der Union“ zu verstehenist. Bisher wurde diese Begrifflichkeit lediglich überdie Praxis63) bestimmt.

Nach Art 2 Abs 1 lit a64) sind darunter „sämtlicheEinnahmen, Ausgaben und Vermögenswerte [zu verste-hen], die durch Folgendes erfasst, erworben oder ge-schuldet werden: i) den Haushaltsplan der Union, ii)den Haushaltsplänen der nach den Verträgen geschaffe-nen Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen derUnion oder in den von diesen direkt oder indirekt ver-walteten und überwachten Haushaltsplänen“.

Auch in ErwGr 1 wird betont, dass sich der ein-schlägige Schutz nicht nur auf die Verwaltung vonHaushaltsmitteln erstreckt, sondern sich auch aufsämtliche Maßnahmen bezieht, die die Vermögens-werte der Union bzw jene der Mitgliedstaaten, soweitsie für die Unionspolitiken von Belang sind, beein-trächtigen oder zu beeinträchtigen drohen.65)

D. StraftatbeständeRL 2017/1371/EU enthält in Art 3 und 4 die Straftatenzum Nachteil der finanziellen Interessen der Union.

In diesem Zusammenhang muss darauf hingewie-sen werden, dass der Terminus „Betrug“ in der RLals autonomer Begriff des Unionsrechts aufzufassenist66) und sich nicht mit den Begrifflichkeiten ausdem StGB deckt, sondern sich insb auch auf finanz-strafrechtliche Erklärungsdelikte bezieht. WeitereStraftatbestände der RL betreffen die Geldwäsche so-wie Korruption bzw „missbräuchliche Verwendung“durch nationale öffentliche Bedienstete (der Mitglied-staaten bzw Drittstaaten) und Unionsbeamte. Fürsämtliche Tatbestände ist allgemein weder eine Täu-schungs- noch Bereicherungsabsicht erforderlich.

1. Betrug

Art 3 Abs 2 enthält die Legaldefinition von „Betrugzum Nachteil der finanziellen Interessen der Union“.Im Lichte der nationalen Strafrechtsordnung handeltes sich einerseits um Betrugstatbestände und Förder-missbrauch, andererseits um Tatbestände aus dem Fi-nanzstrafrecht. Nach den Vorgaben der RL werdenvier unterschiedliche Schutzausrichtungen unterschie-den, wobei zwei die Ausgabenebene und weitere zweidie Einnahmenebene der Finanzmittel der Union be-treffen. Die jeweiligen Tatbestandsvorgaben umfassendie drei Begehungsformen des Betrugs, nämlich durchTun, durch Unterlassen und – unter Ausnahme des

ZfRV

56 Ü Lukas Staffler Ü Schutz der finanziellen Interessen der Union mittels Strafrechts ZfRV [2018] 02

[EUROPARECHT / STRAFRECHT]

56) Vgl KOM(2012) 363 endg 7 Rz 3.1.; ausführlich zur Frage des recht-lichen Fundaments zwischen Art 83 AEUV und Art 325 AEUV beiAmbos, Strafrecht5 § 11 Rz 14; sowie Zeder in Mayer/Stöger,EUV/AEUV Art 325 Rz 68 ff.

57) EuGH 8. 9. 2015, C-105/14, Taricco ua/Italien; vgl dazu Gaede,wistra 2016, 89.

58) Killmann/Glaser, VO (EG, Euratom) 2988/95 ErwägungsgründeRz 1, 2; Rheinbay, Errichtung 17 ff; Zeder in Mayer/Stöger, EUV/AEUV Art 325 Rz 73.

59) Vogel/Eisele in Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg), Das Recht der Euro-päischen Union (61. EL April 2017) Art 83 AEUV Rz 91 mwN.

60) So etwa Vogel, Die Strafgesetzgebungskompetenz der Europä-ischen Union nach Art 83, 86 und 325 AEUV, in Ambos (Hrsg), Eu-ropäisches Strafrecht post Lissabon (2011) 29 (37, 43 f); wohl auchTiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT3 (2011) § 1 Rz 54, mitSchwerpunkt auf die Strafgesetzgebung der EU zum Schutz ihrerFinanzinteressen; aA Hecker in Sieber/Satzger/von Heintschel-Hei-negg (Hrsg), Europäisches Strafrecht2 (2014) § 10 Rz 25, wonachder Notbremse-Mechanismus des Art 83 Abs 3 AEUV auch aufstrafrechtsangleichende RL zum Schutz der finanziellen Interessender Union iSv Art 325 Abs 4 AEUV analog anzuwenden ist; ebensokritisch Zeder in Mayer/Stöger, EUV/AEUV Art 325 Rz 73, wonachein auf Art 325 AEUV gestützter Rechtsakt die in Art 83 AEUV ge-nannten und den Besonderheiten des Strafrechts geschuldetenSchranken respektieren sollte.

61) Vgl Lengauer in Mayer/Stöger (Hrsg), EUV/AEUV (176. Lfg 2014)Art 263 AEUV Rz 3.

62) Ähnlich auch Zeder, Aktuelle EU-Vorhaben im Strafrecht, AnwBl2017, 137 (138).

63) Vgl EuGH 15. 11. 2011, C-539/09, Kommission/Deutschland; fürdie Definition der finanziellen Interessen der Union vgl ferner Art 1Abs 2 VO (EG, Euratom) 1995/2988 sowie Bericht über den Vor-schlag für eine RL des Europäischen Parlaments und des Ratesüber die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen In-teressen der Europäischen Union gerichtetem Betrug, KOM(2012)363 endg v 11. 7. 2010, 7 Rz 3.1.; im Schrifttum etwa Vogel in Am-bos 36 f.

64) Artikelangaben und Erwägungsgründe ohne nähere Bezeichnungbeziehen sich stets auf die RL 2017/1371/EU.

65) Vgl Zeder in Mayer/Stöger, EUV/AEUV Art 325 Rz 6 f.66) Killmann/Glaser, VO (EG, Euratom) 2988/95 Erwägungsgründe

Rz 2; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT3 § 1 Rz 42 ff; Waldhoffin Calliess/Ruffert (Hrsg), EUV/AEUV5 (2016) Art 325 Rz 4; Zeder inMayer/Stöger, EUV/AEUV Art 325 Rz 8; Rheinbay, Errichtung 19,weist darauf hin, dass jedenfalls fahrlässige Handlungen bereitsaus begrifflichen Gründen nicht unter „Betrügereien“ fallen.

Mehrwertsteuerbetrugs – durch zweckwidrige Ver-wendung gewährter Mittel bzw erlangter Vorteile.

a) AusgabenseiteEinerseits steht der Schutz jener Ausgaben im Fokus,die nicht mit der Auftragsvergabe zusammenhängen.Hier werden alle Handlungen oder Unterlassungen er-fasst, wodurch in der Folge Mittel oder Vermögens-werte unrechtmäßig erlangt oder zurückbehalten wer-den, die aus dem Gesamthaushalt der Union oder ausden Haushalten stammen, die von der Union oder inderen Auftrag verwaltet werden, und zwar unterÜ Verwendung oder Vorlage falscher, unrichtiger

oder unvollständiger Erklärungen oder Unterlagen;Ü Verschweigen einer Information unter Verletzung

einer spezifischen Pflicht;Ü missbräuchlicher Verwendung dieser Mittel oder

Vermögenswerte zu einem anderen Zweck als je-nem, für die sie ursprünglich gewährt wurden.

Andererseits sind dieselben vorher bezeichnetenHandlungen oder Unterlassungen auch in Bezug aufAusgaben im Zusammenhang mit der Auftragsvergabestrafbar, wenn sie zumindest in der Absicht begangenwerden, dem Täter oder einer anderen Person durchSchädigung der finanziellen Interessen der Union ei-nen rechtswidrigen Vorteil zu verschaffen. Mit Blickauf die vorher dargelegte missbräuchliche Verwen-dung der Mittel oder Vermögenswerte für einen ande-ren Zweck bedarf es noch zusätzlich des Tatbestands-elements der Schädigung der finanziellen Interessender Union.

Der grundlegende Unterschied gegenüber dem PIF-Übereinkommen von 1995 besteht in der neu einge-führten Unterscheidung zwischen den Ausgaben mitbzw ohne Zusammenhang zur Auftragsvergabe. Seitder RL 2017/1371/EU sind die einschlägigen Handlun-gen auch dann strafrechtlich relevant, wenn sie Ausga-ben iZm der Auftragsvergabe betreffen.

b) EinnahmenseiteAuf Ebene der Einnahmen der Union, die nicht ausgrenzüberschreitenden Einnahmen aufgrund derMehrwertsteuer-Eigenmittel resultieren, werden alleHandlungen und Unterlassungen erfasst, aus deneneine rechtswidrige Verminderung der Mittel aus demHaushalt der Union oder aus den Haushalten, die vonder Union oder in deren Auftrag verwaltet werden, re-sultiert. Dies betrifft folgende Tathandlungen:Ü die Verwendung oder Vorlage falscher, unrichtiger

oder unvollständiger Erklärungen oder Unterlagen;Ü das Verschweigen einer Information unter Verlet-

zung einer spezifischen Pflicht;Ü die missbräuchliche Verwendung eines rechtmäßig

erlangten Vorteils.

Schließlich ist in Bezug auf Einnahmen aus Mehrwert-steuer-Eigenmitteln jede Handlung oder Unterlassungeinschlägig, die im Rahmen eines grenzüberschreiten-den Betrugssystems begangen wird und in der FolgeMittel des Unionhaushalts vermindert. Dezidiert fallendarunter:

Ü die Verwendung oder Vorlage falscher, unrichtigeroder unvollständiger Mehrwertsteuer-Erklärungenoder -Unterlagen;

Ü das Verschweigen einer mehrwertsteuerrelevantenInformation unter Verletzung einer spezifischenPflicht;

Ü die Vorlage richtiger Mehrwertsteuer-Erklärungenzur betrügerischen Verschleierung einer nicht ge-leisteten Zahlung oder zur unrechtmäßigen Be-gründung von Ansprüchen auf Erstattung derMehrwertsteuer.

2. Geldwäsche

In Art 4 werden weitere Straftaten vorgesehen, die ge-gen die finanziellen Interessen der Union gerichtetsind. So wird nach Art 4 Abs 1 die Geldwäsche als ein-schlägige Straftat genannt, wie sie gem Art 1 Abs 34. GeldwäscheRL67) definiert ist68) und sich auf Gegen-stände aus Straftaten bezieht, die durch die vorliegendeRL erfasst werden.

Durch die Einbeziehung der Geldwäsche in denStraftatenkatalog gegen die finanziellen Interessen derUnion geht die RL im Ergebnis über die PIF-Konven-tion von 1995 hinaus. Denn die Geldwäsche war imZweiten PIF-Übereinkommen (Art 2) als programma-tischer Satz verankert, wonach jeder Mitgliedstaat dieerforderlichen Maßnahmen zu treffen hatte, um dieGeldwäsche unter Strafe zu stellen. Hierbei bezog sichder Text dezidiert auf die RL 91/308/EWG.69) Dagegenverweist RL 2017/1371/EU auf die Geldwäschedefini-tion in der 4. GeldwäscheRL und enthält die Geldwä-sche nun dezidiert als eigenen Straftatbestand, der sichgegen die finanziellen Interessen der Union richtet. In-sofern ist der Verweis auf die Geldwäschedefinition inder 4. GeldwäscheRL gegenüber der Regelung imZweiten PIF-Übereinkommen schärfer zu bewerten.

3. Amtsdelikte

Die RL 2017/1371/EU führt eine Reihe von Amtsde-likte auf, die sich gegen die finanziellen Interessender Union richten. Bevor auf die drei Tatbestände ein-gegangen wird, ist zunächst der einschlägige Amtsträ-gerbegriff zu beleuchten.

a) AmtsträgerbegriffÜ In den jeweiligen Vorgaben der RL wird der Aus-

druck „öffentlicher Bediensteter“ verwendet. Da-runter versteht die RL gem Art 4 Abs 4 sowohl

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[EUROPARECHT / STRAFRECHT]

67) RL (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates v20. 5. 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zumZwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Än-derung der VO (EU) 648/2012 des Europäischen Parlaments unddes Rates und zur Aufhebung der RL 2005/60/EG des Europä-ischen Parlaments und des Rates und der RL 2006/70/EG derKommission, ABl L 2015/141, 73.

68) Zum Begriff der Geldwäsche nach der 4. Geldwäsche-RL vgl Gla-ser, Die 4. Geldwäsche-RL – Grundfragen und Anwendungspers-pektiven, AnwBl 2017, 161 (163); Flora, Der Geldwäschereitatbe-stand nach der Strafgesetznovelle 2017, ZWF 2018, 2 ff, sowie all-gemein bei Koslowski, Harmonisierung der Geldwäschestrafbarkeitin der Europäischen Union (2017) 47 ff.

69) RL 91/308/EWG des Rates v 10. 6. 1991 zur Verhinderung derNutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl L1991/166, 77.

„Unionsbeamte“ und „nationale Beamte“ (ein-schließlich nationaler Beamten eines anderen Mit-gliedstaats bzw eines Drittlands) sowie andere Per-sonen, die öffentliche Aufgaben iZm der Verwal-tung oder Entscheidungen über die finanziellen In-teressen der Union in den Mitgliedstaaten oderDrittländern übertragen wurden und diese Aufga-ben wahrnehmen.

Ü „Unionsbeamte“ sind einerseits jene Beamten bzwBedienstete, die von der Union durch Vertrag ein-gestellt wurden und einen Beamtenstatus iSd VO(EWG, Euratom, EGKS) 259/6870) innehaben bzwden diesbezüglichen Beschäftigungsbedingungenfür die sonstigen Bediensteten unterliegen. Ande-rerseits fallen unter diesen Begriff auch die von ei-nem Mitgliedstaat bzw einer öffentlichen oder pri-vaten Einrichtung der Union zur Verfügung gestell-ten Bediensteten, welche faktisch Aufgaben wahr-nehmen, die den Tätigkeitsfeldern der Beamtenoder sonstigen Bediensteten der Union entspre-chen. Dementsprechend sind auch die Mitgliederder Organe, Einrichtungen und sonstige Stellender Union sowie die Bediensteten dieser Einrich-tung gleichgestellt.

Ü Hinsichtlich der „nationalen Beamten“ führt die RLaus, dass darunter sämtliche Personen zu verstehensind, die auf nationaler, regionaler oder lokalerEbene ein Amt im Bereich der Exekutive, Verwal-tung oder Justiz innehaben, wobei die Amtsträgerim Bereich der Gesetzgebung auf der jeweiligenEbene den nationalen Beamten gleichgestellt sind.

Ü Gegenüber der PIF-Rechtsakte von 1995 hält RL2017/1371/EU keine wesentlichen Neuerungen be-reit. Lediglich der Amtsträgerbegriff wird auf jenePersonen ausgedehnt, die faktisch Aufgaben einesöffentlichen Bediensteten übernehmen oder denenentsprechende Aufgaben übertragen wurden.

b) KorruptionHinsichtlich der Korruptionshandlungen stellt zu-nächst Art 4 Abs 2 die Verpflichtung der Mitgliedstaa-ten auf, die vorsätzliche Bestechlichkeit bzw Beste-chung als Straftatbestand in die nationale Rechtsord-nung aufzunehmen. Bestechlichkeit und Bestechungwerden dabei als „zwei Seiten derselben Medaille“ er-fasst und sind nach der jeweiligen Perspektive desAgierenden zu unterscheiden.

Der Tatbestand der Bestechlichkeit bezieht sich aufdie Person des öffentlichen Bediensteten und erfasst inArt 4 Abs 2 lit a jene Handlungen, mit denen ein öf-fentlicher Bediensteter unmittelbar (oder über eineMittelsperson) für sich oder einen Dritten Vorteile jed-weder Art als Gegenleistung fordert, annimmt odersich versprechen lässt, um eine Diensthandlung odereine Handlung bei der Ausübung seines Dienstes aufeine Weise vorzunehmen bzw zu unterlassen, wodurchdie finanziellen Interessen der Union geschädigt oderwahrscheinlich geschädigt werden.

Demgegenüber bezieht sich der Tatbestand der Be-stechung in Art 4 Abs 2 lit b auf die handelnde Person,die einem öffentlichen Bediensteten unmittelbar oderüber einen Mittelsmann einen Vorteil jedweder Art für

diesen selbst oder für einen anderen Dritten als Gegen-leistung verspricht, anbietet oder gewährt, damit derBedienstete eine Diensthandlung oder eine Handlungbei der Ausübung seines Dienstes auf eine Weise vor-nimmt oder unterlässt, wodurch die finanziellen Inte-ressen der Union geschädigt oder wahrscheinlich ge-schädigt werden. Mit Blick auf die PIF-Rechtsakteübernimmt RL 2017/1371/EU die Definitionen vonArt 2 und 3 des Ersten PIF-Zusatzprotokolls.

c) Missbräuchliche VerwendungEin Novum stellt der Tatbestand der „vorsätzlichenmissbräuchlichen Verwendung“ in Art 4 Abs 3 dar.71)

Darunter versteht die RL die Handlung eines unmittel-bar oder mittelbar mit der Verwaltung von Mittelnoder Vermögenswerten betrauten öffentlichen Be-diensteten, auf jedwede Weise Mittel entgegen ihrerZweckbestimmung zu binden oder auszuzahlen odersonstige Vermögenswerte entgegen ihrer Zweckbe-stimmung zuzuweisen oder zu verwenden, wodurchdie finanziellen Interessen der Union geschädigt wer-den. Es handelt sich demnach um ein Amtsdelikt, dadie Straftat ausschließlich durch „öffentliche Bediens-tete“ iSd RL begangen werden kann, die unmittelbaroder mittelbar mit der Verwaltung von Mitteln oderVermögenswerten betraut sind.

Der Unrechtsgehalt der einschlägigen Tathandlun-gen liegt in der Bindung bzw Auszahlung von Mittelnoder Zuweisung bzw Verwendung von Vermögens-werten entgegen ihrer Zweckbestimmung, wodurchdie finanziellen Interessen der Union geschädigt wer-den. Die weitgefasste Legaldefinition der RL-Vorgabezur „vorsätzlichen missbräuchlichen Verwendung“und die daran gekoppelte Kompetenz der europä-ischen Staatsanwaltschaft nach Art 22 Abs 1 und 3VO (EU) 2017/1939 erfordert jedenfalls eine dezidierteVerankerung im nationalen Strafrecht.

4. Anstifung, Beihilfe, Versuch

Art 5 Abs 1 legt den Mitgliedstaaten die Pflicht auf,erforderliche Maßnahmen zu treffen, um die Anstif-tung und Beihilfe zu den in Art 3 und 4 genanntenStraftaten ahnden zu können.

Die Versuchsstrafbarkeit ist im Vergleich zur Betei-ligung weniger strikt vorgeschrieben. Nach Art 5 Abs 2sollen der versuchte Betrug (Art 3) und die versuchte„missbräuchliche Verwendung“ (Art 4 Abs 3) strafbarsein, der Versuch von Geldwäsche und Korruptionhingegen muss nicht strafrechtlich geahndet werden.

ZfRV

58 Ü Lukas Staffler Ü Schutz der finanziellen Interessen der Union mittels Strafrechts ZfRV [2018] 02

[EUROPARECHT / STRAFRECHT]

70) VO (EWG, Euratom, EGKS) 259/68 des Rates v 29. 2. 1968 zurFestlegung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemein-schaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Be-diensteten dieser Gemeinschaften sowie zur Einführung von Son-dermaßnahmen, die vorübergehend auf die Beamten der Kommis-sion anwendbar sind (Beschäftigungsbedingungen für die sonsti-gen Bediensteten), ABl L 1968/56, 1.

71) Brodowski, StV 2017, 687, bezeichnet den Tatbestand in Anleh-nung an § 266 dStGB als „Haushaltsuntreue“; dazu instruktiv Seier,Allgemeine Vermögensdelikte im Wirtschaftsstrafrecht – Untreue, inAchenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg), Handbuch Wirtschaftstraf-recht4 (2015) § 5 Rz 344 ff.

5. Verjährung

Anders als in den PIF-Rechtsakten sieht RL 2017/1371/EU nunmehr dezidierte Vorschriften für eine Harmo-nisierung der einschlägigen Verjährungsfristen vor.Dies geht wohl insb auf die jüngeren Erfahrungen inder Rsp des EuGH zurück.72) Die Vorgaben bleiben al-lerdings vage.

So bestimmt Art 12 Abs 1 lediglich, dass die Ver-jährungsfrist auf eine Weise festgelegt werden muss,dass ein „ausreichend langer Zeitraum“ für die Er-mittlungen, Strafverfolgungsmaßnahmen und Ge-richtsverfahren zu den einschlägigen Straftaten er-möglicht wird und diese dadurch wirksam bekämpftwerden können.

Für die schwereren Straftaten iSv Art 3, 4 und 5 sollgem Art 12 Abs 2 die Verjährungsfrist nicht unter fünfJahren ab dem Zeitpunkt der Tatbegehung betragen.Davon abweichend können die Mitgliedstaaten aucheine kürzere Verjährungsfrist von mindestens drei Jah-ren vorsehen, sofern die Frist bei bestimmten Hand-lungen unterbrochen oder ausgesetzt werden kann(Art 12 Abs 3). Die Vollstreckung von Freiheitsstrafenvon mehr als einem Jahr bzw von einer Freiheitsstrafebei einer Straftat nach Art 3, 4 und 5, die im Höchst-maß mit mindestens vier Jahren Freiheitsstrafe geahn-det wird, muss nach Art 12 Abs 4 mindestens fünfJahre ab dem Datum der rechtskräftigen Verurteilungdurch die Mitgliedstaaten garantiert werden.

E. Verantwortung juristischer PersonenAnders als im PIF-Übereinkommen73) von 1995 bein-haltet RL 2017/1371/EU in Art 6 Vorschriften zur Ver-antwortung juristischer Personen für die Begehungvon Straftaten iSd Art 3 und 4 gegen die finanziellenInteressen der Union. Ferner bestimmt Art 6 Abs 3,dass die Verantwortung einer juristischen Person nichtdie Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung na-türlicher Personen wegen derselben Straftaten aus-schließt.

Juristische Personen können allerdings nur dannzur Verantwortung gezogen werden, wenn sie eineder in Art 3 und 4 genannten Straftaten (bzw eine dies-bezügliche Anstiftung, Beihilfe und/oder einen Ver-such iSd Art 5) verwirklicht haben. Bei der Begehungdieser Straftaten muss die natürliche Person allein oderals Teil eines Organs einer juristischen Person gehan-delt haben und eine Führungsposition innerhalb derjuristischen Person innehaben, entweder auf Grund-lage einer Vertretungsbefugnis der juristischen Person,einer Entscheidungsbefugnis im Namen der juristi-schen Person oder einer Kontrollbefugnis innerhalbder juristischen Person. Die verwirklichten Straftatenmüssen zum Vorteil der juristischen Person begangenwerden. Bemerkenswert ist hier ein Unterschied zwi-schen der Verantwortung der juristischen und der na-türlichen Person für die Versuchsstrafbarkeit. Wäh-rend der Versuch von Geldwäsche- und Korruptions-handlungen nach den Vorgaben des Art 5 Abs 2 fürdie natürliche Person nicht strafrechtlich relevant ist,bleibt die Verantwortung juristischer Personen fürdiese versuchten Straftaten bestehen.

Die Mitgliedstaaten sind nach Art 6 Abs 2 dazu auf-gerufen, erforderliche Maßnahmen zur Verantwort-lichkeit der juristischen Person im Rahmen einesÜberwachungsversagens zu ergreifen, wodurch die Be-gehung der Straftat ermöglicht wurde: Geht die Ver-wirklichung der einschlägigen Straftaten auf eine man-gelnde Überwachung bzw Kontrolle des Täters durchdie in Art 6 Abs 1 genannten Führungskräfte zurück,so ist die juristische Person für die Straftaten ebensoverantwortlich.

Die aktuellen Regelungen in Art 6 zeigen gegenüberder Vorgängervorschrift in Art 3 des Zweiten PIF-Zu-satzprotokolls deutliche inhaltliche Ähnlichkeiten. Al-lerdings beschränkt sich Art 3 des Zweiten PIF-Zusatz-protokolls auf die Straftatbestände Betrug, Bestechungund Geldwäsche. Durch die Aufnahme des neuen Tat-bestands der „missbräuchlichen vorsätzlichen Verwen-dung“ und der Ausweitung der Betrugsdefinition er-gibt sich nach der aktuellen Rechtslage ein weitrei-chenderer Anknüpfungspunkt für die Verantwortungjuristischer Personen.

F. Harmonisierung der SanktionenRL 2017/1371/EU sieht eine weitreichende Harmoni-sierung der Sanktionen zu den Straftaten in Art 3, 4und 5 vor. Dabei ist zwischen Sanktionen gegen natür-liche Personen (Art 7 RL) und jene gegen juristischePersonen (Art 9 RL) zu unterscheiden.

1. Sanktionen gegen natürliche Personen

Die Sanktionsvorschriften haben den Leitprinzipienvon Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und Abschre-ckung zu entsprechen.74) In den Erwägungsgründenheißt es dazu, dass die RL keine Verpflichtung nor-miert, für minder schwere Straftaten notwendigerweiseSanktionen in Form von Freiheitsstrafen vorzusehen.75)

Ferner wird hervorgehoben, dass auch disziplinar-rechtliche Maßnahmen oder Sanktionen nicht straf-rechtlicher Art von der RL unberührt bleiben, sofernsie wirksam und angemessen sind. So können entspre-chende Sanktionen ohne strafrechtlichen Charakterwegen derselben Tat bei der Verurteilung der Personfür eine Straftat iSd RL berücksichtigt werden.76)

Gleichwohl unterstreicht die RL die Verpflichtungder Mitgliedstaaten zur strafrechtlichen Sanktionie-rung von gegen die finanziellen Interessen der Uniongerichteten betrügerischen Handlungen und betrug-sähnlichen Straftaten iSd RL.77)

So sieht zunächst Art 7 Abs 2 die Pflicht der Mit-gliedstaaten vor, Straftaten iSv Art 3 und 4 mit einerHöchststrafe zu ahnden, die einen Freiheitsentzug vor-sieht. Sofern diese Straftaten einen erheblichen Scha-

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[EUROPARECHT / STRAFRECHT]

72) EuGH 8. 9. 2015, C-105/14, Taricco ua/Italien, sowie EuGH5. 12. 2017, C-42/17, MAS u. MB/Italien; vgl dazu Hummer, ZfRV2018, 13, sowie ausführlich Staffler, Strafgesetzlichkeit im Dialogzwischen Verfassungs- und Unionsrecht, ZStW 2018, Heft 4 (imErscheinen).

73) Regelungen zur juristischen Person wurden erst in Art 3 des Zwei-ten PIF-Zusatzprotokolls aufgenommen.

74) Vgl auch die Ausführungen in den ErwGr 15, 17.75) ErwGr 12.76) ErwGr 17.77) ErwGr 31.

den oder Vorteil nach sich ziehen, muss iSv Art 7Abs 3 im Höchstmaß eine Freiheitsstrafe von mindes-tens vier Jahren vorgesehen werden. Die erheblicheSchädigung der finanziellen Interessen der Union giltab dem Schwellenwert von E 100.000,−, bei Mehr-wertsteuerbetrug hingegen ab 10 Mio Euro. Gleichzei-tig steht es den Mitgliedstaaten frei, weitere Erschwe-rungsgründe vorzusehen, die eine Freiheitsstrafe imHöchstmaß von mindestens vier Jahren vorsehen.78)

Analog dazu sah Art 2 Abs 1 des PIF-Übereinkom-mens einen Schwellenwert von E 50.000,− vor, unter-ließ allerdings die Festlegung von konkreten Strafhö-hen.

Abgesehen vom Mehrwertsteuerbetrug steht es denMitgliedstaaten bei der Begehung von Straftaten iSdArt 3 Abs 2 lit a, b, c sowie Art 4 mit einem Schadenbzw Vorteil von weniger als E 10.000,− frei, andere alsstrafrechtliche Sanktionen vorzusehen. In der PIF-Konvention von 1995 wurde hingegen der minder-schwere Betrugsfall bei Unterschreitung des Schwel-lenwerts von E 4.000,− bei Fehlen erschwerender Um-stände vorgesehen.

Schließlich wird in Art 8 die Begehung der Strafta-ten iSd Art 3, 4 und 5 im Rahmen einer kriminellenVereinigung nach der Definition des Rahmenbeschlus-ses 2008/841/JI79) als erschwerender Umstand vorge-schrieben, den die Mitgliedstaaten in den jeweiligenRechtsordnungen entsprechend würdigen müssen.

Zusammenfassend muss also iSd RL 2017/1371/EUfür die Straftatbestände des Betrugs, der Geldwäsche,der Korruption und der missbräuchlichen Verwen-dung ein Strafrahmen vorgesehen werden, dessenHöchstmaß zumindest eine Freiheitsstrafe vorsieht.Sofern sich aus der Tathandlung ein erheblicher Scha-den oder Vorteil ergibt, darf die Freiheitsstrafe nichtunter vier Jahre betragen. Sofern ein Schaden oderVorteil unter E 10.000,− aus der Straftat resultiert,kann eine andere Sanktion als jene strafrechtlicherArt verhängt werden.

Ein Sonderfall stellt hingegen der Mehrwertsteuer-betrug dar, weil der daraus resultierende Schaden bzwVorteil mindestens 10 Mio Euro betragen und die Tat-handlungen sich auf zwei oder mehrere Mitgliedstaa-ten der Union erstrecken muss. Hierfür muss jedenfallseine Freiheitsstrafe im Höchstmaß von vier Jahren vor-gesehen werden.

2. Sanktionen gegen juristische Personen

Nach Art 9 haben die Mitgliedstaaten erforderlicheMaßnahmen zu treffen, um gegen eine juristische Per-son wirksame, verhältnismäßige und abschreckendeSanktionen verhängen zu können, sofern ihre Verant-wortung iSd Art 6 RL festgestellt wurde.

Die RL sieht keine verpflichtende Einführung neuerSanktionsarten vor, sondern beschränkt sich auf derenbeispielhafte Aufzählung. So zählt RL 2017/1371/EUzum einschlägigen Sanktionsarsenal Geldstrafen undGeldbußen, aber auch den Ausschluss von öffentlichenZuwendungen oder Hilfen, den Ausschluss (vorüber-gehender oder dauerhafter Natur) von öffentlichenAusschreibungen, Handelstätigkeitsverbot (vorüberge-hender oder dauerhafter Natur), die Unterstellung un-

ter eine gerichtliche Aufsicht, die gerichtlich angeord-nete Auflösung sowie die Schließung (vorübergehen-der oder endgültiger Natur) von Einrichtungen, diezur Begehung der Straftat genutzt wurden.

Demgegenüber sah das Zweite PIF-Zusatzprotokolleine ähnliche beispielhafte Aufzählung in Art 4 Abs 2vor, wozu etwa der Ausschluss von öffentlichen Zu-wendungen oder Unterstützungen, das Handelstätig-keitsverbot (vorübergehender oder dauerhafter Natur),die richterliche Aufsicht oder die richterlich angeord-nete Auflösung gehörten.

3. Sicherstellung und Einziehung

Schließlich haben die Mitgliedstaaten nach Art 10Maßnahmen zu treffen, damit Tatwerkzeuge und Er-träge aus den Straftaten iSd Art 3, 4 und 5 sichergestelltund eingezogen werden. Dies gilt sowohl für Straftatenvon natürlichen als auch von juristischen Personen.Jene Mitgliedstaaten, die durch RL (EU) 2014/42 ent-sprechend gebunden sind,80) gehen dabei im Einklangmit dieser RL vor.

G. Verfahrensrechtliche BestimmungenRL 2017/1371/EU enthält Bestimmungen verfahrens-rechtlicher Natur zur Vermeidung von Jurisdiktions-konflikten. Art 11 Abs 1 legt die Gerichtszuständigkeitnach dem Kriterium des Begehungsorts und der Staats-angehörigkeit des Täters fest. Daneben gibt Art 11 Abs 3den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den Gerichtsstandfür Straftaten außerhalb des Hoheitsgebiets zu begrün-den, wenn der gewöhnliche Aufenthalt des Täters imHoheitsgebiet liegt, die Straftat zugunsten einer dort an-sässigen juristischen Person begangen wurde oder wennder Täter als Beamter des Mitgliedstaats in Ausübungseiner Dienstpflichten gehandelt hat.

Demgegenüber sah Art 6 PIF-Übereinkommen von1995 vier Anknüpfungspunkte für einen Gerichtsstandvor, nämlich den Begehungsort, die Staatsangehörig-keit des Täters, jene des Opfers und schließlich den Sitzder Einrichtung bzw des Organs der EG, wenn der Tä-ter ein Gemeinschaftsbeamter ist.

Mit Blick auf die Zusammenarbeit in Strafsachensieht RL 2017/1371/EU gegenüber dem PIF-Überein-kommen keine Sonderregelungen zur Auslieferung(Art 5 Abs 1) oder zur Rechtshilfe (Art 6 Abs 2) vor.Dieser Unterschied geht auf die Entwicklungen inder Rechtshilfe in Strafsachen zurück (etwa EuHB,EEA), die zum Zeitpunkt der PIF-Konvention nichtvorhanden waren.

H. Ausgewählte Aspekte zur Umsetzung derRichtlinie in die österreichischeRechtsordnung

Abschließend stellt sich die Frage, inwiefern sich Um-setzungsbedarf für das österreichische Straf- und Straf-

ZfRV

60 Ü Lukas Staffler Ü Schutz der finanziellen Interessen der Union mittels Strafrechts ZfRV [2018] 02

[EUROPARECHT / STRAFRECHT]

78) ErwGr 18.79) ABl 2008/300, 42.80) RL 2014/42/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v

3. 4. 2014 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeu-gen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union, ABl L2014/127, 39.

verfahrensrecht ergibt. Nach Art 17 haben die Mit-gliedstaaten bis 6. 7. 2019 Zeit, ihre nationalen Rechts-ordnungen an die Vorgaben der RL anzupassen.81) Umeinen Beitrag zur Diskussion über die Umsetzung derRL 2017/1371/EU zu leisten, sollen im Folgenden zweiKernprobleme angesprochen werden, nämlich die Tat-bestands- und Sanktionsvorgaben.

1. Tatbestandsebene

Die RL führt drei große Tatbestandsbereiche an, aufdie sich der Schutz der finanziellen Interessen derUnion erstreckt, namentlich Betrügereien, Geldwäscheund Amtsdelikte.

Für sämtliche Tatbestände ergibt sich ein grundle-gender Anpassungsbedarf, insb in Bezug auf die Wert-grenzen. Dabei sind minderschwere Fälle von erheb-lich schweren Fällen zu unterscheiden. Art 7 Abs 3sieht das Tatbestandserfordernis des „erheblichenSchadens oder Vorteils“ bei mehr als E 100.000,− vorund verbindet dies mit einer Strafrahmenforderungvon mindesten vier Jahren Freiheitsstrafe. Umgekehrtkönnen nach Art 7 Abs 4 bei Schaden bzw Vorteilenvon weniger als E 10.000,− auch andere als strafrecht-liche Sanktionen vorgesehen werden. Die entsprechen-den Wertgrenzen müssen jedenfalls in die Tatbeständeaufgenommen werden.

a) SubventionstatbeständeDie Vorgaben zum Betrug auf Abgabenseite betreffengrundsätzlich zwei unabhängige Straftatbestände mitverschiedenen Rechtsgütern: Einerseits ist in diesemZusammenhang der allgemeine Betrugstatbestand in§ 146 StGB zu nennen. In diesem „Selbstschädigungs-delikt“,82) das allein das Vermögen als Rechtsgutschützt,83) ruft der Täter mittels Täuschungshandlungbeim Opfer einen Irrtum hervor, wodurch Letzteres zueiner schädigenden Vermögenshandlung verleitetwird. Im Hinblick auf Art 3 Abs 2 ist der erweiterteVorsatz (Bereicherungsvorsatz)84) in § 146 StGB deneuropäischen Vorgaben fremd. Bedenkt man die Tat-sache, dass Subventionsverfahren mittels digital-auto-matisierter Datenverarbeitung vorgenommen werden,so ergeben sich Umsetzungsschwierigkeiten mit Blickauf das nationale Tatbestandserfordernis der Irrtums-erweckung durch Täuschungshandlung, welche inArt 3 Abs 2 RL ebenso wenig zwingend vorausgesetztwird wie in der Vorgängerreglung in Art 1 Abs 1 PIF-Übereinkommen,85) zumal die Irreführung nur beiMenschen, nicht aber bei Computern möglich ist.86)

Diesbezüglich kann § 148 a StGB zur betrügerischenDatenverarbeitung eine gewisse Abhilfe leisten,87)

wenngleich er für die Vorgaben zum finanziellenUnionsbetrug wohl zu eng gefasst ist.88)

Andererseits erfasst der Fördermissbrauch gem§ 153 b StGB Subventionsstraftaten. Der Straftatbe-stand wurde zur Umsetzung der Vorgaben des PIF-Übereinkommens von 1995 geschaffen, da die miss-bräuchliche Verwendung von rechtmäßig zuerkanntenMitteln nicht unter den allgemeinen Betrugstatbestandfiel.89) Rechtsgut sind nach hM90) die finanziellen Inte-ressen des Subventionsgebers. Gleichwohl wurde ver-einzelt91) kritisiert, dass mit der Schaffung von § 153b

StGB die nationale Umsetzung der europäischen Vor-gaben zu „Betrügereien“ durch einen Tatbestand um-gesetzt wurden, welches ein anderes Rechtsgut als§ 146 StGB schützt und damit in systematischer Hin-sicht einen Fremdkörper bei der Betrugsbekämpfungdarstellt.

Anlässlich der neuen PIF-RL erscheint es ange-bracht, die Forderungen nach Schaffung eines eigenenTatbestands des Subventionsbetruges neu aufzugrei-fen.92) Die Befürworter unterstrichen im Kontext desPIF-Übereinkommens von 1995 die Vorteile dieser Lö-sung, da durch einen neuen Tatbestand die europä-ischen Vorgaben besser umgesetzt werden könnten.93)

Neben diesen Überlegungen besteht ein institutionellerGrund für die Einführung eines eigenen Subventions-betrugs-Tatbestands. Mit der Schaffung der grenzüber-schreitend operierenden EPPO bedarf es auch in dieserHinsicht klarer Rechtsstrukturen auf Tatbestands-ebene. Ein einheitlicher Tatbestand würde hier Kom-petenzkonflikte minimieren und aufwändige Subsum-tionsfragen zu §§ 146 ff, 148 a und 153b StGB vermei-den.

b) FinanzstrafrechtBei den unionsrechtlichen Vorgaben zum Schutz derEinnahmen hingegen liegt der Schwerpunkt im Fi-nanzstrafrecht, namentlich bei den Tatbeständen derAbgabenhinterziehung (§§ 33 f FinStrG) sowie desSchmuggels und der Hinterziehung von Eingangs-

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81) Dass in den Mitgliedstaaten der Union eine Anpassung auch unab-hängig von der neuen RL notwendig ist, zeigt eine jüngere rechts-vergleichende Studie zum strafrechtlichen Schutz von EU-Subven-tionen. In seinem Fazit stellt der Autor fest, dass man diesbezüglichvon einer wirklichen Harmonisierung der einschlägigen strafrechtli-chen Vorschriften in den Mitgliedstaaten weit entfernt sei: Herbert,Strafrechtlicher Schutz 291.

82) Zur Terminologie s die Nachweise bei Flora in Leukauf/Steininger,StGB4 § 146 Rz 1, 37; Hinterhofer in Kert/Kodek (Hrsg), Das großeHandbuch Wirtschaftsstrafrecht: Profiwissen für die Praxis (2016)Rz 3.8; Kert in Triffterer/Rosboud/Hinterhofer, SbgK-StGB § 146Rz 6.

83) So Kert in Triffterer/Rosboud/Hinterhofer, SbgK-StGB § 146 Rz 8;Kirchbacher inHöpfel/Ratz (Hrsg), Wiener Kommentar zum Strafge-setzbuch2 (87. Lfg 2012) § 146 Rz 4.

84) Instruktiv Fabrizy, StGB Strafgesetzbuch und ausgewählte Neben-gesetze12 (2016) § 146 StGB Rz 23 ff.

85) Dannecker, ZStW 1996, 600.86) Birklbauer/Hilf/Tipold, Strafrecht Besonderer Teil I4 (2017) § 146 ff

Rz 17; Kert in Triffterer/Rosboud/Hinterhofer, SbgK-StGB § 146Rz 136; Kirchbacher in Höpfel/Ratz, WK-StGB2 § 146 Rz 47; ähn-lich auch Flora in Leukauf/Steininger, StGB4 § 148a Rz 3.

87) Kritisch zur Betrugsähnlichkeit des § 148a StGB: Bergauer, Dasmaterielle Computerstrafrecht (2016) 365 ff.

88) So bereits García Marqués/Kert, ÖJZ 1999, 216; ausführlich zurBetrugsdefinition im PIF-Übereinkommen Kert in Triffterer/Ros-boud/Hinterhofer (Hrsg), StGB – Salzburger Kommentar zum Straf-gesetzbuch (37. Lfg 2017) § 146 Rz 29.

89) Fabrizy, StGB12 § 153b Rz 1; García Marqués/Kert, ÖJZ 1999,216 f.

90) Birklbauer/Hilf/Tipold, BT I4 § 153b Rz 2; García Marqués/Kert,ÖJZ 1999, 217; Kirchbacher/Presslauer in Höpfel/Ratz (Hrsg), Wie-ner Kommentar zum Strafgesetzbuch – StGB2 (87. Lfg 2012)§ 153b Rz 4; Wessely, Förderungsmissbrauch, in Mitgutsch/Wes-sely (Hrsg), Handbuch Strafrecht Besonderer Teil I (2013) § 153bRz 8.

91) García Marqués/Kert, ÖJZ 1999, 225 f; Herbert, StrafrechtlicherSchutz 185, 273.

92) Verfechter dieser Lösung sind García Marqués/Kert, ÖJZ 1999,223; vgl ferner auch Dannecker, ZStW 1996, 590 f.

93) García Marqués/Kert,ÖJZ 1999, 223, sehen insb die in § 146 StGBvorhandenen einschränkenden Tatbestandsmerkmale der Täu-schung und des Bereicherungsvorsatzes, andererseits die dogma-tische Begründung der Täuschung durch Unterlassung für die voll-ständige Umsetzung der europäischen Vorgaben als zu eng.

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oder Ausgangsabgaben (§§ 35 f FinStrG).94) Dabei wirdbereits auf Gesetzesebene95) anerkannt, dass sich derSchutzbereich des FinStrG auch auf den Schutz der fi-nanziellen Interessen der Union erstreckt.96) Gleich-wohl ist mit Blick auf den Einsatz von Strafrecht zumSchutz der finanziellen Unionsinteressen zu betonen,dass die aktuelle Rechtslage des FinStrG grundsätzlichnicht den europäischen Anforderungen genügt.97)

Denn nach § 53 FinStrG ist der Rückgriff auf Straf-recht nur bei Überschreitung der Wertschwellen von100.000 EUR (Abs 1) bzwE 50.000,− (Abs 2) möglich.Zwingend zu verhängende Freiheitsstrafen sind bishernur für die schweren Finanzvergehen in §§ 38 a, 39FinStrG vorgesehen.98) Die PIF-RL gibt diesbezüglichneue Wertschwellen samt Mindeststrafrahmen zuObergrenzen von Freiheitsstrafen vor, die durch denGesetzgeber entsprechend zu berücksichtigen sind.

Anpassungsbedarf ergibt sich daneben auch für dieLegaldefinition des schwerwiegenden Mehrwertsteuer-betrugs. Nach Art 2 Abs 2 RL gilt der Mehrwertsteuer-betrug als schwerwiegend, wenn er im Hoheitsgebietvon zwei oder mehr Mitgliedstaaten verbunden istund einen Gesamtschaden von mindestens 10 MioEuro umfasst. Hier sind ebenso entsprechende Wert-qualifikationen im FinStrG einzubauen.

c) GeldwäscheDer Anpassungsprozess zum Geldwäsche-Tatbestandin § 165 StGB99) wurde bereits im Lichte der Vorgabender 4. Geldwäsche-RL im Sommer 2017 abgeschlos-sen.100) Mit Blick auf die Vorgaben der RL 2017/1371/EU ergeben sich zu den Tatbestandsvoraussetzungenkeine Neuerungen, da die PIF-RL auf die 4. Geldwä-sche-RL verweist. Anpassungsbedarf ergibt sich aller-dings zu den Wertgrenzen laut RL 2017/1371/EU undden damit verknüpften Mindeststrafen.

d) AmtsdelikteDie weitreichende Amtsträger-Definition der RL 2017/1371/EU deckt sichmit den Vorgaben der in § 74 Abs 1Z 4a StGB enthaltenenDefinition, die zuletzt durch dasKorrStrÄG2012101) deutlich präzisiert wurde. Demnachsind im nationalen Recht sowohl Unionsbeamte (in derTerminologie der StGB: Gemeinschaftsbeamte) als

auch nationale Beamte aus den Bereichen von Gesetz-gebung, Verwaltung und Justiz erfasst, da über § 74Abs 1 Z 4a lit b StGB nunmehr alle Rechtsträger desöffentlichen Rechts als mögliche Amtsträger in Fragekommen.102) Da der Begriff des Gemeinschaftsbeamtenwegen des weiten Amtsträgerbegriffs in § 74 Abs 1Z 4 a StGB weitgehend funktionslos geworden ist,103)

könnte im Zuge der Umsetzung der Vorgaben der RL2017/1371/EU die Streichung von § 74 Abs 1 Z 4 bStGB erfolgen oder zumindest die Umbenennung in„Unionsbeamte“ vorgenommen werden.

Zu den Vorgaben bzgl der Bestechlichkeit in Art 4Abs 2 lit a ist darauf hinzuweisen, dass § 304 StGB die-selben Tathandlungen (fordern, annehmen, sich ver-sprechen lassen) vorsieht. Die nationale Regelung reichtallerdings insofernweiter, als dass die Voraussetzung zurSchädigung bzw wahrscheinlichen Schädigung der fi-nanziellen Interessen der Union nicht genannt ist, zumal§ 304 StGB ein schlichtes Tätigkeitsdelikt ist.104)

BeimAllgemeindelikt der Bestechung inArt 4 Abs 2lit b gilt Ähnliches. § 307 StGB sieht dieselben Tathand-lungen (versprechen, anbieten, gewähren) wie die RLvor.Wiederum ist die Schädigung bzw wahrscheinlicheSchädigung der finanziellen Interessen der Union keineTatbestandsvoraussetzung, da es sich auch hierbei umein schlichtes Tätigkeitsdelikt handelt.105)

Für die Bestechlichkeit und die Bestechung wärendie oben erwähnten Wertgrenzen laut Art 7 Abs 3 und4 einzufügen.

Reformbedarf ergibt sich darüber hinaus bei dermissbräuchlichen Verwendung gem Art 4 Abs 2 lit c.Dieses Delikt ist als Amtsdelikt eines Fördermiss-brauchs (§ 153b StGB) konzipiert. Auf der Grundlageder bisherigen Rechtslage kann ein derartiges Verhal-ten den Tatbestand des § 302 StGB erfüllen.106) ImSinne der Rechtssicherheit und mit Blick auf die Kom-

94) Vgl ferner die entsprechende Qualifikationsnorm des Abgabebe-trugs in § 39 FinStrG.

95) Vgl § 2 Abs 1 lit a FinStrG, wonach Abgaben iSd FinStrG unter an-derem auch „die durch unmittelbar wirksame Rechtsvorschriftender Europäischen Union geregelten öffentlichen Abgaben“ sind:dazu Lässig in Höpfel/Ratz (Hrsg), Wiener Kommentar zum Strafge-setzbuch – StGB2 (87. Lfg 2012) § 2 FinStrG Rz 2; Stocker in Leit-ner/Brandl/Kert (Hrsg), Handbuch Finanzstrafrecht4 (2017) Rz 145;vgl ferner auch § 1 Abs 2 ZollR-DG BGBl 1994/659.

96) Kert in Kert/Kodek, HB Wirtschaftsstrafrecht, Rz 1.83; Leitner inKert/Kodek (Hrsg), Das große Handbuch des Wirtschaftsstrafrecht– Profiwissen für die Praxis (2016) Rz 15.7; Scheil, Jüngste Ent-wicklungen 18 f.

97) Ebenso Glaser, AnwBl 2017, 166, sowie Scheil, Jüngste Entwick-lungen 19, dem das österreichische Finanzstrafrecht im Vergleichzu den entsprechenden Regelungen anderer Mitgliedstaaten derUnion „als viel zu lasch“ erscheint.

98) Leitner in Kert/Kodek, Handbuch Rz 15.37; ferner Koslowski, Har-monisierung 229.

99) Instruktiv bei Koslowski, Harmonisierung 224 ff.100) BGBl I 2017/117; vgl ferner die Anpassungen durch die Geldwä-

sche-Novelle BGBl I 2017/95; zu den Neuerungen vgl Birklbauer/Hilf/Tipold, BT I4 § 165 Rz 1, 6, sowie Flora, ZWF 2018, 2 ff.

101) BGBl I 2012/61.

102) So Brandstetter/Singer, Gedanken zum KorrStrÄG 2012 – allerguten Dinge sind drei, JSt 2012, 209 (210); eingehend dazu Hu-ber/Löff in Kert/Kodek (Hrsg), Das große Handbuch des Wirt-schaftsstrafrechts – Profiwissen für die Praxis (2016) Rz 10.3 ff;zum Amtsträgerbegriff Bertel/Schwaighofer, BT II12 (2016) § 304Rz 5 ff; Hinterhofer/Rosbaud, BT II6 (2016) § 302 Rz 4 ff; Tipoldin Leukauf/Steininger (Hrsg), StGB – Strafgesetzbuch Kommentar4(2017) § 74 Rz 20a ff.

103) Vgl OGH 26. 11. 2013, 17 Os 20/13 i: „Mitglieder des Europä-ischen Parlaments sind –wie zur Klarstellung angemerkt sei – auch‚Gemeinschaftsbeamte‘ im Sinn des § 74 Abs 1 Z 4b StGB. DieseBegriffsbestimmung spielt aber für die Einordnung als Tatsubjektder §§ 304 bis 307b StGB mangels Erwähnung in diesen Straf-vorschriften keine Rolle mehr. Die Beibehaltung des – durch dasStRÄG 2008 um die Definition des Europäischen Abgeordnetenangereicherten – § 74 Abs 1 Z 4b StGB erfolgte bloß wegen derdamals ausdrücklich nur infolge der (nicht auf sämtliche Amtsträ-ger, jedoch auch) auf Gemeinschaftsbeamte abstellenden Straf-vorschrift der § 304 Abs 2 und § 307 Abs 2 StGB idF StRÄG2008.“; ebenso Fabrizy, StGB12 § 74 Rz 14.

104) Hauss/Komenda in Triffterer/Rosboud/Hinterhofer (Hrsg), StGB –

Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch (37. Lfg 2017) § 304Rz 33, und Hinterhofer/Rosbaud, BT II6 § 304 Rz 2 jeweils mwN;zu den einschlägigen Tathandlungen vgl Aichinger in Leukauf/Steininger (Hrsg), StGB – Strafgesetzbuch Kommentar4 (2017)§ 304 Rz 9 f; Bertel/Schwaighofer, BT II12 § 304 Rz 10.

105) Hauss/Komenda in Triffterer/Rosboud/Hinterhofer, SbgK-StGB§ 307 Rz 14 mwN; Hinterhofer/Rosbaud, BT II6 § 307 Rz 3; zuden einschlägigen Tathandlungen vgl Aichinger in Leukauf/Stei-ninger,StGB4 § 307Rz 7;Bertel/Schwaighofer,BT II12 § 307Rz 2.

106) Vgl etwa das Beispiel eines Befugnismissbrauchs beim Bundes-heer in Form der Zweckentfremdung von Waren aus dem Lagerder Truppenküche für private Zwecke durch den Leiter der Ver-pflegungsverwaltung bei Hinterhofer/Rosbaud, BT II6 § 302Rz 41c.

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petenz des EPPO nach Art 22 Abs 1 und 3 VO (EU)2017/1939 empfiehlt sich hier die Schaffung eines eige-nen Amtsdelikts.

2. Sanktionsebene

Gerade im Bereich der Sanktionen ist die Harmonisie-rungsvorgabe, welche ausdrückliche (Mindest-)Straf-höhen für das Höchstmaß der Freiheitsstrafen vor-sieht, sowohl hinsichtlich der unionsweiten Harmoni-sierung als auch mit Blick auf die österreichischeRechtsordnung kritisch zu bewerten.

a) Heterogenität der Rechtsfolgen in dennationalen Rechtsordnungen

Zwar ist das Ziel der europäischen Strafrechtsharmoni-sierung grundsätzlich erstrebenswert107) und die Kom-petenz zur Mindestangleichung von Strafen und Straf-zumessungsgründen gem Art 83 Abs 2 AEUV grund-sätzlich anerkannt.108) Die Festlegung von ausdrückli-chen (iSv numerischen) Mindeststrafen nach Art 83Abs 2 AEUV ist jedoch kritisch zu sehen.109) Das hängtnicht nur mit einem erheblichen Eingriff in die Straf-rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zusammen, des-senNotwendigkeit für eine derart weitgehendeHarmo-nisierung fraglich erscheint.110) Konkret-numerischeHarmonisierungsvorgaben auf Rechtsfolgenseite grei-fen in die fein abgestimmte Sanktionssystematik dernationalen Strafrechtsordnungen ein, die entsprechen-den gesellschaftlichenWertentscheidungen111) und ver-fassungsrechtlichen Vorgaben (wie Schuld- undGleichheitsgrundsatz) entstammen. Die unionsrechtli-chen Vorschreibungen nehmen nicht ausreichendRücksicht auf nationale Besonderheiten im Strafrecht.Deshalb verursachen derartige EU-Vorgaben Kon-flikte, „wenn vergleichbare Mindeststrafen im nationa-len Recht überhaupt nicht oder nur für wesentlichschwerwiegendere Handlungen vorgesehen sind“.112)

Dieser Kritik im Schrifttum ist zuzustimmen. Darüberhinaus sind Bedenken anzumelden, weil die innerstaat-

lichen Sanktionsmechanismen der Mitgliedstaaten un-tereinander von einer unionsweiten Harmonisierungweit entfernt sind. Das zeigt sich exemplarisch einer-seits beim Vergleich der Strafzumessung und anderer-seits bei den alternativen Vollzugsmöglichkeiten einerFreiheitsstrafe.

Während in Österreich die Strafzumessung inner-halb der gesetzlich dargelegten Strafrahmen erfolgt,113)

hat etwa Italien eine komplizierte Strafzumessungs-arithmetik installiert.114) Die italienischen Strafrahmenhaben nicht nur ein vergleichsweise hohes Niveau, son-dern präsentieren auch eine überaus großzügige Spann-weite zwischen Mindest- und Höchstmaß.115) Das aufden ersten Blick rigoros wirkende System wird danndurch verschiedene Möglichkeiten des materiellenbzw prozessualen Rechts abgemildert, sodass im Ergeb-nis der gesetzlich vorgesehene Strafrahmen im konkre-ten Fall sogar unterschritten werden kann. So kann beiüberwiegen mildernder Tatumstände116) oder bei Aus-wahl bestimmter Strafverfahrensarten117) eine Strafe imkonkreten Fall ausgesprochen werden, die deutlich un-ter dem gesetzlich vorgesehenen Mindeststrafrahmenbleibt. Damit wird die angestrebte numerische Harmo-nisierung auf Rechtsfolgenseite in der konkreten Praxiseinzelner Mitgliedstaaten faktisch untergraben.

Eine rezente rechtsvergleichende Studie über Sankt-ionsalternativen zu Freiheitsstrafen zeigt außerdem,dass sich der alternative Vollzug von Freiheitsstrafenin den europäischen Mitgliedstaaten durchaus sehrverschieden darstellt.118) Für einen Vergleich kann aufdas Beispiel des Hausarrests als Vollzugsalternative beiFreiheitsstrafen zurückgegriffen werden. In Österreichkann der elektronisch überwachte Hausarrest nach§ 156 c Abs 1 Z 1 StVG ua dann beantragt werden,wenn die zu verbüßende Strafe bzw die Reststrafe dieDauer von zwölf Monaten nicht übersteigt.119) In Ita-

107) Vgl zu dieser Zielsetzung Perron, Rechtsvergleichende Analyse, inEser/Perron (Hrsg), Strukturvergleich strafrechtlicher Verantwort-lichkeit und Sanktionierung in Europa (2015) 761 (924), wonach„alle Systeme zu gerechten und imWesentlichen übereinstimmen-den Ergebnisse gelangen, allzu große interne Streuungen bei derSanktionierung gleichgelagerter Fälle vermieden werden [sollen]und der jeweils rechtstechnische Weg zum Ergebnis transparentund einsichtig gemacht wird, sodass die Entscheidungen auchvon außen nachvollzogen und als sachgerecht akzeptiert werdenkönnen“

108) Instruktiv Hecker, Europäisches Strafrecht5 § 11 Rz 7; Satzger, In-ternationales und europäisches Strafrecht7 § 9 Rz 45.

109) Ebenso bereits Satzger in Streinz (Hrsg), EUV/AEUV2 (2012) Art 83AEUV Rz 33, der diesbezüglich kriminalpolitische Zweifel ein-bringt, da die Vorgabe zu konkreten Mindeststrafen und Strafarten„allzu leicht Inkohärenzen mit den nationalen Strafrechtsordnun-gen“ ergeben können.

110) So Böse, Kompetenzen der Union auf dem Gebiet des Straf- undStrafverfahrensrechts, in Böse (Hrsg), Enzyklopädie EuroparechtIX – Europäisches Strafrecht mit polizeilicher Zusammenarbeit(2013) § 4 Rz 15; ähnlich Satzger, Internationales und europä-isches Strafrecht7 § 9 Rz 46, mit Schwerpunkt auf Mitgliedstaaten,die in ihrem Strafrechtssystem keine Mindeststrafen kennen; aus-führlich Satzger, Grundsätze eines europäischen Strafrechts, inBöse (Hrsg), Enzyklopädie Europarecht IX – Europäisches Straf-recht mit polizeilicher Zusammenarbeit (2013) § 2 Rz 49 ff.

111) Vgl Staffler, Kulturell motivierte Straftaten im Spiegel der Recht-sprechung, ÖJZ 2016, 959 (964 f).

112) Satzger in Böse, EnzEuR IX § 2 Rz 53, mit Blick auf den Entwurfzur PIF-RL.

113) Vgl statt vieler Ebner in Höpfel/Ratz (Hrsg), Wiener Kommentar –StGB2 (87. Lfg 2012) § 32 Rz 51, 54.

114) So Perron, Operativ-funktionalistische oder kulturbezogene Straf-rechtsvergleichung? in Beck/Burchard/Fateh-Moghadam (Hrsg),Strafrechtsvergleichung als Problem und Lösung (2011) 121 (127).

115) So stuft Perron in Eser/Perron 925 das italienische System, insbauch wegen seiner enormen Reichweite in den Strafrahmen, alsnicht akzeptabel ein, während er ua Österreich eine Vorbildfunk-tion attestiert; kritisch zum Fazit von Perron über Italien: Wörner,Buchezension, ZIS 2018, 43 (49 f).

116) Vgl Art 65 Abs 1 Z 3 itStGB: „Beim Vorliegen eines milderndenUmstandes gelten, wenn die Herabsetzung der Strafe nicht ge-setzlich bestimmt ist, folgende Vorschriften: [. . .] die anderen Stra-fen werden höchstens um ein Drittel herabgesetzt.“ Die Anwen-dung hängt freilich davon ab, ob die mildernden Umstände beimZusammentreffen von mildernden und erschwerenden Umstän-den überwiegen: Art 69 itStGB.

117) Instruktiv Parlato, Ein Blick auf den italienischen Strafprozess: Vor-bild oder abschreckendes Beispiel? ZIS 2012, 513 (517 f), wonachim sog abgekürzten Verfahren (Art 438 ff itStPO) bei Verurteilungdie Strafe um ein Drittel herabgesetzt wird, während bei der sogStrafverständigung, sprich der Zumessung des Strafmaßes aufAntrag der Parteien (Art 444 ff itStPO), die Strafe bis hin zu einemDrittel reduziert wird; nach Nisco, Alternativen zur Strafe im italie-nischen Recht, in Hilgendorf/Valerius (Hrsg), Alternative Sank-tionsformen zu Freiheits- und Geldstrafe im Strafrecht ausgewähl-ter europäischer Staaten (2015) 151 (154), übernehmen „die pro-zessrechtlichen Mittel die faktische Funktion der Eindämmung derFreiheitsstrafe“, da mit den Absprachen zumeist eine Bewährungoder eine Ersatzsanktion einhergeht.

118) Hilgendorf/Valerius (Hrsg), Alternative Sanktionsformen zu Frei-heits- und Geldstrafe im Strafrecht ausgewählter europäischerStaaten (2015) passim.

119) Zu den Voraussetzungen vgl Haumer in Kier/Wess (Hrsg), Hand-buch Strafverteidigung (2017) Rz 14.27 ff.

lien hingegen liegt das Ausmaß der Restdauer gemArt 47-ter itStVG bei zwei Jahren, bei besonderen Tä-tergruppen120) bei vier Jahren und bei über 70-Jährigenfindet der Hausarrest im Regelfall immer Anwen-dung.121) Fokussiert man die vier Jahres-(Mindest-)-Vorgabe der RL, so zeigen sich deutliche Unterschiedezum Strafvollzug, da bspw in Italien diese numerischeGrenze von vier Jahren als Obergrenze der Freiheits-strafe für die Anwendung der Vollzugsalternative„Überlassung zur Betreuung auf Probe an den Sozial-dienst“ gem Art 464-bis ff itStPO darstellt122) und inso-fern die Inhaftierung bei Vorliegen der entsprechen-den Voraussetzungen vermieden werden kann.

Inwiefern also mit numerischen Strafrahmenvorga-ben durch die RL ein effizienter Beitrag für die straf-rechtliche Harmonisierung in Europa geleistet wird,erscheint bereits in einer europäischen Perspektivefraglich. Daher ist den Vorschlägen im Schrifttum123)

zu folgen, die den Mitgliedstaaten selbst die Entschei-dung über Sanktionsart und -höhe überlassen und dieHarmonisierungsvorgaben der Union auf die Festle-gung bestimmter Kriterien beschränken wollen. Aufdiese Weise können einerseits die Besonderheiten dernationalen Strafrechtsordnungen entsprechende Be-rücksichtigung finden, andererseits im jeweiligen na-tionalen Strafrecht Sanktionen vorgesehen werden,welche den Mindesttrias-Vorgaben des europäischenStrafrechts besser entsprechen.

b) Diskrepanzen zur innerstaatlichenSanktionssystematik

Mit Blick auf die österreichische Rechtsordnung er-scheint die RL-Vorgabe zum Höchstmaß von mindes-tens vier Jahren Freiheitsstrafe im Lichte der Sankti-onssystematik des StGB grundsätzlich fremd.

Das StGB sieht nämlich allgemeinhin folgende Sys-tematik zu den Freiheitsstrafen vor: Freiheitsstrafen imHöchstmaß bis zu drei Jahren werden ohne Untergren-zen angedroht. Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren wer-den teils ohne, meistens aber mit Untergrenzen verse-hen, die entweder sechs Monate oder ein Jahr betragen.Daneben gibt es Freiheitsstrafen mit höheren Ober-grenzen, sprich zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahre,die mit einer Untergrenze im Ausmaß von einem Jahr,fünf oder zehn Jahren angedroht werden.124) EinHöchstmaß von vier Jahren Freiheitsstrafe ist in derSanktionssystematik des StGB nicht enthalten.

Um die numerischen Vorgaben zur Sanktionshöheumzusetzen, müsste also auf das Höchstmaß der Frei-heitsstrafe von fünf Jahren zurückgegriffen werden,um die bisher etablierte Sanktionssystematik beizube-halten. Dann tritt allerdings das Problem auf, dass diemeisten für den Schutz der finanziellen Interessen derUnion in Frage kommenden Straftatbestände gegen-über den Vorgaben in der RL deutlich geringere Straf-rahmen bei der Freiheitsstrafe vorsehen. Beim Betrugfinden sich ua Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten(§ 146 StGB), bis zu drei Jahren (§ 147 Abs 1 StGB),erst beim Überschreiten der Schadensgrenze vonE 50.000,− ist ein Strafrahmen von einem bis zu zehnJahren Freiheitsstrafe vorgesehen (§ 147 Abs 3 StGB).Ähnliches gilt für den betrügerischen Datenverarbei-

tungsmissbrauch in § 148 a StGB. Der Grundtatbe-stand des Fördermissbrauchs wird ua mit Freiheits-strafe bis zu sechs Monaten, bei der Überschreitungdes Tatbetrags von E 3.000,− ua mit Freiheitsstrafebis zu zwei Jahren und bei Überschreitung des Schwel-lenwertes von E 50.000,− mit Freiheitsstrafe von sechsMonaten bis zu fünf Jahren bestraft (§ 153 a Abs 1, 3, 4StGB). Die Strafdrohung bei der Geldwäsche liegt nach§ 165 Abs 1 StGB bei Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren,bei Überschreitung des Schwellenwertes von E 50.000,− nach § 165 Abs 4 StGB bei Freiheitsstrafe von einembis zu zehn Jahren. Der Grundstrafrahmen liegt bei derBestechlichkeit (§ 304 StGB) und der Bestechung(§ 307 StGB) bei Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren,während die Strafdrohung bei Überschreitung derWertgrenze von E 3.000,− Freiheitsstrafe von sechsMonaten bis zu fünf Jahren und bei Überschreitungvon E 50.000,− Freiheitsstrafe von einem bis zu zehnJahren beträgt. Schließlich nimmt die Freiheitsstrafeim FinStrG gegenüber der Geldstrafe eine vergleichs-weise marginale Rolle ein.125) Die Abgabenhinterzie-hung nach § 33 FinStrG sowie der Schmuggel undHinterziehung von Eingangs- und Ausgangsabgabennach § 35 FinStrG sind jeweils nach Maßgabe des§ 15 FinStrG mit Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahrenzu ahnden. Erst bei gewerbsmäßiger Tatbegehung sindAbgabenhinterziehung, Schmuggel, Hinterziehungvon Eingangs- oder Ausgangsabgaben mit Freiheits-strafe bis zu drei Jahren, bei Überschreiten der Wert-grenze von E 500.000,− bis zu fünf Jahren vorgesehen.Der Abgabenbetrug als Qualifikationsnorm zur Abga-benhinterziehung, Schmuggel bzw Hinterziehung vonEingangs- oder Ausgangsabgaben126) wird nach § 39Abs 3 StGB mit drei Jahren Freiheitsstrafe, bei Über-schreiten der Wertgrenze von E 250.000,− mit Frei-heitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bzwbei mehr alsE 500.000,−mit Freiheitsstrafe von einembis zu zehn Jahren geahndet.

Die Strafdrohungen der Straftatbestände, die für diePIF-RL infrage kommen würden, genügen daher inden meisten Fällen den Mindestanforderungen derRL nicht.127) Insofern wird der Gesetzgeber nicht da-rum herumkommen, entsprechende Verschärfungenvorzunehmen.128) Aus legistischer Sicht wäre es wohlangebracht, mit den durch die RL vorgegebenen Wert-grenzen zu operieren und entsprechende Schwellen-werte in die jeweiligen Straftatbestände einzubauen.

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120) Vgl Nisco in Hilgendorf/Valerius 155, wonach hierunter eine Mutteroder ein Vater mit Kindern, die jünger als zehn Jahre alt sind, oderein Täter mit schweren Gesundheitsproblemen fällt.

121) Vgl die Übersicht bei Nisco in Hilgendorf/Valerius 155 mwN.122) Nisco in Hilgendorf/Valerius 156 f.123) Vgl Satzger in Böse, EnzEuR IX § 2 Rz 78 ff.124) Lässig in Höpfel/Ratz (Hrsg),Wiener Kommentar zum Strafgesetz-

buch – StGB2 (87. Lfg 2012) § 18 FinStrG Rz 10.125) Leitner in Kert/Kodek, Handbuch Rz 15.37, 15.40, 15.42; vgl fer-

ner Scheil, Jüngste Entwicklungen 39 ff mit der begründeten Kritikzu den Vermögensstrafdrohungen im Finanzstrafrecht.

126) So Lässig in Höpfel/Ratz (Hrsg), Wiener Kommentar zum Strafge-setzbuch – StGB2 (87. Lfg 2012) § 39 FinStrG Rz 2.

127) Vgl García Marqués/Kert, ÖJZ 1999, 221, die bereits bei der Um-setzung des PIF-Übereinkommens von 1995 das Problem derStrafdrohungen mit Blick auf das FinStrG thematisieren.

128) Kritisch zur nicht hinreichend reflektierten Steigerung der Punitivi-tät durch die Europäisierung des Strafrechts Satzger in Böse, En-zEuR IX § 2 Rz 22 ff.

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Auf diese Weise könnte die bisherige Sanktionssyste-matik des StGB größtenteils beibehalten werden.Gleichwohl stellt dieses Vorgehen einen spürbarenEingriff in die Balance des Sanktionssystems des StGBdar, weil es im Vergleich zum Schutz anderer Rechts-güter und den dort vorgesehenen Sanktionshöhen zuSpannungen und Diskrepanzen führt.

I. AusblickMit RL 2017/1371/EU stärkt die Union den strafrecht-lichen Schutz ihrer finanziellen Interessen. Trotz ge-wisser Zurückhaltung – die Wahl der Legislativtechnikder RL anstelle einer Verordnung – geht die RL durch-aus neue Wege, indem sie etwa gegenüber dem PIF-Übereinkommen das betreffende Schutzgut definiertund numerische Vorgaben zur Sanktionshöhe vor-schreibt. Die Notwendigkeit einer Harmonisierungder unterschiedlichen nationalen Strafrechte der Mit-gliedstaaten zum Schutz der Unionsrechtsgüter ist evi-dent. Gleichwohl ist an der konkreten Schaffung deseuropäischen Rechtsakts Kritik angebracht, insb mitBlick auf die numerischen Mindestvorgaben zur Ober-grenze der Freiheitsstrafe. Durch die numerischenVorgaben greift die Union zu weit in die etabliertenStrafrechtsordnungen ein und lässt Besonderheitender einzelnen nationalen Rechtsordnungen unberück-sichtigt. Von derartigen Vorgaben sollte Abstand ge-nommen werden.

Die Untersuchung hat gezeigt, dass die PIF-RL von2017 gegenüber dem PIF-Übereinkommen von 1995einige bedeutende Neuerungen beinhaltet, die einer-seits den Entwicklungen im Europäischen Strafrechtgeschuldet sind,129) andererseits den Praxiserfahrungen

beim Schutz gegen die finanziellen Interessen derUnion130) Rechnung trägt. Daher ist der Anstoß einesentsprechenden Umsetzungsprozesses in das nationaleRecht unausweichlich. Er birgt allerdings auch das Po-tential, alte Ideen neu aufzugreifen und zu überprüfen.So hat die Untersuchung gezeigt, dass die Diskussionum die Einführung eines eigenen Subventionsstraftat-bestands wieder an Aktualität gewinnt.

Insgesamt empfiehlt sich eine akkurate Umsetzungder Vorgaben, die sich infolge des oben skizziertenÜberblicks zum österreichischen Recht durchaus alsherausfordernd darstellen, nicht nur zwecks Vermei-dung eines Vertragsverletzungsverfahrens iSdArt 258 ff AEUV. Seit der Errichtung der europäischenStaatsanwaltschaft durch VO (EU) 2017/1939, derenKompetenz sich gem Art 86 AEUV und Art 22 VO(EU) 2017/1939 auf die Tatbestände zum Schutz derfinanziellen Interessen der Union iSd RL 2017/1371/EU konzentriert, ist die Schaffung einschlägiger Tatbe-stände im nationalen Recht der Mitgliedstaaten auchvor diesem Hintergrund bedeutsam. Dies gilt letztlichinsb für die Einführung eines neuen Straftatbestandsdes Subventionsbetrugs, der die Vorgaben zu den Be-trügereien auf Ausgabenseite in einen Tatbestand ver-einheitlichen und auf diese Weise einen konstruktivenBeitrag zur Rechtsklarheit im europäischen Mehr-ebenensystem zum Schutz der finanziellen Interessender Union leisten würde.

Ü

Ü In KürzeGegenüber dem PIF-Übereinkommen von 1995 weist dieRL 2017/1371/EU einige bedeutende Neuerungen auf, dieeinerseits den jahrelangen Entwicklungen im Europä-ischen Strafrecht geschuldet sind, andererseits auch denPraxiserfahrungen beim Schutz der finanziellen Interessender Union. Der Ball, also die Umsetzung der Mindest-standards, liegt nun bei denMS. Eine akkurate Umsetzungempfiehlt sich nicht nur in Vermeidung eines Vertragsver-letzungsverfahrens iSv Art 258 ff AEUV. Infolge der Er-richtung der europäischen Staatsanwaltschaft, derenKompetenz die Tatbestände zum Schutz der finanziellenInteressen der Union darstellen, ist die Schaffung ein-schlägiger und hinreichend determinierter Tatbestände imnationalen Recht auch vor diesem Hintergrund bedeut-sam.

Ü Zum ThemaÜber den Autor:Dr. Lukas Staffler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr-stuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht unter Einschluss desinternationalen Strafrechts (Prof. Frank Meyer) an der Univer-sität Zürich.Internet: www.lukas-staffler.comE-Mail: [email protected] selben Autor erschienen:Kriminalpolitische Kontrollbefugnis von Tatgerichten beimSchutz finanzieller Interessen der EU im Lichte der Gewalten-teilung, ZfRV 2016, 4.Streiflichter zur Geschichte des italienischen Finanzstrafrechts,ZNR 2016, 60.Literatur:Hecker, Europäisches Strafrecht5 (2015);Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7 (2016);Ambos, Internationales Strafrecht5 (2018);Kostoris (Hrsg), Handbook of European Criminal Procedure(2018).

129) Etwa die Neuerungen bei den verfahrensrechtlichen Bestimmun-gen.

130) Etwa die Vereinheitlichung der Verjährung mit Blick auf die RsEuGH 8. 9. 2015, C-105/14, Taricco ua/Italien.

Union Aktuell Alina Lengauer

ZfRV 2018/8

A. Europarecht: Gemeinsame AgrarpolitikEU-Landwirtschaftspolitik wird vereinfacht

Am 1. 1. 2018 wird eine Reihe von Änderungen in Kraft treten,durch die die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) weiter vereinfachtund modernisiert wird.

Nachdem der Rat der Landwirtschaftsminister und das Euro-päische Parlament den Teil der sogenannten Omnibus-Verord-nung verabschiedet haben, der die Landwirtschaft und die länd-liche Entwicklung betrifft, werden am 1. 1. 2018 wesentliche Ver-besserungen der EU-Agrarvorschriften in Kraft treten. Mit derOmnibus-Verordnung werden die Haushaltsordnung für die Aus-führung des Haushaltsplans der EU sowie 15 sektorspezifischeRechtsakte, unter anderem im Bereich Landwirtschaft, geändert.

Die Omnibus-Verordnung vereinfacht und ergänzt bestehendeEU-Vorschriften für eine Vielzahl landwirtschaftlicher Themen –vom Risikomanagement bis hin zur Unterstützung für Jungland-wirte – und ist das neueste Kapitel in einer ganzen Reihe von Mo-dernisierungs- und Vereinfachungsmaßnahmen der EK.

Umfassende Bestimmungen

Zu den wichtigsten in der Omnibus-Verordnung enthaltenen Ver-besserungen gehören:

Stärkung der Position der Landwirte in der Lebensmittelversor-gungskette. Gemäß den neuen Vorschriften kann außerdem jederErzeugnissektor künftig eigene Klauseln zur Werteteilung aushan-deln und haben die Landwirte erstmals das Recht, einen schrift-lichen Vertrag zu verlangen (außer beim Handel mit KMU).Ü Einfachere Risikomanagement-Instrumente zur Unterstützung

der Landwirte, einschließlich eines sektorspezifischen Einkom-mensstabilisierungsinstruments, und verbesserte Versiche-rungsregelungen, durch die Landwirte, deren Erzeugung oderEinkommen um mindestens 20% niedriger ausfällt, einen Aus-gleich in Höhe von bis zu 70% erhalten können.

Ü Klarere Vorschriften für Interventionen auf den Märkten, da-mit die EK schnell handeln und auf Marktversagen reagierenkann, ohne auf öffentliche Interventionen oder Maßnahmender privaten Lagerhaltung zurückgreifen zu müssen.

Ü Mehr Flexibilität für die Mitgliedstaaten, bestimmte wirtschaft-lich, sozial oder ökologisch wichtige Sektoren durch fakultativgekoppelte Stützung zu fördern, auch wenn sie nicht in einerKrise sind.

Ü Klarere Vorschriften für die Unterstützung der Landwirte, insbdurch eine flexiblere Handhabung des Begriffs des aktiven Be-triebsinhabers und stärkere Anreize für Junglandwirte. Hierzuwerden die zusätzlichen Zahlungen von 25% auf 50% erhöhtund allen Junglandwirten wird garantiert, dass sie volle fünfJahre Anspruch auf diese Zahlungen haben, unabhängig davon,wann sie diese Zahlungen innerhalb der ersten fünf Jahre nachBetriebsgründung beantragen.

Ü Verbesserte Umweltmaßnahmen, einschließlich einfachererVorschriften für die Anbaudiversifizierung und der Hinzu-nahme von drei neuen Arten ökologischer Vorrangflächenmit Schwerpunkt auf stickstoffbindenden Pflanzen, sodass dieLandwirte und die nationalen Behörden mehr Spielraum zurAnpassung an die jeweiligen Verhältnisse haben.

Die mit der Omnibus-Verordnung vorgeschlagenen Änderungen-legen den Schwerpunkt eindeutig auf flexiblere und weniger büro-

kratische Vorschriften sowie auf bessere Ergebnisse in wichtigenBereichen wie dem Umweltschutz und der Unterstützung derLandwirte. Damit stehen sie mit dem neuen GAP-Ansatz für dieZeit nach 2020, der in der kürzlich veröffentlichten Mitteilungzum Thema Ernährung und Landwirtschaft der Zukunft dargelegtist, voll und ganz im Einklang.

Hintergrund

Der von der EK im September 2016 angenommene Vorschlag fürdie Omnibus-Verordnung enthält eine Reihe von Änderungen derHaushaltsordnung und Änderungen mehrerer anderer Ausgaben-verordnungen, darunter auch die vier GAP-Verordnungen. Mitdiesen Änderungen soll die dringend benötigte Vereinfachungbei der Durchführung der Agrarpolitik auf denWeg gebracht wer-den. Hierzu wurde auf den Erfahrungen aufgebaut, die seit der letz-ten, im Jahr 2013 verabschiedeten GAP-Reform gemacht wurden.

Nach intensiven Verhandlungen in vier Trilogen im Sommerund Herbst 2017 erzielten die EK, das Europäische Parlament undder Rat am 12. 10. 2017 eine Einigung. Da die Verhandlungenüber andere Teile der Omnibus-Verordnung noch nicht abge-schlossen sind und viele Mitgliedstaaten die vereinbarten Vor-schläge schnellstmöglich umsetzen wollen, stimmten das Europä-ische Parlament und der Rat zu, die die Agrarpolitik betreffendenBestimmungen der Omnibus-Verordnung abzutrennen und als ei-genständige Verordnung zu verabschieden, die spätestens am1. 1. 2018 in Kraft treten wird.

Red.

B. Europarecht: Europäisches Verfassungsrecht;Prinzip der Transparenz

Neues Register delegierter Rechtsakte

Ein neues Online-Register wird es ab Dienstag, dem 12. 12., leich-ter machen, EU-Beschlüsse in Form von delegierten Rechtsaktenzu finden und nachzuverfolgen.

Um es interessierten Kreisen und der Öffentlichkeit zu erleich-tern, diesen Teil des Entscheidungsprozesses der EU zu verfolgen,haben das Europäische Parlament, der Rat und die EK gemeinsamein neues Online-Register geschaffen, in dem jeder problemlos de-legierte Rechtsakte zu einem bestimmten Thema oder einer be-stimmten Regelung suchen und finden kann.

Das neue interinstitutionelle Register der delegierten Rechts-akte bietet einen umfassenden Überblick über die einzelnen Pha-sen dieses Prozesses. Es ermöglicht den Nutzern, die Entwicklungdelegierter Rechtsakte von der Planung durch die EK bis zu ihrerendgültigen Veröffentlichung im Amtsblatt der EU zu suchen undnachzuverfolgen. Das Register zeigt auch die einzelnen Schritte desEuropäischen Parlaments und des Rates sowie die Arbeit der Sach-verständigengruppen der EK, die an der Ausarbeitung delegierterRechtsakte mitwirken. Entscheidungsprozesse der EU werdentransparenter, da alle delegierten Rechtsakte mit allen relevantenInformationen in einem einzigen Register erfasst werden und soleicht zu finden sind. Die Nutzer können sie abonnieren und wer-den dann über die Entwicklung bestimmter delegierter Rechtsakte,für die sie sich interessieren, benachrichtigt.

Delegierte Rechtsakte dienen der Ergänzung oder Änderungvon EU-Rechtsvorschriften. Sie sind am häufigsten in den Berei-

ZfRV[EUROPARECHT]

66 ZfRV [2018] 02

chenWirtschaft, Landwirtschaft, Umwelt und öffentliche Gesund-heit, Binnenmarkt und Handel zu finden. Es handelt sich dabei umeine Form des Sekundärrechts, beispielsweise um technische An-forderungen in den Rechtsvorschriften auf den neuesten Stand zubringen. Das Europäische Parlament und der Rat ermächtigen dieEK, Entwürfe delegierter Rechtsakte auszuarbeiten, die ihnen an-schließend vorgelegt werden. Parlament und Rat können solcheEntwürfe ablehnen.

Hintergrund

Am 15. 3. 2016 vereinbarten die drei EU-Organe die Interinstitu-tionelle Vereinbarung über bessere Rechtsetzung auf der Grund-lage eines Vorschlags der EK, der in der Agenda für bessere Recht-setzung von Mai 2015 enthalten war. Diese InterinstitutionelleVereinbarung hat Änderungen über den gesamten Politikzyklusfestgelegt – von Konsultationen und Folgenabschätzungen zurAnnahme, Umsetzung und Evaluierung von EU-Rechtsvorschrif-ten. Im Rahmen dieser Interinstitutionellen Vereinbarung habendie drei Organe vereinbart, bis spätestens Ende 2017 ein gemein-sames Register delegierter Rechtsakte einzurichten, das gut struk-turierte und nutzerfreundliche Informationen bietet, um dieTransparenz zu erhöhen, die Planung zu erleichtern und die Nach-verfolgbarkeit aller Phasen im Lebenszyklus eines delegiertenRechtsakts zu ermöglichen. Mit dem heutigen Start des Registerswird dieser Vereinbarung nachgekommen.

Red.

C. Europarecht: Fusionskontrolle

Fusionskontrolle: EK genehmigt geplanten Erwerb von AirBerlin-Teilen durch easyJet

Die EK hat den geplanten Erwerb bestimmter Vermögenswertevon Air Berlin durch easyJet nach der EU-Fusionskontrollverord-nung ohne Auflagen genehmigt. Die EK kam zu dem Schluss, dassdie Übernahme den Wettbewerb im EU-Binnenmarkt nicht nega-tiv beeinflussen würde.

Nachdem Air Berlin, Deutschlands zweitgrößte Fluggesell-schaft, jahrelang in finanziellen Schwierigkeiten war, kündigtedie Gesellschaft im August 2017 die Einleitung des Insolvenzver-fahrens an, die zum Verkauf ihrer Vermögenswerte führte. In dendarauf folgenden Wochen legte Air Berlin seine Geschäftstätigkeitstill und verließ den Markt. EasyJet bot an, bestimmte Vermögens-werte und Rechte von Air Berlin als Teil seiner Passagierbeförde-rung am Flughafen Berlin Tegel zu übernehmen, einschließlichZeitnischen am Flughafen Berlin Tegel und an bestimmten Ziel-flughäfen. Bei Zeitnischen handelt es sich um die Erlaubnis, zueinem bestimmten Termin und einer bestimmten Uhrzeit an ei-nem Flughafen zu landen und dort wieder zu starten.

Prüfung der EK

Die EK hat die Auswirkungen der geplanten Übernahme mit be-sonderem Augenmerk auf der Tatsache geprüft, ob das von easyJetangestrebte Zeitnischen-Portfolio am Flughafen Berlin Tegel undbestimmten Zielflughäfen es easyJet gestatten würde, bestimmteWettbewerber vom Markt für den Fluggastverkehr von und nachBerlin auszuschließen. Eine Kontrolle bestimmter Zeitnischen-Portfolios auf überlasteten Flughäfen kann zu größeren Hinder-nissen für Fluggesellschaften führen, die von diesen Flughäfenaus operieren und diese anfliegen wollen, was wiederum höhereTarife für die Fluggäste beinhalten würde.

Die EK kam bei ihrer Prüfung zu dem Schluss, dassÜ die Ausweitung des Zeitnischen-Portfolios von easyJet auf

überlasteten Flughäfen – und vor allem in Berlin – aller Vo-

raussicht nach sich nicht negativ auf die Fluggäste auswirkenwird und

Ü easyJet weiterhin einem starken Wettbewerb seitens großerFluggesellschaften wie der Lufthansa und Ryanair auf Streckenvon und nach Berlin ausgesetzt ist.

Die EK ist folglich zu dem Schluss gekommen, dass die geplanteÜbernahme keine Wettbewerbsbedenken in den relevanten Märk-ten aufwirft.

Hintergrund des Verkaufs von Air Berlin

Air Berlin, Deutschlands zweitgrößte Fluggesellschaft, leitete am15. 8. 2017 das Insolvenzverfahren ein. Der Insolvenzverwaltervon Air Berlin leitete sodann den Verkauf der Vermögenswertevon Air Berlin ein. Frist für die Einreichung der Angebote warder 15. 9. 2017.

Der Insolvenzverwalter von Air Berlin erhielt eine Reihe vonAngeboten für verschiedene Air Berlin-Vermögenswerte. Am12. 10. 2017 kündigte Air Berlin die Unterzeichnung einer Verein-barung mit Lufthansa für einen Großteil der Air Berlin-Vermö-genswerte an, dh für die Fluggesellschaft NIKI und die Luftfahrt-gesellschaft Walter. Diese Übernahme wurde bei der EK am31. 10. 2017 angemeldet. Lufthansa reichte am 30. 11. 2017 Abhil-femaßnahmen ein. Die Prüfung der EK dauert an, und wir könnenihrem Ausgang nicht vorgreifen.

Gesondert davon kündigte Air Berlin am 27. 10. 2017 die Un-terzeichnung einer Vereinbarung mit easyJet für die Übernahmebestimmter anderer Air Berlin-Vermögenswerte an. Diese Über-nahme wurde bei der EK am 7. 11. 2017 angemeldet und nunmehrohne Auflagen genehmigt.

Unternehmen und Produkte

easyJet ist eine Fluggesellschaft mit Sitz im Vereinigten König-reich, die auf dem europäischen Kurzstreckenflugmarkt mitSchwerpunkt West- und Nordeuropa operiert. Ihr Flugverkehrumfasst mehr als 800 inländische und internationale Linienstre-cken in über 30 Ländern von und zu 132 Flughäfen. EasyJet be-treibt zudem drei zugelassene Luftfahrtunternehmen in der EUund in der Schweiz.

Die Air Berlin-Vermögenswerte, die easyJet übernehmenmöchte, bestehen aus Vermögenswerten und Rechten von Air Ber-lin für einen Teil des Flugbetriebs der Gesellschaft am FlughafenBerlin Tegel, einschließlich Zeitnischen auf dem Flughafen BerlinTegel und auf einigen Zielflughäfen, Nachtabstellplätzen in Ver-bindung mit den erworbenen Zeitnischen, Kundenbuchungen vonAir Berlin in Bezug auf die einschlägigen Tätigkeiten, historischenDaten für diese Vermögenswerte und bestimmten Flugzeugaus-stattungen und entsprechender Ausrüstung.

Fusionskontrollvorschriften und -verfahren

Die EK hat die Aufgabe, Fusionen und Übernahmen von Unter-nehmen zu prüfen, deren Umsatz bestimmte Schwellenwerteübersteigt (vgl Art 1 der Fusionskontrollverordnung), und Zusam-menschlüsse zu untersagen, die den wirksamen Wettbewerb imgesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) oder in einemwesentlichen Teil desselben erheblich behindern würden.

Der weitaus größte Teil der angemeldeten Zusammenschlüsseist wettbewerbsrechtlich unbedenklich und wird nach einer Stan-dardprüfung genehmigt. Nach der Anmeldung muss die EK in derRegel innerhalb von 25 Arbeitstagen entscheiden, ob sie das Vor-haben im Vorprüfverfahren (Phase I) genehmigt oder ein einge-hendes Prüfverfahren (Phase II) einleitet.

Sobald alle Fragen im Zusammenhang mit dem Schutz vertrauli-cher Daten geklärt sind, werden weitere Informationen zu dieser Sa-

[EUROPARECHT]

ZfRV [2018] 02 67

che zu dieser Sache unter der Nummer M.8672 im Beihilfenregisterauf der Website der Generaldirektion Wettbewerb veröffentlicht.

Red.

D. Europarecht: Sicherheitsunion

EK schließt Informationslücken zum besseren Schutzder EU-Bürger

Die EK hat jüngst einen Vorschlag zur Beseitigung von Informa-tionslücken vorgelegt, der die Modernisierung der EU-Informa-tionssysteme in den Bereichen Sicherheit, Grenzschutz und Mi-grationssteuerung sowie eine intelligentere und effizientere Zu-sammenarbeit der Systeme vorsieht.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen sollen einen Informationsaus-tausch und die gemeinsame Nutzung von Daten der verschiedenenSysteme ermöglichen und sicherstellen, dass Grenzschutz- und Poli-zeibeamte Zugang zu den relevanten Informationen haben, wann im-mer sie diese für dieWahrnehmung ihrer Aufgaben benötigen, wobeigleichzeitig die Einhaltung der höchsten Datenschutzstandards unddie uneingeschränkte Achtung der Grundrechte gewährleistet wer-den. In Anbetracht der jüngsten Herausforderungen im Zusammen-hang mit Sicherheit undMigration soll mit dem Vorschlag durch dieUnterstützung des Grenzschutzes an den Außengrenzen der EU unddie Stärkung der inneren Sicherheit für einen effizienteren Schutz derBürgerinnen und Bürger der EU gesorgt werden.

Derzeit können die Informationssysteme der EU nicht mit-einander kommunizieren. Sie speichern die Informationen getrenntvoneinander, sodass sie fragmentiert, komplex und schwierig zunutzen sind. Dadurch können Teile von Informationen verloren ge-hen und Terroristen und Kriminelle, die mehrere oder falsche Iden-titäten angeben, unentdeckt bleiben. Dies gefährdet die innere Si-cherheit der EU und stellt auch ein Problem für den Grenzschutzund die Migrationssteuerung dar. Die nunmehr vorgeschlagenenMaßnahmen sollen diese Lücken schließen und sicherstellen, dassden Grenzschutz- und Polizeibeamten vollständige, genaue und zu-verlässige Informationen übermittelt werden. Die neuen Instrumen-te werden dazu beitragen, dass Personen, die eine Bedrohung dar-stellen, beim Überschreiten der EU-Außengrenzen oder bei Reiseninnerhalb des Schengen-Raums zuverlässiger ermittelt werden. Au-ßerdem werden die neuen Werkzeuge durch den Abgleich von In-formationen in verschiedenen Datenbanken und einen vereinfach-ten Zugang für Strafverfolgungsbehörden, die Grenzschutzbeamtenoder die Polizei unverzüglich warnen, wenn eine Person mehrereoder falsche Identitäten verwendet. Sie werden auch zu einer besse-ren Identifizierung von besonders schutzbedürftigen Personen wieunbegleitete Minderjährige beitragen und gleichzeitig sicherstellen,dass Grundrechte und die Datenschutzvorschriften in vollem Um-fang eingehalten werden.

Schließung von Lücken und Beseitigung von Schwachstellen

Mit dem heutigen Vorschlag werden einige neue Elemente einge-führt, um eine intelligentere und zielgerichtetere Nutzung der ver-fügbaren Informationen in bestehenden und künftigen Systemen zugewährleisten: Dies wird es den nationalen Behörden ermöglichen,Ü den größtmöglichen Nutzen aus den vorhandenen Daten zu

ziehen. Ein europäisches Suchportal wird nach dem Grund-satz der „einzigen Anlaufstelle“ auf dem Computer jedesGrenzschutzbeamten oder Polizeibeamten bei der Prüfungder Ausweispapiere genutzt. Anstatt also zu entscheiden, aufwelche Datenbank in einer bestimmten Situation zugegriffenwerden sollte, kann der Beamte gleichzeitig mehrere EU-Infor-mationssysteme abfragen. Dadurch werden Informationslü-

cken vermieden und die Beamten verfügen unverzüglich überein vollständiges Bild der überprüften Person;

Ü die Nutzung von Mehrfachidentitäten und Identitätsbetrugaufzudecken. Ein gemeinsames System zum Abgleich bio-metrischer Daten wird anhand eines Abgleichs biometrischerDaten wie Fingerabdrücke und Gesichtserkennung bestehendeDatenbanken durchsuchen und einen Zusammenhang mit ent-sprechenden Informationen in anderen EU-Informationssyste-men ermitteln. Ein gemeinsamer Speicher für Identitätsdatendient der Erfassung biografischer und biometrischer Daten, zBName und Geburtsdatum bei Nicht-EU-Bürgern, um derenIdentität zuverlässig feststellen zu können. Anhand dieser In-formationen wird der Detektor von Mehrfachidentitäten denGrenzschutzbeamten und der Polizei unverzüglich die Verwen-dung von mehreren oder falschen Identitäten anzeigen;

Ü rasche und wirksame Kontrollen durchzuführen. Bei Kontrol-len innerhalb eines Landes, werden Polizeibeamte in der Lagesein, die Identitätsdaten von Drittstaatsangehörigen abzufragenund nachzuprüfen, wer sie sind, auch zur Aufdeckung vonMehrfachidentitäten.

Des Weiteren schlägt die EK ein zweistufiges Konzept vor, umStrafverfolgungsbeamten, die mit der Verhütung, Ermittlung,Feststellung oder Verfolgung von schweren Straftaten und Terro-rismus befasst sind, Zugang zu Informationen betreffend Dritt-staatsangehörige in Informationssystemen anderer Behörden zugewähren. Unter uneingeschränkter Achtung des Datenschutzesist bei diesem Ansatz festgelegt, dass die Suche im ersten Schrittnach dem „Treffer/kein Treffer“-Verfahren erfolgt. Wenn ein„Treffer“ erzielt wurde, kann der Strafvollzugsbeamte in einemzweiten Schritt im Einklang mit den jeweiligen Vorschriften undGarantien Zugang zu den erforderlichen Informationen erhaltenUm zu gewährleisten, dass Grenzschutz- und Polizeibeamte übervollständige und präzise Informationen verfügen, wird zudem einQualitätskontrollverfahren eingeführt.

Stärkung der Resilienz auf allen Ebenen

Zudem hat die EK ferner über Fortschritte bei anderen wichtigensicherheitsrelevanten Dossiers berichtet, einschließlich der laufen-den Legislativvorschläge zur Stärkung der Informationssystemeund der ordnungsgemäßen Umsetzung und vollständigen Anwen-dung der bestehenden Rechtsvorschriften und Instrumente. Der12. Bericht über die „Sicherheitsunion“ enthält eine Bestandsauf-nahme der Maßnahmen, die ergriffen werden, um den Terroristendie Möglichkeit zum Handeln zu nehmen, die Widerstandsfähig-keit gegenüber Cyberangriffen zu stärken, die Radikalisierung imInternet und außerhalb des Internets zu bekämpfen sowie die Di-mension der äußeren Sicherheit auszubauen.

Hintergrundinformationen

In Präsident Junckers Rede zur Lage der Union vom September2016 wurde unterstrichen, wie wichtig die Beseitigung der derzei-tigen Mängel bei der Datenverwaltung und die Verbesserung derInteroperabilität der bestehenden Informationssysteme sind.Durch die jüngsten Terroranschläge haben die Interoperabilitätder Informationssysteme und die damit verbundene Schließungbestehender Sicherheitslücken, die es bislang ermöglichen, dassTerrorverdächtige in verschiedenen, nicht miteinander verknüpf-ten Datenbanken unter verschiedenen Namen gespeichert sind,noch an Bedeutung und Dringlichkeit gewonnen.

Im April 2016 veröffentlichte die EK eine Mitteilung über soli-dere und intelligentere Informationssysteme als Diskussionsgrund-lage darüber, wie die Informationssysteme in der EU das Grenzma-nagement und die innere Sicherheit noch weiter verbessern können.

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Im Rahmen eines inklusiven und transparenten Prozesses richtetedie EK eine hochrangige Expertengruppe für Informationssystemeund Interoperabilität ein, die sich diesem Thema widmen und dierechtlichen, technischen und praktischen Probleme auf dem Wegzur Interoperabilität angehen wird. Die hochrangige Sachverständi-gengruppe legte imMai 2017 ihren Abschlussbericht mit einer Reihevon Empfehlungen vor. Auf der Grundlage dieser Empfehlungenunterbreitete die EK einen Vorschlag für ein neues Konzept zur Ver-wirklichung der Interoperabilität der EU-Informationssysteme inden Bereichen Sicherheit, Grenzschutz und Migrationssteuerungbis 2020 und kündigte an, dass sie so bald wiemöglich einen entspre-chenden Legislativvorschlag über Interoperabilität unterbreitenwerde. In der anschließenden gemeinsamenDiskussion von Europä-ischem Parlament, Rat und EK wurden die weiteren Schritte zurUmsetzung der Interoperabilität erörtert.

Im Juni 2017 bekräftigte der Europäische Rat, dass gehandeltwerden muss, und forderte die EK auf, so bald wie möglich denEntwurf von Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Empfehlun-gen der hochrangigen Sachverständigengruppe vorzulegen. ImRahmen des Arbeitsprogramms 2018 hat die EK die Vorlage einessolchen Vorschlags über die Interoperabilität der Informationssys-teme bis Ende 2017 angekündigt.

Red.

E. Europarecht: Migrationsrecht

EK unternimmt weitere Schritte imVertragsverletzungsverfahren zum ungarischen Asylrecht

Die EK hat nunmehr beschlossen, das wegen der ungarischenAsylrechtsvorschriften eingeleitete Vertragsverletzungsverfahrenvoranzutreiben, und hat Ungarn eine mit Gründen versehene Stel-lungnahme übermittelt.

Die EK hatte das Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarnim Dezember 2015 eingeleitet. Nach einer Reihe von Kontaktenauf politischer und technischer Ebene mit den ungarischen Behör-den und auf der Grundlage der geäußerten Bedenken wegen derim März dieses Jahres verabschiedeten Änderungen am ungari-schen Asylrecht übermittelte die EK am 17. 5. 2017 ein ergänzen-des Aufforderungsschreiben.

Nach Prüfung der Antwort der ungarischen Behörden und vordem Hintergrund der neuen Rechtsvorschriften, die vom ungari-schen Parlament im Oktober verabschiedet wurden, wird die EKvier der elf Fragen, die in dem ergänzenden Aufforderungsschrei-ben aufgeworfen wurden, nicht weiter nachgehen. Die Antwort

der ungarischen Behörden ist jedoch nach wie vor unzureichend,da die meisten Bedenken nicht ausgeräumt werden konnten. DieEK ist weiterhin der Auffassung, dass die ungarischen Rechtsvor-schriften gegen das EU-Recht verstoßen, insbesondere gegen dieRL 2013/32/EU über Asylverfahren, die RL 2008/115/EG überRückführungen, die RL 2013/33/EU über Aufnahmebedingungenund gegen mehrere Bestimmungen der EU-Grundrechtecharta.

Die nächsten Schritte

Eine mit Gründen versehene Stellungnahme ist die zweite Stufedes Vertragsverletzungsverfahrens. Nach dieser förmlichen Auf-forderung zur Einhaltung der EU-Vorschriften hat der betreffendeMitgliedstaat der EK die Maßnahmen mitzuteilen, die ergriffenwerden, um innerhalb einer bestimmten Frist den Verstoß gegendie EU-Vorschriften zu beheben. Ungarn hat jetzt zwei MonateZeit, um auf die mit Gründen versehene Stellungnahme zu reagie-ren. Wenn keine Antwort eingeht oder die Antwort nicht zufrie-denstellend ist, kann die EK beschließen, zur nächsten Stufe desVertragsverletzungsverfahrens überzugehen, und den Gerichtshofder EU mit dem Fall befassen.

Hintergrund

Die neu gefasste AsylverfahrensRL (RL 2013/32/EU) regelt, wieAsyl beantragt wird, wie der Antrag geprüft wird, welche Hilfeder Asylbewerber erhält, welche Rechtsschutzmöglichkeiten erhat und wie mit Mehrfachanträgen zu verfahren ist. Sie gilt für alleAnträge auf internationalen Schutz, die im Hoheitsgebiet der Mit-gliedstaaten – auch an den Grenzen, in den Hoheitsgewässern undin den Transitzonen – gestellt werden.

Die neu gefasste RL über Aufnahmebedingungen (RL 2013/33/EU) soll Asylsuchenden in der EU ein menschenwürdiges Le-ben garantieren und sicherstellen, dass die Menschenrechte dieserPersonen geachtet werden. So sollen Asylbewerber Zugang zu Un-terkunft, Verpflegung, Bekleidung, Gesundheitsfürsorge undSchulunterricht für Minderjährige sowie unter bestimmten Bedin-gungen Zugang zu Beschäftigung haben. Zudem enthält die RLVorschriften in Bezug auf besonders schutzbedürftige Asylbewer-ber und über die Inhaftnahme.

In der RückführungsRL (RL 2008/115/EG) werden gemein-same Normen und Verfahren für die EU-Länder festgelegt, nachdenen illegal aufhältige Drittstaatsangehörige aus ihren Hoheits-gebieten verbracht werden können. Sie enthält Bestimmungen fürdie Beendigung illegaler Aufenthalte, für die Inhaftnahme vonDrittstaatsangehörigen mit dem Ziel der Abschiebung und fürVerfahrensgarantien.

F. GesetzgebungRL (EU) 2017/2096 der Kommission vom 15. 11. 2017 zur Änderung des Anhangs II der RL 2000/53/EGdes Europäischen Parlaments und des Rates über Altfahrzeuge (Text von Bedeutung für den EWR), ABl C/2017/7498

in Kraft ABl L 2017/299, 24

Durchführungsbeschluss (EU) 2017/2351 des Rates vom 9. 8. 2016 über die Verhängung einer Geldbußegegen Spanien wegen des Versäumnisses, wirksame Maßnahmen zur Beendigung des übermäßigenDefizits zu treffen

ABl L 2017/336, 27

Durchführungsbeschluss (EU) 2017/2350 des Rates vom 9. 8. 2016 über die Verhängung einer Geldbußegegen Portugal wegen des Versäumnisses, wirksame Maßnahmen zur Beendigung des übermäßigenDefizits zu treffen

ABl L 2017/336, 24

Beschluss (GASP) 2017/2322 des Rates vom 29. 5. 2017 über die Unterzeichnung und den Abschlussdes Abkommens zwischen Kanada und der Europäischen Union über die Sicherheitsverfahren für denAustausch und den Schutz von Verschlusssachen

in Kraft ABl L 2017/333, 1

Beschluss (GASP) 2017/2315 des Rates vom 11. 12. 2017 über die Begründung der Ständigen Struk-turierten Zusammenarbeit (PESCO) und über die Liste der daran teilnehmenden Mitgliedstaaten

in Kraft ABl L 2017/331, 57

Beschluss (GASP) 2017/2283 des Rates vom 11. 12. 2017 zur Unterstützung eines globalen Bericht-erstattungsmechanismus über illegale Kleinwaffen und leichte Waffen und andere illegale konventionelleWaffen und Munition, um die Gefahr des illegalen Handels damit zu verringern (‚iTrace III‘)

in Kraft ABl L 2017/328, 20

Durchführungsbeschluss (EU) 2017/2286 der Kommission vom 6. 12. 2017 über die Anerkennung derÜbereinstimmung der Anforderungen des Umweltmanagementsystems Eco-Lighthouse mit den ent-sprechenden Anforderungen des Gemeinschaftssystems für Umweltmanagement und Umweltbetriebs-prüfung (EMAS) gem Art 45 der VO (EG) 1221/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über diefreiwillige Teilnahme von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für Umweltmanagement undUmweltbetriebsprüfung (Bekannt gegeben unter C/2017/8082) (Text von Bedeutung für den EWR), ABl C/2017/8082

in Kraft ABl L 2017/32, 87

Beschluss (EU) 2017/2240 des Rates vom 10. 11. 2017 über die Unterzeichnung— im Namen der Union— und die vorläufige Anwendung des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Schwei-zerischen Eidgenossenschaft zur Verknüpfung ihrer jeweiligen Systeme für den Handel mit Treibhaus-gasemissionen

in Kraft ABl L 2017/32, 1

Beschluss (EU) 2017/2112 der Kommission vom 6. 3. 2017 über die von Ungarn geplante Maßnahme/Beihilferegelung/Staatliche Beihilfe SA.38454 — 2015/C (ex 2015/N) für den Bau von zwei Kernreaktorenim Atomkraftwerk Paks II (Bekannt gegeben unter C/2017/1486) (Nur der englische Text ist verbindlich)Text von Bedeutung für den EWR, ABl C/2017/1486

in Kraft ABl L 2017/317, 45

Beschluss (GASP) 2017/2163 des Rates vom 20. 11. 2017 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Sou-veränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen

in Kraft ABl L 2017/304, 51

EuGH-RechtsprechungsübersichtNr 10 – 15

Ü Aufrechterhaltung der Eigenschaft als Selbständigernach Beendigung der Tätigkeit

Art 7 RL 2004/38/EG

ZfRV-LS 2018/10

Recht auf Aufenthalt bei Beendigung der Tätigkeit als Selbstän-diger; Aufenthaltsrecht; Aufrechterhaltung der Eigenschaft alsSelbständiger

1. Nach Art 7 Abs 1 lit a RL 2004/38/EG (= RL 2004/38/EG überdas Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sichim Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzu-halten, ABl L 2004/158, 77) hat jeder Unionsbürger, der im Auf-nahmemitgliedstaat als Arbeitnehmer oder Selbständiger tätig ist,ein Recht auf Aufenthalt imHoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats füreinen Zeitraum von über drei Monaten. Art 7 Abs 3 dieser RL be-stimmt, dass für die Zwecke des Art 7 Abs 1 lit a die Erwerbstäti-geneigenschaft dem Unionsbürger, der seine Erwerbstätigkeit alsArbeitnehmer oder Selbständiger nicht mehr ausübt, in vier Fällendennoch erhalten bleibt. Unter diesen Fällen ist in Art 7 Abs 3 lit bder Fall genannt, dass sich der Unionsbürger „bei ordnungsgemäßbestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nachmehr als einjährigerBeschäftigung dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt“.

2. Nach stRsp des Gerichtshofs kann die in einer der Sprach-fassungen einer Vorschrift des Unionsrechts verwendete Formu-lierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vor-schrift herangezogen werden oder Vorrang vor den anderenSprachfassungen beanspruchen. Die Bestimmungen des Unions-rechts müssen nämlich im Licht der Fassungen in allen Sprachender Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden. Weichendiese verschiedenen Fassungen voneinander ab, muss die fraglicheVorschrift nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck derRegelung ausgelegt werden, zu der sie gehört.

3. Zur allgemeinen Systematik der RL 2004/38/EG ist daraufhinzuweisen, dass diese RL nach ihrem Art 1 lit a die Bedingungenfestlegen soll, unter denen Unionsbürger das Recht auf Freizügig-

keit und Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitglied-staaten genießen. Zu diesem Zweck unterscheidet Art 7 Abs 1 die-ser RL ua die Situation der erwerbstätigen Bürger von der Situa-tion der nicht erwerbstätigen Bürger und Studierenden. Hingegentrifft diese Bestimmung innerhalb der erstgenannten Gruppe keineUnterscheidung zwischen den Bürgern, die im Aufnahmemit-gliedstaat unselbständig erwerbstätig sind, und den selbständig er-werbstätigen Bürgern.

4. Art 7 Abs 1 lit a RL 2004/38/EG verleiht daher jedemUnionsbürger, der die Eigenschaft eines „Arbeitnehmers oderSelbständigen“ hat, ein Aufenthaltsrecht. Dementsprechend be-zieht sich Art 7 Abs 3 dieser RL im einleitenden Satz auf Unions-bürger, denen, obwohl sie ihre „Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmeroder Selbständiger“ nicht mehr ausüben, für die Zwecke von Art 7Abs 1 lit a die „Erwerbstätigeneigenschaft“ erhalten bleibt.

5. Diese Auslegung wird durch die Untersuchung der Ziele un-termauert, die mit dieser RL, genauer mit ihrem Art 7 Abs 3 lit b,verfolgt werden. Zum einen ergibt sich nämlich aus den Erwä-gungsgründen 3 und 4 der RL 2004/38/EG, dass diese zum Zielhat, zur Stärkung des elementaren und persönlichen Rechts allerUnionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zubewegen und aufzuhalten, sowie zur Erleichterung der Ausübungdieses Rechts die bereichsspezifischen und fragmentarischen An-sätze, die für die vor dem Erlass dieser RL geltenden Instrumentedes Unionsrechts, die insb Arbeitnehmer und Selbständige ge-trennt behandelten, charakteristisch waren, durch einen einzigenRechtsakt zu überwinden, mit dem diese Instrumente kodifiziertund überarbeitet werden.

6. Diesem Zweck würde es zuwiderlaufen, wenn Art 7 Abs 3lit b RL 2004/38/EG dahin ausgelegt würde, dass er nur Personenerfasst, die mehr als ein Jahr als Arbeitnehmer erwerbstätig waren,und Personen ausschließt, die dies als Selbständige waren.

7. Zum anderen würde eine solche Auslegung eine unterschied-liche Behandlung dieser beiden Personengruppen einführen, dienicht gerechtfertigt wäre im Hinblick auf das mit dieser Bestim-

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mung verfolgte Ziel, durch die Aufrechterhaltung der Erwerbstäti-geneigenschaft das Aufenthaltsrecht der Personen zu sichern, dieihre Berufstätigkeit wegen eines Mangels an Arbeit aufgegeben ha-ben, der auf von ihrem Willen unabhängigen Umständen beruht.Denn wie ein Arbeitnehmer, der unfreiwillig seinen Arbeitsplatzinfolge insb einer Entlassung verlieren kann, kann sich eine Per-son, die einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, ge-zwungen sehen, diese Tätigkeit aufzugeben. Diese Person könntesich somit in einer schwierigen Situation befinden, die mit dereines entlassenen Arbeitnehmers vergleichbar ist. Unter solchenUmständen wäre es nicht gerechtfertigt, wenn diese Person in Be-zug auf die Aufrechterhaltung ihres Aufenthaltsrechts nicht den-selben Schutz genießt wie eine Person, die keine Erwerbstätigkeitals Arbeitnehmer mehr ausübt.

8. Aus alledem folgt, dass eine Person, die eine mehr als ein-jährige selbständige Erwerbstätigkeit wegen eines Mangels an Ar-beit, der auf von ihrem Willen unabhängigen Gründen beruhte,aufgegeben hat, ebenso wie eine Person, die unfreiwillig ihren Ar-beitsplatz verloren hat, den sie über eine solche Zeitdauer inne-hatte, den Schutz des Art 7 Abs 3 lit b RL 2004/38/EG genießenkann. Wie in dieser Bestimmung vorgesehen, muss die Beendi-gung der Erwerbstätigkeit ordnungsgemäß bestätigt sein.EuGH 20. 12. 2017, C-442/16, Florea Gusa gegenMinister for So-cial Protection ua, ECLI:EU:C:2017:1004.

ÜHerstellung einer Verbindung zu nicht berufsmäßigenFahrern fällt unter Verkehrsdienstleistungen

Art 56 AEUV

ZfRV-LS 2018/11

Dienstleistungen im Binnenmarkt; Vermittlungsdienst für nichtberufsmäßig tätige Fahrer; Genehmigungspflicht

1. Es ist festzustellen, dass ein Vermittlungsdienst, der in der Her-stellung einer Verbindung zwischen einem nicht berufsmäßigenFahrer, der das eigene Fahrzeug benutzt, und einer Person besteht,die eine Fahrt im innerstädtischen Bereich unternehmen möchte,grundsätzlich eine Dienstleistung gem Art 56 AEUV darstellt, diesich von der Verkehrsdienstleistung unterscheidet, die in der kör-perlichen Handlung der Beförderung von Personen oder Warenvon einem Ort zum anderen mittels eines Fahrzeugs besteht.

2. Sohin erfüllt ein Vermittlungsdienst, der es mittels einerSmartphone-Applikation ermöglicht, die Informationen über dieBuchung der Verkehrsdienstleistung zwischen dem Passagier unddem nicht berufsmäßigen Fahrer, der die Beförderung mit seinemeigenen Fahrzeug durchführt, zu übermitteln, grundsätzlich dieKriterien, um als „Dienstleistung der Informationsgesellschaft“iSv Art 1 Nr 2 RL 98/34/EG (= RL 98/34/EG über ein Informa-tionsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vor-schriften, ABl L 1998/204, 37) eingestuft zu werden. Dieser Ver-mittlungsdienst stellt gemäß der Definition in Art 1 Nr 2 RL 98/34/EG eine „in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatzund auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienst-leistung“ dar.

3. Insoweit geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Infor-mationen hervor, dass der Vermittlungsdienst auf der Auswahlnicht berufsmäßiger, das eigene Fahrzeug benutzender Fahrerberuht, denen diese Gesellschaft eine Applikation stellt, ohnedie zum einen die Fahrer nicht Verkehrsdienstleistungen erbrin-gen würden und zum anderen die Personen, die eine Fahrt iminnerstädtischen Bereich unternehmen möchten, nicht dieDienste dieser Fahrer in Anspruch nehmen würden. Zudemübt der Vermittlungsdienst einen entscheidenden Einfluss auf

die Bedingungen aus, unter denen diese Fahrer die Leistung er-bringen. Dabei ist insb klar ersichtlich, dass Uber durch diegleichnamige Anwendung zumindest den Höchstpreis für dieFahrt festsetzt, dass diese Gesellschaft den Preis beim Kundenerhebt und danach einen Teil davon an den nicht berufsmäßigenFahrer des Fahrzeugs überweist und dass sie eine gewisse Kon-trolle über die Qualität der Fahrzeuge und deren Fahrer sowieüber deren Verhalten ausübt, die gegebenenfalls zu ihrem Aus-schluss führen kann.

4. Dieser Vermittlungsdienst ist somit als integraler Bestandteileiner Gesamtdienstleistung, die hauptsächlich aus einer Verkehrs-dienstleistung besteht, anzusehen und daher nicht als „Dienst derInformationsgesellschaft“ iSv Art 1 Nr 2 RL 98/34/EG, sondern als„Verkehrsdienstleistung“ iSv Art 2 Abs 2 lit d RL 2006/123/EG(= RL 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABlL 2006/376, 36) einzustufen.

5. Diese Einstufung wird durch die stRsp bestätigt, wonach derBegriff „Dienstleistung im Bereich des Verkehrs“ nicht nur Ver-kehrsdienstleistungen als solche umfasst, sondern auch jedeDienstleistung, die naturgemäß mit einer körperlichen Handlungder Beförderung von Personen oder Waren von einem Ort zumanderen mit einem Verkehrsmittel verbunden ist.EuGH 20. 12. 2017 (Große Kammer), C-435/15, Asociacion Pro-fesional Elite Taxi gegen Uber Systems Spain SL, ECLI:EU:C:2017:981.

Ü Präzisierung des Rechts auf Auskunftzu personenbezogenen Daten

Art 2 RL 95/46/EG

ZfRV-LS 2018/12

Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung von Daten;Begriff „personenbezogene Daten“; Umfang der Rechte der be-troffenen Person auf Auskunft und Berichtigung

1. Zunächst ist daran zu erinnern, dass in Art 2 lit a RL 95/46/EG(= RL 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verar-beitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr,ABl L 1995/281, 31) personenbezogene Daten definiert sind als„alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natür-liche Person“. Nach dieser Bestimmung wird „als bestimmbar [. . .]eine Person angesehen, die direkt oder indirekt identifiziert wer-den kann, insb durch Zuordnung zu einer Kennnummer oder zueinem oder mehreren spezifischen Elementen, die Ausdruck ihrerphysischen, physiologischen, psychischen, wirtschaftlichen, kultu-rellen oder sozialen Identität sind“.

2. Um Daten als „personenbezogene Daten“ iSv Art 2 lit a RL95/46/EG qualifizieren zu können, ist es nämlich nicht erforder-lich, dass sich alle zur Identifizierung der betreffenden Person er-forderlichen Informationen in den Händen einer einzigen Personbefinden. Im Übrigen ist unstrittig, dass, soweit dem Prüfer dieIdentität des Prüflings bei der Bewertung der von diesem bei einerPrüfung gegebenen Antworten nicht bekannt ist, die die Prüfungorganisierende Einrichtung, hingegen im Besitz der notwendigenInformationen ist, die es ihr ermöglichen, den Prüfling unschwerund zweifelsfrei anhand seiner auf der Prüfungsarbeit oder demDeckblatt der Prüfungsarbeit angebrachten Kennnummer zuidentifizieren und ihm seine Antworten zuzuordnen.

3. In der Verwendung des Ausdrucks „alle Informationen“ iZmder Bestimmung des Begriffs „personenbezogene Daten“ in Art 2lit a RL 95/46/EG kommt nämlich das Ziel des Unionsgesetzgeberszum Ausdruck, diesem Begriff eine weite Bedeutung beizumessen.Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt,

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ZfRV [2018] 02 71

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sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohlobjektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmenoder Beurteilungen, unter der Voraussetzung, dass es sich um In-formationen „über“ die in Rede stehende Person handelt. Dieletztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information auf-grund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen miteiner bestimmten Person verknüpft ist.

4. Art 2 lit a RL 95/46/EG ist daher dahin auszulegen, dassschriftliche Antworten eines Prüflings in einer berufsbezogenenPrüfung und etwaige Anmerkungen des Prüfers zu diesen Antwor-ten „personenbezogene Daten“ iS dieser Bestimmung darstellen.EuGH 20. 12. 2017, C-434/16, Peter Nowak gegen Data Protec-tion Commissioner, ECLI:EU:C:2017:9944.

Ü Präzisierung der Rechtmäßigkeit einerAusweisungsverfügung gegen langfristigaufenhaltsberechtigte Drittstaatsangehörige

Art 12 RL 2003/109/EG

ZfRV-LS 2018/13

Rechtsstellung langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsan-gehöriger; Bedingungen für Ausweisungsverfügung

1. Nach stRsp besteht das vorrangige Ziel der RL 2003/109/EG(= RL 2003/109/EG betreffend die Rechtsstellung der langfristigaufenhaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen, ABl L 2004/16,44) in der Integration von Drittstaatsangehörigen, die in den Mit-gliedstaaten langfristig ansässig sind. Im Hinblick darauf hat derUnionsgesetzgeber, wie im 16. Erwägungsgrund ausgeführt, dieMeinung vertreten, dass langfristig Aufenthaltsberechtigte ver-stärkten Ausweisungsschutz genießen sollten. Daher können dieMitgliedstaaten nach Art 12 Abs 1 RL 2003/109/EG nur dann ge-gen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung ver-fügen, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr fürdie öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt.

2. Ferner bestimmt Art 12 Abs 3 dieser RL, dass die Mitglied-staaten, bevor sie gegen einen langfristig aufenthaltsberechtigtenDrittstaatsangehörigen eine Ausweisung verfügen, die Dauer desAufenthalts in ihrem Hoheitsgebiet, das Alter der betreffendenPerson, die Folgen für die betreffende Person und ihre Familien-angehörigen sowie die Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder feh-lende Bindungen zumHerkunftsstaat berücksichtigen. Es ist daherunerheblich, ob eine solche Maßnahme als verwaltungsrechtlicheSanktion ausgesprochen wurde oder Folge einer strafrechtlichenVerurteilung ist. Daher kann gegen einen langfristig aufenthalts-berechtigten Drittstaatsangehörigen nicht allein deshalb die Aus-weisung verfügt werden, weil er zu einer Freiheitsstrafe von mehrals einem Jahr verurteilt wurde.EuGH 2. 12. 2017, C-636/16, Wilber lopez Pastuzano gegen De-legacion del Gobierno en Navarra, ECLI:EU:C:2017:946.

Ü Anbieter von Luxuswaren kann autorisiertenHändlern Verkauf über Drittplattform im Internetuntersagen

Art 101 AEUV

ZfRV-LS 2018/14

selektiver Vertrieb von Luxuskosmetika; vertragliche Klauseln, diebei Internetverkäufen die Einschaltung eines nicht autorisiertenDritten verbieten

1. Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind nachArt 101 Abs 1 AEUV alle Vereinbarungen zwischen Unterneh-men, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinan-

der abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischenMitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhin-derung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs in-nerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Die Organi-sation eines selektiven Vertriebsnetzes fällt nicht unter das Verbotin Art 101 Abs 1 AEUV, sofern die Auswahl der Wiederverkäuferanhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgt, die ein-heitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festge-legt und ohne Diskriminierung angewendet werden, sofern dieEigenschaften des fraglichen Erzeugnisses zur Wahrung seinerQualität und zur Gewährleistung seines richtigen Gebrauchs einsolches Vertriebsnetz erfordern und sofern die festgelegten Krite-rien schließlich nicht über das erforderliche Maß hinausgehen.

2. Zu der Frage, ob der selektive Vertrieb in Bezug auf Luxus-waren erforderlich sein kann, hat der Gerichtshof bereits festge-stellt, dass die Qualität solcher Waren nicht allein auf ihren mate-riellen Eigenschaften beruht, sondern auch auf ihrem Prestigecha-rakter, der ihnen eine luxuriöse Ausstrahlung verleiht, dass dieseAusstrahlung ein wesentliches Element dafür ist, dass die Verbrau-cher sie von anderen ähnlichen Produkten unterscheiden können,und dass daher eine Schädigung dieser Ausstrahlung geeignet ist,die Qualität derWaren selbst zu beeinträchtigen. Hierzu hat er aus-geführt, dass die Besonderheiten und Modalitäten eines selektivenVertriebssystems an sich geeignet sind, die Qualität derartiger Pro-dukte zu wahren und ihren richtigen Gebrauch zu gewährleisten.

3. Ein Online-Verkauf von Luxuswaren über nicht zum selekti-ven Vertriebssystem dieser Waren gehörende Plattformen, in des-sen Rahmen der Anbieter nicht die Möglichkeit hat, die Bedingun-gen, unter denen seine Waren verkauft werden, zu überprüfen,birgt die Gefahr einer Verschlechterung der Präsentation dieserWaren im Internet, die ihr Luxusimage und somit ihr Wesen be-einträchtigen kann. Somit ist das von einem Anbieter von Luxus-waren an seine autorisierten Händler gerichtete Verbot, bei ihremInternetverkauf nach außen erkennbar Drittplattformen einzu-schalten, geeignet, das Luxusimage dieser Waren sicherzustellen.

4. Art 101 Abs 1 AEUV ist dahingehend auszulegen, dass er einerVertragsklausel wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht ent-gegensteht, die autorisiertenHändlern eines selektiven Vertriebssys-tems für Luxuswaren, das im Wesentlichen darauf gerichtet ist, dasLuxusimage dieser Waren sicherzustellen, verbietet, beim Verkaufder Vertragswaren im Internet nach außen erkennbar Drittplattfor-men einzuschalten, wenn diese Klausel das Luxusimage dieser Wa-ren sicherstellen soll, einheitlich festgelegt und ohne Diskriminie-rung angewandt wird sowie in angemessenem Verhältnis zum ange-strebten Ziel steht; dies hat das vorlegende Gericht zu prüfen.EuGH 6. 12. 2017, C-230/16, Coty Germany gegen ParfümerieAkzente GmbH, ECLI:EU:C:2017:941.

ÜRom III-VO bestimmt nicht das aufPrivatscheidungen anwendbare Recht

Art 1 VO 1259/2010/EU („Rom III-Verordnung“)

ZfRV-LS 2018/15

Anerkennung einer von einem geistlichen Gericht eines Dritt-staats ausgesprochenen Privatscheidung; Anwendungsbereichder Rom III-VO

1. Was als Erstes den Wortlaut von Art 1 VO 1259/2010/EU(= VO 1259/2010/EU zur Durchführung einer verstärkten Zusam-menarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennungohne Auflösung des Ehebands anzuwendenden Rechts, ABl L2010/343, 10) betrifft, heißt es in Abs 1 dieses Art lediglich, dassdiese VO für die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung

ZfRV [2018] 02 Ü Michael Slonina Ü Einspruch gegen vereinfachte Exekutionsbewilligung für Alt-EuGVVO-Titel ohne Vollstreckbarerklärung 73

[EUROPARECHT]

des Ehebands in Fällen gilt, die eine Verbindung zum Recht ver-schiedener Staaten aufweisen. In Abs 2 sind die Regelungsgegen-stände aufgeführt, die vom Anwendungsbereich der VO ausge-nommen sind, „auch wenn diese sich nur als Vorfragen iZm einemVerfahren betreffend die Ehescheidung oder Trennung ohne Auf-lösung des Ehebandes stellen“.

2. ImWeiteren ist bezüglich des Zusammenhangs, in dem Art 1VO 1259/2010/EU steht, festzustellen, dass der Begriff „Eheschei-dung“ iSd VO in keiner anderen Vorschrift der VO bestimmtwird. Insb beschränkt sich Art 3 der VO auf die Bestimmung

der Begriffe „teilnehmender Mitgliedstaat“ und „Gericht“, wobeiletzterer Begriff so zu verstehen ist, dass er „alle Behörden derteilnehmenden Mitgliedstaaten, die [. . .] zuständig sind“, erfasst.

3. Art 1 VO 1259/2010/EU ist dahingehend auszulegen, dasseine durch einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem geist-lichen Gericht bewirkte Ehescheidung wie die im Ausgangsverfah-ren streitige nicht in den sachlichen Anwendungsbereich dieserVO fällt.EuGH 20. 12. 2017, C-372/16, Soha Sayouni gegen Raja Ma-misch, ECLI:EU:C:2017:988.

[INTERNATIONALES PRIVAT- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT]

Einspruch gegen vereinfachteExekutionsbewilligung fürAlt-EuGVVO-Titel ohneVollstreckbarerklärungNachdem der reichlich beflissene europäische Gesetzgeber in jüngerer Vergan-genheit dafür gesorgt hat, dass eine Vielzahl von Vollstreckungstiteln auf unter-schiedlichster Rechtsgrundlage europaweit vollstreckbar sind,1) haben sich in derPraxis gewisse Unsicherheiten in der Rechtsanwendung, insb an der Schnittstellevon europäischem Zivilverfahrensrecht und nationalem Exekutionsrecht, gezeigt.Der OGH hatte jüngst Gelegenheit zu entscheiden, wie sich der Verpflichtete gegeneine vereinfachte Exekutionsbewilligung zur Wehr setzen kann, wenn diese, in Er-mangelung einer rechtskräftigen Vollstreckbarerklärung oder deren Entbehrlichkeit,nicht hätte bewilligt werden dürfen.Von Michael Slonina

Inhaltsübersicht:

A. Zur Entscheidung des OGHB. Vereinfachtes Bewilligungsverfahren nach § 54b

EO und Einspruch nach § 54d EO für nicht derVollstreckbarerklärung bedürfende Titel

C. Grenzen der Nachprüfbarkeit einer Bescheinigungoder Bestätigung nach EuGVVO oder EuVTVO imVollstreckungsstaat

D. Bedeutung der OGH-Entscheidung für das verein-fachte Bewilligungsverfahren

E. Zulässigkeit des Einspruch, nach § 54c EO beiausländischen Titeln

A. Zur Entscheidung des OGHDas ErstG bewilligte zunächst im vereinfachten Bewil-ligungsverfahren dem Betreibenden vertragsgemäß dieFahrnis- und Forderungsexekution. Als Titel gab die-ser einen tschechischen Titel v 18. 11. 2004 mit Voll-streckbarkeitsdatum vom gleichen Tage an. Hiergegenerhob der Verpflichtete Einspruch mit der Begrün-dung, dass kein die Exekution deckender Exekutions-

titel existiere und eine Bestätigung der Vollstreckbar-keit fehle. Auf Aufforderung durch das ErstG gem§ 54d EO legte der Betreibende einen tschechischenTitel nebst deutscher Übersetzung sowie eine Beschei-nigung nach Art 54, 58 EuGVVO aF vor; das ErstGwies daraufhin den Einspruch zurück. Der hiergegeneingelegte Rekurs des Verpflichteten hatte Erfolg; dasRekG führte aus, dass der Titel allenfalls nach oder miteiner Vollstreckbarerklärung zur Bewilligung der Exe-kution im ordentlichen Bewilligungsverfahren berech-tige, nicht jedoch zur vereinfachten Exekutionsbewilli-gung. Der hiergegen gerichtete RevRek des Betreiben-den blieb ohne Erfolg: Der OGH bestätigte im Kern dieRechtsauffassung des RekG, wonach mittels Ein-

1) Vgl idZ etwa: Frauenberger-Pfeiler, EuZVR: Die neue Generation,Europäisches Mahnverfahren und Bagatellverfahren, JAP 2008/2009, 103 ff und 170 ff; Oberhammer, Freier Urteilsverkehr durchAbschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens und der Aner-kennungsversagungsgründe, in Fucik/Konecny/Lovrek/Oberham-mer (Hrsg), Jahrbuch Zivilverfahrensrecht 2010, 69 ff; dies, TheAbolition of Exequatur, IPRax 2010, 197 ff; Rechberger, „Die neueGeneration“ − Bemerkungen zu den Verordnungen Nr 805/2004,Nr 1896/2006 und Nr 861/2007 des Europäischen Parlamentsund des Rates“, in FS Leipold (2009) 301 ff.

ZfRV 2018/9

§§ 54b ff EO;Art 38 ff EuGVVOaF;Art 39 ff EuGVVOnF;EuVTVO

OGH 4. 7. 2017,3 Ob 58/17a

Vollstreckbar-erklärung;

vereinfachteExekutions-bewilligung

spruchs nach § 54c EO auch geltend gemacht werdenkönne, dass der ausländische Titel die begehrte Exeku-tion zwar inhaltlich decke, jedoch nicht ohne Voll-streckbarerklärung in Österreich im vereinfachten Be-willigungsverfahren vollstreckbar sei. Insb habe dasRekG auch nicht Gelegenheit zur Verbesserung, dhzur nachträglichen Erwirkung einer Vollstreckbarer-klärung, geben müssen. Im Übrigen setzt sich die Be-gründung des OGH ausführlich mit dem jeweiligen(zeitlichen) Anwendungsbereich der EuGVVO nF;der EuVTVO; der EuMahnVO und der EuUVO aus-einander und arbeitet jeweils heraus, dass der tschechi-sche Titel aus November 2004 schon in zeitlicher Hin-sicht nicht nach den genannten Verordnungen voll-streckbar sein könne.

Die Entscheidung verdient hinsichtlich des Ergeb-nisses uneingeschränkte Zustimmung, hinsichtlich derBegründung jedenfalls insoweit, als in ihr wertvolle in-tertemporale Plausibilitätserwägungen für das verein-fachte Bewilligungsverfahren formuliert wurden. DieEntscheidung gibt zudem Anlass zu einigen Klarstel-lungen zur Exekution ausländischer Titel mit oderohne Vollstreckbarerklärung an der Schnittstelle voneuropäischem Zivilprozessrecht und der österr Exeku-tionsordnung.

B. Vereinfachtes Bewilligungsverfahren nach§ 54b EO und Einspruch nach § 54d EOfür nicht der Vollstreckbarerklärungbedürfende Titel

Soweit nach § 54b Abs 2 Z 2 EO im vereinfachten Be-willigungsverfahren auch für bereits rechtskräftig fürvollstreckbar erklärte oder gar nicht der Vollstreckbar-erklärung bedürfende ausländische Exekutionstitel dieVorlage von Ausfertigungen des Titels und der (ausl)Vollstreckbarkeitsbestätigung für entbehrlich erklärtwird und nach Z 3 das Gericht idR nur aufgrund derAngaben des Gläubigers im Exekutionsantrag zu ent-scheiden hat, bedarf es zumindest des Einspruchs, umjedenfalls nachträglich den Gläubiger die Möglichkeitzu geben, überprüfen zu lassen, ob tatsächlich etwaeine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitelerfolgte. Die Regelung des § 54b Abs 2 EO steht dabeiauch nicht in Widerspruch zu Art 20 Abs 2 lit a und bEuVTVO oder Art 21 Abs 2 lit a EuMahnVO, wonachder Gläubiger den Vollstreckungsbehörden des Voll-streckungsmitgliedstaates eine Ausfertigung des auslTitels und der Bestätigung (EuVTVO) bzw des Euro-päischen Zahlungsbefehls (EuMahnVO) vorzulegenhat.2) Den genannten Verordnungen ist nämlich nichtzu entnehmen, ob dies bereits bei Antragstellung odererst auf Aufforderung nach Einspruch gem § 54dAbs 1 EO zu geschehen hat.3) Immerhin ist jedochauch nach § 54b Abs 2 Nr 1 iVm § 7 EO anzugeben,unter welchem Datum der ausländische Titel und ggfeine Bestätigung nach der EuVTVO erging. Soweit ge-legentlich im Schrifttum erwogen wurde, dem Gläubi-ger aufzugeben, nach § 54 b Abs 2 EO bei Europä-ischen Vollstreckungstiteln oder Europäischen Zah-lungsbefehlen weitere Angaben zum „Inhalt der Bestä-tigung“ zu machen,4) ist hierfür angesichts des klarenWortlauts von § 54b EO kein Raum: Auch Sinn und

Zweck sowohl des vereinfachten Exekutionsverfahrenssowie des Einsatzes einer europaweit einheitlichen for-mularmäßigen Bestätigung der Vollstreckbarkeit wür-den geradezu in ihr Gegenteil verkehrt, wenn nun derGläubiger die formalisierten Angaben nun selbststän-dig wiederzugeben gezwungen sein sollte. Darüber hi-naus würde, wenn hier dem ausländischen Titelgläubi-ger mehr abverlangt würde als dem inländischen, ge-gen das aus Art 20 Abs 1 EuVTVO; Art 21 Abs 1 Eu-MahnVO, Art 21 Abs 1 Satz 2 EuBagatellVO oderArt 41 Abs 1 Satz 2 EuGVVO nF bzw § 2 Abs 2 EOfolgende Diskriminierungsverbot des ausländischenTitels verstoßen:5) Erlaubt das österr Exekutionsver-fahren bei Vorliegen eines Titels die vereinfachte Be-willigung (zunächst und vorbehaltlich des Einspruchs)zunächst ohne dessen Vorlage, muss dies grds auchGläubigern aus den genannten ausländischen Titelnzugebilligt werden.

C. Grenzen der Nachprüfbarkeit einerBescheinigung oder Bestätigung nachEuGVVO oder EuVTVO imVollstreckungsstaat

Zumindest missverständlich ist die hier zu bespre-chende OGH-Entscheidung freilich insoweit, als inihr selbstständig geprüft wird, ob der tschechische Titelauch ohne eine Bestätigung als Europäischer Vollstre-ckungstitel nach der EuVTVO als Europäischer Zah-lungsbefehl etc vollstreckbar wäre und dies aufgrunddes vollstreckbaren Geldbetrags (der oberhalb des An-wendungsbereichs der EuBagatellVO lag) bzw des tem-poralen Anwendungsbereichs der jeweiligen Verord-nungen verneint. Eine solche Prüfung ist den Gerichtendes Vollstreckungsstaats nämlich verwehrt. Anders alsdie Bescheinigung nach Art 54, 58 EuGVVO aF, die

ZfRV

74 Ü Michael Slonina Ü Einspruch gegen vereinfachte Exekutionsbewilligung für Alt-EuGVVO-Titel ohne Vollstreckbarerklärung ZfRV [2018] 02

[INTERNATIONALES PRIVAT- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT]

2) Für eine Vereinbarkeit des vereinfachten Bewilligungsverfahrens mitdiesen Erfordernissen zur Vorlage einer Ausfertigung von Titel undBestätigung der Vollstreckbarkeit etwa (ohne Begründung) Kloiber,Das Europäische Mahnverfahren, ZfRV 2009, 68 (78); im Ergebnisauch Scheuba in Fasching/Konecny V/22 Art 21 EuBagatellVORz 6; wohl auch Köllensperger, Die neue Brüssel Ia-Verordnung:Änderungen bei der Anerkennung und Vollstreckung, in König/Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht in Österreich IV – Die neueBrüssel Ia-Verordnung und weitere Reformen (2015) 43 (53 f), Letz-tere mit dem Argument, die Vorlageerfordernisse normierten keineMindeststandards für das Verfahren im Vollstreckungsstaat.

3) Leider ist gerade das Verhältnis des vereinfachten Exekutionsbewil-ligungsverfahrens zu den meist recht rudimentär gehaltenen euro-päischen Verfahrensregelungen für den Vollstreckungsstaat in deneinschlägigen Kommentarwerken oft nicht sehr ausführlich darge-stellt, vgl etwa Garber in Angst/Oberhammer, EO Vor § 79 Rz 273 f,326 und 356 f; vgl aber zu den Besonderheiten bei der Vollstre-ckung nach der EuVTVO nach vereinfachter ExekutionsbewilligungHöllwerth in Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer, IZVRArt 20 Rz 11; vgl knapp auch Pabst in Rauscher, Europäisches Zi-vilprozess- und Kollisionsrecht (2010) Art 20 EuVTVO Rz 38 ff; Kloi-ber, ZfRV 2009, 78.

4) So offenbarMohr, Exekutionsordnungs-Novelle 2005, ecolex 2005,602 (605), welcher davon ausgeht, dass alle Angaben aus der Be-stätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nach Anh 1 EuVTVOin den Antrag nach §§ 54b, 7 EO zu übernehmen sind; zu Recht aAhingegen Jakusch in Angst/Oberhammer, EO3 (2015) § 54b Rz 13/1; Kloiber in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO § 54b Rz 21.

5) Vgl zur Gleichstellung mit inländischen Titeln bzw zum Diskriminie-rungsverbot etwa Garber in Angst/Oberhammer, EO Vor § 79Rz 277 und 355; Rechberger in Fasching/Konecny V/1 (2008)Art 21 EuVTVO Rz 3; Tschütscher/Weber, Die Verordnung zur Ein-führung eines Europäischen Mahnverfahrens, ÖJZ 2007, 303 (312);Pabst in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht(2010) Art 20 EuVTVO Rz 23 ff.

rein deklaratorisch ist und auf die im Vollstreckungs-staat gem Art 55 EuGVVO aF auch verzichtet werdenkann, etwa weil sich der Inhalt des Bescheinigten auchschon aus der ausländischen Entscheidung selbst ergibt,sind die „Bestätigungen“ der „neuen Generation“ euro-päischer Vollstreckungstitel konstitutiv; die Gerichteund Vollstreckungsorgane des Vollstreckungsstaatssind hieran gebunden.6) Daraus folgt einerseits, dasses den Gerichten des Vollstreckungsstaats verwehrtwäre, trotz erteilter Bestätigung als Europäischer Voll-streckungstitel nachzuprüfen, ob der (zeitliche) An-wendungsbereich der EuVTVO etwa eröffnet war.7)

Umgekehrt kann ohne die Bestätigung als EuropäischerVollstreckungstitel im Ursprungsstaat ein Gericht desVollstreckungsstaats auch nicht selbstständig prüfen,ob der ausländische Titel in den Anwendungsbereichder Verordnung fiele, wenn im Ursprungsstaat eineentsprechende Bestätigung nicht erfolgt ist. Anderesgilt allein für die Bescheinigung der Vollstreckbarkeitnach der EuGVVO nF: In dieser fehlt zwar eine Ent-sprechung zu Art 55 EuGVVO aF, der dem Gerichtoder der sonst befugten Stelle des Vollstreckungsstaatsnoch ausdrücklich erlaubte, bei Nichtvorlage der Be-scheinigung entweder für die Vorlage eine Frist zu set-zen oder von der Vorlage zu befreien, selbst bei Vorlageder Bescheinigung ist eine Bindung an den Inhalt derBescheinigung jedoch wie nach der EuGVVO aF auchnicht angeordnet. Vieles spricht dafür, dass etwa dieintertemporale Anwendbarkeit der EuGVVO nF vonden Gerichten des Vollstreckungsstaats selbstständiggeprüft werden kann.8)

D. Bedeutung der OGH-Entscheidung für dasvereinfachte Bewilligungsverfahren

Aus den Ausführungen des OGH zur intertemporalenAnwendbarkeit etwa der EuVTVO oder EuMahnVOkann damit nicht gefolgert werden, dass dann, wenn(womöglich zu Unrecht) im Ursprungsstaat doch eineBestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel aus-gestellt worden oder ein Europäischer Zahlungsbefehlerlassen worden wäre – die vereinfachte Exekutionsbe-willigung nicht erteilt würde. Zwar sind österr Gerichtenach § 54d Abs 2 EO berechtigt, auch anders als durchdie Prüfung der vorzulegenden Ausfertigungen vonausländischem Titel und ggf der Bestätigung der Voll-streckbarkeit Titel und Bestätigung zu überprüfen; diesgilt freilich nicht, soweit eine Bindung besteht.

Entscheidende Bedeutung kommt den erwähntenAusführungen des OGH mE eher in anderem Zusam-menhang zu: Sie beschreiben ein wertvolles Prüfungs-programm für das ExG nicht erst nach dem Einspruchdes Verpflichteten, sondern bereits im vereinfachten Be-willigungsverfahren. Ergibt sich hier allein schon aus denzeitlichen Angaben des Betreibenden iS einer Plausibili-tätsprüfung, dass iSv § 54b Abs 2 Z 3 Satz 2 EO Anlasszu Bedenken des Gerichts amVorliegen eines zur verein-fachten Bewilligung berechtigenden Titels oder einer Be-stätigung der Vollstreckbarkeit nach EuVTVO bestehen,so kann bereits das ExG vor der Entscheidung über denAntrag im vereinfachten Bewilligungsverfahren aus-nahmsweise zurVorlage vonTitel- undBestätigungsaus-fertigung auffordern. DieÜbertragung der vereinfachten

Bewilligung auf den Rechtspfleger nach § 17 Abs 1 Z 3RPflG oder die weitgehende Abwicklung im elektroni-schen Rechtsverkehr nach §§ 54b-g EO9) dürften demnicht entgegenstehen, zumal sich bspw ein zeitlich au-ßerhalb des Anwendungsbereichs der EuVTVO liegen-des Entscheidungs- oder Bestätigungsdatum mühelosaus den Pflichtangaben des Betreibenden nach § 54 bAbs 2 Z 1 EO herausfiltern lässt.

E. Zulässigkeit des Einspruchs nach § 54cEO bei ausländischen Titeln

Wie der OGH nun überzeugend klargestellt hat, kön-nen mit dem Einspruch nach § 54 c EO im vereinfach-ten Bewilligungsverfahren auch Zweifel an der An-wendbarkeit des vereinfachten Exekutionsbewilli-gungsverfahrens für den konkreten ausländischenTitel, mithin an der Vollstreckbarkeit ohne Vollstreck-barerklärung, binnen 14 Tagen ab Zustellung des Be-willigungsbeschlusses (§ 54 c Abs 2 EO) geltend ge-macht werden. Auf diese Weise erhält der Verpflich-tete zumindest nachträglich die Gelegenheit, die imvereinfachten Bewilligungsverfahren zunächst vomExG nicht anhand vorzulegender Ausfertigungen ge-prüfte Zulässigkeit des vereinfachten Bewilligungsver-fahrens, insb das Vorliegen einer Vollstreckbarerklä-rung oder eines ohne die Vollstreckbarerklärung inÖsterreich vollstreckbaren ausländischen Titels über-prüfen zu lassen. Nicht nachvollziehbar ist daher dieEntscheidung des Erstgerichts, mit der der Einspruchzurückgewiesen wurde, allein weil ein die Vollstre-ckung inhaltlich deckender ausländischer Titel vorlag,der grundsätzlich nach der EuGVVO aF in Österreichvollstreckbar wäre, obwohl weder einer Vollstreckbar-erklärung vorlag noch diese entbehrlich war.

Soweit der Betreibendemit dem RevRek (hilfsweise)geltend machte, das Gericht habe nach § 54 Abs 3 EOGelegenheit zur Verbesserung dergestalt gebenmüssen,dass inzwischen die bislang offenbar noch nicht vorlie-gende Vollstreckbarerklärung des ausländischen Titelsnach der EuGVVO aF erst erwirkt würde,10) vermochte

ZfRV [2018] 02 Ü Michael Slonina Ü Einspruch gegen vereinfachte Exekutionsbewilligung für Alt-EuGVVO-Titel ohne Vollstreckbarerklärung 75

[INTERNATIONALES PRIVAT- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT]

6) Dies gilt jedenfalls für die Vollstreckbarkeitswirkung und vorbehalt-lich der in den Verordnungen selbst vorgesehenen Möglichkeitenetwa der Verweigerung oder Aussetzung der Vollstreckung. Vglzur Bindung an die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstiteletwa Höllwerth in Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer,IZVR (2006) Art 21 EuVTVO Rz 3 und 13; Lehmann in Leible/Ter-hechte, Enzyklopädie Europarecht III (2014) Kap 19 Rz 47 ff;M. Stürner in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht derZwangsvollstreckung3 (2016) Art 5 EuVTVO Rz 2 ff; eingehend auchPabst in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht(2010) Art 20 EuVTVO Rz 17 ff; zum Europäischen Zahlungsbefehlnach der EuMahnVO etwa Gruber in Rauscher, Europäisches Zivil-prozess- und Kollisionsrecht (2010) Art 20 EuMahnVO Rz 45; aus-führlich zur Rechtskraftfrage auch Rechberger in Leible/Terhechte,Enzyklopädie Europarecht III Kap 20 Rz 97 ff.

7) Vgl etwa Garber in Angst/Oberhammer, EO Vor § 79 Rz 275.8) So ausdrücklich zur EuGVVO nF auch Leible in Rauscher, Europä-

isches Zivilprozess- und Kollisionsrecht4 (2016) Art 53 Brüssel Ia-VO Rz 2; Kodek in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichts-stands- und Vollstreckungsrecht4 (2015) Art 53 EuGVVO Rz 3;Gar-ber in Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer, IZVR (2015)Art 53 Rz 12; zur Bescheinigung nach Art 54 EuGVVO aF einge-hend Oberhammer in Stein/Jonas, ZPO22 Art 54 Rz 11 f, ebenfallsiS einer grds nicht bestehenden Bindung.

9) Vgl allg zum vereinfachten Bewilligungsverfahren etwa Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht5 (2009) Rz 110 ff.

10) Auch im Bewilligungsverfahren nach § 54 EO kommt ein solcherVerbesserungsauftrag wegen einer fehlenden Urkunde nur dannin Betracht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Urkunde

ZfRV

76 Ü Michael Slonina Ü Einspruch gegen vereinfachte Exekutionsbewilligung für Alt-EuGVVO-Titel ohne Vollstreckbarerklärung ZfRV [2018] 02

[INTERNATIONALES PRIVAT- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT]

dies den OGH zu Recht nicht zu überzeugen: DemGläubiger eines der Vollstreckbarerklärung bedürfen-den Titels steht es frei, entweder nach § 412 EO(= § 84 a EO aF) parallel die Vollstreckbarerklärungund (nicht im vereinfachten Verfahren) die Exekutionzu beantragen, mit der Folge, den ausländischen Titelvorlegen zumüssen und den Bewilligungsbeschluss idRzeitgleich mit der Vollstreckbarerklärung in einer Aus-fertigung und für den Verpflichteten überraschend zuerhalten.11) Auch das gleichzeitigeVorgehen nach § 84aEO erlaubt damit die ordentliche (nicht die verein-fachte) Exekutionsbewilligung allenfalls vor Eintrittder Rechtskraft der Entscheidung über die Vollstreck-barerklärung, nämlich gleichzeitig mit der Entschei-dung über die Vollstreckbarerklärung, nicht jedochvor dieser. Will der Betreibende freilich aus einem derVollstreckbarerklärung bedürfenden ausländischen Ti-tel eine Exekutionsbewilligung im vereinfachten Ver-fahren erwirken, so muss zunächst nach § 54b Abs 1Z 4 EO über die Vollstreckbarerklärung rechtskräftigentschieden worden sein: Eine Vermischung beiderVerfahren, etwa durch Antrag auf Exekutionsbewilli-gung im vereinfachten Verfahren bei nachzuholenderVollstreckbarerklärung, widerspricht nicht nur demklaren Wortlaut von § 54b Abs 1 Z 4 EO, sie würdeauch einenMissbrauch des vereinfachten Bewilligungs-verfahrens darstellen. Kann im Einspruchsverfahrenkeine Ausfertigung eines ohne Vollstreckbarerklärungzur vereinfachten Exekutionsbewilligung berechtigen-den Titels (ggf iVm einer Bestätigung als EuropäischerVollstreckungstitel nach der EuVTVO) vorgelegt wer-den, ist die Exekution daher nach §§ 54 e, 39 Abs 1 Z 10EO einzustellen; eine Rangsicherung durch nachzuho-lende Vollstreckbarerklärung kommt nicht in Betracht;zudem drohen dem Betreibenden Schadenersatz- undKostenersatzpflicht nach § 54 e EO.12)

Zur Geltendmachung von Anerkennungsversa-gungsgründen im Anwendungsbereich von EuVTVOoder EuGVVO nF ist der Einstellungsantrag nach§ 418 iVm § 39 EO zulässig, für den eine Acht-Wo-chen-Frist nach § 418 Abs 2 EO ab Zustellung der Exe-kutionsbewilligung an den Verpfl besteht. Handelt essich in Wahrheit um einen Titel, der noch der Voll-streckbarerklärung nach der EuGVVO aF bedurfte,etwa um ein Urteil, das in einem ab dem 10. 1. 2015eingeleiteten gerichtlichen Verfahren erging (vglArt 66 Abs 2 EuGVVO),13) kann die Vollstreckbarer-klärung nach § 411 Abs 1 bzw 2 EO binnen vier bzwacht Wochen14) ab Zustellung des Vollstreckbarerklä-rungsbeschlusses mittels Rek angefochten werden.

Ü

Ü In KürzeÜ Das vereinfachte Bewilligungsverfahren steht für aus-

ländische Titel, die nach der EuGVVO aF in Österreichvollstreckbar sind, nicht vorRechtskraft der nachwie vorerforderlichen Vollstreckbarerklärung zur Verfügung.

Ü Beantragt der Betreibende gleichwohl die Exekution imvereinfachten Bewilligungsverfahren, so kann der Ver-pflichtete mittels Einspruchs nach § 54c EO auch gel-tend machen, dass eine rechtskräftige Vollstreckbar-erklärung oder ein Titel der „neuenGeneration“, der zurVollstreckung ohne Vollstreckbarerklärung berechtigt,nicht vorliegt. Gelegenheit zur Verbesserung, etwadurch Nachholung der Vollstreckbarerklärung, ist demBetreibenden im Einspruchsverfahren nicht zu geben.

Ü Im Einspruchsverfahren kann sich das ExG im We-sentlichen damit begnügen, die nun vom Betreibendenvorzulegenden Ausfertigungen des ausländischen Ti-tels und der ausländischen Vollstreckbarkeitsbestäti-gung zu prüfen. Liegt bspw ein europäischer Zah-lungsbefehl (EuMahnVO) oder eine Bestätigung alsEuropäischer Vollstreckungstitel (EuVTVO) vor, ist denGerichten des Vollstreckungsstaats deren Nachprü-fung verwehrt. Dagegen kann trotz vorgelegter Be-scheinigung nach der EuGVVO nF deren (zeitlicher)Anwendungsbereich und damit die Vollstreckbarkeitohne Vollstreckbarerklärung überprüft werden.

Ü Um unberechtigten Anträgen im vereinfachten Bewil-ligungsverfahren vorzubeugen, sollte der zeitliche An-wendungsbereich der Verordnungen der „neuen Ge-

neration“ bereits bei Antragstellung im vereinfachtenBewilligungsverfahren summarisch geprüft und gege-benenfalls von § 54b Abs 2 Z 3 Satz 2 EO Gebrauchgemacht werden.

Ü Zum ThemaÜber den Autor:Michael Slonina, LL.M., war Assistent am Institut für Zivilver-fahrensrecht der Universität Wien (Prof. Dr. P. Oberhammer)und ist Richter am Landgericht Bremen, dzt abgeordnet zumAmtsgericht Bremen,E-Mail: [email protected] selben Autor erschienen:Neuerungen und Klarstellungen zur Exekution ausländischerTitel durch die EO-Novelle 2016, ecolex 2017, 768;Kommentierung von §§ 82–86a EO in Angst/Oberhammer(Hrsg), EO3 (2015);Kommentierung von Art 62–81 EuGVVO (VO [EG] 1215/2012)in Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer, Internatio-nales Zivilverfahrensrecht18 (2015);Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung vonEntscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) inLeible/Terhechte, Enzyklopädie Europarecht III (2014) (ge-meinsam mit Oberhammer und Koller);Sachwalterbestellung für Deutsche und Schweizer in Öster-reich. Kollisionsrechtliche Fragen am Übergang vom nationa-len Recht zum Haager Erwachsenenschutzübereinkommen,ZfRV 2007, 133 (gemeinsam mit Oberhammer und C. Graf).

bereits existiert und die Nichtvorlage auf einem Versehen oder man-gelnder Rechtskenntnis beruhte (vgl eingehend Jakusch in Angst/Oberhammer, EO § 54 Rz 58) nicht jedoch, um diese erst zu erwir-ken.

11) Vgl zu dieser gläubigerfreundlichen Besonderheit des österr Rechtsetwa Slonina in Angst/Oberhammer, EO § 84a Rz 1 mwN.

12) Ebenso auch schonMohr, Exekutionsordnungs-Novelle 2005, eco-lex 2005, 602 (605).

13) Allein dass die Entscheidung nach dem 10. 1. 2015, also nach In-krafttreten der EuGVVO nF ergangen ist, begründet noch nicht dieVollstreckbarkeit ohne Vollstreckbarerklärungsverfahren, vgl nurKodek, EuGVVO 2012 – neue Regeln für die internationale Urteils-anerkennung und -vollstreckung, Zak 2014, 423; Plavec, Die Ab-schaffung des Exequaturverfahrens durch die Neufassung derEuGVVO, ecolex 2015, 9; Slonina in Burgstaller/Neumayr/Geroldin-ger/Schmaranzer, IZVR (2015) Art 66 EuGVVO Rz 11 ff. Vor demHintergrund der Relevanz des Datums der Einleitung des Verfah-rens für die Vollstreckbarkeit im vereinfachten Bewilligungsverfah-ren wäre mE de lege ferenda zu erwägen, bei ausländischen Titelnnach § 54b Abs 2 Z 1 iVm § 7 Abs 1 EO auch das Datum, zu demdas ausländische Erkenntnisverfahren eingeleitet wurde, im An-tragsformular mit abzufragen.

14) Vgl zu den mit der EO-Nov 2016 eingeführten Wochenfristen undzum Anwendungsvorrang der EuGVVO aF, die anstelle der Wo-chenfristen hier Fristen von einem Monat bzw zwei Monaten vor-sieht, etwa Slonina, Neuerungen und Klarstellungen zur Exekutionausländischer Titel durch die EO-Novelle 2016, ecolex 2017, 768.

RechtsprechungsübersichtNr 16 – 20

Ü Zum Umfang des Erbstatuts

Art 1 Abs 2 lit l, Art 4, 18, Art 23 Abs 2 lit a, Art 39 ff, 59, 62Abs 2 EuErbVO; § 33 Abs 1 lit d GBG; § 16 Abs 2 Z 6 RpflG;§ 477 Abs 1 Z 2 ZPO

ZfRV-LS 2018/16

Erbstatut; Erbenbescheinigung; Registereintragung; Liegen-schaften; Richtervorbehalt

Umfang des Erbstatuts

Dem allgemeinen Erbstatut unterliegen gem Art 23 Abs 2 lit aEuErbVO etwa die Gründe für den Eintritt des Erbfalls sowie des-sen Zeitpunkt und Ort, darunter fällt auch die erbrechtliche Um-schreibung des Nachlasses (iSd §§ 531, 548 ABGB, vgl Traar inBurgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer, IZVR Art 23EuErbVO Rz 4). Ebenso regelt das Erbstatut (Art 23 Abs 2 lit eEuErbVO) den Übergang der zum Nachlass gehörenden vermö-genswerten Rechte und Pflichten auf die Erben, somit, in welchemZeitpunkt, in welcher Form (ex lege oder durch gerichtliche Ent-scheidung) und unter welchen Voraussetzungen mit welchenWir-kungen der Nachlass oder auch Teile davon auf die Berechtigtenübergehen bzw Ansprüche fällig werden.

Art 1 Abs 2 lit l EuErbVO nimmt vom Anwendungsbereich derVO (somit auch dem Erbstatut) jede Eintragung von Rechten an be-weglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in einemRegister einschließlich der gesetzlichen Voraussetzungen für einesolche Eintragung sowie dieWirkung der Eintragung oder fehlendenEintragung solcher Rechte in dem Register aus. Nach dem insoweitklaren Wortlaut dieser Bestimmung ist damit etwa die Vorfrage, obdie Liegenschaft dem Erblasser sachenrechtlich gehörte, jedenfallsnach österreichischem Recht zu lösen, ebenso soll sich die formelleSeite der Registereintragung, also das behördliche Registerverfahrenentsprechend des Erwägungsgrundes 18 zur EuErbVO nach der lexrei sitae richten (Rudolf/Zöchling-Jud/Kogler inRechberger/Zöchling-Jud, Die EU-Erbrechtsverordnung in Österreich [2015] Kap IIIRz 254). Dies gilt hingegen nicht für die – im nationalen Register-recht gar nicht geregelte – Frage, ob die Rechte an der Liegenschaftüberhaupt Gegenstand des Erbrechts sind und gegebenenfalls aufwelche Weise und zu welchem Zeitpunkt der Erbe den Nachlass er-wirbt. Insoweit ist vielmehr das Erbstatut gem Art 23 Abs 1EuErbVO anzuwenden (so auch Rudolf/Zöchling-Jud/Kogler inRechberger/Zöchling-Jud, aaO Rz 260). § 178 Abs 2 Z 2 AußStrGist als bloße Anweisung an das österreichische Verlassenschaftsge-richt anzusehen, die vorgibt, was in einen Einantwortungsbeschlussaufzunehmen ist (Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 178 Rz 1). Ei-nen solchen kennt das nach dem Erbstatut hier anzuwendende deut-sche Recht allerdings nicht, und als Vorschrift des formellen Regis-terrechts iSd Art 1 Abs 2 lit 1 EuErbVO kann diese Bestimmungauch unter Berücksichtigung des Abs 18 der Vorbemerkungen zurEuErbVO nicht gewertet werden.

Deutsche Erbenbescheinigung

Nach Art 62 Abs 2 EuErbVO ist die Verwendung des europä-ischen Nachlasszeugnisses nicht verpflichtend, sodass der Nach-weis der Erbenstellung etwa auch durch Vorlage einer deutschenErbenbescheinigung des zuständigen Amtsgerichts in Betrachtkäme, die – unter Berücksichtigung des Art 4 EuErbVO, wonachdie Gerichte des Mitgliedstaats, in dem der Erblasser im Zeitpunkt

seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, für Entschei-dungen über den gesamten Nachlass zuständig sind – als Erben-bescheinigung iSd § 33 Abs 1 lit d GBG zu werten ist. Auch dieFrage nach den Rechtswirkungen des deutschen Erbscheins – hin-sichtlich dessen in der Lehre umstritten ist, ob es sich dabei umeine anzuerkennende Entscheidung iSd Art 39 ff EuErbVO oderum eine anzunehmende öffentliche Urkunde iSd Art 59 EuErbVOhandelt − ist nach dem Erbstatut, somit nach Art 23 EuErbVOund daher nach deutschem Recht zu beurteilen

Richtervorbehalt bei Anwendung ausländischen Rechts

Gem § 16 Abs 2 Z 6 RpflG bleiben – auch in Grundbuchsachen –dem Richter Entscheidungen vorbehalten, bei denen ausländischesRecht anzuwenden ist, wobei es für dasWirksamwerden des Richter-vorbehalts nach dieser Bestimmung ausreicht, dass die Notwendig-keit der Berücksichtigung einer ausländischen Rechtsvorschrift zu-mindest in Betracht kommt (Hoyer, Anm zu 5 Ob 184/08 g, NZ2009/736 [GBSlg]; 5 Ob 208/09p NZ 2010/92 [Hoyer]; 5 Ob 108/17 v). Nach obigen Ausführungen ist hier von der Notwendigkeitder Anwendung nicht nur der zum österreichischen Rechtsbestandgehörigen EuErbVO, sondern aufgrund des dort angeordneten Kol-lisionsrechts auch des materiellen deutschen Erbrechts auszugehen.Ein vom Rechtspfleger in Überschreitung der ihm vom Gesetz ein-geräumten Entscheidungsgewalt erlassener Beschluss und das ihmvorangegangene Verfahren, soweit es vom Rechtspfleger durchge-führt wurde, leiden an Nichtigkeit iSd § 477 Abs 1 Z 2 ZPO, sodassein solcher Beschluss im Fall seiner Anfechtung aufzuheben ist. DieNichtigkeit ist, auch wenn sie im Rechtsmittel nicht geltend gemachtwurde, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens wahrzu-nehmen.Nunmehr folgt diese Konsequenz (auch) aus § 58Abs 4Z 2iVm § 58 Abs 3 AußStrG und § 75 Abs 2 GBG, wobei das Außer-streitgesetz den Begriff der Nichtigkeit vermeidet.OGH 21. 12. 2017, 5 Ob 186/17 i

Ü Anknüpfung eines Übergabsvertrags

§§ 31, 49 IPRG; Art 1 Abs 2 lit g Rom I-VO

ZfRV-LS 2018/17

Übergabsvertrag; Sachenrechtsstatut; lex rei sitae, Vertretung

Anknüpfung eines Übergabsvertrags

§ 31 IPRG knüpft für den Erwerb und den Verlust dinglicherRechte an körperlichen Sachen, einschließlich des Besitzes, an dasRecht des Staats an, in dem sich die Sachen bei Vollendung des demErwerb oder Verlust zugrunde liegenden Sachverhalts befinden.Die herrschende Auffassung nimmt auch eine Sonderanknüpfungan das Registerrecht, also das Recht am Registerort, betreffend dienotwendige Form der die Eintragungsgrundlage bildenden Urkun-den an (5 Ob 281/05 t mwN). Schuld- und sachenrechtliche Fragensind allerdings kollisionsrechtlich getrennt zu beurteilen. Zur Prü-fung der Frage, ob der Übergabsvertrag als Titelgeschäft materiell-rechtlich einen tauglichen Erwerbsgrund bildet und allfälligenrechtsgeschäftlichen Formerfordernissen entspricht, ist dahernicht nach § 31 Abs 1 IPRG anzuknüpfen. Insoweit maßgeblichist die VO (EG) 2008/593 des Europäischen Parlaments und desRates v 17. 6. 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse an-zuwendende Recht (Rom I-VO). Nach deren Art 4 lit c unterliegenVerträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen sowie

[INTERNATIONALES PRIVAT- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT]

ZfRV [2018] 02 77

die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand ha-ben, dem Recht des Staats, in dem die unbewegliche Sache belegenist, soweit keine Rechtswahl vorgenommen wurde.

Vertretungsstatut

Fragen der Vertretungsbefugnis sind gem Art 1 Abs 2 lit g Rom I-VO vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen,diesbezüglich ist auf § 49 IPRG zurückzugreifen. Danach bestim-men sich die Voraussetzungen und die Wirkungen der gewillkür-ten Stellvertretung im Verhältnis des Geschäftsherrn und des Stell-vertreters zum Dritten primär (Abs 1) nach dem Recht, das derGeschäftsherr in einer für den Dritten erkennbaren Weise be-stimmt hat. Hilfsweise ist (Abs 2) das Recht des Staats maßgebend,in dem der Stellvertreter nach dem für den Dritten erkennbarenWillen des Geschäftsherrn tätig werden soll, oder (Abs 3) dasRecht des Staats, in dem der Stellvertreter tätig wird.

Voraussetzungen der grundbücherlichen Eintragung

Gemäß § 94 Abs 1 GBG hat das Grundbuchsgericht das Ansuchenund dessen Beilagen einer genauen Prüfung zu unterziehen. Es darfeine grundbücherliche Eintragung unter anderem nur dann bewilli-gen, wenn das Begehren durch den Inhalt der beigebrachten Urkun-den begründet erscheint (§ 94 Abs 1 Z 3 GBG). Das Ansuchen kannsomit nur dann bewilligt werden, wenn der Urkundeninhalt ein der-artiger ist, dass er nicht nur in formaler Beziehung unbedenklich er-scheint, sondern auch bezüglich dermateriell-rechtlichen Frage nichtirgendwelche Zweifel aufkommen lässt (RIS-Justiz RS0060878).OGH 18. 1. 2018, 5 Ob 211/17s

Ü Sonderbestimmungen für den Urlaub beiEntsendung von Arbeitnehmern sind Eingriffsnormen

Art 9 Rom I-VO

ZfRV-LS 2018/18

Urlaub bei Entsendung; Eingriffsnorm; Doppelbelastung

Die in Abschnitt VI b des BUAG geregelten zwingenden „Sonderbe-stimmungen für den Urlaub bei Entsendung“, die in diesem Bereichdie Vorgaben der Entsende-RL 96/71/EG innerstaatlich umsetzenund den Geltungsbereich des BUAG in den höchst praxisrelevantenFällen grenzüberschreitender Entsendung von Arbeitnehmern in derBaubranche erweitern, sind nach ihrem Regelungsgegenstand alsEingriffsnormen iSd Art 7 EVÜ (Anm: bzw nunmehr Art 9 Rom I-VO) unabhängig vom Arbeitsvertragsstatut für ausländische Entsen-der verbindlich. Diese Regelungen bewirken aber dann keine unzu-lässige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit, wenn eine Dop-pelbelastung des Arbeitgebers für idente Beschäftigungszeiträumeaufgrund zwingender urlaubsrechtlicher Normen des Entsendestaatsvermieden wird (RIS-Justiz RS0127279).OGH 30. 1. 2018, 9 ObA 145/17 i

Ü Zur Behauptungs- und Beweislast fürdas Vorliegen von Rückführungshindernissen

Art 4, 13 Abs 1 lit b HKÜ

ZfRV-LS 2018/19

Gefährdung; Rückführungshindernisse; gewöhnlicher Aufenthalt;Putschversuch

Gewöhnlicher Aufenthalt

Als gewöhnlicher Aufenthalt eines Kindes ist jener Ort zu verste-hen, der Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integra-tion des Kindes ist. Hierfür sind insb die Dauer, die Regelmäßig-

keit und die Umstände des Aufenthalts sowie die Gründe für die-sen Aufenthalt und den Umzug der Familie in diesen Staat, dieStaatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschu-lung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bin-dungen des Kindes in dem betreffenden Staat zu berücksichtigen.Dabei ist es Sache des nationalen Gerichts des Fluchtstaats, unterBerücksichtigung aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls, dengewöhnlichen Aufenthalt des Kindes festzustellen. Hält sich einMinderjähriger seit 2016 mit seiner Mutter und seiner Schwesterregelmäßig in Bursa in der Türkei auf, wo er mit Zustimmung desVaters lebt, und besucht er dort den Kindergarten und soll an-schließend in der Türkei eingeschult werden, so liegt der gewöhn-liche Aufenthalt des Minderjährigen in der Türkei. KurzfristigeAufenthalte in Österreich mit der Vereinbarung, dass der Minder-jährige Anfang September 2017 wieder in die Türkei reist, um dortrechtzeitig vor Schulbeginn zu sein, ändern daran nichts.

Zur erheblichen Gefährdung

Jener Elternteil, der sich der Rückgabe widersetzt, trägt die volleBehauptungs- und Beweislast für das Vorliegen von Rückfüh-rungshindernissen. Ob das Kindeswohl iSd Art 13 Abs 1 lit bdes HKÜ bei einer Rückgabe gefährdet ist, hängt von den jeweili-gen Umständen des Einzelfalls ab. Die allgemeine Behauptung,dass Minderjährige in der Türkei zum Nachspielen des Putschver-suchs in Form einer Theaterinszenierung gezwungen werden, istnicht ausreichend. Dieser Hinweis vermag die Behauptungs- undBeweislast für das Vorliegen eines Rückführungshindernissesnicht zu ersetzen. Auch nach der Rsp des Europäischen Gerichts-hofs für Menschenrechte (EGMR) müssen die nationalen Gerichteim Rahmen der Überprüfung eines Rückstellungsantrags nurplausibles Vorbringen zu einer schwerwiegenden Gefährdung ent-sprechend würdigen (iFamZ 2014/1).OGH 31. 1. 2018, 6 Ob 15/18a

Ü Eine Altersrente der Schweizerischen Ausgleichs-kasse (SAK) ist bei der Unterhaltsbemessungals Eigeneinkommen zu berücksichtigen.

Art 122 ZGB

ZfRV-LS 2018/20

Schweizerische Ausgleichskasse (SAK); Versorgungsausgleich;Alterspension; Vorfrage

Für dieArt der Berücksichtigung vonPensionszahlungen der Schwei-zerischen Ausgleichskasse (SAK) bei der Unterhaltsbemessung sindderen Rechtsnatur und Charakter von Bedeutung. Diese sind unab-hängig vomUnterhaltsstatut nach Schweizer Recht zu beurteilen undals bloße Vorfrage kollisionsrechtlich selbständig anzuknüpfen (vgl6 Ob 85/02x; 1 Ob 53/02d; 9 Ob 70/04 s; 6 Ob 223/06x).

Die Altersrente der Schweizerischen Ausgleichskasse (SAK) be-ruht zum Teil auf dem Versorgungsausgleich nach dem SchweizerRecht. Nach Art 122 ZGB werden die während der Ehe bis zum Zeit-punkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens erworbenen Ansprü-che aus der beruflichen Vorsorge bei der Scheidung grundsätzlichhälftig geteilt. Im Zuge der Berechnung der Beitragszeiten erfolgtbei geschiedenen Ehepartnern eine Einkommensteilung, sofern beidePersonen während der Ehezeit und gleichzeitig in der Schweiz Bei-tragszeiten aufweisen. Die Erwerbseinkommen der Ehegatten wäh-rend der Ehezeit werden geteilt und gegenseitig zur Hälfte angerech-net. Wenn nur ein Ehepartner Erwerbseinkommen aufweist und derandere Ehepartner als nicht erwerbstätige Person nur einenWohnsitzin der Schweiz hat, wird das Einkommen des erwerbstätigen Ehepart-ners zur Hälfte dem anderen Ehepartner angerechnet. Das österrei-

ZfRV[INTERNATIONALES PRIVAT- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT]

78 ZfRV [2018] 02

[INTERNATIONALES PRIVAT- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT]

ZfRV [2018] 02 Ü WANG Qiang Ü Eine strukturelle, rechtssystematische und -terminologische Analyse des Tierhalterhaftungsrechts der VR China 79

chische Recht kennt einen Versorgungsausgleich in Form einer Auf-teilung von Pensionsansprüchen für geschiedene Ehegatten nicht(9 Ob 70/04 s). In mehreren Entscheidungen hat der OGH die Ein-beziehung von Ansprüchen aufgrund eines in anderen Rechtsord-nungen vorgesehenen Versorgungsausgleichs in das nachehelicheAufteilungsverfahren abgelehnt (9 Ob 70/04 s; 6 Ob 85/02 x; 1 Ob53/02d; RIS-Justiz RS0119984). In den E 1 Ob 53/02d und 6 Ob85/02x wurde allerdings angedeutet, dass ein solcher Versorgungs-ausgleich unterhaltsrechtlich relevant sein könnte. Der auf dem Ver-sorgungsausgleich nach Schweizer Recht beruhende Teil der Alters-rente der Schweizerischen Ausgleichskasse (SAK) ist bei der Unter-haltsbemessung entsprechend den von der Rsp entwickelten Grund-sätzen zu öffentlich-rechtlichen Leistungen als Eigeneinkommen zuberücksichtigen.OGH 13. 2. 2018, 5 Ob 113/17d

Anmerkung: Die vorliegende Entscheidung zeigt anschaulich,dass auch im österreichischen Ehegüterrecht ein „Versorgungs-ausgleich“ dringend geboten wäre. Der OGH ist zwar bemüht,die bestehende Lücke eines solchen Ausgleichs pensionsrechtli-cher Anwartschaftsrechte mit Hilfe des nachehelichen Unterhaltsabzumildern, eine der güterrechtlichen „Ausgleichsgerechtigkeit“entsprechende Lösung kann damit aber nur in seltenen Fällen er-reicht werden. Dies gilt umso mehr, als das österreichische Ehe-recht − mit wenigen Ausnahmen – nach wie vor dem Verschul-densprinzip folgt (vgl zur ähnlichen Problematik im Todesfall: Ec-cher, Ehegattenerbrecht und Güterausgleich, NZ 2011/118; Ofner,Ehegüterrechtlicher Ausgleich bei Tod eines Ehegatten? in FS200 Jahre ABGB [2011] 513 ff).

Helmut Ofner

[RECHTSVERGLEICHUNG]

Eine strukturelle,rechtssystematische und-terminologische Analyse desTierhalterhaftungsrechts der VRChina*)

Eine Gesamtwürdigung im Vergleich mit dem deutschen Pendant

Das geltende Tierhalterhaftungsrecht der VR China erzielt gesetzeskonzeptionelleErneuerungsleistungen, weist aber anwendungsbezogene Regelungsmängel auf. ImZuge der aktuellen Zivilrechtskodifikation –mit dem Deliktsrecht als ein Buch – unterHeranziehung ausländischer Zivilgesetzbücher als Kodifikationsvorbilder ist eineGesamtwürdigung des Spezialgesetzes ua auch in rechtsvergleichender Betrach-tung dringend notwendig.Von WANG Qiang

Inhaltsübersicht:

A. EinleitungB. Entwicklungsgeschichte des Tierhalterhaftungs-

rechts in der VR ChinaC. Struktur, System und Regelungsgehalt

des deutschen TierhalterhaftungsrechtsD. Struktur, System und Regelungsgehalt des

Tierhalterhaftungsrechts der VR China1. Inhaltlicher Überblick2. Leistung auf Makroebene3. Nähere Betrachtung des Regelungsgehalts mit

Analyse der Problematik auf Mikroebenea) Grundsatz der Gefährdungshaftungb) Strengere Haftung und ihre substantielle

Bedeutung

c) Verschuldenshaftung der Zoos gem § 81HpG

d) Haftung für ausgesetzte oder entlaufeneTiere gem § 82 HpG

e) Struktur und System der Haftungs-zurechnung an den Tierhalter/-verwalterbeim Tierschaden

f) Haftung für den vom Dritten verschuldetenTierschaden und ihre Systematik

g) Problematik der HaftungssubjektregelungE. Schlussbetrachtung Ü

*) This paper is sponsored by the „National Social Science Foundationof China“with Project No. 16BFX103 under the title of „Research onthe Adoption of the German Civil Law Terminology and its FurtherDevelopment in China“.

ZfRV 2018/10

§§ 78–84 HpG;§§ 833 f BGB

Tierhalterhaftung;

Gefährdungs-haftung;

Verschuldens-haftung;

Haftungs-zurechnung;

Haftungs-typisierung;

abgestufteHaftung

ZfRV

80 Ü WANG Qiang Ü Eine strukturelle, rechtssystematische und -terminologische Analyse des Tierhalterhaftungsrechts der VR China ZfRV [2018] 02

[RECHTSVERGLEICHUNG]

A. EinleitungAm 1. 7. 2010 trat das in der modernen Zivilrechtsge-schichte der VR China als ein Meilenstein geltendeHaftpflichtgesetz1) in Kraft. Trotz offenkundiger geset-zestechnischer Defizite in seinen unterschiedlichen Ka-piteln, ferner in den eng zusammenhängenden und vorallem einzelnen Rechtssätzen verkörpert das Gesetz ei-nen großen Fortschritt auf demWeg zur Zivilrechtsko-difikation in der Volksrepublik und hat eine Reihe mo-derner Strukturelemente und rechtswissenschaftlicherErrungenschaften vorzuweisen.2) Davon besonders her-vorzuheben ist das als ein ganzes Kapitel ausgestalteteTierhalterhaftungsrecht. Gegenüber § 127 AllgemeineGrundsätze des Zivilrechts (AGZ),3) der einzigen Vor-schrift, die die Tierhalterhaftung im Festland Chinabahnbrechend, aber lückenhaft regelte,4) steht diesesRechtsinstitut zweifelsohne für eine deutliche und um-fassende Verbesserung hinsichtlich der Kernelementeder Tierhalterhaftung, bspw der Haftungszurech-nung,5) der Haftungstypisierung,6) des Mitverschuldensdes Geschädigten und der Dritthaftung.

Bei Anerkennung des Fortschritts, für den diesesTierhalterhaftungsrecht steht, sollte man jedoch die ge-setzestechnischen und inhaltlichen Regelungsmängel indessen Vorschriften und des Weiteren in den jeweiligenTatbeständen, Rechtsfolgen und Haftungssubjektbe-stimmungen nicht übersehen. Wenn man die anstei-gende Anwohner- und daher auch Tierhalteranzahl inRelation zu der stetig wachsenden Bevölkerungsdichte,der drastisch zunehmenden Menge und Artenvielfaltan gehaltenen Tieren, vor allem Luxustieren7) sowie derdamit einhergehenden Erhöhung des Tierschadens- undKonfliktpotenzials berücksichtigt, erscheint eine Ge-samtwürdigung des Spezialgesetzes umso wichtiger.

Nach einem einleitenden Rückblick auf die Ent-wicklungsgeschichte des Tierhalterhaftungsrechts inder VR China gibt der vorliegende Beitrag einen Ein-blick in dessen Inhalt und würdigt zugleich die Erneue-rungsleistungen bezüglich dessen Struktur und Rege-lungsumfang. Zudem wird das zugrunde gelegte Ge-setzgebungskonzept im Kontext des einschlägigenrechtspolitischen Hintergrunds dargestellt. Daraufhinerfolgt eine rechtsbegriffliche und -funktionelle sowieinhaltliche Analyse der einzelnen Regelungen und ih-rer Kernbestandteile. Fortlaufend werden die Be-grenztheit, Lücken und Probleme auf den obigen Ebe-nen, und zwar vorrangig unter Beleuchtung der korres-pondierenden Aspekte des deutschen Tierhalterhaf-tungsrechts, untersucht.

B. Entwicklungsgeschichte desTierhalterhaftungsrechts in der VR China

Vor dem Inkrafttreten der AGZ richtete sich die Tier-halterhaftung in der Rechtspraxis im Festland Chinagrundsätzlich nach den ehemaligen sowjetischen Zivil-rechtstheorien und -vorschriften, denen ein sog zwei-spuriges Haftungsrecht zugrunde lag:8) Für hochge-fährliche Tiere, die eine Quelle schwerwiegender Ge-fahr schufen, galt das Nichtverschuldensprinzip,9) wäh-rend in Bezug auf normale Tiere, zB Haustiere,einschließlich des Geflügels, idR für vermutetes Ver-schulden gehaftet wurde.

Mit den AGZ, denen ein einspuriges Nichtverschul-densprinzip zugrunde lag, erfolgte die erste gesetzlicheRegelung der Tierhalterhaftung in der Volksrepu-blik.10) Gem § 127 AGZ haftet der Tierhalter bzw -ver-

1) Im Folgenden auch abgekürzt als HpG. Ihm gingen ua das Vertrags-gesetz (1999) und das Sachenrechtsgesetz (2007) als bahnbre-chende Gesetzgebungswerke voraus; vglWANG Liming/ZHOU Yo-ujun/GAO Shengping, Auseinandersetzung mit den schwierigenFragen über das chinesische Haftpflichtgesetz (2012) Einleitung,2 f, ua auch für den rechtspolitischen, legislativen Hintergrund desGesetzes. Wörtlich aus dem Chinesischen übersetzt lautet dasHaftpflichtgesetz „Gesetz über die Haftung für Rechtsverletzungen“(abgekürzt: „Deliktsrechtsgesetz“). Seine Bezeichnung in der vorlie-genden Arbeit als „Haftpflichtgesetz“ ist darauf zurückzuführen,dass es nicht nur schuldhaftes Fehlverhalten (Delikt), sondern auchdie Gefährdungshaftung regelt; vgl hierzu Bollweg/Doukoff/Jansen,Das neue chinesische Haftpflichtgesetz, ZChinR 18 (2011) 91 (91).Im Folgenden werden chinesische Autoren bzw Personen sowohl inErst- als auch in Folgezitaten mit Nachnahmen (großgeschrieben)und Vornamen, andere Autoren in sämtlichen Zitaten nur mit demNachnamen zitiert.

2) Das Gesetz untergliedert sich in einen allgemeinen und einen be-sonderen Teil. Der allgemeine Teil besteht aus Kapitel 1 „AllgemeineBestimmungen“, Kapitel 2 „Begründung und Art der Haftung“, Ka-pitel 3 „Gründe für Haftungsausschluss und -milderung“ und Kapi-tel 4 „Besondere Bestimmungen zum Haftungssubjekt“. Währenddie Regeln des allgemeinen Teils prinzipiell auf den besonderen Teilund auf Schädigungen in allen Lebensbereichen anwendbar sind,enthält der besondere Teil sektorale Sonderregeln zur Produkthaf-tung (Kapitel 5), zur Straßenverkehrshaftung (Kapitel 6), zur Arzthaf-tung (Kapitel 7), zur Umwelthaftung (Kapitel 8), zu wichtigen weite-ren Quellen besonderer Gefahren (Kapitel 9), zur Tierhalterhaftung(Kapitel 10) und zur Haftung für gefährlich verwahrte Gegenstände(Kapitel 11). Für eine systematische, eingehende Vorstellung derStruktur und des Inhalts des Gesetzes mit einer kritischen, geset-zestechnischen Analyse seiner einzelnen Vorschriften und eine Ge-samtwürdigung seiner Leistungen als ein wichtiges Gesetzge-bungswerk in der VR China s Bollweg et al, ZChinR 18 (2011) 91,91 f.

3) Verabschiedet am 12. 4. 1986 und in Kraft seit 1. 1. 1987, deut-sche Übersetzung von Münzel in: Chinas Recht (III. 7–12.4.86/1)1 f, abrufbar unter http://lehrstuhl.jura.uni-goettingen.de/china-recht/zivilrecht.htm (Quelle: www.chinas-recht.de [Stand17. 11. 2017]). Im Allgemeinen Teil des Zivilgesetzbuchs der VRChina (im Folgenden: Allgemeiner Teil des VR-ZGB), der am15. 3. 2017 von dem 12. Nationalen Volkskongress (dem Parla-ment der VR China entsprechend) auf dessen 5. Plenartagung ver-abschiedet wurde und ab 1. 10. 2017 die AGZ ablösend in Krafttrat, ist keine Vorschrift mehr über Tierhalterhaftung vorgesehen.Der Allgemeine Teil des VR-ZGB enthält insgesamt 206 Vorschrif-ten, und die weiteren fünf Bücher der Kodifikation – Vertrags-, Sa-chen-, Delikts-, Ehe- und Familienrecht sowie Erbrecht – sollen bis2020 sukzessiv verabschiedet werden. Für den Allgemeinen Teildes VR-ZGB s www.npc.gov.cn (Quelle: www.npc.gov.cn; Stand17. 11. 2017), abrufbar unter www.npc.gov.cn/npc/xinwen/2017–03/15/content_2018907.htm (Stand 17. 11. 2017)1 f.

4) Vgl ZHOU Youjun, Das Haftpflichtgesetz (2011) 400. Näheres unterII.

5) Vgl YANG Lixin, Haftpflicht und Schadensersatzpflicht (2010) 412.6) Vgl WANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1) 626.

7) Vgl CHENG Xiao, Lehrbuch des Haftpflichtgesetzes (2014) 298.8) Vgl YANG Lixin, Haftpflicht (FN 5) 412.9) Obwohl das Nichtverschuldensprinzip bzw das Prinzip der ver-

schuldensunabhängigen Schadenshaftung grundsätzlich auf dieGefährdungshaftung hinausläuft, verwendet man in der volksrepub-likanischen Schadensrechtsterminologie überwiegend den ersterenBegriff und spricht vom letzteren eher im Rahmen des deutschenTierhalterhaftungsrechts; vgl WANG Liming et al, Auseinanderset-zung (FN 1) 613; ZHOU Youjun,Haftpflichtgesetz (FN 4) 398; YANGLixin, Haftpflicht (FN 5) 412 f.

10) Das Zivilgesetzbuch der Republik China (im Folgenden auch abge-kürzt als ZGB), die erste und bisher noch einzige chinesische Zivil-rechtskodifikation, galt nach dem sukzessiven Erlass seiner fünf Bü-cher zwischen 1929 und 1931 in ganz China bis zum Jahr 1949 undgilt seitdem nur noch in Taiwan, der heutigen Republik China; deut-sche Übersetzung des ZGB in Bünger, Zivil- und Handelsgesetz-buch sowie Wechsel- und Scheckgesetz von China (1934) 101 f.In Anlehnung an § 190 Abs 1 ZGB, der § 56 Abs 2 des schweize-rischen Obligationsrechts stark ähnelt, haftet der Besitzer einesTiers für den durch das Tier einer anderen Person zugefügten Scha-den lediglich gemäß dem Verschuldensprinzip bzw dem Prinzip derHaftung für vermutetes Verschulden, dh, dem Tierbesitzer steht die

walter11) für die vom gehaltenen Tier an anderen Per-sonen verursachten Schäden; der Haftpflichtige kannsich exkulpieren, wenn der Geschädigte selbst oderein Dritter den Schaden verschuldet. Prozessual istdie Haftung vom Verschulden des Beklagten (Tierhal-ter/-verwalter) unabhängig und dem Kläger (Geschä-digten) obliegt keine Beweislast bezüglich des Ver-schuldens des Beklagten. Dem Beklagten gelingt dieExkulpation nur, wenn er das Verschulden des Antrag-stellers oder des Dritten beweisen kann.12) Anwendbarist die Gefährdungshaftungsvorschrift auf sämtlicheTiere, ohne sie – wie im deutschen Tierhalterhaftungs-recht – in Luxus- und Nutztiere zu unterteilen. DieserRechtssatz wies jedoch einige unübersehbare Mängelauf:13) Erstens kann sich der Haftpflichtige pauschaldurch das Verschulden des Geschädigten exkulpie-ren.14) Ein solch ungenauer Exkulpationsansatz, derweder das Ausmaß des (zur Exkulpation erforderli-chen) Verschuldens des Geschädigten (als Vorsatz,grobe, mittlere oder leichte Fahrlässigkeit) noch dessenverschiedene Wirkung für die Haftungsbeschränkungberücksichtigt, wäre zugunsten des Schädigers zu weitausgedehnt und könnte den Geschädigten benachteili-gen. Zweitens lässt das Gesetz bezüglich des Drittver-schuldens eine Regelung dazu missen, ob und inwie-fern der Tierhalter bzw -verwalter auch noch haftet.Drittens kann sich die generell für alle Arten von Tie-ren vorgesehene Gefährdungshaftung, wie unten aus-geführt, letztendlich als problematisch erweisen. Umsomehr, wenn man die Mitverschuldensbemessung vordem Hintergrund der vom Haftpflichtgesetz einge-führten verschiedenen Haftungsstufen in Betrachtzieht.

Das Haftpflichtgesetz geht bei der Tierhalterhaf-tung wiederum von dem zweispurigen Haftungsprin-zip aus, indem es neben der überwiegend vorkomm-enden Gefährdungshaftung noch die mildere Haftungfür vermutetes Verschulden unter den jeweiligen Tat-bestandsvoraussetzungen bestimmt:15) Gem § 78 HS 1HpG haftet der Tierhalter unabhängig von seinemVerschulden für sämtliche sich in seiner Gewalt oderObhut befindenden Tiere,16) also weiterhin ohne dieUnterscheidung zwischen Luxus- und Nutztieren beider Haftungszurechnung. Des Weiteren regeln §§ 79und 80 HpG die noch strengere Gefährdungshaftung17)

für Tiere, die verwaltungsvorschriftswidrig ohne Si-cherheitsvorkehrungen (§ 79) bzw verbotswidrig trotzihrer Aggressivität (§ 80) gehalten werden. Im Gegen-satz dazu werden Zoos in ihrer Schadenshaftung pri-vilegiert, indem sie nur für vermutetes Verschuldenhaften (§ 81).

C. Struktur, System und Regelungsgehaltdes deutschen Tierhalterhaftungsrechts

Das überwiegend aus §§ 833, 834 BGB bestehendedeutsche Tierhalterhaftungsrecht ist ebenfalls zweispu-rig ausgestaltet, indem es sowohl die Gefährdungshaf-tung (§ 833 Satz 1)18) als auch die Haftung für vermute-tes Verschulden (§ 833 Satz 2 und § 834) regelt. Die un-mittelbar schadenanrichtenden Tiere unterteilen sichin Luxus- und Nutztiere, die als Haustiere dem Beruf,der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhal-

ters zu dienen bestimmt sind (§ 833 Satz 2). Die Artder Haftung richtet sich daher nach der Art des Tieresund ferner nach der Person des Pflichtigen:19) Der Hal-ter eines Luxustiers unterliegt dem Gefährdungshaf-tungstatbestand des § 833 Satz 1, während der Nutz-tierhalter und der Aufseher sämtlicher Tiere lediglichfür vermutetes Verschulden Gem § 833 Satz 2 bzw§ 834 Satz 1 haften. Bei der Haftung für vermutetesVerschulden besteht ferner die Möglichkeit zur Exkul-pation des Nutztierhalters oder Tieraufsehers durchWiderlegung entweder seines vermuteten Verstoßesgegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 833Satz 2 Fall 1 und § 834 Satz 2 Fall 1) oder der vermute-ten Kausalität des Tieres20) für die Schadensentstehung(§ 833 Satz 2 Fall 2 und § 834 Satz 2 Fall 2).21)

Die Systematik und Struktur des deutschen Tierhal-terhaftungsrechts, die dank der prägnanten Regelungder Haftung für das Halten und Hüten von Tieren in-haltlich und rechtsphilosophisch profund wirken undferner eine hohe Anwendungselastizität aufweisen,22)

lassen sich tabellarisch folgendermaßen ausführen:23)

Ungeachtet der unterschiedlichen Haftungsarten jenach der Art der Tiere und der Person des Pflichtigenwerden für die Haftung des Tierhalters und -aufsehersferner der Eintritt eines Personen- oder Sachschadens,dessen Verursachung durch ein Tier, nämlich die Ver-wirklichung der spezifischen, typischen Tiergefahr,24)

und die Rechtswidrigkeit der Einwirkung25) vorausge-setzt. Ü

ZfRV [2018] 02 Ü WANG Qiang Ü Eine strukturelle, rechtssystematische und -terminologische Analyse des Tierhalterhaftungsrechts der VR China 81

[RECHTSVERGLEICHUNG]

Möglichkeit des Exkulpationsbeweises offen: Er wird von der Haf-tung freigestellt, wenn er die Anwendung der der Art und Natur desTiers entsprechenden Sorgfalt in dessen Verwahrung oder die Un-abwendbarkeit des Tierschadens trotz der Anwendung dieserSorgfalt nachweist; s hierzu SHI Shangkuan, Schuldrecht – Allge-meiner Teil (2000) 197. Im Folgenden beziehen sich die sog chine-sischen Gesetzeswerke oder die Gesetzeswerke Chinas, wennnicht anders angemerkt, überwiegend auf diejenigen der VR China.

11) Die eher wörtliche deutsche Übersetzung von 动物管理人 als Tier-verwalter anstatt als Tierhüter beruht einerseits auf der teilweisenVergleichbarkeit des Begriffs mit dem in § 834 BGB geregelten Tier-aufseher, andererseits darauf, dass der Begriff im volksrepublikani-schen Tierhalterhaftungsrecht (als paralleles Haftungssubjekt zumTierhalter) nicht legal definiert worden ist; für die deutsche Bezeich-nung Tierhüter vgl hierzu Bollweg et al, ZChinR 18 (2011) 91(103–104). Ausführlich dazu unter IV. 3.7.

12) Vgl YANG Lixin, Haftpflicht (FN 5) 413.13) Vgl ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 400.14) Eine solche Exkulpationsregelung erinnert teilweise an die römische

lex Aqulia, wobei der Geschädigte entweder vollen Ersatz erhieltoder gänzlich leer ausging; vgl hierzu Hausmaninger, Das Schaden-ersatzrecht der lex Aquilia (1996) 29 f.

15) Vgl YANG Lixin, Haftpflicht (FN 5) 413.16) Vgl Bollweg et al, ZChinR 18 (2011) 91, 103.17) Die strengere Gefährdungshaftung für die folgenden zwei Arten von

Tieren beinhaltet, dass auch bei grober Fahrlässigkeit des Geschä-digten keine Haftungsmilderung für den Tierhalter bzw -verwalter inBetracht kommt und erst der Vorsatz des Ersteren den Haftungs-ausschluss des Letzteren bewirken kann. Ausführliche Auseinan-dersetzung mit der Begrifflichkeit unter IV. 3. 2.

18) Der einzige Fall der Gefährdungshaftung im BGB.19) Vgl Schwarz/Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse − Deliktsrecht

− Schadensrecht − Bereicherungsrecht − GoA (2006) 447.20) Vgl Katzenmeier, NomosKommentar zum BGB-Schuldrecht (2016)

§ 833 Rz 10.21) Vgl Schwarz/Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse (FN 19) 450.22) Vgl Eberl-Borges in Staudinger, Kommentar zum BGB (2012) Recht

der Schuldverhältnisse §§ 830 –838 (unerlaubte Handlungen 3)§ 833 Rz 5–10.

23) Vgl Schwarz/Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse (FN 19) 447,450.

24) Vgl Schwarz/Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse (FN 19) 450.25) Vgl Eberl-Borges in Staudinger (FN 22) § 833 BGB Rz 30.

Art des TieresHaftpflichtiger

Luxustier (Tier, das kein Nutztier iSd § 833Satz 2 BGB ist)

Nutztier (Haustier, das dem Beruf, der Er-werbstätigkeit oder dem Unterhalt des

Tierhalters gem § 833 Satz 2 BGB zu die-nen bestimmt ist)

Tierhalter § 833 Satz 1 BGB § 833 Satz 2 BGB

Haftungsart: Gefährdungshaftung Haftungsart: Haftung für vermutetesVerschulden

Exkulpationsvoraussetzungen (§ 833Satz 2 Fall 1 und 2): Beobachtung der imVerkehr erforderlichen Sorgfalt durch denTierhalter bei der Beaufsichtigung des Tiersoder Unvermeidbarkeit des Schadens trotz

der Anwendung dieser SorgfaltRechtsfolge: Haftungausschluss (ohneRücksicht auf das Mitverschulden des

Geschädigten)

Tieraufseher § 834 BGB

Haftungsart: Haftung für vermutetes VerschuldenExkulpationsvoraussetzungen (§ 834 Satz 2 Fall 1 und 2): Beobachtung der im Verkehr

erforderlichen Sorgfalt durch den Tieraufseher bei der Führung der Aufsicht über das Tier oderUnvermeidbarkeit des Schadens trotz Anwendung dieser Sorgfalt

Rechtsfolge: Haftungsausschluss beim vermuteten Verschulden (ohne Rücksicht auf dasMitverschulden des Geschädigten)

Tabelle 1: System und Struktur des deutschen Tierhalterhaftungsrechts

D. Struktur, System und Regelungsgehaltdes Tierhalterhaftungsrechts der VR China

1. Inhaltlicher ÜberblickDas in Kap 10 Haftpflichtgesetz statuierte Tierhalter-haftungsrecht umfasst insgesamt sieben Artikel(§§ 78– 84). Als allgemeiner Grundsatz regelt § 78HS 1 die generelle Gefährdungshaftung des Tierhaltersoder -verwalters für die von sämtlichen gehaltenenTieren an anderen Personen verursachten Schäden.In Erweiterung der Regelung der Haftungsbefreiung(durch Vorsatz des Geschädigten) nach § 27 HpG be-stimmt § 78 HS 2 zudem die Haftungsbefreiung oder-minderung aufgrund nicht nur vorsätzlicher, sondernauch grob fahrlässiger Schadensherbeiführung durchden Geschädigten. Die unklare Abgrenzung der haf-tungsausgleichenden Wirkung des Vorsatzes von der-jenigen der groben Fahrlässigkeit seitens des Geschä-digten hat jedoch das schwer konkretisierbare Maß derin §§ 79–80 HpG vorgesehenen strengeren Haftungzur Folge.

Anschließend sieht das Tierhalterhaftungsrecht diestrengere Haftung für denjenigen Tierhalter bzw -ver-walter vor, dessen schadenanrichtende Tiere verwal-tungsvorschriftswidrig ohne Ergreifung von Sicher-heitsmaßnahmen (§ 79 HpG) oder trotz ihrer Aggres-sivität und ihrer Einstufung als gefährliche Tiere – wiezB gefährliche Hunde – verbotswidrig (§ 80 HpG) ge-halten worden sind. Die Zoos werden jedoch bezüglichihrer Schadenshaftung durch das Spezialgesetz privile-giert, indem sie nur für vermutetes Verschulden an-statt für die bloße Schaffung der Tiergefahr haften. IhreHaftung entfällt, wenn sie die Einhaltung ihrer Verwal-tungspflichten beweisen können (§ 81 HpG). Eine sol-che Exkulpationsmöglichkeit erinnert in erster Linie andie Regelung der Tierhalterhaftung des schweizeri-schen Obligationenrechts (OR), die von einer einfa-chen Kausalhaftung ausgeht.26)

§ 82 HpG stellt klar, dass die alleinige Aufgabe derHalter- bzw Verwaltereigenschaft den Haftpflichtigennicht von der Haftung entbindet,27) denn für den voneinem ausgesetzten oder entlaufenen Tier verursachtenSchaden haftet der ursprüngliche Halter bzw Verwalterso lange, wie das Tier entlaufen oder ausgesetztbleibt.28) Mit § 83 regelt das Haftpflichtgesetz die Fälle,in denen der Tierschaden auf das Verschulden einesDritten zurückgeht und ordnet zugunsten des An-spruchsberechtigten zwei alternative Möglichkeitender Geltendmachung seines Anspruchs an: Es stehtihm frei, seinen Ersatzanspruch entweder gegen denTierhalter/-verwalter oder den Dritten zu richten.Dem Ersteren gebührt nach seiner Schadenersatzleis-tung der Rückgriff auf den Letzteren. Letzten Endesschreibt § 84 HpG bei der Tierhaltung noch die Ein-haltung der rechtlichen Ordnung sowie die Respektie-rung gesellschaftlicher Sitten vor und verbietet die Be-einträchtigung des Lebens anderer Personen.

ZfRV

82 Ü WANG Qiang Ü Eine strukturelle, rechtssystematische und -terminologische Analyse des Tierhalterhaftungsrechts der VR China ZfRV [2018] 02

[RECHTSVERGLEICHUNG]

26) Gem Art 56 Abs 1 OR (Haftung für Tiere/I. Ersatzpflicht) haftet derTierhalter zB nicht, wenn er nachweist, „dass er alle nach den Um-ständen gebotene Sorgfalt in der Verwahrung und Beaufsichtigungangewendet habe oder dass der Schaden auch bei Anwendungdieser Sorgfalt eingetreten wäre“; vgl näher Wittibschlager, Einfüh-rung in das schweizerische Recht (2000) Rz 454.

27) Vgl das deutsche Recht mit derselben Stellungnahme bei Eberl-Borges in Staudinger (FN 22) § 833 BGB Rz 106.

28) Nach der heutigen vom BGH vertretenen Ansicht entfällt allein mitdem Entlaufen eines Tieres die mit der Haltereigenschaft verbun-dene Haftung grundsätzlich noch nicht, auch wenn das Tier fürden Halter als endgültig verloren gilt. Obwohl mit dem endgültigenVerlust des Tierbesitzes die Halterschaft nach den bisherigen Krite-rien entfällt, ist es unbillig, dem Geschädigten aus dem Grund denErsatzanspruch zu verweigern. Da der Halter für die Schaffung undUnterhaltung der Gefahrenquelle haftet, sollten ihn auch die Folgendes Entlaufens treffen. Diese aufgrund der Halterschaft nachwir-kende Haftung entfällt aber, sobald eine andere Person (zB der Fin-der) der neue Halter wird; vgl hierzu Eberl-Borges in Staudinger(FN 22) § 833 BGB Rz 106–107 f mwN.

2. Leistung auf Makroebene

Wie bereits dargestellt, legt das Haftpflichtgesetz demSystem der Tierhalterhaftung für Tierhaltung andersals die Tierarten –wie im deutschen BGB – unmittelbardie Arten der Tierschadenshaftung29) zugrunde. In Ein-klang damit versucht das chinesische Tierhalterhaf-tungsrecht, den Grad der Haftung (als Rechtsfolge) andas differenzierteMaß der von verschiedenen Tierartenausgehenden Gefahr (im Rahmen des Tatbestands) an-zupassen. Das insofern mehrschichtige Verschuldens-zurechnungssystem erfasst stufenweise die mildereHaftung für vermutetes Verschulden (§ 81 HpG), dieGefährdungshaftung (§ 78 HpG), schließlich die nochstrengere Gefährdungshaftung (§§ 79–80 HpG).

Da sich ein ausgesetztes oder entlaufenes Tier (§ 82HpG) oder ein aufgrund des Verschuldens eines Drit-ten schädigendes Tier (§ 83 HpG) ausnahmslos einerder Tierarten, auf die die drei Haftungsstufen anwend-bar sind, zuordnen lässt, variiert der Umfang der Haf-tung für ein derartiges Tier ebenfalls dementspre-chend. Eine solche, mehrschichtig strukturierte Haf-tungssystematik, an die die Tierhalterhaftung in denzwei Sonderfällen anknüpft, stellt den Rechtsprakti-kern direkte und konkrete Anhaltspunkte zur Verfü-gung. Diese zumindest konzeptionelle und insoweitauch auf der Makroebene ausgeklügelte Systematikstellt eine zentrale Erneuerungsleistung des chinesi-schen Tierhalterhaftungsrechts dar, vor allem auchim Vergleich mit demjenigen vieler europäischer Län-der, darunter des deutschen.

3. Nähere Betrachtung desRegelungsgehalts mit Analyse derProblematik auf Mikroebene

Würdigt man einerseits die Vorzüge des vom volksre-publikanischen Gesetzgeber konzipierten Systems derHaftungszurechnung auf der Makroebene, so darf manandererseits die Probleme bei dessen Umsetzung insbauf der Mikroebene der Rechtssätze jedoch nicht außerAcht lassen. Weil man hier hauptsächlich nur enume-rativ aufgezählte Sonderformen normiert hat, anstattsich zu einer gründlichen Regelung der Haftung fürTierhaltung und -verwaltung (wie etwa in § 833 Satz 1BGB) zu entschließen, gelingt letztendlich keine um-fassende Lösung der Haftungsprobleme.30) Überflüssigerscheint zB der juristisch fast ausgehöhlte Rechtssatzdes § 84 HpG,31) insb aus Sicht des deutschen Delikts-rechts, denn darin enthaltenen Gebote und Verbote,die darauf hinauslaufen, dass der Normadressat dieNormen zu beachten habe,32) sind selbstverständlichund wiederholen teilweise das bereits durch§§ 79–80 HpG Angeordnete. Eine nähere inhaltlicheund rechtsfunktionelle Betrachtung der Einzelvor-schriften mit den einschlägigen rechtspolitischen undsozialen Hintergründen sollte für die Analyse ihrer Re-gelungsproblematik aufschlussreich sein.

a) Grundsatz der Gefährdungshaftung

§ 78 HpG als Grundsatz der Gefährdungshaftung

§ 78 HpG regelt nicht nur das Prinzip der Gefähr-dungshaftung für sämtliche Tiere (HS 1), sondern zu-

gleich den Grundsatz der Haftungsbefreiung oder-minderung zugunsten des Tierhalters bzw -verwalters(HS 2) im Rahmen des gesamten Tierhalterhaftungs-rechts. Der letztere Grundsatz dient, wie noch auszu-führen ist, zugleich als definitorische Grundlage für diefolgenden Vorschriften, die die strengere Haftung an-ordnen. Mit einer solchen Strategie, die den spezifi-schen Maßstab für die Mitverschuldensbemessung di-rekt in ein Spezialgesetz integriert, geht man allerdingsdas Risiko ein, die Möglichkeiten des Verschuldens-ausgleichs unvollständig aufzuzählen und daher auf-grund von Regelungslücken die einschlägige Rechtsan-wendung unter Umständen wieder im Zuge von Un-gewissheit und Streitigkeit zu erschweren.

Über die haftungsausschließende Wirkung der vor-sätzlichen Schadensherbeiführung durch den Geschä-digten sind sich die chinesischen Juristen grundsätzlicheinig.33) Dissens herrscht jedoch darüber, ob die grobeFahrlässigkeit des Geschädigten nur Haftungsminde-rung oder noch Haftungsbefreiung für den Tierhalterbzw -verwalter bewirken kann.34) Diese Streitlage be-ruht zum Teil auf dem eher zweideutigen Wortlautdes § 78 HS 2 HpG: „[. . .] ist die Schadensverursa-chung durch den Vorsatz oder die grobe Fahrlässigkeitdes Geschädigten beweisbar, kann es die Haftungsbe-freiung oder -minderung [des Tierhalters/-verwalters]zur Folge haben“. Die sich teilweise überschneidendenFormulierungen der §§ 26 und 27 HpG,35) die den Haf-

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[RECHTSVERGLEICHUNG]

29) Vgl WANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1) 626.30) Vgl Bollweg et al, ZChinR 18 (2011) 91, 103.31) Ohne konkrete Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolge ist

die Vorschrift untauglich als Anspruchsgrundlage für den Geschä-digten; vgl hierzu ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 401.

32) Vgl Bollweg et al, ZChinR 18 (2011) 91, 103.33) Vgl etwaCHENG Xiao, Lehrbuch (FN 7) 304; YANG Lixin,Haftpflicht

(FN 5) 418; ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 410.34) Nach der von CHENG Xiao unter Berufung auf Art 4 Abs 1 Nr 5 der

chinesischen Verordnung über die Beweisführung im Zivilprozessvertretenen Ansicht solle der Tierhalter bzw -verwalter immer nochder Haftung, jedoch in gemildertem Maße, unterliegen, wenn derGeschädigte mit grober Fahrlässigkeit den Schaden herbeigeführthat. Sowohl beim vorsätzlichen als auch beim grob fahrlässigenMit-verschulden des Geschädigten trage der Tierhalter bzw -verwalterdie Beweislast; vgl hierzu CHENG Xiao, Lehrbuch (FN 7) 304. Imdeutschen Schadensrecht wird die Ansicht vertreten, dass bei grobfahrlässiger Verletzung bestimmter Vorsichtsmaßnahmen durchden Geschädigten der Tierhalter wegen überwiegenden Mitver-schuldens des Geschädigten von der Haftung befreit werdenkönne; bpsw wenn jemand ohne zwingenden Grund an einemfremden Pferd so nahe vorbeigeht, dass er sich den Angriffs- undVerteidigungsbewegungen des Pferdes ausgesetzt hat; vgl hierzuKatzenmeier (FN 20) § 833 BGB Rz 27. YANG Lixin vertritt eine dif-ferenzierte Auffassung: Die grobe Fahrlässigkeit des Geschädigtensolle für den Tierhalter bzw -verwalter haftungsausschließend wir-ken, falls sie allein für den Schaden ursächlich sei und den Letzterenkein Verschulden treffe, was der Position des deutschen Schadens-rechts ähnelt. Anderenfalls solle die grobe Fahrlässigkeit des Ge-schädigten lediglich eine Haftungsmilderung für den Haftpflichtigenbewirken. In der Rechtspraxis müsse laut YANG der grob fahrlässighandelnde Verletzte noch das Verschulden des Tierhalter bzw -ver-walters beweisen, damit der Letztere zumindest teilweise hafte; vglhierzu YANG Lixin, Haftpflicht (FN 5) 418–419. Da für das chinesi-sche Tierhalterhaftungsrecht im Wesentlichen die Gefährdungshaf-tung gilt und durch eine Haftungsmilderung des Haftpflichtigen dergrob fahrlässige Beitrag des Geschädigten zum Schaden bereitsgenügend berücksichtigt wird, geht die vorliegende Arbeit davonaus: Auch wenn das grob fahrlässige Handeln des Geschädigtendie alleinige Schadensursache ist, ganz zu schweigen davon, wennes sich dabei um die überwiegende Schadensursache handelt,sollte die Haftung des Haftpflichtigen nur gemildert, jedoch nichtausgesetzt werden, damit die Gefährdungshaftung auch in dem Fallzum Tragen kommt.

35) Gem § 27 HpG wird der Schädiger von der Haftung befreit, wennder Schaden auf dem Vorsatz des Geschädigten beruht, während§ 26 HpG zufolge die Mitverursachung des Schadens durch den

tungsausgleich im Rahmen des ganzen Haftpflichtge-setzes im Grundsatz regeln, bieten auch keinen trifti-gen Hinweis zur Lösung der Streitigkeit. Ein derartigesProblem verhindert das deutsche BGB durch § 254 miteiner sauberen Regelungstechnik, die eine wirkungs-vollere Grundlage für die Rechtspraxis bildet, um dasMitverschulden und dessen Umfang feststellen und dieangemessene Rechtsfolge verhängen zu können.36)

Grundsatz über die Wirkung der höheren Gewalt

Im Gegensatz zu der enumerativen Aufzählung derMöglichkeiten der Haftungsbefreiung oder -minde-rung hat das chinesische Tierhalterhaftungsrecht unlo-gischerweise die diesbezügliche Wirkung der höherenGewalt nicht erfasst. Das deutsche Recht schließt dieHaftung, und zwar auch in puncto der Gefährdungs-haftung, grundsätzlich aus, wenn die Rechtsgutsverlet-zung auf höherer Gewalt beruht.37) Es lässt sich leichtschließen, dass dasselbe Prinzip analog auch auf dasdeutsche Tierhalterhaftungsrecht anwendbar ist, ob-wohl das Prinzip der höheren Gewalt dort keine un-mittelbare rechtliche Verwurzelung findet.

Durch § 29 statuiert das Haftpflichtgesetz nur einegenerelle Klausel für die Befreiung von der Haftung fürden auf höhere Gewalt zurückzuführenden Schadenmit allerdings einer sehr allgemeinen Formulierungdes Tatbestands und der Rechtsfolge. Mit § 29 stelltdas Haftpflichtgesetz eine generelle Haftungsbef-reiungsklausel für den durch höhere Gewalt verursach-ten Schaden, die jedoch lediglich eine sehr allgemeineFormulierung des Tatbestands und der Rechtsfolgeenthält, womit auch die Anwendbarkeit auf die Tier-halterhaftung eingeschränkt wird. Fraglich ist bspw, obdie Vorschrift für sämtliche Tiere gelten sollte. Dies-bezüglich wird die Lehrmeinung in China äußerstsorgfältig begründet. Einerseits wird vorgeschlagen,angesichts des durch höhere Gewalt verursachtenTierschadens doch die für deutsches Haftungsrechtausschlagegebende Unterscheidung der Tierarten he-ranzuziehen:38) Handelt es sich beim schädigenden Tierum ein Nutztier, solle der Haftpflichtige von der Haf-tung befreit werden, wenn er seine Aufsichtspflicht er-füllt habe; für Luxustierschäden müsse durchgehendgehaftet werden, auch wenn den Haftpflichtigen keinVerschulden treffe. Andererseits wird die Auffassungvertreten,39) da die chinesische Gesetzgebung die Tei-lung der Tiere in Luxus- und Nutztiere nicht kenne,müsse der schuldlose Tierhalter/-verwalter ungeachtetder Art des Tieres generell nicht für den Tierschadenin Folge höherer Gewalt haften; für einen schuldhaftenTierhalter/-verwalter sei seine Haftung je nach Ver-schuldensmaß zu reduzieren. Für verbotsvorschrifts-widrig gehaltene gefährliche Tiere gem § 80 HpG sollejedoch kein Haftungsausschluss gelten, auch wenn diehöhere Gewalt die einzige Schadensursache sei.

In dem Zusammenhang liegt folgende Auffassungdem vorliegenden Beitrag zugrunde: Für Luxustiere,darunter idR auch die die strengere Haftung auslösen-den Tiere, sollte bei den auf höherer Gewalt beruhen-den Tierschäden aufgrund der den Bürgern auferlegtenhöheren Duldungspflicht generell in vollem Umfanggehaftet werden; für Nutztiere sollte der Haftungsaus-schluss greifen, auch wenn ein Verschulden des Tier-

halter/-verwalters vorliegt, solange es nicht zur Scha-densentstehung beigetragen hat; sind jedoch sowohldas Verschulden des Nutztierhalters/-verwalters alsauch die höhere Gewalt für die Schadensentstehungursächlich, sollte der Tierhalter/-verwalter, gemessenan der Bedeutung seines Verschuldens, als Schadens-ursache haften.

b) Strengere Haftung undihre substantielle Bedeutung

Strengere Gefährdungshaftunggem §§ 79 und 80 HpG

Die durch § 79 HpG geregelte Haftung für den Verstoßgegen die Sicherheitsvorschriften bei der Tierhaltungscheint zum einen neben § 78 HpG überflüssig, denndie Gefährdungshaftung beinhaltet bereits denselbenHaftungsumfang, und erweckt zum anderen als einekaum erkennbare Ausnahme zu § 78 HpG40) eherden Eindruck, als ob die nachgewiesene Einhaltungder Sicherheitsvorschriften dann den Haftpflichtigenvon der Gefährdungshaftung entbinden würde.41) Daes eine „verschuldensabhängige Gefährdungshaftung“aus rechtswissenschaftlicher Sicht nicht geben kann, istsich das Schrifttum im Festland China zumindestüberwiegend einig, dass mit § 79 HpG nicht lediglichdie Gefährdungshaftung iSd § 78 gemeint sein kann,sondern es sich um diejenige im strengeren Sinne han-deln muss.42) Ferner ist man der Meinung, dass dashöhere Haftungsmaß darin liege, dass der Tierhalterbzw -verwalter aufgrund des Unterlassens von Sicher-heitsmaßnahmen in höherem Maße für denselbenTierschaden zur Verantwortung gezogen werdenmüsse: Es solle ihm erschwert werden, das eigene Ver-schulden mit dem des Geschädigten auszugleichen.43)

Bspw solle das Verschulden des Geschädigten, dasden Haftpflichtigen im Normalfall bereits von der Haf-tung freistelle, den Haftungsumfang des Schädigersnun lediglich mildern.

ZfRV

84 Ü WANG Qiang Ü Eine strukturelle, rechtssystematische und -terminologische Analyse des Tierhalterhaftungsrechts der VR China ZfRV [2018] 02

[RECHTSVERGLEICHUNG]

Geschädigten eine Haftungsmilderung für den Schädiger bewirkenkann.

36) Vgl Grüneberg in Palandt, Kommentar zum BGB (2015) § 254Rz 1 ff.

37) Befreit von der Haftung für den durch höhere Gewalt verursachtenUnfall wird bspw der Halter eines Kraftfahrzeugs oder eines von ei-nem Kraftfahrzeug mitgeführten Anhängers (gem § 7 Abs 2 StVG)oder der Betriebsunternehmer einer Schienen- oder Schwebebahn(gem § 1 Abs 2 HPflG), der eigentlich der Gefährdungshaftung un-terliegt; vgl hierzu Röthel, Gefährdungshaftung, Jura 34 (2012/Re-petitorium) 444, 445.

38) ZHANG Xinbao, Pflicht zum Ersatz des vom gehaltenen Tier verur-sachten Schadens, Chinese Journal of Law 1994 (Heft 2) 89, 95.

39) Vgl YANG Lixin, Haftpflicht (FN 5) 420.40) Vgl Bollweg et al, ZChinR 18 (2011) 91, 103.41) Dies liegt zum Teil an der durch § 79 HpG verschuldenshaftungs-

ähnlich formulierten Tatbestandsvoraussetzung und Rechtsfolgeder Gefährdungshaftung: Der Tierhalter bzw -verwalter muss haf-ten, wenn ein Tier einer anderen Person Schaden zufügt, weil erkeine Sicherheitsmaßnahmen gegen das Tier ergriffen hat. DieserLogik zufolge ließe sich die Vorschrift leicht in eine der Verschul-denshaftung umdeuten. Der Sinn der Regelung und die Ungewiss-heit insoweit, ob die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften dochden Haftpflichtigen von der Gefährdungshaftung befreien soll undkann, sorgen wiederum für Verwirrung und Streit unter den volks-republikanischen Rechtsgelehrten; vgl hierzu etwa YANG Lixin,Haftpflicht (FN 5) 422–423.

42) VglWANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1) 628; ZHOU Yo-ujun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 412; YANG Lixin, Haftpflicht (FN 5)421.

43) Vgl YANG Lixin, Haftpflicht (FN 5) 422–423; ZHOU Youjun, Haft-pflichtgesetz (FN 4) 412.

Das Verhältnis der noch strengeren Haftung für ge-fährliche Tiere gem § 80 HpG ist von der allgemeinenGefährdungshaftung des § 78 HpG ebenfalls nicht klarabgrenzbar. Vielmehr scheint es, als würde § 80 HpGlediglich den Einwand qualifizierten Mitverschuldensausschließen.44) Die schuldhafte Verletzung der Ver-botsvorschriften (auf verschiedenen Verwaltungsebe-nen)45) und Haltung der gefährlichen Tiere (nebender Verwirklichung der Tiergefahr)46) als Tatbestands-voraussetzungen für die Haftung des Tierhalters/-ver-walters erschweren – ähnlich wie im Fall des § 79 – dieeindeutige Einordnung der Vorschrift in das zugrundegelegte (Tierhalter-)Haftungskonzept. Trotzdem be-steht hinsichtlich des Regelungsgehalts des § 80 HpGEinigkeit, dass dieser nicht nur eine strengere, sondernvielmehr die strengste Gefährdungshaftung zum Ge-genstand hat,47) da durch die Haltung gefährlicherTiere eine Quelle äußerst großer Verletzungsgefahr ge-schaffen werde.

Kerninhalt und substantielle Bedeutungder strengeren Haftung

Wie bereits dargelegt, zielt das Haftpflichtgesetz mitder strengeren Haftung id §§ 79 und 80 HpG spezi-fisch darauf ab, dem Haftpflichtigen den Ausgleichseines Verschuldens mit dem des Geschädigten zu er-schweren. Für den Fall, dass der von einem ohne Si-cherheitsvorkehrungen oder verbotsvorschriftswidriggehaltenen gefährlichen Tier Geschädigte seinenSchaden vorsätzlich herbeigeführt hat, fallen die An-sichten mangels einer eindeutigen Gesetzesregelungauseinander: Unverständlicherweise sehen mancheGelehrten im Vorsatz des Geschädigten einen Grundfür die Haftungsfreistellung, jedoch nicht für eine-milderung;48) manche schließen aufgrund des höhe-ren Haftungsumfangs grundsätzlich jegliche Haf-tungsreduzierung für den Haftpflichtigen aus, auchwenn der Geschädigte den Schaden vorsätzlich ver-schuldet hat;49) im Gegensatz dazu halten manche so-wohl die haftungsfreistellende als auch -milderndeWirkung des vorsätzlichen Handelns durch den Ge-schädigten für vertretbar.50)

Nach §§ 26 und 27 HpG kann der Vorsatz des Ge-schädigten eine Haftungsfreistellung oder -milderungbzw dessen Fahrlässigkeit eine Haftungsmilderungbewirken. Die strengere Gefährdungshaftung iSd§§ 79–80 HpG kommt gerade dadurch zur Geltung,dass der Haftpflichtige trotz der groben Fahrlässigkeitdes Geschädigten nicht in kleinerem Umfang haftet,ganz zu schweigen von einer Haftungsbefreiung.51)

Im Rahmen der normalen Haftung gem § 27 HpGsollte die vorsätzliche Schadensverursachung durchden Geschädigten den Tierhalter/-verwalter eigentlichvon der Haftung freistellen. Der Ansatz der Verschär-fung der Haftung des Schädigers zugunsten des Ge-schädigten – trotz vorsätzlichen Handelns desselben– vom Haftungsausschluss hin zur Haftungsminde-rung entspricht nicht nur dem konzeptionellen Aus-gangspunkt der strengeren Haftung, sondern auchdem Prinzip der Haftungsfreistellung bzw -minde-rung.52) Daher geht die vorliegende Arbeit bezüglichder sog strengeren Haftung des Tierhalters/-verwaltersvon folgendem Grundsatz aus: Trotz der groben Fahr-

lässigkeit des Geschädigten sollte der Haftpflichtige invollem Umfang für den Tierschaden einstehen müs-sen. Für ihn ist jegliche Haftungsmilderung oder -be-freiung ausgeschlossen. Für den vom Verletzten vor-sätzlich verursachten Schaden kommt nach dem Ver-schuldensausgleichsprinzip für den Haftpflichtigenlediglich eine Haftungsminderung, jedoch kein Haf-tungsausschluss (mehr) in Frage.

Im Kontext der strengeren Haftung scheint die inChinas Tierhalterhaftungsrecht konzipierte Berücksich-tigung des Verschuldens gegen den Verletzten selbst53)

äußerst einseitig und lückenhaft, vor allem im Vergleichmit der § 254 BGB zugrundeliegenden Regelungstech-nik. Dank der Pandektistik dient diese allgemein schuld-rechtliche Vorschrift zugleich als Grundsatz für die Be-messung des Verletztenbeitrags zur Schadensentstehungsowie für die Abwägung der beiderseitigen Verschul-densanteile im Bereich der Tierhalterhaftung.54) Mitder eindeutigen Anordnung dahin55) erfolgt die Mitver-schuldensbemessung durch die Abwägung des objekti-ven Beitrags des Geschädigten zum Schaden sowie desGrads des Sorgfaltsverstoßes des Verletzten gegen daseigene Sicherheitsinteresse zur Gefahrverantwortungdes Tierhalters.56) Damit lässt sich ein objektiverer undgerechterer Verschuldensausgleich mit vielfachen An-wendungsmöglichkeiten und einer besserenQuotierbar-keit57) des jeweiligen Verschuldensbeitrags verwirkli-chen. Weder eine solche als Grundsatz dienende Vor-schrift für die objektive Abwägung der beiderseitigenVerschuldensanteile noch eine entsprechende Verwei-sungsmöglichkeit hat das volksrepublikanische Tierhal-terhaftungsrecht vorgesehen.

c) Verschuldenshaftung der Zoos gem § 81 HpGAls einzige Ausnahme zu der grundsätzlichen Gefähr-dungshaftung im Rahmen des Tierhalterhaftungs-rechts ordnet § 81 HpG für Zoos die Verschuldenshaf-

ZfRV [2018] 02 Ü WANG Qiang Ü Eine strukturelle, rechtssystematische und -terminologische Analyse des Tierhalterhaftungsrechts der VR China 85

[RECHTSVERGLEICHUNG]

44) Vgl Bollweg et al, ZChinR 18 (2011) 91, 104.45) Vgl WANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1) 629.46) Vgl WANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1) 630.47) Vgl WANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1) 630; YANG Li-

xin, Haftpflicht (FN 5) 423.48) Vgl etwa CHENG Xiao, Lehrbuch (FN 7) 300.49) Vgl etwa WANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1) 637.50) Vgl etwa ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 411–412.51) Vgl YANG Lixin, Erläuterungen der Vorschriften des Haftpflichtge-

setzes der VR China und deren Anwendung in der Justiz (2010)506.

52) Vgl zustimmend etwa YANG Lixin, Haftpflicht (FN 5) 423. Die auchin Chinas Gelehrtenkreis verwendete Bezeichnung der strengerenHaftung als „absolute Haftung“ oder „absolut strengere Haftung“(vgl hierzu CHENG Xiao, Lehrbuch [FN 7] 300; YANG Lixin, Haft-pflicht [FN 5] 420) ist deshalb problematisch, weil das Verschuldendes Verletzten auch bei einer solchen Haftung immer noch zur Be-schränkung der dem Haftpflichtigen obliegenden Haftung führenkann, anstatt ihn bedingungslos oder „absolut“ haftbar zu machen.Durch „stärkere“ bzw „strengere“ Haftung kommt bereits der be-treffende Rechtsgedanke zur Geltung.

53) Vgl für den Begriff Grüneberg in Palandt (FN 36) § 254 BGB Rz 1.54) Vgl Eberl-Borges in Staudinger (FN 22) § 833 BGB Rz 197 ff.55) In Anlehnung an § 254 Abs 1 BGB hängt beim mitwirkenden Ver-

schulden des Geschädigten an der Schadensentstehung „die Ver-pflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzesvon den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Scha-den vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teile verursachtworden ist“.

56) Vgl Eberl-Borges in Staudinger (FN 22) § 833 BGB Rz 198.57) Vgl den Begriff bei Eberl-Borges in Staudinger (FN 22) § 833 BGB

Rz 188.

tung und damit auch die Umkehr der Beweislast fürdie Einhaltung der Aufsichtspflicht zu ihrer Entlastungan.58) Die Privilegierung von Zoos bei der Tierscha-denshaftung liege in ihrer Natur als öffentliche, ge-meinnützige Einrichtung und ihrer Zugänglichkeitfür die Öffentlichkeit. Die Gefährdungshaftung könneeinem Zoo sonst die Erfüllung dieser Funktion er-schweren und damit letzten Endes auch die Öffentlich-keit belasten.59) Die Privilegierung beschränkt sich al-lerdings auf die staatlich und hauptsächlich in denstädtischen Gebieten betriebenen Zoos60) oder Safari-parks.61) , 62) Im Gegensatz dazu müssten die privat be-triebenen Zoos auf der Grundlage der Gefährdungs-haftung die Tierschäden je nach dem in §§ 78−80HpG festgelegten Haftungsmaß verantworten. Offen-sichtlich ist diese teilweise im Schrifttum63) befürwor-tete Privilegierung der staatlich betriebenen Zoos ge-genüber den privat Betriebenen widersprüchlich undauch nicht triftig, da die von einem Zoo gehaltenenTiere fast ausnahmslos gefährliche Tiere umfassenund ein privater Zoo genauso wie ein staatlicher ge-meinnützig und für die Öffentlichkeit zugänglich seinkann.

Davon abgesehen wird die Praxis, Zoos grundsätz-lich bei ihrer Haftung gegenüber sonstigen Tierhalternbzw -verwaltern zu privilegieren, in der Volksrepublikdurchaus als unangemessen kritisiert:64) Dadurchwerde der gesetzliche Gleichheitsgrundsatz verletzt,da die durch Zootiere verursachten Schäden sich nichtvon den durch sonstige Tiere verursachten unterschei-den können. Außerdem widerspreche sie dem Prinzipder abstrakten Persönlichkeit im Zivilrecht. Die aufkonkreter Persönlichkeit basierende rechtliche Sonder-behandlung der Zoos sei als eine Ausnahme von demPrinzip nicht rechtfertigbar. Letzten Endes verstoßedie Praxis gegen den Grundsatz der gleichmäßigenÜbernahme der öffentlichen Last zum Nachteil derdurch die Zootiere Verletzten.

Zudem ist in der Lehre noch umstritten, ob dasVerschulden des von einem Zootier Geschädigten,wie zB Füttern oder Provozieren des Tieres, zur Haf-tungsminderung oder -befreiung des Zoos führenkann. Von den drei möglichen Lösungsansätzen −dass das Verschulden des Geschädigten keinerlei Aus-wirkung auf die Haftung des Zoos habe, dass erst derVorsatz und die grobe Fahrlässigkeit des Geschädig-ten Haftungsausschluss bzw -minderung für den Zoobewirkten oder dass bereits jegliche Form der Fahr-lässigkeit (und erst recht Vorsatz) seitens des Geschä-digten haftungsbefreiend bzw -mindernd wirke − ver-treten einige Rechtsgelehrte65) in China in Ermange-lung triftiger Gründe den dritten Lösungsansatz. DasHerunterstufen der Haftung von der prinzipiell ge-fährdungsorientierten hin zur verschuldensabhängi-gen mit gleichzeitiger Exkulpationsmöglichkeit stelltjedoch bereits eine haftungsmindernde Ausnahmedar. Der letzte Ansatz, die Haftung des Zoos bereitsbei leichter Fahrlässigkeit zu mindern bzw auszu-schließen, steht daher für eine unvertretbare, übermä-ßige Privilegierung von Zoos durch Verdrängung derRechtsinteressen der Verletzten, denen ein Zoo in sei-ner Funktion als öffentliche Einrichtung eigentlichdienen sollte.

d) Haftung für ausgesetzte oder entlaufene Tieregem § 82 HpG

Die in § 82 HpG geregelte Sonderform der fortdau-erenden Haftung für ausgesetzte oder entlaufene Tiere,die der volksrepublikanische Gesetzgeber dem § 1385des französischen Zivilgesetzbuchs Code civil entlehnthat, würdigen die hiesigen Juristen66) einstimmig alseine zentrale Innovationsleistung des Haftpflichtgeset-zes. Inwieweit und wie sich die Haftung nach der Aus-setzung oder dem Entfliehen fortsetzt, hängt allerdings– wie bereits erwähnt – von den ursprünglich auf diejeweiligen Tierarten anwendbaren Haftungsstufen abund ist angesichts einiger durch die Regelungslückenbedingter, anwendungsbezogener Unklarheiten klä-rungsbedürftig.

Fallen die entlaufenen oder ausgesetzten Tiere un-ter diejenigen, die § 78 HpG zufolge eine normale Ge-fährdungshaftung auslösen, sollten der Vorsatz und diegrobe Fahrlässigkeit des Verletzten die Haftung des ur-sprünglichen Tierhalters/-verwalters ausschließen bzwbeschränken. Handelt es sich aber bei den ausgesetztenoder entlaufenen Tieren um ohne Sicherheitsvorkeh-rungen oder verbotsvorschriftswidrig gehaltene ge-fährliche Tiere iSd §§ 79 bzw 80 HpG, dann greiftdie strengere Haftung ein: Dh die grobe Fahrlässigkeitdes Geschädigten wird weder den ursprünglichen Tier-halter/-verwalter von der Haftung freistellen nochseine Haftung mindern, während das vorsätzlicheHandeln des Geschädigten mE nur haftungsmin-dernde Wirkung hat. Dies lässt sich insb dadurchrechtfertigen, dass der Tierhalter bzw -verwalter nebender Schaffung der mit der Tierhaltung verbundenengrößeren Gefahrenquelle ferner für das Entlaufen oderdie Aussetzung der Tiere einzustehen hat.

Der in der VR China herrschenden, juristisch frag-würdigen Lehrmeinung,67) dass ein Zoo – lediglich umder sog Rechtseinheitlichkeit willen – für die aus ihmentflohenen oder von ihm ausgesetzten Tiere ebenfallsweiter nur aus Verschuldenshaftung hafte, ist Folgen-des entgegenzuhalten: Auf die von einem Zoo gehalte-nen Tiere sind – ungeachtet der Verschuldenshaftungals Ausnahmeregel – eigentlich sowohl die Gefähr-dungs- als auch die strengere Gefährdungshaftung an-wendbar. Mit der Herabsetzung der Haftungsstufe auf

ZfRV

86 Ü WANG Qiang Ü Eine strukturelle, rechtssystematische und -terminologische Analyse des Tierhalterhaftungsrechts der VR China ZfRV [2018] 02

[RECHTSVERGLEICHUNG]

58) Vgl dazu WANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1) 632;YANG Lixin, Haftpflicht (FN 5) 423–424.

59) Vgl etwa ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 401.60) Für eine Aufzählung derartiger Zoos s ua CHENG Xiao, Lehrbuch

(FN 7) 303.61) Vgl YANG Lixin, Haftpflicht (FN 5) 423–424.62) Für die zu den Ersteren gehörigen Tiere haften die Zoos als Staats-

unternehmen, während für die zu den Letzteren gehörigen Tiere derStaat oder die Regierung auf verschiedenen Verwaltungsebenendie Haftung übernehmen muss. Vgl hierzu YANG Lixin, Haftpflicht(FN 5) 423–424; WANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1)637; ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 417.

63) Siehe dazu etwa WANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1)632; ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 414.

64) Vgl etwa ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 401.65) Vgl etwa XI Xiaoming, Erläuterungen und Anwendung der Vorschrif-

ten des Haftpflichtgesetzes der VR China (2010) 540; ZHOU Yo-ujun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 401; WANG Liming et al, Auseinan-dersetzung (FN 1) 634.

66) Siehe etwa WANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1) 634;ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 415.

67) Siehe etwa WANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1)634–635; ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 415.

ZfRV [2018] 02 Ü WANG Qiang Ü Eine strukturelle, rechtssystematische und -terminologische Analyse des Tierhalterhaftungsrechts der VR China 87

[RECHTSVERGLEICHUNG]

die Verschuldenshaftung liegt bereits eine Privilegie-rung des Zoos vor. Die Haftungsprivilegierung solltesich jedoch nur auf die unter Gewahrsam des Zoos ste-henden Tiere beschränken. Durch die Aussetzung oderdas Entfliehen der Tiere werden Personen unmittelbarunterschiedlichen Tiergefahrstufen ausgesetzt. Weilder Zoo in dem Fall keinen Einfluss mehr auf die Tiereausüben kann, erhöht sich ihr Gefährdungs- und Scha-denspotenzial gegenüber dem der noch unter Gewahr-sam stehenden Tiere der nicht privilegierten Haftungs-subjekte. Außerdem hat der Zoo vielmehr seinen Ver-lust der Herrschaft über die Tiere als Auslöser der hö-heren Tiergefahr zu verantworten.

Unter keinen Umständen ist daher die Weitergel-tung der Verschuldenshaftung für die außerhalb derObhut des Zoos stehenden Tiere vertretbar, ganz zuschweigen von einer Haftungsminderung allein durchdie leichte Fahrlässigkeit des Verletzten.68) Der Zoosollte in solchen Fällen der Gefährdungshaftung unter-worfen sein, und zwar entsprechend der jeweiligen

Haftungsstufe. Ist das Entfliehen oder die Aussetzungdes Zootiers jedoch auf einen Dritten zurückzuführen,sollte dem Zoo der Rückgriff auf diesen zustehen.

e) Struktur und System der Haftungszurechnungan den Tierhalter/-verwalter beim Tierschaden

Das im chinesischen Tierhalterhaftungsrecht geregeltestufenweise System der Haftungszurechnung an denTierhalter/-verwalter, das die drei Haftungsstufen,nämlich die Verschuldens-, Gefährdungs- und stren-gere Gefährdungshaftung, und darüber hinaus die da-ran angeknüpfte Haftung für ausgesetzte oder entlau-fene Tiere erfasst, kann strukturell und tabellarisch fol-gendermaßen dargestellt werden:

Vorschrift Haftungsstufe

betreffendeArten von scha-denanrichten-den Tieren

Haftungs-subjekt

(möglicher)Haftungsminde-

rungsgrund

(möglicher) Haf-tungsaus-

schlussgrund

§ 78 HpG(Grundsatz derGefährdungs-haftung fürTierhaltung)

Gefährdungs-haftung

idR sämtlicheTiere einschließ-lich Luxustiere

Tierhalter/-ver-walter

grobe Fahrlässig-keit des Geschä-

digten

Vorsatz desGeschädigten

§ 79 HpG strengereGefährdungs-

haftung

verwaltungsvor-schriftswidrigohne Sicher-

heitsvorkehrun-gen gehaltene

Tiere

Tierhalter/-verwalter

Vorsatz desGeschädigten

keiner

§ 80 HpG strengereGefährdungs-

haftung

verbotswidriggehaltene

gefährliche Tiere

Tierhalter/-verwalter

Vorsatz desGeschädigten

keiner

§ 81 HpG Verschuldens-haftung

Zootiere Zoo Fahrlässigkeit(jedoch ohneleichte Fahrläs-sigkeit) des

Geschädigten

Vorsatz desGeschädigten(vorausgesetzt,

der Zoo hat nach-weislich seineAufsichtspflichteingehalten)

§ 82 HpG(Haftung für ent-flohene oderausgesetzte

Tiere)

Gefährdungs-haftung

(§ 78 HpG)

idR sämtlicheTiere einschließ-lich Luxustiere

ursprünglicherTierhalter/-verwalter

grobe Fahrlässig-keit des Geschä-

digten

Vorsatz desGeschädigten

strengereGefährdungs-

haftung(§ 79 HpG)

verwaltungsvor-schriftswidrigohne Sicher-

heitsvorkehrun-gen gehaltene

Tiere

ursprünglicherTierhalter/-verwalter

Vorsatz desGeschädigten

keiner

strengere Ge-fährdungshaf-tung (§ 80 HpG)

verbotswidriggehaltene

gefährliche Tiere

ursprüng-licherTierhalter/-verwalter

Vorsatz desGeschädigten

keiner

Gefährdungs-haftung

(§ 81 HpG)

Zootiere Zoo bei Gefähr-dungshaftung

auslösenden Tie-ren iSd § 78 HpGgrobe Fahrlässig-keit des Geschä-

digten

Vorsatz desGeschädigten

68) Siehe etwa WANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1) 634;ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 415.

Vorschrift Haftungsstufe

betreffendeArten von scha-denanrichten-den Tieren

Haftungs-subjekt

(möglicher)Haftungsminde-

rungsgrund

(möglicher) Haf-tungsaus-

schlussgrund

bei strengereGefährdungshaf-tung auslösen-den Tieren iSd§ 79 HpGVorsatz desGeschädigten

keiner

bei strengereGefährdungshaf-tung auslösen-den Tieren iSd§ 80 HpG Vor-satz des Ge-schädigten

keiner

Tabelle 2: Struktur und System des chinesischen Tierhalterhaftungsrechts hinsichtlich der Haftungszurechnung an den Tierhal-ter/-verwalter beim Tierschaden

f) Haftung für den vom Dritten verschuldetenTierschaden und ihre Systematik

Haftung für den vom Dritten verschuldetenTierschaden gem § 83 HpG

Die in § 83 HpG – zur Sicherung des dem Geschädig-ten gebührenden und auf das Verschulden des Drittenzurückzuführenden Schadenersatzanspruchs – ange-ordneten alternativen Möglichkeiten zur Anspruchs-durchsetzung bezeichnen Chinas Schadenersatzrecht-ler als sog „unechte, gesamtschuldnerische Haftungdes Dritten und des Halters“69) und würdigen sie alseine weitere Errungenschaft des Haftpflichtgesetzes.70)

Obwohl sowohl die Dritthaftung als auch diejenige fürausgesetzte bzw entflohene Tiere (§ 82 HpG) als Son-derform der vom Haftpflichtgesetz vorgesehenen Haf-tung für Tierschäden gelten, lässt sich nur die Letztere– mit dem Tierhalter/-verwalter als Haftungssubjekt –den drei Haftungsstufen iSd §§ 78–81 HpG unmittel-bar zuordnen. Im Gegensatz dazu sind auf die Haf-tungsform des § 83 HpG, die echte Ausnahmeregelim Rahmen des ganzen Systems der Haftungszurech-nung von Tierschäden, die drei Haftungsstufen erstmittels des Rückgriffs oder noch mittelbar via § 82HpG anwendbar. Unter dem endgültig haftenden, au-ßenstehenden Dritten ist idZ eine Person zu verstehen,die vom Tierhalter/-verwalter oder dem Geschädigtenselbst verschieden ist. Handelt es sich beim Tierhalter/-verwalter um eine juristische Person oder andere Or-ganisation, so zählen dessen Mitarbeiter nicht zu denDritten; wird ein Aufsichtsbedürftiger verletzt, so zähltsein Aufsichtspflichtiger71) ebenfalls nicht als derDritte.72)

Den von einem sog Dritten verschuldeten Tierscha-den betrachtet das deutsche Tierhalterhaftungsrechteher als Unterbegriff gegenüber der Beschädigungdurch Tiere unter menschlicher Leitung, also entwederdes Tierhalters oder eines Dritten, und befasst sich vor-nehmlich mit dem Oberbegriff.73) Entgegen der dieVerwirklichung der Tiergefahr und daher den Ersatz-anspruch aus § 833 Satz 1 BGB versagenden Meinung– mit der Begründung, dass nicht das als Werkzeug

eingesetzte Tier, sondern die sich dieses Werkzeugszu seinem schädigenden Handeln bedienende Personden Schaden verursache74) – überwiegt die Ansicht:Eine besonders gefährliche, tiertypische Eigenschaftbesteht gerade darin, dass die Tiergefahr, gerade indemTiere generell menschlicher Leitung folgen können(bspw lassen sich Hunde vomMenschen hetzen), nichtnur verwirklicht, sondern sogar verstärkt werde undschließlich haftungsbegründend wirken könne.75) Fürdie Rechtspraxis bedeutet dies, dass ersterer Auffas-sung zufolge nur § 823 BGB als allgemeine Grundlagefür einen Schadenersatzanspruch bei unerlaubtenHandlungen auf die Beschädigung durch Tiere untermenschlicher Leitung anwendbar ist, während anhandder Letzteren auch § 833 Satz 1 BGB als Entschädi-

ZfRV

88 Ü WANG Qiang Ü Eine strukturelle, rechtssystematische und -terminologische Analyse des Tierhalterhaftungsrechts der VR China ZfRV [2018] 02

[RECHTSVERGLEICHUNG]

69) Die im volksrepublikanischen Zivilrechtskreis gängige Bezeichnungdes Verhältnisses zwischen dem Dritten und dem Halter als ein un-echtes, gesamtschuldnerisches Verhältnis liegt daran: Im Fall desVerschuldens des Dritten steht dem Geschädigten frei, entwedergegen den Tierhalter/-verwalter oder gegen den Dritten seinen Er-satzanspruch geltend zu machen. Jedoch deutet der dem Tierhal-ter/-verwalter gebührende Rückgriff auf den Dritten daraufhin, dassder erstere nur der mittlere und erst der letztere der echte bzw end-gültig Haftpflichtige ist; vgl hierzu YANG Lixin, Haftpflicht (FN 5) 426;WANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1) 641.

70) Dieses Rechtsinstitut ist dem schweizerischen Obligations- unddem republikanischen Zivilrecht entlehnt. Gem Art 56 Abs 2 ORbleibt dem Tierhalter der Rückgriff vorbehalten, wenn das Tier beimAnrichten des Schadens von einem anderen oder durch das Tiereines anderen gereizt worden ist. § 190 Abs 2 ZGB gewährt demTierbesitzer ebenfalls einen Rückgriff auf den Dritten oder den Be-sitzer eines anderen Tiers, wenn der Tierschaden auf das Reizendes Dritten oder des anderen Tiers zurückgeht; vgl dazu etwaWANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1) 638; ZHOU Youjun,Haftpflichtgesetz (FN 4) 418.

71) Vgl dazu § 832 BGB. Die in der VR China dafür verwendete, gän-gige Bezeichnung 监护人 bedeutet wörtlich eigentlich „Vormund“.Im Gegensatz zum deutschen Zivilrecht, das den Vormundkreis aufdie Personen beschränkt, die nicht die Eltern sind (§ 1773 BGB),umfasst der chinesische Rechtsbegriff sowohl die Eltern als auchden Vormund iSd §§ 1773 ff BGB und bezieht sich auf die auf-sichtspflichtige Person bei der Übernahme der Haftung für den Auf-sichtsbedürftigen.

72) Vgl etwa XI Xiaoming, Erläuterungen (FN 65) 553; ZHOU Youjun,Haftpflichtgesetz (FN 4) 418–419; WANG Liming et al, Auseinan-dersetzung (FN 1) 639.

73) Vgl Eberl-Borges in Staudinger (FN 22) § 833 BGB Rz 55.74) Vgl dazu Sprau in Palandt (FN 36) § 833 BGB Rz 7; Eberl-Borges in

Staudinger (FN 22) § 833 BGB Rz 56 ua, auch mwN.75) Vgl dazu NK/Katzenmeier (FN 20) § 833 BGB Rz 7; Eberl-Borges in

Staudinger (FN 22) § 833 BGB Rz 57.

gungsgrundlage eingreift. Durch die Bejahung derTierhalterhaftung in solchen Fällen steht dem Geschä-digten frei, unter Umständen seinen Ersatzanspruchentweder gegen den Halter oder gegen den Leiter zurichten, sofern diese – ähnlich wie im Falle des § 83HpG – nicht identisch sind: Der Leiter, dem nachweis-lich der Tierschaden zur Last fällt, haftet aus § 823BGB. Im Vergleich dazu haftet der Tierhalter aus§ 833 Satz 1 BGB, und zwar als einer der beiden Ge-samtschuldner (§ 840 Abs 1 BGB), während im Innen-verhältnis zwischen ihm und dem Leiter der Letztereallein verpflichtet ist (§ 840 Abs 3 BGB), was daraufhinausläuft, dass dem Tierhalter nach der Leistungdes Schadenersatzes ein Rückgriff auf den Leiter zu-steht.

Problematik des § 83 HpG

Mit der aus §§ 823, 833 und 840 BGB bestehenden Sys-tematik ermöglicht das deutsche Schadensrecht demVerletzten im Endeffekt, seinen Ersatzanspruch aufden vom Dritten verschuldeten Tierschaden alternativgeltend zu machen. Dass das chinesische Tierhalterhaf-tungsrecht vermocht hat, denselben Regelungsgehalt indie alleinige Vorschrift des § 83 HpG zu integrieren,bedeutet allein hinsichtlich der Regelungseffizienz ei-nen Fortschritt. Jedoch basieren die beiden Möglich-keiten im deutschen Deliktsrecht dank dessen kohä-renter und gediegener Regelungstechnik auf einer kla-ren Anspruchsgrundlage, was dem § 83 HpG fehlt.Laut der in der Volksrepublik herrschenden Lehrmei-nung76) hängt die Haftung für den vom Dritten ver-schuldeten Tierschaden wiederum von der an dasschädigende Tier angeknüpften Haftungsform ab: Siefällt im Rahmen des Tierhalterhaftungsrechts grund-sätzlich als Gefährdungshaftung an (§ 78 HpG); wirdSchaden von Zootieren durch Verschulden des Drittenangerichtet, fällt auch dem Zoo mittelbar Verschul-denshaftung zur Last (§ 81 HpG); ist der Schaden insolchen Fällen jedoch auf die die strengere Haftungauslösenden Tiere zurückzuführen (§§ 79 und 80HpG), haftet der Tierhalter/-verwalter dementspre-chend in höherem Maße; dasselbe Prinzip lässt sichauf entlaufene oder ausgesetzte Tiere (§ 82 HpG) ext-rapolieren. Die Problematik bezüglich dieses Grund-satzes ist allerdings noch klärungsbedürftig.

Da im Haftpflichtgesetz der VR China ein solch sys-tematischer Mechanismus wie der, dem §§ 823, 833und 840 BGB zugrunde liegen, fehlt, stellt sich abge-sehen von den in § 83 HpG zugunsten des Verletztenvorgesehenen alternativen Anspruchsmöglichkeitennoch die Frage nach einer selbständigen Haftungs-grundlage des Dritten. Die Lehrmeinung spricht sichfür die Verschuldenshaftung aus.77) Das bedeutet, fürden Dritten besteht die Möglichkeit, sich durch denBeweis seines Nichtverschuldens von der Tierscha-denshaftung zu exkulpieren (§ 6 Abs 2 HpG). Die Be-weislastumkehr bezieht sich auf das Verschulden be-züglich der Tiergefahr, welches wiederum Vorsatzund Fahrlässigkeit umfasst.78)

Dennoch obliegt es dem Geschädigten, wie bei derHaftung durch den Tierhalter/-verwalter, die Verwirk-lichung der Tiergefahr und ihre Ursächlichkeit für denSchaden79) zu beweisen, ungeachtet dessen, ob er sei-

nen Schadenersatzanspruch an den Tierhalter/-verwal-ter oder den Dritten richtet. Gelingt ihm der Beweisnicht, muss entweder niemand oder nur der Dritte ge-mäß dem verschuldensabhängigen Prinzip haften (§ 6Abs 1 HpG), zB für den Fall, dass er das Tier wie eineleblose Sache rein als Werkzeug (etwa als „Wurfge-schoß“) zu einer Schädigungshandlung eingesetzthat.80)

Konsens herrscht darüber, dass der Dritte bei demvon ihm mit Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit ver-schuldeten Tierschaden unmittelbar (wie der Tierhal-ter/-verwalter) bzw mittelbar (durch den Rückgriff aufihn) in Ersatzanspruch zu nehmen ist.81) Jedoch bestehthinsichtlich des Tierschadens infolge seiner leichtenFahrlässigkeit noch keine Einigkeit darüber, ob derDritte in solchen Fällen immer noch in demselbenUmfang wie der Tierhalter/-verwalter haften soll, dadie Gefahrenquelle letztendlich doch von dem Letzte-ren geschaffen worden ist und es eher ungerecht schei-nen würde, den vollen Haftungsumfang bereits durchleichte Fahrlässigkeit auszulösen. Zudem kann einer-seits zwischen dem Dritten und dem GeschädigtenStreitigkeit darüber entstehen, ob der Schadenersatzin vollem Umfang zu leisten ist, andererseits zwischendem Dritten und dem Tierhalter/-verwalter über denjeweiligen Haftungsanteil.

Der Umfang der dem Dritten obliegenden Haftungsollte in erster Linie davon abhängen, ob und inwiefernder Verletzte an dem Schaden ursächlich (mit)beteiligtwar: Hat der Dritte allein den Schaden herbeiführt,wenn auch nur leicht fahrlässig, sollte er allein ver-pflichtet sein, den Zustand vor der Schadensentste-hung bestmöglich wiederherzustellen (§ 15 Nr 5HpG);82) hat aber der Geschädigte den Schaden mitver-schuldet, misst sich der Haftungsumfang des Drittenan der Höhe von dessen Beitrag zum Schaden. Die Ab-wägung des beiderseitigen Schadensbeitrags erfolgt so,als ob der Dritte von Anfang an anstelle des Tierhal-ters/-verwalters hätte haften müssen. Dadurch lässtsich jegliches Bedenken über den Haftungsumfang

ZfRV [2018] 02 Ü WANG Qiang Ü Eine strukturelle, rechtssystematische und -terminologische Analyse des Tierhalterhaftungsrechts der VR China 89

[RECHTSVERGLEICHUNG]

76) Vgl YANG Lixin, Haftpflicht (FN 5) 426; WANG Liming et al, Aus-einandersetzung (FN 1) 640–641; ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz(FN 4) 419.

77) Vgl etwa WANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1) 641;ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 419–420.

78) Bspw gilt je nach dem Ausmaß des Beitrags zur Schadensentste-hung das Reizen des schädigenden Hundes durch den Dritten alsvorsätzlich, die Freilassung des nachher schadenanrichtenden Tie-res aus dem Eisenkäfig als grob fahrlässig und die Unachtsamkeit,infolge welcher die Tiere entfliehen und andere Menschen schädi-gen, als fahrlässig; vgl hierzu YANG Lixin, Haftpflicht (FN 5) 426. ImVergleich dazu wird in Art 56 Abs 2 OR sowie § 190 Abs 2 ZGB dasschuldhafte, nämlich sowohl vorsätzliche als auch fahrlässige, Ver-halten der dritten Person oder des Halters eines anderen Tieres, diebzw dessen Tier das schädigende Tier zum Schaden gereizt hat, alsRückgriffstatbestand festgelegt.

79) Vgl Lorenz, Die Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833Satz 1 BGB: die funktionale Struktur der Gefährdungshaftung alsAuslegungshintergrund für die Risikoverteilung im Tierschadens-recht (1992) 172; Eberl-Borges in Staudinger (FN 22) § 833 BGBRz 41.

80) Vgl ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 418; Eberl-Borges inStaudinger (FN 22) § 833 BGB Rz 43.

81) Vgl ZHENG Yubo, Allgemeiner Teil des Schuldrechts (2004) 164.82) Trotz der enumerativen Aufzählung der Möglichkeiten zur Scha-

densersatzleistung durch § 15 HpG fehlt in dem Haftpflichtgesetzeine mit § 249 Abs 1 BGB vergleichbare Vorschrift, die die Art undden Umfang des Schadensersatzes als Grundsatz und mit einemwirksamen Anwendungsbezug regelt.

ZfRV

90 Ü WANG Qiang Ü Eine strukturelle, rechtssystematische und -terminologische Analyse des Tierhalterhaftungsrechts der VR China ZfRV [2018] 02

[RECHTSVERGLEICHUNG]

des Dritten beseitigen. Davon abgesehen kommt eineEinschränkung der Dritthaftung bis zur Haftungsfrei-stellung nur in Betracht, wenn das Verschulden desGeschädigten das des Dritten übertrifft.

Schließlich kann es in der Rechtspraxis durchausauch vorkommen, dass das schädigende Tier vondem Tier eines Dritten zur Schadensverursachung ge-reizt wird, wie zB ein Pflugochse den Schaden dadurchverursacht, dass der Hund eines Dritten hinter demOchsen rannte und ihn dann dazu drängte, auf denGeschädigten zu prallen oder einen Verkehrsunfallauf der Straße zu verursachen. Art 56 Abs 2 OR und§ 190 Abs 2 ZGB gewähren dem Tierhalter bzw -besit-zer des (unmittelbar) schädigenden Tieres (etwa desPflugochsen) für den auf diese Weise entstehendenSchaden ebenfalls ausdrücklich den Rückgriff auf denDritten (etwa den Tierhalter bzw -besitzer des Hun-des). Im Gegensatz dazu hat das Haftpflichtgesetz sol-che Fälle nicht berücksichtigt, obwohl es in § 83 denVorsatz des Dritten (Reizen des Tieres zur Schadens-

verursachung) – als Tatbestandsvoraussetzung für des-sen Haftung – bereits auf dessen Verschulden erweiterthat.83)

System und Struktur der Haftung für denvom Dritten verschuldeten Tierschaden

Die Form und der Umfang der in § 83 HpG angeord-neten Dritthaftung für den vom Dritten verschuldetenTierschaden richten sich ebenfalls nach den drei Haf-tungsstufen (§§ 78–81 HpG) und gelten des Weiterenauch für ausgesetzte oder entlaufene Tiere (§ 82 HpG).Das System und die Struktur dieser Haftung im Rah-men des chinesischen Tierhalterhaftungsrechts lassensich tabellarisch folgendermaßen ausgestalten:

Vorschriftund Grund-satz der

Anwendung

Haftungs-stufe

betreffendeArten von

schadensan-richtenden

Tieren

Haftungssubjekt

(möglicher)Haftungsmin-

derungs-grund mögli-cherweisekeine Haf-

tungsminde-rung beimVorsatz des

Dritten

(möglicher)Haftungsaus-schlussgrund

kein Haf-tungsaus-schluss beiVorsatz desDritten mög-licherweise

kein Haftungsausschlussbei groberFahrlässig-keit desDritten

mittelbarHaftpflich-

tiger

endgültigund tatsäch-lich Haft-pflichtiger

§ 83 HpGHaftung für

den vom Drit-ten verschul-deten Tier-schaden

Gefährdungs-haftung (§ 78

HpG)

idR sämtlicheTiere ein-schließlichLuxustiere

Tierhalter/-verwalter

Dritter grobe Fahrläs-sigkeit des

Geschädigten

Vorsatz desGeschädigten

strengereGefährdungs-

haftung(§ 79 HpG)

verwaltungs-vorschriftswid-rig ohne Si-cherheitsvor-kehrungen ge-haltene Tiere

Tierhalter/-verwalter

Dritter Vorsatz desGeschädigten

keiner

strengereGefährdungs-

haftung(§ 80 HpG)

verbotswidriggehaltene ge-fährliche Tiere

Tierhalter/-verwalter

Dritter Vorsatz desGeschädigten

keiner

Verschuldens-haftung

(§ 81 HpG)

Zootiere Zoo Dritter Fahrlässigkeit(ohne leichteFahrlässigkeit)des Geschä-

digten84)

Vorsatz desGeschädigten(unter Voraus-setzung derbeweisbarenSchuldlosig-keit desDritten)

83) Dies stellt der Lehrmeinung zufolge wiederum eine Gesetzgebungs-lücke dar, und um die Lücke zu schließen, wurde ua vorgeschlagen,die Anwendbarkeit des § 83 HpG analogisch auf den Fall der Scha-densverursachung durch ein Tier, wofür wiederum das Tier einesDritten ursächlich ist, zu erweitern; vgl hierzu WANG Liming et al,Auseinandersetzung (FN 1) 641–642; ZHOU Youjun, Haftpflichtge-setz (FN 4) 420.

84) In dem Fall sollte die Haftungsminderung von dem Verschuldensgrad des Dritten abhängen, und zwar nach dem Prinzip, dass der Beitrag desVerletzten zum Schaden den des Dritten stets übertreffen muss, wie folgendermaßen: Bei leichter Fahrlässigkeit des Dritten kann zumindestmittlere Fahrlässigkeit des Geschädigten eine Haftungsminderung für den Dritten bewirken; bei mittlerer Fahrlässigkeit des Dritten kann zumin-dest grobe Fahrlässigkeit des Geschädigten zur Haftungsminderung des Dritten führen; bei grober Fahrlässigkeit des Dritten kann die Haftungdes Dritten erst durch noch gröbere Fahrlässigkeit oder sogar Vorsatz des Geschädigten gemindert werden. Dies dient dazu, die Rechtsinteres-sen des Geschädigten besser zu gewährleisten.

ZfRV [2018] 02 Ü WANG Qiang Ü Eine strukturelle, rechtssystematische und -terminologische Analyse des Tierhalterhaftungsrechts der VR China 91

[RECHTSVERGLEICHUNG]

Vorschriftund Grund-satz der

Anwendung

Haftungs-stufe

betreffendeArten von

schadensan-richtenden

Tieren

Haftungssubjekt

(möglicher)Haftungsmin-

derungs-grund mögli-cherweisekeine Haf-

tungsminde-rung beimVorsatz des

Dritten

(möglicher)Haftungsaus-schlussgrund

kein Haf-tungsaus-schluss beiVorsatz desDritten mög-licherweise

kein Haftungsausschlussbei groberFahrlässig-keit desDritten

mittelbarHaftpflich-

tiger

endgültigund tatsäch-lich Haft-pflichtiger

§ 83 HpG inVerbindungmit § 82 HpG(Haftung fürausgesetzteoder entlau-fene Tiere) an-wendbar aufden Fall: Diedurch dasVerschuldendes Drittenschadensan-richtende Tieresind zugleichausgesetzteoder entlau-fene Tiere.

Gefährdungs-haftung

(§ 78 HpG)

idR sämtlicheTiere ein-schließlichLuxustiere

ursprünglicherTierhalter/-verwalter

Dritter grobe Fahrläs-sigkeit des

Geschädigten

Vorsatz desGeschädigten

strengere Ge-fährdungs-

haftung (§ 79HpG)

verwaltungs-vorschrifts-widrig ohneSicherheits-vorkehrungengehaltene

Tiere

ursprünglicherTierhalter/-verwalter

Dritter Vorsatz desGeschädigten

keiner

StrengereGefährdungs-

haftung(§ 80 HpG)

verbotswidriggehaltene ge-fährliche Tiere

ursprünglicherTierhalter/-verwalter

Dritter Vorsatz desGeschädigten

keiner

Verschulden-haftung

(§ 81 HpG)

Zootiere Zoo Dritter bei Gefähr-dungshaftungauslösendenTieren iSd§ 78 HpG

grobe Fahrläs-sigkeit des

Geschädigten

Vorsatz desGeschädigten

bei strengereGefährdungs-haftung auslö-senden TiereniSd § 79 HpGVorsatz desGeschädigten

keiner

bei strengereGefährdungs-haftung auslö-senden TiereniSd § 80 HpGVorsatz desGeschädigten

keiner

Tabelle 3: Struktur und System der Haftung für den vom Dritten verschuldeten Tierschaden im Rahmen des chinesischen Tier-halterhaftungsrechts

Im Gegensatz zum deutschen Tierhalterhaftungsrecht,das überwiegend dem Geschädigten den Ersatzan-spruch auf den vom Dritten vorsätzlich verursachtenTierschaden zuerkennt, gewährt § 83 HpG dem Ge-schädigten einen umfassenderen Rechtsinteressen-schutz, indem er grundsätzlich das dem Dritten zurLast fallende Verschulden als Haftungsgrund festlegt.In der Rechtspraxis scheint es jedoch schwer, auch dieleichte Fahrlässigkeit des Dritten als Schadensursachezu beweisen, und ferner, ihm eine Haftungsbeschrän-kung bis hin zur Haftungsfreistellung zu gewähren, umeinen gerechteren Verschuldensausgleich zu erreichen.

g) Problematik der Haftungssubjektregelung

Tierverwalter als Haftungssubjekt

Anders als das deutsche Tierhalterhaftungsrecht, dasdie unterschiedliche Stellung bzw Haftungsnatur desTierhalters bzw -aufsehers ausdrücklich geregelthat,85) betrachtet das volksrepublikanische Tierhalter-

85) In Anlehnung an § 833 BGB haftet der Tierhalter je nach der Art desgehaltenen Tieres (Luxus- oder Nutztier) aus Gefährdungs- bzwVerschuldenshaftung, während der Tieraufseher bzw -hüter, dergem § 834 BGB das Tier für den Tierhalter auf Vertragsbasis beauf-sichtigt, einheitlich der Verschuldenshaftung unterliegt.

ZfRV

92 Ü WANG Qiang Ü Eine strukturelle, rechtssystematische und -terminologische Analyse des Tierhalterhaftungsrechts der VR China ZfRV [2018] 02

[RECHTSVERGLEICHUNG]

haftungsrecht den Tierverwalter im Vergleich zumTierhalter als Haftungssubjekt gleichen Haftungsum-fangs,86) jedoch ohne den Ersteren begrifflich klar de-finiert zu haben, weder mittels Legaldefinition nochgründlich in der Literatur. Der vom Tierhalter be-schäftigte Mitarbeiter könnte bspw der Tierverwaltersein und würde für Tierschäden unmittelbar haften,obwohl er über das Tier – im Auftrag/Interesse desHalters – nur unterstützend die Aufsicht führt.87) DerVermieter eines Tieres ist dessen Eigentümer und da-her zugleich Halter. Jedoch ist es nicht der Vermie-ter, sondern der Mieter des Tieres, der unmittelbardie Herrschaft über dessen Existenz und Verwen-dung ausübt. Insofern gilt Letzterer als Tierverwalterund haftet selbst für Tierschäden.88) Trotzdem fehlt inder Literatur eine endgültige und präzise Definitiondes Verhältnisses des Tierverwalters zum Tierhalterund von dessen Rechtsstellung, was wieder für Ver-wirrung und unnötige Streitigkeit in der Rechtspraxissorgt.

Obwohl das Haftpflichtgesetz das Haftungssubjektfür Tierschäden aus eigener Initiative als Tierhalterbzw -verwalter statuiert, richtet sich die in der VRChina herrschende Lehrmeinung89) bei der Auslegungvon dessen Indizien überwiegend nach dem im deut-schen Recht für den Tierhalter maßgeblichen Eigen-schafts- und Abgrenzungskriterium, dh Verwendungdes Tieres aus Eigeninteresse und Entscheidungsgewaltüber das Tier.90) Ferner zieht man in der VR China zurbegrifflichen Auslegung des Tierverwalters häufig denBegriff des Tierhalters iSd § 833 BGB heran und be-trachtet denHalter als Oberbegriff. Der Tierhalter wirdidZ als Eigentümer des Tieres angesehen, während derTierverwalter als derjenige Halter des Tieres definiertwird, der anders als dessen Eigentümer die tatsächlicheHerrschaft und Aufsicht über es führt.91) Die Aufsichts-pflicht des Tierverwalters kann gesetzlichen oder ver-traglichen Ursprungs sein, zB im Fall des staatlich be-triebenen Zoos bzw des mit der Beaufsichtigung desTiers Beauftragten. Außerdem kann der Tierverwaltersowohl der unmittelbare als auch mittelbare Tierbesit-zer sein.92) Insofern lässt sich schließen, dass der Tier-

verwalter in gewissem Sinne dem in § 834 definierten,jedoch nicht als Unterbegriff des Tierhalters zählendenTieraufseher ähnelt. Von der Festlegung des Haltersbzw Tierhalters als Oberbegriff ist daher auch, soweites geht, abzusehen.

Nicht voll Geschäftsfähiger als Tierhalterbzw -verwalter

Da das Zivilrecht der VR China die Deliktsfähigkeitder nicht voll Geschäftsfähigen (wie zB der Minderjäh-rigen oder psychisch Kranken) nicht kennt, stellt sichdie Frage, ob sie angesichts der hiesigen Rechtslage alsTierhalter/-verwalter für Tierschäden haften sollenund dürfen. Die diesbezüglichen, ua auch in Deutsch-land, vertretenen vier Auffassungen scheinen zur Klä-rung der Sache einleuchtend. Der ersten Ansicht nachkönne der Geschäftsunfähige und Minderjährige nurdurch die Handlungen seines gesetzlichen Vertretersoder mit dessen Einwilligung Tierhalter werden.93)

Der zweiten Auffassung zufolge könne der Geschäfts-unfähige oder beschränkt Geschäftsfähige Tierhalter/-verwalter werden, jedoch hänge der Umfang, in dem erfür Tierschäden einzustehen habe, davon ab, ob undinwiefern er verschuldensfähig sei.94)

Zudem wird vertreten, dass der nicht voll Ge-schäfts- bzw Deliktsfähige auf drei Wegen Tierhalterwerden kann, dh durch Handlungen des gesetzlichenVertreters, durch eigene Handlungen mit der Einwilli-gung des gesetzlichen Vertreters oder durch eigeneHandlungen ohne die Einwilligung des gesetzlichenVertreters. Bei allen drei Möglichkeiten haftet der Auf-sichtspflichtige anstelle des nicht voll Delikts-/Ge-schäftsfähigen für Tierschäden.95) Hat er nachweislichseiner Aufsichtspflicht gegenüber dem Aufsichtsbe-dürftigen bei der Tierhaltung genügt, wird er entwedervollständig von der Haftung befreit96) oder sein Haf-tungsumfang wird gemindert.97) , 98) Kann weder derbeschränkt Geschäftsfähige noch sein Aufsichtspflich-tiger haftbar gemacht werden,99) wird jedoch gemäßdem in § 829 BGB angeordneten Billigkeitsprinzip100)

dem Schädiger doch noch eine Ersatzpflicht auferlegt,

86) Dies zeigt sich vorrangig und eindeutig anhand der §§ 78–80 und§§ 82–83 HpG, denen zufolge der Tierverwalter als alternativesHaftungssubjekt zum Tierhalter im selben Umfang für Tierschädenhaftet.

87) Vgl YANG Lixin, Haftpflicht (FN 5) 416.88) Vgl YANG Lixin, Haftpflicht (FN 5) 416–417.89) Vgl etwa WANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1) 622 f;

ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz (FN 4) 406 f.90) Vgl dazu Eberl-Borges in Staudinger (FN 22) § 833 BGB Rz 70 ff.91) Das chinesische Wort für Halter, 保有人, bezieht sich eigentlich ge-

nerell auf die Person, die zB ein Tier oder ein Kraftfahrzeug hält,während die gängige chinesische Bezeichnung des Tierhalters als动物饲养人 – nicht zuletzt auch als gängige chinesische Überset-zung des Tierhalters iSd § 833 BGB –wörtlich Tierzüchter oder Tier-fütterer bedeutet. Der teilweise in der Literatur verbreiteten Bezeich-nung des Tierhalters iSd § 833 BGB als 动物保有人, inklusive deroberbegrifflichen Bezeichnung des Halters als der zentralen Be-zugsperson, schließt sich die vorliegende Arbeit nicht an. Schließlichverkörpert auch im Rahmen des deutschen Tierhalterhaftungs-rechts der Begriff Tierhalter eher nicht den Oberbegriff zu Tieraufse-her, auch wenn ihre Haftungsstufen ua unterschiedlicher Höhe seinund sie im vertraglichen Beschäftigungsverhältnis zueinander ste-hen können. Näher zur Bezeichnung des Tierhalters auf Chinesischim Sinne des Oberbegriffs s ua WANG Liming et al, Auseinander-setzung (FN 1) 622; ZHOU Youjun, Haftpflichtgesetz (FN 4)406–409.

92) Vgl CHENG Xiao, Lehrbuch (FN 7) 304.

93) Vgl §§ 106 ff, 828 BGB; Teichmann in Jauernig, Kommentar zumBGB (2014) § 833 Rz 3.

94) VglWANG Liming et al, Auseinandersetzung (FN 1) 622. Dieser Auf-fassung zufolge dürfen nicht voll Geschäftsfähige zwar Tiere halten,haften jedoch wegen ihrer Deliktsunfähigkeit oder beschränktenDeliktsfähigkeit nicht bzw nur beschränkt für Tierschäden, was of-fensichtlich zum Nachteil des Geschädigten ist.

95) Dies wird in § 832 Abs 1 Satz 1 BGB; § 133 Abs 1 Satz 1 AGZ und§ 32 Abs 1 Satz 1 HpG geregelt, findet aber keine Erwähnung mehrim Allgemeinen Teil des VR-ZGB. Ferner wird in § 828 BGB nochdie Deliktsfähigkeit der beschränkt Geschäftsfähigen ausdrücklichund stufenweise geregelt: Minderjährige bis zu sieben Jahren sindgenerell verschuldensunfähig (Abs 1), und Kinder zwischen siebenund zehn Jahren haften nicht bei einem unvorsätzlich verursachtenVerkehrsunfall (Abs 2), während Jugendliche zwischen elf und18 Jahren ohne die erforderliche (intellektuelle) Einsichtsfähigkeitebenfalls von der Haftung befreit sind (Abs 3); vgl hierzu Teichmannin Jauernig (FN 93) § 828 BGB Rz 1–3. Aus § 133 Abs 1 Satz 1AGZ und § 32 Abs 1 Satz 1 HpG lässt sich nur die Verschuldensun-fähigkeit der nicht voll Geschäftsfähigen ableiten.

96) Vgl dazu § 832 Abs 1 Satz 2 BGB.97) Vgl dazu § 32 Abs 1 Satz 2 HpG und § 133 Abs 1 Satz 2 AGZ.98) Vgl Deutsch, Die Haftung des Tierhalters, JuS (1987) 673, 678;

Sprau in Palandt (FN 74) § 833 BGB Rz 10.99) Vgl dazu §§ 828, 832 Abs 1 Satz 2 BGB.100) Es wird zwischen der Schadloshaltung des Geschädigten einer-

seits und der Sicherstellung des angemessenen Unterhalts fürden Schädiger selbst sowie für den gesetzlich von ihm zu Unter-haltenden andererseits abgewogen (§ 829 BGB).

um den Schadenersatzanspruch des Geschädigten auf-fangend zu sichern. Jedoch sind im Rahmen des deut-schen Deliktsrechts ein unvollständiger Schadenersatzsowie eine beschränkte Haftung des Haftpflichtigenmöglich.101) Im Gegensatz zur deutschen Regelung,die sowohl die Rechtsinteressen des Geschädigten alsauch die des beschränkt Geschäfts-/Deliktsfähigen zueinem gerechten Ausgleich zu bringen versucht,102) istdas Haftpflichtgesetz der VR China vorrangig im In-teresse des Geschädigten ausgerichtet: Fügt der eigenesVermögen besitzende Geschäftsunfähige oder be-schränkt Geschäftsfähige anderen Schaden zu, wirdder Schaden zuerst mit seinem eigenen Vermögen er-setzt; der Schadensanteil, der nicht mit dem Vermögengedeckt werden kann, ist letzten Endes vom Aufsichts-pflichtigen zu begleichen. Gemäß dem in § 32 Abs 2HpG103) vorgeschriebenen Grundsatz wird dem Ge-schädigten sein Schaden idR in vollem Umfang ersetzt.Die Haftungssubjekte unterliegen insofern einer unbe-schränkten Haftung. Außerdem kommt anhand § 32Abs 1 Satz 2 HpG104) für den seine Aufsichtspflicht(gegenüber dem nicht voll Geschäftsfähigen) erfüllen-den Aufsichtspflichtigen nur Haftungsminderung –anstatt der Exkulpation wie im deutschen Deliktsrecht– infrage. Die vierte Auffassung schließt die Ge-schäfts-/Deliktsfähigkeit als Anhaltspunkt für die Ei-genschaft des Tierhalters sowie dessen Haftbarkeitfür Tierschäden aus.105)

Der Frage, inwieweit ein nicht voll Geschäftsfähi-ger hinsichtlich Tierschäden Haftungssubjekt werdenkann, liegt im deutschen Deliktsrecht ein komplizier-ter Operationsmechanismus zugrunde. IdZ stellt daschinesische Haftpflichtgesetz eine vergleichsweise ein-fachere, Geschädigten-orientierte Möglichkeit zurFestlegung des Haftungssubjekts bereit:106) Der nichtvoll Geschäftsfähige kann Tierhalter/-verwalter wer-den. Was die Haftung anbelangt, hat er zunächstmit seinem eigenen Vermögen die Tierschäden voll-ständig oder teilweise zu ersetzen; des Weiteren ver-pflichtet die dem Aufsichtspflichtigen obliegendeHaftung (für den Tierhalter/-verwalter) denselben –ausgehend vom Innenverhältnis zwischen ihm unddem nicht voll geschäftsfähigen Tierhalter/-verwal-ter –, die Entschädigung ergänzend oder vollstän-dig107) zu übernehmen, und sichert ferner dem Ge-schädigten subsidiär aus dem Außenverhältnis zwi-schen ihm und dem Haftenden die vollständige Be-friedigung seines Ersatzanspruchs.

E. SchlussbetrachtungZusammenfassend betrachtet erweckt das geltendeTierhalterhaftungsrecht der VR China einen zwiespäl-tigen Eindruck. Gesetzeskonzeptionell gelten dasmehrschichtige, stufenweise Verschuldenszurech-nungssystem (§§ 78– 81 HpG) und die daran ange-knüpfte Regelung der Sonderfälle iSd §§ 82–83 HpGals innovative Errungenschaften des Spezialgesetzesauf Makroebene. Gesetzestechnisch und auf der Mi-kroebene lässt das Recht allerdings viel zu wünschenübrig. Aufgrund lückenhafter Haftungssubjektbestim-mungen gelingt in der Tat keine abgrenzende bzw ab-grenzbare Regelung der Haftung für das Halten und

Hüten von Tieren. Abgesehen von der juristisch undrechtssoziologisch fragwürdigen Rechtfertigung derHaftungsdifferenzierung in mancher Hinsicht selbsterschweren die Regelungen der Verschuldens-, Ge-fährdungs- und strengere Gefährdungshaftung selbstihre Anwendung in der Rechtspraxis: Die unklar, ge-wissermaßen redundant definierten und daher haf-tungsstufenmäßig schwer abgrenzbaren Tatbestands-voraussetzungen haben ua die umstrittene Auslegungund kaum präzisierbare Festlegung der Haftungsfrei-stellung bzw -minderung bereits vorbedungen. Beider unausweichlichen Orientierung der die Sonderfälleregelnden Vorschriften an den Allgemeinen entstehenwiederum ähnliche Ungewissheiten und Widersprü-che.

Es bleibt zu hoffen, dass zur besseren Umsetzungder konzeptionellen Leistungen die Rechtsprechungund die Lehre das noch geltende Tierhalterhaftungs-recht der Volksrepublik praktikabel und auf gediegeneWeise konkretisieren und präzisieren. Eine gründlicheLösung der genannten Probleme und umfassende Ver-besserungen auf dem Gebiet der Tierhalterhaftung unddes Weiteren auf dem der unerlaubten Handlungeninsgesamt darf man allerdings angesichts Chinas Müheum den Rechtsstaataufbau optimistisch, vor allem vomDeliktsrechtsbuch – als Teil des noch fertig zu kodifi-zierenden Zivilgesetzbuchs – erwarten. Ü

ZfRV [2018] 02 Ü WANG Qiang Ü Eine strukturelle, rechtssystematische und -terminologische Analyse des Tierhalterhaftungsrechts der VR China 93

[RECHTSVERGLEICHUNG]

101) Ob und inwieweit der Aufsichtspflichtige in dem Fall den vomSchädiger nicht ersetzten Umfang des Schadens noch zu verant-worten hat, ist im deutschen Recht zB nicht geregelt.

102) Vgl Eberl-Borges in Staudinger (FN 22) § 833 BGB Rz 113–115.103) Auch in § 133 Abs 2 AGZ.104) Auch anhand des § 133 Abs 1 Satz 2 AGZ.105) Hält ein nicht voll Geschäftsfähiger ein Tier, so hängt es vom Reife-

grad des Minderjährigen ab, ob er selbst oder seine Eltern dieHerrschaft über das Tier ausüben. Beherrschen die Eltern das Tierund überlassen es bspw ihrem Kind zu erzieherischen Zwecken,so haften sie als Halter für mögliche Tierschäden. Überlassen dieEltern ihrem Kind das Tier anhand ihrer Einschätzung seines Rei-fegrades, so wird ihr Kind Tierhalter. Jedoch kann es im letzterenFall gemäß dem deutschen Deliktsrecht vorkommen, dass, wenndas Kind haftungsfrei bleibt (§ 828 BGB) und die Eltern sich alsAufsichtspflichtige gleichzeitig exkulpieren können (§ 832 Abs 1Satz 2 BGB), der Geschädigte sich nur noch auf das Billigkeits-prinzip (§ 829 BGB) berufen kann, damit ihm der Tierschaden im-merhin teilweise ersetzt wird. Hält das Kind das Tier ohne Kenntnisseiner Eltern, so entscheidet sein Reifegrad darüber, ob aus seinerHerrschaft über das Tier seine Verantwortlichkeit für dessen Tier-schäden abzuleiten ist. Ungeachtet dessen, ob von der Aufsichts-pflicht der Eltern oder der eigenen Herrschaftsfähigkeit des Kindesüber das Tier auszugehen ist, ergibt sich für den Geschädigtendieselbe Anspruchskonstellation wie zuvor; vgl hierzu Eberl-Bor-ges in Staudinger (FN 22) § 833 BGB Rz 115; Sprau in Palandt(FN 74) § 833 BGB Rz 10; M. Fuchs, Deliktsrecht (1997) 133.

106) Dies ist darauf zurückzuführen, dass im Zivilrecht der VR China dieDelikts-/Verschuldensfähigkeit der nicht voll Geschäftsfähigennoch nicht definiert wurde und die den nicht voll Geschäftsfähigenobliegende Haftung daher auch unbeschränkt ist.

107) ZB für den Fall, dass der nicht voll Geschäftsfähige kein eigenesVermögen besitzt.

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[RECHTSVERGLEICHUNG]

Ü

Ü In KürzeDen vom Tierhalterhaftungsrecht der VR China erzieltengesetzeskonzeptionellen Fortschritte hinsichtlich derHaftungsabstufung, der Dritthaftung und der fortgesetz-ten Haftung für ausgesetzte/entlaufene Tiere als Sonder-fälle stehen zahlreiche Regelungsmängel auf der geset-zestechnischen und anwendungsbezogenen Ebene ge-genüber, wie zB teilweise fragwürdiger Bemessungs- undBestimmungsmaßstab zur Konkretisierung und Differen-zierung der Haftungstatbestände bzw Rechtsfolgen, teilskaum präzisierbare Möglichkeiten für die Anwendung derHaftungsgrundsätze auf die Sonderfälle, lückenhafteHaftungssubjektbestimmungen und letzten Endes dochdie fehlende nutzungszweckbedingte Differenzierung derSchadenstiere. Um das Spezialgesetz in der Zukunft re-gelungseffizienter und anwendungselastischer zu ma-chen, ist, abgesehen von der Maximierung der Vorteile derVerweisungs- und Ergänzungsmöglichkeiten im Rahmender aus der Taufe zu hebenden Kodifikation noch dieFeinjustierung von dessen Vorschriften selbst unentbehr-lich.

Ü SummaryA Structural, Legal-Systematic and Legal-TerminologicalAnalysis of the Tort Law on Liabilities of Animal Keepers ofthe People’s Republic of China— An Overall Evaluation inComparison with its German CounterpartThe Tort Liability Law of the People’s Republic of China(hereinafter abbreviated as Tort Law), that went into effectin July 2010, has ever since then been widely regarded asa milestone in the modern Chinese civil law history. Withan extra whole chapter (Section 78–83 Tort Law), the TortLaw has integrated into itself a specific law on liabilities ofanimal keepers (hereinafter abbreviated as animal tortlaw). With a multilayered system for fault attribution, thisspecial law has, for the first time in the Chinese civil lawhistory, stipulated a systematic set of liabilities for theharm caused by animals with gradually increasing severityof liability, ranging from the fault-based liability (Ver-schuldenshaftung) for zoo animals (Section 81 Tort Law)to strict or absolute liability (Gefährdungshaftung) for do-mestic animals (Section 78 Tort Law), and furthermore, toeven stricter liability (strengere Gefährdungshaftung) foranimals raised without safety measures and in violation ofmanagement rules (Section 79 Tort Law) or for the so-called dangerous animals (Section 80 Tort Law). More-over, the animal tort law has also regulated the liability forthe harm caused by abandoned or fleeing animals (Sec-tion 81 Tort Law) or by an animal for the fault of a thirdparty (Section 82 Tort Law), whereto the afore-mentionedthree liability categories are also applicable. As a hugediscrepancy from the jurisprudential achievements of theanimal tort law on the macroscopic level, there exist nu-merous loopholes in the law on the microscopic level,especially with regards to each provision and their com-ponents, e. g. the legal prerequisites, legal consequences

and liable subjects (animal keeper/manager or the thirdparty). Preventing the conceptual accomplishments fromenfolding their effectiveness, these problems are simplytoo obvious to be ignored. Under this circumstance, theacademic circle of the people’s republic is again resortingto the German Civil Code (BGB) to revamp these legisla-tive loopholes. After highlighting the legal achievementsof the Chinese animal tort law mainly in the macroscopicaspect, this paper will make a thorough jurisprudentialstudy of it in the microscopic aspect, while embracing acritical approach to numerous deficiencies and loopholesin its provisions. In the whole process of examination, thepaper will, at crucial junctures, make comparisons withthe German tort law on the liabilities of animal keepers aslaid down in the BGB (§§ 833–834) as well as with therelevant judicial practice and jurisprudential thoughts inGermany.

Ü Zum ThemaÜber den Autor:Der Autor, promovierte an der Johannes-Gutenberg Universi-tät Mainz (2012), ist Associate Professor an der chinesischenUniversität für Politik- und Rechtswissenschaft (CUPL: ChinaUniversity of Political Science and Law) in Peking mit For-schungsschwerpunkten Rechtsvergleichung, -übersetzungund -linguistik sowie Vermögens-, Erb- und Deliktsrecht. Er istaußerdem stellvertretender Direktor für die Lehraufgabenver-waltung und akademischer Leiter der Abteilung für Germa-nistik mit Schwerpunkt deutsches Recht.Kontaktadresse: China University of Political Science and Law,No. 27 Fuxue Road, Changping District, 102249 Beijing.E-Mail: [email protected] selben Autor erschienen:Beiträge der späten Qing-Zeit zu Chinas moderner vermö-gensrechtlicher Terminologie – Eine rechts-, translations- undsprachwissenschaftliche Studie über den auf dem deutschenBGB basierenden Zivilgesetzbuch-Entwurf (2012); Erbrecht inder VR China — Die aktuelle Entwicklung im Rahmen desAufbaus der Privatrechtsordnung (2015); Eine rechtslinguisti-sche, -terminologische und funktional-inhaltliche Analyse desauf dem BGB basierenden Zivilgesetzbuch-Entwurfs der spä-ten Qing-Zeit, ZChinR (2013, Issue 1); Beiträge der wissen-schaftlichen Entwürfe zur Erbrechtsreform in der VR China,ZChinR (2015, Issue 1); Das Vermächtnis als erbrechtlicheVerfügung in der VR China— ein rechtswissenschaftlicher und-terminologischer Vergleich mit dem deutschen Pendant,ZVglRWiss (2017, Issue 4).Literatur:WANG Liming/ZHOU Youjun/GAO Shengping, Auseinander-setzung mit den schwierigen Fragen über das chinesischeHaftpflichtgesetz (2012); Bollweg/Doukoff/Jansen, Das neuechinesische Haftpflichtgesetz, ZChinR (2011, Issue 1); ZHOUYoujun, Das Haftpflichtgesetz (2011); YANG Lixin, Haftpflichtund Schadensersatzpflicht (2010); CHENG Xiao, Lehrbuchdes Haftpflichtgesetzes (2014).

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