archithese 6.11 - festarchitekturen / architecture & celebration

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archithese Das Feste und das Fest Räume des Spektakels Spanish Fiesta as a political urban tool Eucharistische Blickmaschinen des Barock Festliches Licht Gesichtsverlust der Architektur Bühnenzauber und Liebestod – Olympia 1936 Höhenrausch.2 Rummelmanifest Jane’s Carousel, Jean Nouvel Stadtfeste in Indien Monsoon Club, Serie Architects Zwanzig Jahre Clubkultur in Berlin Diller Scofidio + Renfro Lincoln Center, New York Max Dudler Erweiterung und Umbau Hambacher Schloss 6.2011 Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur International thematic review for architecture Festarchitekturen Architecture & Celebration

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architheseDas Feste und das Fest

Räume des Spektakels

Spanish Fiesta as a political urban tool

Eucharistische Blickmaschinen des Barock

Festliches Licht

Gesichtsverlust der Architektur

Bühnenzauber und Liebestod – Olympia 1936

Höhenrausch.2

Rummelmanifest

Jane’s Carousel, Jean Nouvel

Stadtfeste in Indien

Monsoon Club, Serie Architects

Zwanzig Jahre Clubkultur in Berlin

Diller Scofidio + Renfro Lincoln Center, New York

Max Dudler Erweiterung und Umbau Hambacher Schloss

6.2011

Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur

International thematic review for architecture

FestarchitekturenArchitecture & Celebration

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E d i t o r i a l

Festarchitektur

Auf den ersten Blick mag es erstaunlich erscheinen, fernab der Zeiten einer Hoch-

konjunktur ein Heft über Feste vorzulegen – steht doch das Fest im allgemeinen

Verständnis für Überschwang, Opulenz, Luxus und Müssiggang und benötigt ei-

nen zu feiernden Freudengrund.

Doch nicht allein weil dieses Heft in die Weihnachtszeit fällt, sehen wir die Wich-

tigkeit, einmal das Fest und seinen architektonischen Ausdruck im weitesten Sinne

zu untersuchen. Die das Jahr 2011 markierenden Protestwellen bezeugen, dass das

öffentliche Fest keineswegs von der Welt losgelöst ist, sondern im Gegenteil hoch-

politischer Ausdruck. Das Hambacher Fest aus der Zeit des deutschen Vormärz

(1832) und die Fête de la Fédération zum ersten Jahrestag des Sturms auf die Bas-

tille (1790) verankern diese Beziehung in der Geschichte. Wenn Politik für das Volk

wichtiger wird, so gibt es Gründe für Zusammenkünfte, für Feiern und Proteste.

Doch wie steht es um die Relevanz des Festes in Bezug auf die Architektur?

Bislang wurde das Fest in seiner Bedeutung zumeist auf Pavillons, Expos und das

gegenreformatorische barocke Zeitalter reduziert. In diesen Refugien war das Fest

erlaubt, hier wurde es isoliert von der ernsten, eigentlichen Architekturproduktion

– und somit seiner Relevanz entkleidet. Wer Farbe, Rausch und Flüchtigkeit suchte,

durfte sich in die Geschichte retten oder sich auf den zeitgenössischen Festwiesen

tummeln.

Diese Isolationshaft steht im Widerspruch zum landläufigen Verständnis: Feste

sind überwiegend positiv konnotiert, markieren Momente des Erfolgs – wenn auch

mitunter verschleiert vom Kater danach. In der Architektur allerdings herrscht

schon davor Katharsis: statt Rausch die graue Stadt. Doch würde jemand auf die

Frage nach der Lieblingsfarbe antworten: Grau? Dazu geschlossene Körper, ge-

prägt von Gitter- und Lochfassaden: ähnlich unattraktive Worte, die wir wählen,

um vermeintlich städtische Ideale zu bezeichnen. Warum also wird das farbige,

bunte, geschwungene Fest mit seiner heiteren Musik, mit seinem Schmuck, mit

seinem Glanz, mit der Hingabe zum Ausdruck, mit seinem Luxus – mal teuer, mal

billig imitiert – nicht mehr in die Architektur gelassen? Wegen der fehlenden Serio-

sität? Wegen stilistischen Querulantentums? Früher bildete sich der Lorbeerkranz

als Festschmuck für städtische Paraden dauerhaft im steinernen Ornament der

repräsentativen Fassaden ab – es war der Höhepunkt im Ausdruck wie im Leben,

den es zu erhalten gab.

Dieses Heft hat zum Ziel, den kreativen, stilistisch unzensierten Reichtum wie-

der etwas näher an die Architektur heranzuführen. Architektur ist keine herme-

tisch-autistische Disziplin und unterliegt keinem dauerhaften Stildiktat. Sie hat

eine enge Beziehung zum Menschen und ist daher ebenso veränderlich. Kaum

anderswo ist der freie menschliche Schaffensausdruck so direkt und gleichsam

virtuos wie im Fest– es wäre verächtlich, dies nicht ernst zu nehmen.

Die Redaktion wünscht frohe Festtage!

Redaktion

Architektur und Fest (Montage: Hannes Mayer)

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A R c h i t e k t u R A k t u e l l

Superblock für die Hochkultur

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DAs lincoln centeR nAch Den eingRiffen

von DilleR scofiDio + RenfRo

Das Lincoln Center krankt am eigenen Mass-

stab und seiner Monofunktionalität. Wenn er

nicht dem abendlichen Opern- und Konzert-

publikum als Aufmarschplatz dient, ist der

architektonisch autistische Komplex sich

selbst überlassen. Seine Therapie durch Diller

Scofidio + Renfro erfolgte nicht ohne Kompli-

kationen: Ehrgeizig, jedoch verzettelt führen

ihre Massnahmen zu Konflikten mit der dem

spätmodernen Ensemble eigenen Festlichkeit.

elizabeth Diller und Ricardo scofidio blicken auf

eine lange, new-York-typische Architektenkarriere

zurück: ihre Arbeit bewegte sich im Bereich von

installation und Bühnenbild, zuweilen im Dunstkreis

von konzeptkunst, Performance und Mode. Beide

an der cooper union ausgebildet und während

der Ära John heyduk lange an der schule lehrtätig,

besetzten sie erfolgreich eine nische innerhalb der

geschützten Zone, wie sie für grosse teile einer

vor allem akademisch tätigen Architektenszene in

den usA bestimmend war und immer noch ist.

Doch in den vergangenen Jahren haben sich Dil-

ler + scofidio, seit 2004 verstärkt durch ihren Partner

charles Renfro, als ein Büro durchgesetzt, das gros-

se öffentliche Aufträge wie das 2006 fertiggestellte

Boston institute of contemporary Art durchführt.

Als Wendepunkt von kleinen zu grossen Aufträgen

kann das Blur Building in Yverdon-les-Bains, das

Wahrzeichen der expo.02., gesehen werden, mit

dem Diller + scofidio gleichsam in kontinentaleuropa

erste Bekanntheit erlangten.

im gleichen Jahr gewannen sie einen studien-

auftrag zur sanierung und ergänzung des lincoln

center in Midtown Manhattan. Als standort der

Metropolitan opera bekannt, handelte es sich bei

seiner Realisierung zwischen 1959 und 1969 um das

weltweit grösste Zentrum für darstellende künste.

Rund um das opernhaus als monumentalem herz-

stück wurden damals Balletttheater, Philharmonie,

kammermusiksaal, Musikkonservatorium, Ballett-

schule und ein weiteres sprechtheater sowie die

library for the Performing Arts zu einem spätmoder-

nen superblock vereinigt. im süden schliesst ferner

der campus der fordham university an, die hier in

den fünfzigerjahren die gelegenheit erhielt, vom ent-

legenen standort im stadtteil Bronx nach Manhattan

zu überzusiedeln.

trotz dieser nutzungsmischung blieb das lin-

coln center stadträumlich stets isoliert und unnah-

bar. Die mit solitärbauten bestückte Plaza über ei-

nem garagensockel verkörperte das strahlende Bild

der kurzen Blüte technokratischer stadtplanung in

den usA. von einem schillernden team entworfen,

1 Blick über die North Plaza in Richtung Hypar Pavilion. Im Hintergrund die Juilliard School (Fotos 1, 4 –10: Iwan Baan)

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Spanish Fiesta as a political urban tool It is normally thought that Spain

is always partying. In the collective imaginary of western culture, Spain is the

sanctuary of homo ludens, the land where parties proliferate on almost every

corner and major public events are held to celebrate anything imaginable: the

festivity of a certain Saint, the harvest of grapes, the three Wise Men, the feast

of a Virgin, the Spring Festival, Carnival, Easter, the April Fair, May Cross, the

Patios festival, Corpus Christi ...

YES, WE PARTY

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2

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Authors: Francisco González de Canales and Nuria Álvarez

Lombardero with María Aguilar Alejandre

Spain is a monstrosity in light of the political correctness

and glorified labour efficiency of unified Europe. The western

corner of Europe – where Hercules left his columns to mark

the end of the world – has become a repository for the inad-

missible, gathering together everything that may disturb and

disrupt what is commonly accepted as good, balanced, rea-

sonable and appropriate. Spaniards are commonly imagined

as lying lazily half naked under the sun, drinking cheap tinto

de verano, speaking loud, sweating for hours under strident

music, and preferably restraining themselves from doing any-

thing of profit for as long as possible. Visitors to Spain expect

to merge into the crowds of popular celebrations, running

totally drunk and dirty through towns followed by San Fermín

bulls, throwing tomatoes like crazy in the Tomatina or firing

noisy bangers to scare the kids in Fallas. In the conscious-

ness of Europe, Spain represents a mix of sensuality and re-

pulsion, a forgotten Dionysian rite that seems to bring back

the dark origins of Mediterranean civilization, where disgust

and truth are difficult to separate.

If this monstrous Spain were to be named the Cyclops of

Europe, Andalusia would be its eye. At the heart of Spain’s

most celebrated folklore, Spaniards complain about Anda-

lusia as much as they do about the economic crisis. How

is it possible to have all these endless parties, more public

holidays than any other region, while having staggering un-

employment rates? It is a shame for the country! A Catalan

politician said quite recently that the ruin of Spain was that

Andalusians were always at the bar. Soon buried beneath a

1 Tomatina in the Village of Bunol (Photos 1, 3, 4, 8 – 12: Archive Francisco Gonzáles de Canales)

2 Women in typical Sevillana dresses in front of the «case-tas» at the Feria de Abril in Seville 2006 (Photo: REUTERS / Marcelo Del Pozo)

3 + 4 Feria de Abril, Seville

46 archithese 6.2011

Zu eucharistischen Blickmaschinen des Barock

In den Jahren 1640 und 1646 inszenierten die

Jesuiten in der römischen Kirche Il Gesù das

Sakrament der Eucharistie mithilfe aufwendiger

Festarchitekturen. Diese sogenannten Quarant’ore-

Apparate waren festlich mediale Anreize für einen

sanktionierten Animismus, der auf die Verteidi-

gung der durch den Protestantismus angegriffenen

Realpräsenz Christi fokussierte und nebenher kir-

chenpolitische Inhalte transportierte.

EphEmErE präsEnz

Text: Joseph Imorde

1640 liess eine jesuitische Kongregation zum hundertsten

Jahrestag der Bestätigung des Ordens in der römischen

Kirche Il Gesù eine besonders aufwendige Festarchitektur

errichten – eine Attraktion, die die Gläubigen während des

römischen Karnevals von den Vergnügungen der Strasse

abziehen und den Gnadenquellen der Katholischen Kirche

zuführen sollte. Im Zentrum des riesigen Aufbaus stand der

real präsente Christus in Form einer konsekrierten Hostie.

Die gesegnete Brotscheibe wurde für vierzig Stunden – für

quarant’ore – zur Anbetung – ausgesetzt, wie es heisst. Der

apparato oder auch die machina, die ein zeitgenössischer

Stich zeigt, war circa 40 Meter hoch, 35 Meter breit und 15

bis 20 Meter tief und füllte damit den gesamten Chor der

römischen Jesuitenkirche aus.

Der Aufbau bestand vor allem aus kunstvoll in die Tiefe

gestaffelten Leinwänden, die an einer komplex organisierten

Tragkonstruktion befestigt waren. Was die Begriffe apparato

oder machina für diesen und andere vergleichbare Prospekte

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späterer Jahre rechtfertigte, war die Tatsache, dass hinter

den farbig gefassten Leinwänden unzählige Lichter verbor-

gen waren, die dafür Sorge zu tragen hatten, den für das

vierzigstündige Gebet gänzlich verdunkelten Kirchenraum

scheinbar aus einem einzigen Punkt zu beleuchten, nämlich

aus der Eucharistie. Wie man dem zum Anlass erschienenen

Festbericht des Autors Antonio Gerardi entnehmen kann,1

kamen mehr als viertausend Lichter zum Einsatz. Dabei han-

delte es sich einerseits um Kerzen, deren Schein die teilweise

diaphanen Leinwände – ähnlich wie etwa bei den späteren

Dioramen – von innen erhellten, und andererseits um unzäh-

lige Öllampen, die ihr durch Spiegel verstärktes und teilweise

durch farbige Glasscheiben temperiertes Licht auf die tiefer

liegende Bildschicht werfen sollten.

Wie diese Lichtführung und damit auch Blicklenkung vor-

genommen wurde, lässt sich einem Lehrbuch zur Perspektiv-

malerei entnehmen, nämlich der perspective practique des

französischen Jesuiten Jean Dubreuil, das zwischen 1642

und 1649 in drei Bänden erschien.2 In einer Illustration des

dritten Bandes findet sich die schematische Anleitung zur

Herstellung eines Altaraufbaus, die bemerkenswerterweise

auch den Aus- oder besser vielleicht Einblick in eine mit En-

geln besetzte Wolkenszenerie zeigt.

Antonio Gerardi berichtete in seiner achtseitigen Rela-

tione del solenne Apparato vor allem von dem Erfolg, den

diese riesige Blickmaschine beim gläubigen Publikum hatte.

Eröffnet wurde das Quarant’ore-Gebet am Sonntag, dem

17. Februar 1640, mit einer Messe, in der man die später

anzubetende Hostie in feierlichster Weise konsekrierte. Vor

siebzehn Kardinälen und einer gewaltigen Menschenmenge

senkte sich nach dem Gottesdienst ganz langsam ein Vor-

hang aus roter und gelber Seide herab, um den Blick auf die

strahlende machina und vor allem auf die in der Mitte ausge-

setzte Eucharistie freizugeben. Um die Wirkung des künstli-

chen Lichtes zu verstärken, wurden, noch während der Vor-

hang fiel, in der Kirche alle Fenster mit schwarzen Tüchern

verhängt. Was dem Berichterstatter besonders auffiel, war

die Tatsache, dass von den mehr als viertausend Lichtern

kein einziges vom Kirchenschiff aus zu sehen war. Allein

das Durchscheinen und der Widerschein des den Gläubigen

wortwörtlich verborgenen Lichtes erhellte das Gotteshaus,

wobei es schien, als sei die Eucharistie die sonnengleiche

Quelle dieser Helligkeit.

Um die beeindruckende Lichtwirkung der wie aus sich

selbst heraus leuchtenden machina für die Zeit des Gebets

aufrechtzuerhalten, waren mehr als vierzig Personen ange-

stellt worden. Deren Aufgabe bestand zum einen darin, die

vielen Kerzen zu ersetzen und die Öllampen immer wieder

nachzufüllen, doch waren sie zum anderen auch dazu aufge-

boten worden, Wache zu halten, um im Falle des Falles das

Ausbrechen einer Feuersbrunst rechtzeitig zu verhindern.

Nicht wenigen hochgestellten Persönlichkeiten – so wusste

der Berichterstatter – war es ermöglicht worden, einen Blick

hinter die Kulissen des kolossalen teatro sacro zu werfen.

Dieser Blick auf die innere Organisation verzauberte dabei

ebenso wie der auf das äussere Erscheinungsbild, denn eine

wohldurchdachte und symmetrisch angelegte Konstruktion

kam da zum Vorschein, die die privilegierten Betrachter be-

sonders durch die Anlage der verschiedenen Ebenen und

durch die diversen Vor- und Rücksprünge der Gemälde in

grösstes Erstaunen versetzte. Bewundernswürdig fand man

auch die vielen wohl angeordneten Treppen, die einerseits

den Helfern erlaubten, ihrer Arbeit vollkommen unbemerkt

vom Publikum und weitestgehend geräuschlos nachzugehen,

andererseits aber den Besuchern ermöglichten, alles genau

in Augenschein zu nehmen und selbst die Decke des Gesù

zu berühren.

Was der Prospekt dem betenden Normalgläubigen inhalt-

lich darbot, war die bekannte biblische Historie vom zwei-

ten Herabsteigen Moses’ vom Berge Sinai, aufzufinden im

Kapitel 34 des Buches Exodus. Auf dem Berg hatte der in

einer Wolke verborgene Gott Moses vierzig Tage und vierzig

Nächte lang die Zehn Gebote in die Gesetzestafeln meisseln

lassen, was deutlich genug auf die vierzig Stunden des Ge-

betes anspielte. Bemerkenswerterweise wurde der in der

1 Niccolò Menghini: Quarant’ore-Apparat in der Kirche Il Gesù, Rom 1640 (Abbildungen: Archiv Joseph Imorde)

2 Illustration aus: Jean Dubreuil, La perspective practique, III, Paris 1649

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Die Olympischen Spiele in Berlin 1936 Das heissblütig-freudige Fest des höfisch-luxuriösen Überschwangs als Aus-

druck der Überlegenheit wandelte sich mit dem Propagandawerk des Dritten Reichs zu einer kühl-perfektionistischen

Stimmungsproduktion unter Regie von Riefenstahl und Speer. Freudlos, aber beindruckend.

BühnenzauBer und LieBestod

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Text: Florian Dreher

Mit der Entscheidung des IOC von 1931, die Olympischen

Spiele nach Berlin zu vergeben, sollte der jungen Demokratie

der Weimarer Republik der Wiedereinstieg in die Völkerge-

meinschaft nach der Niederlage des Ersten Weltkriegs er-

leichtert werden.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten durch die

Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler 1933 sollte aus

heutiger Warte diese hehre Vorstellung alsbald durchkreu-

zen. Nach anfänglichem Desinteresse formierten sich rasch

Pläne, aus den Sportwettkämpfen eine gigantische Propa-

gandainszenierung der nationalsozialistischen Ideologie zu

veranstalten: Als Austragung von Wettkämpfen boten die

Spiele jene Bühne, auf der Nazi-Deutschland gegenüber den

anderen Nationen die vermeintliche Stärke und Überlegen-

heit der arischen Rasse demonstrieren konnte. Kurz zuvor

war Sport integraler Bestandteil des NS-Körperkults und des

Rassenwahns vom «neuen arischen Menschen» geworden.

Als spielerisches Instrumentarium wurde die sportliche Be-

tätigung in den Alltag von Hitlerjugend und dem Bund Deut-

scher Mädel, eigentlich zur Kriegsvorbereitung, eingeführt

– Kampfeswille und Siegesdurst wurden antrainiert. Von der

wiedergekehrten militärischen Grösse Deutschlands konnte

man sich bereits 1935 beim Testeinsatz im Spanischen Bür-

gerkrieg zur Unterstützung General Francos überzeugen.

Preussischer Stil oder: Neue Ruinen für den Führer

Auf den Fundamenten des Deutschen Stadions aus dem Kai-

serreich sollte nun im Westen Berlin-Charlottenburgs nach

Plänen von Werner March die neue zentrale Austragungs-

stätte für die Olympischen Spiele entstehen. Marchs Entwurf

einer filigranen Stahlbetonkonstruktion genügte in seiner

Anmutung und Wirkung jedoch nicht dem neuen Selbstver-

ständnis einer Architektur für das Tausendjährige Reich. Al-

bert Speer, nach dem Tode Ludwig Troosts inzwischen zu

Hitlers Reichsarchitekt aufgestiegen, bewirkte, dem Stadion

durch eine nachträgliche Granitverkleidung das monumen-

tale Antlitz einer antiken Arena zu verleihen. In seiner neuen

Erscheinung folgte es in Ausdruck und imposantem Ewig-

keitsanspruch Speers Verständnis einer Ruinenästhetik von

erhabener Grösse.

Albert Speer, ehemaliger Assistent von Heinrich Tesse-

now an der Technischen Hochschule Charlottenburg, sah

sich als Architekt in der Nachfolge Schinkels und als dessen

legitimen Erben, denn kein weiterer Architekt nach Schinkel

hätte bisher einer Epoche seinen Gestaltungswillen in dieser

Pracht und Blüte aufzwingen können.1 Er verpflichtete sich

der Tradition der Berliner Klassizisten und versuchte durch

die Abkehr vom Münchener Klassizismus eines Leo von

Klenze den Preussischen Stil – wie zuvor von Arthur Moeller

van den Bruck in seiner 1931 erschienenen Publikation gefor-

dert – zum Nationalstil zu erheben. Mit Friedrich Gillys legen-

därem Denkmal für Friedrich den Grossen auf dem Leipziger

Platz wurde das Sinnbild jenes neuen Ideals gefunden, wor-

auf sich die Staatsarchitektur des NS-Regimes beziehen sollte.

Gillys Entwurf gebliebenes Glanzstück strotzt vor steinerner

Kraft durch seine grossen und klaren Kubaturen und findet

seine Anklänge in der französischen Revolutionsarchitektur.

Stellt man Speers neoklassizistische Planungen in den inter-

nationalen Kontext, so finden sich Parallelen unter anderem

zu den Projekten des französischen Beaux-Arts-Architekten

Paul Cret. Dessen bekanntestes Bauwerk, die Federal Re-

serve Bank in Washington, ist ebenfalls geprägt von der Re-

duktion auf eine massig-klare Volumetrie (starved classicism);

der liebliche Festschmuck weicht kerniger Monumentalität.

Speers Anfänge als Regimearchitekt waren anfangs noch

weit von der Ewigkeit entfernt – er baute vielmehr Improvisa-

tionsarchitekturen für Kundgebungen und Aufmärsche. Als

Empfehlung an den Führer und gleichzeitig Erstlingswerk

fertigte Speer 1933 für die Kundgebung auf dem Tempelho-

fer Flugfeld einen Tribünenentwurf an, welcher – architek-

1 Arthur Grimm, Die Deutsche Olympia-Film-Expedition 1936. Leni Riefenstahl dreht ihren Film in Griechenland. Fackelläufer auf dem Weg, Kameras in Position (© bpk, United Archives, Arthur Grimm)

2 Leni Riefenstahl, Das Blaue Licht, 1932 (Foto: Archiv Florian Dreher)

2

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Bunte Hunde oder: Entwerfen im Discofieber

Rummelmanifest Text: Hannes Mayer, Fotos: Oliver Godow

Gedankt sei dem anonymen Dunkelarchitekten, der mich

auf einer «Architektenparty» darauf hinwies, dass ihm

«Leute, die Pullis mit bunten Querstreifen tragen, suspekt

sind». Eine modische Urangst, Entsprechung der sprachlich

unsauberen Gleichung: Wer nicht baut, ist kein Architekt;

stattdessen: Zirkusdirektor! Sofortige Erleichterung im

Gesicht des anderen, Entspannung – keine Gefahr für die

Profession, Vermutung bestätigt.

Der Rummel ist dem Zirkus verwandt, allerdings ist

man selbst das Tier, das eingespannt in hydraulische Ap-

paraturen Kunststückchen vollführt. Aus der Sicht akade-

mischer Stilkunde steht der Rummel deshalb für tierischen

Geschmack. Dabei zeigt der Rummel ein durchaus mensch-

liches Antliz im Vergleich zum Stein als Haus. Der Rummel

lebt, er bewegt sich in seinen Attraktionen dank Gelenken

wie Skelette, er ist mobil und reist. Er ist nicht geruchlos

– duftet und stinkt, wäscht sich manchmal tagelang nicht

und riecht nach süssem Puder. Er ist weich an der Oberflä-

che und verführerisch, manchmal kleidet er sich geschmack-

los und manchmal ist er gar nackt. Er ist einladend und offen,

laut und reisserisch, leuchtet, strahlt, glänzt, blitzt – und er

ist äusserst sozial und inklusiv, er richtet sich an alle Klas-

sen; erlaubt Reichtum und Vergnügen für Jedermann.

Architektonisch betrachtet ist der Rummel ein Teil sei-

ner selbst: Tombola – viele Nieten, einige Hauptpreise. Sein

grösster Vorteil ist, dass er alles hat: Form, Bewegung,

Sinnlichkeit und Ingenieursleistungen, die jeden Statiker

erblassen lassen, denn: Nichts ist statisch, alles ist in Be-

wegung, fährt in den Magen – der Kritiker muss kotzen.

Der Rummel fristet fälschlicherweise ein Schattendasein,

vermutlich weil die meisten Kritiker von ängstlicher Natur

sind und schlechte Tänzer dazu. Schliesslich löst der Rummel

das grösste Mysterium im Verhältnis von Architekturproduk-

tion zu -produkt: Gestaltet von der Armee der Architekten,

Kopfhörer auf, Musik tagein, tagaus, marschiert die graue

Lochfassade in die Welt. 1, 2, 1, 2 und wir suchen die Musik,

sie dröhnt auf dem Rummel, Flash Gordon approaching.

Rummel ist die Heilung vom professionellen Stumpfsinn.

Rummel ist das YEAH! der Architektur; man muss schreien,

wenn es abwärts geht.

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