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Prof. Dr. Stefan Schreiber
WiSe 2008/09
Geschichte des Urchristentums
Ein Konstruktionsversuch
Kurzskript
Inhalt Einführung
1. Die Zeit Jesu von Nazaret 1.1 Die Überzeugung Jesu: Gottes Königsherrschaft
1.2 Die Praxis der Königsherrschaft Gottes
2. Zäsur: Tod und Erweckung Jesu 2.1 Der Tod Jesu 2.2 Die Erweckung Jesu
2.3 Eine historische Konstruktion der Osterereignisse
2.4 Die Anfänge der Jerusalemer Gemeinde
3. Die erste Generation 3.1 Die Jerusalemer Gemeinde Längsschnitt 1: Überzeugung
3.2 Die Gemeinde in Antiochia – und die ersten Heidenchristen 3.3 Die antiochenische Heidenmission: der Weg in den Konflikt 3.4 Das Jerusalemer Treffen: ein gemeinsamer Lösungsversuch 3.5 Unterschiedliche Wege 3.6 Die paulinische Mission Längsschnitt 2: Urchristliche Riten 3.7 Die Gemeinde in Rom
4. Zäsur: Der Tod der ersten Generation 4.1 Der Tod der urchristlichen Führungsfiguren 4.2 Veränderungen im Beziehungsdreieck Juden – Römer – Christen 4.3 Das Ende der Jerusalemer Gemeinde
5. Die zweite und dritte Generation 5.1 Strömungen innerhalb der zweiten/dritten Generation 5.2 Das Verhältnis zum Judentum 5.3 Geographischer Überblick 5.4 Tradierungsprozesse 5.5 Die Bedeutung der Ortsgemeinden 5.6 Verortung in der hellenistisch-römischen Lebenswelt Längsschnitt 3: Die Entwicklung des Gemeindeamtes Längsschnitt 4: Die Christen und das Imperium Romanum
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 2
Einführung 1. Wie schreibt man Geschichte?
„Geschichte“ als Sinnzusammenhang ist eine Verschränkung von Fakt und Fiktion
gilt schon für historia in Antike, auch für Apg
2. Geschichte des Urchristentums oder Theologie des Neuen Testaments?
Theologie des NT hat Kanon zum Gegenstand – dogmatisch grundgelegt, Systematik
Geschichte sucht einen historischen Zugang
theologische Diskurse im kulturellen Kontext verstanden
3. Zum Begriff „Urchristentum“
Beschreibungssprache – Quellensprache
(1) Unterscheidung einer formativen Phase vom späteren „Christentum“
ist noch Teil des Judentums – Trennungsprozess
(2) keine Normativität ausgedrückt
4. Abgrenzung und Einteilung
in Forschung umstritten:
(1) gehört Jesus zu einer Geschichte des Urchristentums?
• CONZELMANN: Beginn erst mit auferstandenem Jesus (Ostern)
• Jesus als Bestandteil – Kontinuität: überlieferungsgeschichtlich und soziologisch
(2) Ende?
CONZELMANN: vor Lukas: Idee des apostolischen Zeitalters, danach „frühkatholische“ Kirche
LOHSE: mit Abschluss des Trennungsprozesses zwischen Synagoge u. Kirche (Anfang 2. Jh.)
THEIßEN: Abschluss des Aufbaus d. neuen Zeichensystems – Kanonbildung
FRANKEMÖLLE: erst mit „Christentum“ (eigenes Bekenntnis/Ritus) – Konzil von Chalkedon
mein Modell – angeregt von J. BECKER (2007)
Leitlinie: zwei Zäsuren und deren Bearbeitung
1. Tod Jesu und „Ostern“
2. Tod der ersten christlichen Generation
=> fünf „Perioden“
Ende des Urchristentums:
Traditionsströme zur Verfügung gestellt, Traditionsgrundlage gelegt
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 3
Mitte des 2. Jh. neue Entwicklungen
• Traditionen in neuen geistigen Rahmen gestellt: griechisch-römische Geisteswelt
Gnosis
ThEv
Johannes-Kommentar des Herakleon (160-180)
Apologeten (zuerst um 150 Justin)
• Kanonfrage
Markion (um 140)
5. Quellen
NT
Apostolische Väter: 1 Clem, Did, IgnBriefe u.a.
ThEv?
kaum nichtchristliche Quellen
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 4
1. Die Zeit Jesu von Nazaret Lit.: S. SCHREIBER, Begleiter §§ 110-118.123f.
Zeit: etwa 28-30 n.Chr.
Problem: Reformkonzept in Israel vermitteln
Quellen
Schriften: keine
Traditionen: Jesus-Tradition der Evangelien – stark „biographisch“ bearbeitet
Strategien: aktives Vertrauen auf Gottes Wirken (Lebensweise)
Gemeinschaftsbildung – als Ort einer neuen Lebenspraxis
Jesus war Jude
innerjüdische Reformbewegung, mit eschatologischer Ausrichtung
1.1 Die Überzeugung Jesu: Gottes Königsherrschaft
Beginn der Königsherrschaft (Basileia) Gottes schon jetzt!
–> frühjüdische Vorstellung aufgegriffen (und neu gesagt)
Gegenwarts- und Zukunftsperspektive verbunden
Wachstums-Gleichnisse: Saat (Mk 4,26-29), Senfkorn (Mk 4,30-32 parr), Sauerteig (Mt 13,33/Lk 13,20f.)
Heilserfahrung bereits in der Gegenwart (Heilungen, Exorzismen)
apokalyptischer Rahmen: Neuwerdung der Welt
Beginn mit Person Jesu (vgl. Lk 11,20) – Wirken Gottes im Fokus
1.2 Die Praxis der Königsherrschaft Gottes
• soziologisch
Konstituierung einer Gemeinschaft
in den Dörfern (z.B. Mk 10,29f.) und Wanderexistenz (Schülergruppe)
die Zwölf – Repräsentanten der endzeitlich restituierten Stämme Israels (Jes 11,12; Mich 2,12f.)
Besonderheiten:
(1) Präsenz von Frauen (Mk 15,40f.; Lk 8,1-3), auch Ehefrauen der Zwölf
(2) Zöllner und Sünder integriert (Mk 2,16; Lk 7,34); Kranke (Mk 5)
(3) Wanderexistenz
=> durchbricht die soziale Ordnung
• traditionstheologisch
freie Tora-Auslegung –> Integration statt Grenzziehung
Entschärfung kultisch-ritueller Gebote (Sabbat, Reinheit)
Verschärfung zwischenmenschlicher Gebote (Ehe, Liebesgebot)
Tempelkritik: Tempelwort Mk 14,58, Tempelaktion Mk 11,15-17
Funktionen des Tempels (Reinigung von Verfehlungen) überflüssig
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 5
2. Zäsur: Tod und Erweckung Jesu Lit.: S. SCHREIBER, Begleiter §§ 48.125-131; L. SCHENKE, Urgemeinde 11-23
Zeit: 30/31 n.Chr.
Problem: Infragestellung Jesu (Kreuz)
und damit der eigenen Identität der Gruppe
Quellen
Schriften: keine
Traditionen: älteste Formeln; Erzählungen auf Basis alter Tradition – stark bearbeitet
Strategien: Rehabilitation Jesu und Neuformulierung des Jesus-Bildes
erneuerte Gruppenidentität
2.1 Der Tod Jesu
• waren die Schüler/innen auf Jesu Tod vorbereitet?
Konflikte mit Tempelautoritäten – scharfe Reaktionen zu erwarten
offenbar von Verhaftung Jesu überrascht – Flucht (Mk 14,50)
letztes Mahl – Todesahnung in Mk 14,25?
• Wirkung
Kreuz: römische Todesstrafe – politischer Verbrecher; vgl. Dtn 21,22f.
• Verhalten der Schülergruppe
Flucht nach Galiläa (Mk 14,28; 16,7)
einige Frauen blieben in Jerusalem (Mk 15,40)
2.2 Die Erweckung Jesu
(1) Formeltradition – 1 Kor 15,3-5.6-8 Denn ich überlieferte euch als erstes, was auch ich übernahm: Christus starb für unsere Sünden nach den Schriften und wurde begraben und ist erweckt worden am dritten Tag nach den Schriften und erschien (�φθη) Kephas, dann den Zwölf. Danach erschien er über fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten bis jetzt leben, einige aber entschlafen sind; danach erschien er Jakobus, dann allen Aposteln; zuletzt aber von allen, gleichsam wie der Fehlgeburt, erschien er auch mir.
historische Auswertung:
„dritter Tag“: symbolisch (Hos 6,2)? – Erscheinungen sehr bald nach Tod Jesu
Erscheinungen
Personen
prophetische Vision (�φθη/er erschien – in Gen 12,7 LXX Theophanie)
1 Kor 9,1
auffällige Häufigkeit der Erfahrungen – subjektiv überzeugt
Funktion: „gemeindepolitische“ Legitimation – Petrus, dann Jakobus
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 6
konkurrierende Erfahrungen: Kreuzestod – Erscheinungen
–> neue Deutung Jesu: höchste Erhöhung
apokalyptisches Weltverständnis –> neues Selbstverständnis: wir leben in der Endzeit!
(2) Erzähltradition
• Grabeserzählungen – bei Mk, Mt, Lk, Joh
Frauen – leeres Grab – Verkündigung im Wortlaut sehr ähnlich 1 Kor 15,3-5
eigene Jerusalemer Frauen-Tradition?!
• Erscheinungserzählungen
Spuren der Frauen-Tradition (Mt 28,9f.; Joh 20,11-18)
Galiläa/Schülergruppe (Mk 16,7; Mt 28,16-20; Joh 21,1-23)
Jeursalem/Schülergruppe (Lk 24,13-49; Joh 20,19-29)
2.3 Eine historische Konstruktion der Osterereignisse
30 Tod Jesu – Jerusalem
Frauen, u.a. Maria von Magdala blieben in
Jerusalem (Mk 15,40f.)
Flucht der Schüler (Mk 14,50) nach Galiläa
zeitlich nahe am Tod Jesu Erfahrung von
Erscheinungen
zeitlich nahe am Tod Jesu Erfahrung von
Erscheinungen
Erzählungen/Deutungen
(apokalyptischer Rahmen)
Jerusalemer Frauen-Tradition
Ersterscheinung: Maria von Magdala (u.a.
Frauen) – Grab
Mt 28,9f.; Joh 20,11-18
Galiläische Petrus-/Schüler-Tradition
Ersterscheinung: Petrus
Gruppenerscheinung: „Elf“
1 Kor 15,5; Lk 24,34
1 Kor 15; Mt, Lk, Joh
Tendenz: Tradition eher vernachlässigt
mit hoher Wahrscheinlichkeit historisch „politische“ Funktion: Führungsanspruch
historisch, aber evtl. zeitlich nachgeordnet
2.4 Die Anfänge der Jerusalemer Gemeinde
neue Sammlung des Schülerkreises
Deutungen der Ereignisse: Gott greift anders ein als erwartet
und persönliche Erfahrung: Angenommensein („Vergebung“) trotz Scheitern
bald Rückkehr nach Jerusalem (Apg 1-2)
atl Motive: Sammlung der Versprengten in Jerusalem (Zef 3,11-20)
endzeitliche Völkerwallfahrt (Jes 2,2-4/Mich 4,1-4; Sach 4,14-17; 1QM 12,13-16)
Jesus-Anhänger leben auch weiter in Dörfern Galiläas (Trägergruppen der Q-Überlieferung)
Kontinuität zur Zeit Jesu: soziologisch und theologisch
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 7
3. Die erste Generation
Zeit: 30/31 bis Anfang 60er Jahre
Problem: Position innerhalb des Judentums
endzeitlicher Ausgriff auf die „Völker“
Stellung von „Heidenchristen“ in den Gemeinden (bleibt die „Kirche“ jüdisch?)
–> „Tora-Krise“
Wahrung der Einheit: mit dem Judentum, innerhalb der Jesus-Bewegung
Quellen
Schriften: sieben authentische Paulusbriefe
Traditionen: in Apg aufgenommen
Q-Material (aus Mt/Lk zu rekonstruieren)
Strategien: Jerusalemer Gemeinde als ideelles Zentrum (Grenzen der Differenzierung)
Erschließung weiter geographischer Gebiete (Städte)
verschiedene Weisen der Mission (organisatorische Trennung)
3.1 Die Jerusalemer Gemeinde
„Urgemeinde“?
Quelle: Apg 1-7 – Tendenz: Idealbild des Lukas
Personen der ersten Stunde – Apg 1,12-14
die Zwölf – „Frauen“ – Maria (Mutter Jesu) – Brüder Jesu (Jakobus 1 Kor 15,7)
zwei Gemeindeteile (Apg 6,1)
• Hebräer
Muttersprache Aramäisch
Gruppe um die Zwölf – Petrus als „Sprecher“/Repräsentant
Teilnahme am jüdischen Leben
• Hellenisten
Muttersprache Griechisch
Herkunft aus Diasporasynagogen in Jerusalem
kamen schon sehr früh zur Gemeinde (Apg 2,8-11)
Apg 4,36f. Josef Barnabas aus Zypern
Kontakte über Jesus-Schüler, die Griechisch sprachen
Andreas und Philippus (aus Betsaida: Joh 1,44); Petrus
wichtig für Jesus-Überlieferung!
eigenes Leitungsgremium: Siebener-Gremium (Apg 6,3.5)
vgl. Leitungsgremien in jüdischen Diasporagemeinden
eigene Versammlungen (Sprachgrenze!)
Profil – Stephanus (Apg 6,13f.):
Tempelkritik – Anknüpfung an Tempelkritik Jesu (Mk 14,58)
Tora-Auslegung: stärker ethisch, weniger kultisch-rituell orientiert
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 8
Lebenspraxis – Summarium Apg 2,42-47 (vgl. 4,32-35; 5,12-16)
– Hausgemeinde
– Brechen des Brotes (= Herrenmahl)
– „Gütergemeinschaft“
Idealbild (vgl. Essener; griechische/römische Staatsphilosophie: idealer Staat)
soziale Einordnung: arme Gemeinde (Apg 6; 11,28-30)
vgl. Berufe: Fischer, Zollpächter Levi
Diaspora-Juden etwas begüterter (Josef Barnabas Apg 4,36f.; Hananias 5,1; Maria 12)
=> ökonomischer Austausch
Verkündigung – um ganz Israel zu erreichen
Inhalt: Jesu Bedeutung + Erinnerung an Jesu Wirken/Worte weitererzählt
Längsschnitt 1: Überzeugung_________________________________________________
mit Jesu Erweckung ist die Äonenwende eingeleitet, hat die Endzeit begonnen
Geisterfahrungen (vgl. Apg 2,1-13)
(1) Formeln
Kontrastformel Apg 4,10b Jesus, den ihr gekreuzigt habt, den Gott erweckt hat aus Toten
Röm 4,24 (Gott) der Jesus unseren Herrn aus Toten erweckte
Röm 1,3f. (a) geboren aus dem Samen Davids nach dem Fleisch, (b) eingesetzt als Sohn Gottes (in Macht)
nach dem Geist der Heiligung aus der Auferstehung von Toten ...
(2) Titel
Identifizierung Jesu mit frühjüdischen Mittlerfiguren
– Christus/Messias (1 Kor 15,3-5; Röm 5,6.8)
– „Sohn Gottes“ (Ps 2,7; 2 Sam 7,14; 4Q174 3,10-13)
– Kyrios/Herr: maranatha/unser Herr komm (1 Kor 16,22; Offb 22,20; Did 10,6)
Kurzformel 1 Kor 12,3 „Herr (ist) Jesus“
Nähe des Menschen Jesus zu Gott
göttliche Macht Jesu überbietet alle hellenistischen Götter und Kulte: 1 Kor 8,4-6
im Rahmen des Monotheismus Israels
Angriff auf Monotheismus erst im JohEv sichtbar: Joh 5,17-30; 10,22-39
Entfaltung/Anwendung
Uminterpretation von totaler Erniedrigung (Kreuz) zu höchster Erhöhung
Gottesknecht Jes 52,13-53,12 – Sterben für andere (Röm 5,5-10)
Philipper-Hymnus Phil 2,6-11
hellenistische Überformung des Christentums?
G. THEIßEN: „Überbietungssynkretismus“ (Vergöttlichung)
D. ZELLER: „unbewusste Angleichung“
Abgrenzung, z.B. Paulus gegenüber griech. „Weisheit“ 1 Kor 1,18-2,16
3.2 Die Gemeinde in Antiochia – und die ersten Heidenchristen
• Anlass: Konflikte innerhalb der Diasporasynagogen (Apg 6,9.12)
Steinigung des Stephanus (Apg 7) und „Verfolgung“/„Zerstreuung“ (8,1)
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 9
• Zerstreuung: Verkündigung an den Rändern des Judentums
Philippus-Erzählungen in Apg 8
8,4-8 in Samaria
8,26-40 im Küstengebiet zwischen Gaza und Caesarea
Eunuch ist „fast“ Jude/Proselyt – Taufe
• Gemeinde in Antiochia Apg 11,19-26 Teile der „Hellenisten“ – bildeten Gemeinde in Antiochia/Syrien
Hausgemeine(n) – unter dem Dach der jüdischen Synagogengemeinden
fünf Namen in Apg 13,1: kollegiales Leitungsgremium?
• Synagogengemeinden
Vereinsrecht (collegia licita) – Privilegien
als eigene Gemeinschaft klar erkennbar – Identitätsmerkmale
• Anfänge der Heidenmission – Apg 11,20f.
„Gottesfürchtige“
Taufe – Funktion wie Beschneidung
• folgenschwere Entscheidung
Beschneidung im Judentum bedeutendstes Bundeszeichen (Gen 17,2-13)
Begründung? Endzeit: Öffnung Israels für Völker (rituelle Tora verliert an Bedeutung)
• Notiz in Apg 11,26 In Antiochia wurden die Schüler zuerst Christianoi genannt.
Fremdbezeichnung – als eigene Gruppe wahrgenommen; aber innerjüdisch
3.3 Die antiochenische Heidenmission: der Weg in den Konflikt
Lit.: S. SCHREIBER, Chronologie, in: Einleitung 270f.
• Barnabas und Paulus (Apg 11,22-26)
Barnabas: Diasporajude aus Zypern (s.o.) – Jerusalem – Antiochia
Paulus: Diasporajude aus Tarsus, pharisäische Prägung (Phil 3,5f.; Apg 23,6; vgl. Gal 1,14)
Damaskus, dann drei Jahre Mission in Arabien (Gal 1,18) „an den Rändern“
–> Missions-Team in Antiochia (11,26)
• Missionsauftrag – nach Apg 13-14 erste Missionsreise
Missionstyp: Gemeindemission
Aussendung durch Gemeinde in Antiochia (Apg 13,1-3)
Bezeichnung „Ausgesandte“/Apostel (Apg 14,4.14)
Stationen nach Apg 13-14 auf Zypern und in Kleinasien
in Gal 1,21; 2,1 Syrien und Kilikien
Datierung: etwa 13 Jahre, also von 36/37 bis 48/49
Missionspraxis: Gäste in lokalen Synagogen Apg 13,5.14.42-44; 14,1
richtet sich an Juden und Heiden (Gottesfürchtige)
–> gemischte Gemeinden
• Problempotential: freier Umgang mit identity markers in größerem Stil
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 10
3.4 Das Jerusalemer Treffen: ein gemeinsamer Lösungsversuch
Lit.: S. SCHREIBER, Begleiter § 136; DERS., Chronologie, in: Einleitung 271f.
• Terminologie
• Datierung: 48/49
• Quellen: Gal 2,1-10 – Apg 15
• Anlass: Streit um unterschiedliche Praxis der Heidenmission
–> Relevanz der Grenzziehung durch jüdische identity markers
Konflikt zwischen den beiden bedeutendsten Gemeinden: Jerusalem und Antiochia
• Personen:
Gal 2,9: Paulus, Barnabas (und Titus) – Jakobus, Kephas, der Zebedaide Johannes
anders Apg 15: Petrus auf Seite des Paulus, christliche Pharisäer dagegen, Jakobus vermittelt
streng traditionelle Gruppe in Jerusalemer Gemeinde Gal 2,4f.; Apg 15,5
Titus als „Fallbeispiel“ – unbeschnittener, getaufter Heide (Gal 2,1.3)
• Tragweite der Entscheidung
bleiben die traditionellen Grenzen letztlich gültig oder werden sie neu definiert?
auf dem Spiel steht die vollgültige Integration der Heidenchristen in den Gemeinden
• Ergebnis Gal 2,9b (Kompromiss):
(1) „Wir zu den Heiden, sie (sc. die Jerusalemer Apostel) aber zur Beschneidung“
= Aufteilung des Missionsgebietes unter ethnographischem Aspekt
Anerkennung der antiochenischen Praxis (und des paulinischen Apostolats)
anders Apg 15,20.29: Auflage – Jakobusklauseln
(2) Kollekte (Gal 2,10) – Zeichen der Einheit mit „Muttergemeinde“
• weitere Entwicklungen zeigen, dass nur scheinbar eine klare Einigung erzielt wurde
3.5 Unterschiedliche Wege
• Der antiochenische Zwischenfall Gal 2,11-14 (nicht in Apg) – in unmittelbarer Nähe zum Jerusalemer Treffen
– konkreter Fall: Petrus – „Leute des Jakobus“ (Gal 2,12)
– Reaktion des Paulus: kritisiert Petrus öffentlich – offener Bruch
– Konsequenz des Paulus: verließ Antiochia und Barnabas
seitdem immer wieder Konflikte mit streng gesetzestreuen Judenchristen: Gal, 2 Kor
• Der „Jerusalemer Weg“ der Heidenmission „Apostelbrief“ Apg 15,23-29
–> Jakobusklauseln 15,20.29: Speise- und Eheregeln
Hintergrund Lev 17f. sog. noachitische Gebote
• Die weitere Ausbreitung Mund-zu-Mund-Propaganda in den Kontakten des alltäglichen Lebens
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 11
• Die Q-Mission
Ort: Galiläa und syrisches Grenzgebiet
Missionare: Wanderradikale (Q 10,4), wohl v.a. Ehepaare (Mt 10,37) – vgl. 1 Kor 9,5
innerjüdische Erneuerungsbewegung – setzt Verkündigung und Lebensweise Jesu fort
–> wichtige Trägergruppe der Jesustradition (Syrien: Sprachenwechsel)
3.6 Die paulinische Mission
• Die Mission
– Stationen
49-56 Reisen nach Kleinasien, Griechenland, Ephesus (Apg 16-19 zweite Missionsreise)
Philippi, Thessaloniki, Korinth (50-52) – Ephesus (52-55)
– Selbstverständnis
Berufung durch Christus
– Motivation
Evangelium betrifft die ganze Welt –> Ausgriff auf römische Zentren, Provinzhauptstädte
– Strategie
Erstverkündigung (Röm 15,20f. wo der Name Christus noch nicht genannt wurde)
setzt auf Ausstrahlung (z.B. Thessaloniki 1 Thess 1,6-8)
– Missionspraxis
Anknüpfung in Synagogen, im alltäglichen Leben – Heiden und Juden
Missionsnetzwerk
großer Kreis an Mitarbeiter/innen (συνεργο�) – Teamarbeit
(1 Thess 3; 1 Kor 4,17; 2 Kor 8; Kol 1,7; 4,12f.)
selbständiges Missionspaar Priska und Aquila (Apg 18,1-3.18-21.26; 1 Kor 16,19)
• Die paulinischen Gemeinden
– Form: Hausgemeinden
– charismatisches Modell: Charismen als Basis (1 Kor 12)
Bild: Leib aus vielen Gliedern = Motto „Einheit in Vielfalt“
„natürliche“ Strukturen
– Grundbegriff für Gemeinde: Ekklesia (�κκλησ�α)
Hintergrund: Vollversammlung der freien Bürger in griechischer Polis, demokratisches Basisorgan
–> in Ekklesia Gottes sind alle gleichberechtigte Bürger!
ungewöhnliche Sozialformen (Gal 3,28)
soziale Schichten verloren Bedeutung
– Probleme:
Streitigkeiten zwischen Hausgemeinden 1 Kor 1,10-12, Einzelgruppen 1 Kor 14
• Paulus und Jerusalem Großprojekt „Kollekte“: demonstriert Verbundenheit
Kollektenreise 55/56 (Griechenland), Pfingsten 56 Jerusalem (Apg 20,16; 21,15)
Annahme der Kollekte fraglich (Röm 15,30-32)
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 12
Form der Jerusalemer Gemeinde hat sich verändert: Auflösung des Zwölferkreises: 41/42 Märtyrertod des Zebedaiden Jakobus (Apg 12,1f.) um 48/49: „Säulen“ Jakobus, Kephas, Johannes (Gal 2,9) Weggang des Petrus Gal 2,11-14; 1 Kor 9,5 Herrenbruder Jakobus neue Autorität (Apg 12,17; 21,18) Ältestenordnung (Apg 11,30; 15,2.4.6.22f.; 16,4; 21,18)
Verhaftung des Paulus (Apg 21,27-36; 23,23-35)
misslang die Überreichung der Kollekte?
Längsschnitt 2: Urchristliche Riten____________________________________________
• Taufe Anknüpfung an Johannestaufe – eschatologische Sündenvergebung
Konkurrenz zur Beschneidung („Hellenisten“, Paulus)
Paulus Röm 6: Taufe als Grundlage der Christus-Beziehung Oder wisst ihr nicht, dass wir, die wir in den Christus Jesus hinein getauft wurden, in seinen Tod hinein ge-
tauft wurden? Begraben wurden wir also mit ihm durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus erweckt wurde aus Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in Neuheit des Lebens wandeln. Denn wenn wir verbunden wurden mit der Gleichheit seines Todes, werden wir dies auch mit der Auferstehung sein. ... So seid auch ihr überzeugt, dass ihr zwar Tote seid für die Sünde, Lebende aber für Gott im Christus Jesus. (Röm 6,3-5.11)
Teilhabe an Jesu Tod und Erweckung
im Taufritus konzentriert erlebbar
Initiationsriten in hellenistischen Mysterienkulten (z.B. Dionysos, Isis/Sarapis):
Apg 2,38: Umkehr; Taufe auf den Namen Jesu Christi; Sündennachlass; Geistgabe
Did 7,1-4 (um 90-120): praktische Anordnungen
• Herrenmahl
„Brotbrechen“ Apg 2,42; 20,7.11; 1 Kor 10,16
neue Deutung eines gebräuchlichen Ritus: beracha/Segenswort und kiddusch/Dankgebet
Deuteworte zu Brot und Becher – Tod Jesu: „für uns“ + neuer Bundesschluss
Herrenmahl in Korinth: 1 Kor 11,17-34
Sättigungsmahl und Symbolhandlung (Brot, Becher) – Rekonstruktion
Problem: soziale Gegensätze brechen beim Herrenmahl auf
11,21: „der eine hungert, der andere ist betrunken“
Praxis des „Herrentags“ vgl. Apg 20,7; Offb 1,10; Did 14,1; IgnMagn 9,1; Barn 15,9
Did 9; 10; 14 Dankgebete zu Becher und Brot, nach Sättigung
Gebete als Vorlage für Mahlfeiern (10,7); ergänzt Abendmahlsworte Jesu (Mt 26,26-30)
Beispiel: Dankgebet über Brot Did 9,3f.
Betreffs des Brotes: Wir danken dir, unser Vater, für das Leben, das du uns offenbart hast durch Jesus, deinen Knecht. Dir die Herrlichkeit in Ewigkeit. Wie dies auf den Bergen zerstreut war und zusammengebracht ein Brot geworden ist, so soll deine Kirche zusammengebracht werden von den Enden der Erde in dein Reich! Denn dein ist die Herrlichkeit und die Kraft in Ewigkeit.
Teilnahmebedingungen: getauft (9,5) und Versöhnung mit Nächstem (14,2)
These: beide Riten sehr früh
Ignatius (Sm 8,2, Anfang 2. Jh.): lokale Tendenz zur amtlichen Fixierung der Riten
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 13
3.7 Die Gemeinde in Rom
Lit.: S. SCHREIBER, Römerbrief, in: Einleitung 289-291
• in Rom große jüdische Bevölkerungsgruppe, „Gottesfürchtige“
–> Anknüpfungspunkte für judenchristliche „Missionare“,
• Einschnitt: 49 n.Chr. Claudius-Edikt Sueton Claud. 25,4
Diejenigen Juden, die, von Chrestus aufgehetzt, fortwährend Unruhe stifteten, ließ er aus Rom vertreiben.
innerjüdische Streitigkeiten –> Ausweisung der führenden Judenchristen (Apg 18,2)
Beginn eines Trennungsprozesses: Synagogen schützten sich vor „Abweichlern“
–> bei stadtrömischer Verfolgung unter Nero 64 „Christen“ als eigene Gruppe erkennbar
• Grußliste Röm 16,3-16 –> Sozialgestalt der römischen Gemeinden Mitte der 50er Jahre
– Priska und Aquila
– Maria, Tryphäna, Tryphosa, Persis
– von 26 Gegrüßten 9 Frauen, davon 7 eigens gewürdigt
– Andronikus und Junia
– sieben Hausgemeinden
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 14
4. Zäsur: Der Tod der ersten Generation
Zeit: 60-70 n.Chr.
Problem: Tod der führenden Christen der ersten Stunde
und Wegfall des ideellen Zentrums in Jerusalem
–> zentrale Autoritäten und Traditionsträger fallen aus
Umbruch in den Beziehungen zu den jüdischen Synagogen
und zu den römischen Behörden
Quellen
Schriften: keine
Traditionen: in späteren Texten (Apg, 1 Petr, 1 Clem, Eusebius)
Jos. Ant. 20,200; Tacitus, Ann. 15,44 (außerchristliche Quellen!)
Strategien: „Weitermachen“ (Reflexion?)
Erinnerung und „Verklärung“
Ist-Zustand Anfang der 60er Jahre
Ausbreitung – Zentren
Binnendifferenzierung
Gemeindestrukturen noch sehr offen
4.1 Der Tod der urchristlichen Führungsfiguren
• Tod von Petrus und Paulus wohl Anfang der 60er Jahre in Rom
– Apg 20,24f. (vgl. 21,13)
– Joh 21,18f.
– 1 Petr 5,1
– 1 Clem 5,4-7
– Eusebius, Hist.Eccl. 2,25,5-7 (Anfang 4. Jh.!)
• Tod des Herrenbruders Jakobus 62 in Jerusalem
Jos. Ant. 20,200
–> zentrale Autoritäten und Traditionsträger fallen aus
4.2 Veränderungen im Beziehungsdreieck Juden – Römer – Christen
• Die stadtrömische Christenverfolgung unter Nero 64 n.Chr.
Tacitus, Ann. 15,44
Auswirkungen in Gemeinden („traumatisch“)
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 15
• Der jüdisch-römische Krieg 66-70
– jüdische Niederlage: 70 Jerusalem zerstört, Tempel niedergebrannt
–> Judentum verliert sein religiös-kulturelles Zentrum
– religiös-kulturelle Neukonstituierung – Pharisäer
–> Schriftensammlung als normative Basis
–> neue Lehrtradition: bestimmte Tora-Auslegung und mündliche Tradition
– Auswirkungen auf frühes Judenchristentum
Exklusivitätsanspruch und eigene Tora-Auslegung nicht akzeptabel
politische Seite: nach Krieg Abgrenzung von „Christus“-Bewegung
• Fazit Gemeinden zunehmend ohne „gesellschaftlichen Ort“:
4.3 Das Ende der Jerusalemer Gemeinde
• Vorgeschichte Konfliktpotential im Verhältnis zur jüdischen Führung in Jerusalem (vgl. Apg 21,18-26)
fragiles Machtgefüge zwischen jüdischer Aristokratie und römischer Behörde in Jerusalem
Hinweise auf Konfliktsituation:
ca. 41/42 Hinrichtung des Zebedaiden Jakobus
Ende der 40er Jahre „Verfolgungen“ in Judäa laut 1 Thess 2,14-16
Paulus etwa 56 in Jerusalem verhaftet
Zuspitzung 62 Hinrichtung des Jakobus
• wohl Auflösung kurz vor dem jüdisch-römischen Krieg
Eusebius, Hist.Eccl. 3,5,3: 66 Flucht nach Pella/Ostjordanland (Peräa)
• nach dem Krieg wieder Gemeinde in Jerusalem
Eusebius, Hist.Eccl. 3,11,1: Anhängergruppe mit Verwandten Jesu
keine weiterreichende Bedeutung mehr
–> Jerusalem als ideelles Zentrum des Urchristentums fällt aus!
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 16
5. Die zweite und dritte Generation
Zeit: etwa 70 bis Anfang 2. Jh.
Probleme: Bestimmung der Traditionsgrundlage
Verortung in der hellenistisch-römischen Welt:
Organisation – Assimilation – Konfrontationen
Quellen
Schriften: Mk, Mt, Lk, Joh; Apg; Deuteropaulinen; Hebr; kath. Briefe; Offb
1 Clem; Did; Ignatius-Briefe
Plinius d.J., Ep. 10,96 (außerchristliche Quelle!)
Traditionen: wenig in späteren Schriften (Eusebius; Kirchenväter)
Strategien: Fixierung von Tradition (Traditionsströme)
Stabilisierung der Gemeinden durch Strukturen und Ämterordnung
aber punktuell auch: prophetischer Einspruch
Gratwanderung: Übernahme gesellschaftlicher Ordnungsmuster und zugleich
innergemeindliche Ausprägung christlicher Identität (Ethos)
5.1 Strömungen innerhalb der zweiten/dritten Generation
• Forschung die Vielfalt der unterschiedlichen Strömungen und Gruppen betont
H. KOESTER 1980; K. BERGER 21995
„Tübinger Geschichtsbild“ – Ferdinand Chr. BAUR (19. Jh.)
dialektische Einheit: Petrinismus (Ur-MtEv) und Paulinismus (paulinische Briefe)
Synthese: „Katholizismus“ (JohEv!)
Modell von G. THEIßEN
vier Strömungen, d.h. Gruppierungen innerhalb des Urchristentums
• mein Modell: Traditionsströme (siehe nächste Seite)
• Erläuterungen
– Akzentuierungen innerhalb der paulinischen Tradition
z.B. Gedanke der Gegenwart der Auferstehung
2 Tim 2,18 – Kol 2,12 (vgl. Eph 2,5f.)
– Lk/Apg
personales Kontinuitätsschema: Jesus → Zwölf → Paulus
– JohEv
Zusammenhang mit den „Hellenisten“? Samaria, Philippus
eigenprofiliertes Christus-Bild (frühjüdischer Weisheitsmythos)
Verhältnisbestimmung geliebter Jünger – Petrus (Joh 21,15-23)
= Anbindung an die Jerusalemer Tradition
später ThEv
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 17
Jesus-Gruppen
in Galiläa/Judäa
(Q-Gruppen)
Jerusalemer Gemeinde
Hebräer
Zwölf, Jako-
bus u.a.
Hellenisten
Stephanus, Phi-
lippus u.a.
Gemeinde von
Antiochia
Barnabas, Pau-
lus u.a.
48/49 strenge Juden-
christen
„Falschbrüder“
Jakobus Petrus Barnabas Paulus
70
Prophetische
Tradition
Johanneische
Tradition
Synoptische
Tradition
Jerusalemer
Tradition
Paulinische
Tradition
(Q) (Q) Mk Kol 2 Thess
Jak Eph
JohEv Mt Lk Apg (Hebr)
Offb
JohBriefe (Jud)
1 Petr
(1 Clem) Past
100 Did
Ign 2 Petr
Hermas
(Monta-
nisten)
HebrEv EbEv
ThEv NazEv
(Ign)
Barn
5.2 Das Verhältnis zum Judentum
• auf organisatorischer Ebene: Trennung Gemeinde – Synagoge (Abgrenzung Did 8,1)
• Judentum religionsgeschichtliche Bezugsgröße (Basis bzw. Bestandteil Israels)
– Paulus: Röm 13,8-10; Röm 9-11
– Hebr: Typologie
– Mt: Bergpredigt als neue Tora-Auslegung
– Lk: Jesus-Bewegung aus dem Herzen Israels (Lk 1-2), Urgemeinde am Tempel (Apg 1-3),
versteht Gemeinde als Teil des Volkes Israel (= λα�ς)
– prophetische Tradition: judenchristliche Züge (Q, Offb, Hermas)
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 18
LXX – „christologische Hermeneutik“:
Vorausdeutung auf Jesus, Beispielgestalten, Gebote (Ethik), Gottesbild
• Judenchristen als eigene soziale Größe in einigen Gegenden Palästinas, z.B. Pella
spätere Schriften: NazEv, EbEv, HebrEv
5.3 Geographischer Überblick
• Kleinasien
– paulinische Gemeinden breiten sich aus – Beleg: Kol
– Jerusalemer Tradition – 1 Petr
– prophetische Tradition – Offb
=> große Zahl an Gemeinden, Vielfalt an Traditionsströmen
– römische Außenwahrnehmung – Plinius´ d.J., Ep. 10,96,9f.
Dominanz der Christen
Gegenmaßnahmen – Assimilationsdruck
• Antiochia (Syrien)
– MtEv?
– Did (ca. 90-120)
– Ignatius (nach 100) – Situation in Antiochia: Gruppenkonflikt
vergeistigtes Christentum – individualisierende Züge
Ignatius: konkrete Nachfolge, Einheit unter einen Episkopos
– joh Tradition???
• Griechenland
Korinth – vgl. 1 Clem
• Rom
– MkEv?
– LkEv?
– 1 Clem
• Palästina
Judenchristen
5.4 Tradierungsprozesse
• Vergewisserung der eigenen Herkunft
vgl. in römischer Kultur: mos maiorum
Eph 2,20; Apg 1,21f.
• Verschriftlichung und Literarisierung der Erinnerung an Jesus,
Bewahrung des Erbes der Apostel
literarische Formen: Viten, Historia, Briefe
• Ergebnis: Traditionsströme
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 19
5.5 Die Bedeutung der Ortsgemeinden
• Wandermissionare existierten bis ins 2. Jh.
Beispiel: Peregrinos Proteus (+ 165) – Lukian, De morte Peregrini 11-13.16
• Mt 7,15-20 „Falschpropheten“, Kriterium: „an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“
• Did 11 Distanzierung gegenüber Wanderlehrern, -aposteln, -propheten
prüfen auf Übereinstimmung; Apostel nur ein/zwei Tage beherbergen
• 2 Joh 9-11 abweichende Lehre – nicht „ins Haus aufnehmen“
dann Konflikt in 3 Joh 9f.: Diotrephes weist alle Wanderpropheten ab
5.6 Verortung in der hellenistisch-römischen Lebenswelt
• Voraussetzungen – organisatorische Trennung von lokalen Synagogen
– Naherwartung wird schwächer
• Tendenzen (1) feste Ordnung der Gemeinden: Strukturen etablieren sich
(2) Anpassung an Kultur der Umwelt
–> eines der Hauptprobleme der 2./3. Generation
–> Gegenreaktion: Plädoyer für eine christliche „Gegenwelt“, eine eigene „Kultur“
Mt 18 – LkEv – 1 Petr – Offb
• verschiedene Konzeptionen der Lebensgestaltung
Offb Past
gleicher Ort: Kleinasien; etwa gleichzeitig
apokalyptischer Großangriff auf den römi-
schen Kaiser und die römische Kultur
Mythos
Schärfe der Bilder
Lebensordnung der Gemeinden in paulini-
scher Tradition
Paulus als Identitätsfigur; Evangelium als paratheke
(1 Tim 6,20); „gesunde Lehre“ (2 Tim 4,3); Ämter
dahinter steht
kulturelle Auseinandersetzung:
Distanzierung von römischer Kultur,
Besinnung auf das christliche Proprium
und die jüdischen Wurzeln
Gemeinden innerhalb der römisch gepräg-
ten Gesellschaft lebensfähig machen:
Haustafeln, Ständeordnung
Organisation wie „großes Haus“
innergemeindliche Gruppendifferenzierung („Gegner“)
innergemeindliche Krise: Angriff auf
Gruppe der „Nikolaiten“
Vorwurf: fehlende Abgrenzung
Unzucht, Götzenopferfleisch
vermieden Reibungsflächen nach außen,
Ausgrenzung
innergemeindliche Konkurrenz: Angriff auf
„Falschlehrer“ (1 Tim 1,3-7; 4,1; 6,3-5 u.ö.)
Vorwurf: jüdische Elemente
Beschneidung, Gesetz, „jüdische Geschichten“;
Speisevorschriften (1 Tim 4,3-5)
prophetische Ausrichtung
Abgrenzung gegenüber der „Welt“
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 20
unterschiedliche Strategien:
scharfe Abgrenzung
um Anpassungstendenzen zu widerstehen
Offb 18,4 „Geht hinaus aus ihr (sc. der
Stadt), mein Volk, dass ihr nicht teilhabt
an ihren Sünden!“
Anpassung/Reduzierung der Distanz
Integration in die gesellschaftliche Ordnung
Tit 1,15 „Den Reinen ist alles rein.“
zwei gegensätzliche christliche Antworten!
–> entsprechen sich die Gruppierungen wechselseitig?
real existierende Ämter völlig ignoriert
Johannes lebt selbst als Wanderprophet
Ämterordnung als zentrales Strukturmoment
Fokus auf Leitern ortsansässiger Gemeinden
• zeigt das Konfliktpotential verschiedener Traditionsströme
(Geist/Prophetie – Ordnung/Amt)
• deutlich, dass Kategorien Orthodoxie/Häresie (für Frühzeit) nicht greifen
• muss das Fazit lauten: gegenseitige Verwerfung – oder Ergänzung?
Längsschnitt 3: Die Entwicklung des Gemeindeamtes ____________________________
(1) Die erste Generation
• Hausgemeinden
charismatische Struktur (Begabungen)
• Terminologie für Funktionen noch völlig offen
nicht-technischer Sprachgebrauch, z.B. „Sich-Mühende“
oder Funktionen aus der Umwelt, z.B. Phil 1,1 Episkopen und Diakone
auch Frauen beteiligt, vgl. Röm 16,1f. Diakonin Phöbe
(2) Die zweite/dritte Generation
• Ältestengremium weite Verbreitung (Eph; Apg; Jak 5,14; 1 Petr 5,1-5; Past; 1 Clem)
• 1 Clem
– Absender – Briefanlass – Motivation
– Argumentation in 42-44
1. Einsetzung der Amtsträger als Legitimation
Gott → Christus → Apostel → Episkopen/Diakone → sollen die Reihe fortsetzen
2. Rekurs auf atl Kultordnung (als Modell – argumentiert typologisch)
Hohepriester, Priester, Leviten, Laien (!) je eigene Aufgaben (40,5)
– historisch: Strukturen und Verhältnis der Ämter in Rom und Korinth Ende 1. Jh. noch offen
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• Did
– Ämter der Episkopen und Diakone (Did 15,1f.)
Funktionen? Finanzverwaltung, evtl. Gottesdienst-Vorsitz/Organisation
15,3: Zurechtweisung und Buße Sache der ganzen Gemeinde
– Übergangszeit: Episkopen/Diakone übernehmen die Aufgaben der Propheten/Lehrer
• Past
– Modell Ortsgemeinde als Haus (1 Tim 3,15) – strukturelle Konsequenzen
ein Hausvorstand: Episkopos
Ordination: Handauflegung (1 Tim 4,14; 2 Tim 1,6) – „Amtscharisma“
Kataloge mit Anforderungen für Episkopen und Diakone (1 Tim 3,1-13)
Koppelung Leitung und Lehre: Verpflichtung auf (paulinische) Lehrtradition
vgl. „gesunde Lehre“ und „anvertrautes Gut/paratheke“ (1 Tim 1,10; 6,20; 2 Tim 1,12-14)
„Besoldung“ 1 Tim 5,17f.
– offen: Auswahl der Amtsträger und genaue Zuordnung
– Veränderungen gegenüber Paulus:
Charisma auf Amtscharisma konzentriert
Frauen ans Haus (Hausherrn) gebunden (1 Tim 2,9-15); Diakone (1 Tim 3,11), nicht aber Episkopen
– Verdacht: Anstoß – Attraktivität des römischen Gesellschaftsmodells
Propaganda der frühen Kaiserzeit: Ordnung durch Herrschaft eines einzelnen garantiert
vgl. Aelius Aristides, Romrede (Mitte 2. Jh.):
• Ign: 110-117, Kleinasien: Ephesus, Magnesia, Tralles, Philadelphia, Smyrna
– dreigestufte Ämterordnung mit Monepiskopat: Episkopos – Älteste – Diakone
– theologische Begründung:
· Abbild-Gedanke (IgnEph 9,2)
Parallelsetzung Gott / Ratsversammlung der Apostel / Christus – Episkop / Älteste / Diakone (Mg 6,1; Tr 3,1)
· Einheits-Gedanke (IgnSm 8,1f.)
• kritische Stimmen
Mk 10,42-44 parr: keine Herrschaft über andere
Mt 23,8-12: gegen prestigeträchtige Ehrenbezeichnungen „Rabbi“, „Abba“, „Kategetes“
Lk 14,7-11: gegen Vorrangstellung einzelner (beste Plätze beim Mahl)
JohEv: alternatives Gemeindemodell – kein Gewicht auf Ämtern
Geist Jesu als Leitung, Jesus-Unmittelbarkeit (Joh 10; 15), Modell „Freunde“
• Ergebnis
– Anfang 2. Jh. noch große regionale Unterschiede (Monepiskopat – Ältestenkollegium)
– noch keine übergemeindliche Organisation
– nirgends die hellenistisch-römische Institution des Kults aufgegriffen
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Längsschnitt 4: Die Christen und das Imperium Romanum _______________________
• Trennung von jüdischen Synagogengemeinden –> Verlust des Rechtsschutzes
• Wahrnehmung der Christen durch die römischen Behörden als Unruhestifter
auch im Volk eher abschätzig betrachtet: „Chrestianer“ (Tac. Ann. 15,44)
• Rechtsverhältnisse im 1. Jh. ungeregelt
meist Duldung der Gemeinden durch Behörden
aber auch Vorgehen gegen einzelne Unruhestifter (2 Kor 11,25)
erst Briefwechsel Plinius – Trajan (um 110)
„Opfertest“, Christsein an sich als Staatsverbrechen (crimen maiestatis)
• nur wenige Märtyrer aus 1. Jh. bekannt
Paulus, Petrus; Offb 2,13 Antipas
unter Domitian (+ 96) keine Christenverfolgung, wohl lokale Repressionen (Offb)
unwahrscheinlich: Konsul T. Flavius Clemens, dessen Frau Flavia Domitilla (Suet. Dom. 15,1)
• Strategie der Gemeinden
– nach außen: Loyalität, Eingliederung in Gesellschaft, Unauffälligkeit
– im Inneren: subversive Lebenspraxis und Kritik an politischen Verhältnissen
Texte – sprachliche Gestaltung erlaubt ambivalente Deutung
Mk 12,17
Röm 13,1-7
MkEv beginnt mit „Evangelium“ eines „Sohnes Gottes“
LkEv: Geburt Jesu = Beginn eines neuen Zeitalters (nivelliert „Goldenes Zeitalter“ des Augustus)
1 Petr 2,11-17 Position der „Mitte“: Unterordnung und „subversives“ Element
• stärkere Anpassungstendenz in Past Tit 3,1 sich den Magistraten und Machthabern unterordnen
1 Tim 2,2 Gebet für den Kaiser und seine Amtsträger
theologische Begründung in 1 Tim 4,3f. „die ganze Schöpfung Gottes ist gut“
• dagegen scharfe Konfrontation in Offb
Imperium Romanum: wildes Tier (Macht des Satan, Offb 13)
verführerische Prostituierte (Offb 17)
gegen Religion als Privatsache – Zugehörigkeit im Alltag zeigen!
Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 23
Literatur J. BECKER, Theologiegeschichte des Urchristentums – Theologie des Neuen Testaments –
Frühchristliche Religionsgeschichte, in: C. Breytenbach/J. Frey (Hg.), Aufgabe und Durch-
führung einer Theologie des Neuen Testaments (WUNT 205), Tübingen 2007, 115-133.
J. BECKER, Das Urchristentum als gegliederte Epoche (SBS 155), Stuttgart 1993.
K. BERGER, Die Urchristen. Gründerjahre einer Weltreligion, München 2008.
R. BULTMANN, Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, Düsseldorf 21999 (= 51986).
H. CONZELMANN, Geschichte des Urchristentums (GNT 5), Göttingen 61989.
M. EBNER/S. SCHREIBER (Hg.), Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6), Stuttgart 2008.
M. EBNER, Von den Anfängen bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts, in: Ökumenische Kirchenge-
schichte. Band 1: Von den Anfängen bis zum Mittelalter, hg. von B. Moeller, Darmstadt
2006, 15-57.
H. FRANKEMÖLLE, Frühjudentum und Urchristentum. Vorgeschichte – Verlauf – Auswirkun-
gen (KStTh 5), Stuttgart 2006.
J. GNILKA, Die frühen Christen. Ursprünge und Anfang der Kirche (HThK.S 7), Freiburg i.Br.
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S. HAUSAMMAN, Alte Kirche. Band 1: Frühchristliche Schriftsteller, Neukirchen-Vluyn 2001.
W. KRAUS, Zwischen Jerusalem und Antiochia. Die „Hellenisten“, Paulus und die Aufnahme
der Heiden in das endzeitliche Gottesvolk (SBS 179), Stuttgart 1999.
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G. LÜDEMANN, Das Urchristentum. Eine kritische Bilanz seiner Erforschung (ARGU 12),
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Modalitäten der Ausbreitung der frühen Kirche (FRLANT 188), Göttingen 2000.
L. SCHENKE, Die Urgemeinde. Geschichtliche und theologische Entwicklung, Stuttgart 1990.
S. SCHREIBER, Begleiter durch das Neue Testament, Düsseldorf 2006.
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