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SCHRIFTEN DES NATURWISSENSCHAFTLICHEN VEREINS FÜR SCHLESWIG-HOLSTEIN SUBMITTED 06-03-2012 ACCEPTED 06-11-2014 ONLINE 14-12-2014 © 2014 The Author SCHR NATURWISS VER SCHLESW-HOLST 74 3–10 Kiel XI-2014 FORSCHUNGSBEITRAG Zur Kasuistik eines sekundären Schultergelenkes des Mannes Kü-Br 47/82 Olav Röhrer-Ertl München Das zwischen 1981 und 1983 ergrabene bajuwarische Reihengräberfeld der Merowingerzeit von Künzing-Bruck, Lkr. Deggendorf, Niederbayern, wurde durch den Verfasser 1984/85 anthropologisch bearbeitet. Diese Aufarbeitung ist sehr breit angelegt worden, weil ausführliche Publikationen dieses ungewöhnlichen Gräberfeldes in Aussicht gestellt worden waren. Leider haben sich dann die Pläne der Archäologen zerschlagen. Sowohl die anthropologische Bearbeitung, als auch die archäologische legten unabhängig voneinander nahe, daß die belegende Population etwa um 600 von Südosten aus Pannonien eingewandert ist, sich also der awarischen Herrschaft entzogen hatte (Hannibal 1995, 1996, Röhrer-Ertl 1996). Zu dieser Zeit bildete sich unter ungeklärten Umständen gerade das bajuwarische Herzogtum heraus, da die zuvor dort beherrschende Macht, das Thüringer Großreich, von den Franken vernichtet worden war – mit Hilfe östlicher und nördlicher Nachbarn desselben. Andere Untersuchungsergebnisse legen eine genetisch engere Beziehung zur der St. Emmeramshügel in Regensburg belegende Population nahe (Röhrer-Ertl 1995). Auch wenn die Künzing-Bruck belegende Population zur unteren Führungs- schicht des politischen Volkes der Bajuwaren gehört haben dürfte, war sie also mit sozial höherstehenden Verbänden verwandtschaftlich verbunden. Gräberfeld Künzing-Bruck, Paläoanthropologie, Merowingerzeit, Migration, Kampfverletzung Der spät-adulte (30-40 a) Mann Kü-Br. 47/82 war pyknomorph (breitwüch- sig), metroplastisch (mittelstark be- muskelt), mager (aber nicht abgema- gert) und in der Art eines modernen Breitensportlers beweglich und kör- perlich allseitig ausgebildet. Dabei er- scheint zeittypisch, daß er eine stärker ausgebildete Bein- als Armmuskula- tur zeigte. Die Kopf- bzw. Schädelform läßt sich typologisch als faelid/dina- rid bescheiben, also mit mittellan- gem Hirn- und hoch-schmal-kurzem Gesichtsschädel bei tiefer Profilie- rung. Die morphologischen Einzel- züge waren dann eher robuster Na- tur. Dabei sind die Augen mittelhoch, die Nase ist an der Wurzel tief einge- sattelt und konvex gebogen mit weich gerundetem Rücken usw. (Abb. 3 - 7)

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SCHRIFTEN DES NATURWISSENSCHAFTLICHEN VEREINS FÜR SCHLESWIG-HOLSTEIN

SUBMITTED 06-03-2012 ACCEPTED 06-11-2014 ONLINE 14-12-2014 © 2014 The Author

SCHR NATURWISS VER SCHLESW-HOLST 74 3–10 Kiel XI-2014

FORSCHUNGSBEITRAG

Zur Kasuistik eines sekundären Schultergelenkes des Mannes Kü-Br 47/82

Olav Röhrer-ErtlMünchen

Das zwischen 1981 und 1983 ergrabene bajuwarische Reihengräberfeld der Merowingerzeit von Künzing-Bruck, Lkr. Deggendorf, Niederbayern, wurde durch den Verfasser 1984/85 anthropologisch bearbeitet. Diese Aufarbeitung ist sehr breit angelegt worden, weil ausführliche Publikationen dieses ungewöhnlichen Gräberfeldes in Aussicht gestellt worden waren. Leider haben sich dann die Pläne der Archäologen zerschlagen.

Sowohl die anthropologische Bearbeitung, als auch die archäologische legten unabhängig voneinander nahe, daß die belegende Population etwa um 600 von Südosten aus Pannonien eingewandert ist, sich also der awarischen Herrschaft entzogen hatte (Hannibal 1995, 1996, Röhrer-Ertl 1996). Zu dieser Zeit bildete sich unter ungeklärten Umständen gerade das bajuwarische Herzogtum heraus, da die zuvor dort beherrschende Macht, das Thüringer Großreich, von den Franken vernichtet worden war – mit Hilfe östlicher und nördlicher Nachbarn desselben.

Andere Untersuchungsergebnisse legen eine genetisch engere Beziehung zur der St. Emmeramshügel in Regensburg belegende Population nahe (Röhrer-Ertl 1995). Auch wenn die Künzing-Bruck belegende Population zur unteren Führungs-schicht des politischen Volkes der Bajuwaren gehört haben dürfte, war sie also mit sozial höherstehenden Verbänden verwandtschaftlich verbunden.

Gräberfeld Künzing-Bruck, Paläoanthropologie, Merowingerzeit, Migration, Kampfverletzung

Der spät-adulte (30-40 a) Mann Kü-Br. 47/82 war pyknomorph (breitwüch-sig), metroplastisch (mittelstark be-muskelt), mager (aber nicht abgema-gert) und in der Art eines modernen Breitensportlers beweglich und kör-perlich allseitig ausgebildet. Dabei er-scheint zeittypisch, daß er eine stärker ausgebildete Bein- als Armmuskula-tur zeigte. Die Kopf- bzw. Schädelform

läßt sich typologisch als faelid/dina-rid bescheiben, also mit mittellan-gem Hirn- und hoch-schmal-kurzem Gesichtsschädel bei tiefer Profilie-rung. Die morphologischen Einzel-züge waren dann eher robuster Na-tur. Dabei sind die Augen mittelhoch, die Nase ist an der Wurzel tief einge-sattelt und konvex gebogen mit weich gerundetem Rücken usw. (Abb. 3 - 7)

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Dieser Typus wurde pannonid genannt (Röhrer-Ertl 1991), da er dort auch heute noch auffällig verbreitet ist. Ty-pologisch entspräche das also dem Reihengräbertyp (Ecker 1865) oder dem sarmatischen Typ (v.Hölder 1881). Längere Zeit wurden solche Individuen auch als cromagnid/cromagniform (Per-ret 1938) bezeichnet. Während Ecker lediglich einen gefundenen Zustand beschrieb, vermutete v.Hölder eine Verbindung nach Pannonien („Sarma-ten“) und Perret vermutete aufgrund der Einzelformen-Kombination einen solchen mit den Cromagniden Süd-west-Frankreichs, Nordafrikas usw. Er überstrapazierte damit aber die typo-logische Methode ebenso wie die der

Phänomenologie. Hier wird zunächst Ecker gefolgt, wobei Hölder in diesem Einzelfall Recht gegeben wurde.

Das Material von Künzing-Bruck enthält u.a. auch hochinteressante Palaeopa-thologica, welche in Zusammenarbeit mit Herrn Prof. Dr. Kurt-Walter Frey – seinerzeit Zentrale Röntgenabteilung des Innenstadtklinikums der LMU – be-gutachtet und diagnostiziert wurden. Zwar meint Verf., daß alle Palaeopa-thologica nur im Zusammenhang mit einem Gesamtmaterial von einigem Wert sein können, hält aber in die-sem speziellen Fall eine Vorpublika-tion dennoch für sinnvoll.

Abbildung 1a: Scapula dextra und Caput humeris dexter mit sekundärem Schulterge-lenk von dorsal in Aufsicht.

Abbildung 1b: Scapula dextra und Caput humeris dexter mit sekundärem Schulterge-lenk in Röntgenansicht.

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BEFUNDE UND DISKUSSION.

Als recht wesentlich stellt sich folgen-der Befund dar: Es zeigt die rechte Schulter mit anterior habitueller Luxa-tion des Caput humeris (Oberarmkopf) nach ventral verdreht, wobei er auf der Scapula (Schulterblatt) ein neues Schultergelenk bildete – und zwar durch arthrotische Hartgewebeum- und –Neubildung. Beides wird in makros-kopischer Aufsicht und im Röntgen-bild deutlich (Abb. 1a + b).

An Bewegungseinschränkungen erga-ben sich nur wenige. Anders als mit primärem Schultergelenk wurden nun Bewegungen nach vertical (oben) und ventral (vorn) nur eingeschränkt mög-lich. Dennoch ist der Arm laut Muskelin-sertionen wie normal benutzt worden. Es waren sogar Schwertkämpfe mög-lich. Schwertkämpfe vor dem 10. Jh. (Erfindung des Stahls durch Ulfberht und Hilteprecht, offenbar im Sieger-land) waren nur als Schwunggefechte

möglich. Die merowingerzeitlichen Klin-gen hatten einen Kern aus echter Da-maszierung (bis zu 12fach gefalteter Schmiedestahl), an den dann die aus einfachem Schmiedestahl bestehen-den Schneiden per Schmiedeschwei-ßung angeheftet wurden. Solche Klin-gen waren empfindlich und durften möglichst nicht auf harte Oberflächen auftreffen. Der Schwertkämpfer be-wegte die Spatha folglich in raschen Kreisbewegungen, um den Gegner auf Distanz zu halten und selbst eine Deckungslücke bei diesem zu erken-nen usw. Von daher benötigen solche Klingen dann auch keine Parierstangen oder Degenkörbe als Handschutz. Es versteht sich wohl von selbst, daß die Schwungkreise beim Schwungfechten nicht allein mit Hilfe der Arme erzeugt wurden, sondern der gesamte Körper dabei einzusetzen war. Beide Kämp-fer umkreisten sich dabei, um, wenn möglich, in eine Deckungslücke hinein

ZUR KASUISTIK EINES SEKUNDÄREN SCHULTERGELENKES

Abbildung 2a: Schädelriß in Norma fronta-lis mit nach frontal ziehenden Rissen von Hieb 1 bis 3.

Abbildung 2b: Schädelriß in Norma latera-lis sinistra.

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ein Touché anzubringen, welches den Gegner kurzfristig angreifbar machte. Erst danach konnten finale Hiebe an-gebracht werden. Da in kriegerischen Zusammenstößen stets mehrere Per-sonen verwickelt waren und sind, wa-ren und sind dabei bei Schwungfech-ten (Kavallerie bis in den 2. Weltkrieg hinein) möglichst nicht durch passive Bewaffnung geschützte Körperstel-len anzuvisieren (z.B. Hals). In rituel-len Zweikämpfen („Gottesurteile“) wer-den von 2 Personengruppen einander gleichwertige Kämpfer gegeneinander gestellt, um in der Regel Rechtshän-del zu entscheiden. Beide sind gleich bewaffnet und ohne jede Schutzbe-waffnung. Der Kampf endete mit dem Tode mindestens eines der Beiden.

Genau das ist im Falle Kü-Br 47/82 der Fall gewesen, wie 3 scharfe Hiebver-letzungen belegen. Das scheint hier in-sofern interessant zu sein, als ja Kü-Br 47/82 ein sekundäres rechtes Schul-tergelenk ausgebildet hatte, welches

die Bewegungen dieses Armes er-kennbar eingeschränkt hatte. Offen-sichtlich konnte Kü-Br 47/82 dieses Manko aber durch stärkeren Körperein-satz ausgleichen. Andernfalls hätte er ja nicht Verlierer eines rituellen Zwei-kampfes werden können. Am Rande sei erwähnt, daß die arthrotische se-kundäre Schultergelenksbildung ganz sicher nicht ohne Schmerzen geblie-ben war, hier also auch gezeigt werden kann, daß unsere Vorfahren – ähnlich bekannten Naturvölkern – Schmerzen psychisch zu beherrschen verstanden. Schließlich sind Schmerztherapien aus der Ethnomedizin nicht bekannt.

Hier seien die 3 scharfen Hiebverlet-zungen einzeln vorgestellt (Abb. 2–5):Hieb 1: Hieb 1 verursachte eine Kerbe im medio-occipitalen Bereich des linken Os parietale (Scheitelbeins), wurde als durchgezogener Hieb mit rechts an-gestellter Klinge (also aus Rechtsbo-gen heraus) angebracht und verletzte nach Lage der Dinge keine Hirnhäute

Abbildung 3a: Abb. 4b: Schädelriß in Norma occipitalis mit Eintrag von Hieb 1 bis 3 mit davon ausghehenden Rissen.

Abbildung 3b: : Schädelriß in Norma latera-lis dextra mit Eintrag von Hieb 1 bis 3 und davon ausgehenden Rissen.

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(Abb. 4a). Von ihm gehen nach ba-so-dorsal wie baso-ventral Risse aus, welche quasi eine Knochenschuppe ab-lösten. Angemerkt sei, daß bei durch-gezogenen Hieben die Klinge vom Heft zum Ort schneidend durch die Wunde läuft und somit ein Festbei-ßen der Klinge zu vermeiden ist. Da-gegen schneidet ein gerader Hieb mit dem auftreffenden Teil der Klinge ge-rade in die Wunde ein, wobei hier ein Festbeißen der Klinge nicht immer ver-meidbar wird. Allerdings kann damit ein finaler Hieb stets dann angebracht werden, wenn keine Gefahr von Drit-ten droht, also nicht in kriegerischen Gefechten, wo es ausschließlich auf die Wehrlosmachung eines Gegners ankommt. Der kann dann anschlie-ßend erfolgreich wundärztlich behan-delt werden, was in Reihengräberfel-dern immer wieder nachweisbar wird.

ZUR KASUISTIK EINES SEKUNDÄREN SCHULTERGELENKES

Hieb 2: Das Os parietale dextrum wurde medio-sagittal – etwa parallel zur Sutura sagittalis (Pfeilnaht) auf ei-ner Länge von 52 mm angeschnitten – wiederum mit einem durchgezoge-nen Hieb. Auch von hier aus gehen Risse aus, welche aber z.T. in denen des Hiebes 1 enden, folglich später auftraten (Abb. 2–5). Dieser Hieb er-folgte mit links angestellter Klinge, kam also aus einem Linksbogen.

Hieb 3: Das rechte Os parietale wurde ein weiteres Mal – hier wieder me-dio-occipital – von einem geraden Hieb mit links angestellter Klinge (also aus einem Linksbogen heraus) getroffen. Er fuhr in Hieb 1 hinein und zertrümmerte die zuvor abgelösten Knochenschup-pen (Abb. 2–5). Dabei überschritt er die Sutura lambdoidea (Lambdanaht),

Abbildung 4a: Auftreffpunkte von Hieb 1 und 3 mit davon ausgehenden Rissen in Auf-sicht.

Abbildung 4b: Schädelriß in Norma verti-calis mit Eintrag von Hieb 1 bis 3 (Auftreff-punkte: A) und davon ausgehenden Rissen.

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Abbildung 5: Schädeldach mit Hieb 1 bis 3 in verticaler Aufsicht.

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was die Umwandlung einer großen ki-netischen Energie voraussetzt. Kine-tische Energie wird nach der Formel e = 1/2m X v2 bereitgestellt. Und das bedeutet, daß der Ort möglichst hoch zu beschleunigen ist, soll eine ent-sprechende Kraft umgewandelt wer-den. Um dies bis zum Schluß zu be-wirken, wird auch bei einem geraden Hieb nach dem Einschnitt das Heft in Gegenrichtung gerissen, um den Ort nochmals zu beschleunigen und da-mit auch ein Festbeißen möglichst zu verhindern, wie hier offensichtlich er-folgt. Hieb 3 sprengte den Schädel und verursachte dann auch die die Basis cranii durchziehenden Risse, stellte also bei weitem die meiste hier umzu-setzende Energie bereit – wie bei ei-nem geraden Hieb zu vermuten stand.

Aufgrund der scharfen Traumata lassen sich die letzten Sekunden von Kü-Br 47/82 rekonstruieren. Kü-Br 47/82 war – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr voll konzentriert, als sein Gegner in einer auf dem rechten Fuß als Standbein ausgeführten Linksdre-hung nach rückwärts die Möglichkeit zur Anbringung eines Touché wahrnahm – und zwar im Rücken von Kü-Br 47/82. Danach griff Kü-Br 47/82 s Gegner das Heft um, wechselte auf den linken Fuß als Standbein und brachte den nächs-ten Treffer aus einer Rechtsdrehung an. Dem folgte aus gleicher Richtung, aber beidhändig, ein 3. – und zwar als gerader Hieb ausgeführt - wobei durch rechtzeitiges Gegenreißen des Heftes ein Festbeißen der Klinge verhindert wurde. Kü-Br war also Verlierer des Gottesurteils und wurde dementspre-chend im Tode ehrenvoll behandelt.

Im hiesigen Zusammenhang scheint wesentlich, daß Kü-Br 47/82 sein durch das sekundäre Schultergelenk entstan-denes Handicap offensichtlich so gut auszugleichen wußte, daß er auch in Gottesurteilskämpfe geschickt wor-den ist. (Z.B. besonders gute Körper-beherrschung und physisch-mentale Ausdauer, wie sie für solche Rechts-händel notwendig erscheint, da ein solcher Kampf über Stunden gehen konnte. Bei Gleichwertigkeit entschied – neben Zufällen – somit primär die Ta-gesform der Kämpfer.) Denn aus heu-tiger Sicht scheint genau das schwer vorzustellen – allein wegen der damit verbundenen Schmerzen.

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9ZUR KASUISTIK EINES SEKUNDÄREN SCHULTERGELENKES

ZUSAMMENFASSUNG

Der spät-adulte Mann Kü-Br 47/82 zeigte auf dem rechten Schulterblatt ein sekundäres Schultergelenk nach einem schweren Schulter-Arm-Trauma. Dabei bildete sich auf der Scapula ein sekun-däres Gelenk über arthrotische Kno-chenum- und –Neubildungen. Die Arm-beweglichkeit war nur mäßig nach oben und vorn eingeschränkt, der Arm ist bis zum Tode normal belastet worden.

Daß Kü-Br 47/82 diese Beschränkun-gen ganz offensichtlich auszugleichen – und ebenso mit den davon ausge-henden Schmerzen umzugehen ver-stand – wird durch 3 scharfe Schädel-traumata belegt, deren Charakteristika dafür sprechen, daß sie ohne passive Bewaffnung empfangen wurden, also nahelegen, sie zeigten den Verlierer eines Gottesurteils an, wie er in Rei-hengräbern häufiger gefunden wird.

Ecker, A.: Crania germaniae meridionalis occi-dentalis. Beschreibung und Abbildung von Schädeln früher und heutiger Bewohner des südwestlichen Deutschlands und insbesondere des Großherzogtums Baden. Ein Beitrag zur physischen Beschaffenheit und Geschichte der deutschen Stämme. – Freiburg/Br. 1865.

Hannibal, A.S.: Das bajuwarische Gräberfeld von Künzing-Bruck, Lkr. Deggendorf. – Diss.phil. Bonn – Neuwied: Selbstverlag 1995.

..: Das bajuwarische Gräberfeld von Kün-zing-Bruck, Lkr. Deggendorf. – Archäologi-sches Nachrichtenblatt 1 (1996) 346 – 347.

Hölder, H. von: Die Skelette des römischen Be-gräbnisplatzes in Regensburg, mit Benutzung der Untersuchungen des Herrn Pfarrers J. Dah-lem. – Archiv f. Anthropologie 13 (1881) Suppl., 1 – 51.

Röhrer-Ertl, O.: Das alemannische Reihengräber-feld Donaueschingen-Tafelkreuz (6 bis 8. Jahr-hundert n.Chr.). Anthropologische Fallstudie zu Bevölkerungsbiologie und Bevölkerungsge-schichte. – Schriften d. Ver. F. Gesch. u. Natur-gesch. D. Baar 37 (1995) 127 – 214.

..: Zu Individuum III und IV – Timotheus und Wulflec. In: O.Röhrer-Ertl (Ed.): Personen und ihre Umwelt in 1000 Jahren Regensburger Ge-schichte. Forschungsergebnisse aus Anthropo-logie und Nachbarwissenschaften. – Regens-burg 1995, 14 – 48.

..: Vorbericht über die Ergebnisse der anthropolo-gischen Untersuchung des bajuwarischen Rei-hengräberfeldes von Künzing-Bruck. – Archäo-logisches Nachrichtenbl. 1(1996) 348 – 349.

LITERATUR

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Dr. O. Röhrer-Ertl ([email protected])Gebelestraße 2481679 München

ON THE CASUISTICS OF A SECONDARY SHOULDER JOINT OF THE MAN KÜ-BR 47/82

Olav Röhrer-Ertl

The late adult Man Kü-Br 47/82 showed on the right a secondary shoulder joint was found on the scapula, resulting from a heavy shoulder-arm-syndrome. The joint formed on the scapula via arthrotic bone re-formation and new bone formation. The mobility of the arm was only somewhat limited upwards and forwards, while the arm was used normally up until death.

That Kü-Br 47/82 was obviously able to compensate for these limitations – and was also able to deal with the connected pain – is attested by 3 sharp skull traumata, whose characteristics attest that they were received without passive armament; they suggest that this was the loser of a trial by ordeal, which commonly occur in grave rows.

RÖHRER-ERTL