süddeutsche zeitung: meine geschichte

Post on 11-Nov-2014

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Der Spanier Alfonso Gadea hat zwei Master-Abschlüsse und war Marketingdirektor. Als die Immobilienblase in seinem Land platzte, wurde der zweifache Vater arbeitslos. Nun lernt er Deutsch – doch dass Firmen in der Bundesrepublik ihn wirklich anstellen, glaubt Gadea nicht

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VON THOMAS URBAN

Madrid – Als Alfonso Gadea vor 17 Jahrenmit einigen Kommilitonen den Abschlussdes Studiums feierte, kam das Gesprächdarauf, was sie mit 40 alles erreicht habenwollten: einen gut bezahlten Führungsjob,ein Haus, ein schickes, teures Auto und na-türlich eine Familie. Er war damals 24, hat-

te einen doppelten Master der MadriderUniversität mit sehr guten Noten in den Fä-chern Marketing und Kommunikation. DieWelt schien nur auf ihn und seine Studien-kollegen zu warten.

Ein paar Monate nach seinem 40. Ge-burtstag ist im März 2012 seine Welt zu-sammengebrochen – er wurde arbeitslos.Und er hat die ersten grauen Haare deswe-gen bekommen. Dass es einmal so weit

kommen würde, hätte er damals nach derUniversität für völlig ausgeschlossen gehal-ten. Zwar war der Start ins Berufsleben Mit-te der neunziger Jahre nicht einfach, Spani-en erlebte eine Wirtschaftskrise. Darumbildete er sich weiter: Er perfektioniertesein Englisch an der Oklahoma Universityund machte einen Deutschkurs an einerSprachenschule in Hamburg.

Dann begannen die Boomjahre in Spani-en, gestützt von der Bau- und Immobilien-branche. Gadea bekam eine Stelle in derMarketingabteilung eines weltbekanntenKonzerns: Coca-Cola. Er durchlief verschie-dene Stationen, jedes Mal wurde nicht nurder Verantwortungsbereich größer, son-dern auch das Gehalt.

Als er im zehnten Jahr für Coca-Cola ar-beitete, bekam er das Angebot, im spani-schen Immobilien-Konzern Lubasa die Lei-tung der Marketing-Abteilung zu überneh-men. Eine Herausforderung: Das Werbe-budget lag bei 20 Millionen Euro, er hattesechs festangestellte und einige freie Mit-arbeiter. Es war das Jahr 2007, es wurde soviel gebaut wie nie zuvor, man feierte ei-nen Umsatzrekord nach dem anderen, undseine Prämien stiegen: „Wir haben hart ge-arbeitet und gut gelebt.“

Doch er war nicht einmal zwölf Monateauf seinem neuen Posten, als die Immobi-lienblase platzte und die Fiesta-Stimmungin der Branche beendete. „Es ist müßig,heute darüber nachzudenken, ob ich nichtbei Coca-Cola hätte bleiben sollen“, sagt ernun. Dort wäre sein Job vermutlich sichergewesen, er hatte von seinen Vorgesetztensehr gute Beurteilungen bekommen.

Der Lubasa-Konzern stieß Abteilungum Abteilung ab, anfangs wurden jede Wo-che ein paar Mitarbeiter entlassen, späterwaren es jede Woche Dutzende, insgesamtwaren es 3000, die im Verlauf von zwei Jah-ren ihren Job verloren. Ziemlich amSchluss war auch seine Abteilung an derReihe. Gadea hatte damit gerechnet. Alsohatte er sich anderweitig umgesehen undkonnte gleich bei einer Consultingfirma an-fangen. Doch nach anderthalb Jahren hol-te ihn auch hier die Krise ein. Alles wieder-holte sich: Erst gab es Gehaltskürzungen,

dann verloren immer mehr Mitarbeiter ih-re Stelle, bis es auch ihn traf.

Doch dieses Mal hatte er nichts in derHinterhand. Es war ein tiefer Fall. Die Ober-grenze für Arbeitslosenhilfe liegt in Spani-en bei 1100 Euro im Monat. Für Gadea undseine Frau hatte das einschneidende Kon-sequenzen: Der Wagen wurde durch einkleineres Modell ersetzt, und sie zogen ineine kleinere Wohnung um. Restaurant-und Theaterbesuche – gestrichen, ebensoder zweisprachige private Kindergartenfür den vierjährigen Sohn und die Familien-ferien. Seine Frau hat versucht, in ihren frü-heren Beruf als Direktionsassistentin zu-rückzukehren. Doch auf die wenigen Stel-len melden sich Dutzende von Bewerberin-nen. Und die Gehälter, die angeboten wer-den, sind so miserabel, dass sie bestenfallsdie Kosten für ein Kindermädchen deckenwürden, das ja dann gesucht werden müss-te. Der zweite Sohn wurde vor einem Jahrgeboren, als der Vater noch Arbeit hatte,aber schon das Schlimmste fürchtete.

„Man fühlt sich auf einmal so überflüs-sig“, sagt Gadea. „Und auch die Unsicher-heit, ob es nicht noch schlimmer kommt,macht mir sehr zu schaffen.“ Er arbeitetderzeit auf freier Basis für Ernst & Young,aber er weiß, dass dies auf wenige Wochenbegrenzt ist. Wie Dutzende anderer Exper-ten, die ihre gut dotierten Jobs verloren ha-ben, besucht er nun Fortgeschrittenenkur-se im Madrider Goethe-Institut.

Das grammatische Geschlecht, wo manbei jedem Substantiv den Artikel mitler-nen muss, und die Adjektivendungen berei-ten ihm zu den Alltagssorgen zusätzlich

Kopfzerbrechen. „Chancen auf einen Jobin Deutschland habe ich nicht“, sagt er.„Die Deutschen suchen Ingenieure, keineMarketingleute.“ Aber er möchte mit deut-schen Bekannten eine Firma gründen, diespanische Fachleute an mittelständischeIndustriefirmen in der Bundesrepublikvermittelt, wo es an Technikern und Com-puterexperten fehlt. Zumindest schreibtdas die Presse, und so hat es auch Bundes-kanzlerin Angela Merkel bei ihren letztenbeiden Besuchen in Madrid verkündet.

Also liest er viel über den deutschen Ar-beitsmarkt, über deutsches Arbeitsrechtund über Unterschiede zwischen den Ar-beitskulturen beider Länder. Immer wie-der steht er lange vor der Deutschlandkar-te in seinem Unterrichtsraum im Goethe-Institut.

Nebenbei führt er seinen Internet-Blogwww.alfonsogadea.es – über Marketing.Er hat pro Monat etwa 1000 Leser. „Ja, dasist brotlose Kunst“, sagt er. „Aber ich mussetwas tun, sonst fällt mir die Decke auf denKopf.“ Auf keinen Fall wolle er sich hängenlassen. Im Gegenteil: Diszipliniert hält derfrühere Marketingdirektor einen tägli-chen Zeitplan ein.

Und in dem Blog weicht er keineswegsdem Thema Arbeitslosigkeit gerade in sei-ner Branche aus: „Meine Erfahrungen kön-nen anderen helfen.“

GESICHTERDER KRISE

Alfonso Gadea vor der Deutschlandkarteim Goethe-Institut. FOTO: PRIVAT

Geplatzte TräumeDer Spanier Alfonso Gadea hat zwei Master-Abschlüsse und war Marketingdirektor. Als die Immobilienblase in seinem Land platzte,

wurde der zweifache Vater arbeitslos. Nun lernt er Deutsch – doch dass Firmen in der Bundesrepublik ihn wirklich anstellen, glaubt Gadea nicht

„Ja, das ist brotloseKunst“, sagt er übersein Internet-Blog

Bettler im spanischen Valencia: Durch die Krise stieg die Arbeitslosigkeit, selbst gut ausgebildete Entlassene finden nun keine neue Stelle mehr und fürchten das Abrutschen in die Armut. FOTO: JUAN CARLOS CARDENAS/DPA

Geschichten aus demEurodrama, Teil 24

Süddeutsche Zeitung GELD Samstag, 5. Januar 2013München Seite 26

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