die geschichte des dichters
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LITERATURWERKSTATT
Ralf TheniorDie Geschichte vom Dichter
Ralf Thenior
Die Geschichte vom Dichter
Writer in Residence Wintertuinfestival 2009
TEXT: Ralf Thenior
GESTALTUNG: Jos Lenkens
AUSGABE: Literaturwerkstatt Wintertuin
© 2009
Ralf Thenior für Literair Productiehuis Wintertuin
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Publikation darf ohne vorherige
Zustimmung durch den Herausgeber in irgendeiner Form oder auf irgendeine
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Die Geschichte vom Dichter
Das Spiel ist eine Verteidigung der spontanen individuellen Energien. Und das Gedicht war seine Waffe. Das hatte er instinktiv schon gewusst, bevor er es bei Johan Huizinga gelesen hatte. Es ging gegen die persuasive Rede, sei es in Werbung, Politik oder Religion. Es ging um die Freiheit! Es ging darum, die Freiheit der Tagträume gegen die rasende Beschleunigung des Alltags zu verteidigen. Es ging um sein Leben.
Müßiggang ist aller Laster Anfang hatte er von Kindesbeinen auf gehört und so machte er sich an die Arbeit. Die russischen Formalisten sagten ihm, dass jede neue Dichtergeneration sich von der vorhergehenden absetzen muss, wodurch sie für den Literaturwissenschaftler leichter unterscheidbar wird. Doch so theoretisch funktionierte es nun auch wieder nicht. Jedenfalls nicht bei ihm.
Klar war, dass er den Weg des hermetischen Gedichts nicht gehen konnte. Es war am Rande des Verstummens angelangt. Und sein Leben war noch viel zu lebendig, um sich in Stille zu üben. Bei den Naturmagischen, deren Gedichte in einen diffusen numinosen Raum führten, aus dem es kein Entrinnen gab, war sprachlich zu lernen. Das Pathos der Lakonie, Schlichtheit, Genauigkeit. – All dies eher unreflektiert, als neugierige Sichtung der Dichter der unmittelbaren Vergangenheit, aber doch Einfluss nehmend in Wendungen, Bildern und Rhythmen. Doch schreiben wollte er etwas anderes. Sein Gedicht sollte mitten ins Herz der Gegenwart treffen.
Das Prinzip der Serendipität war dem Dichter ebenfalls bekannt, noch bevor er wusste, dass, seit Horace Walpole es erfunden hatte, ein Wort dafür existierte. Sein Leben war voller glücklicher Funde. Sprüche, Redewendungen, Graffiti – Sprachbeute, die er nach Hause trug. Und natürlich die großen Ströme der Inspiration: Gedichte. Bilder. Musik. Kino. Durch Liebe und Freundschaft schmeckten die Tage süß und scharf. All diese Erlebnisse machten sein Leben elektrisch. Die Magie des Alltags, das sich Treiben lassen, das Schwimmen in den Ereignissen war ihm nicht fremd, er genoss es und registrierte das Vorbeitreibende.
Welche Form das Gedicht annehmen sollte, war keine Frage. Es kam, wollte zur Sprache gebracht werden, suchte sich seinen Weg. Der Dichter war das Medium. Die Imaginationsmaschine in seiner Gedankenfabrik hatte die eingefütterten reality chips ebenso wie die Sprachpartikel zu einem atmenden Organismus zusammengeführt. Klang und Rhythmus waren Herzschlag und Lebensenergie des Gedichts. So kam es aus ihm heraus, f loss über Hand und Tinte aufs Papier. Dann begann die gärtnerische Arbeit: jäten, stutzen, umpflanzen. Manchmal (selten) kam ein fertiges Gedicht heraus. Das waren die Glücksmomente. Aber es ging auch anders herum. Ein Landschaftsbild mit Figuren wollte aufgerufen sein. Langsam und sorgfältig baute er die Evokation eines Augenblicks.
Natürlich gab es ein paar Riesen, auf deren Schultern er gerne stand. Es gab poetische Haltungen und Redeweisen, denen er sich über Jahrhunderte hinweg verbunden fühlte. Barthold Hinrich Brockes mit seinem „Irdischen Vergnügungen in Gott“, Mathias Claudius durch Schlichtheit, Innigkeit und Witz. – Dies alles muss aber, dachte der Dichter, in die Jetztzeit übersetzt werden, wo dir jedes Mal, wenn du im Empire State Building vor der Fahrstuhltür stehst, ein Darsteller im KingKongKostüm über die Schulter glotzt. Und es muss geschrieben sein in einer Sprache von heute.
So schrieb er sich ein in die Annalen seiner Generation und wurde geehrt und beschenkt. Er hatte seine Stimme gefunden, seine Gedichte waren unverwechselbar, sie hatten einen eigenen Sound. Er blieb dem freien Vers treu, dem Atemrhythmus, der
Sprachmelodie, und entwickelte verschiedene Großformen, zumeist längere Reisegedichte. Er war ein Meister der Augenblicksreportage, lieferte scharf aber liebevoll gezeichnete Charakterskizzen, kurze Rollengedichte, brillierte in Gelegenheitsgedichten.
Eines Tages erkennt er, sein FormenRepertoire ist ausgeschrieben, alle Möglichkeiten sind durchdekliniert. Es ist nichts mehr übrig. Er kann sich nur noch wiederholen. Auch seine Sujets, muss er nun mit Schrecken feststellen, haben Staub angesetzt. Sein Plädoyer für die Saumseligkeit wird von einem Heer von Arbeits losen mit Hohngelächter beantwortet, für die Tagträumerei interessiert sich kein Schwein mehr, seit es Videospiele gibt, und der Augenblick ist auch nicht mehr das, was er früher mal war. Der Augenblick, in seiner Einheit und Reinheit, ist selten geworden, alles kreischt durcheinander. Der poetische Lakonismus wird unter Megamengen von Sprachschrott begraben, der aus allen Rohren über dem Konsumenten niedergeht.
Das Spiel ist eine Verteidigung der spontanen individuellen Energien. Und das Gedicht ist seine grüne Waffe. So war es gewesen und so würde es bleiben. Schon im Verlauf der letzten Jahre hatte er verschiedentlich unbekannte Wege beschritten, mit Binnenreim und Assonanz eine neue Musikalität des Gedichts er probend. Auch seine Bildwelten erweiterten sich, verwiesen auf neue Themen und neue Formen. Und nun ist klar, dass er noch einmal eine neue unverbrauchte Sprache finden muss, um seine Position in der Welt zu orten. Es geht um die Freiheit! – Es geht um sein Leben.
Dortmund, den 27.10.2009
Ralf Thenior
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Ralf TheniorDie Geschichte vom Dichter
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