zur gestaltung des elektronischen teils der komposition … · zur klassifizierung der korngrößen...

31
Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition „granular“ von Katharina Klement Thomas Grill, 2007

Upload: dothuy

Post on 10-May-2019

215 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition „granular“ von Katharina Klement

Thomas Grill, 2007

Page 2: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

3

Abstract

In this paper the development of the electronic part of the composition „granular“ (by Katharina Klement“) accomplished by the author will be exposed in all applicable perspectives. The composition draws its ideas and structure from analogies to manifestations of granularity in nature and technology. In the following conceptual, metaphoric and technological aspects relevant for the adequate arrangement of the electronic part and the shaping of the spaces left open for the interpreter will be presented.

Kurzfassung

In der gegenständlichen Arbeit wird die Entwicklung des elektronischen Teils der Komposition „granular“ (von Katharina Klement) durch den Autor in allen maßgeblichen Persepektiven thematisiert. Die Komposition bezieht Ideen und Struktur aus Analogien zu Erscheinungsformen von Granularität in Natur und Technik. Die für die adäquate Gestaltung der elektronischen Stimme und ihren dem Interpreten überlassenen Freiräumen relevanten Aspekte konzeptueller, metaphorischer und technologischer Art werden im Folgenden dargelegt.

Page 3: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

4

Inhaltsverzeichnis

Abstract..................................................................................................................................3 Kurzfassung ...........................................................................................................................3 Inhaltsverzeichnis...................................................................................................................4 I. Einleitung.........................................................................................................................5

1. Aufführungssituation ...................................................................................................6 2. Konzeption / Partitur....................................................................................................7

II. Granularität in der Natur .................................................................................................9 1. Beschreibung disperser Systeme ................................................................................10 2. Morphologische Prozesse granularer Festkörper ........................................................12

III. Granularität in der Musik.............................................................................................13 1. Klangliche Mikrostruktur, Quantisierung ...................................................................14 2. Das Klangobjekt ........................................................................................................16 3. Granulare Texturen – Klangwolken ...........................................................................19

a) Fourier- und Wavelet-Synthese ..............................................................................19 b) Granularsynthese mit Grainlets ..............................................................................21

IV. Realisierung des elektronischen Teils der Komposition „granular"...............................22 1. Verwendetes Instrumentarium....................................................................................23 2. Verwendetes Klangmaterial .......................................................................................24 3. Live-Spieltechniken ...................................................................................................25

Zusammenfassung ................................................................................................................28 Appendix A Spektrale Klangtransformation.......................................................................29 Appendix B munger1~ real-time granulator.......................................................................30 Quellenverzeichnis ...............................................................................................................31

Abb. 1: Cirrocumulus floccus – eine granulare Struktur granularer Strukturen [37]

Page 4: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

5

I. Einleitung

Die Komposition „granular“ von Katharina Klement für Klavier, Schlagwerk und Elektronik wurde am 14. April 2007 im Rahmen des Festivals „Für die Beweglichkeit“ in der Montage-halle der HMH GmbH [14] uraufgeführt. Sowohl das Thema des Festivals – „Tiefenschärfen/Oberflächen“ – wie auch der besondere Ort der Aufführung, eine weitläufige Montagehalle für Maschinen zur Gesteinszerkleinerung („Rubblemaster“) beeinflussten das Kompositionskonzept maßgeblich.

Die Instrumentalbesetzung Klavier (gespielt von der Komponistin), Schlagwerk (gespielt von Wolfgang Reisinger) und Live-Elektronik (gespielt von Thomas Grill) wurde durch ein mehrkanaliges Beschallungskonzept verstärkt, dessen klangtechnische Betreuung Alfred Reiter übernahm.

Abb. 2: Aufstellung der Instrumente, Lautsprecher und Mikrofone in der HMH-Montagehalle.

Die Rechtecke „RM 60/80/100“ bezeichnen dabei die in Montage befindlichen Brechermaschinen. [17]

Katharina Klement sieht in „granular“ eine Fortsetzung der Ideen ihrer Klanginstallation „Beton“, die im Jahr 2001 im O.K. Centrum für Gegenwartskunst in Linz gezeigt wurde. Darin wurden Klangtransformation mit elektronischen Mitteln einerseits und plastische Arbeitsprozesse andererseits in Beziehung gesetzt, und als klanglicher „Baustoff“ der spezifische Lärm, der im Umgang mit dem Baustoff Beton entsteht, verarbeitet. Katharina Klement schreibt dazu: „In die Schichten dieses Lärms einzudringen, Geräusch- und Klangschichten freizulegen, der Prozess des Sägens, Öffnens und schließlich Zertrümmerns des Materials sind Ausgangspunkt der kompositorischen Arbeit“ [16].

Page 5: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

6

1. Aufführungssituation Bei „granular“ ergibt sich eine ähnliche Verbindung zwischen Klangarbeit und physischer Arbeit schon durch den vorgesehenen Ort der Erstaufführung. Es war eine bewusste, der Komponistin auch nahe liegende Entscheidung [17], diese spezielle Situation gezielt zu thematisieren.

Abb. 3: Konzertsituation in der HMH-Maschinenhalle [43]

Wie in Abb. 3 zu erkennen, wurden Instrumentalisten, Lautsprecher und Publikum zwischen und auch auf den „Rubblemaster“-Compact-Recycler-Maschinen der HMH GmbH platziert. Diese Maschinen erzeugen „hochwertige Recycling-Baustoffe aus Baurestmassen und Naturgestein“, bzw. „definiertes Wertkorn in einem Arbeitsgang” [14]. Durch die Einlauf-öffnung der Maschinen werden dabei Gesteinsbrocken bis zu einem Querschnitt von 95x70 cm eingebracht, die die Brecher nach dem Funktionsprinzip einer Prallmühle zerkleinern. Durch ein nachgeschaltetes Siebsystem können genau definierte Größenfraktionen des gemahlenen Gesteins erzielt werden.

Ein besonders interessanter Aspekt dieser Maschinen besteht darin, dass sie verhältnismäßig leicht transportabel sind, also direkt vor Ort arbeiten können. So kann aus dem gesprengten Berghang direkt das Baumaterial für die Straße werden, oder aus dem abgetragenen alten Haus bereits der Rohstoff für das neue: eine Transformation von Materie in situ.

Diese Form der Metamorphose von strukturgebendem Material fand auch in die Konzeption von „granular“ ihren Eingang und ist für den elektronischen Teil vor allem in Hinblick auf die Entwicklung des Klangmaterials von Bedeutung.

Page 6: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

7

2. Konzeption / Partitur „Entsprechend dem Arbeitsvorgang der Maschinen, Bau- oder Straßenschutt in unterschiedliche Sand-Korn-Größen zu zerkleinern, folgt die Komposition der Idee des Granulierens: grobteilige Klänge, Geräusche, Rhythmen werden in kleinteilige Sequenzen unterschiedlicher Körnung zerlegt. Instrumental wie elektronisch werden mittels variierender ‚Brecher’ musikalische Größen wie Rhythmus oder Frequenzbereiche zerkleinert. Daraus resultierende Texturen, Anhäufungen, Granulate von unterschiedlichem Dichtegrad überlagern sich und lassen je nach Schärfeeinstellung, d.h. je nach Einstellung eines ‚akustischen Siebs’ eine andere Schicht hörbar werden. Diese akustischen Siebe können Filter oder andere Operatoren sein, die den Prozess der musikalischen Granulierung bestimmen“ [15]

Handskizzen (siehe Abb. 4) erläutern die Wirkung solcher „akustischen Siebe“ auf musikalische Strukturen. Die Zweidimensionalität der Grafik legt den Schluss nahe, dass außer der ubiquitären Zeitachse noch zumindest ein weiterer Parameter eingeschlossen ist, oder, im übertragenen Sinn, auch mehrere. In Frage kommen beispielsweise Instrument, Spielweise, Tonhöhe, Klangfarbe, Dynamik, aber auch Position des verstärkten Klangs im Raum oder Effektierung.

Abb. 4: Sieb als Filter für granulare Strukturen [17]

In Abb. 5 wird das Prinzip der Schichtung bzw. Überlagerung von Texturen verschiedener Körnung illustriert. Transparenz, Korndichte, Aggregationsformen und deren Brechung durch rohe Beschneidung definieren die resultierende Struktur.

Abb. 5: Rechteckige Maskierung beschneidet geschichtete granulare Strukturen [17]

Page 7: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

8

Die Komposition „granular“ ist in sieben Hauptteile gegliedert, mit folgenden generellen Spielanweisungen (für alle Instrumente):

I. Knacken/Tropfen; unterschiedliche Reliefs A II. Fokussieren von Augenblicken, Zirkulieren; wiederholt A+B

III. Ein zersiebter Augenblick; Klangsand B IV. Immer näher an einem Klang; unregelmäßiges crescendo A+B V. Fluktuierender Klang A+B

VI. Fokussieren von Augenblicken 2 – klanglich, tief, langsam; wiederholt A VII. Grober Klangschutt; gefärbtes Rauschen; Bezug zu III und IV B

Die Zusatzanweisungen A und B stehen für A=Schichtung und B=Sieb/Perforation. Die Gesamtdauer des Stücks beträgt 50 Minuten.

Für die Elektronik besteht relativ große Freiheit in der Detailgestaltung dieser Spielan-weisungen (siehe Kapitel IV), zeitliche Strukturen hingegen sind präzise von der Komponistin festgelegt.

Wie in Abb. 2 ersichtlich, sind gemäß des Aufführungskonzepts für die HMH-Halle Instru-mentalisten und Publikum von acht Hauptlautsprechern und einem Subwoofer umgeben. Während die Lautsprecher 1 und 2 den Klang der Instrumentenpositionen stereofon an der „Bühnenkante“ abbilden, formen die Lautsprecher 3 bis 8 einen Klangraum, der nach in der Partitur verzeichneten Anweisungen bespielt wird (Abb. 6).

Abb. 6: Partituranweisung aus Teil I: Lautsprecherbelegung für die einzelnen Instrumente

Während die Lautsprecherbelegungen für die verstärkten akustischen Instrumente vom Klang-regisseur am Mischpult realisiert werden, ist es Aufgabe der Elektronik, das ihr zugedachte (oft variable) Routing selbst zu gestalten. Bei der Uraufführung stellte es sich in diesem Sinne als notwendig heraus, das elektronische Instrumentarium nicht auf der Bühne (wie die akustischen Instrumente) sondern inmitten des Publikums (unmittelbar neben der Klangregie) zu platzieren. Dadurch wurde eine bessere Kontrolle über den räumlichen Klangeindruck möglicha.

a Es war dies eine Entscheidung zugunsten der klanglichen Qualität der Aufführung: Die Wahrnehmung der Elektronik als am musikalischen Geschehen aktiv teilnehmendes Instrument konnte auf diese Weise nicht gewährleistet werden.

Page 8: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

9

II. Granularität in der Natur

“Einmal - ich glaube es war 1986, Hochsommer - bin ich bei einem Spaziergang durch die Felder östlich von Wien nahe der ungarischen Grenze - Haydns Geburtsort lag in der Nähe - auf etwas Merkwürdiges gestossen. Das Getreide stand hoch und war wohl kurz vor der Ernte. Der heisse sommerliche Ostwind strich durch die Felder und plötzlich hörte ich das Rauschen. Obwohl es mir oft erklärt wurde kann ich immer noch nicht sagen wie sich Weizen- und Roggenpflanze voneinander unterscheiden. Aber ich hörte den Unterschied.” (Peter Ablinger in [1]) Das vorangestellte Zitat ist ein schönes Beispiel für unterschiedliche makroskopische Eigenschaften von oberflächlich sehr ähnlichen Systemen, die sich in ihrer Feinstruktur aber merkbar unterscheiden (siehe Abb. 7).

Abb. 7: Weizen- (links, Triticum aestivum) und Roggenähren (rechts, Secale cereale) [20]

Es ist eine Frage des Betrachtungsabstandes bzw. der Fokussierung, ob ein Unterschied individueller Merkmale erkennbar ist oder hinter den aggregierten Gesamteigenschaften des Schwarms verborgen bleibt (Abb. 8).

Abb. 8: Weizen- und Roggenkörner, aus der Nähe und aus großer Entfernung [20].

Page 9: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

10

1. Beschreibung disperser Systeme In der wissenschaftlichen Literatur werden granulare Strukturen auch als „disperse Systeme“ bezeichnet. „Eine Dispersion ist in der Chemie ein Gemenge aus mindestens zwei Stoffen, die sich nicht oder kaum ineinander lösen oder chemisch miteinander verbinden ... Die einzelnen Phasen können dabei deutlich von einander abgegrenzt werden und in der Regel durch physikalische Methoden wieder voneinander getrennt werden (z. B. filtern, zentrifugieren), oder entmischen sich von selbst (sedimentieren).“ [38].

Disperse Systeme haben eine Reihe von charakteristischen Bestimmungsgrößen (nach [2]):

• Spezifische Oberfläche: Die volumen- oder massenbezogene Oberfläche ist eine Kenngröße für die Feinheit eines Pulvers. Je feiner das Gut, desto größer die spezifische Oberfläche. Die Gesamtoberfläche wird dabei in die nach außen sichtbare „äußere Oberfläche“ (also die Oberfläche des Haufens) und in die „innere Oberfläche“ (der einzelnen Körner) unterteilt (siehe Abb. 9).

• Porösität: Die Porösität eines Haufens bezeichnet das Poren- oder Hohlraumvolumen bezogen auf das Gesamtvolumen. Je kleiner dieser Wert (gegen 0) ist, umso dichter gepackt ist die granulare Struktur.

• Kornform: Die Formanalyse beschreibt die Form der dispersiven Elemente unabhängig von deren Größe. Die Form der Einzelelemente hat Einfluss auf verschiedene Eigenschaften des Gesamtsystem, wie zum Beispiel Fließverhalten, Festigkeit, Schmiervermögen etc.. Es existiert einerseits eine Nomenklatur zur Beschreibung der Formen [3] (nadlig, kantig, faserig, schuppig, kuglig, körnig, gerundet, verzweigt), andererseits existieren Formalismen zur Berechnung von Formfaktoren wie Sphärizität, Elongation, Schuppigkeit u.a.

• Konzentration, Abstände: In vielen Systemen interessiert die Verteilung der dispersen Phase innerhalb des umgebenden Mediums, z.B. beim Feinstaubgehalt in der Luft.

Abb. 9: Volumen, Oberfläche und Porösität von dispersiven Elementen [34]

Page 10: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

11

Für die Größenmessung von Feststoff-Partikeln werden vielfach fotometrische Methoden herangezogen, wie durch Abb. 10 veranschaulicht. Durch die Projektion der räumlich-granularen Struktur als flächige Textur gelingt die Auswertung der Größe aufgrund von Gesamtcharakterika des Systems, ohne das individuelle Teilchen betrachten zu müssen.

Abb. 10: Fotometrische Analyse von Partikelgrößen: durch Schrägbeleuchtung entstehende Texturen können

computergestützt (unter Zuhilfenahme von Fourieranalyse) ausgewertet werden. [18]

Die Messung des Korngrößendurchmessers kann auch mit Hilfe der Sinkgeschwindigkeit in einer Flüssigkeit oder – ganz klassisch – durch Siebung ermittelt werden: „Der Siebdurch-messer ist die Maschenweite eines quadratischen Siebes, durch den die Körner gerade noch gelangen können. In der Siebanalyse bedient man sich hier einer Reihe von immer feiner werdenden Sieben. ... Der nominale Durchmesser ist der eines sphärischen Partikels, welches das selbe Volumen besitzt.“ [19]. Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala [35] verwendet.

Abb. 11: Korngrößenbenennung nach DIN 4022 [19]

Die Korngröße ist, wie alle anderen Partikeleigenschaften, im Allgemeinen nicht für alle Partikel exakt gleich, sondern gehorcht einer bestimmten statistischen Verteilung mit den ent-sprechenden Kenngrößen Mittelwert, Median, Standardabweichung, Schiefe, Kurtosis, etc..

Page 11: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

12

2. Morphologische Prozesse granularer Festkörper In Anlehnung an die Geologie können drei wesentliche Grundformen morphologischer Prozesse unterschieden werden:

• Abtragung, Erosion (nach [19]): Als Erosion bezeichnet man die Ablösung von Einzelpartikeln von bindendem Material. Zwischen allen Partikeln wirken elektrochemische Kräfte, die um so wichtiger werden, je kleiner die Teilchen sind. Um die Bewegung eines einzelnen Korns zu erreichen, ist zur Überwindung dieser kohäsiven Kräfte eine angreifende Mindestkraft (durch Strömung) vonnöten. Der Beginn der Sedimentbewegung ist durch ein statisches Ungleichgewicht von angreifender Strömungskraft und der Gewichtskraft am Einzelkorn geprägt. Einmal in Bewegung versetzt, bewegen sich die Einzelkörner unter gegenseitigen Stößen rollend oder springend weiter.

• Transport (nach [19]): Abhängig von der Korngröße bewegen sich granulare Feststoffe auf zwei verschiedene Arten: Große Partikel werden rollend oder schleifend transportiert, bleiben also immer im Kontakt mit dem Boden, während Sandteilchen sich typischerweise in Sprüngen (engl. saltation) fortbewegen, also immer wieder kurzfristig den Boden verlassen.

• Sedimentation, Ablagerung (nach [41]): Je nach Entfernung zum Abtragungsort weist die Korngrößenverteilung der Partikel deutliche Unterschiede auf, wobei die Korngröße der Partikel mit der Entfernung abnimmt. Die Sedimentationsgeschwindig-keit (Absinkgeschwindigkeit) ist abhängig von der Dichte der dispersen Phase, also der Korngröße. Die „dichtesten“ Teilchen lagern sich zuerst ab, liegen also zuunterst, was auch dazu benutzt werden kann die verschiedenen Stoffe eines Gemenges zu trennen (dekantieren).

Welcher dieser drei Prozesse bevorzugt abläuft, hängt nach Hjulström [13] hauptsächlich von der Korngröße der dispersen Phase und der Fließgeschwindigkeit der Dispersion ab (siehe Abb. 12): Bei hoher Fließgeschwindigkeit überwiegt durch die großen angreifenden Kräfte die Erosion, mit steigender Korngröße (also Masse) steigt auch die Tendenz zur Sedimentation.

Abb. 12: Zusammenhang zwischen Korngröße und Fließgeschwindigkeit

sowie Erosion, Transport und Sedimentation nach Hjulström [40]

Page 12: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

13

III. Granularität in der Musik

„All sound is an integration of grains, of elementary sonic particles, of sonic quanta“ (Iannis Xenakis in [45] S. 43) Die Literatur nennt zwei Komponisten als zentrale Vordenker einer mikrotemporalen (also zeitlich granularen) Repräsentation von Musik: einerseits Iannis Xenakis als Schöpfer der formalen, musiktheoretischen Grundlagen und andererseits Curtis Roads als Entwickler der Anwendung in digitaler Musik.

In seinem Standardwerk “microsound” [26] gibt Roads einen ausführlichen Überblick über die Bedeutung der verschiedenen zeitlichen Skalen in der Musik (Abb. 13), wobei für die gegenständliche Arbeit Dauern von der Länge eines Samples bis zur Länge der gesamten Komposition (also etwa eine Stunde) von Bedeutung sind.

Abb. 13: Zeitskalen in der Musik ([26] S. 5)

Page 13: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

14

Die Zeitskalen, die Roads beschreibt, haben keine fix festgelegten Dauern und gehen fließend in einander über – sie beziehen sich auf den Kontext in dem sie betrachtet werden. Die „Macro”-Zeitskala beschreibt dabei Strukturen bis zur Länge einer Komposition und umfasst damit die Bestandteile der musikalischen Form, im Falle von “granular” sieben Hauptteile mit weiterer Untergliederung. Die „Meso”-Zeitskala beschreibt Entwicklungen innerhalb dieser Formelemente, die einerseits, wie aus der traditionellen Musik bekannt, als Abfolge oder Kombination von Einzelklängen (Noten), oder andererseits als Akkumulationen von Klang-objekten beschreibbar sind: Klangmassen, Texturen und Wolken. Letztere könnte man auch unter „Klangcluster“ subsummieren, wobei dieser Begriff den zeitlichen und strukturell heterogenen Aufbau einer solchen Aggregation unberücksichtigt lässt. Die darunterliegende Zeitskala umfasst diese einzelnen Klangobjekte. Dieser Terminus „Klangobjekt“ (im französischen Original „objet sonore“) stammt von Pierre Schaeffer und beschreibt einen zeitlich abgeschlossenen Klang, entsprechend dem Konzept der traditionellen Note, von ihm allerdings losgelöst von instrumentaler Herkunft. Wie natürlichen biologischen oder geologischen Objekten ordnete Schaeffer den Klangobjekten formgebende Eigenschaften zu und klassifizierte diese in einer Klangmorphologie [28]. Dem „greifbaren“ Charakter eines Klangobjekts gegenüber steht die flüchtige Natur der mikroklanglichen Ereignisse, die auf der darunterliegenden Zeitskala Dauern im Millisekundenbereich umfassen. Mikroklänge werden nicht einzeln wahrgenommen, sondern formen fein strukturierte Texturen, wie z.B. das einzelne Korn im Klang einer Rassel.

1. Klangliche Mikrostruktur, Quantisierung Roads und Xenakis beziehen sich in ihren musiktheoretischen Überlegungen auf außer-musikalische Grundlagen, besonders auf die Arbeit des Physikers Dennis Gabor, der in drei wegweisenden Artikeln ([7], [8], [9]) Einsichten aus der Quantenmechanik mit praktischen akustischen Experimenten verband. Nach Gabor kann jeder Klang in eine Familie von zeit- bzw. frequenzverschobenen Gauß-Partikeln (Abb. 14) zerlegt werden – anders gesagt kann ein beliebiger Klang als eine Kombination einer (großen) Anzahl von elementaren Klangteilchen (“grains”) dargestellt werden – quasi Basiseinheiten akustischer Information.

Abb. 14: Ein Gauß-Partikel entsteht aus der Modulation einer komplexen Sinuswelle

(bestimmt durch Frequenz und Phase) mit einer gaußförmigen Amplituden-Kurve. ([26], S.87)

Page 14: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

15

Gabors grundlegender Ansatz beruht auf einer Analogie zur aus der Quantenphysik bekannten Heisenbergschen Unschärferelationb, nach der zwei Messgrößen eines Teilchens prinzipiell nicht beide gleichzeitig scharf bestimmt werden können. Gabors Übertragung dieses Sachverhaltes lautet

t • f 1

Zeit und Frequenz sind also komplementäre Größen, die auf die Konstruktion der Klangquanten mit der Frequenz f unter der Hüllkurve der Dauer t in entsprechender Weise Einfluss nehmen, gesteuert durch einen Formparameter a:

t = 1/2 / a und f = a / 1/2

Dieser Zusammenhang enthält auch die vor Gabor bekannten Grenzfälle der Repräsentation von Klang als unendlich dichte Serie von Diracschen Deltafunktionen (für a ) bzw. als Fourierreihe (für a 0).

Experimente zeigten (siehe auch [42] Abschnitt VI.11), dass, ganz analog zu den theoretischen Überlegungen, das Auflösungsvermögen der menschlichen akustischen Wahrnehmung in Frequenz, Zeit und Amplitude begrenzt ist, wodurch sich ein Raster an perzeptiven Klangquanten ergibt (Abb. 15).

Abb. 15: Rastersystem der Klangquanten, entsprechend der menschlichen Wahrnehmung ([45] S. 48)

Dies ist der Ansatz, den Iannis Xenakis (offensichtlich maßgeblich beeinflusst von den informationstheoretischen Betrachtungen von Abraham Moles in [21]) in seinem musiktheoretischen Hauptwerk „Formalized Music“ als Grundlage der „Markovian Stochastic Music“ nimmtc. Die größte Auflösung besitzt das Gehör in der Mitte des Rasters, bei mittlerer Lautstärke und einer Frequenz zwischen 1 und 2 kHz. Um dieses Zentrum scharen sich etwa 340000 Klangquanten („elementary audible grains“, [45] S. 47). Jedes Rasterfeld soll dabei die gleiche Quanten-Dichte F G repräsentieren, wodurch mit einer geeigneten Koordinatentransformation die Darstellung als rechtwinkliges Raster gelingt (Abb. 16).

b Genau genommen ist dies in der Energie-Zeit-Unschärferelation begründet, die aus der Heisenbergschen Unschärferelation folgt. c Die Isophonen zur Einschätzung der Amplitudenwahrnehmung wurden im Laufe der Zeit auf Basis neuerer Messungen immer wieder aktualisiert. Während sich Xenakis auf Fletcher und Munson [6] bezieht, wurden später die Messungen von Robinson und Dadson (ISO226) [27] verwendet, die 2003 erneut einer Neubewertung und Korrektur unterzogen wurden (ISO226:2003)

Page 15: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

16

Abb. 16: Transformation des perzeptiv verzerrten in ein kartesisches Raster ([45] S. 49)

Um den Formalismus leichter handhabbar zu machen, führte Xenakis „screens“ ein, auf denen die Verteilung der grains durch eine Dichte-Dimension D definiert ist. Zeitliche Entwicklungen können beschrieben werden, indem der Klangraum in Zeitscheiben der Dicke

t unterteilt wird. Dies wird als “book of screens” bezeichnet. Für die Bewegungsbahnen der Grains in Zeit and Raum verwendet Xenakis mitunter auch Vektorfelder, die exakten Positionen im vierdimensionalen Raum F G D t werden durch Wahrscheinlichkeits-verteilungen (z.B. Poisson-Verteilung) ermittelt.

Abb. 17: Zeitliche Entwicklung eines komplexen Klangs, beschrieben durch ein "book of screens" ([45] S. 51)

“Screens” werden bei Xenakis nicht nur zur Beschreibung von Klangobjekten verwendet, sondern auch zur formalen Behandlung von Klangtransformationen. Dies geschieht durch die Anwendung von Mengenoperatoren auf die Grain-Verteilungen. Dabei kann man den Vereinigungsoperator als “Generator” betrachten und den Durchschnittsoperator als “Filter” oder “Sieb”.

2. Das Klangobjekt Der britische Komponist Trevor Wishart verwendet eine ganz ähnliche Darstellung von Klangentwicklungen wie Xenakis, wenngleich er auch den Raum durch andere Parameter aufspannen lässt. Zeit und Frequenz bleiben notwendigerweise erhalten, statt der Lautstärkedimension wird allerdings ein Timbre-Parameter verwendetd.

d Die Darstellungen des Klangraums sowohl bei Xenakis wie bei Wishart sind als formale Schemata zu sehen, deren akustische Entsprechung schwer zu begründen sein dürfte. Die Lautstärke bei Xenakis wäre physikalisch eigentlich als skalarer Funktionswert über einer von Zeit und Frequenz aufgespannten Ebene zu begreifen, da sich Quanten gleicher Koordinaten energetisch addieren, verschiedene Lautstärkezellen gleicher Zeit- und

Page 16: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

17

Abb. 18: zeitliche Entwicklung eines komplexen Klangobjekts und

zweidimensionale Schnitte zu verschiedenen Zeitpunkten ([44] S. 26)

Es ist kein Zufall, dass die in Abb. 18 veranschaulichte Klanggestalt eine haptische Qualität hat und Assoziationen mit physischen Objekten erweckt. Ein wesentliches Merkmal eines „Klangobjekts“ nach Pierre Schaeffers Definition ist eine Abgeschlossenheit in ihrer zeitlichen Ausdehnung und zwei Eigenschaften, die die „Körperlichkeit“ näher definieren: die Klangmasse und die Granulation. Erstere kann als eine Verallgemeinerung des Tonhöhen- und Klangfarbenbegriffs gesehen werden, als die Art und Weise der Bedeckung des spektralen Raums. Die Granulation dagegen bezieht sich auf die zeitliche Feinstruktur des Klangs, als eine Art von „Oberflächenbeschaffenheit“, die sich durch Pulsation, Rauigkeit, etc. äußert. Wie bereits erwähnt, erweitert das Klangobjekt das traditionelle Konzept der „homogenen“ Note und erlaubt eine große Bandbreite an heterogenen Erscheinungsformen, was auch zeitliche Veränderlichkeit der verschiedenen klangbestimmenden Parameter einschließt. Abb. 19 veranschaulicht ein solches zeitlich veränderliches Klangobjekt.

Abb. 19: Vermutliches Entstehen des aufwärts glissandierenden "Blubber"-Klangs ([44], S. 184)

Die enorme Vielgestaltigkeit möglicher Klangobjekte veranlasste Schaeffer zum Versuch der Klassifikation ([28], [29]), wozu er den Begriff „Morphologie“ verwendete, der in den Naturwissenschaften, in der Linguistik, und anderen Disziplinen bereits als „die Lehre von den Formen“ verankert war. Eine wesentliche Erweiterung erfuhr dieses Ordnungssystem durch die Arbeiten Denis Smalleys Mitte der 1990er-Jahre. Seine „Spectromorphology“ [30] stellt in umfassender Weise Beziehungen zwischen Klang, Klangursprung und Hörerfahrung her und entwirft ein Zeichensystem, das dieses vieldimensionale Netzwerk mittels Metaphern greifbar macht.

Abb. 20 zeigt die verschiedenen Begrifflichkeiten, die laut Smalley zu einer Bewegung der Textur beitragen können: Ganz links die inneren texturalen Komponenten, die ein „Verhalten“ symbolisieren, rechts davon die verschiedenen Ausprägungen von Konsistenz.

Frequenzkoordinate demnach redundant sind. Die Timbre-Koordinate bei Wishart steht ebenso symbolhaft für einen komplexen, eigentlich vieldimensionalen Klangcharakter mit einer definierten Grundfrequenz.

Page 17: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

18

Abb. 20: Bewegungen der Textur ([30], S. 184)

Analog zu Schaeffers Klangmasse bzw. der spektralen Granularität von Xenakis Screen-Darstellung bietet auch Smalleys Zeichensystem Möglichkeiten zur Beschreibung des spektralen Raums. Gemäß Abb. 21 werden die Raumgrenzen im Unterschied zu Xenakis nicht absolut definiert, sondern in Bezug auf die Verwendung innerhalb eines betrachteten Werkes. Der gesamte relevante Raum wird durch einen Rahmen umfasst, der zwischen „Wurzel“ und „Dach“ aufgespannt wird, oft mit einem exponierten spektralen Zentrum, das z.B. durch Solostimmen definiert sein kann. Zusätzlich helfen vier „Bestimmungen“ bei der weiteren Beschreibung der Art und Weise, wie einzelne spektrale Komponenten Raum greifen und mit anderen interagieren.

Abb. 21: Besetzung des spektralen Raumes ([30], S. 193)

Die Besetzungsdichte und Transparenz des spektralen Raums in Bezug auf einzelne klangliche Komponenten (bei Smalley „Spektromorphologien“) wird in Abb. 22 dargestellt, wobei hier der Fokus eine zentrale Rolle einnimmt. Analog zur Durchlässigkeit der Maske in Abb. 4 bestimmt die Perspektive des Hörers, welche Klangkomponenten zum Vorschein kommen.

Abb. 22: Spektrale Dichte ([30], S. 193)

Smalleys Begriffsnetzwerke überschreiten bisweilen die Grenzen der von Roads festgelegten Zeitskala des Klangobjekts, da letzteres hier immer in Bezug zu seiner Umgebung betrachtet wird. Viele spektromorphologische Begrifflichkeiten sind überhaupt nur an einer Gesamtheit des klanglichen Geschehens festzumachen.

Page 18: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

19

3. Granulare Texturen – Klangwolken Versucht man klangliche Entwicklungen in generativer Weise („bottom-up“) quasi-atomar zu beschreiben, wie es das „book of screens“-Modell nahelegt, so ist man schon bei der Be-schreibung eher kurzer Prozesse mit der kombinatorischen Explosion der Anzahl beteiligter, klangbeschreibender Parameter konfrontierte. Dies wurde von Xenakis auf anschauliche Weise beschrieben: „A complex sound may be imagined as a multi-colored firework in which each point of light appears and instantaneously disappears against a black sky. But in this firework there would be such a quantity of points of light organized in such a way that their rapid and teeming succession would create forms and spirals, slowly unfolding, or conversely, brief explosions setting the whole sky aflame. A line of light would be created by a sufficiently large multitude of points appearing and disappearing instantaneously.“ ([45], S. 43). Folglich ist man darauf angewiesen, geeignete Methoden zur Parametersteuerung zu verwenden, also Modelle, die es dem Komponisten erlauben, mittels einer überschaubaren Auswahl an möglichst intuitiven Steuerungsparametern komplexe klangliche Prozesse zu kontrollieren. Dazu wurden im Laufe der Zeit verschiedenste wissenschaftliche Disziplinen bemüht – so gibt es Modelle mit Steuerung durch nicht-lineare Funktionen, genetische Algo-rithmen, zelluläre Automaten, Populationsmodelle und neuronale Netzwerke [31] und auch Handzeichnung. Siehe Abb. 23 für eine grafische Partitur, die mittels des UPIC-Systems ([45], S. 329) realisiert wurde.

Abb. 23: Ein Partiturausschnitt von Mycènes Alpha (1978) von Iannis Xenakis [46]

Für die effiziente Synthese von derart bestimmbaren Klangquanten in Zeitsignale stehen zwei wesentliche Konzepte zur Verfügung:

a) Fourier- und Wavelet-Synthese

Diese Verfahren gelten seit vielen Jahren als Standardmethoden zur Transformation von Signalen zwischen Zeit- und Frequenzbereich, sowohl für Analyse als auch Synthese. Für digitale, gesampelte Klänge sind nur die diskreten Versionen dieser Methoden von Belang. Die Fourier-Methode ist per definitionem eigentlich nur für periodische Signale geeignet und benötigt daher Fensterung in der Zeitdomäne, um bei der Analyse den Fokus auf einen betrachteten Zeitbereich legen zu können – diese Variante wird daher Short-Time Fourier Transform bzw. STFT genannt. Für die Synthese von granularen Texturen aus spektraler Information ist die inverse Operation relevant, die Overlap-Add-Synthese genannt wird (siehe Abb. 24). Dabei können aus einzelnen Zeitscheiben mit Frequenzverläufen (analog zu den e Eine Hauptschwierigkeit dieses Modells besteht auch darin, dass die zeitliche Quantisierung t konstant und für alle Elemente des spektralen Raums die gleiche ist (vgl. [26] S.67). Diese Zeitkonstante muss also sehr klein gewählt werden, um eine adäquate Beschreibung von granularen Vorgängen zu erlauben.

Page 19: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

20

„books of screens“) Signale synthetisiert werden – mit den gleichen Komplikationen, die aus der konstanten und finiten Zeitauflösung herrühren.

Abb. 24: Short-Time Fourier Transformation (STFT): Analyse und Synthese ([25], S. 551 und 554)

Eine fundamentale Schwierigkeit im Umgang mit der STFT entsteht durch die Eigenschaft der diskreten Fourier-Transformation, dass der Frequenzbereich linear aufgeteilt wird: in äquidistanten Intervallen zwischen einer niedrigsten Frequenz, die umgekehrt proportional zur Länge des transformierten Signals ist und der Nyquist-Frequenz, die der halben Samplerate entspricht. Die Aufteilung in Frequenzbänder entspricht also nicht der in der Musik üblichen gleichstufigen Oktavteilung, was oft Schwierigkeiten bei der Frequenzauflösung in tiefen Frequenzbereichen und bei der Zeitauflösung in höheren Frequenzbereichen nach sich zieht.

Dieser Mangel wird durch die Wavelet-Methode behoben, die eine logarithmische Frequenz-aufteilung besitzt und hohe Frequenzbereiche zeitlich feiner aufgelöst repräsentiert als tiefe, wie es auch von Filterbänken mit konstantem Q-Faktor bekannt ist (siehe Abb. 25). Nach der Theorie kann jedes Signal in eine Summe von „Wavelets“ (Signal-Pulse einer bestimmten Länge) zerlegt werden, was, mit Ausnahme der gestaffelten Frequenzauflösung, dem Gabor-Theorem (siehe Abschnitt III.1) entspricht. Für musikalische Anwendungen werden auch die dort beschriebenen Gauß-Partikel („Gabor-Wavelets“) als Basis verwendet, die mit ent-sprechenden Werten für ihre Parameter Frequenz, Phase, Dauer und Startzeit ein orth-onormales Funktionensystem bilden. Es können prinzipiell aber auch andere Signalformen als Wavelets eingesetzt werden. Der inverse Vorgang, von der spektralen Repräsentation zum Zeitsignal zu gelangen, erfolgt analog zur STFT über die Overlap-Add-Synthese.

Abb. 25: Vergleich des Zeit-Frequenz-Rasters zwischen STFT- und Wavelet-Transformation ([26], S. 283)

Page 20: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

21

b) Granularsynthese mit Grainlets

Anstatt wie bei den STFT- oder Wavelet-Methoden mit Fensterung und also festgelegten Frame-Raten zu arbeiten ist es auch möglich, mittels einer Reihe von verwandten Methoden Ströme aus identischen Grains (meist wiederum Gabor-Wavelets) in der Zeitdomäne zu synthetisieren. Nach Roads [25] werden hier Tonhöhen-synchrone, quasi-synchrone and asynchrone Varianten unterschieden, wobei deren wesentlicher Unterschied in der Art und Weise liegt, wie (im allgemeinen stochastische oder durch vorangegangene Klanganalyse gelenkte) Steuerungsmechanismen für die Positionierung von Grains in der Zeit angewandt werden. Abb. 26 stellt einige mögliche Resultate in Sonogramm-Form dar.

Abb. 26: Einige mögliche Formen von Grain-Wolken: Cumulus, Glissandi, Stratus (v.l.n.r.) ([25], S. 182)

Asynchrone Granularsynthese erlaubt als allgemeinste Variante die Einbeziehung von beliebi-gen, auf Sample-Basis zur Verfügung stehenden, konkreten Klängen. Die Auswahl des jeweiligen Klanges wird dabei als variierbarer Parameter betrachtet, wobei auch Über-blendungen zwischen Klängen möglich sind. Die „Phase“ spielt hier eine noch ent-scheidendere Rolle als bei puren Gabor-Grainlets – sie bestimmt in diesem Fall den Einsatz-punkt im Klang-Sample (für Anwendungen siehe Abb. 27). Eine andere Möglichkeit ist die Einbeziehung von Echtzeit-Klängen (also Streams), wobei in diesem Fall durch die Phase eine Verzögerungszeit, entsprechend einem Index in eine interpolierende Delayline, angegeben wird.

Abb. 27: Transformationsstrategien zur Zeit-Granulation ([25], S. 183)

Im Appendix B wird mit dem Max/MSP bzw. pure data external munger1~ eine effiziente, leicht handhabbare Implementierung eines solch universellen Synthesewerkzeugs vorgestellt.

Page 21: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

22

IV. Realisierung des elektronischen Teils der Komposition „granular"

In der Gestaltung des Elektronik-Parts in „granular“ werden folgende drei Aspekte bevorzugt thematisiert:

a. Die Position der elektronischen Stimme in Bezug auf die beiden Instrumentalisten und in Bezug auf den Aufführungsort: Inwieweit soll der Computer ein drittes, physisches und lokalisiertes Instrument sein bzw. inwieweit soll sich der Klang vom Ort loslösen und den Raum bespielen? Oder auch: ist der Computer klanglich eigenständig oder aber abhängig von Live-Input der Instrumentalisten?

b. Für die Komponistin war die maschinelle Natur des Computers ein wichtiger Grund für die Verwendung dieses Instruments: Soll dieser maschinelle Bezug mittels Spiel-technik, Klangmaterial oder gar körperlicher Interaktion mit dem Spielgerät hergestellt werden?

c. Wie können die in der Partitur geforderten, oft komplexen Strukturen in der Auf-führung realisiert werden, sodass sowohl eine hohe Präzision an Detailtreue, gleich-zeitig aber auch eine ausreichend freie Beweglichkeit im Live-Spiel möglich sind?

Bei der Ausarbeitung zeigte sich, dass a. und b. in verschiedener Hinsicht miteinander verknüpft sind: In der Partitur herrscht weitreichende Symmetrie in Bezug auf die Strukturierung der Instrumentalstimmen. Die vorkommenden auszuführenden Struktur-elemente sind also mit wenigen Ausnahmen für alle drei Spieler gleich (siehe Abb. 28). Des weiteren werden alle Instrumente verstärkt und im Raum spatialisiert, verfügen also sowohl über ihren natürlichen Instrumentalklang (bei der Elektronik wäre dieser der Monitor-lautsprecher für den Spieler) wie auch einen delokalisierten Raumklang über die acht im Raum verteilten Lautsprecher.

Abb. 28: Partitur "granular", Teil 2 - Klavier, Perkussion, Elektronik [17]. Trotz teilweise völlig

unterschiedlichen Klangmaterials führen die drei Stimmen gleiche Strukturen aus.

Page 22: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

23

Der maschinelle Charakter der elektronischen Stimme als gleichberechtigtes Instrument wird durch striktere Anlegung der Strukturierung und durch Opposition zum „akustischen Klangcharakter“ der anderen Instrumente erreicht: durch kürzere Ausklänge, größere Dynamik und Einbeziehung nichtinstrumentalen und durch Klangprozessierung bearbeiteten Klangmaterials.

1. Verwendetes Instrumentarium Die im letzten Abschnitt beschriebene Symmetrie der Stimmen legte nahe, für die Gestaltung des elektronischen Instrumentariums einen Zugang zu wählen, der dem der anderen Instrumente nahe kommt, und versucht, von ähnlichen Voraussetzungen auszugehen. Die Wahl des elektronischen Instruments fiel daher auf ein schon in vielen instrumentalen (vor allem improvisatorischen) Kontexten bewährtes Max/MSP-basiertes [47] System, das keine nennenswerten Automatismen einschließt, sondern lediglich eine einfache Spieloberfläche bereitstellt, und mittels externer Steuerungs-Hardware (bei ausreichender Übung) intuitiv zu bedienen ist (siehe Abb. 29).

Abb. 29: Verwendetes Performance-System auf der Basis von Max/MSP

Dabei handelt es sich im Wesentlichen um einen Sample-Player (basierend auf [12]), der über vier unabhängige Mono-Stimmen verfügt, die jeweils geloopt und in der Wiedergabe-geschwindigkeit variiert werden können. Die Klänge werden dazu aus einer Datenbank von Klangdateien geladen oder ad hoc von bis zu vier Eingangskanälen aufgenommen.

Für das gegenständliche Projekt wurden einige Adaptionen des existierenden Systems, vor allem im Hinblick auf die geforderte Granulierung/Perforation/Siebung des Klangmaterials und die Spatialisierung der Ausgabekanäle, vorgenommen. Die Bewältigung der in der Partitur vorgeschriebenen, abschnittsweise fixierten oder variabel zu gestaltenden Klangverteilung erforderte penibel geplante, speicherbare und schnell abrufbare Routing-Einstellungen, da vier interne flexibel mit acht externen Kanälen verknüpfbar sein mussten.

Page 23: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

24

Für die Realisierung der Spatialisierung standen prinzipiell drei Techniken zur Verfügung: VBAP (vector based amplitude panning) [23], Ambisonics-basierte Spatialisierung [36] oder diskrete Ansteuerung von einzelnen Lautsprecherpaaren. Die Entscheidung fiel auf letztere, da diese Methode ein überschaubareres und einfacher steuerbares Verhalten bei fließenden Übergängen zwischen aufeinanderfolgenden Positionen besitzt. Für diese Wahl spricht auch, dass die Lautsprecherzuordnung der akustischen Instrumente durch den Klangregisseur am Mischpult und damit ebenfalls diskret vorgenommen wurde. Die Routingsektion des Performance-Systems befindet sich in Abb. 29 rechts oben.

2. Verwendetes Klangmaterial Das Klangmaterial für die elektronische Stimme war zu Beginn der Probenarbeit an „granular“ noch nicht im Detail festgelegt. Es kristallisierte sich im Zuge der Arbeit aber bald heraus, dass zwei wesentliche Klangressourcen zur Verwendung gelangen würden: Einerseits sollte die Elektronik Klänge der akustischen Instrumente verwenden, um an einigen Partiturstellen genau festgelegtes Zusammenspiel zu ermöglichen, andererseits existierte von Katharina Klement in einem Zementwerk aufgenommenes Klangmaterial, das sowohl von der Materialität als auch von den darin dokumentierten Arbeitsprozessen wie Zerkleinerung, Siebung und Transport her für eine Verwendung in „granular“ wie geschaffen schien. Über die Art und Weise der tatsächlichen Verwendung dieser Klänge machte die Komponistin bewusst keine näheren Angaben, sie war also frei gestaltbar.

Wie im Abschnitt I.2 beschrieben verfügt jeder der sieben Hauptteile der Komposition über ein „Generalthema“: entweder Schichtung oder Siebung/Perforation. In Anbetracht der erläuternden Handksizzen (z.B. Abb. 5) schien es folgerichtig, diese Prozesse in zumindest zwei Dimensionen durchzuführen. In Anlehnung an die fundamentalen Bestimmungsgrößen der Klang-Quantisierung (siehe Abschnitt III.1) fiel die Entscheidung auf die Bearbeitung der zu einander komplementären Dimensionen Zeit und Frequenz.

Die verschiedenen Implementierungen von Granularsynthese in Echtzeit (siehe Abschnitt III.3) bieten einen reichhaltigen Fundus an klanglichen Möglichkeiten, jedoch sind die asyn-chronen Verfahren durch ihre meist stochastische Parameterbestimmung kaum im Detail präzise zu steuern. Der resultierende Klang wirkt folglich mitunter unscharf, zittrig und wenig prägnant. Die gewählte Lösung war, die Granulierungsmethoden in einer einfacheren Form nachzubauen, „händisch“ zu schichten und sieben und Zeit- und Frequenzbereich getrennt zu behandeln.

Um eine „Spielbarkeit“ zu gewährleisten und über zeitlich flexible Gestaltungsmöglichkeiten analog zu den akustischen Instrumenten zu verfügen, wurde auf Live-Elektronik im Sinne einer Echtzeit-Klangprozessierung verzichtet. Die Abhängigkeit von einer ad hoc Klangaufnahme während des Spiels birgt einerseits immer die Gefahr der nicht optimalen Aufnahme (z.B. durch Störgeräusche durch das Publikum), andererseits muss die Konzen-tration neben der Gestaltung des eigenen Klangs und der richtigen Spatialisierung auch noch auf aufnahmetechnische Faktoren gerichtet werden, was einen nicht-technischen Zugang zum Spiel mit dem elektronischen Instrument zusätzlich erschwert. Die benötigten Instrumental-klänge wurden daher bei Proben (auf identischem Instrumentarium) in bestmöglicher Qualität voraufgenommen und standen daher auch vorab für klangliche Bearbeitung zur Verfügung.

Während granulare Prozesse im Zeitbereich als interaktive Spieltechniken implementiert wurden (siehe weiter unten), wurden Schichtung und Siebung im Frequenzbereich durch geeignete spektrale Klangtransformationsverfahren realisiert. Der in Abb. 30 abgebildete Patch ist lauffähig unter pure data [22] und ermöglicht das „Aussieben“ bzw. die „Klassifikation“ spektraler Features aus zeitlich „eingefrorenen“ Klangfragmenten (für eine

Page 24: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

25

detailliertere Beschreibung des Verfahrens, siehe Appendix A). Die resultierenden „frequenzgesiebten“ Klangblöcke wurden gleichberechtigt zu den Instrumentalklängen eingesetzt.

Für die Aufführung stand so Klangmaterial von Instrumentalaufnahmen und konkreten Klängen aus maschinellen Arbeitsprozessen in unterschiedlichen Stadien der spektralen Filterung zur Verfügung, von unberührtem Originalmaterial bis zu sehr stark degradiertem Material mit hohem Rauschanteil.

Abb. 30: Arbeitspatch zur spektralen Klangprozessierung, verwendet das in 0 beschriebene Verfahren

3. Live-Spieltechniken Ein Großteil der in der Partitur geforderten Spieltechniken, wie die Gestaltung der Dynamik, das Spielen von quasi-maschinellen Wiederholungen und die Tonhöhenveränderung des Klangmaterials waren durch die Fähigkeiten des Performance-Patches (Abb. 29) in geeigneter und durch jahrelangen Einsatz wohlerprobter Weise abgedeckt. Die Spielanweisungen zur „Schichtung“ (siehe Abb. 31) konnten durch die eine entsprechende Vorbereitung des Klang-materials und gleichzeitigen Einsatz mehrerer Spuren des Sample-Players bewältigt werden.

Abb. 31: Partitur „granular“, Teil 4 – Elektronik [17]

Page 25: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

26

Für die im vorigen Abschnitt erwähnten granularen Manipulationsmöglichkeiten zur „Siebung/Perforation“im Zeitbereich mussten neue Strategien gefunden werden. In Analogie zur Überlagerung halbtransparenter granularer Strukturen gleicher Dichte (Abb. 5) wurde dementsprechend ein simpler Zerhacker mit variabler Periodendauer, Symmetrie und Kurvenform (mit veränderlicher Stochastik, von völlig regelmäßig bis stark variierend) ver-wendet, der eine zeitlich veränderbare Hüllkurve auf die zu spielenden Klänge aufmoduliert. Jede Spur des Sample-Players verfügt über eine eigenständige Instanz dieses Effekts und arbeitet daher unabhängig (Abb. 32, Abb. 33). Die Überlagerung mehrerer zerhackter Spuren ermöglicht somit die beabsichtigte Schichtung zeitlich komplexer granularer Strukturen.

Abb. 32: Detail einer Spur des Performance-Patches: Zerhacker zur zeitlichen Perforation des Klangs

Abb. 33: Verschiedene mögliche Wellenformen des Zerhacker-Moduls,

verwendet als Amplituden-Hüllkurven für den Sample-Player

Page 26: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

27

Das Zerhackermodul ist über externe Steuerungshardware kontrollierbar, womit eine intuitive Kontrolle des Granuliervorgangs möglich ist. In Teil 3 der Komposition (Abb. 34) kann damit ein Duo von kleiner Trommel und Elektronik lebendig gestaltet werden. Innerhalb von langen crescendo-decrescendo Figuren werden auf der Trommel in Klang und Dichte variierende Wirbel gespielt. Die Elektronik „imitiert“ diese Spielweise mit den ihr eigenen Mitteln: Schichtung und Zerhackung von Klangpartikeln.

Abb. 34: Partitur „granular“, Teil 3 – Kleine Trommel und Elektronik [17]

Page 27: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

28

Zusammenfassung

Die Komposition „granular“ von Katharina Klement bezieht strukturelle und klangliche Ideen aus Analogien zu granularen Prozessen in Natur und Technik bzw. Arbeitswelt. Für eine schlüssige Gestaltung der Partiturstimme für Elektronik war es daher notwendig, sich umfassend mit der zu Grunde liegenden Thematik und ihren Implikationen auf musikalische Strukturen, insbesondere der elektronischen Musik, zu beschäftigen.

Viele Aspekte des Elektronik-Parts sind präzise notiert, doch die Komponistin ließ bewusst einige wichtige Freiheitsgrade offen, deren Ausarbeitung Thema dieser Arbeit sind. Bei der Vorbereitung des Klangmaterials und der Festlegung der verwendeten Spieltechniken wurde in vielen Punkten der Bezug zu Grundlagen und Ausformungen von „Granularität“ gesucht.

Trotz der Verwendung theoretischer und formaler Grundlagen war aber das Kriterium der möglichst intuitiven Spielbarkeit im Live-Kontext ein wichtiger Fixpunkt. Für die Umsetzung wurde daher ein erprobtes Performance-System gewählt und auf die speziellen Bedürfnisse hin angepasst. Es wurde für die Herstellung des Klangmaterials eine hochqualitative und im Detail kontrollierbare Arbeitsweise gewählt, für das Live-Spiel hingegen ein wenig komplexer, aber klanglich expressiver Zugang, um die Zahl der zu steuernden Parameter überschaubar zu halten. Dennoch sollte für weitere Aufführungen eine noch bessere Spielbarkeit angestrebt werden, durch weiter gehendes Verwenden von Presets, Zusammen-fassung von Parametern und ergonomischere Steuerungshardware.

Page 28: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

29

Appendix A Spektrale Klangtransformation

Für die spektrale Prozessierung des Klangmaterials einiger Passagen wurden Patches auf der Basis der Transformations-Toolbox VASP modular [11] (in pure data) verwendet. Die Abb. 35 zeigt einen Patch, der eine Kombination von zeitlichem Freeze (Auslöschung der Zeit-information) und spektralem Kompressor/Pitchshifter/Noisegate darstellt. Die Prozessierung läuft nicht in Echtzeit ab, sondern erlaubt durch nicht-granulare Transformation eine sehr hohe Klangqualität. Das Amplitudenverhältnis der spektralen Verteilung kann so subtil bis destruktiv beeinflusst werden, wie auch durch Dehnen oder Stauchen im spektralen Raum Tonhöhenänderungen einrechenbar sind.

Abb. 35: Patch zur spektralen Klangtransfomation für Pure Data

Die Funktionsweise des Patches im Detail: Die Sampledaten werden zunächst mittels komplexer FFT transformiert (vasp.cfft) und in Polardarstellung umgewandelt (vasp.polar). Die Magnituden werden einem interpolierenden Resampling unterworfen (vasp.xtilt) um das gewünschte Pitch-Shifting zu erreichen. Ein spektrales Gate (vasp.gate) filtert das Spektrum relativ zum spektralen Maximum (vasp.max?), die nach-folgende Kompression ist durch eine Potenzfunktion realisiert (vasp.pow). Vernichtung der zeitlichen Struktur durch Randomisierung der Phasen (vasp.noise), Umwandlung in kartesische Koordinaten (vasp.rect) und FFT-Rücktransformation (vasp.c!fft) schließen die Prozessierung ab.

Page 29: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

30

Appendix B munger1~ real-time granulator

Das Plugin munger1~ für Max/MSP und pure data stellt eine neue und erweiterte Version des Objekts munger~ aus der PeRColate-Bibliothek [33] von Dan Trueman und R. Luke DuBois dar. Unter der Projektleitung von Ico Ivica Bukvic wurde der Versuch unternommen, ein universell einsetzbares Werkzeug zur Granularsynthese zu implementieren, das auf beiden wichtigen modularen Echtzeit-Audio-Plattformen und allen unterstützten Betriebsystemen verfügbar ist. Dies wurde durch die Verwendung des flext-C++-Layers [10] möglich. Abb. 36 zeigt den zum Objekt gehörigen Hilfe-Patch, der gleichzeitig eine Funktionsreferenz darstellt.

munger1~ wurde am 28. August 2007 im Rahmen der International Computer Music Conference (ICMC) 2007 in Kopenhagen präsentiert.

Abb. 36: Max/MSP Hilfe-Patch für munger1~

Page 30: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

31

Quellenverzeichnis

[1] Ablinger, Peter. Texte: http://ablinger.mur.at/texte.html [Zugriff 31.08.2007] [2] Alex, Wulf. „Krümelkunde“ (Skriptum)

http://www.alex-weingarten.de/skripten/kruemel.pdf [Zugriff 05.09.2007] [3] British Standard BS 2955 „Glossary of Terms Relating to Particle Technology“ [4] Chion, Michel. „Guide des objets sonores, Pierre Schaeffer et la recherche musicale“,

Ina-GRM/Buchet-Chastel, Paris, 1981 [5] Cryptomundo. http://www.cryptomundo.com/bigfoot-report/id-bf-photo [Zugriff

10.09.2007] [6] Fletcher, H. and Munson, W.A.. "Loudness, its definition, measurement and

calculation", J.Acoust. Soc Am.5, 82-108 (1933) [7] Gabor, Dennis. "Acoustical Quanta and the Theory of Hearing“. Nature 159 (4044):

591-594, 1947. [8] Gabor, Dennis. „Lectures on communication theory“. Technical Report 238, Research

Laboratory of Electronics. MIT, Cambridge, 1952. [9] Gabor, Dennis. "Theory of Communication." Journal of the Institute of Electrical

Engineers Part III, 93: 429-457, 1946. [10] Grill, Thomas. „flext – C++ layer for cross-platform development of Max/MSP and

PD externals“ http://grrrr.org/ext/flext [Zugriff 09.09.2007] [11] Grill, Thomas. „VASP modular – vector assembling signal processor“

http://grrrr.org/ext/vasp [Zugriff 09.09.2007] [12] Grill, Thomas. „xsample – extended sample objects“ http://grrrr.org/ext/xsample

[Zugriff 09.09.2007] [13] Hjulström, Filip. „Transportation of detritus by moving water“. p. 5–31 in Trask (ed.),

Recent marine sediments, 1939 [14] HMH GmbH. „Rubblemaster“. http://www.rubblemaster.com [Zugriff 04.09.2007] [15] Klement, Katharina. „Aus der Projektbeschreibung zu granular“. In: „Für die

Beweglichkeit 2. Tiefenschärfen/Oberflächen - Tage der Poesie, Linz 2007. Texte und Materialien“, hrsg. von Christian Steinbacher, edition philosophisch-literarische reihe, Stifterhaus Linz, 2007

[16] Klement, Katharina. „Beton“. CD-Dokumentation. O.K. Centrum für Gegenwarts-kunst

[17] Klement, Katharina. Private Kommunikation [18] Laitinen, N. O.. „Opening New Perspectives for Visual Characterisation of

Pharmaceutical Solids“, Dissertationes Biocentri Viikki Universitatis Helsingiensis 16/2003, pp. 59., Helsinki 2003

[19] Malcherek, Andreas. „Sedimenttransport und Morphodynamik“ (Skriptum), Institut für Wasserwesen, Universität der Bundeswehr, München.

[20] Michels, Leo. http://www.plantimag.de [Zugriff 10.09.2007] [21] Moles, Abraham. „Information Theory and Esthetic Perception“. University of Illinois

Press, Urbana, 1968 [22] Puckette, Miller et al.. „Pure Data“ http://www.puredata.info [Zugriff 09.09.2007] [23] Pulkki, Ville. „Vector based amplitude panning“

http://www.acoustics.hut.fi/research/cat/vbap [Zugriff 10.09.2007] [24] Roads, Curtis. "Asynchronous Granular Synthesis." Representations of Musical

Signals. MIT Press, 1991. [25] Roads, Curtis. „Computer Music Tutorial“. MIT Press, 1996 [26] Roads, Curtis. „Microsound“. MIT Press, 2004.

Page 31: Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition … · Zur Klassifizierung der Korngrößen wird entweder die Skala nach DIN 4022 (Abb. 11), oder die feiner abgestufte Udden-Wentworth-Skala

Thomas Grill – Zur Gestaltung des elektronischen Teils der Komposition “granular” von Katharina Klement

32

[27] Robinson, D.W. and Dadson, R.S.. "A re-determination of the equal-loudness relations for pure tones", Br. J. Appl. Phys. 7, 166-181 (1956).

[28] Schaeffer, Pierre. „Traité des objets musicaux“, Éditions le Seuil, 1966 [29] Schaeffer, Pierre; Reibel, Guy; Ferreyra, Beatriz. „Solfège de l'objet sonore“, INA-

GRM; 1967 [30] Smalley, Denis. „Spektromorphologie – Ein Zeichensystem zum Verständnis einer

neuen Klangkunst“. In: „Kunst, Zeichen, Technik – Philosophie am Grund der Medien“, hrsg. M. Kubaczek, W. Picher, E. Waniek, Lit Verlag Münster, 2004

[31] Stelkens, Jörg; Jacobsen, Anke. „Die Kornmacher - Technik Special Granularsynthese“. In: Keyboards 2001-1,4,6. Köln: MM-Musik-Media-Verlag, 2001

[32] Truax, Barry. "Real-time granular synthesis with a digital signal processor." Computer Music Journal 12(2): 14-26.

[33] Trueman, Dan; DuBois, R. Luke. „PeRColate“: http://www.music.columbia.edu/PeRColate [Zugriff 09.09.2007]

[34] Webb, Paul A.. „ Volume and Density Determinations for Particle Technologists “. http://particletesting.com/docs/density_determinations.pdf [Zugriff 10.09.2007]

[35] Wentworth, C.R.. “A scale of grade and class terms for clastic sediments“. Jour. Geology, 30:377-392, 1922

[36] Wikipedia. „Ambisonics“ http://en.wikipedia.org/wiki/Ambisonics [Zugriff 11.09.2007]

[37] Wikipedia. „Cirrocumulus“ http://fr.wikipedia.org/wiki/Cirrocumulus [Zugriff 10.09.2007]

[38] Wikipedia. „Disperse Systeme (Chemie)“ http://de.wikipedia.org/wiki/Dispersion_%28Chemie%29 [Zugriff 10.09.2007]

[39] Wikipedia. „Granularität“ http://de.wikipedia.org/wiki/Granularität [Zugriff 29.08.2007]

[40] Wikipedia. „Hjulström-Diagramm “ http://de.wikipedia.org/wiki/Hjulstr%C3%B6m-Diagramm [Zugriff 10.09.2007]

[41] Wikipedia. „Sedimentation“ http://de.wikipedia.org/wiki/Sedimentation [Zugriff 10.09.2007]

[42] Winckel, Fritz. „Phänomene des musikalischen Hörens: ästhetisch-naturwissenschaftliche Betrachtungen“, Hesse, 1960

[43] Winkler, Reinhard; mit freundlicher Genehmigung. http://www.reinhardwinkler.at [44] Wishart, Trevor. „On sonic art“, Harwood, 1996 [45] Xenakis, Iannis. „Formalized Music – Thought and Mathematics in Music“.

Stuyvesant, NY: Pendragon Press, 1991. [46] Xenakis, Iannis. „Mycènes Alpha“: http://www.iannis-xenakis.org/oeuvre1.htm#1970

[Zugriff 09.09.2007] [47] Zicarelli, David et al.. „Max/MSP“: http://www.cycling74.com [Zugriff 09.09.2007]