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Gesellschaft für Geriatrische Pharmazie - Gero PharmCare mbH Abschlussbericht für das Präsidium der Apothekerkammer Nordrhein Mitglieder des Evaluationskomitees sowie beteiligte stationäre Alteneinrichtungen und beteiligte Apotheken Evaluation eines Qualitäts und Risikomanagements in der Arzneimittelversorgung von stationären Alteneinrichtungen der Apothekerkammer Nordrhein Wissenschaftliche Leitung Prof. Dr. med. Ingo Füsgen Geriatrie der Universität Witten Herdecke Projektmanagement und operative Projektleitung Dr. rer. medic., Dipl. pharm. Frank Hanke Gero PharmCare GmbH Köln, 27.11.2014

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Gesellschaft für Geriatrische Pharmazie - Gero PharmCare mbH

Abschlussbericht

für das Präsidium der Apothekerkammer Nordrhein

Mitglieder des Evaluationskomitees sowie

beteiligte stationäre Alteneinrichtungen und beteiligte Apotheken

Evaluation eines Qualitäts – und Risikomanagements in der

Arzneimittelversorgung von stationären Alteneinrichtungen

der

Apothekerkammer Nordrhein

Wissenschaftliche Leitung

Prof. Dr. med. Ingo Füsgen

Geriatrie der Universität Witten Herdecke

Projektmanagement und operative Projektleitung

Dr. rer. medic., Dipl. pharm. Frank Hanke

Gero PharmCare GmbH

Köln, 27.11.2014

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Gesellschaft für Geriatrische Pharmazie – Gero PharmCare mbH, 27.11.2014 2

Wissenschaftlicher Beirat

(in alphabethischer Reihenfolge)

Prof. Dr. Ingo Füsgen

Geriatrie Universität Witten Herdecke

Dr. Stefan Gronemeyer

Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS),

Leitender Arzt des MDS und stellvertretender Geschäftsführer

Dr. Georg Keller

Apothekerkammer Nordrhein

Dr. Silke Lange

freiberufliche Diplom-Statistikerin,

Mitglied der Ethikkommission der Universität Witten Herdecke

Dr. Gabriele Müller-Mundt

Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und

Gesundheitssystemforschung

Dr. Udo Puteanus

Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit des Landes Nordrhein-Westfalen, Abteilung

Inspektionen, Sozialpharmazie

Dr. Friedrich Schwegler

Medizinischer Dienst der Krankenkassen Nordrhein, Medizinischer Fachbereichslei-

ter Pflegeversicherung

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Gesellschaft für Geriatrische Pharmazie – Gero PharmCare mbH, 27.11.2014 3

Danksagung

Ein ganz herzlicher Dank geht an

die Mitarbeiter der Gero PharmCare, insbesondere die geriatrischen Pharmazeutin-

nen Frau Apothekerin Judith Hildebrand und Frau Apothekerin Monika Zerres für ihr

unermüdliches Wirken in den Berufsgruppen und den Studienauswertungen,

die Pflegefachkräfte, Pflegedienst- und Heimleitungen der Studieneinrichtungen für

ihr mutiges Engagement und ihr dauerhaftes Bemühen um die Lebensqualität ihrer

Heimbewohner,

die OffizinapothekerInnen und PTA für ihre Pionierarbeit im Medikations- und Risi-

komanagement pflegebedürftiger Senioren,

an das Präsidium der Apothekerkammer Nordrhein, insbesondere Herrn Kammer-

präsidenten Apotheker Lutz Engelen, sowie den Geschäftsführer der Apotheker-

kammer Nordrhein Herrn Apotheker Dr. Stefan Derix.

Ohne diese wäre eine Umsetzung und Gestaltung der hier vorliegenden Versor-

gungsstudie nicht möglich gewesen.

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Inhaltsverzeichnis

1.1 Abbildungsverzeichnis ............................................................................... 5

1.2 Tabellenverzeichnis .................................................................................... 5

2. Zusammenfassung ............................................................................................ 6

3. Aktuelle Situation zu Arzneimittelrisiken in stationären Altenpflegeeinrichtungen. ....................................................................................... 7

4. Zielstellung ......................................................................................................... 8

5. Methoden ............................................................................................................ 9

5.1 Studiendesign und -population .................................................................. 9

5.2 Praktische Durchführung ..........................................................................10

5.2.1 Implementierung des Systems ........................................................................ 10

5.2.2 Klinisch-pharmakologische Methoden ............................................................. 17

6. Ergebnisse .........................................................................................................18

6.1 Analyse der Medikamentenorganisation ..................................................18

6.2 Überprüfung der Wiederfindungsrate von ABP zur Standardisierbarkeit eines pharmazeutischen Audits .............................................................................21

6.3 UAE ..............................................................................................................22

6.3.1 UAE-Häufigkeiten ............................................................................................ 23

6.3.2 Konsequenzen der UAE .................................................................................. 24

6.3.3 Interventionsergebnisse UAE .......................................................................... 25

6.3.4 Arzneimittelassoziierte Stürze ......................................................................... 27

6.3.5 Verhältnis der arzneimittelassoziierten Stürze an der Gesamtzahl der Stürze . 29

7. Literaturverzeichnis ..........................................................................................30

8. Anlagen ..............................................................................................................31

8.1 AMTS Merkkarte .........................................................................................31

8.2 Naranjo Kausalitätsassessment................................................................32

8.3 WHO - Kausalitätsassessment ..................................................................33

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: „Eisberg“ der Medikationsfehler, .......................................................................... 7

Abb. 2: Geografische Lage der Interventionseinrichtungen (rote Kreise) .......................... 9

Abb. 3: Qualitätselemente des Risikomanagementsystems ............................................11

Abb. 4: Prozesselemente des Risikomanagementsystems .............................................12

Abb. 5: Auszug aus einem Stationsbegehungsprotokoll ..................................................13

Abb. 6: Optimierungszyklus (einrichtungsbezogen) zur kontinuierlichen Verbesserung der Arzneimittelversorgungsqualität ............................................................................................14

Abb. 7: Risikokommunikation Apotheke-Pflege-Ärzte in der stationären Altenpflege .......15

Abb. 8: Auszug aus dem EDV-gestützten Qualitätsbericht ..............................................17

Abb. 9: Implementierung, Adaption und Etablierung des Arzneimittelrisikomanagements ............................................................................................18

Abb. 10: Veränderungen der ABP Raten von neun Einrichtungen nach zwei Optimierungszyklen. .............................................................................................................20

Abb. 11: Veränderungen der ABP Raten von neun Einrichtungen nach zwei Optimierungszyklen. .............................................................................................................20

Abb. 12: Pharmakotherapeutische Interventionen der behandelnden Ärzte von April 2012 – Januar 2013 .............................................................................................................25

Abb. 13: Interventionseffekte und gesundheitliche Änderungen bei betroffenen Heimbewohnern von April 2012 – Januar 2013 ....................................................................26

Abb. 14: UAE-Raten im Zeitverlauf ................................................................................27

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Anzahl der in den Optimierungszyklen durchgeführten pharmazeutischen Audits (einrichtungsbezogen) ..........................................................................................................19

Tab. 2: Gesamtzahl der ABP nach 68 pharmazeutischen Audits ....................................19

Tab. 3: Testergebnisse der TeilnehmerInnen ..................................................................21

Tab. 4: Deskription der korrekt identifizierten sowie zusätzlich identifizierten Fehler (Ebene der TeilnehmerInnen) ...............................................................................................21

Tab. 5: Deskription der korrekt identifizierten sowie zusätzlich identifizierten Fehler (Ebene der TeilnehmerInnen, ohne Ergebnisse von TeilnehmerIn G) ..................................22

Tab. 6: Bewohner mit Einverständniserklärung pro Einrichtung ......................................22

Tab. 7: UAW Raten getrennt nach Quartal (Einzelfall mit insgesamt 41 UAE) ................23

Tab. 8: Häufigkeiten der UAE-Arten ................................................................................23

Tab. 9: UAE Raten getrennt nach Einrichtung ................................................................24

Tab. 10: UAE-Raten getrennt nach Quartal ......................................................................26

Tab. 11: Arzneimittelassoziierte Stürze getrennt nach Einrichtung ...................................27

Tab. 12: Arzneimittelassoziierte Stürze getrennt nach Quartalen (ohne Januar 2013) .......29

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1. Zusammenfassung

In Nordrhein-Westfalen erleiden pflegebedürftige Altenheimbewohner hochgerechnet

jährlich ca. 140.000 arzneimittelassoziierte Erkrankungen. Diese werden in der Regel

durch ein unzureichendes Risikobewusstsein aller Beteiligten sowie eine fehlende

kommunikative und arbeitsorganisatorische Abstimmung der Heilberufe ausgelöst.

Individuelle Arzneimittelrisiken der Heimbewohner und systembedingte Schwachstel-

len im Medikationsprozess gehen dabei oft Hand in Hand1.

Aus diesen Gründen initiierte die Apothekerkammer Nordrhein die Einführung eines

Arzneimittelrisikomanagementsystems in elf stationären Alteneinrichtungen durch elf

geriatrisch spezialisierte Apotheken. Insgesamt erklärten 723 Heimbewohner dazu

ihr Einverständnis.

Zielsetzung und Methoden

Zielstellung war eine messbare Verbesserung der arzneimittelassoziierten Erkran-

kungslage und der Lebensqualität der Heimbewohner. Diese sollte anhand pflegeri-

scher und ärztlicher Diagnosen feststellbar sein. Weiterhin stand eine messbare Op-

timierung der Versorgungsqualität in den stationären Alteneinrichtungen im Fokus,

welche anhand pharmazeutischer Audits messbar sein sollte. Grundlagen dieser

pharmazeutischen Audits waren standardisierte Erhebungen der unerwünschten

Arzneimittelereignisse (UAE) und arzneimittelbezogener Probleme (ABP). Die quanti-

fizierbare Erfassung tatsächlicher klinisch relevanter Ereignisse stärkte das Risiko-

bewusstsein aller Versorger. Durch eine sich anschließende EDV-unterstützte Risi-

kokommunikation wurde ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess der gesamten

Arzneimittelversorgung mittels Erfolgsmessungen angestoßen. Parallel dazu beauf-

tragte die Apothekerkammer Nordrhein die unabhängige Evaluation des Qualitäts-

und Risikomanagements durch einen wissenschaftlichen Beirat.

Ergebnisse

Im Beobachtungszeitraum von zehn Monaten wurden bei 101 Bewohnern (14.4 %)

insgesamt 179 arzneimittelassoziierte Erkrankungen (UAE) erkannt.

Zehn Monate nach Einführung des Systems konnte die Nebenwirkungsrate bei den

eingeschriebenen Patienten von anfänglich 3,42 UAE pro 100 Heimbewohnermonate

(HBM) um 1,33 UAE pro 100 HBM, also um 39%, reduziert werden.

Der Anteil arzneimittelassoziierter Stürze nahm im Beobachtungszeitraum um 34%

ab.

In den stationären Einrichtungen war es Apothekern, Pflegefachkräften und Ärzten

dadurch möglich, in 100 Fällen (55,9% von 179 UAE) mit/ bei 57 Bewohnern (56,4%

von 101 Bewohnern) den Gesundheitszustand zu verbessern oder eine Heilung der

arzneimittelassoziierten Erkrankungen zu bewirken.

1 Quellen: Thürmann et al 2011; Füsgen, Hanke 2009; Pflegestatistik - Statistisches Bundesamt 2011,

eigene Berechnungen.

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Fazit

Durch die Einführung des Risikomanagementsystems in nordrheinwestfälischen sta-

tionären Alteneinrichtungen mittels geriatrisch spezialisierter Apotheken könnten

hochgerechnet jährlich ca. 25.000 - 50.000 arzneimittelassoziierte Erkrankungen bei

ca. 20.000 Altenheimbewohnern sowie bis zu 0,5 Mio. ABP messbar und nachhaltig

gelindert oder geheilt werden1.

2. Aktuelle Situation zu Arzneimittelrisiken in stationären Altenpflegeeinrichtungen.

Arzneimittelbezogene Probleme (ABP) zählen auch in Deutschland zu den häufig-

sten Erkrankungsursachen pflegebedürftiger Senioren, vor allem in stationären Alte-

neinrichtungen.

In einem Altenheim mit 100 Heimbewohnern entstehen jeden Monat durchschnittlich

acht arzneimittelbedingte Neuerkrankungen, wie z.B. Magenbluten, Stürze, Verwirrt-

heit oder Inkontinenz. Davon sind 66% potentiell vermeid- oder verminderbar [Thür-

mann P., Jaehde U., Hanke F. et al. 2011].

Darüber hinaus entstehen in Altenein-

richtungen monatlich mehrere hundert

ABP, z.B. im Bereich der Dokumenta-

tion, der Arzneimittelanwendung, des

Bereitstellens von Medikamenten etc.,

die meist nicht direkt zu einer Patien-

tenschädigung führen.

Analysen über die komplexen Zu-

sammenhänge der Fehlerstrukturen

und –ursachen in den alltäglichen Ar-

beitsroutinen stationärer Pflegeein-

richtungen erhärten jedoch den Ver-

dacht, dass noch wenig erforschte

kausale Beziehungen zwischen der

einrichtungsbezogenen Arzneimittel-

versorgungsqualität, der individuellen

ärztlichen Pharmakotherapie und ei-

ner arzneimittelassoziierten Morbidität

bestehen [Aspen 2007, Greene et al 2006].

Dabei zeigte sich, dass die Schwerpunkte der patientenschädigenden Fehlerursa-

chen zwar im Bereich der Verordnung und der Therapiebeobachtung zu finden sind

[Gurwitz et al 2005], diese jedoch vom organisatorischen Geschehen des gesamten

Medikationsprozesses maßgeblich beeinflusst werden.

Abb. 1: „Eisberg“ der Medikationsfehler, übersetzt nach Smith J. Building a Safer NHS for Patients: Improving Medication Safety. Onlineveröffentlichung 2004.

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Reh und Hoffmann [Reh et al 2009] verweisen daher in ihrer Studie darauf, dass

mehr als 80% der ABP und unerwünschte Arzneimittelereignisse (UAE) als system-

oder organisationsbedingt anzusehen sind.

Als Hauptursachen der ABP, die vor allem in US-amerikanischen und australischen

Studien erforscht wurden [Aspen 2007, Bates 1998, Bergkvist et al 2009, Chan et al

2001, Cohen 2007, Ruths et al 2003], konnten in den beschriebenen Versorgungs-

forschungsprojekten folgende Faktoren identifiziert werden:

unzureichende Kenntnisse über geriatrietypische Problemstellungen im ge-

samten Medikationsprozess bei Pflegekräften, Ärzten und Apothekern,

unzureichende Kenntnisse über strukturelle und prozessuale Zusammenhän-

ge des Medikationsprozesses im pflegerischen und pharmazeutischen Ma-

nagement,

unzureichende qualitätssichernde und schnittstellenübergreifende Maßnah-

men zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) der Heimbewohner sowie

eine nicht ausreichende Risikokommunikation.

3. Zielstellung

Zielstellung des zweijährigen Projektes war der Nachweis, dass durch die standardi-

sierte Anwendung gezielter, berufsgruppenübergreifender Qualitätssicherungs- und

Risikomanagementmethoden eine kontinuierliche Verbesserung der Arzneimittelver-

sorgungs- und der Pharmakotherapiequalität erreicht werden kann.

Zur wissenschaftlichen Bewertung der erfolgreichen Standardisierung der Steuerung

und Durchführung des Arzneimittelversorgungsprozesses wurden folgende Parame-

ter erfasst:

die Medikationsfehlerrate in den Bereichen der Medikamentenorganisation

(Lagerung, Dispensieren, Dokumentation/Kommunikation, Anwendung),

die UAE-Rate (insbesondere der arzneimittelassoziierten Stürze),

die Wiederfindungsrate der Medikationsfehler im pharmazeutischen Audit so-

wie

die Akzeptanz der AMTS-Strukturen in der Pflege (Pflegemanagement) und

bei den Pharmazeuten anhand speziell dafür erstellter Fragbögen.

Für die stationären Alteneinrichtungen standen in der praktischen Versorgung fol-

gende Zielstellungen im Vordergrund:

Die Lebensqualität der Bewohner sollte erhöht werden durch die Senkung

o der Rate vermeidbarer, arzneimittelassoziierter Stürze um 50%,

o der Medikationsfehlerrate (Dokumentation, Anwendung, Dispensieren,

Lagerung) um durchschnittlich mindestens 30 - 50%.

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Abb. 2: Geografische Lage der Interven-tionseinrichtungen (rote Kreise)

Der Pflegeprozesses sollte hinsichtlich der Arzneimittelversorgung effizienter

gestaltet werden durch

o die Stärkung der Pflegekompetenz und Pflegequalität bzgl. ihrer Aufga-

ben im Medikationsprozess,

o die Verwandlung unnötiger und/oder schädlicher Pflegeprozesskosten

in Pflegequalität und -kompetenz,

o die Stärkung der Risikokommunikation und damit des Schnittstellenma-

nagements zwischen den Berufsgruppen (Pflege-Apotheke- Ärzte).

Zum Betreiben dieses Arzneimittelrisikomanagementsystems boten die Apotheken

durch geriatrisch fortgebildete Apotheker innovative Dienstleistungen zum Medikati-

onsmanagement und zur Arzneimitteltherapiesicherheit im Sinne der Neufassung der

Apothekenbetriebsordnung [ApBetrO, Art. 1 V v. 19.2.2013] an.

4. Methoden

4.1 Studiendesign und -population

In Vorbereitung der Longitudinalstudie wurden ca. 2000 Apotheken durch die Apo-

thekenkammer Nordrhein angeschrieben.

Folgende Einschlusskriterien für Apotheken und stationäre Alteneinrichtungen wur-

den definiert:

Es existiert ein aktueller Heimversorgungsvertrag der Apotheke über die Ver-

sorgung von mindestens 80% aller Heimbewohner.

Die stationäre Alteneinrichtung hat 60 bis 120 Betten und mindestens zwei

Stationen (Wohnbereiche).

Während der 24-monatigen Projektphase darf keine weitere arzneimittelbezo-

gene Studie in der Einrichtung durchgeführt werden.

Es gibt eine ausreichende Anzahl von beschäftigten Apothekerinnen/ Apothe-

kern.

Die Beschäftigung von weitergebildeten Apothekerinnen/ Apothekern (Geriat-

rische Pharmazie) ist von Vorteil, aber nicht Bedingung.

Es wurden elf heimversorgende Apotheken und ihre

elf stationären Alteneinrichtungen mit insgesamt

1125 Heimbewohnern im Kammergebiet Nordrhein

nach den oben genannten Kriterien ausgewählt.

723 Heimbewohner (64,3% von 1125) gaben ihr

Einverständnis zur Teilnahme an der Studie.

Durchschnittlich versorgten 15,5 Hausärzte [Range:

6-23] und 12,5 Fachärzte [Range: 8-37] eine Ein-

richtung.

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Die Benachrichtigung der Haus- und Fachärzte über die Teilnahme an der Versor-

gungsstudie erfolgte über die Ansprache der stationären Alteneinrichtung.

4.2 Praktische Durchführung

In vorangegangenen wissenschaftlichen Untersuchungen [Füsgen, Hanke 2009;

Hanke et al. 2007; Thürmann, Jaehde, Hanke et al. 2011] wurde die Detektion der

ABP und UAE in der Hauptsache durch klinisch-pharmazeutische Experten, Phar-

makologen und Geriater durchgeführt.

In der vorliegenden Interventionsstudie, die eine möglichst getreue Abbildung der

Versorgungsrealität darstellen sollte, stand eine eigenständige und systematische

Bearbeitung eines Arzneimittelrisikomanagements durch die Versorger selbst im

Vordergrund.

Daher wurden die ABP und die UAE durch die beteiligten Apotheken, Pfleger und

Ärzte nach standardisierten klinisch-pharmakologischen Methoden erfasst und beur-

teilt.

Einrichtungs- und patientenbezogene Interventionen wurden ebenfalls durch die Ver-

sorger selbst beschlossen und durchgeführt.

Die notwendige fachliche Begleitung erhielten die Versorger durch methodisch-

didaktische Fortbildungen und EDV-unterstützte Steuerungsprozesse der Gesell-

schaft für Geriatrische Pharmazie im Auftakt und während der vierteljährlichen Quali-

tätszirkeltreffen. Diese Begleitung umfasste

Implementierung der Methoden und Verfahren,

Vertiefung des geriatrisch-pharmazeutischen und klinisch-pharmakologischen

Grundwissens,

Formalismen zur Aufrechterhaltung der Datenqualität sowie

einen pharmazeutischen Support.

4.2.1 Implementierung des Systems

Die Qualitätssicherung des Arzneimittelversorgungs- und Pharmakotherapieprozes-

ses in den elf stationären Alteneinrichtungen beinhaltete den Aufbau der im Folgen-

den aufgeführten wesentlichen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualitäten.

4.2.1.1 Strukturen

Die Implementierung

mindestens einer verantwortlichen, intensivgeschulten Pflegefachkraft auf je-

dem Wohnbereich der teilnehmenden Alteneinrichtungen,

verantwortlicher geriatrischer Pharmazeuten/ geriatrisch-pharmazeutisch fort-

gebildeter Apotheker und PTA ,

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interdisziplinärer Arzneimittelkomitees (lokale Qualitätszirkel), zusammenge-

setzt aus Heimleitung (HL) und/ oder Pflegedienstleitung (PDL) und Qualitäts-

beauftragtem (QB) der Einrichtung, den verantwortlichen Pflegefachkräften

(mindestens eine pro Wohnbereich), geriatrischen Pharmazeuten der heim-

versorgenden Apotheke und ggf. Ärzten,

vierteljährlicher überregionaler Qualitätszirkel mit der Projektleitung, ca. fünf

bis sechs Apotheken und den verantwortlichen Pflegemanagern der Einrich-

tungen,

einheitlichen Kommunikations-und Dokumentationsstrukturen (Formblätter).

4.2.1.2 Prozessqualitäten

In der klinisch-geriatrischen Pharmazie spielt die Betrachtung und Durchführung von

sogenannten „Optimierungszyklen“ (modifizierte PDCA-Zyklen) im Sinne einer konti-

nuierlichen Verbesserung der Versorgungsqualität (siehe Abb. 6) eine tragende Rolle

zum Aufbau einer Patientensicherheitskultur.

Ein Optimierungszyklus (OZ) beinhaltet regelmäßig wiederkehrende, standardisierte

Methoden zur Erfassung, Beurteilung und Verbesserung einrichtungsbezogener (eb)

und bewohnerbezogener (bb) pharmakotherapeutischer Problemstellungen (hier:

Instabilität, Stürze, Kognitionsstörungen, Gastrointestinale Störungen, Sonstige). In

den Optimierungszyklen des Arzneimittel-Risikomanagementsystems werden dabei

bereits vorhandene Dienstleistungen der Apotheke wie „Stationsbegehungen“,

„Schulungselemente“, „Beratung zur Arzneimittelsicherheit“ aufgegriffen und zu

pharmazeutischen Audits, Intensivschulungen/Visitenvorbereitungen und klinisch

pharmakologischen UAE-Detektionen weiterentwickelt.

Die gesamte Prozesssteuerung ist EDV-unterstützt und orientiert sich ausschließ-

lich an der risikogewichteten Beurteilung von gemessenen Medikationsfehlerraten

in standardisierten Medikationsprozessbereichen (einrichtungs- oder stationsbezo-

gen) und den gemessenen UAE-Raten (bewohnerbezogen), d.h. den arzneimittel-

assoziierten Erkrankungen der Bewohner.

Abb. 3: Qualitätselemente des Risikomanagementsystems

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Die Messung der Medikations-

fehlerraten erfolgt zurzeit viertel-

jährlich durch geriatrisch-

pharmazeutisch geschulte Apo-

theker oder PTA in einem stan-

dardisierten Detektionsverfahren

(auch „Pharmazeutisches Audit“

oder „Vertiefte Stationsbege-

hung“ genannt). Die Messung der

UAE-Raten erfolgt in den monat-

lichen Intensivschulungen/ Visi-

tenvorbereitungen durch geriat-

risch-pharmazeutisch geschulte

Apotheker.

Zentrale Dokumente dieser Verfahren sind der Qualitätsbericht (siehe Abb. 8) und

die Risikoprofile der Patienten (Protokoll der Intensivschulung/Visitenvorbereitung).

Die Prozesssteuerung, die nicht nur einen maßgeblichen Einfluss auf die Versor-

gungsqualität, sondern auch auf den Arzneimittelkonsum (Polypharmazie) hat, erfolgt

dabei im Auftrag und unter Verantwortung des Arzneimittelkomitees einer stationären

Einrichtung. In überregionalen Qualitätszirkeln, bestehend aus Heimleitungen

und/oder Pflegedienstleitungen sowie den Apothekenleitungen, findet ein moderierter

Austausch über die Arbeitsergebnisse und Qualitätsimpulse der einzelnen Einrich-

tungen statt.

4.2.1.3 Der Optimierungszyklus (einrichtungsbezogen)

Der einrichtungsbezogene Optimierungszyklus beginnt mit einer EDV-gesteuerten

vertieften Stationsbegehung (siehe Abb. 5 und Abb. 6), dem einrichtungsbezoge-

nen pharmazeutischen Audit.

Dabei werden zurzeit vierteljährlich 159 Items (Arbeits- und Prozessstrukturen) der

Medikationsprozessbereiche Anwendung, Lagerung, Dokumentation/ Kommunikation

und Dispensieren in standardisierten Detektions- und Fragemodi abgeprüft.

Aus den Bereichen Dokumentation/ Kommunikation und Dispensieren wird jeweils

eine Stichprobe von 20% der Bewohner gezogen.

Die Zielstellung ist die Erfassung der genauen und reproduzierbaren Beschaffenheit

des gesamten Medikationsprozesses, damit eine Patientensicherheitskultur etabliert

und die gesamte Arzneimittelversorgung nachhaltig verbessert wird (siehe Abb. 6).

Abb. 4: Prozesselemente des Risikomanagement-systems

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Abb. 5: Auszug aus einem Stationsbegehungsprotokoll

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Detektion/Fehlerklassifikation Wann? Vierteljährlich, während/ nach der Stationsbegehung. Wie? In den Assessmentfeldern werden Anzahl, Schwere und Risiken (automatisiert) der ABP ausgewertet. Hilfsmittel? Erfassungsbögen, Abb 3. (EDV-Ausdruck).

(Sofort-) Intervention Wann? Wo? Nach der Stationsbegehung, im Heim. Wie? Stationsbegehungsprotokoll und Besprechung mit der verantwortlichen Pflegefachkraft auf Station. Hilfsmittel? Erfassungsbögen „Sofortintervention“.

Evaluation Wann? Wo?

Nach VeSta, in der Offizin.

Wie?

GP führt Ursachenanalyse risikogewichteter Fehler durch, bewertet frühere Präventionsmaßnahmen (Messung/ Ver-gleich der ABP nach Zahl und Schwere!) und erarbeitet Präventions-/ Interventionsvorschläge/ ggf. auch gemein-sam mit PDL/ QB der Alteneinrichtungen.

Hilfsmittel?

VeSta, Standards, SOPs.

Controlling

Wann? Vierteljährlich, 4 Wochen vor dem nächsten AMK Wie? Anhand von Checklisten (Standards!) überprüft PDL/ QB/ Medika-tionsbeauftragte die vom AMK beschlossenen Optimierungen, d.h. sie befragt die Pflegefachkräfte zur Umsetzung und Machbar-keit der Maßnahmen. Die Ergebnisse werden dem nächsten AMK präsentiert. Hilfsmittel? Formularvordruck VeSta (EDV).

Prävention/Intervention

Wann? Wo?

Vierteljährlich, im Heim: AMK (Qualitätszirkeltreffen).

Wie?

Besprechung in AMK. PDL/ QB/ Medikationsbeauftrag-te erhalten Qualitätsberichte und Maßnahmenempfeh-lungen für die Pflegefachkräfte.

Hilfsmittel?

Qualitätsbericht (EDV), durch das AMK beschlossene Maßnahmen (Standards, SOPs, etc.).

Detektion/Fehlererfassung

Wann? Vierteljährlich. Wie? GP und/ oder PTA drucken Erfassungsbögen (Stationsbe-gehungsprotokolle, siehe Abb. 3) und Arbeitsanweisungen zu den einzelnen Assessmentfeldern aus und führen eine vertiefte Stationsbegehung durch. Hilfsmittel? Erfassungsbögen.

Der Optimierungs-zyklus (OZ)

Abb. 6: Optimierungszyklus (einrichtungsbezogen) zur kontinuierlichen Verbesserung der Arzneimittelversorgungsqualität

Abkürzungen und Erläuterungen VeSta: Vertiefte Stationsbegehung; Assessmentfeld: Bereiche des Medikationsprozesses, hier: Dispensieren,

Lagerung, Dokumentation, Anwendung; GP: Geriatrischer/ geriatrisch fortgebildeter Pharmazeut; AMK: Arzneimittelkomitee (Qualitätszirkel)

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4.2.1.4 Der Optimierungszyklus (bewohnerbezogen/ pharmakotherapeutisch)

Der pharmakotherapeutische Optimierungszyklus eines einzelnen Heimbewohners

verläuft analog der Darstellung in Abb. 6, jedoch in einem monatlichen Rhythmus:

Detektion/ Risikoscreening

aller sturzgefährdeten Heimbewohner durch Geriatrische Pharmazeuten und

Pflegefachkräfte,

Sofortintervention

Bei Gefahr im Verzug: Information an Arzt durch Pflegefachkräfte, ggf. auch

geriatrische Pharmazeuten,

Evaluation/ Bewertung

der klinischen Relevanz der Ereignisse anhand der Sturzprotokolle und Aus-

sagen der Pflegefachkräfte,

Durchführung einer Risikoanalyse und UAE-Erfassung nach WHO- oder

Naranjo- Kausalitätsassessment [Naranjo et al 1981] durch Geriatrische

Pharmazeuten.

Prävention/ Intervention

Mündliche und schriftliche Weitergabe des Formblattes „Risikoprofil/ Visiten-

vorbereitung“ durch die verantwortliche Pflegefachkraft während der ärztlichen

Visite.

Prävention

Abstimmung von präventiven Maßnahmen in Visitenvorbereitungen (Pflege –

Pharmazeut), Visiten (Pflege – Arzt) und Teambesprechungen.

4.2.1.5 Methodik der interdisziplinären Risikokommunikation

In deutschen Alteneinrichtungen ist die freie Arztwahl fester Bestandteil einer aktiven

Beteiligung und Einwilligung der hochbetagten Senioren und/oder deren Betreuer in

die therapeutische Behandlung. Die Projekteinrichtungen wurden daher durchschnitt-

lich von 28 Ärzten, d.h. 15,5 Hausärzten [Range: 6-23] und 12,5 Fachärzten [Range:

8-37] pro Einrichtung versorgt. Eine systematische, durch alle Haus- oder Fachärzte

getragene Risikokommunikation stellt jedoch ein hohes zusätzliches Hindernis in der

Versorgungsrealität dar. Daher war der Projektansatz der Risikokommunikation in

der Heimversorgung pragmatisch und pflegezentriert.

Der geriatrische

fortgebildete Apo-

theker und die ver-

antwortlichen Pfle-

gefachkräfte erar-

beiteten in einer

monatlichen Vi-

sitenvorbereitung

Abb. 7: Risikokommunikation Apotheke-Pflege-Ärzte in der stationären Altenpflege

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das Risikoprofil jedes Heimbewohners bezüglich seiner arzneimittelassoziierten Er-

krankungen. Die Apotheke erhärtete ggf. noch einmal den UAE-Verdacht mittels ei-

ner Medikationsanalyse und dokumentierte dies im entsprechenden Formular.

In der haus- und fachärztlichen Visite kommunizierte die Pflege die erarbeiteten Ver-

dachtsmomente und Risiken mündlich und schriftlich an den Arzt, der dann am Punkt

der Verordnung gezielt die entsprechenden therapeutischen Entscheidungen treffen

konnte.

4.2.1.6 Fortbildungen

Vor und während der Realisierung des Interventionskonzeptes wurden alle Berufs-

gruppen inhaltlich und methodisch fortgebildet. Dabei

erhielten Ärzte über ihre Einrichtungen Schulungsmaterial (AMTS-

Merkkarten),

erhielten Apotheker Fortbildungen über die Inhalte und Strukturen eines ein-

richtungsbezogenen und pharmakotherapeutischen Risikomanagements

(48 h),

erhielten Pflegefachkräfte (mindestens eine/r pro Station/ Wohnbereich), Apo-

theker und PTA berufsgruppenübergreifende Fortbildungen,

erhielten Pflegefachkräfte (mindestens eine/r pro Station/ Wohnbereich) Fort-

bildungen über die Inhalte und Strukturen eines einrichtungsbezogenen und

pharmakotherapeutischen Risikomanagements (16 h),

fanden bisher zwei berufsgruppenübergreifende überregionale Qualitätszirkel

mit eingebauten Fortbildungselementen statt.

4.2.1.7 Ergebnisqualität

Alle ABP wurden standardisiert nach Art, Zahl und Risikoklasse in einem vierteljährli-

chen Qualitätsbericht mit einer sicherheitsaktivierten (https, 256 Bit-Verschlüsselung)

webbasierten EDV (Veriko MedPro®) aufgenommen und verarbeitet.

Die UAE (hier: arzneimittelassoziierte Gangstörungen/Stürze) wurden in ebenfalls in

den Optimierungszyklen nach Anzahl, Art und Schweregrad von den Apothekern er-

fasst.

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4.2.2 Klinisch-pharmakologische Methoden

4.2.2.1 UAE-Erfassung

Die UAE wurden durch Aktenstudium (Pflegedokumentation, Krankenhaus- und

Arztberichten) und in den Visitenvorbereitungen (mündliche Informationen der Pfle-

gefachkräfte) erhoben und besprochen. Die Klassifikation erfolgte mittels WHO- ggf.

auch mit dem Naranjo Kausalitätsassessment (siehe Anlage 7.2 und 7.3).

Abb. 8: Auszug aus dem EDV-gestützten Qualitätsbericht

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5. Ergebnisse

Die Umsetzung des Arzneimittelrisikomanagements verlief in drei ineinander überge-

henden Phasen (siehe Abb.8):

Implementierung aller Inhalte und Methoden durch Apotheken und die Projekt-

leitung,

Adaption und Etablierung des Systems in den Einrichtungen und Apotheken

Regelmäßige Durchführung der Maßnahmen und Prozesse (Regelversor-

gung).

In allen elf Einrichtungen konnte das System durch die Apotheken mit Hilfe der Pro-

jektleitung implementiert werden. Die Geschwindigkeit der Systemumsetzung in Ein-

richtungen und Apotheken steuern diese selbst mittels ihrer Arzneimittelkomitees. So

gibt es Einrichtungen und Apotheken, die bereits neue Standards und Assessment-

verfahren umsetzen möchten. Andere sind noch mit der Adaption der Methoden be-

schäftigt. Acht Monate nach der Implementierung befinden sich zwei Apotheken/ Ein-

richtungen in der Adaptionsphase (Beginn der Lernphase), fünf Apotheken/ Einrich-

tungen in der Etablierungsphase (Ende der Lernphase) und vier Apotheken/ Einrich-

tungen in der Regelversorgung.

5.1 Analyse der Medikamentenorganisation

Zum 20.4.2013 hatten neun Apotheken insgesamt 68 pharmazeutische Audits, d.h.

Vertiefte Stationsbegehungen auf je einem Wohnbereich, in vier Optimierungszyklen

durchgeführt.

In den nun folgenden Auswertungen konnten nur diese neun Apotheken berücksich-

tigt werden, die mindestens zwei Optimierungszyklen in ihren Einrichtungen durchge-

führt und zur Auswertung in die EDV eingegeben haben.

Abb. 9: Implementierung, Adaption und Etablierung des Arzneimittelrisikomanagements

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Tab. 1: Anzahl der in den Optimierungszyklen durchgeführten pharmazeutischen Au-

dits (einrichtungsbezogen)

Pseudonym

Heim/ Apo-

theke

OZ 1

Anzahl Audits [n]

OZ 2

Anzahl Audits [n]

OZ 3

Anzahl Audits [n]

OZ 4

Anzahl Audits [n]

A 4 1 0 0

B 2 2 0 0

C 3 3 3 0

D 3 3 0 0

E 1 1 1 1

F 4 4 0 0

G 4 4 4 0

H 3 3 3 3

I 0 0 0 0

K 4 4 0 0

L 0 0 0 0

Summe Au-

dits pro QZ 28 25 11 4

Insgesamt wurden in allen Audits 5464 arzneimittelbezogene Probleme (ABP) er-

fasst, durchschnittlich also 80,4 ABP pro Audit (siehe Tab. 2).

Tab. 2: Gesamtzahl der ABP nach 68 pharmazeutischen Audits

Medikationsprozessbereich Anzahl der ABP

Anwendung 475

Dispensieren 479

Dokumentation 1922

Lagerung 2588

Gesamt 5464

Insgesamt sank die Zahl der ABP in allen Einrichtungen von 2380 ABP um 17% auf

1975 ABP.

Schwerer wiegende arzneimittelbezogene Probleme in den Medikationsprozessbe-

reichen Arzneimittelanwendung und Dispensieren wurden vordringlich behandelt.

Hier war in allen Einrichtungen eine Reduktion der ABP von 60,1% in der Arzneimit-

telanwendung und von 50,0% im Bereich der Dispensierfehler zu verzeichnen (siehe

Abb.10). In einem Prozessbereich stieg die Anzahl der ABP um 11,5% an.

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Vier Einrichtungen/ Apotheken (C, E, G, H) hatten zum Zeitpunkt der Auswertungen

drei Optimierungszyklen abgeschlossen. Hier sank die ABP-Rate um insgesamt

46,9% (siehe Abb. 11) von 118,2 ABP pro Audit auf 62,9 ABP pro Audit. Das

Schwergewicht ihrer Qualitätsverbesserungen legten diese Einrichtungen/ Apothe-

ken dabei auf die Medikationsprozessbereiche Dispensieren, Lagerung und Doku-

mentation/ Kommunikation (siehe Abb. 11).

Abb. 11: Veränderungen der ABP Raten von neun Einrichtungen nach zwei Optimie-rungszyklen.

Abb. 10: Veränderungen der ABP Raten von neun Einrichtungen nach zwei Optimie-rungszyklen.

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5.2 Überprüfung der Wiederfindungsrate von ABP zur Standardi-

sierbarkeit eines pharmazeutischen Audits

Zur Überprüfung der Fähigkeiten der Teilnehmer, reproduzierbare Ergebnisse im

Rahmen eines pharmazeutischen Audits (Erkennung von ABP) zu erzeugen, wurden

insgesamt 13 geriatrisch-pharmazeutisch geschulte ApothekerInnen und PTA einem

Test unterzogen. Dieser umfasste 16 Situationen, in denen insgesamt 23 verschie-

dene Fehlercodes erkannt werden sollten.

Die nachfolgende Tabelle zeigt die Anzahl der korrekt identifizierten Fehlercodes,

sowie die Anzahl der Codes, die darüber hinaus (fälschlicherweise) gefunden wurden

für die einzelnen TeilnehmerInnen.

Tab. 3: Testergebnisse der TeilnehmerInnen

Teilnehmer/in Anzahl korrekt identi-

fizierter Fehler % von 23

Anzahl zusätzlich

gefundener Fehler

I 22 95.7 0

A 21 91.3 4

D 21 91.3 10

F 21 91.3 4

J 21 91.3 0

L 21 91.3 0

M 21 91.3 0

K 20 87.0 2

C 19 82.6 8

H 18 78.3 0

E 17 73.9 5

B 15 65.2 7

G 3 13.0 0

Die nachfolgende Tabelle enthält die deskriptiven Kenngrößen der korrekt und zu-

sätzlich gefundenen Fehler.

Tab. 4: Deskription der korrekt identifizierten sowie zusätzlich identifizierten Fehler

(Ebene der TeilnehmerInnen)

Fehler N Mittel SDA Min 25 %-

Perz. Median

75 %-

Perz. Max

korrekt identifiziert (absolut) 13 18.5 5.1 3 18 21 21 22

korrekt identifiziert (% von

23)

13 80.27 22.00 13.0 78.3 91.3 91.3 95.7

zusätzlich identifiziert 13 3.1 3.5 0 0 2 5 10

Im Median wurden 21 der 23 zu findenden Fehler identifiziert (91.3 %) und zwei zu-

sätzliche gefunden.

TeilnehmerIn G hat extrem schlecht abgeschnitten (nur drei von 23 zu findenden

Fehlern). Es ist fraglich, ob der Test von TeilnehmerIn G korrekt verstanden wurde.

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Die nachfolgende Tabelle enthält die deskriptiven Kenngrößen der korrekt und zu-

sätzlich gefundenen Fehler ohne das Testergebnis von TeilnehmerIn G.

Tab. 5: Deskription der korrekt identifizierten sowie zusätzlich identifizierten Fehler

(Ebene der TeilnehmerInnen, ohne Ergebnisse von TeilnehmerIn G)

Fehler N Mittel SDA Min 25 %-

Perz. Median

75 %-

Perz. Max

korrekt identifiziert (absolut) 12 19.8 2.1 15 19 21 21 22

korrekt identifiziert (% von 23) 12 85.87 9.11 65.2 80.4 91.3 91.3 95.7

zusätzlich identifiziert 12 3.3 3.6 0 0 3 6 10

Im Median wurden 21 der 23 zu findenden Fehler identifiziert (91.3 %) und drei zu-

sätzliche gefunden. Der Mittelwert der korrekt identifizierten Fehler vergrößert sich

von 80.27 (Gesamtkollektiv) auf 85.87 (ohne Teilnehmer/in G).

5.3 UAE

Zur statistischen Auswertung lagen am 29. April 2013 die Daten von zehn Einrich-

tungen vor. Im Zeitraum von April 2012 bis Januar 2013 wurden arzneimittelassozi-

ierte Erkrankungen (Unerwünschte Arzneimittelereignisse, UAE) von insgesamt 703

Heimbewohnern, die zur Datenerfassung ihr Einverständnis gegeben hatten, erfasst

(Ereignisdatum).

Die nachfolgende Tabelle zeigt die Anzahl der Bewohner mit Einverständnis pro Ein-

richtung.

Tab. 6: Bewohner mit Einverständniserklärung pro Einrichtung

Darüber hinaus wurden alle Stürze dieser Bewohner im Zeitraum von April 2012 bis

Dezember 2012 erfasst.

Einrichtung n

A 96

B 43

C 57

D 43

E 38

F 116

G 52

H 99

I 124

L 35

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5.3.1 UAE-Häufigkeiten

5.3.1.1 Einzelfall

In Einrichtung "G" gab es eine Bewohnerin mit 41 UAE (arzneimittelassoziierte Stür-

ze), die damit einen extrem starken Einfluss auf die Ergebnisse hat. Im Mittel wiesen

die anderen Bewohner 1.8 UAE auf. Getrennt nach Quartalen (ohne Januar 2013)

ergeben sich die folgenden Zahlen für diese Bewohnerin.

Tab. 7: UAW Raten getrennt nach Quartal (Einzelfall mit insgesamt 41 UAE)

95%-Konfidenzintervall

Zeitraum Anzahl

UAE

UAE /

100 Heimbewohner-

monate

untere Gren-

ze obere Grenze

April - Juni

2012 27 1.28 0.84 1.86

Juli - Sep-

tember 2012 13 0.62 0.33 1.05

Oktober -

Dezember

2012

1 0.05 0.00 0.26

Im Verlauf führten bei der Heimbewohnerin zwei Stürze zu leichteren Schädigungen

und zwei weitere Stürze zu einem Besuch des Hausarztes.

Durch die gezielte Risikoanalyse und -kommunikation der Apothekerin und der Pfle-

gefachkraft sowie den sich daran anschließenden Interventionen des Arztes wurde

die UAE-Rate und damit das hohe Verletzungsrisiko der Bewohnerin von Quartal zu

Quartal kleiner.

Von den nachfolgenden Analysen wurde diese Bewohnerin ausgeschlossen.

5.3.1.2 UAE-Häufigkeiten aller Heimbewohner

Im Beobachtungszeitraum von zehn Monaten litten 101 Bewohner (14.4 % von 702)

an insgesamt 179 arzneimittelassoziierten Erkrankungen (UAE). Das entspricht einer

Rate von 2.5 UAE pro 100 Heimbewohnermonate (95%-Konfidenzintervall [2.2;3.0]).

Tab. 8: Häufigkeiten der UAE-Arten

Art UAE n %*

Sturz 106 59.2

Instabilität 33 18.4

Kognitionsstörung 15 8.4

gastrointestinale Störung 4 2.2

sonstige 21 11.7

*% von 179

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Der Fokus der vorliegenden Untersuchung lag auf der Intervention arzneimittelasso-

ziierter Stürze. Geriatrisch betrachtet werden die Stürze dem Syndrom der „Instabili-

tät“ zugeordnet. Um die UAE-Erfassung nicht durch weitere ärztlich-diagnostische

Maßnahmen zu erschweren, wurden unter dem Begriff Instabilität hier alle Symptome

von Gangstörungen, Gleichgewichtsstörungen und Schwindel zusammengefasst, die

nicht zu einem Sturz führten.

Tab. 9: UAE Raten getrennt nach Einrichtung

95%-

Konfidenzintervall

Einrichtung Anzahl

UAE

Anzahl

Bewohner

mit UAE

%*

Bewohner

UAE /

100 Heimbe-

wohner-monate

untere

Grenze

obere Gren-

ze

A 5 5 5.21 0.52 0.17 1.22

B 16 12 27.91 3.72 2.13 6.04

C 9 8 14.04 1.58 0.72 3.00

D 8 7 16.28 1.86 0.80 3.67

E 1 1 2.63 0.26 0.01 1.47

F 46 19 16.38 3.97 2.90 5.29

G 52 27 52.94 10.20 7.61 13.37

H 42 22 22.22 4.24 3.06 5.73

I 0

L 0

*Die Prozentzahlen beziehen sich auf die Anzahl der Bewohner pro Einrichtung.

5.3.2 Konsequenzen der UAE

Betrachtet wurden hier insbesondere die Folgen, die für die hochbetagten Senioren,

die pflegerische Versorgung und die Krankenkassen eine erhebliche Rolle spielten.

In 118 Fällen (65,9% von 179 UAE) erforderten UAE eine verstärkte pflegeri-

sche Intervention oder Beobachtung sowie eine entsprechende Dokumentati-

on.

In 35 Fällen (19,6% von 179 UAE) erlitten die Bewohner eine leichtere Schä-

digung.

In 17 Fällen (9,5% von 179 UAE) war ein zusätzlicher haus- oder notärztlicher

Einsatz erforderlich.

In 9 Fällen (5,0% von 179 UAE) wurde ein Krankenhausaufenthalt nötig.

48 Bewohner (47,5 % von 101 Bewohnern) erlitten eine oder mehrere arznei-

mittelbedingte Erkrankungen, die durch eine Überversorgung, d.h. zu viele

Arzneimittel oder eine zu hohe Dosis eines oder mehrerer Arzneimittel, her-

vorgerufen wurde.

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5.3.3 Interventionsergebnisse UAE

Die in den Visitenvorbereitungen erarbeiteten Risikoprofile der einzelnen Heimbe-

wohner wurden während der Visiten durch die verantwortlichen Pflegefachkräfte an

alle betreffenden Haus- und Fachärzte mündlich und schriftlich weitergegeben.

In 136 Fällen (76,0% von 179 UAE) konnten die Haus- und Fachärzte die pflege-

risch-pharmazeutischen Interventionen bisher berücksichtigen.

5.3.3.1 Art der ärztlichen Interventionen

Zu den Aufgaben des geriatrischen Pharmazeuten zählt nicht nur die Detektion kli-

nisch-pharmakologischer UAE und der hauptverdächtigen Arzneimittelrisiken, son-

dern auch die Erstellung eines differenzierten Interventionsplanes, der während der

Visitenvorbereitungen mit den Pflegefachkräften besprochen wird.

Dadurch ist es der verantwortlichen Pflegefachkraft möglich, denjenigen behandeln-

den Arzt, der die stärkste Therapieverantwortung für die betreffende Risikolage des

Patienten trägt, gezielt und effizient anzusprechen.

Die individuelle Risikolage des Patienten erfordert daher eine Priorisierung des ärztli-

chen Fachbereiches, an der sich alle anderen ärztlichen Fachkollegen zum Wohle

des Patienten orientieren sollten (Risikokommunikation Hausarzt – Facharzt). In die-

ser Studie waren dies zumeist Hausärzte und Neurologen.

106 UAE (59,2% von 179 UAE) therapierten die betreffenden Ärzte durch eine Re-

duktion der täglich verordneten

Wirkstoffmengen (Reduktion

der Polypharmazie).

73 UAE (40,8 % von 179 UAE)

wurden von den Ärzten durch

Absetzen der Arzneimittel be-

handelt.

33 UAE (18,4% von 179 UAE)

erforderten eine Dosisredukti-

on.

Bei elf UAE (7,8% von 179

UAE) waren ein oder mehrere

zusätzliche Arzneimittel not-

wendig.

Bei 14 UAE (6,7% von 179

UAE) ordneten die behandeln-

den Ärzte eine verstärkte Be-

obachtung an.

Bei fünf UAE (2,8% von 179 UAE) wurde eine zusätzliche nicht-pharmakologische

Therapie angeordnet.

Abb. 12: Pharmakotherapeutische Interventionen der behandelnden Ärzte von April 2012 – Janu-ar 2013

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Bei 29 UAE (16,2% von 179 UAE) lag zu Ende der Erhebung noch kein Interven-

tionsergebnis vor. Bei 13 UAE (7,3% von 179 UAE) wurde von ärztlicher Seite eine

Therapieänderung abgelehnt.

5.3.3.2 Interventionseffekte und Gesundheitszustand der Heimbewohner

In 100 Fällen (55,9% von 179

UAE) konnte bei 57 Bewohnern

(56,4% von 101 Bewohnern) der

Gesundheitszustand verbessert

oder eine Heilung der arzneimit-

telassoziierten Erkrankung be-

wirkt werden.

In drei Fällen (1,7% von 179

UAE) ergaben sich Zustandsver-

schlechterungen bei den Heim-

bewohnern.

5.3.3.3 UAE-Raten in den Verlaufsphasen des Risikomanagementsystems

Tab. 10: UAE-Raten getrennt nach Quartal

95%-

Konfidenzintervall

Zeitraum UAE [n] Bewohner

[n]

Bewohner

[%*]

UAE/

100 HBM

untere

Grenze

obere

Grenze

April - Juni 2012 72 45 6.41 3.42 2.68 4.31

Juli - September

2012 49 35 4.99 2.33 1.72 3.08

Oktober - Dezember

2012 44 32 4.56 2.09 1.52 2.80

*% von 702

Von Quartal zu Quartal wurden die UAE Raten kleiner. Der Anteil der UAE-Raten

nahm dabei von der Implementierung bis zur Etablierung des Systems von 3,42 UAE

pro 100 HBM um 1,33 UAE pro 100 HBM, also um 38,9 %, ab. Der Anteil der Heim-

bewohner, die UAE erlitten, sank dabei von 45 Bewohnern um 28,9 % auf 32 Be-

wohner.

Abb. 13: Interventionseffekte und gesundheitliche Änderungen bei betroffenen Heimbewoh-

nern von April 2012 – Januar 2013

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5.3.4 Arzneimittelassoziierte Stürze

Stürze und Gangstörungen im hohen Lebensalter stehen häufig im Zusammenhang

mit Risikokonstellationen der Pharmakotherapie. Dabei sind die Sturzursachen fast

immer multifaktoriell, d.h. Arzneimittel und klinisch relevante Arzneimittelinteraktionen

tragen beim geriatrischen Patienten zur Sturzsymptomatik bei, sind jedoch selten die

alleinige Ursache für Gangstörungen bzw. Stürze. Vor allem zwei Faktoren spielen

beim arzneimittelassoziierten Sturz eine Rolle: die kardiovaskulären und neurologi-

schen Effekte der Antihypertensiva und der Psychopharmaka. Hier können beide

Arzneistoffgruppen für sich oder auch in kumulativen pharmakodynamischen Interak-

tionen Einfluss auf die Mobilität des geriatrischen Patienten nehmen.

5.3.4.1 Häufigkeiten der arzneimittelassoziierten Stürze

Im Beobachtungszeitraum von zehn Monaten wurden insgesamt 106 arzneimittelas-

soziierte Stürze von 61 Bewohnern (8.7 % von 702) in zehn stationären Alteneinrich-

tungen von den Apotheken registriert. Das entspricht 1.5 arzneimittelassoziierten

Stürzen pro 100 Heimbewohnermonaten (95%-Konfidenzintervall [1.2;1.8]).

Getrennt nach Einrichtung ergeben sich folgende Zahlen:

Tab. 11: Arzneimittelassoziierte Stürze getrennt nach Einrichtung

95%-

Konfidenzintervall

Einrichtung Stürze

[n] Bewohner [n]

Bewohner

[%*]

Stürze/

100 HBM

untere

Grenze

obere

Grenze

A 1 1 1.04 0.10 0.00 0.58

B 6 5 11.63 1.40 0.51 3.04

C 3 3 5.26 0.53 0.11 1.54

D 2 2 4.65 0.47 0.06 1.68

E

F 20 11 9.48 1.72 1.05 2.66

G 42 22 43.14 8.24 5.94 11.13

H 32 17 17.17 3.23 2.21 4.56

I 0

L 0

*Die Prozentzahlen beziehen sich auf die Anzahl der Bewohner pro Einrichtung.

Abb. 14: UAE-Raten im Zeitverlauf

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5.3.4.2 Sturzfolgen

In 74 Fällen (69,8% von 106 Stürzen) erforderte das Sturzgeschehen eine verstärkte

pflegerische Intervention oder Beobachtung sowie eine entsprechende Dokumentati-

on.

In 23 Fällen (21,7% von 106) erlitten die Heimbewohner kleinere Platzwunden, Beu-

len, Hautabschürfungen, Unruhe und Ängste, ohne dass ein ärztliches Eingreifen

notwendig war.

In sechs Fällen (5,7% von 106) musste ärztliche oder notärztliche Hilfe aufgrund von

Riss- und Platzwunden, größeren Blutergüssen und stärkeren Schmerzen herbeige-

rufen werden.

In drei Fällen (2,8% von 106) war eine Krankenhauseinweisung notwendig.

5.3.4.3 Arzneimittelassoziierte Stürze und Art der ärztlichen Intervention

60 Fälle (56,6 % von 106 Stürzen) therapierten die betreffenden Ärzte durch eine

Reduktion der täglich verordneten Wirkstoffmengen (Reduktion der Polypharmazie).

42 Fälle (39,6% von 106

Stürzen) wurden von den

Ärzten durch Absetzen der

Arzneimittel behandelt.

18 Fälle (17,0% von 106

Stürzen) erforderten eine

Dosisreduktion.

In vier Fällen (3,8% von

106 Stürzen) waren ein o-

der mehrere zusätzliche

Arzneimittel notwendig.

In neun Fällen (8,5% von

106 Stürzen) ordneten die

behandelnden Ärzte eine

verstärkte Beobachtung an.

In zwei Fällen (1,9% von 106 Stürzen) wurde eine zusätzliche nicht-

pharmakologische Therapie angeordnet.

In 20 Fällen (18,9% von 106 Stürzen) lagen zum Zeitpunkt der Erhebung noch keine

Interventionsergebnisse vor.

In elf Fällen (10,4% von 106 Stürzen) lehnten die Ärzte eine Therapieänderung ab.

Abb.15: Pharmakotherapeutische Interventionen der behandelnden Ärzte von April 2012 – Januar

2013

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5.3.5 Verhältnis der arzneimittelassoziierten Stürze an der Gesamtzahl der

Stürze

In den ersten neun Monaten des Beobachtungszeitraums wurden 94 arzneimittelas-

soziierte Stürze von den Apotheken registriert. Im gleichen Zeitraum wurden insge-

samt 517 Stürze von den stationären Alteneinrichtungen registriert. Das entspricht

einem Anteil der arzneimittelassoziierten Stürze an allen Stürzen von 18.2 % (95%-

Konfidenzintervall [15.0%, 21.8%].

Getrennt nach Quartalen (von April 2012 - Dezember 2012) ergeben sich die folgen-

den Zahlen.

Tab. 12: Arzneimittelassoziierte Stürze getrennt nach Quartalen (ohne Januar 2013)

95%-Konfidenzintervall

Zeitraum Stürze arzneimit-

telbedingt [n]

Stürze

gesamt [n]

Quotient

arzneimittelbedingt/

gesamt

untere

Grenze

obere

Grenze

April - Juni

2012 34 142 23.9 % 17.2 % 31.8 %

Juli - Sep-

tember 2012 29 177 16.4 % 11.3 % 22.7 %

Oktober -

Dezember

2012

31 198 15.7 % 10.9 % 21.5 %

*% von 702

Von Quartal zu Quartal wurde der Anteil der arzneimittelbedingten Stürze an allen

Stürzen kleiner. Der Anteil arzneimittelassoziierter Stürze nahm dabei von der Im-

plementierungs- bis zur Etablierungsphase des Systems um 34,3% ab.

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7. Anlagen

7.1 AMTS Merkkarte

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7.2 Naranjo Kausalitätsassessment

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7.3 WHO - Kausalitätsassessment