20090131 leichter schwindel

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Sabina Naef: „leichter Schwindel“, Edition Korrespondenzen 1 Sabina Naef leichter Schwindel Gedichte nicht wahr Glück kommt von ungefähr aufregend wie herabfallendes Gepäck kommt nie wieder Sabina Naef ist eine Meisterin der lyrischen Miniatur. Federleicht, mit wenigen Worten, vier, fünf präzise gesetzten Zeilen, gewinnt sie uns, ehe wir es bemerken, für die unbeobachteten Momente im alltäglichen Leben: die auf die Straße gestellten Möbel, das Schrillen eines Weckers, das Schließen der Augen, die Haare im Ventilator. Dabei geht es in leichter Schwindel nie um pittoreske Stimmungen, die Bilder wahren das Flüchtige des Moments, das Beiläufige der Begegnung. Unterwegs an den Rändern, nahe am Verstummen halten Sabina Naefs Gedichte mühelos die Balance zwischen noch nicht und nicht mehr und verstehen sich auf die Kunst, in der äußersten Reduktion, im Unausgesprochenen, vieles anzusprechen. “Sabina Naefs Texten genügen die geringsten Anlässe, die unscheinbarsten Wörter, der kleinste Raum. Ein Blick aus dem Fenster, und es bieten sich lauter verwirrende Ein- und Aussichten. Ein Gehen oder Stehen, und sie wird von paradoxen Sachverhalten umzingelt. Nicht zuletzt dient ihr die Sprache als unerschöpfliches Jagdgebiet, um solche bald heilsame, bald heillose Befremdlichkeiten aufzuspüren und dingfest zu machen.“ (Werner Morlang) Sabina Naef, geb. 1974 in Luzern, studierte Germanistik und Romanistik in Zürich, Lausanne und Bordeaux, lebt zurzeit in Berlin. Bisherige Buchveröffentlichungen: Zeitkippe (1998), tagelang möchte ich um diese Ecke biegen (2001). Sabina Naef, leichter Schwindel. Gedichte Originalausgabe 80 Seiten, Hardcover, fadengeheftet, mit Lesebändchen ISBN 3-902113-42-1 € 17,40 / sfr 29,90

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  • 1. Sabina Naefleichter SchwindelGedichtenicht wahrGlck kommt von ungefhraufregend wie herabfallendes Gepckkommt nie wiederSabina Naef ist eine Meisterin der lyrischen Miniatur. Federleicht, mit wenigen Worten, vier, fnfprzise gesetzten Zeilen, gewinnt sie uns, ehe wir es bemerken, fr die unbeobachteten Momente imalltglichen Leben: die auf die Strae gestellten Mbel, das Schrillen eines Weckers, das Schlieen derAugen, die Haare im Ventilator. Dabei geht es in leichter Schwindel nie um pittoreske Stimmungen,die Bilder wahren das Flchtige des Moments, das Beilufige der Begegnung.Unterwegs an den Rndern, nahe am Verstummen halten Sabina Naefs Gedichte mhelos die Balancezwischen noch nicht und nicht mehr und verstehen sich auf die Kunst, in der uersten Reduktion, imUnausgesprochenen, vieles anzusprechen.Sabina Naefs Texten gengen die geringsten Anlsse, die unscheinbarsten Wrter, der kleinste Raum.Ein Blick aus dem Fenster, und es bieten sich lauter verwirrende Ein- und Aussichten. Ein Gehen oderStehen, und sie wird von paradoxen Sachverhalten umzingelt. Nicht zuletzt dient ihr die Sprache alsunerschpfliches Jagdgebiet, um solche bald heilsame, bald heillose Befremdlichkeiten aufzusprenund dingfest zu machen. (Werner Morlang)Sabina Naef, geb. 1974 in Luzern, studierte Germanistik und Romanistik in Zrich, Lausanne undBordeaux, lebt zurzeit in Berlin. Bisherige Buchverffentlichungen: Zeitkippe (1998), tagelangmchte ich um diese Ecke biegen (2001).Sabina Naef, leichter Schwindel. GedichteOriginalausgabe80 Seiten, Hardcover, fadengeheftet, mit LesebndchenISBN 3-902113-42-1 17,40 / sfr 29,90 1Sabina Naef: leichter Schwindel, Edition Korrespondenzen
  • 2. PressespiegelpianissimoWie von ungefhr so auch das Glck, laut der Autorin scheinen diese Texte zu kommen,herbeizuwehen und vor unsere Augen zu gelangen. Klein geschrieben heben sie an, tragen binnen einpaar Zeilen ihre Sache aus und suchen alsdann das Weite, Weisse ihrer Umgebung. Es sind flchtige,luftige Geschpfe, die sich mit einem befristeten, rumlich knapp bemessenen Dasein bescheiden. Dasfeierliche Posieren und Prunken ist ihnen fern. Sie nehmen mit dem Nchstliegenden Vorlieb: demgewhnlichen Wort, einem alltglichen Befund, einer Beilufigkeit. Ein ungebrauchter Bleistift taugtihnen zum Riech- und Richtmass eines Tages, und bei Fensterwetter / schrumpft die Welt / zumDaumenkino. Vordergrndig geschieht herzlich wenig, kaum sorgt ein Verb fr etwas Unruhe, dochrecht besehen rumort es betrchtlich in diesen Stillleben. Bisweilen hilft die Imagination der trgenMaterie auf die Sprnge. So wird Japanpapier als Heilmittel gegen Fernweh erwogen und frunzulnglich befunden. Am Gare du Nord korrespondiert der Wind in den Haaren mit demMeersalz auf den Fahrleitungen. Auch wird der kuriose Umstand notiert, dass die Wundertteneines Kindes ein Verfallsdatum tragen. Freilich muss der Leser jeweils das seinige dazutun, am besten,er wird von jenem leichten Schwindel ergriffen, den Sabina Naef im Titel des vorliegendenGedichtbandes proponiert.Es gilt eben beides: offen zu sein und auf der Hut zu sein. Achtsam werden einige vermeintlichharmlose Realien festgehalten, doch auf dem Papier, in enger Fhlung zueinander, proben sie wiedie Poesie seit jeher den Aufstand gegen den ersten Satz von Wittgensteins Tractatus. Die Weltknnte alles sein / was nicht der Fall ist, lautet die Devise, und um sie ins Werk zu setzen, bedarf esbloss eines neuen Blickwinkels, der gezielten Abweichung von einer gelufigen Wendung oder derVerstellung einzelner Buchstaben. Daher steht ein Mann auf fremden Fssen, und einZeitlupenkellnergewinnt die Zuneigung / einer Tulpe nicht zuletzt deshalb, weil er siebuchstblich in sich birgt. Eine Percke dient gar als Brcke / zwischen Schein und Sein. Insolchen Unschrferelationen, weder hier noch dort, wo die Dinge ihre gewohnten Sicherungeneinbssen, ist die Autorin mit Vorliebe zu Hause, will sagen bei sich. Dabei soll es ihr nicht viel besserergehen als den Dingen, die nicht wissen, wie ihnen geschieht. Sie mag sich sogar abhanden kommenund als Inkognito ihr weiteres Wesen treiben. Das von ihr ausdrcklich bekundete Nichtwissen hat ihrsogar einige der schnsten Gedichte eingegeben, etwa das folgende: frher oder spter // weil ichnicht weiss / wie Abschied nehmen / vielleicht wie der Sommer / auf Herbstblttern.Wie schon in den frheren Lyrikbnden Zeitkippe (1998) und tagelang mchte ich um diese Eckebiegen (2001) versteht sich Sabina Naef vorzglich auf kleine Schritte mit unabsehbaren Folgen. Impoetischen Ernstfall von einem halben Dutzend Zeilen kann alles und nichts passieren. Zwei, dreiaufgespiesste Beobachtungen und schon beschleicht die Autorin und uns, ihre Spiessgesellen einefrhliche Desperadostimmung. In einem Text betreibt sie ihr hintersinnig-verspieltes Geschft als eineArt Fundbro oder Trdelbrse, indem sie eine Reihe buntscheckiger Objekte im Tausch gegen einezweite Serie anbietet. Jedenfalls gelangt man unter ihrer Anleitung im Nu vom einen zum andern, vomGeringfgigen zum Grossartigen, vom Reden zum Schweigen, mithin zum Tod, der uns etwa,schwarz-weiss geschminkt, beim Umblttern von Buchseiten zuzwinkert.Vielleicht am bezauberndsten zeigt diese Agilitt ein Liebesgedicht, das die Abwesenheit desGeliebten beklagt. Das Ich und Du werden behutsam ausgespart und nur metonymisch geduldet. Docheine ebenso khne wie grazise Linie schlingt sich von den vermissten Augen zur getrbtenWeltkugel, um zuletzt bei einem diminutivischen Krperteil anzukommen: beschattete denSommer / unter einem grossen Strohhut / ohne deine Augen / hat die Weltkugel / einen blinden Fleck /nimmt keine Notiz / von meinen Ohrlppchen. Werner Morlang, drehpunkt, Oktober 2005 2Sabina Naef: leichter Schwindel, Edition Korrespondenzen
  • 3. Leichter Schwindel beim SchreibenSchon der Titel hat es in sich. Was wie ein Fehler ausschaut und in den Bcherverzeichnissen bereitsschon verbessert wiedergegeben wird, schreibt sich korrekt so: leichter Schwindel. DieKleinschreibung des Adjektivs am Anfang dieses Buchtitels weist auf dessen Ausschnitthaftigkeit hin.Sie hat System in den neuen Gedichten der in Zrich wohnenden Luzerner Autorin Sabina Naef. Derleichte Schwindel berkommt einen unvermittelt: bei einer erhofften Begegnung, beimgedankenverlorenen Beobachten, im Sog des Schreibens.Im gleichnamigen Gedicht folgt dem Schwindel ein Bild: sie schliesst die Augen / wie ein Seemannim Platzregen / im Wetterleuchten/in einer Rauchpause. Dadurch klrt sich nichts, vielmehr wird dieUnsicherheit akzentuiert. Wer wei schon wie Seemnner die Augen schlieen.Sabina Naefs mittlerweile dritter Gedichtsband versammelt 57 kurze Gedichte von jeweils wenigenZeilen. Die Unvermitteltheit im Titel kehrt hufig wieder, indem die Autorin das grammatikalischeSubjekt verschweigt und so Verb und Objekt im Ungewissen, wie nicht abgeholt stehen lsst: leichtschwindelnd? Diese Projektion ins Offene verrt leitmotivisch ihre Aktuelle: das Schreiben und dieLiebe. Beide sind sie ihrer Sache nicht sicher, beide aber geben sie zu hochfliegenden Hoffnungen undTrumen Anlass, wie es in zwei Zeilen przis formuliert ist: uns kann nichts geschehen / uns kannalles geschehen. Es kann nichts geschehen, gerade weil alles geschehen kann. In solchen Momentender kaum weiter reduzierbaren Konzentration findet Sabina Naef ihren eigenen Ton, mag zuweilenauch das eine oder andere Bild gut bekannt und dem Fundus des lyrischen Empfindens entnommensein. Vieles ist lngst geschrieben. Es geht nur darum, wie dieses neu komponiert wird. Beat Mazenauer, Volltext, Oktober/November 2005Behaupten und staunenZu Sabina Naefs Gedichtband leichter SchwindelLyriker, deren Gedichtbnde nach kurzer Zeit vergriffen sind, gibt es wenige, insbesondere dann,wenn vergriffen weder eingestampft noch verramscht meint, sondern: die Auflage ist ausverkauft.Sabina Naef ereilte dieses Schicksal bereits zweimal: Sowohl ihr Erstling Zeitkippe (1998) wie auchder Band tagelang mchte ich um diese ecke biegen (2001) sind vergriffen, nicht mehr zu haben.Seit wenigen Wochen ist aber nun ihr dritter Gedichtband da: Nach Talentprobe und Besttigungbereits ein erstes kleines Meisterwerk.Die aus Luzern stammende 31-jhrige Lyrikerin geht konsequent ihren eigenen Weg der sparsamenWorte, der berraschenden Bilder und Assoziationen; und dies mit schierer Leichtigkeit. Einmalverblffend, dann wieder lakonisch lsst sie Bilder aufeinanderprallen, allerdings ohne jeglichenKnalleffekt; leise Begegnungen der Dinge, lautloses Aufeinandertreffen der Ereignisse kennzeichnendiese Gedichte.Unter dem Titel weder hier noch dort finden sich folgende vier Zeilen: unter meinem Kopfkissen /ein unentwickelter Film / verlor einen Schuh im Ausland / wer mich nun wohl sucht. Schwankendimmer wieder zwischen Realitt und Vorstellung bleiben Naefs Zeilen in Bewegung, auf der Kippe leichter Schwindel wird so zum anhaltenden Zustand, zur latent wirksamen Empfindung. 3Sabina Naef: leichter Schwindel, Edition Korrespondenzen
  • 4. Konkrete KonzentrateNaefs Gedichte sind konkrete Konzentrate fern ab jeglicher lart pour lart. Ohne Schlacke poetisch,aphoristisch auch, doch frei von philosophischem Ballast; und beinahe sans mot dire, diesem TitelNaef drei Zeilen anfgt: Achtung: frisch verschneit / wir laufen ins Leere / mit einer Wegwerfkamerafr den heutigen Tag.Wer gute Gedichte schreiben will, muss sich aufs khne Behaupten verstehen, sehend oder auch nurahnend, dass dahinter noch so einiges steckt. Markus Bundi, Luzerner Zeitung, November 2005zwei SchattenMit Zeitkippe (1998) und tagelang mchte ich um diese ecke biegen (2001) hat sich dieLuzernerin Sabina Naef (geboren 1974) als neue Stimme der Schweizer Lyrik eindrcklich vorgestellt.Ihr dritter Band ist jetzt in der Edition Korrespondenzen in Wien erschienen: leichter Schwindel. Dieedle Feinheit des usseren verspricht nicht zu viel: Sabina Naef macht wenige Worte. Trotzdemgelingt es ihr, in ihren Texten ein Stck Welt festzuhalten und gleichzeitig seine Brchigkeitvorzufhren. Abschied passt in keinen Koffer, dichtet sie, oder anderswo: Glck kommt vonungefhr/ aufregend wie herabfallendes Gepck. Eva Bachmann, St. Galler Tagblatt, November 2005Poetisch wie leichte PinselstricheNeue Gedichte von Sabina NaefWhrend sich das Gros der Jung-Lyriker und -Lyrikerinnen an der Rhetorik abarbeitet, die jabekanntlich nur die kleine Schwester der Poesie ist, hat sich die 1974 in Luzern geborene und jetztin Berlin lebende Lyrikerin Sabina Naef fr das kurze Gedicht und dessen poetisches Potenzialentschieden. Drei Gedichtbndchen sind mittlerweile schon erschienen, zuletzt Leichter Schwindelin der schn aufgemachten Wiener Edition Korrespondenzen.Sabina Naefs Markenzeichen ist ein sanfter Surrealismus, der den Gegenstnden und den siebezeichnenden Wrtern die poetische Aura zurckgibt: im Khlschrank liegt noch/ einZitronenschnitz/ immer ist ein Fremdwort/ und Abschied pat in keinen Koffer. Der unscheinbarsteAnlass gengt, um den Alltag in Schwingung zu versetzen: zu allem bereit/explodierte die Blume/ imKnopfloch/des Gebrauchtwagenhndlers.Sabina Naefs mit wenigen Pinselstrichen wie hingetuschte Gedichte sind zarte und zerbrechlicheGebilde, die zwischen Realitt und Fantasie hin- und herschwanken. Leichter Schwindel ist dabeinicht ausgeschlossen. Fitzgerald Kusz, Nrnberger Nachrichten, Jnner 2006 4Sabina Naef: leichter Schwindel, Edition Korrespondenzen
  • 5. Rettung eines BleistiftsSabina Naefs neuer Lyrikband leichter SchwindelHerunter gedimmte Empfindungslyrik, auf Hochglanz polierte Marginalien-Poesie - um dieseDoppeldisziplin hat sich die junge Dichterin Sabina Naef verdient gemacht. Auch ihr dritter Band mitdem Titel leichter Schwindel versteckt im Protokoll von Petitessen die Auseinandersetzung mit ganzunzeitgem ewigen poetischen SujetsEs ist fr mich interessant, zu denken, dass solche fr mich interessanten Beobachtungen fr anderenicht interessant sein knnten, schreibt die japanische Hofdame Sei Shonagon vor rund tausendJahren in ihr - und ber ihr Kopfkissenbuch. Und noch interessanter ist, dass selbiges heute nochauf dem Nachttisch lterer Herren wie Peter Greenaway und junger Frauen wie Sabina Naef thront.Die 1974 in Luzern geborene Autorin, die unter anderem in Zrich studiert und hier eine halbe Heimatgefunden hat, zhlt das Kopfkissenbuch zu ihrer Lieblingslektre. Denn die Dame hat einen feinenBlick frs Detail und spiesst es mit spitzer Feder auf. Nippes der NichtigkeitenDie Zrcher Lyrikerin schaut gleichfalls gern aufs scheinbar Unscheinbare, Uninteressante - allerdingsweniger, um es aphoristisch anzuspitzen, sondern um es poetisch neu zu entdecken. Ihr Tagesablaufbeispielsweise ist eine Ode an das Kmmen der Teppichfransen / die Rettung eines Bleistifts / dasChauffieren einer Wassermelone / das Pfeifen eines Bademeisters / das Wachsen der Ngel / dasReinigen der Fingerspitzen bei Tisch. Kein Impressionismus des Augenblicks, sondern ein Protokollder Petitessen, eine augenzwinkernde Nobilitierung des Nichtigen. Mit diesem leisen, unspektakulrenZugriff auf alles Leise, Unspektakulre heutigen Lebens - vor allem weiblichen Lebens - berzeugteSabina Naef 1998 die Juroren des Internationalen Jungautoren-Wettbewerbs Regensburg, wo sie denersten Preis erhielt. Es war das Jahr ihres Debts als Dichterin, und ihr Erstling Zeitkippe erfuhrspter eine Neuauflage - fr ein erstes Lyrikbndchen eine achtbare Leistung. Seither hat Sabina Naefeinen Werkbeitrag und ein Werkjahr des Kantons Zrich entgegennehmen, als Stipendiatin desLiterarischen Colloquiums Berlin arbeiten und zwei weitere Gedichtbnde vorlegen knnen.Tagelang mchte ich um diese Ecke biegen, titelt das 2001 erschienene Buch, und die Erklrungfolgt, wenn man es aufklappt: nur um dich auftauchen und wieder verschwinden zu sehen. - Auchdas groe Gefhl, kommt klein, bescheiden und nicht ohne Ironie daher, wenn die Schriftstellerin esunter die Lupe nimmt.Aufs Innenleben mitten im Nippes der Nichtigkeiten schaut sie auch in der jngsten Verffentlichung,leichter Schwindel: herunter gedimmte Empfindungslyrik, auf Hochglanz polierte Marginalien-Poesie. Ein Vierzeiler wie Schneeflocken auf meinen Wimpern / wie damals vor demAbsatzschnelldienst / als ich deine Stimme zum ersten Mal hrte / und sie kannte und nicht wusstewoher ist fast schon zu schwer im Vergleich zu den anderen Gedichten, fast schon zu heftig in seinerMischung aus zartem Spott und leidenschaftlichem Erinnern; schrammt gerade noch am Kitsch vorbeimit seinem schneeflockenflchtigen Denkmal des Vergnglichen und seiner halb ironischenVerneigung vor dem Ewigen, das uns verliebte Sinne vorzugaukeln pflegen.berhaupt hat sich die Lyrikerin die Latte hochgelegt. Wem Haiku-hnliche Leichtigkeiten gelingenwie der Tag riecht / wie ein neuer Bleistift / noch nicht angespitzt, hat den Leser auf leichtschwindelerregende Lektre eingestimmt. Wer von der Liebe singt, als wrs, in jedem Sinn, dastglich Brot, enttuscht ein bisschen, wenn er dann die Sachertorte reicht. und auch bermorgen /deine Briefe essen / 26 Buchstaben / das Gewicht der Worte etwa ist ein Laib, der gut in der Handliegt. Die Film-Zitate von der Gare du Nord haben, bei aller subversiven Samtigkeit, etwasRaffiniert-Parfmiertes - diese kurzen und langen Blicke, der Wind in den Haaren samt derFremdheit des Geliebten, in dessen Augen das lyrische Ich ein Versteck sucht. 5Sabina Naef: leichter Schwindel, Edition Korrespondenzen
  • 6. LibellenleichtSabina Naefs neues Bndchen entfhrt also, trotz der einen oder anderen Sackgasse, in jene Welt, inder alles schwerelos schwirrt und schillert wie eine Libelle; in jenes vertraute Treibenlassen vor demEinschlafen. Und deshalb gehrt leichter Schwindel direkt neben das Kopfkissenbuch auf denNachttisch. Alexandra Kedve, NZZ, Mrz 2006Das Fremdwort immerDer Abschied passt in keinen Koffer, die letzte Reise verluft ohne Stadtplan und Gepck, dennimmer ist ein Fremdwort. Sabina Naefs Wahrnehmung registriert in Momentaufnahmen alltglichenLebens die Vergnglichkeit. Fast schwerelos, leise und sehr behutsam geschieht dies.Nur ein einziges Mal inszeniert sie diese Gewissheit fast etwas theatralisch, wenn der Tod, schwarz-weiss geschminkt, selbst beim Umblttern der Buchseiten uns zuzwinkert. Zum Glck aber lockt inallem pausenlosen Dahinschwinden der Zeit die Gegenwart so sehr, dass man sich an jederStraenecke an den Wind, an eine Wolke, ans Leben verlieren knnte: ... dein Herz stehtsperrangelweit offen/ keine Zeit, deine Knochen zu zhlen.In kurzen knappen Gedichten setzt sich Sabina Naef dem leichten Schwindel des vorberziehendenLebens aus. Mit wenigen Zeilen spricht sie davon, dass man dabei immer wieder die Augen schlieenmuss. Doch beides wird notwendig und verschrnkt sich seltsam ineinander: die bewusstherbeigefhrte Blindheit wie die Hellsichtigkeit, die Innenschau wie die wachsame Prsenz in derGegenwart. Sabina Naef wei auch, dass das Glck kein wohlfeiler Bestellartikel ist, sondern vonungefhr kommt.Im Wort vielleicht sind die Lebensereignisse beschlossen, so dass dem Menschen alles geschehen,aber auch nicht geschehen kann.In glcklichen Momenten aber scheint es, dass der unbarmherzige Zeitfluss anhlt, so in einem derschnsten Gedichte dieser Lyrikerin: das Blau vom Himmel kratzen/ auf der Dachzinne/ wo die Zeitsteht/ nur Vogelgezwitscher und Wind. (bei), Der Bund, Mrz 2006Alles, was nicht der Fall istDie Lyrikerin Sabina Naef legt ihren dritten Gedichtband leichter Schwindel vor. Wie zurSprache bringen, was sich in einer Sprache kaum sagen lsst? Die Antwort der SchweizerLyrikerin Sabina Naef liegt in der Krze ihrer Gedichte.Was Lyrik und Rhetorik im Laufe der Jahrhunderte an Formen- und Figurenreichtum hinterlassen, undsei es auch noch so schlicht und bescheiden, das alles findet auch im dritten Gedichtband von SabinaNaef kein Fortleben. Die Lyrik der 31-jhrigen Schweizerin ist in der deutschsprachigenLiteraturlandschaft schon lnger aufgefallen, zum einen durch die Krze der Gedichte kaum einesumfasst mehr als zehn Zeilen -, zum anderen durch eine Art von Minoritt, welche nicht dasHelvetische ihrer Herkunft, sondern eine bestimmte Schreibweise: Sabina Neafs Gedichte bedienensich des Wortmaterials einer bestehenden groen Sprache, um im Verzicht auf Konventionen eben daszum Ausdruck zu bringen, was dieser Sprache entgangen sein knnte.Allein, dass der Titel dieses Bandes, leichter Schwindel, mit einem Kleinbuchstaben beginnt, deutetdarauf hin. Und so gengen diesen Krzesttexten statt groem Geprnge dann auch die geringsten 6Sabina Naef: leichter Schwindel, Edition Korrespondenzen
  • 7. Anlsse, die unscheinbarsten Wrter, der kleinste Raum, wie der Kritiker Werner Morlang imKlappentext treffend formuliert hat. Doch es wre falsch, diese Haltung mit Bescheidenheitgleichzusetzen. Der von der Wiener Edition Korrespondenzen besorgte Band kommt nicht nurgraphisch sehr charmant daher, sondern ist auch grozgig im Umgang mit Druckseiten. Einzelnendavon gereichen drei Verszeilen zur Flle: der Tag riecht / wie ein neuer Bleistift / noch nichtangespitzt. Ja, das ist ein ganzes Gedicht. Und ein solches lsst sich, bei so viel Wei darum herum,nicht leichtfertig berlesen: Der ungespitzte Bleistift rckt die Ahnung all dessen zu Bewusstsein, wasnoch nicht geschrieben ist, und das beansprucht den restlichen Raum der Seiten genauso wie von derDichterin die Zeit eines bevorstehenden Tages. Fhrten Richtung UnbekanntDaran wird deutlich, was sich den ganzen Gedichtband von Sabina Neaf hindurch abzeichnet: DasPoetologische, das heit der Rckbezug aufs eigene Schreiben, ist gegenber den frheren Gedichtenstrker geworden. Immer wieder sind jetzt kleine Tfelchen montiert, die uns anweisen, bei derLektre auf gewohnte Pfade nicht allzu viel zu geben: du verlierst dich an jeder Straenecke / an denWind, an eine Wolke, ans Leben, und man darf getrost auch verstehen: nach jedem Zeilensprung.Denn der Nebel und mit ihm der leichte Schwindel sind genauso Bestandteil dieser Schreibweisewie der Verzicht auf durchgehende Beschreibung.Die Worte stehen bei Sabina Neaf selten in der Pflicht, etwas wiederzugeben. Wie Fhrten vielmehrsind sie ausgelegt, an bekannten Orten, um auf immer und Richtung unbestimmt, wie es einmalheit, zu entfliehen. Die Gedichte setzen an am Alltag, auf Straen, in Cafes, in der Metro einerGrostadt wie Berlin, Madrid, Paris oder einfach unter der Sonne, im Regen oder im Bett, und kaumhtte man sich eingefunden, hat einem die nchste Zeile schon einen Haken geschlagen: untermeinem Kopfkissen / ein unentwickelter Film / verlor einen Schuh im Ausland / wer mich nun wohlsucht.Auf allerkleinstem Raum greift diese Lyrik vom Intimsten ins Weiteste, und je weniger die Wortedabei verloren werden, desto grorumiger wirken diese. Denn keines dieser Gedichte endet mit dem,was dasteht. Darauf weist die junge Lyrikerin nirgends deutlicher hin als in ihrer Auslegung desberhmten ersten Satzes aus Ludwig Wittgensteins philosophischem Traktat. Die Welt ist alles, wasder Fall ist, heit es dort, whrend wir unter dem Titel Variation II lesen: die Welt knnte allessein / was nicht der Fall ist. Das besagt nicht nur etwas ber den Wert von Worten, die, wenn sievorgelegt, selbst der Fall sind, gleichzeitig zeigt sich darin Sabina Neafs Zuwendung zu welthaltigenThemen.Whrend ihre ersten beiden Gedichtsammlungen, Zeitkippe und tagelang mchte ich um dieseEcke biegen manch sehr privates Apercu enthalten, verzichten viele der neuen Gedichte aufs Ichund handeln neben dem Dichten selbst von Glck, Erinnerung, Abschied, von den Jahreszeiten unddabei vor allem vom Herbst und vom Tod. Die letzten Themen erscheinen nicht zufllig, denn mit derReflexion aufs eigene Schaffen ist auch der Blick der Lyrikerin melancholischer geworden. DerSinnzusammenhang der zu Gedichten versammelten Augenblicke, Denk- und Wortbruchstcke istweit in die Ferne gerckt: in den Finger gebissen / von einem leuchtenden Schwan / die Wrterstruben sich / wollen wegfliegen / nicht hngen bleiben / wie verwirrtes Herbstlaub / imSpinnennetz. Verbindende RhythmikDer unsichtbare Faden, welcher diese Sprache zur gebundenen macht, heit Rhythmus. Und damitbesinnt sich die junge Lyrikerin auf der Dichtung Archaischstes: Kein Reim, kein Versmass, selteneine sprachliche Figur rcken die flieenden Wrter zueinander, sondern Lngen, Krzen,Akzentfolgen. Wenn aber die Bedeutung der Worte nicht mehr zu binden vermag, dann liegt der Sinndieser Kunstgebilde, sollte es ihn denn geben, zwischen ihnen. Was es nebst abgegriffenen Worten(und Werten) auch noch geben knnte, das versucht diese Lyrik in berraschenden Kombinationen zurSprache zu bringen. Thomas Forrer, Zrichsee-Zeitungen, April 2006 7Sabina Naef: leichter Schwindel, Edition Korrespondenzen
  • 8. Aufbumendes RauschenLeichter Schwindel mit Sabina Neaf und ihren GedichtenDie Schweizer Literatur hat keinen Nachwuchs? Hier ist er: zum Beispiel die LuzernerLyrikerin Sabina Neaf (31). Das Literaturhaus Basel stellt sie morgen mit drei Kollegen aneinem Abend ber Junge Literatur vor.Lyriker, deren Gedichtbnde nach kurzer Zeit vergriffen sind, gibt es wenige, insbesondere dann,wenn vergriffen weder eingestampft noch verramscht meint, sondern: Die Auflage ist ausverkauft.Sabina Naef ereilte dieses Schicksal bereits zweimal: Sowohl ihr Erstling Zeitkippe (1998) wie auchder Band tagelang mchte ich um diese ecke biegen (2001) sind vergriffen. Seit wenigen Wochen istaber nun ihr dritter Gedichtband da: Und nach Talentprobe und Besttigung liegt mit leichterSchwindel bereits ein erstes kleines Meisterwerk vor.Die aus Luzern stammende 31-jhrige Lyrikerin geht konsequent ihren eigenen Weg der sparsamenWorte, der berraschenden Bilder und Assoziationen; und dies mit schierer Leichtigkeit. Einmalverblffend, dann wieder lakonisch lsst sie Bilder aufeinander prallen, allerdings ohne jeglichenKnalleffekt; leise Begegnungen der Dinge, lautloses Aufeinandertreffen der Ereignisse kennzeichnendiese Gedichte. KonzentratUnter dem Titel weder hier noch dort finden sich folgende vier Zeilen: unter meinem Kopfkissen /ein unentwickelter Film / verlor einen Schuh im Ausland / wer mich nun wohl sucht. Schwankendzwischen Realitt und Vorstellung bleiben Neafs Zeilen in Bewegung, auf der Kippe leichterSchwindel wird so zum anhaltenden Zustand, zur latent wirksamen Empfindung.Die Reduktion ist das eine, doch geht es der Dichterin nie um einen Abstraktionsgewinn, imGegenteil: Naefs Gedichte sind konkrete Konzentrate fern ab jeglicher lart pour lart.Momentaufnahmen ohne Schlacke, aphoristisch auch, doch frei von philosophischem Ballast; undbeinahe sans mot dire, diesem Titel Naef drei Zeilen anfgt: Achtung: frisch verschneit / wir laufenins Leere / mit einer Wegwerfkamera fr den heutigen Tag. SinnspielTatschlich hat die nach einem lngeren Berlin-Aufenthalt wieder in die Schweiz zurckgekehrteLyrikerin schon in jungen Jahren einen ganz eigenen Stil entwickelt, und dabei handelt es sichmitnichten um eine einfache Reduktion, die sich allein mit analytischen Mitteln aufschlsseln liee.Vielmehr sind Naefs Gedichte geprgt durch einen eigenen, aber durchaus nachvollziehbaren Umgangmit Assoziationen; und dies gilt sowohl fr die Verknpfung von Bildern wie auch fr den Gebrauchder einzelnen Wrter, im Sinnspiel der Konnotationen. Und vermehrt kommt auch diesem drittenBand auch das Schreiben als solches zur Sprache: wenn der Blick schreiben knnte / dieses Rauschendes Windes / in den Bumen / wenn das Schreiben blind geng wre / fr dieses sich aufbumende /Rauschen. Markus Bundi, BAZ Kulturmagazin, April 2006 8Sabina Naef: leichter Schwindel, Edition Korrespondenzen
  • 9. Note: This publication has been made available by CSEND.org with the agrement of the author. The Centre for Socio-Eco-Nomic Development (CSEND) aims atpromoting equitable, sustainable and integrated development through dialogue andinstitutional learning.Diplomacy Dialogue is a branch of the Centre for Socio-Eco-Nomic Development(CSEND), a non-profit R&D organization based in Geneva, Switzerland since 1993.