zur sache nr. 8 - endlager gorleben

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Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. Zur Sache Nr. 8 September 2003 Endlager Gorleben Endlagersuche im Salzstock Gorleben Stationen eines Irrwegs Zweifel von Anfang an - die Jahre 1977 bis 1986 (Wolfgang Ehmke) Atomrecht, Bergrecht, Unrecht (Marianne Fritzen) Was wird aus Gorleben? (Nikolaus Piontek) Tod im Halbgefrorenen - das Schachtunglück im Mai 1987 (Wolfgang Ehmke) Laugenzuflüsse - Salzstock Gorleben wie ein poröser Schwamm (Wolfgang Ehmke) Eignungskriterien - keine Chance für Gorleben (Heinrich Messerschmidt)

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Zur Sache Nr. 8 - Endlager Gorleben Endlagersuche im Salzstock Gorleben, Stationen eines Irrwegs

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Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.

Zur Sache Nr. 8September 2003

Endlager GorlebenEndlagersuche im Salzstock GorlebenStationen eines Irrwegs

• Zweifel von Anfang an - die Jahre 1977 bis 1986 (Wolfgang Ehmke)

• Atomrecht, Bergrecht, Unrecht (Marianne Fritzen)

•Was wird aus Gorleben? (Nikolaus Piontek)

•Tod im Halbgefrorenen - das Schachtunglück im Mai 1987 (Wolfgang Ehmke)

•Laugenzuflüsse - Salzstock Gorleben wie ein poröser Schwamm (Wolfgang Ehmke)

•Eignungskriterien - keine Chance für Gorleben (Heinrich Messerschmidt)

Zur SacheNr. 8

Endlager GorlebenEndlagersuche im Salzstock Gorleben -

Stationen eines Irrwegs

Die Broschüren der Reihe „Zur Sache“ erscheinen unregelmäßig und liefern Einschätzungen und Hintergrundinformationen zum Widerstand gegen die Atomanlagen in Gorleben.

Sie werden herausgegeben von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.

Preis: 2,50 Euro, ermäßigt 1,00 Euro

2. überarbeitete Auflage, September 2003Gestaltung: Torsten Koopmann

Druck: Köhring, LüchowCopyright: BI Lüchow-Dannenberg e.V.

Die Autoren:Wolfgang Ehmke

BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.Marianne Fritzen

Ehrenvorsitzende der BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e. V.Heinrich Messerschmidt (Dipl. Ing.)

BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.Nikolaus Piontek

Rechtsanwalt

Fotos/Zeichnungen:Rainer Erhardt (S. 39),

Silke Lehmann (S. 24, 33), Salinas (S. 17),

Dieter Schaarschmidt (S. 7, 27, 43),

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VorbemerkungZwischen erheblichen Zweifeln und Eignungshöffigkeit

"An der Eignung des Salzstocks Gorleben bestehen Zweifel. Daher soll die Erkundung unterbrochen werden und weitere Standorte in unterschiedlichen Wirtsgesteinen auf ihre Eignung untersucht werden. Aufgrund eines sich an-schließenden Standortvergleichs soll eine Auswahl des in Aussicht zu nehmenden Standorts getroffen werden."

Diese Passage des Koalitionsvertrages, wie er zwischen Grünen und SPD im Herbst 1998 niedergeschrieben wur-de, führte ab 1.10.2000 – mit erheblicher Verzögerung - zu einer Unterbrechung der Bauarbeiten im sogenannten "Erkundungsbergwerk" Gorleben ("Moratorium").

Für die rot-grüne Bundesregierung bestehen wider besseres Wissen nur "Zweifel" an der Eignung des Salzstocks. Das klang schon mal ganz anders.

1990 kam Gerhard Schröder nach Gorleben. Als Ministerpräsident einer rot-grünen Koalition in Niedersachsen plädierte er für den Ausstieg aus dem geplanten atomaren Endlager in Gorleben, weil das Deckgebirge keine Bar-rierenfunktion hat. Geologen machten darauf aufmerksam, dass es keine durchgehende Tonschicht über dem Salzstock gab und in der Nord-Ost-Flanke des Salzstocks sind Verbindungen zum oberen Grundwasser vorhan-den.

Es ist wichtig, beständig an jene geologischen Befunde und politischen Einsichten zu erinnern. Dazu soll diese ak-tualisierte Broschüre beitragen. Denn im Juni 2000 kam sogar die Rolle rückwärts: Im Text des Konsensvertrages zwischen der rot-grünen Bundesregierung und der Stromwirtschaft (14.6.2000) wird von den gleichen politischen Repräsentanten, die 1990 in Niedersachsen noch für die Beendigung der Endlagererkundung stritten, nämlich Gerhard Schröder und Jürgen Trittin, die Sprachregelung der Kohl-Ära übernommen, der Salzstock Gorleben sei „eignungshöffig“. Wozu fragt man sich, sollen dann noch Kriterien für die Endlagersuche und Vorschläge unter-breitet werden, welches Wirtsgestein neben Salz und welcher Standort neben Gorleben in Frage kommt?

Dieser Aufgabe widmete sich im Auftrag des Bundesumweltministers der „Arbeitskreis Endlagerung“ (AK End), ein pluralistisch zusammengesetztes Gremium. Inzwischen wurden mit dem positiven Planfeststellungsbeschluss zum Schacht Konrad, in dem die schwach- und mittelaktiven Abfälle (sie machen rund 90 Prozent des Abfallvo-lumens aus) zudem Fakten geschaffen. Das von Trittin propagierte „Ein-Endlagerkonzept“ ist damit faktisch ge-kippt. Und sollten überhaupt weitere Endlagerstandorte ins Spiel gebracht werden, wird nach den bisherigen Vor-gaben die Gorleben-Karte beim Standortpoker wieder untergemischt werden!

Eine ergebnisoffene neue und unbelastete Suche, eine „weiße Landkarte“, ist das nicht, denn unweigerlich stehen Konrad und Gorleben und die dort bisher getätigten Investitionen ständig im Raum. Darüberhinaus erhöht jeder Castortransport, der Gorleben erreicht, den politischen Druck, am Ende Gorleben als Nationales Entsorungszen-trum weiter auszubauen.

Erhebliche Zweifel an der Eignung des Salzstocks Gorleben gibt es seit der Standortbenennung im Februar 1977. Sie wurden im Prozess der "Erkundung" – mit diesem Begriff sollte vom tatsächlichen Bau der Nukleardeponie abgelenkt werden - immer weiter fundiert und hätten bereits nach dem Wahlsieg von Rot/Grün im Herbst 98 zu einem geordneten Abbruch der Bauarbeiten führen müssen. Geordnet, weil dort im Bergbau 212 Menschen (Zah-lenangabe lt. BMU) beschäftigt waren, die auch ein Recht darauf haben, dass das Ende der bergtechnischen Er-schließung des Salzstocks sozialpolitisch abgefedert wird.

Von einer weiteren Legislaturperiode Rot-Grün erwarten wir eine klare Absage an Gorleben als potentiel-lem Endlagerstandort. Der Begriff „Eignungshöffigkeit“, mit dem jahrelang die CDU-Umweltminister Töpfer und Merkel operierten, um den Weiterbau der „Einbahnstraße Gorleben“ zu rechtfertigen, muss als vage politi-sche Hoffnung enttarnt werden, dass dem Widerstand im Wendland die Puste ausgeht, um dann in Gorleben allen Warnungen zum Trotz ein nukleares Endlager für den hochradioaktiven und wärmeentwicklenden Müll einzu-richten. Dieser hat es in sich, der jene verbleibende Rest von rund 10% des Abfallvolumens her gesehen konzen-triert über 90% der todbringenden Strahlung, die 1 Million Jahre sicher gegen die Biosphäre abgeschlossen wer-den soll. Wir haben wachsam die politischen Überlegungen der EU-Kommission verfolgt, Gorleben auch europa-weit als Müllkippe zu öffnen. Auch hier gilt: Ein klare Absage gegenüber diesen Planspielen besteht in der Aufga-be der Endlagererkundung in Gorleben.

Es drängt sich der fatale Gedanke auf, dass die bisherigen Kosten für das angeblich ergebnisoffene Buddeln im Salz am Ende ein stärkeres Gewicht haben als die wissenschaftlich begründeten Zweifel: 1,3 Mrd. Euro wurden bislang in Gorleben ausgegeben. Der Umbau des ehemaligen Erzbergwerks Schacht Konrad schlug in etwa mit 800 Mio. Euro zu Buche (Zahlenangabe lt. BfS, Februar 2003). Bezahlt haben übrigens nicht wirklich die Atom-stromproduzenten, die nach der Endlagervorausleistungsverordnung vom Bund zur Kasse gebeten werden, be-

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zahlt haben wir alle, weil die Stromproduzenten diese Gelder auf den Strompreis umlegten. Die Stromkonzerne haben für die gesamte nukleare Entsorgung steuerfreie Rückstellungen gebildet, die sich bis Ende 2002 auf über 35 Mrd. Euro summierten. Für uns die Forderung deshalb klar: die Bundesregierung muss die Atomstromer zur Kasse bitten für eine weitere Endlagersuche und muss auch die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen. Geschieht das nicht, dann wäre es redlicher einzugestehen, dass der gesamte AK End-Prozess samt Fol-gegremien nur ein Sandkastenspiel ist, eine leicht durchschaubare Hinhaltetaktik bis zur nächsten Wahl, um dann in ein fürchterliches Geschrei ausbrechen zu können, dass eine – möglicherweise wieder – CDU-geführte Bun-desregierung Gorleben realisiert

In der umfassenden und über 25jährigen Debatte um das Endlager Gorleben haben wir eindrucksvoll belegt, wie fragwürdig die bisherige Endlagersuche in der BRD angelegt war. Auf zwei Ansätze will ich an dieser Stelle noch hinweisen, weil sie in allen bisherigen Überlegungen des AK End keinerlei Berücksichtigung fanden. Es sind die Hinweise des Braunschweiger Professors für Physikalische Chemie, Rolf Bertram, und des Niederländers Prof. den Hartog, die auf die radiochemischen Prozesse im Salzgestein verweisen und davor warnen, weiter auf Salz als Endlagergestein zu setzen.

Trotz der erdrückenden Fülle an Material im Pro und Contra um Gorleben ( in Büchern, Zeitschriften, Vortrags-manuskripten, Zeitungsartikeln, Info-Blättern und Prozessakten) begegnen wir immer wieder dem Kardinalfehler: den Ausschlag für den Standort Gorleben gaben in erster Linie politische Überlegungen und nicht geologische Er-kenntnisse. Da die „Erkundung“ nach Berg- und nicht nach Atomrecht vorangetrieben wurde, gab es weder eine formelle Öffentlichkeitsbeteiligung, noch eine Anhörung oder Klagemöglichkeit von Anwohnern, Verbänden, Kommunen mit bisher einer Ausnahme: der Graf von Bernstorff konnte aufgrund seiner Salzgerechtigkeiten Kla-ge führen. Diesen Umstand hat auch Rot-Grün nicht verändert, sondern mit der Einfügung der Veränderungssper-re bei der Novelle des Atomgesetzes sogar perpetuiert. Der neu in die Broschüre aufgenommene Beitrag von Rechtsanwalt Nikolaus Piontek erhellt diesen skandalösen Hintergrund.

Als Atomkraftgegner/innen verschließen wir uns nicht der Debatte um die nukleare Entsorgung. Die schnelle Stilllegung aller Atomanlagen würde den Weg frei machen für einen neuen Anlauf bei einer ergebnisoffenen Standortsuche. Die Umsetzung des „Atomkonsenses“ führt allerdings nicht zu einem schnellen Ende der Atomkraft, sondern zur Bestandssicherung des Atomkraftwerksparks (siehe Obrigheim). Deshalb konzentrie-ren wir uns gegenwärtig auf den Nachweis, dass die vom AK End vorgegebenen geo- bzw. sozialwissenschaft-lichen Kriterien weder in Gorleben noch bei Konrad erfüllt werden und leisten weiter Widerstand.

Wolfgang Ehmke

Salinas Salzgut GmbH Gorleben - wer wir sind und was wir wollen

Salz statt AtomSalz fördern ist besser als Atommüll lagern: Unter diesem Motto will die Salinas Salzgut GmbH das Salz aus dem Gorlebener Salzstock fördern und vermarkten. Salinas wurde von Atomkraftgegnern aus dem Wendland gegründet und hat von Graf Bernstorff ein Grundstück samt der Salzrechte direkt über dem Salzstock gepachtet. Mit seinen Plänen steht das Unternehmen in Konkurrenz zur Atomlobby, die den Salzstock bekanntlich zum Endlager für hochradioaktiven Atommüll umfunktionieren will. Doch der taugt nicht für ein atomares Endlager, das ist wissenschaftlich seit Jahren bewiesen.

Im Poker um den Salzstock hat Salinas das Bergrecht auf seiner Seite. Denn wer seine Salzrechte nutzen will, kann nicht so leicht enteignet werden. Die erste Instanz haben wir bereits gewonnen. Doch noch werden wir durch endlose und kostenträchtige Rechtsstreitigkeiten an unserem Vorhaben gehindert. Aber wir werden weiter mit allen juristischen Mitteln um unser Recht am Gorlebener Salzstock kämpfen.

Schon jetzt hat Salinas „Gorlebensalz“ auf den Markt gebracht. Es stammt allerdings nicht aus dem Gor-lebener Salzstock, denn dort dürfen wir noch nicht bohren. Vorläufig bezieht Salinas sein Salz aus einer kleinen Saline, wo nach traditionellem Verfahren ein naturbelassenes Produkt hergestellt wird. Der Ge-winn fließt in das Salinas-Projekt.

Wer Salinas unterstützen will, kann einen Gesellschafteranteil erwerben.Nähere Informationen bei der

Salinas Salzgut GmbH, Hauptstraße 6, 29471 GartowTel: (0 58 46) 12 08 Fax: 97 90 11 eMail: [email protected]

http://www.salinas.de

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Wolfgang Ehmke

Zweifel von Anfang anDie Jahre 1977-1986Ernst Albrecht (CDU), niedersächsischer Ministerpräsident in den Jahren 1976 bis 1990, hatte sich zu Beginn sei-ner Amtszeit ausschließlich aus politischen Gründen für Gorleben als Stand-ort des „Nuklearen Entsorgungszen-trums“ entschieden. 17 Jahre dauerte es, bis jemand, der es wissen mußte, wie es zur Standortbenennung Gorle-bens kam, sich „outete“ und unsere Vermutung bestätigte: Kronzeuge war der damalige Vizepräsident des nieder-sächsischen Landesamtes für Bodenforschung (NLfB), Prof. Gerd Lüttig.

Das Kürzel NEZ stand für eine Wiederaufarbeitungsanlage (geplanter Durchsatz: 1.500 t Schwermetall pro Jahr), eine Eingangshalle für die abgebrannten Brennelemente, eine Brennelementefabrik, oberirdische Pufferläger für den anfallenden Atommüll, einer Konditionierungsanlage und schließlich jenes nukleare Endlager im Salzstock Gorleben-Rambow.

Sowohl auf dem internationalen Endlagersymposium in Braunschweig vom 21.-23.8.93 als auch auf einer öffent-lichen Veranstaltung in Lüchow im November 93 berichtete Lüttig über die Erfahrungen, die er Ende 1976 ma-chen mußte, nachdem er als Gutachter verschiedene Salzstöcke im norddeutschen Raum auf ihre Eignung als Atommüllendlagerstätte hin untersucht hatte. Nach seinem damaligen Urteil sei Gorleben nur „dritte Wahl“ gewe-sen, sagte Lüttig.

Albrecht habe ihm gegenüber darauf hingewiesen, daß die DDR dicht an der Grenze in Morsleben eine Atom-mülldeponie eingerichtet habe. Mit den Worten „Jetzt werden wir´s denen mal zeigen“ und „Da wird sich die Ost-zone schön ärgern“, habe Albrecht dann erklärt, warum er sich ebenfalls für einen Ort an der Grenze, nämlich Gorleben, entschieden habe. Die gegenteiligen Empfehlungen der Geologen habe Albrecht mit der Bemerkung abgetan: „Ihr kommt auch noch zu eurem Recht.“ (FR 27.11.93)

Möglicherweise hatte Ernst Albrecht darauf gesetzt, daß sein Votum die DDR-Regierung oder die Bonner SPD-geführte Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt provoziert. Aber nichts dergleichen geschah, und seit-dem kommen nicht nur Geologen zu Wort: um Gorleben wird erbarmungslos politisch und wissenschaftlich ge-stritten.

Nach Bergrecht und nicht nach Atomrecht - also unter Auschluß der Öffentlichkeit - wird seitdem in Gorleben ge-bohrt, abgeteuft und unter Tage gebuddelt (siehe den Beitrag von Marianne Fritzen in diesem Heft).

Im Mai 1977 hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in einem Bericht mit dem Titel „Langzeitlagerung radioaktiver Abfälle“ folgende Aussagen getroffen:

„Ziel einer sicheren Endlagerung radioaktiver Abfallstoffe muß es sein, die von ihnen ausgehende schädigende Strahlung vollkommen von der Biosphäre abzuschirmen. Je nach Zusammensetzung der Abfallstoffe beträgt die notwendige Isolierungszeit wenige Jahrzehnte bis einige 100.000 Jahre. Die geologische Abschirmung muß auch dann noch zuverlässig wirksam sein, wenn sich im Laufe dieser Zeit die geologischen und klimatischen Umwelt-bedingungen ändern. Geologische Formationen in großer Tiefe ohne Kontakt zum Grundwasserkeislauf bieten sich als Lagerungsmöglichkeit an“ (S.7).

Diese Zielvorgabe könnten wir unter der Prämisse des Atomausstiegs bedenkenlos gutheißen. Die Endlagersuche muß sich folgerichtig auf tiefe geologische Formationen konzentrieren. Als der Standort Gorleben ins Spiel ge-bracht wurde, warnte jedoch das NLfB („Die hydrogeologischen Gegebenheiten im Raum Gorleben, derzeitiger Kenntnisstand und Vorschläge zur weiteren Erkundung“, S. 4/5 Februar 1978):

•Es habe auch in jüngster Zeit (geologisch betrachtet!) aktive Ablaugungsvorgänge an der Salzstockoberfläche gegeben;

•Die Lagerung von wärmeentwickelnden Abfällen könnte zu einer Vergrößerung und Veränderung der Grund-wasserbewegungen führen;

•Die hydrogeologischen Untersuchungen müß-ten Aufschluß darüber bringen, ob der Salzstock im Deckgebirge durch Tone und Schluffe von ausreichender Mächtigkeit gegen Grundwasserkontakt lückenlos abgedeckt sei;

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•Es müßte geklärt werden, ob über dem Salzstock und seitlich davon mehrere Grundwasserstockwerke voneinan-der hydraulisch getrennt sind.

Nachdem die Ergebnisse der Tiefbohrungen und der Schachtvorbohrungen vorlagen, schrieb die Bürgerinitiative Umweltschutz am 28.6.82 an den damaligen Innenminister Gerhard R. Baum (FDP), in dessen Ressort die Zu-ständigkeit für die Endlagersuche zu jener Zeit lag.Die Bohrprotokolle, soweit sie der BI vorlagen, belegten: Es gab Salzlauge oberhalb (!) des Gipshutes, Gaseinbrü-che und Carnallit-Einschlüsse (Carnallit-Kristalle schmelzen schon bei ungefähr 850 Celsius und setzen Wasser frei). Hinzu kam eine äußerst komplizierte Verfaltung des Salzstocks.

Wissenschaftlich fundiert wurde die BI-Kritik durch ein 300 Seiten umfassendes Gutachten des Kieler Quartär-geologen Prof. Dr. Klaus Duphorn, der im Auftrag der PTB die Bohrergebnisse unter die Lupe nahm. Erste wich-tige Feststellung ist nach einem ausführlichen Bericht der taz vom 6.7.82, dass der Salzstock sich in der jüngsten geologischen Erdzeit, dem Quartär, und nicht wie erhofft im Tertiär herausgebildet hat. Auf 7,5 Quadratkilometer Grundfläche lägen mächtige, wasserführende Schmelzwassersände ohne wasserhemmende Ton- oder Gipsschich-ten direkt auf dem Salzgestein. Über der Nordhälfte - heute wird ausschließlich die NO-Flanke nach der Redukti-on der Endlagerpläne um 50% „erkundet“ - seien an mehreren Stellen Verbindungen zum oberen Grundwasser-stockwerk vorhanden, dadurch sei Salzwasser bis auf 70 m unter Gelände aufgestiegen. Durch Ablaugungspro-zesse habe sich eine Rinne gebildet. Ein Relikt des ursprünglichen Salzstockoberteils sei eine Aufragung („steiler Zahn“), die bis zu 133m unter die Erdoberfläche herankomme. In den Salzstockflanken würden die Sediments-schnichten mit einem spezifisch höheren Gewicht als das Salz nach unten sacken und das Salz regelrecht dadurch hochpressen.

Am 5. Juli 82 „konterte“ der parlamentarische Staatssekretär des Bundesministeriums für Forschung und Techno-logie, Erwin Stahl, mit einer Pressemitteilung, in der es heißt, dass aufgrund der „Thesen“ (sic!) Prof. Duphorns „zur Zeit kein grundsätzlich neuer sicherheitsmäßiger Sachverhalt erkennbar sei“. Ein Erfordernis zur Untersu-chung weiterer Standorte sei laut Stahl „derzeit nicht gegeben“. Anschließend wird Duphorn gerügt, Aussagen zur Eignung des Salzstocks als nukleares Endlager dürften aus seiner „Einzeluntersuchung“ nicht abgeleitet werden.

Unter der Überschrift „Wachsende Kritik an der Studie über Sicherheit des Endlagers Gorleben“ berichtet die EJZ am 25.10.82 über die erste Bürgerdialog-Veranstaltung in Hitzacker. Neun Stunden lang diskutierten Wissen-schaftler und Bürger/innen die vorläufige Studie des „Projekts Sicherheitsstudien Entsorgung“, die unter einer Wissenschaftlergruppe der TU Berlin unter Prof. G. Memmert im Auftrag des Bundesinnenministeriums erarbei-tet worden war. Der Bund hielt an Gorleben trotz der „Rinne“ und des „steilen Zahns“ fest. Umstritten waren auf dieser Veranstaltung vor allem die Rechenmodelle Memmerts, die beweisen sollten, dass auch bei einem Absau-fen des Salzstocks nach Einlagerung von Atommüll die natürlichen Barrieren ausreichten, um die Strahlenbelas-tung über Tage „hinreichend klein“ zu halten. Zu offensichtlich wurde, daß mit diesen Aussagen dem Salzstock das Prädikat „geeignet“ verliehen werden sollte. Dr. R. Martens von Institut für Geographie und Wirtschaftsgeo-graphie der Uni Hamburg zweifelte die Aussagekraft der Studie an, sie würde eine Reihe von Vereinfachungen enthalten und derart weitgehende Prognosen seien unhaltbar. Sekundiert wurde dessen Aussage durch den Bremer

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Steckbrief "Erkundungsbergwerk Gorleben"

Standortbenennung 22.02.1977Beginn der hydrogeologischen Untersuchungen 17.04.1979Erste Tiefbohrung (Gorleben 1003) 4.01.1980Zweite Tiefbohrung (Gorleben 1002) Ende Januar 1980Platzbesetzung und H?ttendorf der Bohrstelle "1004" 3.05.1980Gewaltsame R?umung der Freien Republik Wendland 4.06.1980Bundeskabinett stimmt der untert?gigen "Erkundung" zu 13.07.1983Beginn des Schachtabteufens 17.03.1986Abbruch nach schwerem Unfall Mai 1987Wiederaufnahme des Abteufens Januar 1989Salzgestein in 256 Meter Tiefe im Schacht 1 erreicht Januar 1990Startschu? f?r die horizontale Verbindung zwischen den Sch?chten November 1995Durchschlag (Verbindung) hergestellt Oktober 1996Bonn reduziert die "Endlagererkundung" um 50 % auf die Nord-Ost- Flankewegen der Salzrechte des Atomkraftgegners Andreas Graf von Bernstorff M?rz 1997K?rzung der Mittel im Bundeshaushalt um 107,24 Mio. DM auf 118 Mio. DM 1999 Bundesumweltminister Trittin (die Gr?nen) k?ndigt Moratorium an Februar 1999Endlagermoratorium "mindestens f?r 3, h?chstens f?r 10 Jahre" seit Oktober 2000

Diplom-Physiker Gerald Kirchner, der den Risikozeitraum von 10.000 Jahren, der der Studie zugrundelag, als zu gering bezeichnete. Die Frage wurde am Ende laut gestellt: Warum gibt es keine parallele Erkundung mehrerer Salzstöcke? Warum wird nur Salzgestein als Endlagerformation in Betracht gezogen?

Im November 1988 ging die Physikalisch-Technische Bundesanstalt - inzwischen übernahm das BfS die Feder-führung - in einem Faltblatt von folgenden Eckdaten aus:Kammervolumen für nichtwärmeentwickelnde Abfälle: einsohlig 2.000.000 m³

zweisohlig 4.000.000 m³Bohrlochvolumen für wärmeentwickelnde hochradioaktive Abfälle 83.000 m³hierfür benötigtes Salzvolumen 600.000.000 m³Volumen des gesamten Salzstocks 80.000.000.000 m³Ende der untertägigen "Erkundung" 1995 - 1999Inbetriebnahme 2008Kosten 3,350 Mrd. DM

Im März 1997 ging das BfS nach der Beschränkung der Bauarbeiten auf die Nord-Ost-Flanke davon aus, dass dort ein Volumen von 500.000 Kubikmetern statt eines Einlagerungsvolumens von 1,1 Mio. m3 geschaffen wür-den. Die Kosten würden um 300 Mio. DM von 4,4 Mrd. DM geringfügig sinken. Bis zum Jahr 2003 seien die Bergleute mit dem Bau beschäftigt. Im Jahr 2025 sei frühestens mit einer Einlagerung zu rechnen (HAZ 21.3.97).Kosten bis Ende 2002 insgesamt ca. 1.3 Mrd. Euro (Quelle BfS)

In der Folgeveranstaltung Ende Mai 1983 appellierte Prof. Duphorn an die BGR: „Untersuchen Sie andere Stand-orte“. Doch die Endlagerbauer stellten bereits Überlegungen an, wie die Schächte abgeteuft und ausgekleidet wer-den sollten.

Am 20. Juni 1984 fand eine öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestags zum „Bericht der Bundesregierung zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischer Einrichtungen“ statt. Von den 9 Gutachtern sprachen sich 5 für den Abbruch der„Erkundung“ des Salzstocks Gorleben aus (vergl. 416-seiti-ges Protokoll, Drucksache 10/37). Die Anhörung blieb ohne politische Konsequenz. Im Juli 1985 folgte eine An-hörung von Experten durch die niedersächsische SPD-Landtagsfrak-tion. Die weitere Erkundung des Salzstocks sei „grotesk“, sagte Prof. Eckard Grimmel. Prof. Duphorn empfahl als „Extremlösung“, von Gorleben abzurücken oder zumindest gleichzeitig andere Salzstöcke obertägig zu erkunden. Statt eines bergmännischen Aufschlusses plädierte Prof. Duphorn dafür, weitere Tiefbohrungen durchzuführen. „Der Standort Gorleben war eine politische Entscheidung und ist es bis heute geblieben“, stellte Prof. Günter Hermann fest (EJZ 5.7.85).

Erstmalig tritt auch die PTB offen für „Parallelbohrungen“ ein. Das aber sollte herbe Konsequenzen haben: am 25.7.85 berichtet die FR, Bonn habe der PTB neue Überlegungen zur Standortsuche untersagt („Maulkorb für kri-tische Äußerung über Gorleben“):

„Die Bundesregierung hat der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) untersagt, Überlegungen anzustel-len, ob als Alternativen zum Gorlebener Salzstock auch andere mögliche Endlagerstätten für Atommüll erkundet werden sollten. Professor Helmut Röthemeyer von der PTB bestätigte am Mittwoch die Existenz dieser Weisung und bezeichnete sie als eine „unangenehme Sache“.

Wie Röthemeyer vor Journalisten in Hannover berichtete, hatte die PTB bereits im Mai 1983 eine Zusammenfas-sung der bis dahin vorliegen-den Untersuchungsergebnisse mit einer „internen Gesamtbewertung“ verbunden, die zu der Empfehlung gelangte, “das Erkundungsrisiko

breiter zu streuen“. Der Wunsch der PTB sei gewesen, auch andere Salzstöcke zu erkunden. Nachdem dieses Pa-pier in „politische Kanäle“ gelangt sei, habe die Bundesregierung der PTB in einer Besprechung, an der mehrere Bundesministerien beteiligt gewesen seien, die Weisung erteilt, sich bei ihrer Beurteilung auf den Standort Gorle-ben zu beschränken.“

Schließlich bezeichnete Prof. Seibold, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, den Salzstock Gorleben als ungeeignet für ein atomares Endlager (NDR-Hörfunk, 15.10.85, „Aus Forschung und Technik“).

Natürlich werde der Salzstock nicht „gesundgebetet“, sagte Bundesforschungsminister Dr. Riesenhuber in Gorle-ben anlässlich des Festes des „ersten Kübels“, dem Beginn des Schachtabteufens am 18.9.86. Die Kritik an der Rechtsgrundlage der „Erkundung“, die auf der Basis des Bergrechts vorgenommen wurde, das normalerweise der Gewinnung von Bodenschätzen Anwendung findet, wies Riesenhuber zurück. Unter den heutigen Gegebenheiten sollten nicht nur den Abbau interessanter Stoffe, sondern schon allein die für eine Einlagerung von Abfällen geeig-neten geologischen Formationen als Bodenschätze betrachtet werden, denn die Atommüllagerung sei durchaus

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ein Wirtschaftsfaktor (EJZ 20.9.86).Die Bundesregierung mauert permanent. Eignungskriterien, so weit sie überhaupt vorlagen, werden schleichend revidiert. Das Mehrfachbarrierenkonzept, mit dem verhindert werden sollte, daß Radioaktivität über Wasserweg-samkeiten in die Biosphäre dringt, wird aufgegeben. Dem Deckgebirge käme, wenn die wassersperrige Ton-schicht über dem Salz fehle, deshalb eine Barrierefunktion zu, weil es zu einer „hohen Verdünnung“ der Radioak-tivität im Deckgebirge käme, behauptet Prof. Röthemeyer (PTB) in einem Buch („Endlagerung radioaktiver Ab-fälle. Wegweiser für eine verantwortungsbewußte Entsorgung in der Industriegesellschaft“, 1991) - eine Risikost-reuung ganz besonderer Art. Letztlich klammert sich der Bund an den unwissenschaftlichen Begriff der „Eig-nungshöffigkeit“, sobald es um Gorleben geht. Abgeleitet ist der Begriff von „Hoffnung“. Hoffen tun wir auch: auf wissenschaftlich fundierte Einsicht, dass der Salzstock als nukleares Endlager untauglich ist und den Mut von Politikern und Behördenvertretern, daraus adäquate Schlüsse zu ziehen.

Marianne Fritzen

Atomrecht, Bergrecht, UnrechtAm 23. Juni 1980 fand im Deutschen Bundestag ein Gorleben-Hearing statt.

Im Speisewagen des IC Dortmund-Hannover wird am späten Abend Prof. Dr. Helmut Bley vom Historischen Se-minar der Universität Hannover Zeuge eines Gesprächs zwischen einem Ministerialbeamten, der sich für das Planfeststellungsverfahren in Gorleben zuständig erklärte, und einem Prof. Heintz, der für die Schachtbohrungen verantwortlich ist. Es ging um juristische Fragen. Gesprächsinhalt war, schreibt Prof. Bley, „die Frage, wie man den Schacht für eine Erkundungsbohrung so auslegen könne, daß er für das Endlager bereits geeignet sei, ohne damit die atomrechtliche Verfahren (ich meine es wurde gesagt nach § 9b) Planfeststellungsverfahren und die an-schließenden bergrechtlichen Genehmigungen in Gang zu setzen - d.h. diese zu umgehen.“

Halten wir fest: Bereits am 10.03.1978 hat der Niedersächsische Landtag ein „Gesetz zur Änderung und Bereini-gung des Bergrechts im Lande Niedersachsen“ beschlossen und verkündet. §2b erhält folgenden Inhalt: „(1) Für Anlagen zur untertägigen Speicherung oder Ablagerung von festen, flüssigen oder gasförmigen Stoffen, und zwar für die Herstellung und den Betrieb der Anlagen und für vorbereitende Untersuchungen des Untergrundes, gelten die §... entsprechend. Die §§ 135 bis 147 gelten entsprechend, wenn an den Anlagen oder den Untersuchungen ein öffentliches Interesse besteht. Ein öffentliches Interesse besteht insbesondere, wenn die Anlagen oder Untersu-chungen der Energieversorgung oder der Durchführung einer gesetzlich vorgeschriebenen Aufgabe dienen.“

Mit dieser Gesetzesänderung des Bergrechts wurde für die Durchführung der Bohrungen in Gorleben eine we-sentliche Erleichterung für die Betreiber geschaffen.

Hürde bleibt allerdings das Atomgesetz. §9a (3) besagt: „ ... der Bund hat Anlagen zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle einzurichten. Sie können sich zur Erfüllung ihrer Pflichten Dritter bedienen.“

Wichtig, und in der Diskussion immer wieder hervorgehoben, der §9b Atomgesetz. Planfeststellungsverfahren.

Warum dieses Hin- und Hergezerre zwischen Bergrecht und Planfeststellung? Die Ursache wird deutlich, wenn man den Absatz (4) dieses Paragraphen liest. Da heißt es: „Die Bekanntmachung des Vorhabens und des Erörte-rungstermins, die Auslegung des Plans, die Erhebung von Einwendungen, die Durchführung des Erörterungster-mins und die Zustellung der Entscheidungen sind nach der Rechtsverordnung nach § 7 Abs. 4 Satz 3 vorzuneh-men.“

Was also tun Behörden, wenn sie sich in solch einer Zwickmühle befinden?

Sie lassen Gutachten erstellen!

Zur Klärung der Frage, ob nun für das Schachtabteufen ein Planfeststellungsverfahren nach § 9 b Atom-Gesetz er-forderlich ist, oder ob die Vorschriften des Bergrechts genügen, hat der damalige Bundesinnenminister Dr. G. Baum von Prof. Dr. Rüdiger Breuer/Trier ein „Rechtsgutachten über genehmigungsrechtliche Behandlung der Schächte für das geplante Endlagerbergwerk im Salzstock Gorleben sowie über die Ausgestaltung des Plan-feststeltungsverfahrens“ erstellen lassen.

Prof.. Breuer legte dieses Gutachten im Juni 1981 dem Bundesinnenminister vor. In den Vorgaben (S.3) wird u.a. von Folgendem ausgegangen: „Das Endlagerbergwerk soll durch zwei Schächte betrieben werden. Der eine Schacht (1) dient dem Transport der Abfälle und ist ausziehender Wetterschacht, weil Einlagerungstransporte

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grundsätzlich in den Abwettern erfolgen sollen. Er ist außerdem für gelegentliche Transporte von Großteilen be-stimmt. Der zweite Schacht (II) ist einziehender Wetterschacht. In ihm sollen Salzförderung, Seilfahrt und Materi-altransporte vorgenommen werden. Beide Schächte sollen einen lichten Durchmesser von 7,5 m haben.“

Pikant, daß die Vorgaben für die Schachtbreite bereits mit 7,5 m angegeben ist.

Im IC-Gespräch feilschten die Beamten noch darum, ob und unter welchen Umständen dieser Schachtdurchmes-ser (7,5m) erreicht werden könne. Für einen Erkundungsschacht sind 3,5 - 4,00 m ausreichend.

Für einen betriebsgerechten Bergwerksschacht sind etwa 7,5 m nötig!Fazit: Irgendwann zwischen dem Gorleben-Hearing 1980 und der Vergabe des Gutachtens an Prof. Breuer ist die Kungelei im IC aufgegangen.

Noch einmal: Was für spezifische Merkmale beinhaltet ein Planfeststellunsverfahren? Ich zitiere: „Die spezifi-schen Merkmale der Planfeststellung bestehen in der Förmlichkeit des Verfahrens, das sich in ein Anhörungs- und ein Beschlußverfahren gliedert, sowie in ihrer Konzentrationswirkung, die der grundsätzlich umfassenden Sach-prüfung des Vorhabens, der notwendigen Folgemaßnahmen und der erhobenen Einwendungen entspricht.“

Prof. Dr. Breuer kommt in seiner Zusammenfassung (S.63) zu dem Ergebnis: „Als wesentliches Ergebnis ist fest-zuhalten, daß das Abteufen und der Ausbau der beiden Schächte für 'das geplante Endlagerbergwerk im Salzstock Gorleben neben der bergrechtlichen Betriebsplanung der vorherigen Planfeststellung nach § 9b Atom-Gesetz be-dürfen. Somit ist ein „Parallelverfahren“ bei der Zulassungsakte erforderlich.“ Prof. Dr. Breuer schließt seine Zusammenstellung mit „Auch das Gebot grundrechtskonformer Verfahrensgestaltung stützt das Erfordernis der vorherigen, dem Schachtbau vorgeschalteten Planfeststellung. Andernfalls würde klagebefugten Dritten die grundrechtsrelevante vorgängige Verfahrensbeteiligung abgeschnitten.“

Bergrecht

Wir erinnern: Am 10. März 1978 wurde das Berggesetz in Niedersachsen geändert.

Am 10.12.1980 hält Dr. jur. Prof. Dietrich Rauschning von der Universität Göttingen einen Vortrag vor der Gorleben-Kommission in Lüchow zum Thema: „Rechtliche Erfordernisse für die bergmännische Er-kundung des Salzstockes auf Eignung zu einem Endlager für radioaktive Abfälle.“

Rauschning fasst seine Erwägungen in 5 Thesen zusammen. Sie wörtlich zu zitieren würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Daher nur die wichtigsten Überlegungen.

1. „Wenn das Ergebnis der Tiefbohrungen nicht eine Eignung des untersuchten Salzstockes für ein Endlager aus-schließt, sind weitere Eignungsuntersuchungen im Wege der bergmännischen Erkundung vorzunehmen... Die Schachtanlage muß von Ausrüstung und Dimension her den bergrechtlichen Anforderungen entsprechen... Es ist davon auszugehen, daß der gleiche Schacht dann, wenn die ... Erkundung die Eignung des Salzstockes für ein Endlager ergibt, in die Pläne über die Errichtung und den Betrieb des Endlagers einbezogen wird.“

2. „in § 9 b AtG ist das Planfeststellungsverfahren für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen des Bundes zur Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle angeordnet. Ein Planfeststellungsverfahren hat regel-mäßig eine Konzentrationswirkung und ersetzt alle für das Vorhaben sonst erforderlichen Genehmigungen. In §9 b Abs. 5 Ziff. 3 ist aber die Ausnahme ausdrücklich festgestellt, daß die Zulässigkeit des Vorhabens nach Berg- und Tiefspeicherrecht im Planfestellungsverfahren nicht festgestellt werden kann; hierüber entscheiden weiterhin die Bergbehörden nach Bergrecht...“

Es folgen dann Äußerungen zu dem geänderten Berggesetz für das Land Niedersachsen und der Notwendigkeit von Betriebsplänen etc...Die Klimmzüge, die in den „Erwägungen“ angestellt werden, sind beachtenswert.

Zitat von S. 4: „Die Bergaufsicht nach § 196 ABG war in der alten Fassung ausdrücklich als „polizeiliche“ Auf-sicht bezeichnet; damit ist klargestellt, das die Bergbehörden die- nach gegenwärtigem Sprachgebrauch ord-nungsrechtliche Aufsicht ausüben. Wenn sich aus dem Betriebsplan oder in der Praxis ergibt, daß die dort vorge-sehenen Arbeiten nicht der Erkundung des Untergrundes, sondern derart der Errichtung oder Herstellung der Anlage dienen , daß ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren dafür erforderlich ist, dann muß die Bergbe-hörde entsprechend einschreiten. Ob jener Fall vorliegt, ist ... nicht nach Bergrecht, sondern nach Atomrecht zu entscheiden.“

Eine weitere Kuriosität auf S.6: „Eine andere Auslegung mit der Konsequenz, daß der Schacht zur Erkundung des Untergrundes eines Planfeststeltungsbeschlusses bedürfte, ein Plan-feststellungsbeschluß aber nur nach gesi-

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cherten Erkenntnissen über die Standorteignung möglich wäre, die durch den Erkundungsschacht gewonnen wer-den sollen, würde gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen. Mit dieser Verknüpfung würde die Durchführung ei-nes Planfeststellungsverfahrens praktisch insgesamt unmöglich gemacht. Es wäre ein Verbot mit dem Vorbehalt einer - im Planfeststellungsbeschluß zu erteilenden - Erlaubnis ausgesprochen, die Erteilung der Erlaubnis aber praktisch durch die Verfahrensanforderungen ausgeschlossen. Eine solche Rechtsgestaltung hat das Bundesver-fassungsgericht in der Entscheidung über die Mitfahrerzentralen als gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßend für verfassungswidrig erklärt.“

Ein Endlager für radioaktive Abfälle entspricht also einer Mitfahrzentrale! 4m Schachtbreite oder 7,5 m? Schlußfolgerung von Prof. Rauschning: „Ohne nähere Anhaltspunkte ist nicht davon auszugehen, daß ein Erkun-dungsschacht ein kleineres Ausmaß haben müßte als ein späterer Betriebsschacht.“

Und, last but not least, die Schlussfolgerung:

„Bei dieser Sach- und Rechtslage bin ich der Auffassung, daß das Abteufen eines Erkundungsschachtes und das Auffahren von Erkundungsstrecken einschließlich der dazu erforderlichen Nebenanlagen der bergrechtlichen Be-triebsplanpflicht und der Bergaufsicht unterliegen, nicht aber einem atomrechtlichen Planfeststellungsbeschluß.“

Noch bevor also am 1.1.1982 das Bundesberggesetz vom 13. August 1980 in Kraft tritt, sind in Bonn und Hanno-ver Fakten geschaffen.Mit Schreiben vom 17. Juli 1981 teilt der Bundesinnenminister Herr Baum der BI mit:

„Nach eingehender Prüfung der Frage des anzuwendenden Genehmigungsverfahrens gehen die beteiligten Bun-desressorts davon aus, daß das geplante Abteufen der Schachtanlage im Salzstock bei Gorleben nur der Durch-führung eines bergrechtlichen Verfahrens zur Voraussetzung hat. Dies ist auch die Meinung der Niedersächsi-schen Landesregierung.“

Auf unsere Schreiben vom 23. Juli und 18. September1981 antwortet dann der Innenminister am 2. Fe-bruar 1982:

„Ich habe alle Gesichtspunkte, die für die Entscheidung von Bedeutung sein könnten, abgewogen und hierbei auch die in Ihrem Schreiben vorgetragenen Aspekte in meine Prüfung einbezogen. Im Ergebnis bin ich jedoch zu der Entscheidung gelangt, daß vor einem Antrag auf Planfeststellung (i.S.v. § 9 b des Atomgesetzes) die Eignung des Salzstockes durch Abteufen von Schächten noch genauer zu erkunden ist. Ein Planfeststellungsverfahren kann daher erst eingeleitet werden, wenn nach Überzeugung der Physika-lisch-Technischen Bundesanstalt der Salzstock für die Errichtung eines Endlagers geeignet ist. Diese Voraussetzung ist aber noch nicht gegeben.

Das Abteufen der Schächte erfolgt ausschließlich zu Erkundungszwecken und entfaltet deshalb keine präjudizie-rende Wirkung im Hinblick auf eine spätere Nutzung der Schächte als Teile des Endlagers. Gegenstand des berg-rechtlichen Verfahrens werden deshalb nur bergtechnische Maßnahmen sein.Jegliche Einbeziehung von nuklear-spezifischen Aspekten und deren Prüfung ist ausgeschlossen und bleibt dem im Falle der Eignung des Salzstocks durchzuführenden, Planfeststellungsverfahren vorbehalten.“ (Her-vorhebung des Textes durch Verf.)

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen: Weder die Überlegungen zur Umgehung der ehemaligen Kriterien für ein Deckgebirge, noch die angestellten Anstrengungen der PSE oder der Bau der Pilotkonditionierungsanlage in un-mittelbarer Nähe des Endlagerstandortes. Es werden Tatsachen geschaffen und Unrecht wird zu Recht.

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Nikolaus Piontek

WAS WIRD AUS GORLEBEN?Die Auseinandersetzung um ein Endlager Gorleben unter neuen Bedingungen: Neues Atomgesetz, Erkundungsmoratorium und AK Auswahlverfahren Endlagerstandorte

Mit der Vereinbarung zwischen der BRD und den Energieversorgungsunternehmen vom 14.06.2000 hat die Rot-Grüne Bundesregierung den Grundstein für eine neue Atompolitik gelegt. Die in dieser Vereinbarung enthaltenen Rahmenbedingungen sind inzwischen gesetzlich umgesetzt worden. Für die Endlagersuche hat die Vereinbarung die Unterbrechung der Erkundungsarbeiten am Salzstock Gorleben (Moratorium) und eine Neuorientierung bei der Suche nach einem Bundesendlager gebracht. Wie ist die neue Lage aus Sicht der Betroffenen einzuschätzen ?

1. Atomgesetz

Die Änderung des Atomgesetzes schafft neue rechtliche Rahmenbedingungen für ein Endlagervorhaben in Gorle-ben vor allem im Hinblick auf die Enteignungsvorschriften, die für die mögliche Verwirklichung eines Endlagers von besonderer Bedeutung sind, weil der Eigentümer an weiten Bereichen des Salzstocks, Andreas Graf v. Bern-storff dem Vorhaben seine Zustimmung verweigert. Ohne die Rechte zu dem Salzstock lässt sich aber ein Endla-ger in dem bisher geplanten Ausmaß nicht verwirklichen. Gestrichen wurden die §§ 9d bis 9f AtG, nach denen für die Zwecke der Errichtung und des Betriebs von Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle sowie für Zwecke der Vornahme wesentlicher Veränderungen solcher Anlagen oder ihres Betriebs die Enteignung zulässig ist. Diese Vorschriften waren erst durch das Gesetz vom 06.04.1998 in das AtG aufgenommen worden, nachdem erkannt wurde, dass die Vorschriften des Bergrechts für eine Enteignung wohl nicht ausreichend sind. Die entsprechenden Anträge, den Grundeigentümer schon für das Erkundungsvorhaben nach Bergrecht zu enteignen, sind inzwischen vom Bundesamt für Strahlenschutz jedenfalls zurückgenommen worden. Zur Begründung dafür, dass nun auch die gerade erst in das Atomgesetz eingefügten genannten Enteignungsvorschriften wieder aufgehoben wurden, führt die Bundesregierung aus, dass "für die Beibehaltung der Enteignungsregelungen derzeit kein Anlass gesehen wird, weil für die angestrebte Erkundung von Endlagerstandorten eine auf Akzeptanz gerichtete Vorgehensweise für ausreichend erachtet wird". Worauf sich diese Hoffnung auf Akzeptanz gründet, bleibt unerwähnt. Aus meiner Sicht besteht für das BfS kein Anlass davon auszugehen, dass das Endlagervorhaben akzeptiert wird, denn der Grundeigentümer ist nach wie vor nicht bereit, ein atomares Endlager zu dulden. Da im übrigen eine Enteignung nur aufgrund eines Gesetzes möglich ist, fehlen derzeit die rechtlichen Voraussetzungen für eine Enteignung. Bei einer Beschränkung auf ein Endlager nur im Nordostteil des Salzstocks scheint eine Enteignung verzichtbar, denn dort ist der Großteil der Flächen im Eigentum der Betreiberseite. Nur für verhältnismäßig kleine Grundstücke ist der Bund nicht berechtigt, so dass es denkbar erscheint, ein Endlager um diese "Fremdgrundstücke" herum zu er-richten.

An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass bereits die Umweltministerin Merkel eine Verkleinerung des Endlager-projektes wegen der Verringerung der zu erwartenden Abfallmengen angekündigt hat. Auch die Erkundung soll (zunächst?) auf den Nordostteil beschränkt bleiben. Bei den jetzt noch zu erwartenden Abfallmengen würde der Nordosten völlig ausreichen, erst recht dann, wenn ein Endlager Konrad (in das allerdings nicht hoch aktive wär-meentwickelnde Abfälle, also z.B. abgebrannte Brennelemente, eingelagert werden können) in Betrieb geht.

Aber von der Gesetzesänderung unverändert bleibt es in § 9a III AtG bei dem Auftrag des Bundes Anlagen zur Si-cherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle einzurichten. Diese Aufgabe kann der Bund ganz oder teil-weise Dritten übertragen.

Ebenso ist der ebenfalls erst 1998 in das Atomgesetz eingefügte §9g geblieben, nach dem zur Sicherung der Pla-nung und Erkundung von Endlagern Veränderungssperren bis zu 10 Jahren durch Rechtsverordnung des Bundes verhängt werden dürfen. Eine Veränderungssperre ist das Verbot im Plangebiet auf der Oberfläche oder im Unter-grund wesentlich wertsteigernde oder das Vorhaben erheblich erschwerende Veränderungen vorzunehmen. Es war bereits angekündigt worden, dass die jetzige Bundesregierung eine solche Veränderungssperre beschließen will. Das Vorhaben Salinas (im Jahre 1996 hat das Unternehmen Salinas mit der Billigung des Grundeigentümers einen Plan zum Abbau von Salz im Gorlebener Salzstock gestellt) wäre davon in erster Linie betroffen.

2. Moratorium

Der Atomkonsens sieht in Anlage 4 ("Erklärung des Bundes zur Erkundung des Salzstockes in Gorleben") eine Unterbrechung der Erkundung des Salzstockes für mindestens 3, längstens jedoch 10 Jahre vor. Das Moratorium bedeutet nicht die Aufgabe von Gorleben als Standort für ein Endlager. Vielmehr sollen Fragestellungen zu Zwei-feln (des Bundes, die Atomindustrie hat sich dem nicht angeschlossen) am bisherigen Endlagerkonzept beantwor-tet werden. Stichworte sind in diesem Zusammenhang Gasbildung im Salz, Rückholbarkeit, Geeignetheit von

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Salz, Kritikalitätsausschluss bei direkter Endlagerung und Empfehlungen der internationalen Strahlenschutzkom-mission.

Das beschlossene Moratorium wurde in den Rahmenbetriebsplan zur Erkundung des Salzstocks Gorleben aufge-nommen. Am 29.09.2000 wurde der Rahmenbetriebsplan bis zum 30.09.2010 verlängert, wobei das vereinbarte Moratorium von 3 bis 10 Jahren samt der im Atomkonsens enthaltenen Begründung als eine ergänzende Verände-rung des Rahmenbetriebsplans zugelassen wurde. Diese Regelung bedeutet, dass die Erkundung ohne Verände-rung des Rahmenbetriebsplans fortgesetzt werden kann, falls das Moratorium vor der Befristung der Zulassung zum 30.09.2010 beendet werden sollte.

Ein Antrag auf Planfeststellung nach § 9b AtG ist bereits seit Beginn der Erkundungsarbeiten beim Niedersächsi-schen Umweltministerium gestellt worden. Das Planfeststellungsverfahren wurde bislang aber nicht eingeleitet.

Schon seit vielen Jahren werden die bergrechtlichen Betriebspläne von unserer Seite nicht mehr angefochten, nachdem verschiedene Verfahren zwischen 1985 und 1995 ohne Erfolg blieben. Eine direkt gegen den Rahmen-betriebsplan gerichtete Klage von 1985 ist in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stade vom 16.07.1991 vom Gericht für zulässig gehalten worden. Allerdings sah das Gericht keine Verletzung der Salzabbaugerechtig-keiten, weil der zugelassene Betriebsplan in diese Rechte wegen der in ihm enthaltenen Klausel nicht eingreift.

Zur Zeit lässt sich ein Ende des Moratoriums nicht absehen. Es steht zu vermuten, dass sich die jetzige Bundesre-gierung bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahre 2006 an dieses Thema nicht heranwagen wird. Allerdings muss man damit rechnen, dass die in §9g AtG vorgesehene Veränderungssperre in absehbarer Zeit verhängt wird. Salinas und auch der Grundeigentümer haben angekündigt, dass sie gegen eine Veränderungssperre Klage erhe-ben wollen. Sie sehen darin einen nicht gerechtfertigten Eingriff in ihr Eigentumsrecht, denn das Erkundungsvor-haben ist nicht ausreichend legitimiert, weil ihm eine auf politischen Opportunismus und nicht auf Sicherheitsa-spekte gegründete Entscheidung zugrunde liegt.

3. AkEnd

Im Anschluss an den Atomkonsens hat die Bundesregierung nachgeholt, was eigentlich hätte am Anfang der Su-che nach einem Endlager stehen müssen: Der Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd) hat in dreijähriger Arbeit ein Verfahren entwickelt, mit dem die Suche nach einem geeigneten Endlager betrieben wer-den kann. Im Dezember 2002 wurden die Arbeitsergebnisse des AkEnd vorgelegt. Danach soll in einem gestuften Verfahren der nach geowissenschaftlichen Kriterien geeignetste Ort unter Beteiligung der Öffentlichkeit ausge-sucht werden. Ausgangspunkt des Standortauswahlverfahrens ist eine "weiße Deutschlandkarte". Am Ende der obertägigen Suche sollen mindestens zwei Standorte stehen, die dann in einem untertägigen Erkundungspro-gramm verglichen werden, um am Ende den für ein Endlager am besten geeigneten Ort zu identifizieren.

Die Anwendung dieses Verfahrens und vor allen Dingen dessen Finanzierung ist zwischen Regierung und Atom-industrie umstritten. Die Atomindustrie ist z.Zt. noch nicht bereit, die Kosten eines solchen Verfahrens zu tragen. Sie hält dies nicht für notwendig, weil mit Schacht Konrad und Gorleben bereits hinreichende und geeignete La-ger zur Verfügung stehen.

4. Die Folgen für Gorleben

Selbst bei Inbetriebnahme eines Endlagers Schacht Konrad wird für hoch aktive wärmeentwickelnde Abfälle ein weiteres Lager gebraucht. Schacht Konrad könnte zwar mit großem Aufwand auch für diese Abfälle ausgebaut werden. Das ist nach heutigem Stand allerdings unwahrscheinlich, weil damit von dem bisher verfolgten Konzept abgewichen und ein neues Planfeststellungsverfahren erforderlich würde.

Den Interessen der Atomindustrie dürfte es am ehesten entsprechen, das bereits genehmigte Endlager Schacht Konrad für die große Menge der nicht wärmeentwickelnden Abfälle zu nutzen (90 % des Volumens aller Abfälle) und in Gorleben eine "verkleinerte" Lösung nur für die hoch wärmeentwickelnden radioaktiven Abfälle (die aller-dings 99 % der gesamten zu lagernden Radioaktivität enthalten) zu verwirklichen. Wegen des geringeren Platzbe-darfs gegenüber dem ursprünglich angestrebten Endlager für alle Abfallarten würde hierfür schon fast der Bereich des Salzstocks, der bis heute erkundet worden ist, ausreichen. Diese Lösung hätte für die Atomindustrie den Vor-teil, dass der Großteil der Kosten für die Planung und Realisierung der Endlagerung bereits geleistet worden sind. Außerdem dürfte der Neubeginn der Planungen an den dann in Aussicht genommenen Standorten ebenso schwer durchzusetzen sein, wie es in Gorleben der Fall war. Schließlich muss auch der Zeitdruck berücksichtigt werden, der gegen einen möglicherweise langwierigen Neubeginn in der Endlagersuche spricht: Spätestens 2030 muss ein Endlager für hoch radioaktive wärmeentwickelnde Abfälle zur Verfügung stehen, weil dann die für eine Zwi-schenlagerung der Abfälle zulässige Zeit für die Ältesten dieser Abfälle abzulaufen beginnt. Die Atomindustrie hat daher kein Interesse, mit den Ergebnissen des AkEnd noch einmal in die Suche nach einem Endlagerstandort ein-

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zusteigen.

Diesen Argumenten ist entgegenzuhalten: Aus Bequemlichkeit und aus finanziellen Interessen soll am Standort Gorleben, an dessen Eignung schwere Zweifel bestehen und der ohne jedes an wissenschaftlichen Kriterien orien-tierte rationale Verfahren ausgewählt wurde, wider alle Vernunft festgehalten werden. Eine verantwortbare Lösung kann deshalb nur darin bestehen, dass das Verfahren des AkEnd umgesetzt wird, auch wenn damit mehr Kosten als bei der "bequemen" Lösung entstehen werden. Es ist deshalb zu fordern, dass die Bundesregierung das vom AkEnd entwickelte Verfahren möglichst umgehend rechtlich umsetzt. Bisher fehlen solche Rechtsvorschriften noch, so dass die Atomindustrie durch die schlichte Weigerung die Kosten für das Verfahren zu zahlen, das Ver-fahren anhalten kann. Gerade das aber birgt die größten Gefahren, denn der Neubeginn der Suche kann nur sinn-voll sein, wenn er geeignet ist, die zeitlichen Rahmenbedingungen -Endlager bis 2030 - einzuhalten. Es ist deshalb z.Zt. das größte politische Anliegen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für den noch rechtzeitigen Beginn einer neuen Endlagersuche auf Grundlage des vom AkEnd entwickelten Verfahrens möglichst umgehend ge-schaffen werden.

Wolfgang Ehmke

Tod im HalbgefrorenenDer Schachtunfall vom 12. Mai 1987

Es geschah um 9.45 Uhr. „Schlagartig“ löste sich ein aus mehreren Segmenten bestehender, 1,5 t schwerer Aus-bauring aus Stahl aus seiner Verankerung und stürzte aus einer Höhe von 5 m auf die Sole des Schachts 1, der eine Ausbautiefe von 239 m hatte. Dort arbeiteten zu dem Zeitpunkt 7 Männer, sechs von ihnen wurden verletzt, einer so schwer, daß er zwei Tage später seinen Verletzungen erlag (EJZ 13.5.87).

Bundesforschungsminister Dr. Heinz Riesenhuber (CSU) reagierte schnell auf den Zwischenfall, er drückte sein Bedauern über den „bergmännischen Unfall“ aus. Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) versprach bei sei-nem Besuch auf der Endlagerbaustelle am 12.8.87, die Unfallursache würde ohne Zeitdruck geklärt. Bereits zu je-nem Besuchstermin wurde nicht etwa der Abbruch der Teufarbeiten und des bergmännischen Aufschlusses des Salzstocks erwogen, es ging um bergtechnische Fragen, um den Schacht 1 zu stabilisieren.

Der Unfall hatte ein juristisches Nachspiel. Pfusch beim Schweißen der Stahlringe hätte zu dem Absturz des Stützringes geführt, der Tote hätte möglicherweise die Fehlerhaftigkeit erkennen können. Hier fehlt in der Rekon-struktion nur noch das makabre Quäntchen, um dem Opfer die Schuld zu geben. Die EJZ (17.12.88) berichtete: „Der Ring Nr.20, der am 12. Mai nach Abreißen einer Schweißnaht auf die Arbeiter herabstürzte und den Ober-steiger Wendel erschlug, war an einem Tag mit der Kopfplatte verschweißt worden, als eben jener Obersteiger nicht im Dienst war. Ob er die besonders fehlerhafte Schweißnaht, die ihn das Leben kosten sollte, allerdings be-anstandet hätte, ist ungewiss: Nach Feststellung der Staatsanwaltschaft war Wendel zwar Schlosser und Maschi-nensteiger, es ist aber nicht mehr feststellbar, ob sein bergtechnisches Wissen ausreichte, um ihn erkennen zu las-sen, welchen Belastungen die Stützringe im Schacht ausgesetzt sind. Dieses Wissen, so meint die Staatsanwalt-schaft, hätte aber die Betriebsleitung besitzen müssen.“

Folglich wurden zwei Vorgesetzte des Obersteigers Wendel der Betriebsleitung der bauausführenden Arbeitsge-meinschaft Schächte Gorleben (ASG) wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Geldstrafen verurteilt: zu 12.750 DM bzw. zu 7000 DM. Außerdem hätten sie die Verfahrenskosten zu zahlen (80.000 DM), schrieb die EJZ am 16.12.88. Eine Mitverantwortung der Aufsichtsbehörde (Bergamt Celle) bzw. der Betreiberfirma DBE, die die ASG mit dem Ausbau der Schächte beauftragt hatte, sah die Staatsanwaltschaft Lüneburg offensichtlich nicht.

20 Monate lang dauerte es, bis die Teufarbeiten wieder aufgenommen wurden. Erste vorbereitende Arbeiten wur-den am 2.1.89 wieder aufgenommen. Eilig wurde nämlich im Mai 1987 der Unglücksschacht mit einem Beton-propfen stabilisiert, um ihn vor dem Einsturz zu sichern. Jetzt mußten zusätzlich 600 Kubikmeter Kies eingefüllt werden. So entstand eine Arbeitssole für den Bau eines Aufhängefundaments, mit dessen Hilfe ein neues „Stahl-korsett“ in den Schacht eingebaut wurde. Mitte Januar 1989 wurde das weitere Abteufen im Schacht 1 seitens des Bergamts Celle genehmigt. Das Stahlkorsett wurde von der Teufe 217 m bis zur Teufe 260 m eingezogen. Die Mehrkosten für das veränderte Teufverfahren, das auch im Schacht 2 Anwendung fand, bezifferte die DBE mit 38 Mio. DM, die Stillstandskosten für die 20 Monate Pause mit 16 Mio. DM (EJZ19.7.89).

Damit ist die Geschichte des Schachtunglücks natürlich nicht hinlänglich beschrieben. Stellt man sich die einfache Frage, warum überhaupt Stützringe in den Schacht zu jener Zeit eingebaut wurden, so kommen wir der Genese des Schachtunglücks auf die Spur. Als im Februar 1987 der Schachtausbau bei einer Tiefe von 208 m angelangt

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ist, notieren Beamte des Niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung (NLfB): „Teile des Schachtstoßes sind an der Oberfläche nur gering gefroren“. Das ist merkwürdig, denn mit einer Leistung von 50.000 Kühl-schränken wird die Umgebung der beiden Schachtansatzpunkte tiefgefroren und standfest gemacht, damit im Deckgebirge die Schächte bis zum 260 m tief liegenden Salzgestein ohne Einsturzgefahr abgeteuft werden kön-nen. Im März kommt es zu einem Wassereinbruch, und im April muß dann die DBE beim Bergamt Celle melden, die Schachtwand habe sich in 230 m Tiefe um „bis zu 30 Zentimeter“ verschoben. Gesteinsbrocken fallen herab. Die DBE beantragt zur Sicherung des Schachts 1 den Einbau jener Stützringe, und das Bergamt Celle spielt unbü-rokratisch mit. Am 12. Mai springt dann einer der Stahlringe „schlagartig“ aus seiner Verankerung.

Um den Schaden zu begrenzen, suchen die Verantwortlichen der ASG, DBE, PTB und der Bergämter nach Bau-ausführungsfehlern. Prof. Dr. Eckhard Grimmel wirft in einer Stellungnahme zur „Gorleben“-Anhörung im Nie-dersächsischen Landtag vom 19./20.5.88, bei der es um die Klärung der Unfallursachen ging, weitergehende Fra-gen auf: inwieweit Bauplanungsfehler angenommen werden mußten, ob speziell am Standort Gorleben bzw. im Bereich der Schachtansatzpunkte gebirgsmechanische Schwierigkeiten existierten, die nicht sicher erfassbar und beherrschbar seien. Denn aus der Anhörung wurde deutlich, dass- trotz der Anwendung des Tiefkälteverfahrens (sogar -400 C statt -350 C, um dem hohen Salzgehalt im Deck-

gebirges zu entsprechen),- trotz einer Vergrößerung des Gefrierkreisdurchmessers (von 16,5 auf 18 m),- trotz einer Verstärkung der Schachtwände (von 30cm/einsteinig auf 60cm/ zweisteinig) und- trotz langer Vorgefrierzeit (bis zu 500 Tagen)die ungewöhnlich hohen ungleichförmigen Verformungen im Schacht 1 aufgetreten sind. Trotzdem wurde kein Baustopp verhängt!

Zwei Gutachter hatten bereits 1982/3 gewarnt. Prof. Dr. Klaus Duphorn trug geologische Bedenken vor und warnte vor der Auswahl der beiden Schachtansatzpunkte in einem Gutachten für die PTB: „Von besonderer Be-deutung für die Beurteilung der Bergbau-Sicherheit sind die jüngsten Bruchstörungen des salinartektonischen Scheitelgraben-Systems, da diese sowohl im Salzstock als auch im Deckgebirge ...offen sind und somit als Wan-derwege für Wasser und Lauge dienen können.“

Prof. Jessberger, Ordinarius für Grundbau und Bodenmechanik an der Uni Bochum, war von der DBE beauftragt, die Bohrkerne für die Schachtansatzpunkte zu untersuchen Im kritischen Bereich von 225 m gingen Proben bei geringer Belastung zu Bruch, vermutlich verhinderte der hohe Salzgehalt eine Verfestigung bei Versuchstempera-turen von -10 bis -200 C. Jessberger regte weitere systematische Untersuchungen und Versuche an. Vergebens (vergl. Artikel in der taz von 17.8.87).

Schließlich genehmigte die PTB Sprengarbeiten im Schacht, obwohl eindeutig bekannt war, dass bei bestimmten Erschütterungen mit kurzen Wellenlängen unter Umständen in Tonen (Wassergehalt plus Salzhaltigkeit!) eine Ver-flüssigung die Folge ist. Die PTB wies in einem Infoblatt im Juli 1982 selbst darauf hin, daß in Gorleben nur mit-tels Druckluft und Hydraulikhämmern geteuft werden dürfte.

Wie stark der unterirdische Gebirgsdruck auch nach Einbau der Stützringe immer noch ist, belegte das Büro Jess-berger + Partner im April 1991. In der Tiefe zwischen 167 und 200 m wurden Verformungen bis zu 15 cm seit Einbringen des Ausbaus beobachtet, an 70 Steinen seien Schäden festgestellt worden.

Augen zu und durch lautete die Devise nach dem 12. Mai 1987 für die Endlagerbauer. Mittelbar habe der Ge-birgsdruck zum Unfall beigetragen, räumt die DBE in einer Broschüre ein („Gorleben- Erkundung eines Salz-stocks“ o. J. vermutlich 1990), ursächlich sei jedoch der „Fertigungsfehler“ beim Einbau der Stützringe.

Wir haben keinen Zweifel, daß am Ende Schächte standsicher ausgebaut werden können. Zweifel haben wir an der Redlichkeit der beteiligten Firmen und Behörden, die bis heute verantwortlich für das Projekt zeichnen. Dem Vorfall kommt aber auch eine erhebliche Bedeutung zu, wenn es um Zweifel an der Eig-nung des Salzstocks geht. Das Deckgebirge ist von wasserführenden Schichten und Störzonen durchzo-gen, und mitten hinein baut die DBE die Schächte. Zur natürlichen kommt noch eine künstliche Verbin-dung zwischen „unten“ und „oben“ im Bereich der Schächte bzw. der Schachtumgebung. Bereits 1983 wies Prof. Eckard Grimmel auf einer öffentlichen Veranstaltung darauf hin, „daß hydraulische Verbindun-gen zwischen den verschiedenen Grundwasserleitern über dem Salzstock bestehen und eine Salzablau-gung von gegenwärtig 1.000 - 10.000 m3 pro Jahr ermöglichen“. (Redemanuskript, 18./19.11.83 Hitza-cker). Wasserwegsamkeiten aber stellen die Hauptgefahr für die Langzeitsicherheit einer Atommülldepo-nie dar. Die wahre Unfallursache ist dafür ein starkes Indiz.

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taz, 17.08.1987

Gorleben-Unfall fahrlässig verursachtBI Lüchow-Dannenberg legt umfangreiches bisher unveröffentlichte Gutachten und Doku-mente über den Gorlebener Endlagerbau vor/ Bochumer Geologe nennt Entscheidungen der Betreiber „Fahrlässig und völligunverantwortlich“Der Obersteiger, der im Mai im Schacht Gorleben zu Tode kam, könnte noch leben, wäre die Betreiberfirma den Empfehlungen des von ihr beauftragten Gutachters gefolgt. Er hatte schon 1982 weitere Prüfungen nahegelegt, die aber erst Anfang diesen Jahres vorgenommen wurden. Das Ergebnis wurde am Unfalltag vorgelegt und jetzt von der BI Lüchow-Dannenberg öffentlich gemacht. Von Jürgen Voges

Eigentlich will der Ordinarius für Grundbau und Bodenmechanik an der Universität Bochum, Professor Jessber-ger, überhaupt keine Stellungnahme zum Unglück im Schacht I in Gorleben abgeben, aber dann ringt er sich doch den Satz ab: „Zu meinem Leidwesen habe ich keinen Einfluß darauf, wie der Auftraggeber mit den Ergebnissen meines Gutachtens umgeht.“ Professor Jessberger hat im Jahre 1982 im Auftrage der „Deutschen Gesellschaft für Bau und Betrieb von Endla-gern“ (DBE) die Bohrkerne auf ihre Festigkeit untersucht, die bei den Vorbohrungen für die beiden Gorlebener Endlagerschächte für hochradioaktiven Müll gewonnen worden waren. Und wenn sein Auftraggeber, die DBE, sorgfältig mit seinen Ergebnissen umgegangen und seiner Forderung nach weiteren Untersuchungen gefolgt wäre, hätte das Unglück im Gorlebener Schacht nicht passieren können - so kann man nach der Lektüre seines Gutach-tens und der anderen bislang unter Verschluß gehaltener Dokumente sagen, die die BI Lüchow-Dannenberg jetzt veröffentlicht hat. Bei dem Unglück waren am 12. Mai dieses Jahres ein Obersteiger getötet und fünf weitere Bergleute verletzt worden.

Mit zwei 840 Meter tiefen Schächten soll der Salzstock Gorleben erschlossen werden. Durch „wasserführendes Lockergestein“ - Ton, Sand, sehr feinkörnigen Schluff - müssen die Schächte mit je elf Metern Durchmesser vor-angetrieben werden, bevor in etwa 260 Meter Tiefe der Salzstock erreicht wird. Nur durch den ringsum künstlich gefrorenen Boden erhält der Schacht während des Niederbringens seine „Standsicherheit“.

In die Berechnung dieser Standsicherheit gehen „die Festigkeits- und Verformungseigenschaften für ungefrorenes bzw. gefrorenes Gebirge ein“, beschreibt Professor Jessberger in seinem Gutachten die Bedeutung seiner Untersu-chungen. Als er sich bei seinen Belastungsversuchen an den Bohrkernen dann der Tiefe von 225 Metern nähert, kommen unerwartete Ergebnisse: Da gehen, so heißt es in dem Gutachten, „die Proben vorzeitig bei relativ gerin-gen Belastungen zu Bruch, obwohl höhere Festigkeiten erwartet wurden“. In diesem Bereich verhindere vermut-lich der Salzgehalt im Gebirge die Verfestigung der Proben bei den Versuchstemperaturen von minus 10 und mi-nus 20 Grad. Diesen Salzgehalt „an der Tertiärbasis, der zu niedrigen Festigkeiten führt“, lokalisiert das Gutachten ab einer Tiefe von 210 Metern. Prof. Jessberger hält „eine ergänzende Untersuchung“ für notwendig. Dafür müß-ten der „Salzgehalt der Bohrkerne systematisch untersucht“ und „ergänzende Versuche mit tieferen Temperaturen als minus 20 Grad“ durchgeführt werden, schließt Jessberger in seinem Gutachten von 1982.

Diese ergänzende Untersuchung wurden nicht in Auftrag gegeben. Statt dessen ist in dem „Betriebsplänen“, den Teilgenehmigungen, die das Bergamt Celle für den Schachtbau erteilt hat, zwar von „geringen Festigkeiten durch die Versalzung“ die Rede. Doch die Berechnungen hätten ergeben, dass der erste Ausbau des Schachtes mit Be-tonsteinen Verformungenvon mehr als zehn cm verhindere. Außerdem werde nicht das „konventionelle Gefrier-verfahren“, sondern das „Tiefkälteverfahren“ angewandt, bei dem „die mittlere Temperatur in der Frostwand (um den Schacht) bei etwa Minus 20 Grad liegt“.

Diese Temperaturen sind nicht erreicht worden. Über 16,7°C Kälte ist man in der Zone um 230 Meter trotz der gi-gantischen Kältemaschinen mit einer Leistung von 50.000 Kühlschränken nicht hinausgekommen. Als im Februar dieses Jahres der Schacht eine Tiefe von 208 Meter erreicht und Beamte des Nds. Landesamts für Bodenfor-schung den noch nicht ausgekleideten Abschnitt des Gebirges, den sogenannten Schachtstoß, kontrollieren, lautet ihr Vermerk: „Teile des Schachtstoßes sind an der Oberfläche nur gering gefroren.“ Am 9. März schreiben die gleichen Beamten über den Zustand in 214 Meter Tiefe, dass nun schon „große Teile des Gebirges gering oder nicht gefroren sind“. Ihre Diagnose aus der Zeit kurz vor dem Unglück lautet „kaum festgefroren, besonders feucht“. Ebenfalls im März kommt es zu einem ersten Wassereinbruch im Schacht: Aus einem Bohrloch am Schachtgrund treten erst Eis, dann Schlamm und schließlich mehrere Tausend Liter Wasser aus. Erst jetzt erinnert sich die DBE wieder ihres Gutachters Jessberger und schickt Bohrproben vom Schachtgrund zur Untersuchung nach Bochum. Die Arbeiten werden allerdings auch im kaum gefrorenen Gestein fortgesetzt.

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Mitte April muß die DBE dann beim Bergamt in Celle Alarm schlagen. Die Schachtwand hat sich in 230 Meter Tiefe um „bis zu 39 cm“ verschoben. Und nahe dem Schacht, wo das Gestein eigentlich gefroren sein sollte, muss sich warmes salzhaltiges Wasser bewegen. Die DBE meldet „ein Ansteigen der bis dahin gleichmäßigen Tempe-ratur“ von minus 16,7 auf minus 6,8 Grad. Dem Antrag, den Schacht „durch gusseiserne Stützringe“ zu sichern, die unten „aus zehn Einzelsegmenten miteinander verschraubt“ werden, genehmigt das Bergamt sogleich. Wie alle Genehmigungen wird dieser „Betriebsplan“ für sofort vollziehbar erklärt, „weil es im dringenden öffentlichen Interesse liegt“, dass das „Untersuchungsprogramm“ in Gorleben „so schnell wie möglich durchgeführt wird“.

Am 12. Mai hält einer dieser Stützringe dem Druck des Gebirges nicht mehr stand und bricht, sechs Bergleute werden von den herabstürzenden schweren Eisenteilen getroffen, der Obersteiger Friedrich Wilhelm Wendel töd-lich. Genau am Tag des Unfalls stellt das Ingenieurbüro von Professor Jessberger einen ersten Zwischenbericht über die Festigkeit der Bohrkerne vom Schachtgrund fertig.

Erst jetzt liegen die zusätzlichen Untersuchungen vor, die der Professor schon 1982 gefordert hat, und ihre Ergeb-nisse konnten kaum ungünstiger ausfallen. Die Versuche „lassen übereinstimmend den Schluß zu“, heißt es in dem Zwischenbericht, „daß die Proben bei einer Temperatur von minus 20 Grad nicht gefroren waren“. Erst bei tieferen Temperaturen von minus 25 bis minus 40 Grad sei eine deutliche Zunahme der Druckfestigkeit zu ver-zeichnen.

Die in der entsprechenden Zone erzielten tiefsten Temperaturen lagen lediglich bei Minus 16,7°. Die DBE und die beiden in der ASG zusammengeschlossenen Firmen, Deilmann Haniel und Thyssen Schachtbau, wollen dennoch weitermachen. Drei Tage nach dem Schachtunglück weigert sich ein Bauingenieur und Statiker, der in Gorleben als Schichtführer tätig ist, mit seinen Leuten in den Schacht einzufahren. Er ist gerade von einem Unfall genesen - am 20. März war er im Schacht durch einen herunterfallenden zentnerschweren Gesteinsbrocken lebensgefährlich verletzt worden - und „denkt an Frau und Kinder“. Der Bauingenieur, der aus beruflichen Gründen nicht genannt werden will, erhält sofort seine Papiere „wegen Arbeitsverweigerung“. Erst weitere zwei Tage später sehen die Fachleute des Bergamtes, der DBE, der Schachtbaufirmen und der PTB auf einer gemeinsamen Krisensitzung ein, dass nichts mehr geht. Im Schacht steht ein weiterer Stützring vor „dem baldigen Ausfall“, bei einem anderen ist „die Längsnaht aufgerissen“, der ganze Schacht hat sich weiter verschoben, „da weitere Konvergenzbewegun-gen stattgefunden haben“. Man beschließt, bei einer Tiefe von 225 Metern den Grund des Schachtes 14 Meter hoch mit Beton zu füllen, und damit endlich den Baustoppbeginn.

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Bericht der EJZ (17.10.90) in Auszügen

Ministerpräsident und Umweltministerin informierten in Gorleben

Schröder: Position zum Ausstieg ist festRegierung sieht kein die Enteignung der Salzrechte berechtigendes öffentliches Interesse

Gorleben. „Ausstieg aus dem geplanten atomaren Endlager in Gorleben“ prangte in großen Buch-staben auf der Bühne der „Alten Burg“ in Gorleben, wo Niedersachsens Ministerpräsident Ger-hard Schröder und Umweltministerin Monika Griefahn am Montagabend über eben diese Ab-sicht der Landesregierung informierten. Für die zahlreichen am Endlager-Erkundungsbergwerk Beschäftigten, die neben noch mehr Atomkraftgegnern der Veranstaltung im überfüllten Saal bei-wohnten, kamen diese Worte dem sprichwörtlichen Menetekel an der Wand gleich. Der Sorge um ihre Arbeitsplätze machten sie schon beim Einzug der Regierungsverantwortlichen mit lauten „Buhrufen“ Luft.

Einleitend hatte Gerhard Schröder die Grundpositionen der Landesregierung zum Ausstieg aus der Kern-energienutzung und aus „Gorleben“ erläutert:

„Die aus Sicht der Koalition ökonomische Unsinnigkeit der Kernkraftnutzung verdeutlichte er an den auf 450 Milliarden DM geschätzten Folgen des Reaktorunglücks von Tschernobyl: Keine noch so perfek-te Technik könne ausschließen, daß solche Unfälle sich nicht auch im Westen wiederholten. Die uner-meßlichen Schäden an geborenem und ungeborenem Leben bedingten, jetzt das Notwendige zu tun, um diese Art der Energiegewinnung zu überwinden.“

Zum Endlager Gorleben sagte Schröder:

„Zum Endlagerprojekt Gorleben rief Schröder die ursprünglich dafür aufgestellte Sicherheitsphiloso-phie des Mehrbarrierenkonzepts und deren Entwicklung in Erinnerung. Als sich das Deckgebirge als nicht selbständig funktionierende Barriere und das geologische Sicherheitskonzept als nicht haltbar er-wiesen habe, sei nicht etwa die Erkundung eingestellt, sondern die Philosophie geändert worden...Wenn nicht eine Alternative zu Gorleben erkundet werde, steige der Druck, Gorleben zu nutzen, und werde so stark, daß unabhängig von der Frage der Eignung in Gorleben entsorgt werden werde, prophezeite Schröder...Zur Aufforderung aus der Versammlung (Anm.: seitens der Bergleute) bei der Auswahl alternativer Standorte Gorleben nicht fallen zu lassen, sondern die Eignung weiter zu erkunden, bekundete der Mi-nisterpräsident: Dies sei der Versuch, "hinzukriegen, daß alles so bleibt, wie es ist!“.

Wolfgang Ehmke

Laugenzuflüsse - Salzstock Gorleben wie ein poröser SchwammErst waren es nur 0,1 Liter Lauge pro Minute, die im Schacht 1 in einer Teufe von 312 m tröpfelten, und der Spre-cher der DBE, Dr. Rolf Meyer, konnte darin nichts Besonderes sehen. In der sogenannten „Topfrisszone“ - das ist der Bereich zwischen Schacht und dem Frostkörper - träten naturgemäß Laugenzuflüsse auf, die per Injektionen und Verpressungen mit Magnesiazement gestoppt werden sollten. Der Bürgeriniative, der „zwischen den Jahren“, also Ende Dezember 91 gesteckt wurde, im Schacht 1 sei es „nass“, wurde vorgehalten, sie würde den Normalfall dramatisieren.

Dann waren es auf einmal 6 Liter pro Minute (4.1.92), die Teufarbeiten mußten gestoppt werden, und das nieder-sächsische Umweltministerium schloss sich unserer Bewertung an, das Auftreten der Laugenzuflüsse trotz der In-jektionen käme „unerwartet“. Prof. Dr. Eckard Grimmel vermutete gar „thermische Schwierigkeiten“, dass näm-lich Salzlaugennester mit hohen Temperaturen das Gefrieren im Schachtbereich erschwerten.

Kernbohrungen wurden vorgenommen, um den Bereich bis zu 320 m Schachttiefe näher zu untersuchen. Laut Umweltministerium wurden nun auch weitere Laugen unterhalb von 312 m geortet. „Fachleute seien bisher nicht davon ausgegangen, dass die topfförmigen Risse noch in dieser Tiefe auftreten“, zitiert die EJZ (16.1.92) das

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NMU: „Für die Vermutung, dass auch in der sogenannten Gorleben-Bank, einer geologischen Schicht im Salz, Lauge fließe, hätten die bisherigen Bohrungen keinen Hinweis gegeben“ (EJZ s.o.). 216 Bohrungen würden nun fächerartig ins Salz getrieben, um die vorhandenen Risse zu verpressen und zu schließen.

Selbst Klaus von der Brelie (HAZ), der noch nie als Gorleben-Kritiker auffiel, wirft die Frage auf: „Eine Milliarde DM in den Sand gesetzt? - Tröpfelnde Lauge bestärkt Zweifel am Salzstock Gorleben“ (HAZ 30.1.92).

Das BfS-Info 1/92 (14.2.92) vermeldet, die Verpressarbeiten würden noch bis Ende Februar dauern.

Während die DBE nicht müde wird, diesen Vorfall als Normalfall auszugeben, kommt Mitte Februar in Hannover eine Runde von Geologen zusammen. Bei der Begutachtung der Daten und Fakten sei Erstaunliches herausge-kommen, sagte Prof. Dr. Duphorn von der Uni Kiel gegenüber der Presse. Ersteinmal handele es sich nicht um je-weils einzelne Risse, sondern „um ein ganzes Netzwerk von kommunizierenden Röhren“, so Duphorn. Sicher sei außerdem, dass die in den Schacht eingeflossene Lauge nicht aus Einschlüssen im Salzstock stamme, sondern dass Risse Verbindungen nach oben zum Gipshut und dem darüberliegenden Gebirge hätten. Durch Druckmes-sungen und chemische Untersuchungen der Lauge sei dies nachgewiesen (taz 18.2.92).

Ende April tröpfelt es immer noch: werden die Verschlusshähne geöffnet, sind es 20 bis 30 Milliliter pro Minute, nach Auffassung des BfS handelt es sich „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ um mittlerweile durch die Verstopfung eingeschlossene Laugenreste (EJZ 25./26.4.92).

Prof. Duphorn legte am 21.2.92 eine „vorläufige geologische Bewertung“ vor, der die Daten der Endlagerbauer zugrundelagen. Sonderliches kam zu Tage: Das Schachtprofil der BGR/DBE zeigte oberhalb des 278 m Niveaus eine "Vielzahl von Laugenzuflussstellen mit maximalen Laugenzuflüssen von je 7.2, 15, 24 und 180 Liter pro Mi-nute (!). Das BfS hatte aber nur einen Laugenzutritt bei 296 m vermeldet. Bis 290 m Teufe liegen demnach die Zuflüsse so dicht, dass Duphorn von einer „Punktwolke“ sprach. Selbstverständlich müsse von Kontraktionsrissen wegen des angewandten Tiefkälteverfahrens ausgegangen werden, salztektonisch bedingte Risse müssten jedoch ebenfalls angenommen werden, zumal die Richtung aller Risse mit der bekannten Störzone im Salz zwischen 260 und 280 m Tiefe korrespondiere.

Erst sechs Monate nach Abbruch der Teufarbeiten sollte es mit dem Buddeln weitergehen. Das NMU hält vor-sorglich fest: „Aus atomrechtlicher Sicht bestehen keine Zweifel daran, dass die festgestellten Risse für die Sicher-heit des geplanten Endlagers bedeutend sind. Das Ministerium hat empfohlen, die Topfrisszone sofort zu erkun-den und damit nicht bis zum Abschluß der Bergbauarbeiten zu warten. Dieses hat das Bundesamt abgelehnt. Es beruft sich dabei darauf, dass es derzeit lediglich um eine bergrechtliche Erkundung geht. Der Antragsteller wird später nachweisen müssen, ob sich das Salzgestein für eine Endlagerung von Atommüll überhaupt eignet und ob der Schacht den hohen Anforderungen eines Endlagers genügt oder ob die Gefahr des „Absaufens“ besteht. Sollte es dann nicht mehr möglich sein, alle Daten zu erheben, die für eine Beurteilung der langfristigen Sicherheit nötig sind, steht der Erfolg des atomrechtlichen Verfahrens grundsätzlich in Frage. Dieses Risiko geht zu Lasten des An-tragstellers.“ (Nr.84/92 v.8.6.92)

Schäden an Schrauben im Fundament- und Stützbereich werden im November 1993 entdeckt. Korrosion und Schraubenbruch trat auf. Ein Monat später ist es wieder nass im Schacht 1. Das BfS teilt im Gorleben-Info 24/93 (13.2.93) mit, dass auf der Schachtsole in mittlerweile 360 m einige Kubikmeter (!) Wasser zusammenliefen. Für die Endlagerbauer ist klar, es handele sich um Tauwasser von den vereisten Schachtwänden. Das NMU will sich nicht festlegen, ob es salzgesättigtes Tauwasser oder Lauge ist.

Der nächste Laugenzutritt war im März 1996 zu verzeichnen. Die Endlagerbauer bohrten in 840 m Teufe horizon-tal ein Laugennest an. 140 Kubikmeter Lauge strömten aus. Nach 200 m stieß man auch auf Gasvorkommen im Anhydrit-Gestein, das wegen seiner wasserleitenden Eigenschaften bei den Endlagerbauern nicht besonders be-liebt ist. Ostern 1996 bietet sich dann folgendes Bild: inzwischen wurde auch im Bereich des Schachts 2 ein Lau-gennest angetroffen, nur 60 m vom Schacht entfernt. Die FR interviewt Prof. Duphorn. Nach dessen Ansicht ist „damit erwiesen, dass der Salzstock nicht geeignet ist, denn nach den anfangs von der PTB aufgestellten Kriterien müsse wegen Einsturzgefahr der Mindestabstand zu Laugennestern 75 Meter betragen.“ 180 Kubikmeter sind es laut Gorleben-Info des BfS 53/96 vom 17.4.96, 216 Kubikmeter am 18.6.96 (BfS 54/96), und es tröpfelt immer noch.

Pünktlich zum Jahresende am 23.12.96 meldet das BfS (57/96) wieder Laugenzuflüsse und verweist auf die Stör-zone des Anhydrit. Das BfS behauptet, es sei nachgewiesen, dass „sie keine Verbindung zu Grundwässern in Ge-steinen haben, die den Salzstock umgeben.“ Dagegen steht die Auffassung Duphorns. Demnach enthält der Salz-stock Gorleben sprödes, klüftiges Gestein. Soweit Klüfte „verheilt“ (mit Salz verschlossen...) sind, könnten sie aufbrechen, wenn das Gebirge durch den Bergbau und durch das Auslaufen von Laugennestern unter Spannung gerate. So könne auch Verbindung zum Grundwasser entstehen. Diese Gefahr drohe vor allem unter Einwirkung

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der hohen Temperatur radioaktiver Abfälle.

Das Verstopfen der Zuflüsse ist deshalb lediglich Oberflächenkosmetik. Die hohe Wärmeentwicklung im Salzge-stein für den Fall, dass dort hochradioaktive, wärmeentwickelnde Abfälle gelagert werden sollten, kann versiegte und verstopfte Zuflüsse auch bis ins Grundwasser reaktivieren und die Verpressmaterialien wieder aufspregen - und das in Schachtnähe! Auf diese Gefahr wies das BfS in einem Zwischenbericht zu Gorleben im April 1990 selbst hin: „Es muß weiter bedacht werden, dass nach dem Ausfließen eines zunächst begrenzten Lösungsreser-voirs gegenwärtig verschlossene Wegsamkeiten zum Nebengestein und Deckgebirge neu geöffnet werden kön-nen. In einem solchen Fall wäre die Gefahr weiterer Lösungszuflüsse nicht auszuschließen.“ (Fortschreibung des zusammenfassenden Zwischenberichts über bisherige Ergebnisse der Standortuntersuchung Gorleben).

Sicherlich fußt diese Einsicht auch auf dem Beitrag Prof. Albert Günter Herrmanns, der in der Anhörung vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages am 20. Juni 1984 auf die Salzlösungen in den Flanken des Salzstocks hinwies: „Bei der Bewegung der Salzschichten durch die Einlagerung stark wärmeentwickelnder Abfälle können sich sich Wegsamkeiten zwischen den Lösungsreservoiren im Salzstock (auch Nebengestein, Deckgebirge?) (Anm.: Fragezeichen von A.G. Herrmann) und dem Endlagerbereich ausbilden. Der Salzstock ist daher nur be-grenzt als geologische Barriere zu bewerten.“ (Protokoll, S. 390) Diese Bewegungen treten besonders auch dann auf, wenn die Aufheizung des Salzes durch die wärmeentwickelnden hochradioaktiven Abfälle, die ja eine Aus-dehnung des Salzkörpers bewirkt, wieder abklingt, so dass es zu einer geologisch gesehen relativ „schnellen“ Kontraktion (Zusammenziehen) kommt.

In einem Beitrag für die Zeitschrift „Kali und Steinsalz“ verweist Herrmann auf eine Versuchsreihe mit thermi-schen Quellen: „Dabei zeigte sich, dass nach einer einjährigen Aufheizung des Steinsalzes die Lösungen während der darauf folgenden Abkühlperiode in Richtung des Bohrlochs mit dem abgeschalteten Heizgerät wanderten.“(März 1985, Bd 9, Heft 4, Verlag Glückauf GmbH Essen).

Geht es um mögliche Wasserwegsamkeiten, fügte Prof. Dr. Eckhard Grimmel 1988 in einem Fachvortrag im „Energietechnischen Kolloquium der Fachhochschule Hamburg“ dem noch ein weiteres Argument hinzu: „Stein-salz hat einen höheren thermischen Ausdehnungskoeffizienten als seine unmittelbar benachbarten Salzgesteine (Kalisalze, Anhydrit, Salzton). Bei Einlagerung wärmeproduzierender Abfälle kommt es deshalb innerhalb des Salzstockes an Schichtgrenzen zu Spannungen, die zu Riss- und Spaltenbildung und somit Grundwasserzutritt führen können.“ („Die „Entsorgung“ der Atomkraftwerke- Legende und Wirklichkeit“, Schriftenreihe des WSL 4/88).

Klüfte, Risse, Mikrorisse, Ausquetschen bei Wärmeentwicklung, Randzonen, Hydraulik, Rückfluss...

Unser Prädikat lautet folglich:„Der Salzstock Gorleben-Rambow ist als Atommüllendlager ungeeignet“.

Ob Salz überhaupt als Wirtsgestein in Frage kommt, wird darüber hinaus zu prüfen sein. In diesem Heft doku-mentieren wir einen Aufsatz zur Gefahr der Radiolyse aus dem Jahr 1985, auf der Fachtagung der BI am 9. Okto-ber 1999 berichtete Prof. den Hartog zu den aktuellen Ergebnissen der Radiolyseforschung.

Heinrich Messerschmidt

Eignungskriterien - keine Chance für Gorleben Im April 1992 hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in Bonn die Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe in Hannover (BGR) damit beauftragt eine Studie über Salzstrukturen in den alten und neuen Bundesländern durchzuführen. Eine Erkundung möglicher weiterer Standorte neben Gorleben für hochaktive, starkwämeentwickelnder Abfälle sollte vorbereitet werden.

Bearbeitet wurde das Gutachten von BGR-Wissenschaftlern, die die bis 1994/95 bekannten Sachverhalte über Salzstrukturen für potentielle Endlager für radioaktive Abfälle zusammentragen und daraus Eignungskriterien für die Erkundungswürdigkeit von 41 betrachteten Salzstöcken in den alten und neuen Bundesländern entwickeln. Diese Kriterien sind sicher nicht ausreichend, um daraus schon sichere Beurteilungen für eine Langzeitsicherheit eines Endlagers abzuleiten.

So fehlen z. B. Hinweise und Kriterien zu mö-glichen Radiolysewirkungen auf das Endlager-steinsalz aus den

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großen Energie Freisetzungs-mengen der hochaktiven Abfälle. Es fehlen auch Hinweise auf die Langzeitgefäh-rung eines Steinsalz-Endlagers durch mögliche Wanderungen von eingeschlossenen, hoch-gesättigten Laugenes-tern und eingeschlossenen Gasen in Richtung Wärmequelle der hochaktiven Abfälle und deren zerstörerischer Wirkung auf Einschlussgebinde und Radio-nuklidmatrix. Die vorgenannten Gefährdungs-potentiale dürften dazu führen, daß künftig Steinsalz aus sicherheitstechnischer Sicht als Wirtsgestein nicht mehr in Frage kommt.Nichts desto trotz sind die von den Wissenschaftlern entwickelten Beurteilungkriterien aus geologischer Sicht von Bedeutung, weil sie dem Primat der möglichen Entwicklung von geologisch möglichen Veränderungen doch den Vorrang einräumen. Wendet man die Eignungskriterien für die Auswahl von künftigen erkundungswürdigen Salz-stöcken auf Gorleben an, so zeigt sich schnell, dass mit etwas Verantwortungsbewusstsein niemals mit der „Gorle-ben-Erkundung“ hätte begonnen werden dürfen.

Im Rahmen dieser Arbeit werden Eignungskriterien, die sich bereits seit vor 1995 in der Diskussion befinden, vor-gestellt und dazu kurz mit dem Erkundungsstand in Gorleben verglichen.

1 Bisherige Sicherheits- und Eignungskriterien

Bedenken der kanadischen Endlagerforschung vor 1978 wie

- Zweifel an der physikalisch/chemischen Stabilität des Steinsalzes bei erhöhten Temperaturen.

- Vorhandensein von eingeschlossenen Salzlaugen und deren Wanderung durch die Salzfront in Richtung Haupt-wärmequelle (Zentral-Endlager-Bereich) mit der Folge die Endlagergebinde in geologisch sehr schneller Zeit auf-zulösen und die Radionuklidmatrix zu zerstören.

- Die erwartete hohe Aggressivität von Salz und heißen Salzlaugen auf Container und deren radioaktivem Inhalt haben bereits vor 1978 dazu geführt, dass obwohl dort mächtige Steinsalzvorkommen bekannt sind, Salz als End-lagermedium nicht untersucht wird.

Die von Prof. Herrmann geäußerten Bedenken gegen die von den BGR –Endlagergremien bis 1985 unver-ändert propagierten Auswahlziele und Kriterien.

- Entgegen den Behauptungen der staatlichen Endlagergremien sind Salzgesteine und Evaporitkörper bei der Ver-formung der Gesteine (Abkühlungsphase, Innen- und Sockeltektonik Permafrost und Erdbeben oberhalb be-stimmter Intensitäten) durchlässig gegenüber Lösungen und Gasen.

- Wegsamkeiten für Lösungen und Gase bilden sich in Form von Klüften und Rissen in Evaporiten, auch im Steinsalz. Lösungen können sich auch auf mikroskopisch kleine Rissen durch das Salzgestein bewegen, bevorzugt in Richtung Wärmequelle.

- Entgegen den Behauptungen staatlicher Endlagergremien sind Salzgesteine nicht unter allen geologischen Be-dingungen ausschließlich bruchlos verformbar, was eine Vielzahl von Naturbeobachtungen an Salzkörpern be-weist. Besonders häufig treten Bruchver-formungen in Anhydrit- und Tongesteins-schichten auf, wie dies auch in Gorleben durch Untersuchungen bestätigt wurde.

Die Sicherheitskriterien der niedersächsischen Landesregierung für den EndlagerSalzstock Gorleben im Jahre 1977.

Kriterium I:Unverritzter Salzstock, d.h. möglichst Unberührt durch bergmännische Aktivitäten.

Was man seinerzeit noch nicht beachtete oder nicht wusste, war die tief, teilweise bis in das Salzgestein unterhalb des Salzspiegels hinabreichende Ausschürfung und mehrfache Ausräumung des Deckgebirges durch mehrere Eis-zeiten in der breiten „Gorlebener-Rinne“ und die dabei erfolgte Ausspülung von tiefen Kolken, die bis 52 m, und möglicherweise noch weit tiefer, in die sogenannte Sicherheitsschwebe unter dem eigentlichen Salzspiegel (300 m) hinabreichen und zwar direkt über der geplanten Endlagerzone. Die tiefen Kolke sind wie sich bereits an ei-nem einzelnen Bohrprofil zeigt mit Kiesen und Sanden der Elster-Eiszeit von hoher Porösität gefüllt.

Dies ist die schlimmste, generell in jedem Fall aus Sicherheitsgründen zu vermeidende Verritzung eines Salz-stocks, die man sich überhaupt vorstellen kann. Damit wird die Sicherheitsschwebe praktisch „ad absurdum“ ge-führt.

Kriterium II:Keine nutzbaren Bodenschätze

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Der Salzstock sollte keine später einmal nutzbaren und evtl. von künftigen Generationen ausbeutbare Lagerstätten (einschl. Grundwasservorkommen) enthalten.

Von erheblicher Bedeutung und höchstem grundwasserwirtschaftlichem Wert dürfte künftig das in den tertiären Randsenken, die den Salzstock flankieren, vorhandene Trinkwasserreservoir, besonders in der südöstlichen Rand-senke sein. Dort werden auf einer Fläche von rd. 40 km² Braunkohlensande unmittelbar von ebenfalls grundwas-serführenden Sanden der Saale-Eiszeit überlagert die ein großes Doppelaquifer bilden. In dieses Aquifer fließt Wasser aus der „Gorlebener Rinne“ über dem Salzstock. Im Störfall ist dies ein unzumut-bares Sicherheitsrisiko. Eine in der Nähe von Gartow erbohrte Thermalsole, die mit den stark versalzenen Wässern über dem Caprok des Salzstocks Verbindung hat, dürfte zukünftig als Lagerstättenschatz gut nutzbar sein.

Kriterium III:Eine ausreichende Größe der Endlager-formation, die für die Aufnahme radio-aktiver Abfälle in mächti-gen reinen Stein-salzpartien benötigt wird.

Große Partien reinem Steinsalzes (gemeint war das ältere Steinsalz, Na2,) wurden als Voraus-setzung für die Ein-lagerung von stark wärme-entwickelnden Abfällen angesehen. Inzwischen steht nach den untertägigen Erkundun-gen fest, daß eine ausreichende Größe an reinen Na2-Salz nicht zur Verfügung steht.

Das Ursprungskonzept wurde von den sich immer wieder gegenseitig selbst bestätigenden Endlagergremien der PTB, des BfS und der BGR wie des BMU, immer weiter in rätselhafter Weise mit spitzfindigen Methoden aufge-weicht. Man kann auch sagen: „Sie haben sich immer tiefer in die eigenen Tasche gelogen!“

Nun mehr soll auch das jüngere Steinsalz Na3 der Leine-Serie gleichwohl geeignet sein. Anstatt einer erwarteten Querausdehung des Steinsalzes von rd. 1000 m stehen nach derzeitigen Untertageergebnissen maximal nur 600 m zur Verfügung. Zieht man notwendige Sicherheitsabstände von 150 - 200 m, die mindestens vorzusehen sind, zum Kaliflöz Staßfurt (K2) ab, welches den Steinsalz-Sattel beidseitig flankiert, verbleibt kaum noch nutzbares Endlagervolumen. Dies schon gar nicht, wenn nur der nordöstliche Salzstockteil erkundet und genutzt werden kann. Das völlig unzureichende Volumen für die Endlagerung der Abfälle im Salzstock Gorleben ergibt sich zu-dem noch aus dem Planziel „Nur ein Endlager für alle Arten radioaktiver Abfälle“ und dem daraus erwachsenden Mehrflächenbedarf für die „Direktendlagerung von abgebrannten BE“.

Diese bilden künftig den Hauptteil der hoch-aktiven wärmeentwickelnden Abfälle. Auch bei schnellster Beendi-gung der Wiederaufarbeitung und der Atomkraftnutzung in der Bundesrepublik ist die Menge aller endzulagernde Abfälle bereits so groß, dass das in Gorleben nach derzeitigen Erkundungsstand verfügbare Volumen absolut nicht ausreichend ist. Es müßte mindestens noch ein zweites Endlager erschlossen werden.

Kriterium IV:Keine Kontakte des Endlagersalzstocks zum rasch fließenden Grundwasser,

d.h. die Salzstockoberfläche sollte nicht mehr als 400 m unter Gelände liegen, um bei einer Sicherheitssalzschwe-be über dem Endlager von 300m mit der Endlagersohle nicht unter 900 - 1000 m Tiefe zu kommen, wo bereits Tiefentemperaturen von 45 - 50 °C herrschen. Da der erhebliche Wärmeeintrag aus den hochaktiven Abfällen die-se Temperaturen überlagert, würde sonst die Gesteinsintegrität gefährdet. Die Salzstockoberfläche sollte nicht zu hoch in die oberflächennahen Grundwasser horitzont reichen. Dieses Kriterium kann Gorleben wie es bereits 1983 aufgrund des Untersuchungsergebnisse belegt ist, schon gar nicht mehr erfüllen.

a) In der tief ausgeschürften „Gorlebener Rinne“ die mit grundwasserdurchstömten Sanden und Kiesen der Elste-reiszeit gefüllt ist, und die auf ca. 7,50 km² Größe zum Teil direkt auf dem Salzspiegel aufsitzt, wurde an Grund-wassermessstellen Filtergeschwindigkeiten von 30 - 47 m pro Jahr von der BGR ermittelt. Nur 10 m tiefer liegt zum Teil bereits der Gipshut. Im Gipshut selbst ist mit erheblich größeren Filtergeschwindigkeiten zu rechnen. Es gab dort Spülverluste, in den porösen Gipshut hinein, von 15 m³ pro Stunde. Somit sind hier die Strömungsge-schwindigkeiten noch erheblich größer. Die isotopenhydrologischen Untersuchungen in den tiefen Wässern der quartären „Gorlebener Rinne“ ergaben aufgrund der in den Wässern enthaltenen C-14-Gehalte und hinsichtlich der nachweislichen vorgefundenen Tritium-Anteile, dass dort eine vertikale Grundwasser Zirkulation ( von der Oberfläche in diese Tiefen ) auf hydrogeologisch bevorzugten Bahnen stattfindet und die Salzstockoberfläche mit im Störfall ausgelaugten Radionukliden wieder erreicht, von wo sie dann in den Niederungen über Vorfluter wie-der in die Biosphäre eintreten. Selbstverständlich finden sich dann Radionuklidegemische auch im Grundwasser-strömen wieder.

b) Vor ca. 900000 Jahren ragte der Gipshut des Diapirs Gorleben 41 m in Kirchturmhöhe über eine Seen- und Flußlandschaft. Die Gipshutoberfläche ist dann innerhalb von 900000 Jahren um 280 - 300 tiefer gewandert, wo-

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bei der Salzstock entsprechend abgelaugt wurde.

c) Die altquartäre Subrosionsrinne wurde in der Elster-Eiszeit als morphologische Leitbahn für das vordringende Eis und für das zurückfließende Schmelzwasser unter dem mehr als 1000 m hohen Gletscher benutzt. Sie wird auch künftig bei Eiszeiten diese morphologische Richtungsbahn sein. Die „Gorlebenrinne“ ist 1-3 km breit und bis 60° an den Flanken steil. Sie erreicht mit 320 m ihre größte Tiefe.

d) Die derzeitig von der BGR angegebenen nachelstereiszeitliche Subrosionsrate von 0,04 mm pro Jahr ist durch-schnittlich über die Fläche gemittelt und hinsichtlich der Sicherheitsbetrachtungen über einen geologischen Zeit-raum von 500.000 - 1.000.000 Jahren ohne wesentlichen Belang. Von wesentlich größerer Bedeutung sind selekti-ve (also örtlich, an bestimmten Stellen) .auftretende viel stärkere Ablaugungsraten, die in Richtung Endlagerbe-reich zielen. Später gibt es noch eine unvermeidbare Salzstockhebung an der Oberfläche über dem Caprok, die zur Erdoberfläche durchschlägt, um mehr als 3 m infolge der Ausdehnung des Salzkörper durch den Wärmeeintrag. Hieraus wird sich dann erst die wirkliche Ablaugungsmobilität entwickeln.

e) Es gibt noch mehr gravierende Negativbefunde die seit 1983/84 bekannt sind, und von den Endlagergremien immer wieder ignoriert oder spitzfindig umgedeutet werden. Dazu zählt auch, dass der zur Kluft- und Rißbildung neigende Hauptanhydrit mit relativ breiter Mächtigkeit von der Gorlebener-Rinne in Richtung „Endlagerplanung“ hinabreicht. Sogar in der Nähe der Endlagerschächte in Richtung der vorgetriebenen Erkundungsstrecken in das Steinsalz wurde er angetroffenen. Auch wenn er dort nur ausgedünnt und zerrissen vorgefunden wurde, bedeutet dies, daß die Gefahr groß ist, dass sich in der Abkühlungsphase, Risse und Spalten bilden, die den direkten Kon-takt zur grundwasserdurchstömten „Gorlebener Rinne“ wiederherstellen.

Von den 4 Sicherheitkriterien der Landesregierung von 1977 sind die Kriterien I und IV von sicherheitstechni-scher Brisanz, weil sie sich auf reale Gefährdungen aus dem Endlager auf zukünftige Generationen beziehen, die die Folgen in Bezug auf Gesundheits- und Erbschäden zu tragen haben, und denen ein Verlust hochgradig radioto-xisch verseuchter Gebiete in einem grossen Umfang im Störfall droht. Die Kriterien II und III betreffen zukunfts-wirtschaftliche Fragen der „Bodenschätze“-Nutzung, oder Such- und Auswahlkriterien aus ökonomischer/ inge-nieurmässiger Sicht.

2 Schlussbetrachtungen

Die konsequente Schlussfolgerung daraus ist, dass Gorleben bereits 1977 nicht einmal den Hauch einer Chance gehabt hätte, als „Erkundungswürdig“ zu gelten.

Wie schon gesagt, hat das BGR-Gutachten 1995 die Verhältnisse in Gorleben in die Kriterienbewertungen der un-tersuchten 41 Salzstrukturen in Norddeutschland nicht mit aufgenommen. Sonst hätte sich erneut, bei derart nega-tiven Erkundungsergebnissen, das „Aus“ für Gorleben ergeben und die laufenden Atomkraftwerke hätten, juris-tisch gesehen, keinen Entsorgungsnachweis mehr aufweisen können.

Legt man nach den Gutachten die für die Langzeitsicherheit eines Endlagers aus geologischer Sicht noch viel be-deutsameren Negativ-Kriterien des BGR-Gutachtens als Maßstab zugrunde, was aus Sicht der Schutzwürdikeit des Lebens künftiger Generationen unverzichtbar notwendig ist - verbleiben von den 41 bewerteten Salzstruktu-ren noch 14 als untersuchungswürdig übrig. Gorleben würde bei Anwendung der Negativkriterien noch wesent-lich schlechter abschneiden und weit abgeschlagen völlig ausscheiden. Wer bei einem derartigen Wissenstand noch weiter erkundet, setzt sich nicht nur über Moral und Ethik hinweg. Er verschwendet auch Steuermittel in er-heblichem Umfang. Die Zuordnung und Einklassifizierung der bekannten „Gorleben-Erkundungsergebnisse“ in die BGR-Systematik der Eignungkriterien für die Untersuchungwürdigkeit weiterer Salzstrukturen aus 1995 wird auf der Fachtagung zum Endlagerprojekt Gorleben der Bürgerinitiative vorgenommen und in einer weiteren Aus-gabe dieser Reihe dokumentiert.

Der derzeitige Bundeskanzler hat im Februar 1988 ein bestelltes „Geologisches Gutachten zur Schacht- und End-lagerproblematik Gorleben“ von Prof. Dr. K Duphorn entgegengenommen, in dem alle wesentlichen Negativer-gebnisse der bisherigen Erkundungen verständlich dargestellt und aufgelistet sind. In seinem Dankesvorwort als Fraktionsvorsitzender der nds. SPD-Faktion schreibt er unter der Prämisse „Gesellschaftliche Lernprozesse dau-ern oft lange!“ dass die Erkundungsgeschichte des Salzstocks Gorleben Anhaltspunkte genug dafür bietet, daß systematisch Wissen über Gefährdungspotential ausgeklammert wurde, kritische Wissenschaftler mundtot ge-macht und Alternativen gar nicht erst aufgebaut wurden. Man kann nur hoffen, daß er auch heute noch dazu steht und sagen kann: „Ich habe verstanden!“

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aus Natur – Das Umweltmagazin, Nr. 3, März 1985

GORLEBEN VERSALZENNach dem amtlichen Konzept soll hochradioaktiver Atommüll im Steinsalz Norddeutschlands für alle Zei-ten sicher eingeschlossen werden. Neueste Untersuchungen belegen: Nach amerikanischen Sicherheitskri-terien käme Gorleben als Endlager überhaupt nicht in Frage.Von Martin Wentz

Endlich konnte sich die Atom-Lobby einmal so richtig freuen. Die Medien meldeten einen wichtigen Fortschritt auf dem Weg zur atomaren „Entsorgung“: Vom November 1985 an könne, so die Nachricht, die zu 80 Prozent von der Bundesregierung finanzierte „Pilotanlage zur Erzeugung lagerfähiger Abfälle“ im belgischen Mol in den „heißen Betrieb“ gehen. Dort sollen die hochradioaktiven flüssigen Abfälle aus der Wiederaufarbeitung abge-brannter Erennelemente zunächst in einer Glasschmelze gelöst werden. Diese Glasmasse wird dann in zylindri-sche Stahlbehälter, sogenannte Kokillen, von 30 Zentimeter Durchmesser und 120 Zentimeter Höhe gegossen. Wissenschaftliche Untersuchungen, so die Meldung weiter, hätten ergeben, daß die im Glas enthaltenen strahlen-den Stoffe wie Spaltprodukte, Transurane und Plutoniumreste von der Wiederaufarbeitung auch unter extremen Belastungen in den Kokillen eingeschlossen blieben. Die Zerfallswärme, die die Spaltprodukte erzeugen, habe sich als unproblematisch erwiesen. Die Kokillen könnten später problemlos im Salz des geplanten Endlagers ver-senkt werden.

So eine Nachricht schien geeignet, die Sorgen um die Entsorgung und insbesondere um das konzipierte Atom-müll-Endlager im Gorlebener Salzstock etwas zurückzudrängen, wo doch seit einiger Zeit die Untersuchungen und die öffentlichen Diskussionen so gar nicht nach dem Geschmack der Atom-Lobby laufen. Zwar läßt bis heute keiner der Verantwortlichen offiziell Zweifel an der Eignung des Salzstockes erkennen, doch traut man sich auch nicht, alle Karten offen auf den Tisch zu legen. Zu viele Einschätzungen über den geologischen Aufbau und die Größe des Salzstockes wurden schon als Wunschbild enttarnt. Doch Eile tut not: Der atomare Müllberg in den provisorischen „Zwischenlagem“ wächst rapide. Zuviel steht also für die Lobby auf dem Spiel: Gorleben darf nicht scheitern!

Barrieren aus Salz und GesteinWeltweit ist man sich bei der Planung von Endlagern darüber einig, daß zum Schutz der Biosphäre vor einer ra-dioaktiven Verseuchung mehrere wirksame Barrieren zwischen ihr und den radioaktiven Abfallstoffen notwendig sind, natürliche und technisch geschaffene Barrieren. Als natürliche Barrieren gelten das als Endlagerstätte vorge-sehene Material und das darüberliegende Deckgebirge. Während sich die Bundesrepublik auf Salzstöcke als End-lagerstätten festgelegt hat, werden beispielsweise in den USA alternativ dazu Granit- und Tufformationen unter-sucht.

Die technischen Barrieren sollen zusätzlich Sicherheit schaffen. Dafür sind vorgesehen:• die Glaszyänder, in denen die radioaktiven Stoffe gelöst, das heißt eingeschmolzen sind;• die Stahlummantelung, welche die Glaszylinder vor chemischen Lösungsreaktionen und mechanischen Belas-

tungen bewahren soll, und• die Verfüllung der Bergwarkstrecken und der Bohrlöcher, in denen die Stahlkokillen endgelagert werden.•Kriterien für die EndlagerungDie Abfallbehälter müssen hohen Sicherheitsanforderungen gerecht werden. So hat in den USA die zuständige Genehmigungsbehörde NRC (Nuclear Regulatory Commission) in ihren Kriterien für die Endlagerung hochra-dioaktiven Abfalls gefordert, die Abfallbehälter so zu konstruieren, daß ihre Funktionsfähigkeit durch keine che-mischen, physikalischen oder radiolytischen, das heißt durch Strahlung ausgelösten Reaktionen herabgesetzt wird. je nach der Gefährlichkeit der Abfälle sollen diese für mindestens 300 Jahre, nach Möglichkeit jedoch für rund 1000 Jahre in den Behältern sicher eingeschlossen bleiben, bevor Teile der radioaktiven Stoffe auf die natürlichen Barrieren treffen.

Das deutsche Endlagerkonzept für hochradioaktiven Müll sieht so aus: Im Gorlebener Salzstock sollen nach berg-männischer Erschließung in 800 Meter Tiefe 300 Meter tiefe Bohrlöcher niedergebracht werden, in denen dann die Kokillen aufeinander gestapelt werden. Dabei bleibt aus technischen Gründen eine Ringspalte von knapp fünf Zentimetern zur Salzwand, die sich aufgrund des Gebirgsdrucks im Laufe mehrerer Jahrzehnte langsam schließen wird. Am oberen Ende werden die Bohrlöcher schließlich mit einem zehn Meter langen Stopfen aus Salzbeton ab-geschlossen. Das Konzept sieht vor, daß in dem Gorlebener Salzstock nach 1995 50 Jahre lang radioaktive Abfäl-le entsorgt werden. Nach dieser Betriebszeit wird das gesamte Bergwerk zugeschüttet.

Strahlung zerstört das Salz

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Infolge des radioaktiven Zerfalls der in den Glaszylindern eingeschlossenen Stoffe erwärmen sich die Kokillen und das sie umgebende Salz für die ersten 200 Jahre auf Temperaturen um 150 Grad Celsius und kühlen sich dann innerhalb der nächsten 1000 Jahre langsam wieder auf die normale Umgebungstemperatur ab.

Bisher mußte sich die AtornGemeinde „nur“ um den geologischen Aufbau des Salzstocks sorgen, weil davon sei-ne Eignung als Endlager abhing. Künftig wird sie sich mit einem noch viel entscheidenderen Problem ihres End-lagerkonzepts öffentlich auseinandersetzen müssen: der grundsätzlichen Eignung des Steinsalzes (chemisch Natri-umchlorid (NaCl)) als endlagerfähiges Material. Wissenschaftler aus den USA haben jetzt erstmals untersucht, wie radioaktive Strahlung auf das die Abfälle umgebende Steinsalz wirkt. Ihre bisher in der Bundesrepubfik noch nicht diskutierten Ergebnisse stellen das deutsche Endlagerkonzept grundsätzlich in Frage.

Das naheliegende Experiment: Synthetisches Natriumchlorid und Steinsalze aus verschiedenen Lagerstätten, unter anderem aus dem für schwachradioaktive Abfälle vorgesehenen deutschen Endlager Asse bei Wolfenbüttel, wur-den unter möglichst ähnlichen Bedingungen, wie sie in den Endlagern herrschen werden, bestrahlt.

Die Ergebnisse der Messungen. kurz zusammengefaßt: Natriumchlorid (NaCl) wird durch die radioaktive Strah-lung in Natrium (Na) und Chlor (Cl) gespalten. Das Natrium scheidet sich dabei als fein im Salz verteiltes („kol-loidales“) Metall aus, während das Chlor zumindest teilweise gasförmig abgegeben wird. Am stärksten ist dieser Effekt bei Temperaturen zwischen 150 und 175 Grad Celsius, während er unter 100 Grad und über 300 Grad na-hezu verschwindet. Damit ist die radiolytische Zerstörung des Steinsalzes ausgerechnet bei den Temperaturen am wirkungsvollsten, die sich in den ersten 290 Jahren im Endlager einstellen werden. Standen die Salzkristalle bei den Untersuchungen unter D!Mpk, wie auch für das Endlager zu erwarten, so verstärkte sich die Bildung des kol-loidalen Natriums.

Explosionsartige ReaktionenDie Versuchsergebnisse lassen realistische Schlüsse auf die Veränderungen des Steinsalzes rund um die Kokillen zu:

• Die Zersetzung des Steinsalzes beschränkt sich auf einen Bereich von 25 Zentimetern um die Kokillen; sie nimmt mit zunehmendem Abstand ab.

• Innerhalb des ersten Zentimeters um eine Kokille sind nach 25 Jahren rund 30 Prozent des Steinsalzes in Natri-um und Chlor umgewandelt, nach 50 Jahren rund 60 Prozent und nach 100 Jahren die Gesamtmenge.

• Die Menge des um eine Koküle entstehenden Natriums fiegt nach zehn Jahren zwischen neun und 13 Kilo-gramm, nach 25 Jahren zwischen 36 und 57 Kilogramm, nach 50 Jahren zwischen 88 und 153 Kilogramm und nach 300 Jahren zwischen 230 und 298 Kilogramm.

Diese Ergebnisse können noch mit erheblichen Fehlern belastet sein, aber selbst Schwankungen um mehr als 50 Prozent ändern nichts an ihrer grundsätzlichen Aussage: Noch während der vorgesehenen Betriebszeit des Endla-gers von 50 Jahren entstehen im Steinsalz um den hochradioaktiven Abfall herum große Mengen metallischen Natriums und gasförmigen Chlors. Diese Mischung ist von erheblicher Brisanz. Natrium ist so reaktionsfreudig, daß es nur in besonders reaktionsträgen Flüssigkeiten wie Petroleum aufbewahrt werden kann. Mit Luft verbrennt es bei höheren Temperaturen zu Natriumperoxid. Kommt es mit Wasser zusammen, reagiert es äußerst heftig un-ter Bildung von Natriumhydroxid (NaOH) und Wasserstoff (H2). Beide Reaktionen können explosionsarfig ver-laufen. Aus dem Natriumhydroxid entsteht in Verbindung mit zusätzlichem Wasser aggressive Natronlauge, die zusammen mit Chlor selbst Stahl angreifen kann.

Wasser: Gefahr im SalzEntgegen allgemeiner Meinung ist auch im Salzstock für solche Reaktionen ausreichend viel Wasser vorhanden. Dazu bedarf es nicht eines auch von den Endlager-Befürwortern für möglich gehaltenen Wassereinbruchs, durch einen Schacht in das Endlager. Wasser ist auf dreierlei Weise im Salz gebunden. Es kann durch Erwärmung oder Zerstörung der Salzkristalle freiwerden:

• Wasser kann als sogenanntes Kristallwasser an das Natriumchlorid gebunden sein. Bei Temperaturen von unge-fähr 100Grad Celsius oder mehr wird es freigesetzt.

• An den Grenzflächen der mikroskopisch kleinen Kristalle, aus denen das Salz besteht den sogenannten Kom-grenzen, kann Wasser angelagert sein.

• Im Salz kann hochkonzentrierte Lauge eingeschlossen sein. Die Einschlüsse sind zwischen 0,01 und fünf Milli-meter groß und enthalten viel Wasser.

• Atommüll sicher im Glas?

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Es muß damit gerechnet werden, daß der Wasseranteil im Gorlebener Steinsalz zwischen 0,001 und 3,7 Prozent liegt. Das durch den heißen radioaktiven Abfall im Steinsalz entstehende Temperaturgefälle sorgt dafür, daß sich dieses Wasser auf die Kokillen zubewegt In einer Modellrechnung konnte gezeigt werden, daß bei einem Was-seranteil von 0,5 Prozent im Steinsalz nach rund 100 Jahren ein etwa ein Millimeter dicker Flüssigkeitsfilm auf der Oberfläche der Abfallbehälter entsteht. Die Kokillen werden also nach einigen Jahren nicht mehr trocken und geschützt in den Bohrlöchem stehen, sondern von den aggressiven und hochradioaktiven Gasen Chlor und Was-serstoff, den Salzlösungen und der Natronlauge sowie dem gefährlichen Natrium umgeben sein ein explosives Gemisch im wahrsten Sinne des Wortes, dessen chemische und physikalische Eigenschaften und Auswirkungen der Sicherheitsphilosophie eines Endlagers für hochradioaktive und giftige Stoffe Hohn sprechen.

Von den „technischen Barrieren“ des Endlagers bleibt nicht mehr viel übrig, wenn durch Korrosion die Stahlbe-hälter innerhalb weniger Jahre zu einem beachtlichen Teil zerstört werden. Dies um so mehr, als die Barrierewir-kung der für die Endlagerung vorgesehenen Borosflikat-Glaszylinder selber äußerst fraglich ist. Der austrahsche Mineraloge A.E. Ringwood veröffentlichte neue Untersuchungsergebnisse, wonach im großtechnischen Verfahren hergestelltes Borosilikatglas starke innere Spannungen und zahlreiche Sprünge und Risse aufweist, die durch die Strahlung des im Glas eingeschlossenen radioaktiven Abfalls verstärkt werden können. Gerade in diesen Spart-nungszonen erhöhte sich die Wasserlöslichkeit des untersuchten Glases, was schon nach einem Monat Liegezeit in 95 Grad Celsius heißem destilliertem Wasser deutlich zu erkennen war. Sind also erst einmal die Stahlbehälter durchlässig, so werden sich sehr schnell Teile des radioaktiven Abfalls in den vorhandenen Flüssigkeiten lösen.

Fazit: Gemessen an den Anforderungen der amerikanischen Genehmigungsbehörde NRC an die technischen Bar-rieren eines Endlagers bleibt von der deutschen Konzeption nicht mehr viel übrig.

Ein weiterer Punkt kommt hinzu: In den Sicherheitsanalysen für ein Atommüll-Endlager wird ein Wassereinbruch während der Betriebszeit als schlimmste Katastrophe angenommen. Die beschriebenen neuen Untersuchungen zeigen nun gerade, daß schon innerhalb dieser Zeit die vorgesehenen technischen Barrieren zerstört werden kön-nen. Schon deshalb können beim Zufluß größerer Wassermengen von außen leicht radioaktive Verseuchungen des Endlagers und damit schließlich der Biosphäre eintreten. Es wird also nicht nur die Sicherheit eines Endlagers für hochradioaktiven Abfall in den nächsten Jahrtausenden und jahrzehntausenden zum Problem. Schon während der relativ kurzen Betriebszeit drohen nicht abschätzbare Gefahren. Das deutsche Konzept wackelt.

Angesichts dieser Erkenntnisse erscheint der Ablauf der Planung für das deutsche Endlager beinahe grotesk: Spä-testens seit 1977 steht fest, daß nur der Salzstock bei Gorleben als Standort für das deutsche Endlager untersucht wird. Viel früher schon erfolgte die Festlegung auf Steinsalz. Eine ernsthafte, öffentliche, wissenschaftliche Dis-kussion, wie sie selbstverständlich in den USA geführt wird, wurde nie eingeleitet, geschweige denn zur Grundla-ge von Entscheidungen gemacht. Es ging immer nur um die Durchsetzung der Kernenergienutzung.

Noch in diesem Jahr sollen die Schächte für das Endlager abgeteuft werden. Allein für diesen „Test“ werden nach heutigen Preisen sicher drei Milliarden Mark notwendig sein. Die daran gemessen relativ einfachen und billigen Untersuchungen über die Radiolyse von Steinsalz unter Endlagerbedingungen und ihre Auswirkungen wurden bei uns viel zu spät begonnen und bis heute nicht abgeschlossen. Schlimmer noch: Auf die Autoren der hier zitierten amerikanischen Studie wurde bereits Druck ausgeübt, ihre Ergebnisse doch nicht so konkret auf die Eignung von Salz als Atommüll-Endlager zu beziehen.

Dr. Martin Wentz, Jahrgang 1945, war zwölf Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent an der Universität Frankfurt. jetzt arbeitet er frei-beruflich. Der promovierte Physiker ist Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Frankfurt und energiepolitischer Sprecher der südhessischen Sozial-demokraten.

Literatur zum Thema:P.W. Levy, J.M. Loman, J.A. Kierstead: Radiation induced F-center and colloid formation in synthefic NaCI and natural rock sal!: appheafions to radioactive waste repositones. In: Nuelear Instruments and Methods BI (1984).A. E. Ringwood, P. Wilfis: Stress corrosion in a borosificate glass nuclear wasteforrn. In: Nature 311 (1984).

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aus Spiegel-special Nr. 7, 1995

EWIGES FEUERWie Forscher künftige Generationen vor Atommüll warnen wollen und dabei an die Grenzen des Men-schenmöglichen stoßen / Von Thomas H. Wendel

Das Grabmal der Moderne grüßt den Zukunftsmenschen aus dem Jahr 11 995 schon über Meilen hinweg: Aus der kargen Wüste ragt ein mächtiger Felsberg in die flirrend heiße Luft. Aufgeschüttete Erdwälle bilden auf seiner Spitze ein dreieckiges Plateau mit exakt 300 Metern Kantenlänge. Drei Obelisken markieren das Zentrum der seltsam sakralen Anlage. „Vorsicht, Lebensgefahr!“ warnen die Inschriften der Granitblöcke in einer den Men-schen jener fernen Zeit wahrscheinlich unverständlichen UrSprache, „hier ist in 300 Metern Tiefe radioaktiver Ab-fall vergraben.“

Stahlkammern daneben enthalten die Details in steinalten Dokumenten können Strahlenschützer den Bauplan des Schreckens einsehen. Gemeinen Zukunftsmenschen soll ein makabrer Comicstrip die örtlichen Besonderheiten erklären: Wer die Gruft aufbreche, so die Bilderfolge, den ereile Übelkeit, dann Haarausfall und Erbrechen, schließlich der Tod.

Das atomare Stonehenge entstammt keineswegs der Phantasie eines Science-fiction-Autors. Zumindest der Berg ist heute schon höchst real. Er heißt Yucca Mountain und erhebt sich 160 Kilometer nördlich von Las Vegas. Zwei Milliarden Dollar hat die US-Atombehörde Department of Energy (DOE) bereits in den Felsen in der Wüste Ne-vadas investiert.

Geht alles nach Plan, wird dort in 15 Jahren der erste von 3500 Lastzügen seine todbringende Ladung löschen: 70 000 Tonnen hochaktiven Abfalls, Reaktor- und Atombombenschrott, sol-len dann nach und nach 300 Meter tief im Tuffgestein des Yucca Mountain verschwinden – insgesamt 21 Milliarden Curie Strahlung, 300 000 mal so-viel, wie bisher durch alle oberirdischen Atombombentests zusammengenommen in die Erdatmosphäre gelangte, das 420fache dessen, was beim Super-GAU von Tschernobyl freigesetzt wurde.

Der Strahlenmüll wird erst nach Jahrtausenden seine Giftigkeit verlieren, Plutoniurn-239 etwa baut nach 24 400 Jahren die Hälfte seiner Strahlung ab, für Jod-129 beträgt diese Halbwertzeit 15,8 Millionen Jahre.

Die nukleare Massengruft stellt nicht nur Geologen und Ingenieure vor unlösbare Aufgaben. Phantastisch sind auch die Anforderungen ans Grabplattendesign.

Die Warnungen vor den eingesargten radioaktiven Isotopen sollen Zehntausende von Jahren überstehen - ein in der Menschheitsgeschichte beispielloses Unterfangen: Die ältesten bekannten Keilschrifttafeln hinterließen die Sumerer vor rund 5000 Jahren, die Hinkelsteine im südenglischen Stonehenge wurden etwa 2800 vor Christus aufgestellt, die Hieroglyphen und Pyramiden der alten Ägypter entstanden im dritten Jahrtausend vor unserer Zeit-rechnung.

Der Wortschatz heutiger Sprachen wiederum schmilzt recht schnell dahin: In 8000 bis 12 000 Jahren, errechneten Forscher, werde der heutige Sprachschatz komplett verloren sein. Auch Literatur und religiöse Texte des Mittelal-ters überlebten nur, wenn sie regelmäßig in moderne Sprachformen übertragen wurden.

Der offensichtliche Aberwitz der MüllKommunikation vermochte allerdings weder Atomindustrie noch Staatsbü-rokratien und Wissenschaft zu schrecken. Anfang 1981 versuchte erstmals eine Arbeitsgruppe über menschliches Eindringen in Atommüllendlager" („Human Interference Task Force“) des US-Konzerns Bechtel, sich einer theo-retischen Lösung der Frage zu nähern. Um die Aufgabe nicht von vornherein als aussichtslos erscheinen zu lassen, durften sich die Forscher mit einem Trick behelfen: Wenigstens 10 000. Jahre, so die vereinfachende Vorgabe, sollten die Botschaften vom strahlenden Müll überstehen können.

Das 13köpfige Team, darunter Ingenieure, Soziologen, Anthropologen, Rechtsanwälte, Kernphysiker und Verhal-tensforscher, genoß Protektion von allerhöchster Stelle. Die eben ins Amt eingeführte Reagan-Regierung zeichne-te als Auftraggeber.

Als die Kommission im September 1981 ihren Bericht vorlegte, befanden sich darin auch Empfehlungen für einen atomaren Gral a la Stonehenge. Für den kuriosen Rückgriff aufs Altertum zeichnete Thomas Sebeok verant-wortlich, damals Professor für Linguistik und Semiotik an der Indiana University in Bloomington. Seine Vor-schläge sollten einen zweifelhaften Forschungszweig begründen - die „Atomsemiotik“ war geboren.

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„Wie ist es möglich, unsere Nachkommen innerhalb der nächsten 10 000 Jahre über die Lagerungsorte und die besonderen Gefahren von Atommüll zu informieren?“ fragte ein Jahr später auch die in Tübingen erscheinende Zeitschrift fitir Semiotik. Die phantastischen und beklemmenden Vorschläge wurden vom Herausgeber des Fach-blattes, dem Berliner Semiotik-Professor Roland Posner, 1990 in einem bisher wenig beachteten Buch dokumen-tiert. (Roland Posner (Hrsg.): „Warnungen an die ferne Zukunft - Atommüll als Kommunikationsproblern“. Ra-ben-Verlag, München; 314 Seiten; 12,80 Mark.) Fast niedlich wirken da noch Vorschläge, die aufs äußere Design des Endlagers zielen. So hält es Vilmos Voigt von der Budapester Loränd-Eötvös-Universität für richtig, die War-nungen als Schilderwald rund um den Grabstein wachsen lassen. „Nachrichtenhüter“ sollen Tafeln in immer neu-en Sprachformen aufstellen.

Percy Tannenbaum von der University of California in Berkeley denkt an Atomgrüfte mit Freizeitpark: Ein „Cam-pingplatz“ oder „Park, vielleicht mit einem Museum für Kernenergie“ könnte oberirdisch das Lager zieren. Wo-möglich würden so „die Leute um so weniger geneigt sein, den Platz durch Grabungen zu verschandeln“.

Mit großtechnischen Lösungen wartet der Berliner Wissenschaftler Philipp Sonntag auf.Er will einen „künstlichen Mond“ im Weltraum installieren lassen. Den intelligenten Nachkommen der Mensch-heit werde es in 10 000 Jahren bestimmt keine Schwierigkeiten bereiten, so der Forscher, einen kurzen Ausflug ins All zu unternehmen. Dem Satelliten könnten dann die Müll-Infos entnommen werden. Zur Sicherheit solle man den gleichen Datensatz nochmals in irdischen Datenbanken ablegen, geschützt durch die Betonwände von Atom-bunkern.

Die Pariser Kommunikationsforscherin Francoise Bastide und ihr Kollege Paolo Fabbri (Universität Palermo) halten konventionelle Techniken zwar für das Sicherheitssystem innerhalb der Lager für geeignet: Strahlenge-speiste „Atomsirenen“ könnten unerwünschte Eindringlinge im Bergstollen abschrecken.

Aber um unbedarfte Zukunftsmensehen zu warnen, möchten die beiden Wissenschaftler auch neue Wege be-schreiten: Einen jebenden Detektor" wollen die Forscher züchten lassen. „Ein nettes, wenig anspruchsvolles und freundliches Tier, zum Beispiel eine Katze“, solle durch Gen-Manipulation dazu gebracht werden, auf Radioakti-vität mit einer Änderung der Fellfarbe zu reagieren. Mythen und Märchen sollen die Botschaft von der „Strahlen-katze“ über 10.000 Jahre bringen.

Der Krakauer Science-fiction-Autor Stanislaw Lern ist fasziniert von einer „mathematischen Kodierung auf le-bendem Trägermaterial“: Der „kreisförmige Selbsterneuerungsprozeß“ der Erbinformation, preist Lern die Gene, müsse als „das Perfekteste angesehen werden, was uns überhaupt bekannt ist“. Den genmanipulierten Petunien könnten also bald Atomblumen in den Freilandversuch folgen, deren Erbinformationen die Geheimnisse von Nu-kleargrüften bergen.

Ginge es nach Thomas Sebeok, einem ehemaligen Mitglied der Human Interference Task Force, würde eine „Atompriesterschaft“ das Detailwissen zu Ort und Art der eingelagerten Stoffe in ihre Obhut nehmen. Sebeok machte sich damit die Ansichten Alvin Weinbergs zu eigen.

Der langjährige Leiter des US-Atomlabors Oak Ridge theoretisierte schon Anfang der siebziger Jahre über eine „Elite-Priesterschaft“. Die „tatsächliche Wahrheit“, so Sebeok, sei allein einem „sich selbst erhaltenden und regie-rungsunabhängigen Komitee“ aus „kompetenten Physikern, Experten für Strahlenkrankheiten, Anthropologen, Linguisten, Psychologen und Semiotikern“ vorbehalten.

Nur logenähnliche Gremien seien in der Lage, ihr Wissen allen gesellschaftlichen Umbrüchen zum Trotz über die Jahrtausende zu bringen. Den Rest der Menschheit müßten sich die Nuklearbarone vom Halse halten.

Strahlenmaterial als Machtinstrument einer künftigen militärischtechnologischen Elite? Orwells „1984“ als mick-rige Ausführung des „Atomstaates“, vor dem Robert Jungk schon vor 18 Jahren warnte?

„Der Müll steckt in uns“, resümiert die Berliner Atommüllexpertin Susanne Hauser resigniert. Die Warnungen der Atomsemiotik setzen voraus, daß sich nukleare Abfälle dauerhaft sicher verwahren lassen. Damit aber, so Hauser, ignorieren die Wissenschaftler die Realität: Große Mengen strahlenden Materials seien längst in Meere, Böden und Luft entwichen.

„Der Kampf der Menschheit um die Beherrschung des Atoms ist nur vergleichbar mit dem Kampf um die Beherr-schung des Feuers“, sagt der Semiotiker Posner. Der Homo atomicus befinde sich zwar in einer verzwickten Lage, sie sei aber nicht ausweglos.

Auch das Feuer habe der Mensch über Hunderttausende von Jahren zuerst nur nutzen können, so Posner. Bis der 27

Homo sapiens die Flammen unter Kontrolle halten konnte, habe er seine Lebensweise grundlegend ändern müs-sen: Aus Jägern und Sammlern wurden feuerhütende Bauern, später in Feuerwehren organisierte, brandbekämp-fende Städter.

Gleiches gelte Ihr die Atomtechnik. Die Gesellschaft müsse sich kurzfristig, fordert Posner, „auf ein bis dahin un-bekanntes Maß an Zukunftsplanung“ umstellen. Der Berliner Professor möchte deshalb Bundestag und Bundesrat durch einen 60köpfigen „Zukunftsrat“ nebst drei Zukunftsämtern ergänzt sehen: „In den USA kündigt sich an, daß Bürgerbewegungen die demokratische Kontrolle von Zukunftsaufgaben durchsetzen.“Die US-Bewegungen fordern, den Nuklearmüll nicht einfach in atomare Plumpsklos a la Yucca Mountain zu schütten. Statt den Abfall Jahrtausende sich selbst zu überlassen, sollten bewachte Lager gebaut werden. Einen Er-folg können die Atomwächter bereits vorweisen: Die Niederlande haben 1993 erstmalig die Rückholbarkeit von Strahlenmüll festgeschrieben.

Viel Zeit bleibt nicht: 2008 soll im niedersächsischen Gorleben das weltweit erste Endlager für hochradioaktive Abfälle eröffnet werden. In den Salzstock, der Jahrmillionen dicht halten muß, reichen schon heute „Wasserweg-samkeiten“ tief hinein, kritisiert das Landesumweltministerium.„Jeder vernünftige Mensch wird bei einer Überschwemmung zuerst den Wasserhahn abdrehen und dann mit dem Abpumpen beginnen“, wundert sich Roland Hipp, Atommüllexperte von Greenpeace. In Sachen Atomkraft lasse sich diese simple Erkenntnis in einem einzigen Wort zusammenfassen:

„Abschalten“.

Literaturhinweise und Anregungen zum Weiterlesen

IPPNW (Hrsg.): Die Endlagerung radioaktiver Abfälle. S. Hirzel-Verlag, Stuttgart, Leipzig 1995(populärwissenschaftlich)

Jürgen Kreusch/Helmut Hirsch: Sicherheitsprobleme der Endlagerung radioaktiver Abfälle im Salz. Schriftenreihe der May-Himmelheber Stiftung Nr.9, Hannover 1984(historisch interessant, wissenschaftlich)

Gruppe Ökologie: Analyse der Entsorgungssituation in der Bundesrepublik Deutschland und Ableitung von Handlungsoptionen unter der Prämisse des Ausstiegs aus der Atomenergie, Heinrich-Böll-Stiftung, Hannover 1998(Bilanz, sehr gute Zusammenfassung)

Lilo Wollny: Es wird wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. 20 Jahre Lügen, Tricks und Größenwahn. Rechtshil-fe Gorleben, Hitzacker 1998(Geschichtliches, Anekdoten)

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Abkürzungsverzeichnis

AK ArbeitskreisASG Arbeitsgemeinschaft Schächte GorlebenAtG AtomgesetzBE BrennelementeBfS Bundesamt für StrahlenschutzBGR Bundesanstalt für Geowissenschaften und RohstoffeBI Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.BMU Bundesministerium für Umwelt und ReaktorsicherheitBRD Bundesrepublik DeutschlandCDU Christlich Demokratische Unioncm ZentimeterCSU Christlich Soziale UnionDBE Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von EndlagernDDR Deutsche Demokratische UnionDOE Department of EnergyEJZ Elbe-Jeetzel-ZeitungFDP Freie Demokratische ParteiFR Frankfurter RundschauHAZ Hannoversche Allgemeine ZeitungIC Intercity-ZugKV Koalitionsvertragm MeterMio. MillionenMrd. MilliardenNaCl Natriumchlorid (Salz)NaOH NatriumhydroxidNDR Norddeutscher RundfunkNds./nds. niedersächsischNEZ Nukleares EntsorgungszentrumNLfB Niedersächsisches Landesamt für BodenforschungNMU Niedersächsisches UmweltministeriumNRC Nuclear Regulatory CommissionPSE Projektstudie EndlagerungPTB Physikalisch-Technische Bundesanstalt (heute BfS)rd. rundS. Seite, SeitenSPD Sozialdemokratische Partei Deutschlandt Tonnentaz Tageszeitung

Bürgerinitiative UmweltschutzLüchow-Dannenberg e. V.Drawehner Straße 3

29439 Lüchow (Wendland)

Tel. (0 58 41) 46 84Fax (0 58 41) 31 97

http://www.bi-luechow-dannenberg.de

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Zur Sache 1, vergriffen

Zur Sache 2, Oktober 2000Entsorgungs-FiaskoEine aktuelle Atommüll-Bilanz5. vollständig überarbeitete Auflage28 Seiten, 2 €, ermäßigt 1 €

Zur Sache 3, Dezember 1998Glaskokillen aus La HagueFakten und Bewertungen zum geplanten Kokillen-Transport nach Gorleben2. überarbeitete Auflage28 Seiten, 2 €, ermäßigt 1 €

Zur Sache 4, Juli 2001Risiko CASTORArgumente gegen die Atommüll-Lagerung in CASTOR-Behältern2. vollständig überarbeitete Auflage32 Seiten, 2 €, ermäßigt 1 €

Zur Sache 5, März 2003Demokratie jetzt!Radioaktiver Zerfall der Grundrechte2. vollständig überarbeitete Auflage24 Seiten, 2 €, ermäßigt 1 €

Zur Sache 6, September 1999PKADie Pilot-KonditionierungsanlageDie machen den Castor auf!2. überarbeitete Auflage36 Seiten, 2 €, ermäßigt 1 €

Zur Sache 7, Dezember 2000AtomenergieWarum wir dagegen sind!Argumente gegen die Atomenergie.2. Auflage28 Seiten, 2 €, ermäßigt 1 €

Zur Sache 8, September 2003Endlager GorlebenEndlagersuche im Salzstock Gorleben Stationen eines Irrwegs2. überarbeitete Auflage48 Seiten, 2 €, ermäßigt 1 €

Zur Sache 9, April 2000Fachtagung: Endlager GorlebenArgumente für das Ende des ProjektsDokumentation der Referate vom 9.10.9948 Seiten, 2 €, ermäßigt 1 €

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