archithese 4.06 - caad / caao
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archithese33 Episoden über Architektur und Information
Eine Positionierung des CAAD
Computertechnologie – ein Plädoyer für offene Standards
Lars Spuybroek und der flexible Schinkel
Innovative Technologie, traditionelle Arbeitsteilung
Handwerk im Computerzeitalter
Die Programmierte Wand – ein Forschungsbericht
An den Grenzen der Standardisierung
Computerspiele und ihr Einfluss auf die Stadtplanung
Vers un mode de production non-standard
Computing and alternative design proposals
Digital Morphogenesis – a paradigmatic shift
huggen_berger Schulhauserweiterung, Uetikon
David Chipperfield Literaturmuseum, Marbach
4.2006
Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
Revue thématique d’architecture
CAADCAAO
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Leserdienst 156
000_Umschlag 14.7.2006 7:44 Uhr Seite 1
2 archithese 4.2006
E D I T O R I A L
CAAD
Die digitale Revolution hat die Welt verändert und mit ihr die Architektur. Oder zu-
mindest die Architekten: Schwankten Studierende im ersten Semester noch vor ei-
nem Jahrzehnt zwischen kabelgeführter Mayline und einfachem T-Lineal – und
entschieden sich mehrheitlich vorerst für das günstige T-Lineal –, tragen heute alle
einen Laptop unter dem Arm, der mit ungleich höheren Anschaffungskosten ver-
bunden ist. Ohne CAAD (Computer Aided Architectural Design) geht in heutigen
Architekturbüros gar nichts mehr. Mit seiner Hilfe werden Pläne und Visualisie-
rungen gezeichnet, Kraftverläufe und Temperaturschwankungen simuliert, Licht-
situationen getestet, Kosten berechnet und Offerten erstellt. Die Kommunikation
zwischen den am Bau Beteiligten hat sich beschleunigt, die Zusammenarbeit ist
intensiver geworden. Dies bedeutet eine Befreiung von undankbarer Knochenar-
beit und die Möglichkeit, sich auf andere Dinge zu konzentrieren – aber auch, wie
Stefan Jauslins Essay in diesem Heft herausstreicht, eine neue Abhängigkeit der
Architektinnen und Architekten von Softwareherstellern, die verständlicherweise
wenig Interesse daran haben, die Situation zu entschärfen.
Doch inwiefern hat die Digitalisierung des architektonischen Alltags die Archi-
tektur selbst verändert? Sind neoorganische Blobs wirklich das letzte Wort? Wer in
diesem Heft jene spektakulären Bilder sucht, die man im Zusammenhang mit
CAAD zu sehen gewohnt ist, findet statt dessen Texte von Bernard Cache, Neil
Leach und Peter Szalapaj – in den jeweiligen Orginalsprachen – sowie eine Posi-
tionierung des CAAD von Ludger Hovestadt. Hier soll es nicht primär darum gehen,
wilde Formen zu zeigen, die ohne Computer nicht realisierbar gewesen wären.
Vielmehr werden neue Möglichkeiten von Entwurf und Planung untersucht. In
einem Interview legt Lars Spuybroek seine Idee einer neuen Architektur der Kon-
tinuität dar. Der Beitrag von Fabio Gramazio und Mathias Kohler lässt erahnen, was
geschieht, wenn Architektur nicht mehr gezeichnet, sondern programmiert wird –
als Beispiel dient ein Industrieroboter, der mauern kann. Reto Durrer zeigt ein Pro-
jekt für anpassbare städtische Abfallcontainer, welches das Potenzial, aber auch
die Grenzen des parametrischen Entwerfens illustriert.
Mit Mass Customization beschäftigt sich auch Oliver Fritz, der vor allem die Um-
setzung in die Praxis thematisiert: Genaue Planung vorausgesetzt, gibt es heute
dank computerunterstützter Bauproduktion (Computerized Numerical Control )
keinen Preisunterschied mehr zwischen Standard- und Ausnahmeelementen. Dies
beschert der Vorfabrikation ungeahnte neue Möglichkeiten, die nicht zuletzt auch
das konventionelle Berufsbild des Architekten in Frage stellen – zumal sich in der
engen Zusammenarbeit mit Spezialisten und ausführenden Firmen auch die Kom-
petenzbereiche zwischen den Beteiligten verschieben müssten.
Für eine neue Art der Kooperation plädiert auch der Ingenieur Mutsuru Sasaki,
der mittels digitaler Technologie komplexe Tragkonstruktionen für Toyo Ito und an-
dere international tätige Architekturbüros entwirft – obschon sich seiner Meinung
nach, wie er in einem Beitrag von Marco Rossi erläutert, die Art und Weise der
Zusammenarbeit trotz neuer technischer Werkzeuge bisher kaum verändert habe.
Eine ungewöhnliche Perspektive eröffnen schliesslich Friedrich von Borries,
Matthias Böttger und Steffen P. Walz hinsichtlich der Anwendung von Computer-
spielen in der Stadtplanung.
Redaktion
NOX / Lars Spuy-broek: Son-O-House, Son enBreugel, Nieder-lande, 2000–2004Modellstudie
001-009_Editorial.qxp 13.7.2006 14:09 Uhr Seite 2
14 archithese 4.2006
INNOVATIVE TECHNOLOGIE,TRADITIONELLE ARBEITSTEILUNG
Zum Verhältnis von Architekt und Ingenieur Der Ingenieur
Mutsuru Sasaki zeichnet für die Tragkonstruktion vieler wichtiger
Projekte der zeitgenössischen japanischen Architektur verant-
wortlich. Mit den von ihm entwickelten Entwurfstechniken für stati-
sche Strukturen ist es möglich, die Tragkonstruktion frei geformter
Bauten am Computer zu optimieren. Ein Beispiel ist das vor einigen
Monaten fertig gestellte I-Project von Toyo Ito auf der künstlichen
Island City vor Fukuoka. Sasaki vertritt indes die Ansicht, dass sich
die Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur trotz neuer
digitaler Werkzeuge nicht wesentlich verändert habe.
1
Text: Marco Rossi
In europäischen Medien werden die Japaner immer wieder
als technikverrückt dargestellt. Diese Verallgemeinerung
greift zu kurz; und doch scheinen die neuesten, schnellsten
und kleinsten elektronischen Kommunikations- und Arbeits-
geräte in Japan eine grosse Anziehungskraft auszuüben. Zu-
sehends werden Funktionen von Computern auf kleinen por-
tablen Geräten verfügbar. Neuere Mobiltelefone beispiels-
weise sind mit GPS ausgerüstet und zeigen den jeweiligen
Standort sehr genau an – mit dieser Ortsbestimmung lässt
sich auf dem Mobiltelefon dann auch gleich nach Läden oder
Infrastrukturen in der näheren Umgebung suchen und direkt
auf deren Webseiten zugreifen.
Auch fällt es deutlich einfacher in elektronischer Form als
von Hand japanisch zu schreiben: Werden normalerweise ne-
ben zwei japanischen Silbenschriften Tausende von Schrift-
zeichen verwendet, die ursprünglich aus dem Chinesischen
stammen, wird am Computer oder Mobiltelefon ein Wort so
geschrieben, wie man es ausspricht – in römischen Buchsta-
ben oder in einer der beiden Silbenschriften. Am unteren
Rand des Displays erscheinen sofort ein oder mehrere dieser
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Aussprache entsprechende Schriftzeichen, das gewünschte
Zeichen wird ausgewählt und in den zu schreibenden Text
eingefügt. Dabei genügt es, die Zeichen passiv wieder zu er-
kennen; auswendig schreiben können muss man sie nicht
mehr.
In japanischen Architekturbüros kommen Computer als
hilfreiche Arbeitswerkzeuge zum Einsatz, gerade in den dicht
bebauten Städten. Die meisten Büros konzentrieren sich in
oder um Tokio, an möglichst zentraler, guter Adresse. Wegen
der hohen Bodenpreise sind die einzelnen Arbeitsplätze dort
oft sehr klein; dies bestimmt mit, bis zu welcher Grösse reale
Modelle gebaut werden können. Hier haben die auf Compu-
tern darstellbaren 3D-Modellierungen neue Möglichkeiten er-
öffnet, neuen Raum geschaffen.
Organische Formen, rational betrachtet
Mutsuru Sasaki zählt seit Jahren zu den wichtigsten japani-
schen Ingenieuren. Seine Zusammenarbeit mit Toyo Ito an
der Mediathek in Sendai war insofern wegweisend, als dort
die Tragstruktur das orthogonale System verlässt. Seit etwa
sechs Jahren widmet sich Sasaki nun vermehrt frei geformten
Tragwerken. Ein aktuelles Beispiel ist seine Kooperation mit
Sanaa (Kazuyo Sejima + Ryue Nishizawa) beim Learning Cen-
ter der Ecole Polytechnique Fédérale Lausanne.
Sechs Projekte von Sasaki, die in Zusammenarbeit mit
Toyo Ito, Sanaa beziehungsweise Arata Isozaki entstanden
sind, wurden im Sommer 2005 in der Ausstellung flux struc-
ture in der Gallery MA in Tokio präsentiert. Die ausgestellten
Projekte zeigen, wie es Mutsuru Sasaki und vor ihm bereits
Toyo Ito formuliert haben, einen Weg von less is more zu more
is more. Sucht Ito seit einigen Jahren nach einer immer freie-
ren, von der Natur inspirierten Formensprache, so teilt Sasaki
dieses Interesse. Als Ingenieur hat er indes den Anspruch,
auch diese freien, organischen und fliessenden Formen in ra-
tionaler Weise zu behandeln. In den Worten Sasakis müssten
daher die traditionellen, empirisch basierten Methoden für
den Entwurf von Tragkonstruktionen durch mathematisch
basierte ersetzt werden, bei denen sich Mechanik (Rationa-
lität) und Ästhetik (Sensibilität) vereinen. Sasaki ist faszi-
niert von Antoni Gaudí und Heinz Isler, die in ausführlichen
Experimenten das Tragverhalten von Kuppeln oder Schalen
anhand von Modellen studierten.
In seinem Buch Flux Structure schreibt Sasaki: «I won-
dered if a computer could be used for the application of ma-
thematically based mechanical theory to generate structural
shapes for the shape analysis of a real structural design –
wherein it clearly becomes a nonlinear problem.»1 Mit seinem
Team arbeitet er an diversen Methoden, dank denen sich
neue, freie und statisch sinnvolle Formen am Computer ent-
wickeln lassen. Diese Methoden erlauben es zudem, das Trag-
verhalten höchst komplexer Gebäudeformen am Computer
rechnerisch zu kontrollieren und zu optimieren. Im Folgenden
soll exemplarisch der Entstehungsprozess des I-Project von
Toyo Ito in Fukuoka vorgestellt werden, dessen Realisierung
durch eine von Sasaki entwickelte Methode ermöglicht
wurde.
Frei gekrümmte Oberflächen
Beim I-Project handelt es sich um eine Parkgestaltung von
Toyo Ito auf einer künstlich aufgeschütteten Insel in der
Bucht von Fukuoka im Südwesten Japans. Auf Grund der
Nähe zum kontinentalen Festland sind dort vermehrte Wa-
rentransporte und Geschäftsbeziehungen zwischen China,
Korea und Japan zu erwarten. Um eine noch grössere Raum-
knappheit innerhalb der Stadt Fukuoka zu vermeiden, trieben
der Staat, die Stadt Fukuoka und private Investoren die Auf-
schüttung der 400 Hektar grossen Island City voran. Künftig
werden dort Wohn- und Geschäftsbauten entstehen, in deren
Mitte eine Parklandschaft zum öffentlichen Raum werden
soll. Den für die Gestaltung dieses Freiraums ausgeschriebe-
nen Wettbewerb gewann Toyo Ito. Während die Insel noch
kaum bebaut ist, wurde der Park im Herbst 2005 fertig ge-
stellt und im Frühjahr 2006 offiziell eröffnet. Der Entwurf
besteht aus einer künstlichen Topografie von Mulden und
Hügeln, die einen nierenförmigen Teich einfassen. Als auf-
fallendstes bauliches Element heben sich drei Hügel von der
Insel ab, unter denen sich drei Räume für Ausstellungen oder
Gewächshäuser für Pflanzen befinden.
Die formale Idee der Architekten war bereits ausgeprägt,
als die Zusammenarbeit mit Sasaki einsetzte: eine ondulie-
rende Acht, deren innere und äussere Flächen sich an zwei
Stellen verdrehen. Es handelt sich um eine kontinuierliche,
frei gekurvte Schale aus Stahlbeton mit einer maximalen
Länge von 190 Metern, einer maximalen Breite von 50 Metern
und einer Dicke von 40 Zentimetern. «An undulating helical
shape in which the outer surface and the inner surface were
reversed in two places, this is an extremely complex structu-
ral shape with an overall topological continuity between out-
side and inside», so Sasaki. «In this case, Toyo Ito had strong
preferences for particular shapes, so we began by having him
somehow make a physical model of the desired shape, to
which we then applied slight modifications in the areas that
1+2 Modell undLuftaufnahme(beide Bilder aus: ElCroquis, Toyo Ito2001 2005, Nr. 123,S. 294–295)
2
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20 archithese 4.2006
FLEXIBLER SCHINKEL
Material kommt vor der Technik, und die Technik kommt vor
der Idee. Ich führe keine neuen Ideen ein, die interessieren
mich nicht. Aber ich habe neue Techniken eingeführt: Bei al-
len handelt es sich um digitale Prozesse und Prozeduren, und
ich bin überzeugt, dass die Arbeit mit Regeln und Prozessen
uns befähigen wird, mehr architektonische Formen zu erzeu-
gen als uns bisher bekannt sind. So betrachtet ist meine Po-
sition eine Umkehrung: Wir werden Neues haben, wenn wir
das Subjekt soweit wie möglich ausschalten. Wir werden
Neues haben, wenn wir den Maschinen mehr überlassen.
Alte Probleme, neue Instrumente
Der Einsatz digitaler Technologien in Architektur und
Stadtplanung wird generell mit so genannten freien For-
men assoziiert – meist mit neo-organischen Blobs. Im Buch
NOX: Machining Architecture postulieren Sie indes etwas
ganz anderes. Sie definieren topologische Architektur als
eine Architektur der Variation, die durch eine inhärente Sys-
tematik kontrolliert wird. Gemäss dieser Definition sind in
der topologischen Architektur die Beziehungen zwischen
den einzelnen Elementen gegeben, und die Elemente sind
Produkte dieser Beziehungen. Die Form ist also nicht frei
im Sinne von «anything goes», sie ist nicht beliebig, son-
dern das Ergebnis eines streng reglementierten Prozesses.
Genau, Blobs machen mich wahnsinnig. Das ist die schwächs-
te Form der Architektur, das ist Skulpturalismus. Irgendwie
besteht da ein riesiges Missverständnis. Ich versuche, das in
der Semper’schen Terminologie zu erklären. Im Allgemeinen
wird eine Architektur der «Freiform» mit dem Modellieren
von Lehm oder mit dem Aushöhlen von Stein, mit Stereotomie
assoziiert. In Gegensatz dazu ist meine Arbeit absolut tekto-
nisch, nicht skulptural. Der Punkt ist, dass die meisten Kriti-
ker, wenn sie Tektonik hören, Fugen und Nähte in einer nicht
kontinuierlichen Geometrie erwarten. Im Zusammenhang mit
Skulpturalismus dagegen erwarten sie Glätte in einer konti-
In den letzten zehn Jahren hat der Einfluss digitaler Tech-
nologien auf die Architektur stark zugenommen. Dennoch
werden auch heute die meisten Entwürfe auf konventio-
nelle Art und Weise generiert, und der Computer wird le-
diglich eingesetzt, um die Realisierung des Gebäudes zu
ermöglichen – als Zeichnungsinstrument für Pläne und Per-
spektiven, als Rechner für bauphysikalische Simulationen,
bei der Kostenkalkulation, bei der Herstellung vorfabrizier-
ter Einzelteile oder bei der Koordination verschiedener am
Bau beteiligter Spezialisten. In Ihrer Arbeit ist der Compu-
ter jedoch viel mehr als das, er prägt den ganzen Ent-
wurfsprozess. Wie würden Sie die Rolle des Architekten in
diesem Kontext definieren?
Wie Darwin Gott aus der Evolutionstheorie ausgeklammert
hat, möchte auch ich das schaffende Subjekt aus dem Ent-
wurfsprozess heraushalten. Ich bin gegen Kreationismus, so-
wohl bei natürlichen Formen als auch in der Architektur. Es
ist mir bewusst, dass dies ein extremistischer Standpunkt ist
– und um ehrlich zu sein, äussere ich diese Sicht eher als Theo-
retiker denn als Entwerfer.
Auf der anderen Seite gilt es zum Beispiel in Bezug auf
architektonische Typologien überhaupt nicht als extrem, son-
dern als allgemein akzeptierte Meinung, dass die Architektur
mit dem in den Typen verkörperten kollektiven Gedächtnis
operiert und dass ein bestimmter Typus nur durch Kontext
und Ort differenziert wird. Aber eine solche Haltung wird nie
ein evolutionäres Formkonzept zulassen, denke ich; sie wird
nie erlauben, dass neue Typen entwickelt oder erfunden wer-
den, ausser durch Zufall.
Ich dagegen bin der Meinung, dass die Differenzierung
der Form, die in der Biologie «Morphogenese» und im Inge-
nieurwesen «Formfindung» genannt wird, ein weitgehend
materieller Prozess ist, der den Regeln der Interaktion folgt.
Auf Deutsch ist «Formfindung» ein Gegensatz zu «Formge-
bung». Oder in Gottfried Sempers Worten ausgedrückt: Das
Lars Spuybroek im Gespräch mit Judit Solt Lars Spuybroek leitet das Architekturbüro NOX in Rotter-
dam, das seit den Neunzigerjahren das Verhältnis von Architektur und digitalen Technologien erforscht.
Im Gespräch thematisiert er ein neues Verständnis des Architekten als Entwerfer, Gottfried Sempers
Bekleidungsprinzip im Computerzeitalter und die Frage, wie der Einsatz des Computers zu einer neuen,
auf Kontinuität basierenden Architektur jenseits aller vordergründig glatten Blobs führen könnte.
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1 Son-O-House, Sonen Breugel, Nieder-lande, 2000–2004
Kunstwerk imöffentlichen Bereichfür den Industrie-schap Ekkersrijt, inZusammenarbeitmit dem Komponis-ten Edwin van derHeide
An der Autobahnzwischen Son enBreugel und Eindho-ven liegt ein grosserIndustriepark miteinem Bereich fürdie IT- und Neue-Medien-Branche.Das Kunstwerk solldie Identität diesesGebiets stärken – alstechnologischesStatement und alsRaum, wo sichMenschen zwanglostreffen und entspan-nen können. DieKonstruktionermöglicht es, Tönein einer musikali-schen Struktur zuhören und sich auchan der Kompositionzu beteiligen. Sie istInstrument, Partiturund Studio in einem.23 strategischplatzierte Sensorenbeeinflussen die
Musik indirekt.Dieses Klangsystem,komponiert undprogrammiert vomKlangkünstler Edwinvan der Heide,basiert auf Moiré-Effekten bei denInterferenzen engverwandter Fre-quenzen. DerBesucher beeinflusstden Klang nichtdirekt, wie dies beiinteraktiver Kunstoft der Fall ist,sondern die Echt-zeit-Kompositionselbst, welche dieKlänge generiert.Die Partitur ist eineevolutionäreErinnerungsland-schaft, die sich mitdem Verhalten derKörper im Raumentwickelt.
Architektur:NOX/Lars Spuy-broek, Rotterdam;Projektteam: ChrisSeung-woo Yoo,Josef Glas, LudovicaTramontin, KrisMun, Josef Glas,Geri Stavreva, NicolaLammers
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32 archithese 4.2006
Text: Fabio Gramazio und Matthias Kohler
Die digitale Fabrikation erlaubt es, am Computer beschrie-
bene Bauteile direkt maschinell zu fertigen. Sie macht es
möglich, Entwurfsinformationen in Form von Daten und Pro-
zeduren mit der gebauten Architektur zusammenzuführen.
Dadurch verändern sich die Produktionsbedingungen im
Bauwesen. Wie jeder technologische Innovationsschub in der
Architektur erweitert auch die digitale Revolution nicht nur
das Spektrum an Möglichkeiten, sondern sie begründet durch
ihre spezifischen Gesetzmässigkeiten auch ihre eigene Äs-
thetik. Im Rahmen der Assistenzprofessur an der ETH Zürich
sollen die Möglichkeiten des direkten Ineinandergreifens von
Daten und Material und die daraus entstehenden wechsel-
seitigen Beziehungen zwischen Entwurf und Herstellungs-
methoden untersucht werden. Wir definieren für diesen Pro-
zess den Begriff der «Informierung von Architektur».
Um diese neuen Produktionsbedingungen zu untersu-
chen, haben wir im letzten Herbst eine im Architekturkontext
weltweit einzigartige Fertigungseinrichtung auf der Basis ei-
nes Industrieroboters aufgebaut. Dieser bewegt sich auf ei-
ner linearen Achse und hat eine Reichweite von drei Metern.
DIE INFORMIERUNGVON ARCHITEKTUR
Die Programmierte Wand – ein Forschungsbericht Eine neuartige Fertigungseinrichtung an der ETH Zürich ermöglicht
es, das Potenzial der digitalen Fabrikation zu erforschen: Ein entsprechend angepasster Industrieroboter demonstriert die
additive Fertigung von nicht standardisierten Bauteilen am Beispiel von Backsteinmauern.
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Dadurch ist er in der Lage, Bauteile im Massstab eins zu eins
bis zu einer Länge von acht Metern zu erstellen. Der For-
schungsschwerpunkt liegt in der additiven Fabrikation von
nicht standardisierten Bauteilen.
Additive Fabrikation könnte vereinfacht als dreidimensio-
nales Druckverfahren für Bauteile beschrieben werden. Diese
Herstellungstechnik produziert keinen Abfall, weil das Bau-
material genau dort abgelegt wird, wo es gebraucht wird.
Durch das gezielte Einweben von Information ist eine Kont-
rolle der funktionalen Eigenschaften bis in das Innere des
Bauteils möglich. Architektur kann also bis auf die Ebene des
Materials «informiert» werden. Das Interessante und Nach-
haltige an diesem Prinzip ist die grundsätzliche Verwandt-
schaft mit den meist additiven Konstruktions- und Materiali-
sierungsprinzipien gebauter Architektur.
Im März dieses Jahres wurde das Potenzial dieses Ansat-
zes erstmals getestet. Im Rahmen des vierwöchigen Diplom-
wahlfachs «Die Programmierte Wand» erhielten Studierende
der Architektur die Aufgabe, eine reale Backsteinwand von
drei Metern Länge und zwei Metern Höhe mit dem Roboter zu
gestalten. Jedem klassischen Mauerwerkverband liegt im
Prinzip ein einfacher Algorithmus zu Grunde. Die Studieren-
den konnten daraus Kriterien für den Aufbau, die Standfes-
tigkeit und die Verbundwirkung einer Backsteinwand ablei-
ten und aus diesen Kriterien die Regeln für die Programmie-
rung ihres Entwurfs herleiten. Da es für den Roboter – im
Unterschied zum Maurer – keine Rolle spielt, mit welchem
Winkel er einen Backstein ablegt, konnten die Studierenden
diesen neuen Freiheitsgrad in ihrer Entwurfsstrategie krea-
tiv nutzen. Die aus diesem Prozess entstandenen gebauten
Wände beinhalten sowohl die archaische Präsenz des Mate-
rials als auch die differenzierten Eigenschaften ihrer proze-
duralen Gestaltung. Durch die Anreicherung mit Information
entstand aus einem altbekannten, bewährten Element der
Bauindustrie ein neues, in dieser Form unbekanntes archi-
tektonisches Bauteil.
Autoren: Fabio Gramazio und Matthias Kohlersind Inhaber des Architekturbüros Gramazio &Kohler in Zürich. Seit Oktober 2005 bauen sie amDepartement Architektur der ETH Zürich dieAssistenzprofessur für Architektur und DigitaleFabrikation auf.
Projektteam «Die Programmierte Wand»:Professur: Fabio Gramazio, Matthias Kohler;Assistenz: Tobias Bonwetsch, Daniel Kobel,Michael Lyrenmann; Studierende: MatthiasBühler, Michael Knauss, Leonard Kocan, SilvanOesterle, Gonçalo Manteigas, Dominik Sigg;Industriepartner: Keller AG Ziegeleien
Roboter im Einsatzund verschiedeneErgebnisse(Fotos: Architekturund Digitale Fabri-kation, ETH Zürich)
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34 archithese 4.2006
Parametrisches Entwerfen am Beispiel städtischer Abfallcontainer Wenn sich das Objekt dem System unter-
ordnet, anstatt dass sich das System dem Objekt anpassen muss, wird eine Optimierung auf beiden Seiten mög-
lich. Neue Generationen von Stadtmöblierung demonstrieren, wie Serien von standortspezifisch variablen Objek-
ten eingesetzt werden können.
AN DEN GRENZENDER STANDARDISIERUNG
1
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1 Aufsicht desparametrischen 3D-Modells
2 Kunststoffmo-delle von Contai-nern im Massstab1:10, hergestellt mit einer CNC-Milling-Maschine.Die Formen wurdenmit dem assozia-tiven Entwurf aufGrund von Para-metern verschiede-ner Standorte in der Innenstadt vonRotterdam generiert
Text: Reto Durrer
Der erste einheitliche Abfallcontainer wurde 1875 zur Ent-
sorgung der Asche von Heizungen in London eingeführt, was
eine effiziente Organisation der städtischen Müllabfuhr er-
möglichte. Seither hat er sich laufend modernisiert und ist –
entsprechend der gestiegenen Abfallproduktion unserer
postindustriellen Gesellschaft – für das Funktionieren der
Städte immer bedeutender geworden. In vielen europäischen
Städten werden heute Sammel- und Recyclingcontainer für
Haushaltsmüll im öffentlichen Raum installiert: Anstatt
Säcke in den Strassen zu deponieren, bringen die Städter Ab-
fall, Altpapier und Altglas unabhängig vom Fahrplan der
Sammelfahrzeuge zur nächsten Entsorgungsstelle in der
Nachbarschaft. Das Abfallmanagement der Stadt Rotterdam
beispielsweise, das weltweit zu den effizientesten gehört,
platziert Container innerhalb einer Reichweite von 70 Metern
ab jeder Wohnungstür. Somit verteilen sich in der städtischen
Landschaft ca. 5000 Objekte, die in verschiedenen Systemen
wie Netzwerk, Mechanismus, Identifikation, Betrieb und
Unterhalt funktionieren. Was der heutige Container indes im-
mer noch mit dem historischen Londoner dustbin gemeinsam
hat, ist die Idee der Standardisierung.
Neuere und immer grössere Modelle, die in einen Schacht
im Boden eingelassen sind, bieten mehr Kapazität und neh-
men weniger Platz im Strassenraum in Anspruch. Da sie
jedoch zu einem Zeitpunkt eingeführt werden, zu dem die In-
frastruktur in den Strassen und im Erdreich bereits sehr dicht
ist, lassen sie sich mit ihren festen Abmessungen nur selten
ideal platzieren. Besonders in Altstadtzentren ist es schwie-
rig, den optimalen Standort zu realisieren, der zum Beispiel
nahe beim Eingang eines Supermarktes liegen würde. Häufig
müssen anstelle der bevorzugten Untergrundcontainer meh-
rere kleinere, überirdische Modelle platziert werden – oder
der Standort wird um die Ecke verlegt, wo der Recyclingcon-
tainer schlechter frequentiert wird. Ein weiteres Problem ist
die Auslastung. Während einzelne Behälter schnell überfüllt
sind, bleiben andere praktisch unbenutzt: Im Durchschnitt
sind die Container zum Zeitpunkt ihrer Entleerung nur halb
voll. Da die städtischen Betriebe aber nicht die Container,
sondern nur den Fahrplan variieren können, lässt sich die Ef-
fizienz des Entsorgungssystems nur noch bedingt optimieren.
Umkehrung des Prinzips
Die Einführung von individuell anpassbaren Containern als
eine standortspezifische Serie von Objekten würde dieses
Prinzip umkehren. Auf diese Weise könnten die ideale Route
und der Fahrplan der Sammelfahrzeuge festgelegt und der
ideale Standort für die Container zuerst bestimmt werden;
dann würden die Container so angepasst, dass sie den je-
weiligen räumlichen und betrieblichen Anforderungen ent-
sprechen.
Für das Design, die Anpassung und die Herstellung ent-
sprechender Objekte stellen sich anspruchsvolle, aber lös-
bare Probleme. Interessant und ökonomisch realistisch wird
die Anfertigung der erforderlichen Anzahl von Unikaten
durch die Technologie des assoziativen Designs, verlinkt mit 2
034-039_Durrer_Container.qxd 13.7.2006 13:20 Uhr Seite 35
56 archithese 4.2006
Computing and alternative design proposals The design process in architecture is changing
in response to the pervasive influence of digital technologies, and increasingly so because of
their role in the exploration of alternative design proposals. This represents a move away from
their traditional role in the presentation of completed design schemes. Digital representations
are central not only to form generation and structural analysis, but also to the integration of
fabrication and construction directly with the earlier design stages. It is becoming increasingly
feasible to develop a rapid succession of distinct digital models, some of which in turn generate
prototypical physical counterparts, in early design stages. These can be tested and evaluated
with respect to a range of analytical criteria, and the results of these analyses can affect further
model development thus forming a cyclical process of 3D digital model generation.
DIGITAL REALITY
curvilinear form, but also to resolve the structural issues aris-
ing from that form.
Early computer-aided design (CAD) systems allowed the
expression of the rectilinearity and orthogonality often found
in modernist architecture. More recent developments in digi-
tal representations of curved surfaces, however, have enabled
support for more sculptural approaches. Digital technologies
in contemporary architecture are therefore becoming more
neutral in terms of the range of visual design expressions that
they offer. Designers can now focus on exploiting computing
environments for the purposes of digital exploration rather
than for mere presentation.
Some digital technologies allow designers to re-connect
with the material aspects of traditional design processes in
the form of sketches and physical models. This material con-
nection is sometimes referred to as an associative architec-
ture,1 and is concerned with the relationships between geo-
metric control points in CAD modelling environments and the
computer numerically controlled (CNC) instructions needed
to fabricate components. Support for digital exploration is bas-
ed upon a combination of factors which include developments
Text: Peter Szalapaj
The process of exploration of design ideas involves the reso-
lution of tangible design criteria such as topography, form,
structure, and environmental control. Historically, this pro-
cess has included different ways of thinking about structural
and constructional systems. Movements such as Art Nouveau
at the end of the 19th century, for example, emphasised deco-
rative aspects. In 1908, Adolf Loos famously associated orna-
mentation with crime. The subsequent Bauhaus approach in
the 1920s attempted to avoid the use of decorative features,
and instead focused on construction systems with internal
structural frames allowing flexible plan and facade arrange-
ments. In the latter case, therefore, structure determines
form. This approach was refined by many modernist archi-
tects including Gerrit Rietveld and Le Corbusier. Charles
Eames aimed to design affordable housing through the use of
prefabricated standardised parts. In 1959, ten years after the
Eames House, Frank Lloyd Wright adopted a sculptural ap-
proach to the design of the Guggenheim Museum in New
York. More recently, in Frank O. Gehry’s architecture, digital
technologies have been used not only to represent proposed
056-061_Szalapaj 13.7.2006 13:23 Uhr Seite 56
57
in digitisation and digital sketching technologies;2 the ana-
lysis of digital models using integrated simulation software;3
the ability to express parametric relationships.4 The interac-
tion with physical models is supported through rapid proto-
typing5 and digital fabrication technologies.6
Sketching
Developments in digital sketching technology, combined
with the direct manipulation of 3D digital models, represent
an important trend in the digital input of design schemes. Im-
mediacy of digital sketch modelling is achieved at the ex-
pense of technical detail and textural information so that spa-
tial design concepts become the focus of attention. The trans-
lation of sketches into a digital format is a process that needs
to be repeated when design proposals change. Imprecise and
intuitive forms of digital input support and stimulate design-
ers’ creativity. The emphasis on expression and communica-
tion allows fast exploration of design alternatives.
Frank O. Gehry’s design process has been well documen-
ted,7 and typically begins with consultations with clients,
sketching and physical modelling. When a proposal is ready
to be taken further, the corresponding physical model (often
made from polystyrene) is digitised in 3D, and then further
developed as a digital model.
Suggestions for more direct methods of digital sketching,
exploiting the customisation of graphical input devices, have
been made.8 Customisation allows users to associate mean-
ings with data that has been digitally captured. The idea of
digital sketch modelling, in which the role of digital tech-
niques is to support and preserve key sketch design ideas as
they evolve and develop, is an important research issue.
CAD / CAM
Rapid prototyping technology allows designers to create
rough design models through what is essentially a digital
sketch modelling process. Digitally produced prototypes can
form the basis for later fabrication processes. The structural
system on the Eden project in Cornwall, UK, for example,
used prefabricated hexagonal components as the primary
structural elements (archithese 6.2002). Geodesic forms are
particularly suited to the fabrication of modular components
that map onto their geometries. A series of intersecting
1 From digitalpresentation todigital exploration
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2
056-061_Szalapaj 13.7.2006 13:23 Uhr Seite 57
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