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58 BINDUNGSSPAZIERGANG – GASSI EINMAL ANDERS Gassi-Gänge, bei denen man eigentlich nur darauf aus ist, seinen Hund im Auge zu behalten, damit er nicht zu weit wegläuft, stehen beim „Dog College Franken“ im bayrischen Fürth unter Quarantäne. Der Bindungsspaziergang fordert den Ein- satz von Hund und Halter und stärkt deren Zusammenhalt. „Ich habe mir damals meine Hündin aus dem Tierheim geholt und gedacht, ich könnte einfach ein bisschen mit ihr Gassi gehen und ihr etwas zu fressen geben“, berichtet Melanie Schmidt (38). Der Gründerin des Zentrums für Hun- deerziehung „Dog College Franken“ in Fürth ging es wie vielen anderen Erst- Hunde-Besitzern auch. Denn Probleme mit der charismatischen Mischlings- hündin Sammy stellten sich rasch ein. Sammy verselbstständigte sich immer häufiger, vor allem dann, wenn ande- re Dinge interessanter waren als ihr Frauchen. Darunter: Spielende Hunde, Spaziergänger und Kinder oder einfach nur ein gut duftender Grashalm am Wegesrand. „Das ist der Grund dafür, dass wir bei uns die Bindungsspaziergänge an- bieten“, berichtet Schmidt. Sie kennt die Probleme der Hundeführer, die immer wieder nach ihrem Vierbeiner rufen und warten müssen, wenn man gemeinsam auf der Hundewiese oder im Wald unterwegs ist. „Wir wollen erreichen, dass die Besitzer für Ihre Tiere interessanter werden“, erklärt die gebürtige Nürnbergerin. „Sie sollen nicht nur als Futterlieferant gelten, sondern vielmehr als spannender Weg- und Spielgefährte.“ Dies wird über unterschiedliche Tricks und Übungen erreicht. Egal, ob beim Einmal-um-den-Block oder eine Stunde Waldspaziergang am Wochenende: Ganz schnell wird ein Stromkasten, Hydrant oder ein liegen gebliebener Baumstamm zum Abenteuerspielplatz für das Mensch-Hund-Gespann. „Lucky MELANIE SCHMIDT, Jahrgang ’73, studier- te am Institut Kappel und ist Gründerin des Zentrums für Hunde- erziehung Dog College in Franken. DA 0112 S 58-59 gassi.indd 58 08.11.2011 09:43:20

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Page 1: 58 BINDUNGSSPAZIERGANG – GASSI EINMAL · PDF file58 BINDUNGSSPAZIERGANG – GASSI EINMAL ANDERS Gassi-Gänge, bei denen man eigentlich nur darauf aus ist, seinen Hund im Auge zu

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BINDUNGSSPAZIERGANG – GASSI EINMAL ANDERS

Gassi-Gänge, bei denen man eigentlich nur darauf aus ist, seinen Hund im Auge

zu behalten, damit er nicht zu weit wegläuft, stehen beim „Dog College Franken“

im bayrischen Fürth unter Quarantäne. Der Bindungsspaziergang fordert den Ein-

satz von Hund und Halter und stärkt deren Zusammenhalt.

„Ich habe mir damals meine Hündin

aus dem Tierheim geholt und gedacht,

ich könnte einfach ein bisschen mit ihr

Gassi gehen und ihr etwas zu fressen

geben“, berichtet Melanie Schmidt (38).

Der Gründerin des Zentrums für Hun-

deerziehung „Dog College Franken“ in

Fürth ging es wie vielen anderen Erst-

Hunde-Besitzern auch. Denn Probleme

mit der charismatischen Mischlings-

hündin Sammy stellten sich rasch ein.

Sammy verselbstständigte sich immer

häufiger, vor allem dann, wenn ande-

re Dinge interessanter waren als ihr

Frauchen. Darunter: Spielende Hunde,

Spaziergänger und Kinder oder einfach

nur ein gut duftender Grashalm am

Wegesrand.

„Das ist der Grund dafür, dass wir bei

uns die Bindungsspaziergänge an-

bieten“, berichtet Schmidt. Sie kennt

die Probleme der Hundeführer, die

immer wieder nach ihrem Vierbeiner

rufen und warten müssen, wenn man

gemeinsam auf der Hundewiese oder

im Wald unterwegs ist. „Wir wollen

erreichen, dass die Besitzer für Ihre

Tiere interessanter werden“, erklärt

die gebürtige Nürnbergerin. „Sie sollen

nicht nur als Futterlieferant gelten,

sondern vielmehr als spannender Weg-

und Spielgefährte.“

Dies wird über unterschiedliche Tricks

und Übungen erreicht. Egal, ob beim

Einmal-um-den-Block oder eine Stunde

Waldspaziergang am Wochenende:

Ganz schnell wird ein Stromkasten,

Hydrant oder ein liegen gebliebener

Baumstamm zum Abenteuerspielplatz

für das Mensch-Hund-Gespann. „Lucky

MELANIE SCHMIDT, Jahrgang ’73, studier-te am Institut Kappel und ist Gründerin des Zentrums für Hunde-erziehung Dog College in Franken.

DA 0112 S 58-59 gassi.indd 58 08.11.2011 09:43:20

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und ich balancieren oftmals ge-

meinsam einfach drüber“, berichtet

Schmidts Kollegin Kerstin Eder (25).

„Aber auch kleine Gehorsamsübun-

gen bieten sich auf Bänken, Baum-

stümpfen und anderen Gegenstän-

den auf dem Gassiweg an.“ Da wird

das Kommando „Platz“ zu einer ganz

neuen Herausforderung. Denn erst

einmal ist es für die Fellnasen gar

nicht so einfach, das Gleichgewicht

zu halten.

Bordercollie Lucky (5) hingegen

ist Profi. Er liebt es, für Kerstin

Eder sogar „Männchen“ auf dem

schmalen und runden Untergrund

zu machen oder zwischen ihren

Beinen durchzulaufen. „Die Hunde

werden dabei nicht nur körperlich,

sondern auch geistig gefordert“,

erklärt Eder den Mehrfachnutzen

solcher Übungen. Das sei gerade

bei Arbeitshunden wie Bordercollie,

Australien Shepherd und Co. sehr

wichtig. Zwar könne man mit den

Tieren auch stundenlang Radfah-

ren, aber dadurch würden diese nur

zusätzlich hochgepusht - Auslastung

wird dabei nur wenig erfahren.

Dass viele dieser Rassen für ihre

Besitzer dann anstrengend

werden, weil sie zuhause

nicht zur Ruhe kommen, ist

also nicht verwunderlich.

Schließlich sind diese

Hunde einmal zur Arbeit

gezüchtet worden und

tragen diese individu-

ellen Veranlagungen

weiterhin in sich.

Geeignet sind aber

prinzipiell alle Hunde für

Spaziergänge dieser Art.

Welche Größe die Fellnasen

haben, spielt dabei kaum eine

Rolle. Klar, dass der Chihuahua

vielleicht nicht locker aus dem

Stand auf einen 1,5-m-hohen

Baumstumpf springen kann. Aber

dann sucht man sich eben einen

kleineren oder hebt den Mini-Mexi-

kaner einfach drauf. Den Rest kann

er dann alleine.

Oder man macht es wie Bindungs-

spaziergängerin Rike Mittermeier.

Die Bürokauffrau ist eine von rund

sechs Teilnehmern der besonderen

Gassi-Gruppe. Ihre Mischlings-Hün-

din Lea leidet an Spondylose (chroni-

sche Veränderung der Wirbelsäule).

Das schreckt Mittermeier aber nicht

ab. Im Gegenteil: „Wir machen regel-

mäßig bei den Bindungsspaziergän-

gen mit. Das gibt ihm unheimlich

viel Sicherheit und Selbstvertrauen.“

Lea stammt aus Griechenland und

ist inzwischen zehn Jahre alt. „Natür-

lich kann sie damit nicht so gut über

Bänke springen“, erklärt die 35-Jäh-

rige. „Aber er kann ja auch einfach

zweimal drum herum laufen und

bekommt dafür sein Leckerli.“

Auch Geschicklichkeitselemente

bauen Melanie Schmidt und Kerstin

Eder regelmäßig in den 60-minüti-

gen Spaziergang ein. „Ganz leicht ist

es auch, kleine weiche Leckerle in

Baumrinden verstecken. Am besten

auf einer Höhe, an die der Hund

gerade noch so rankommt“, nennt

Schmidt eine weitere Übung. „Der

Hund kann sich dann selbst über-

legen, ob er das Leckerli direkt mit

dem Maul erwischt oder erst einmal

mit der Pfote runterholen muss.“

Eben Gassi mal ganz anders.

Text und Fotos. Virginia Brusch

REPORTAGE 59

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