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1 Anhörung Kernfusion im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages am 28.3.2001 Antworten von Prof. A. M. Bradshaw, Max-Planck-Institut für Plasmaphysik In dieser Version wurden gegenüber der Version für den Ausschuß einige Fehler korrigiert und die Antworten A.12, A.13, B.14, B.21-B.24 ergänzt. All diese Änderungen sind kursiv gedruckt Bei der Erstellung dieser Antworten haben mitgewirkt: H.W. Bartels, H.-S. Bosch, H. Bolt, D. Campbell, W. Dyckhoff, T. Hamacher, M. Kaufmann, K. Lackner, D. Maisonnier, I. Milch, M. Pick, J. Raeder, R. Wilhelm Kommentare und Ergänzungen bitte an H.-S. Bosch, Tel. (089) 3299-2112, email [email protected] A. Stand und absehbare Entwicklung der Kernfusionsforschung A.1. Welche sind die größten wissenschaftlichen und technischen Herausforderungen, die aus heutiger Sicht noch bewältigt werden müssen? In den vergangenen Jahrzehnten wurde in vielen Experimenten weltweit die Grundlage geschaffen, um mit dem nächsten Schritt die prinzipielle Machbarkeit der Fusion zu beweisen. Dieser nächste Schritt soll das ITER-Experiment werden. In den letzten zehn Jahren wurden in einem umfangreichen gemeinsamen Programm der vier Partner Europa, Japan, Rußland und USA das Konzept erstellt. Gemeinsam mit der Industrie wurden die wesentlichen Komponenten entwickelt und als Prototypen gebaut. Die nächste Aufgabe ist nunmehr, alle notwendigen Komponenten in ITER zu einem funktionierenden Ganzen zusammenzubringen. Die besondere wissenschaftliche und technische Herausforderung bei ITER besteht darin, ein Plasma zu erzeugen und in stationärer Betriebsweise aufrechtzuerhalten, in welchem Q (das Verhältnis von erzeugter Fusionsleistung zu aufgewendeter Heiz- leistung) erstmals deutlich über 1 liegt. ITER soll einen Wert von Q 10 erreichen. Dazu notwendige Kriterien sind: Erzielen eines genügend guten Plasmaeinschlusses, Vermeidung bzw. Kontrolle von Plasmainstabilitäten, Vermeidung von Plasmaverunreinigungen, Kontrolle der intensiven Teilchen- und Leistungsflüsse auf die plasmabegrenzenden Strukturen, stetige Abfuhr der Heliumkerne und kontinuierliche Brennstoffnachfüllung. Die meisten dieser eher physikalischen Fragestellungen werden bereits in heutigen Experimenten bearbeitet, müssen nun aber in einem Reaktorplasma entsprechender

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Anhörung Kernfusionim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des

Deutschen Bundestages am 28.3.2001

Antworten von Prof. A. M. Bradshaw,Max-Planck-Institut für Plasmaphysik

In dieser Version wurden gegenüber der Version für den Ausschuß einigeFehler korrigiert und die Antworten A.12, A.13, B.14, B.21-B.24 ergänzt.

All diese Änderungen sind kursiv gedruckt

Bei der Erstellung dieser Antworten haben mitgewirkt:H.W. Bartels, H.-S. Bosch, H. Bolt, D. Campbell, W. Dyckhoff, T. Hamacher,

M. Kaufmann, K. Lackner, D. Maisonnier, I. Milch, M. Pick, J. Raeder, R. Wilhelm

Kommentare und Ergänzungen bitte an H.-S. Bosch,Tel. (089) 3299-2112, email [email protected]

A. Stand und absehbare Entwicklung der Kernfusionsforschung

A.1. Welche sind die größten wissenschaftlichen und technischenHerausforderungen, die aus heutiger Sicht noch bewältigt werden müssen?

In den vergangenen Jahrzehnten wurde in vielen Experimenten weltweit die Grundlagegeschaffen, um mit dem nächsten Schritt die prinzipielle Machbarkeit der Fusion zubeweisen. Dieser nächste Schritt soll das ITER-Experiment werden. In den letzten zehnJahren wurden in einem umfangreichen gemeinsamen Programm der vier PartnerEuropa, Japan, Rußland und USA das Konzept erstellt. Gemeinsam mit der Industriewurden die wesentlichen Komponenten entwickelt und als Prototypen gebaut. Dienächste Aufgabe ist nunmehr, alle notwendigen Komponenten in ITER zu einemfunktionierenden Ganzen zusammenzubringen.

Die besondere wissenschaftliche und technische Herausforderung bei ITER bestehtdarin, ein Plasma zu erzeugen und in stationärer Betriebsweise aufrechtzuerhalten, inwelchem Q (das Verhältnis von erzeugter Fusionsleistung zu aufgewendeter Heiz-leistung) erstmals deutlich über 1 liegt. ITER soll einen Wert von Q ≈ 10 erreichen.Dazu notwendige Kriterien sind: Erzielen eines genügend guten Plasmaeinschlusses,Vermeidung bzw. Kontrolle von Plasmainstabilitäten, Vermeidung vonPlasmaverunreinigungen, Kontrolle der intensiven Teilchen- und Leistungsflüsse aufdie plasmabegrenzenden Strukturen, stetige Abfuhr der Heliumkerne undkontinuierliche Brennstoffnachfüllung.

Die meisten dieser eher physikalischen Fragestellungen werden bereits in heutigenExperimenten bearbeitet, müssen nun aber in einem Reaktorplasma entsprechender

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Größe untersucht werden. Insbesondere muss die Skalierung der Energieeinschlußzeit τ1

auf ein Plasma, das beinahe Kraftwerksdimensionen hat, überprüft werden. Dagegensind die zentrale Plasmaheizung durch die hochenergetischen Alpha-Teilchen aus derFusionsreaktion und die durch diese Alpha-Teilchen möglicherweise erzeugtenkollektiven Effekte zwei wichtige Fragen, die erst mit ITER untersucht werden können,da sie an die Bedingung Q >> 1 gekoppelt sind.

Die technologischen Herausforderungen der Zukunft liegen insbesondere in der Mate-rialentwicklung für die Fusionsbauteile: Entwicklung von neutronenbeständigen Struk-turmaterialien mit geringem Aktivierungspotenzial, sowie von hitze- und erosions-beständigen Materialien für die Erste Wand. Weiterentwickelt werden müssen weiterhindie notwendige Fernhantierungstechnik sowie die Komponenten für den Brutkreislauf.

A.2. Wann wird voraussichtlich der erste kommerzielle Fusionsreaktor in Betriebgehen können?

Der Zeitpunkt der Inbetriebnahme eines ersten kommerziellen Fusionskraftwerks hängtentscheidend von der Realisierung der nächsten beiden Schritte ab, die vor dem Baueines Kraftwerks als notwendig angesehen werden: ITER und DEMO. Dabei wirdDEMO (die Abkürzung für das noch nicht genau spezifizierte DEMOnstrations-kraftwerk) bereits elektrischen Strom erzeugen. Zuvor ist ein hinreichend großesExperiment wie ITER erforderlich, um die physikalische und technologischeMachbarkeit der Kernfusion zu demonstrieren.

Bei einem angenommenen Baubeginn von ITER im Jahr 2006 und einemExperimentierbeginn 2014 könnte bei positiven Ergebnissen bereits 2021 dieKonstruktion und 2029 der Bau von DEMO folgen, der bereits die Dimensionen eineskommerziellen Fusionskraftwerks haben würde. Bei einer geschätzten Bauzeit von ca.neun Jahren könnte DEMO etwa 2037 in Betrieb gehen. Unter der Voraussetzung, dassfünf Betriebsjahre als Erfahrung ausreichen um mit der Konstruktion des eines erstenkommerziellen Fusionskraftwerks zu beginnen, könnte man 2047 mit dem Bau diesesFusionskraftwerks beginnen, das nach weiteren fünf bis zehn Jahren um 2055 herumerstmals elektrischen Strom in das Netz liefern könnte.

Dieser Zeitplan setzt allerdings eine nahtlose Abfolge der verschiedenen Schrittevoraus. Insbesondere muss der politischen Wille vorhanden sein, die wissenschaftlich-technischen Erkenntnisse aus ITER unverzüglich umzusetzen und einen Baubeschlussfür DEMO ohne Verzögerung herbeizuführen. Dieser Wille war in der Vergangenheit,zum Beispiel bei den ITER-Entscheidungen, nicht immer erkennbar: Selbst eine ITER-Bauentscheidung im Jahr 2001/02 bedeutet bereits eine erhebliche – politisch bedingte –Verzögerung von einigen Jahren gegenüber den früheren Planungen. Solcheverschleppten Entscheidungen werden sich direkt auf den Zeitraum bis zu einem erstenFusionskraftwerk auswirken und können nicht der Fusionsforschung angelastet werden.

1 Die Energieeinschlusszeit ist ein Maß für die Isolationsgüte des Plasmas. Sie berechnet sich als Verhältnis der

im Plasma enthaltenen Energie zur aufgewandten Heizleistung.

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Physikalische GrundlagenA.3. Wie ist der Stand der Fusionsforschung und welche Ziele werden mit einem

weiteren Großexperiment (ITER) angestrebt?

In den zurückliegenden 50 Jahren hat die Fusionsforschung in der Plasmatheorie und inexperimenteller Hinsicht erhebliche Fortschritte erzielt, die sich am deutlichsten bei denerreichten Werten für das sogenannte Fusionsprodukt (das Produkt aus den dreiPlasmaparametern Dichte, Temperatur und Energieeinschlusszeit) erkennen lassen. DerWert für dieses Fusionsprodukt, das im Kraftwerk größer als 3⋅1022 Mio. Grad Celsiusmal Sekunde pro Kubikmeter sein muss, konnte von den ersten Versuchenkontinuierlich bis zu den heutigen größten Tokamakanlagen um einen Faktor von ca.5.000.000 gesteigert werden. Es liegt beim Europäischen Gemeinschaftsexperiment JETnur noch einen Faktor 5 unter dem Zielwert für ein Kraftwerk.

In Experimenten mit Plasmen gleichen Anteils von Deuterium und Tritium (dieoptimale Mischung für die Energieproduktion) konnte JET 1997 eine Fusionsleistungvon 12 Megawatt über die Dauer von etwa einer Sekunde erzielen. Dabei wurdekurzfristig eine Spitzenleistung von 16 Megawatt erreicht. 65 Prozent der aufgewandtenHeizleistung wurden per Fusion wieder gewonnen (d.h. Q ≈ 0,65).

Diese Ergebnisse zeigen, dass die Fusionsforschung auf der physikalischen Seite ihremZiel sehr nahe gekommen ist. Für den restlichen Weg zu einem Kraftwerk reichen dieexistierenden Experimentieranlagen jedoch nicht aus. Hier werden zwar heute die fürein Kraftwerk optimalen Werte für Plasmadichte und -Temperatur standardmäßigerreicht. Um das Fusionsprodukt weiter zu steigern, muss also die Energieeinschlußzeitτ, d.h. die Plasmaisolation, verbessert werden. Da τ stark von den Plasmadimensionenabhängt, gelingt es nur in einem neuen, größeren Experiment, ein kraftwerkrelevantesPlasma mit Q>>1 zu erzeugen.

Die Mission von ITER, wie der in internationaler Zusammenarbeit konzipierte nächsteSchritt genannt wird, ist es, die wissenschaftliche und technologische Machbarkeit derFusion nachzuweisen und gleichzeitig die für die Entwicklung eines Demonstrations-kraftwerks notwendigen wissenschaftlichen und technologischen Informationenbereitzustellen. Dazu muss das Experiment eine ausreichende Größe haben, damit fürlängere Zeit (einige 100 Sekunden) ein Plasma geschaffen werden kann, in dem dieHeliumteilchen aus den Fusionsreaktionen die dominante Heizquelle bilden und eineFusionsleistung von einigen 100 Megawatt erzeugt wird (siehe auch Antwort zu A.1).

Des weiteren soll ITER alle wesentlichen technologischen Komponenten eines Fusions-kraftwerks enthalten, um den Nachweis ihrer Kompatibilität mit dem thermonuklearenPlasmabetrieb liefern zu können (supraleitende Spulen, Fernhantierungstechnik,stationäre Plasmaheizung, Tritiumtechnologie und andere Komponenten desBrennstoffkreislaufes).

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A.4. Wie lange hat bisher ein Plasma gebrannt, wieviel Energie hat es erzeugtund wieviel Energie musste zum Aufheizen zugeführt werden? Lassen sichaus diesen Kurzzeitexperimenten wirklich Schlußfolgerungen in Bezug aufeinen länger andauernden Plasma-Einschluß (Dauerbetrieb) ziehen? WelcheBrenndauer und gelieferte Energiemenge erwarten Sie von ITER?

Die längste Entladungsphase mit signifikanter D-T-Fusionsenergieerzeugung wurde anJET erreicht, wo über 5 Sekunden eine Fusionsleistung von ca. 5 MW – mit einerGesamtenergieproduktion von 22 MJ – aufrecht erhalten wurde. Die dabei von außenzugeführte Heizleistung betrug 24 MW, die während dieser Zeit zugeführte Heizenergie120 MJ. (Die vorher zum Aufheizen auf die Brenntemperatur nötige Energie war kleingegenüber der während dieser Phase zugeführten Energie). Die höchste Fusions-spitzenleistung – 16,1 MW – wurde ebenfalls an JET erzielt. Dazu wurden dem Plasmavon außen 25.7 MW zugeführt, d.h. 65 Prozent der aufgewandten Leistung wurden perFusion zurückgewonnen .

Ziel dieser speziellen Experimente war es, die Plasmaheizung durch schnelle, fusions-produzierte Heliumatome nachzuweisen und zu untersuchen. Die Ergebnisse stimmtenmit den Erwartungen überein, sind aber in diesen Punkten für ein Fusionskraftwerknoch nicht aussagekräftig genug. Dazu muss die Fusionsleistung wesentlich größer alsdie von außen zugeführte Heizleistung sein (Q >> 1, siehe A.1), ein Zustand, der erst ineinem Experiment von ITER-Größe erreichbar sein wird. Diese Untersuchungen sinddamit das physikalische Hauptziel von ITER.

Die Aufrechterhaltung eines Tokamakplasmas durch von außen zugeführte Energie isthingegen gut bewiesen: in einer kleinen japanischen Anlage wurde zum Beispiel bereitsEntladungsdauern von zwei Stunden erreicht. Aussagekräftig für den Dauerbetrieb sindEntladungen, in denen sich die Temperatur und Plasmastromprofile auf einenGleichgewichtszustand eingestellt haben. Deren Einstellzeiten sind von der Größe derAnlage abhängig und betragen bei ITER einige Sekunden (Temperatureinstellzeit) bzw.mehr als 100 Sekunden (Stromeinstellzeit). ITER wurde in seiner Brenndauer soausgelegt, dass dieser Beweis erbracht werden kann, d.h. der Gleichgewichtszustanderreicht wird. In einer Betriebsart, in der der Strom durch einen Transformator getriebenwird, wird ITER 500 MW Fusionsleistung über ca. 400 Sekunden liefern, also eineEnergie pro Puls von 200 000 MJ. Die Energiezufuhr von außen wird dabei nur 1/10dieses Wertes betragen. In anderen Betriebsformen können – bei geringererLeistungsvervielfachung – an ITER Pulslängen von 2000 Sekunden, bzw.wahrscheinlich sogar auch echter Dauerbetrieb erreicht werden.

A.5. Sind das Verhalten eines Deuterium-Tritium-Plasmas (im Gegensatz zueinem reinen Deuterium-Plasma, wie es z.B. in Greifswald eingesetzt wird),die Auswirkungen der hohen Neutronenflüsse und der Brutprozessausreichend erforscht, insbesondere für eine Großanlage?

Die Untersuchungen mit Deuterium-Tritium-Plasmen in JET, aber auch in TFTR,Princeton, haben gezeigt, dass sich diese Plasmen prinzipiell nicht anders verhalten alsdie üblicherweise verwendeten reinen Deuterium-Plasmen. Auch die durch Ersetzenvon Wasserstoff durch Deuterium und schließlich Tritium erwartete Verbesserung desEnergieeinschlusses trat auf. Die spezifischen Aspekte eines Deuterium-Tritium

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Plasmas (vor allem die Selbstheizung bei Q >> 1) hingegen sind – wie oben bereitsdiskutiert – das physikalische Hauptuntersuchungsziel für ITER.

Der aufsummierte Neutronenfluss in ITER ist auf ein Maß begrenzt, das mit etabliertenund getesteten Materialien ohne Probleme handhabbar ist. Der Brutprozess (zumErzeugen des Brennstoffes Tritium aus Lithium) wird nur in austauschbaren Modulengetestet werden. Das Erbrüten des Brennstoffes ist keine Voraussetzung für denerfolgreichen ITER-Betrieb, denn der Brennstoff für ITER-FEAT steht inausreichenden Mengen - entstanden z.B. als Abfallprodukt der kanadischen Spalt-kraftwerke vom Typ CANDU - bereits jetzt zur Verfügung.

A.6. Ist die Deuterium-Tritium-Fusion der vielversprechendste Weg zu einemLeistungsreaktor? Sind alternative Brennstoffkonzepte ("fortgeschritteneBrennstoffe") vorstellbar? Welche Vorteile und Nachteile wären damitverbunden?

Die Deuterium-Tritium Reaktion ist die einzige, mit der ein Kraftwerk basierend aufnachgewiesenen physikalischen Lösungen gebaut werden könnte. Alle anderenReaktionen (D-He3, D-D, p-B) erfordern eine Güte des Energieeinschlusses, die ausheutiger Sicht (bisherige physikalische Erfahrung, bekannte Technologiensupraleitender Magnete) in Anlagen akzeptabler Größe nicht erreichbar ist.

D-He3 und D-D würden das Tritium-Brütens überflüssig machen. D-He3 würde zudemden Neutronenfluß mehr als halbieren. Nur die p-B Reaktion würde ganz ohneNeutronenproduktion auskommen.

Die Anforderungen an die Einschlussgüte, die diese drei alternativen Konzepte stellen,sind allerdings exorbitant. Das Einschlusstripelprodukt nTτ, welches das beste Maß fürdie physikalischen Anforderungen ist, müsste für ein D-He3 Kraftwerk (das zudem fürseine Brennstoffversorgung auf Lieferung des He3 vom Mond angewiesen wäre) umeinen Faktor 50, für D-D um einen Faktor 100, und für p-B um einen Faktor 1000gegenüber ein Deuterium-Tritium Kraftwerk angehoben werden.

A.7. ITER soll ein Tokamak werden. Wie ordnet sich dabei die gleichzeitige Ent-wicklung des Stellaratorkonzeptes ein? Ist die Plasmaphysik für beideKonzepte ausreichend verstanden?

Physikalisch unterscheiden sich die beiden Anlagen-Varianten darin, dass der Tokamakneben äußeren Magnetspulen zur Stabilisierung seines Plasmas einen innerenPlasmastrom benötigt, während im Stellarator das Plasma allein durch die Magnetfelderäußerer, besonders geformter Spulen stabilisiert wird. Der Plasmastrom im Tokamakhat Vorteile – er dient zur anfänglichen Plasmaheizung – , besitzt aber auch Nachteile:Er ist eine Quelle von Plasmainstabilitäten. Zudem begrenzt der Plasmastrom dieEntladungsdauer, wenn er konventionell, d.h. induktiv, erzeugt wird. Ein so betriebenerTokamak kann nur gepulst arbeiten, was für ein Kraftwerk ungünstig wäre. Daher wirdintensiv untersucht, wie der Plasmastrom beim Tokamak auf andere Weise, z.B. durchintrinsische Ströme (Bootstrap-Strom) oder durch Stromtrieb mit eingestrahlten

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Teilchen oder Hochfrequenzwellen erzeugt werden kann. Die Untersuchung solcherKonzepte ist auch für ITER vorgesehen.

Der Stellarator ist von seiner Konzeption her grundsätzlich für einen stationären Betriebgeeignet. Er bietet sich daher als aussichtsreiche Alternative zum Tokamak an und wirdmit dem Experiment WENDELSTEIN 7-X in Greifswald gründlich erforscht werden.Wegen der Stationarität und weil die oben genannten Instabilitäten nicht auftreten,könnte das Stellaratorkonzept wohl zu einem effizienteren System führen, aber dastheoretisch begründete, optimierte Einschlußkonzept muss zunächst einmal mit W7-Xexperimentell verifiziert werden.

Aus historischen Gründen ist der Tokamak jedoch bereits weiter entwickelt als derStellarator und erreicht schon heute Plasmawerte, die nahe an den erwarteten Werten fürein Kraftwerk liegen. Daher kam für ITER nur das Tokamakprinzip in Frage. Allerdingssieht die europäische Fusionsstrategie vor, dass die Stellaratorlinie (in Europa imwesentlichen mit Wendelstein 7-X) parallel zu ITER weiter entwickelt wird. FürDEMO ist also die Frage noch offen, ob die Anlage ein Stellarator oder ein Tokamakwerden wird. Dahinter steht auch die Tatsache, dass alle noch notwendigentechnologischen Entwicklungen unabhängig vom Einschlußkonzept sind, und so die anITER getesteten Entwicklungen später direkt für den Stellarator genutzt werden können.

Bezüglich der Plasmaphysik muss festgehalten werden, dass – abgesehen vomMechanismus zur Erzeugung der einschließenden Magnetfelder – die beidenEinschlusskonzepte dieselben physikalischen Grundlagen besitzen. Dadurch kann vielplasmaphysikalisches Wissen von einem Einschlusskonzept auf das andere übertragenwerden. Es ist übrigens eine Stärke des IPP, als weltweit einziges Fusionsinstitutsowohl Tokamaks als auch Stellaratoren zu untersuchen. Aus dem Vergleich derErgebnisse mit den beiden magnetischen Konfigurationen ergeben sich synergetischeEffekte, die zu einem vertieften Verständnis der Eigenschaften magnetischerKonfigurationen führen.

A.8. Können bei ITER-FEAT die charakteristischen Kenngrößen des Plasmas,die in der Nähe des erwarteten Operationspunktes eines Fusionsreaktorsliegen, und die physikalischen Aspekte der thermonuklearen Plasmaheizunghinreichend getestet werden?

ITER-FEAT wurde so ausgelegt, dass er auf kostengünstigste Weise schlüssigephysikalische Informationen für ein Kraftwerk liefern kann.

Die physikalische Ähnlichkeit oder Unterschiedlichkeit verschiedener Anlagen kanndurch dimensionslose Parameter (analog z.B. der aus der Luftfahrt bekanntenMachzahl) beschrieben werden. Die reine Plasmaphysik wird dabei durch dreicharakteristische Parameter dominiert, von denen zwei in jedem Experiment in breitemRahmen variiert werden können. Der dritte Parameter (genant ρ*) ist jener, in dem sichbisherige Experimente am stärksten von ITER-FEAT und einem Kraftwerkunterscheiden. JET, das größte existierende Experiment, arbeitet typisch bei einemWert, der um einen Faktor drei größer ist als der eines Kraftwerks. ITER-FEAT wirdjedoch auch in diesem Parameter die Kraftwerkswerte erreichen können.

Für die spezifischen Aspekte des thermonuklearen Brennens ist jedoch vor allem auchQ, das Verhältnis zwischen der im Plasma durch Fusionsreaktionen erzeugten Leistung

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zu der von außen zugeführten Leistung wichtig. Das Fünftel der Fusionsleistung, das inForm schneller Helium-Ionen entsteht, dient gleichzeitig der Selbstheizung des Plasmas.Um diesen Aspekt aussagekräftig untersuchen zu können, muss die Selbstheizunggrößer sein als die von außen zugeführte Heizleistung. Bei Q gleich 10 – dem gewähltenArbeitspunkt von ITER-FEAT – ist die Selbstheizung doppelt so groß wie die vonaußen zugeführte Heizleistung, was als ausreichend angesehen wird.

Andere physikalische Schlüsselfragen eines Kraftwerks, die ebenfalls von ITERbeantwortet werden müssen, sind der Dauerbetrieb sowie die Abfuhr der Leistung unddes – als ”Asche“ – entstehenden Heliums. ITER-FEAT ist in diesen Punkten mitSystemen ausgerüstet, die als prototypisch für ein Kraftwerk gelten sollten.

Technologie und ReaktorbetriebA.9. Ist es gesichert, dass die Fusion als Energiequelle technisch funktioniert?

Stehen die dafür notwendigen Technologien und Materialien zurVerfügung? Welche sind noch zu entwickeln? Wie lange werden dieseEntwicklungen noch dauern? Welche technologischen Meilensteine werdenzu welchen Zeitpunkten voraussichtlich erreicht sein?

Wie oben ausgeführt, ist es gerade die Aufgabe von ITER, die physikalischeMachbarkeit eines energieproduzierenden Plasmas zu demonstrieren und einen Teil dertechnisch notwendigen Komponenten zu testen. DEMO muss dann die technischeMachbarkeit eines Fusionskraftwerkes demonstrieren. Insofern kann diese Frage heutenicht beantwortet werden. Es ist allerdings in keinem der bisherigenFusionsexperimente ein prinzipielles Problem aufgetaucht, das die technischeRealisierung der Kernfusion als Energiequelle ausschließt.

Wie in A.1-A.8 aufgeführt, ist eine Schlüsselforderung für ein Fusionskraftwerk dieVerfügbarkeit von Materialien, die den Belastungen durch das Plasma und dieenergiereichen Neutronen standhalten. Über die letzten zwanzig Jahre hinweg war esein wichtiges Ziel des weltweiten Fusionsprogrammes, diese Materialien undKomponenten – in Zusammenarbeit mit Industrie und anderen Forschungseinrichtungen– parallell zur Plasmaphysik zu entwickeln. Viele Technologien wurden bereitsausgearbeitet und in JET getestet. Diese Arbeiten in kritischen Gebieten derFusionstechnologie zeigen, dass die meisten technologischen Probleme auf der Basisder gewonnenen Erfahrung und Erkenntnisse gelöst werden können. Unter den noch zuentwickelnden Technologien sind: die plasmabelasteten Materialien der ersten Wand,die Strukturmaterialien für Bereiche mit hoher Neutronenbelastung, die Brutblankets(für die Erzeugung des Brennstoffs Tritium aus Lithium), Methoden zur Diagnostik desPlasmas und zur Inspektion und Wartung des Plasmagefässes. Die Materialien undKomponenten müssen letzlich der hohen Neutronenbelastung standhalten, sowie denhohen Temperaturen und Kühlmitteldrucken, die für den thermodynamisch effizientenBetrieb eines Kraftwerks benötigt werden. Die Lebenszeit der Komponenten muss hochgenug sein, um die notwendigen Auswechslungen auf ein ökonomisch vertretbares Maßzu begrenzen.

Zusätzlich zu diesen Anforderungen sollten die in einem Fusionskraftwerk benutztenMaterialien auf eine niedrige Aktivierbarkeit („low activation“) hin optimiert sein, umdie ökologische Attraktivität eines Fusionskraftwerkes voll auszunutzen. Basierend aufbisherigen Arbeiten besteht Einvernehmen, dass für das angestrebte, in die erste Wandintegrierte, Brutblanket-Konzept nur eine begrenzte Anzahl von Kombinationen für

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Strukturmaterial mit Brut- und Kühlmedium und Neutronenmultiplikator existiert.Diese können in zwei Kategorien unterteilt werden, nämlich die Festkeramik- und dieFlüssigmetall-Blankets. Drei unterschiedliche Strukturmaterialien, ferritisch-martensitische Stähle, Vanadiumlegierungen und SiC/SiC Keramiken (Siliziumkarbid-faserverstärktes Siliziumkarbid), die die Bedingung niedriger Aktivierbarkeit erfüllen,werden dabei betrachtet. Strategien für die weitere Entwicklung dieser Materialien undihre Qualifikation für die Nutzung in einem Fusionskraftwerk wurden so ausgearbeitet,dass die Zeitskala zur Entwicklung der Fusionskraftwerke passt. Das Entwicklungs-programm für diese Materialien und andere Techniken wird – in Ergänzung zuexistierenden Bestrahlungsmöglichkeiten, d.h. hauptsächlich in Kernspaltungsreaktoren– den Bau einer speziellen hochintensiven Fusionsneutronenquelle erfordern. Solch eineQuelle, die beschleuniger-getriebene D-Li Neutronenquelle IFMIF (International FusionMaterials Irradiation Facility), wurde in einer weltweiten Kooperation im Rahmen derInternational Energy Agency, (IEA) konzipiert und vorgeschlagen.

Die Bestrahlungstests der Materialien für DEMO an einer IFMIF-ähnlichen Anlage biszu einer Bestrahlungsdodis von mindestens 80 dpa (displacements per atom) müssenrechtzeitig während der Entwurfsphase von DEMO erfolgreich vollendet sein, damitdiese Materialien auch verwendet werden dürfen.

A.10. Können im Projekt ITER-FEAT alle für einen Fusionsreaktor relevantenTechnologien und Komponenten integriert und im Hinblick auf ihreKompatibilität mit einen thermonuklearen Plasmabetrieb untersuchtwerden?

ITER-FEAT wurde entsprechend den vom ITER-Council spezifizierten Vorgabenentworfen. Dies beinhaltet insbesondere eine Kostenreduktion gegenüber dem erstenITER-Entwurf mit einer entsprechenden Reduktion der technischen Ziele. Trotz derdadurch verringerten Plasma-Zielwerte und dem kleineren Spielraum bei denverwendeten Skalierungen für die Plasmaparameter (insbesondere für dieEnergieeinschlusszeit) sollte das ursprüngliche programmatische Ziel von ITERerhalten bleiben: die Demonstration der physikalischen und technischen Machbarkeitder Fusion als Energiequelle. Einige Aspekte, vor allem im Zusammenhang mit demBetrieb bei Q →∞ und mit den technologischen Anforderungen an ein Fusions-kraftwerk, sind in den Anforderungen an ITER-FEAT nicht enthalten.

Dem ITER-Design-Team ist es gelungen, alle für das Erreichen dieser Zielenotwendigen Technologien und Komponenten zu integrieren. Die kritischen Aspekte,die in einem Fusionskraftwerk gegenüber ITER-FEAT noch hinzukommen, betreffendie höhere Leistungsproduktion (d.h. Betrieb bei höherem Q) und den für einLeistungskraftwerk benötigten kontinuierlichen Betrieb über lange Zeiten. ITER-FEATwird zudem noch kein volles Tritium-Brutblanket haben, aber die dazu vorgeschlagenenLösungen in Testmodulen untersuchen. Auch die optimierten Materialien (siehe A.9)stehen für ITER-FEAT noch nicht zur Verfügung. Beide Technologien sind derzeitnoch in der Entwicklung und werden erst bei DEMO zum Einsatz kommen.

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A.11. Um wieviele Jahre verlängert sich die Zeitplanung nach dem Jahr 2050,wenn der ITER-FEAT statt der ursprünglich geplanten Vollversion gebautwird und dadurch ein Teil des Entwicklungsrisikos auf den DEMO-Reaktorverschoben wird?

Wesentlich für den Zeitplan bis zum Kraftwerk ist die Anzahl der nötigenAnlagengenerationen. Auch die Zielplanung von ITER-FEAT geht davon aus, dass eralle Voraussetzungen für den Bau eines DEMO liefern kann und daher zunächst zukeiner Zeitverzögerung führt. ITER war und ist gedacht als einziger Zwischenschritt zuDEMO, wobei eine gewisse Freiheit in der Aufteilung des Gesamtintervalls existiert. Indem vom ITER-Team 1998 vorgelegten Entwurf war vorgesehen, dabei mit ITER auchin der Fusionsleistung bereits in die Dimension eines echten Kraftwerkes (ca. 1500 MWthermische Leistung) vorzudringen. Die jetzt gewählte Aufteilung verschiebt tatsächlichein gewisses Entwicklungsrisiko bezüglich der Technologie auf den Schritt von ITERzu DEMO, doch wird dies als tragbar erachtet.

Auf physikalischer Seite steht zu erwarten, dass die Möglichkeiten der Computer-simulation in dem betrachteten Zeitraum bis zum Planungs- bzw. Baubeginn vonDEMO große Fortschritte machen werden (siehe Antwort C.14). Diese können zwarnicht Experimente ersetzen, wenn qualitativ neue Fragestellungen untersucht werdenmüssen, wie dies in dem Falle der dominierenden Selbstheizung an ITER der Fall ist.Sie werden jedoch eine wesentlich höhere Sicherheit in der Extrapolation bieten unddamit auch den quantitativen Unterschied zwischen ITER-FEAT und DEMOüberbrücken zu können.

Auf technologischer Seite wird ITER die Integration aller notwendigen Technologien -miteinander und in ihrer Verträglichkeit mit einem brennenden Plasma - in prinzipiellerForm testen. Weder für den „großen“ noch für den jetzigen „kleinen“ ITER warvorgesehen, dass die einzelnen Technologien (supraleitende Magnete, hoch-hitzefesteWandmaterialien, Brennstoffkreislauf einschließlich Erbrüten des Brennstoffes Tritiumaus Lithium, Betrieb, Service, und Umbauten durch ferngesteuerte Roboter) bereits imDetail die für DEMO oder ein Serienkraftwerk optimale Ausformung haben werden.Vor allem werden dazu auch weitere Materialentwicklungen und –tests nötig sein, wiein der Antwort zu Frage A.9 beschrieben.

A.12. Ist die "erste Wand" technologisch und in Bezug auf das Materialbeherrscht?

Das Forschungszentrum Karlsruhe befaßt sich intensiv mit der Entwicklung vonMaterialien für die Erste Wand und das Blanket von Fusionsreaktoren, wobei in denvergangenen Jahren bedeutende Fortschritte erzielt wurden. Im Rahmen dieserArbeiten werden (ferritisch-martensitische) Stähle (Bezeichnung EUROFER) mit maß-geschneiderter Elementzusammensetzung und Struktur entwickelt. Nach derverfügbaren Datenlage über das Bestrahlungsverhalten wird eine Belastbarkeit dieserStähle bis zu einer Neutronenbeaufschlagung von mindestens 150 dpa (displacementsper atom) erwartet. In einem Fusionsreaktor wird die jährliche Beaufschlagung 30 dpapro Jahr betragen. Da diese Stähle schon heute mit hoher Reinheit und maß-geschneiderter Elementzusammensetzung hergestellt werden können, weisen sie bereitsjetzt ein günstiges Deaktivierungsverhalten nach dem Betrieb auf. Die vorgesehenenStähle können mit „konventionellen“ Methoden wie z.B. Schweißverfahren oderheißisostatischen Preßverfahren zu Bauteilen und Komponenten verarbeitet werden.

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A.13. Wie lange halten die Wandkomponenten, bevor sie ausgetauscht werdenmüssen?

Nach der verfügbaren Datenlage über das Bestrahlungsverhalten von Stählen, diespeziell für die Fusion entwickelt wurden, können die jetzt bereits verfügbarenMaterialien einer Neutronenbeaufschlagung von mindestens 150 dpa (displacementsper atom) standhalten. In einem Fusionsreaktor wird die jährliche Beaufschlagung 30dpa pro Jahr betragen. Das bedeutet, daß bereits jetzt eine Betriebszeit der ErstenWand von fünf Jahren vorgesehen werden kann. Derzeit laufen Untersuchungen imForschungs-zentrum Karlsruhe, ob diese Materialien auch für noch längereBetriebszeiten eingesetzt werden können.

A.14. Wie lange ist die zu erwartende Stillstandzeit bei dem Austausch der erstenWand und wie oft wird dies erforderlich sein? Welche Probleme könnenbeim Austausch der Divertor-Kassetten an der Schnittstelle zwischenMensch und Maschine auftreten? In welcher Leistungsgröße müssenwährend der Stillstandszeit Ersatzkapazitäten zur Verfügung stehen?

Genaue Angaben über die Stillstandszeiten setzen Detailkenntnisse über das Designeines Fusionskraftwerkes voraus, die heute noch nicht vorliegen. Es ist aber klar, dassdieser Austausch per Fernhantierung und weitgehend automatisiert ablaufen wird.

Erfahrungen mit solchen Technologien liegen allerdings bereits von JET vor, wo dergesamte Divertor per Fernhantierungstechnik ausgewechselt wurde, und aus denForschungs- und Entwicklungsarbeiten für ITER. Für ITER wurde ein detailliertesKonzept zur Auswechslung der Divertorkassetten erstellt, welches auch in einerDemonstrationsanlage (in Brasimone/Italien) experimentell erprobt wurde.

Erste Abschätzungen für ein Fusionskraftwerk ergeben Stillstandszeiten von ca. dreiMonaten, die aber nur alle etwa 3 bis 5 Jahre notwendig werden. Diese Stillstandszeitensind in den gegenwärtigen Kraftwerkstudien (siehe Antwort zu C.2) berücksichtigt, undin der dort zitierten Verfügbarkeit eines Fusionskraftwerkes von etwa 75 % enthalten.

A.15. Eignet sich ein Tokamak wegen seiner physikalischen Eigenschaften fürden kontinuierlichen Betrieb zur Energieversorgung?

Ein Tokamakkraftwerk könnte entweder gepulst (mit einer Pulsdauer von drei bis vierStunden, unterbrochen durch eine Pause von 100 – 200 Sekunden), oder in echtemDauerbetrieb arbeiten.

Auch in der ersten – gepulsten – Betriebsform würde das Kraftwerk zu kontinuierlicherEnergieabgabe fähig sein, da die Wärmekapazität der Anlage bzw. einzwischengeschalteter Wärmespeicher die Entladungspausen überbrücken könnte.

Ein echter Dauerbetrieb einer Tokamakentladung kann erreicht werden, wenn dernotwendige Plasmastrom zum Teil durch eingestrahlte Wellenfelder oder durchTeilchenstrahlen getrieben wird. Dieser zweite Betriebszustand wurde inzwischen durchExperimente an allen mit entsprechenden Zusatzanlagen ausgerüsteten Tokamaksnachgewiesen. Dies ist auch die den meisten Kraftwerksentwürfen zugrunde liegendeBetriebsform (siehe hierzu auch A.4).

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A.16. Welchen Energiebedarf wird der ITER im Betrieb für Heizung undMagnete haben?

An seinem nominellen Arbeitspunkt wird ITER eine Fusionsleistung von 500 MW –mit einem Leistungsverstärkungsfaktor Q ≈ 10 – produzieren, d.h. im Plasma wird eineHeizleistung von etwa 50 MW (in der Form von Hochfrequenzstrahlung undTeilchenstrahlen) benötigt.

Dabei wird für das Magnetsystem eine elektrische Leistung von 60 bis 100 MWbenötigt werden, für die gesamte Plasmaheizung etwa 150 MW. Darüber hinaus wirdeine elektrische Leistung von 100 MW für sonstige Zwecke bereitgestellt werden (u.a.damit das Kontrollsystem über die magnetischen Spulen auf Änderungen derPlasmaparameter reagieren kann).

Da ITER nur gepulst betrieben wird, wird auch diese Gesamtleistung von ca. 350 MWnicht kontinuierlich aus dem Netz benötigt, sondern teilweise aus Speichersystemen(z.Bsp. Schwungradgeneratoren) für den Kurzzeitbetrieb bereitgestellt. DieAnschlußleistung des ITER-Projektes am Netz wird ca. 120 MW betragen.

A.17. Inwieweit ist der ITER Final Design Report (1998) und die vollständigeInformation über das abgespeckte Design des ITER-FEAT öffentlichzugänglich? Wurde das ITER-FEAT Design von unabhängigen Expertengeprüft?

Prinzipiell sind alle Berichte und Studien zur Fusionsforschung öffentlich zugänglich,entweder in wissenschaftlichen Zeitschriften, die per „Peer review“ begutachtet werdenoder in Veröffentlichungsreihen internationaler oder nationaler Organisationen. Auchaussagefähige interne Berichte können von der jeweiligen Forschungseinrichtungangefordert werden.

Sowohl der ITER Final Design Report [1] wie auch der ITER-FEAT Outline DesignReport [2] sind von der International Atomic Energiy Agency, IAEA, in ihrer ITERDokumentationsserie veröffentlicht worden und verfügbar. Der ITER-FEAT FinalDesign Report ist derzeit in Vorbereitung und wird nach seiner Übergabe an die ITER-Partner ebenfalls in dieser Serie veröffentlicht werden. Zusätzlich ist die physikalischeBasis, die dem ITER-Design zu Grunde liegt, veröffentlicht worden, und zwar in einerder wichtigsten wissenschaftlichen Zeitschriften zur Fusionsforschung [3]. Diese sehrausführliche Veröffentlichung (ein Sonderheft mit über 500 Seiten) ist vor derVeröffentlichung - wie üblich - von einer Gruppe unabhängiger Wissenschaftlerbegutachtet worden.

Alle ITER Design Reports wurden – von jeder der ITER-Parteien – detailliert vonGruppen unabhängiger Experten aus Fusionsforschung und Industrie begutachtet. DiesePanels haben bestätigt, dass jedes der Designs die in der jeweiligen Designphasegestellten wissenschaftlichen und technologischen Anforderungen vollständig erfüllte.Auch die Reports dieser Panels sind von der IAEA in der ITER Documentations Serieveröffentlicht worden.

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B. Chancen und Risiken der Kernfusion für Mensch und UmweltB.1. Welche wichtigen radiologischen und nicht radiologischen Risiken bestehen

beim Betrieb eines Fusionsreaktors, und wie sind sie im Vergleich zuanderen Formen der Energieerzeugung einzuordnen?

Fusionskraftwerke werden kein hohes radioaktives Inventar (wie zum BeispielBrennstäbe) enthalten; auch das Risiko einer unkontrollierten Energiefreisetzungbesteht nicht. Da der Energieinhalt des Plasmas sehr gering ist, ist eine Zerstörung voninnen auszuschließen, nur Zerstörungen des Kraftwerkes von außen (z. B. durch einenFlugzeugabsturz) sind vorstellbar. Diese könnten zur Freisetzung von Emissionenführen, die weiter unten diskutiert werden.

Beim Fusionskraftwerk ist ein radiologisches Risiko mit der Emission von Tritium2 undAktivierungsprodukten3 verbunden. Der Begriff ‘Risiko’ enthält nach allgemeinemVerständnis zwei Elemente: die Folgen eines Ereignisses und die Häufigkeit mit derdieses Ereignis eintreten kann:

- Das wichtigste Risiko für Personen innerhalb oder außerhalb des Kraftwerkes liegtin radioaktiver Strahlung. Die dabei möglichen Dosen sind aber sowohl imNormalbetrieb wie auch bei Unfällen vergleichsweise gering (s. weiter unten).

- Auch die Häufigkeit von Unfällen mit nennenswerten Folgen ist bei Fusions-kraftwerken sehr gering (s. weiter unten).

- Die Kombination der geringen Folgen mit der geringen Häufigkeit führt zu demSchluss, dass die radiologischen Risiken beim Betrieb von Fusionskraftwerkenebenfalls gering sind.

Für den Normalbetrieb eines Fusionskraftwerks werden in der Antwort auf die FrageB.10 Zahlenwerte dargelegt, die für Emissionen und Dosen erwartet werden. DieseWerte sind gering und liegen der Größenordnung nach bei den Dosen, die durchKohlekraftwerke verursacht werden. Diese emittieren ebenfalls radioaktive Substanzen,da die natürlichen Radioisotope Kalium-40, Thorium-232, Uran-235 und Uran-238 inKohle enthalten sind. Hinzu kommt, dass sich diese Isotope in der Kohleascheanreichern und, je nach deren Verwendung, weitere Dosisbelastungen verursachenkönnen.

Die oben angesprochenen Dosen durch Fusions- und Kohlekraftwerke liegen derGrößenordnung nach auch im Bereich der Werte für bestentwickelte Spaltungs-kraftwerke.

Einzelheiten zu Unfällen mit Fusionskraftwerken werden in den Antworten auf dieFragen B.16 bis B.20 dargelegt. Insgesamt ist das Risiko gering, da in einemFusionskraftwerk nur vergleichsweise geringe Energieinventare gespeichert sind. Siereichen auch bei sehr pessimistischen Annahmen nicht aus, um signifikanteMaterialmengen hoch zu erhitzen oder gar zu schmelzen. Die Energien reichen auchnicht aus, um alle Einschlussbarrieren zu brechen.

2 Tritium (ein radioaktives Wasserstoff-Isotop mit zwei Neutronen im Atomkern) ist einer der beiden

Brennstoffe in einem Fusionskraftwerk.3 Die bei der Fusionsreaktion von Deuterium und Tritium entstehenden Neutronen können die Atome der

metallischen Strukturen um das Plasma aktivieren, d.h. sie in – dann radioaktive- Kerne umwandeln.

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Die Folgen von Unfällen mit Spaltungskraftwerken können – unter den pessimistischenAnnahmen, die bei der Analyse von Fusionsunfällen üblich sind – Werte erreichen, dieum mehrere Grössenordnungen höher sind als bei der Fusion. Deshalb sind beiSpaltkraftwerken ‘aktive’ Sicherheitssystem äusserst wichtig und ‘passive’ Sicherheitkann nur mit sehr großem Aufwand annähernd erreicht werden.

Die Ursache hierfür ist das Energieinventar in einem Spaltungskraftwerk. Es ist ummehrere Größenordnungen höher als im Fusionskraftwerk und kann unter ungünstigenUmständen schnell freigesetzt werden. Die Gegenmaßnahmen im Falle eines Unfallesmüssen deshalb beim Spaltungskraftwerk sehr schnell greifen, bei manchen Ereignisseninnerhalb von Sekunden. Bei der Fusion liegen diese Zeiten im Bereich von Stunden.

Nicht-radiologische Risiken der Kernfusion sind grundsätzlich ähnlich denen beianderen technischen Systeme gleicher Größenordnung. Details werden naturgemäß hierund da verschieden sein, bei der Kernfusion beispielsweise könnten Risiken entstehendurch die Verwendung von Beryllium.

B.2. Wo sehen Sie die ökologischen Vorteile der Fusion?

Ein großer ökologischer Vorteil der Fusion ist die Tatsache, dass beim Betrieb mitSicherheit keine Gase erzeugt werden, die das Klima schädigen können oder anderetoxische Wirkungen entfalten.

Ein weiterer großer ökologischer Vorteil liegt in der hohen Dichte, mit der dieFusionsenergie im Brennstoff des Deuterium-Tritium-Prozesses gespeichert ist. Deshalbwerden in einem Kraftwerksleben nur geringe Mengen verbraucht, lediglich einige zehnTonnen der Brennstoffe Deuterium und Lithium sind erforderlich. Mit derenGewinnung sind weder nennenswerter Bergbau noch andere signifikanteUmweltschäden verbunden. Hinzu kommt, dass Deuterium- und Lithiummengen, diefür die Fusion extrem lange ausreichen würden, im Wasser, insbesondere imMeerwasser, enthalten sind.

Die Katastrophenfreiheit eines Fusionskraftwerkes bei Unfällen ist ein erklärtesKonstruktionsziel, dessen Erreichbarkeit kaum bezweifelt wird. Ganz offensichtlich istdamit auch ein großer ökologischer Vorteil verbunden, da die mit Katastrophenverbundenen Schäden in der Umwelt nicht auftreten können.

Der weitaus größte Teil der Materialien, die zum Bau von Fusionskraftwerkengebraucht werden, sind konventionell: Stahl, eventuell Vanadiumlegierungen, Kupfer,einige andere übliche Metalle, Keramik, Beton. Weitere Materialien – invergleichsweise geringen Mengen gebraucht – sind keineswegs besonders ausgefallen,es sei denn, Beryllium, Blei, Niob und Titan werden in dieser Weise eingeschätzt. DieGesamtmasse, die in einem Fusionskraftwerk verbaut würde, mag etwa doppelt so großsein wie in anderen Energieanlagen nach heutiger Technik bei gleicher Leistung. Sieliegt also in einer üblichen Größenordnung. Somit gilt dies auch für den damitverbundenen Bergbau und die nachfolgende Verarbeitung und Logistik. Hinzu kommt,dass die Rezyklierung von Materialien in neue Kraftwerke ein erklärtes Ziel undArbeitsfeld der Fusionsforschung ist. Insgesamt würde die Fusion nicht zu neuartigenoder weiteren Umweltbelastungen im Rahmen der Materialbeschaffung führen, wasnicht für alle anderen innovativen Technologien sicher zu sein scheint bzw. dort auchnoch nicht systematisch studiert worden ist.

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B.3. Inwieweit fügt sich die Energiegewinnung mit Kernfusion in das Konzept derNachhaltigen Entwicklung ein?

Antworten auf diese Frage werden auch im Rahmen anderer Fragen gegeben,insbesondere unter B.2. Der dort dargelegte geringe Brennstoffverbrauch und dieFreiheit von klimaschädigenden Emissionen während des Betriebes sind herausragendwichtige Beiträge zur Vorsorge für zukünftige Generationen von Menschen, Tieren undPflanzen.

Äußerst wichtig im Zusammenhang mit Brennstoffen ist die Tatsache, dass der Betriebvon Fusionskraftwerken die Verbrennung fossiler Materialien vermindern würde. Diesist nicht nur wegen der damit vermiedenen Emissionen wichtig. Die fossilenRessourcen sollten nämlich, soweit möglich, nicht als Brennstoffe vergeudet werden.Vielmehr sind sie wichtige Rohstoffe, die zukünftigen Generationen nichtunwiederbringlich entrissen werden dürfen. Die Reichweite der Brennstoffe für dieDeuterium-Tritium-Fusion ist außerordentlich lang, in der Größenordnung vonMillionen Jahren.

Die Menge an Baumaterialien liegt in dem Rahmen, der bei Energiesystemen üblich ist.Der weitaus größte Teil der Materialien ist konventionell, so dass künftige Generationennicht wesentlicher Rohstoffe beraubt werden. Hinzu kommt die Möglichkeit derRezyklierung wichtiger Materialien in neue Kraftwerke.

Die Radiotoxizität der radioaktiven Materialien klingt – bis auf einen Prozent-Anteil –schnell mit der Zeit ab, was im Rahmen der Nachhaltigkeit sehr wichtig ist. Deshalbwerden zukünftige Generationen nur wenig und insbesondere nicht für extrem langeZeiten belastet.

Es ist durchaus möglich, dass die Kernfusion bezüglich der Nachhaltigkeit anderen,innovativen Energieversorgung technologie nicht nur ebenbürtig, sondern überlegen ist.Deshalb wäre es notwendig, alle Technologien ebenso umfassend und sorgfältig zubewerten, wie dies für die Kernfusion schon seit langer Zeit geschieht. Die Kernfusionwird wohl mit Recht als die Zukunftstechnologie betrachtet, die am besten von allenbezüglich ihrer Implikationen untersucht wird. So bezeichnet eine US-Studie die Fusionals “possibly the most reviewed science and technology program in history” (Seite 41 inRef. [4]).

B.4. Wie schätzen Sie die öffentliche Akzeptanz der Fusionstechnologie ein?

Die Fusion wird mit großer Wahrscheinlichkeit eine breite öffentliche Akzeptanzfinden. Hierfür sprechen die guten Sicherheitseigenschaften ebenso wie die akzeptablenUmweltbelastungen. Mit der Fusion wird es möglich werden, in heute nochunterentwickelten Teilen der Welt einen Lebensstil zu erreichen, der dem westlichenentspricht, ohne dass die Industrieländer Abstriche an ihrer Entwicklung machenmüssen oder inakzeptable Umweltveränderungen hinzunehmen wären. Umweltschutz,gute Sicherheitseigenschaften und Erhalt der gewohnten Bequemlichkeit sind Garantenfür eine hohe Akzeptanz.

Quantifizierte Aussagen zur öffentlichen Akzeptanz sind zum derzeitigen Zeitpunktjedoch schwierig. Selbst mit den Methoden der empirischen Sozialforschung läßt sichdie Akzeptanz einer zukünftigen Technologie in der Zukunft nicht feststellen. Erste

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klare Einsichten werden wir gewinnen, wenn ITER gebaut wird. Die Reaktion deransässigen Bevölkerung wird ein erster Test für die Akzeptanz der Fusion werden.

In einer gemeinsamen Studie mit der Akademie für Technikfolgenabschätzung inBaden-Württemberg unter Leitung von Professor Renn [5] hat das MPI für Plasma-physik versucht, die Meinung der Bevölkerung zur Fusion und Fusionsforschung zuergründen. Die Aussagen hierzu waren differenziert, in allen Fällen wurden aber dieguten Sicherheits- und Umwelteigenschaften der Fusion gewürdigt. Für uns überraschenwar, daß insbesondere junge Leute in der Möglichkeit, Energie einzusparen, keineLösungsmöglichkeit sahen.

B.5. Welche Bedingungen (Standort, Arbeitsplätze, Infrastruktur,Müllentsorgung, Kühlung) müssen für ein evtl. Großkraftwerk erfülltwerden?

Wo Ähnlichkeit mit den Anforderungen von ITER zu erwarten sind, wurden diefolgenden Angaben den entsprechenden ITER-Dokumenten entnommen: DieStandortbedingungen für ITER-FEAT (und früher für den „großen“ ITER) sind sehrdetailliert dokumentiert, und können als Basis für eine Extrapolation dienen. Dervorläufige Standortbericht für Cadarache[6], der von den zuständigen europäischenGremien zur Kenntnis genommen wurde, beschreibt die Eigenschaften von Cadarachein Südfrankreich als möglichem Standort von ITER-FEAT und dokumentiert dieEignung des vorgeschlagenen Standortes.

Für den großen ITER (der den in der Frage aufgezählten Bedingungen für ein Kraftwerknahe kommen sollte) wurden 70 ha umzäuntes Betriebsgelände gefordert; während derBauphase zusätzlich die Verfügung über ein angrenzendes Gebiet von 60 ha. Währendder Bauphase würden bis zu 3000 Arbeitskräfte auf dem Gelände tätig sein. Für dieBetriebsphase sind die Personalangaben für ITER – als Forschungsanlage – keinbrauchbarer Vergleichsmaßstab für ein Kraftwerk, aber die benötigteBetriebsmannschaft eines Fusionskraftwerkes sollte vergleichbar mit der einesKernkraftwerkes gleicher elektrischer Leistung sein (In Frankreich sind das beispiels-weise – gemittelt über 57 Kraftwerke – etwa 600 Personen pro Kraftwerk).

Für ITER – und entsprechend ein Kraftwerk – muss eine industrielle Infrastruktur in derRegion vorhanden sein, wie dies für die Errichtung einer jeden großen und komplexenIndustrieanlage notwendig erscheinen würde.

Zur „konventionellen“ Müllentsorgung wurde für ITER eine Abschätzung derIndustrieabwässer von 200 m3/Tag angegeben.

Während des Betriebes richten sich die Kühlanforderungen nach der thermischenLeistung der Anlage und werden zwischen 2000 und 3000 MW pro Kraftwerkseinheitliegen.

Auf die Frage der radioaktiven Abfälle wird in B.11 eingegangen. Im Zusammenhangmit den Standortanforderungen wird davon ausgegangen, dass während des Betriebeskeine Transporte aktivierter Materialien vom Standort aus erfolgen sollten. AktivierterAbfall wird während des Betriebes durch den routinemäßigen Ersatz einigerKomponenten (Divertor; Blanket-Module) anfallen. Die auf diese Art, über die gesamteBetriebsdauer anfallende Menge wird für Fusionskraftwerke der ersten Generation auf

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ca. 25 000 Tonnen geschätzt. Diese ausgetauschten Komponenten würden während derBetriebsdauer und für eine anschließende Abkühlzeit am Ort des Kraftwerkes gelagertund dann, gemeinsam mit den inneren, plasmanahne Bauteilen nach den in Frage B.11angegebenen Grundsätzen entsorgt werden. Während ihrer Lagerung am Standort istkeine Kühlung der aktivierten Abfälle nötig.

B.6. Wie schneidet die Kernfusion bei einer Lebenszyklus-Analyse im Vergleichzu anderen Formen der Energiegewinnung ab? Gibt es Studien, die denVorteil der Fusionsreaktoren gegenüber Spaltreaktoren hinsichtlich derCO2-Bilanz bei Förderung und Produktion von Brennstoffen undMaterialien untersuchen?

Im Rahmen der europäischen SERF-1 Studie ist unter anderem eine Lebenszyklus-Analyse für Fusionskraftwerke erstellt worden [7]. Dabei wurde für alle Materialien derAufwand an Energie und Emissionen für den kompletten Lebenszyklus – Herstellung,Transport und Entsorgung – abgeschätzt.

Daraus ergab sich für ein Fusionskraftwerk eine Energie-Rücklaufzeit von 0.5 Jahren.Als spezifische Emissionen ergaben sich 5.5 g CO2, 0.004 g SO2 und 0.006 g NOx,jeweils pro kWh.

Diese Werte liegen etwa um den Faktor zwei über den Werten eines Spaltkraftwerks,und zwar wegen der um diesen Faktor höheren Masse an benötigtem Beton. Diese fürITER gültige Annahme, ist für ein Fusionskraftwerk allerdings eher konservativ.

Eine ähnliche Lebenszyklus-Analyse für Fusionskraftwerke ist auch von einerjapanischen Gruppe erstellt worden und mit entsprechenden Analysen andererEnergiequellen – inklusive alternativer Energien – verglichen worden, wobei auchalternative Energien berücksichtigt wurden. Wegen des deutlich höherenEnergieaufwandes schneiden aber – abgesehen von Wasserkraft – alle anderenEnergiequellen bei den Emissionen deutlich schlechter ab als die Fusion.

B.7. Halten Sie die Energiegewinnung mit Kernfusion für verträglich mit demKonzept der Nachhaltigkeit?

In einer sehr allgemeinen Form fordert das Konzept der Nachhaltigkeit Gerechtigkeitzwischen den Generationen, aber auch innerhalb einer Generation.

Die Ressourcen zum Bau und Betrieb eines Fusionskraftwerkes sind ausreichend undüberall auf der Welt vorhanden. Die heutige Nutzung wird die Nutzung nachfolgenderGeneration nicht beeinträchtigen. Insbesondere die Brennstoffe Lithium und Deuteriumreichen für mehrere Millionen Jahre unter der Annahme des heutigenStromverbrauches.

Fusion kann überall auf der Welt eingesetzt werden. Sie ist weder vom Klima noch vonbesonderen Lagerstätten abhängig. Konflikte wie um das Erdöl wird es nicht geben.Schon heute bemühen sich die sich rasch entwickelnden Länder in Asien, China, Indien,allen voran Korea, an der Entwicklung der Fusionsforschung teilzuhaben. Dadurch

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werden auch diese Länder das Know-how erarbeiten um später Fusionskraftwerke zubauen.

Der Betrieb eines Fusionskraftwerkes kann aus prinzipiellen physikalischen Gründennicht zu einem Unfall mit katastrophalen Folgen führen.

Nachfolgende Generation werden durch die Abfälle der Fusion nicht wesentlichbelastet. Der radioaktive Abfall eines Fusionskraftwerke, gemessen über seineRadiotoxizität (siehe Antwort zu Frage B.9), klingt innerhalb weniger Jahrzehnte umviele Größenordnungen ab.

Die Fusion erfüllt damit alle Kriterien der Nachhaltigkeit. Weder werden dieRessourcen für nachfolgende Genration unverantwortlich aufgebraucht, noch werdenuntragbare Altlasten erzeugt.

B.8. Sollte Ihrer Meinung nach die Öffentlichkeit an der Diskussion um dieFusionsforschung beteiligt werden?

Eine für die Gesellschaft so wesentliche Frage wie die Gestaltungsmöglichkeiten für diezukünftigen Energieversorgung muss öffentlich diskutiert werden. Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik bemüht sich daher um kontinuierliche Information derÖffentlichkeit. Dazu gehört zum einen der stete Kontakt zu Presse, Funk und Fernsehen,was im vergangenen Jahr zu mehr als 450 Artikeln über Kernfusion in den Printmedienführte (entsprechend einer Auflage von 20 Millionen). Zum anderen bietet das Institutunterschiedliche Informationsschriften zu Stand und Zielen der Fusionsforschung an,einen Newsletter zur Energieforschung, einen Info- und Frageservice im Internet,Institutsführungen für Schüler, Studenten und die allgemeine Öffentlichkeit, Vorträgevor unterschiedlichsten Auditorien, Tage der offenen Tür, Ausstellungen,Messepräsentationen und zahlreiche weitere Veranstaltungen, in denen der Kontakt undMeinungsaustausch mit der Öffentlichkeit gesucht wird.

Radioaktives Inventar und AbfälleB.9. Wie hoch ist das radioaktive Inventar?

Es ist wichtig, die Inventare nicht nach der ‘Radioaktivität’ zu beurteilen, sondern nachder ‘Radiotoxizität’. Die Radioaktivität gibt nämlich lediglich die Zahl der Zerfälle proZeiteinheit wieder, unabhängig davon, welches Isotop zerfällt und welche Strahlungsartmit welcher biologischen Gefährlichkeit dabei ausgesandt wird. Die Aktivität sagtdeshalb sehr wenig über radiologische Wirkungen aus. Deshalb ist es sinnvoll undwissenschaftlich üblich, die Radiotoxizität als Maßzahl zu verwenden. Bei ihr wird fürjedes einzelne Isotop des Materials die Aktivität bestimmt, diese mit dem Dosis-Konversionsfaktor multipliziert und dann über alle Isotope summiert. Die Dosis-Konversionsfaktoren werden durch die internationalen Strahlenschutz-Gremienfestgelegt und auf aktuellem Stand gehalten. Je nach zu behandelnder Frage, werdenentweder die Konversionsfaktoren für Inhalation oder für Ingestion verwendet. Bei derBeurteilung von Konsequenzen über lange Zeiten ist es sinnvoll, die Radiotoxizität fürdie Aufnahme von radioaktivem Material mit der Nahrung (also durch ‘Ingestion’) inden menschlichen Körper zu bestimmen. Dabei ist die Radiotoxizität eine hypothetischeDosis und gibt direkt Auskunft über das Gefährdungspotential eines Materials, was sichaus der Aktivität eines Materials praktisch nicht ablesen lässt.

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Das radiotoxische Inventar beim Abschalten eines Fusionskraftwerks ist etwa um denFaktor 10 niedriger als das Inventar in einem Spaltungskraftwerk (wenn beideKraftwerke die gleiche Menge an elektrischer Energie freigesetzt haben.). Während derfolgenden 100 Jahre fällt die Radiotoxizität des Fusionsmaterials steil ab, zumindest umden Faktor 1000. Details hängen hauptsächlich von den Strukturmaterialien ab.

Die Toxizität des Materials aus einem Spaltungskraftwerk fällt während des gleichenZeitraumes höchstens um den Faktor 2 ab und verringert sich auch während derJahrhunderte danach nur noch wenig.

Diese Unterschiede rühren von den ganz unterschiedlichen Produktionsmechanismenfür die Radioaktivität her:- Ein Spaltungskraftwerk hat in den Brennstäben von Anfang an radioaktive

Materialien (mit einer Masse von einigen Tonnen), die während des Betriebsteilweise umgewandelt werden. Dabei entstehen prinzipiell und unvermeidlichlanglebige Aktiniden.

- Ein Fusionskraftwerk enthält – bis auf den Brennstoff Tritium – zunächst keineradioaktiven Materialien. Tritium besitzt eine Halbwertszeit von 11.3 Jahren. 10 bis100 Gramm Tritium befinden sich im Plasma und im Tritiumkreislauf. Dasaktivierte Material entsteht erst durch den Neutronenbeschuß beim Betrieb, waszwei wichtige Konsequenzen hat:1) die Eigenschaften der aktivierten Materialien hängen von der Zusammensetzung

des Plasmagefäßes ab (nicht von physikalischen Gesetzmäßigkeiten) und sinddamit – in Maßen – wählbar. Die Entwicklung niedrig-aktivierbarer Stähle istein Ziel der Materialforschung zum Beispiel im Forschungszentrum Karlsruhe.

2) Die Halbwertszeiten der meisten Stähle liegen im Bereich einiger Jahre und sinddamit deutlich geringer als die der Aktiniden (bis zu 100 000 Jahren). Deshalbfällt auch die Radiotoxizität eines Fusionskraftwerkes – wie oben diskutiert – in50 bis 100 Jahren um mehrere Größenordnungen ab.

Der Vergleich des radiotoxischen Inventars in den Fusionskraftwerksmaterialien mitdem in der Asche eines Kohlekraftwerkes zeigt, dass die beiden Inventare nach 50 bis500 Jahren gleich geworden sind. (Die Ursache der Raditoxizität der Kohleasche sinddie natürlichen Isotope Kalium-40, Thorium-232, Uran-235 und Uran-238, die in Kohleenthalten sind und sich in der Asche anreichern.) Danach können dieFusionskraftwerksmaterialien sogar unter das Niveau der Kohleasche fallen. Detailshängen wiederum vor allem von den Strukturmaterialien ab. Die Masse der Kohleascheübersteigt die Masse des Fusionmaterials deutlich, um etwa den Faktor 300.

B.10. Liegen aktuelle, klar in ihren Rahmenbedingungen und Grundannahmen ausge-wiesene Studien über die radioaktive Dosis im Dauerbetrieb für die Beschäftigtenund die Umgebung vor? Zu welchen Ergebnissen kommen diese Studien?

Für Fusionskraftwerke liegen solche Studien noch nicht vor, da die Details einesKraftwerks noch nicht hinreichend genau untersucht worden sind. Für ITER jedochwurden solche Studien insbesondere im Rahmen der Engineering Design Activity(EDA) erstellt. Veröffentlicht sind die Untersuchungen zum ITER-Entwurf 1998(offiziell ‘1998 ITER Design’ genannt) [1, 9, Bände 4 und 5], die aktuellste Studiebefasst sich mit dem neuesten ITER-Entwurf, der Mitte 2001 offiziell vorliegen wird.Ein Zwischenbericht dazu findet sich in [2]. Dabei haben diese Studien nicht nur ein

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fertiges Design beurteilt, sondern in den Auslegungsprozeß eingegriffen undmitgeholfen, den Entwurf unter Sicherheitsaspekten zu optimieren.

Die ITER-Studien ergeben nach derzeitigem Urteil maximal zu erwartende Werte, dadie Konsequenzen sehr vorsichtig abgeschätzt werden und weil die ITER-Materialien(insbesondere konventionelle Stähle) und das Kühlmittel Wasser (das Stähle und damitAktivierungsprodukte in gewissem Umfang korrosiv abträgt) in zukünftigenFusionkraftwerken nicht verwendet werden sollen. Die künftig bevorzugten Materialiensind wahrscheinlich niedrig-aktivierende Stähle und Helium als Kühlmittel. Einweiteres konservatives Element bei ITER ist die Tatsache, dass sowohl die Emissionenin die Umwelt als auch die Belastung der Beschäftigten durch die Wartungs- undReparaturarbeiten dominiert werden. Deren Anteil ist in der innovativen Anlage ITERsicherlich höher als in einem entwickelten Kraftwerk. Die aktuellste ITER-Studie ergibtfolgende Werte für die Emissionen in die Umgebung:

0,05 g Tritium als tritiertes Wasser (HTO) in Luft pro Jahr,0,0003 g Tritium in Wasser pro Jahr,weniger als 0.6 µg radioaktives Argon-41 pro Jahr,61 µg radioaktiven Kohlenstoff-14 pro Jahr ,

0.25 g aktivierter Metallstaub aus der Plasmakammer pro Jahr,0.85 g aktivierte, metallische Korrosionsprodukte aus den Kühlkreisläufen pro Jahr,

4 micro-Sievert direkte Strahlung in 250 m Entfernung,

etwa 0.1 g Beryllium (nicht aktiviert) pro Jahr.

Diese Werte liegen noch deutlich unter den Zielvorgaben für das Projekt. Eine sehrkonservative Extrapolation dieser Werte ergibt für ein Fusionskraftwerk ähnliche(eventuell sogar geringere) Werte. Dies liegt daran, dass ein Kraftwerk gegenübereinem Experiment etwas einfacher aufgebaut sein kann, und dass die Prozeduren zumAuswechseln von Komponenten standardisiert sein werden.

Detaillierte Dosisberechnungen zu den radioaktiven Emissionen wurden im ITER-Projekt bislang nicht durchgeführt, da sie je nach Standort stark variieren würden, undim übrigen von nationalen Berechnungsvorschriften abhängen. Aus den oben genanntenZahlen folgt aber global, dass die Jahresdosis für die Öffentlichkeit (d.h. Personenaußerhalb des Kraftwerkes) durch Emissionen in der Größenordnung eines Prozentesder mittleren natürlichen effektiven Äquivalentdosis liegt, die in Deutschland etwa2 Milli-Sievert pro Jahr beträgt.

Auch die Strahlenbelastung der Beschäftigten wird im ITER-Projekt systematischuntersucht. Die bisher vorliegenden Werte führen zu einer Jahresdosis, die unter denZielwerten des Projektes liegt, 5 Milli-Sievert pro Jahr und Person und kollektiv (füralle Beschäftigten aufsummiert) 0.5 Personen-Sievert pro Jahr.

Emissionen in die Umwelt und Belastung der Beschäftigten wurden bereits und werdenweiterhin in den EU-Studien zum Kraftwerk (SEAFP) untersucht. Auch sie ergabenniedrige Werte, jedoch ist die Genauigkeit der ITER-Resultate wegen ihresDetailierungsgrades höher zu bewerten.

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B.11. Welche Mengen an radioaktivem Abfall werden während des Betriebs undbeim Abbau der Anlagen anfallen? Wie hoch ist der Anteil langlebigerNukleotide im Abfall?

Das Material aus einem Fusionskraftwerk ist nicht automatisch in seiner Gesamtheitradioaktiver Abfall. Die Radiotoxizität nimmt nämlich vom Fusionsplasma nach Aussenhin ab. Weit vom Plasma entfernte Bauteile werden also praktisch nicht mehr aktiviert.Außerdem fällt die Radiotoxizität mit der Zeit nach der Abschaltung des Kraftwerkesschnell ab (s. Antwort auf B.9). Deshalb muß das Thema differenziert betrachtetwerden.

Die Gesamtmasse der radioaktiven Materialien aus einem Fusionskraftwerk ist durchKraftwerksstudien und durch die detaillierte Arbeit im ITER-Projekt bekannt. Sie liegtfür ein Kraftwerk bei etwa 65 000 Tonnen. Nur die bei bestimmten Konzeptenvorgesehene Verwendung des Materials Lithium-Blei im Blanket würde - wegen desspezifisch schweren Bleis - zu etwa 95 000 Tonnen führen.

30 bis 40 Prozent des radioaktiven Materials können, wenn diesbezüglicheEmpfehlungen der International Atomic Energy Agency (IAEA), akzeptiert werden,nach einer Abklingzeit von maximal 100 Jahren unbegrenzt freigegeben werden(‘Freigabe’ ist die offizielle Nomenklatur für diesen Vorgang in Deutschland).

Für weitere etwa 60 Prozent des Materials kommt ein ganzes Spektrum vonMaßnahmen in Frage. Je nach Aufwand den man treiben möchte (Tätigkeiten ‘vonHand’ bis hin zu ‘komplexer Fernhantierung’), ist sowohl vollständige Rezyklierungund Verwendung in neuen Kraftwerken möglich als auch teilweise Rezyklierung bis hinzur Endlagerung der Materalien.

Der Rest des Materials (ein bis einige Prozent) ist ‘langlebig’. Dieser Anteil ist deshalbso gering, weil fusionsspezifische Materialien entwickelt wurden, die keineLegierungselemente wie Nickel, Molybdän, Kobalt, Niob enthalten, aus denenlanglebige Aktivierungsprodukten entstehen könnten. Diese Elemente sind nur ingeringen Spuren enthalten. Insgesamt werden alle diejenigen Verunreinigungen auf sehrniedrige Konzentrationen begrenzt, die zu nennenswerter langlebiger Radiotoxizitätführen würden. Praktisch das gesamte Periodensytem der chemischen Elemente wurdein diesem Zusammenhang durch Studien im EU-Fusionsprogramm systematischbewertet, insbesondere durch Culham Laboratory. Aus den zulässigen und machbarenKonzentrationen folgt der oben genannte, sehr niedrige Anteil der ‘langlebigen’Radionuklide.

B.12. Kann eine erste Wand so konzipiert werden, dass kein radioaktiver Abfallentsteht?

Zu dieser Frage siehe auch die Antwort zu B.11.

Die Radiotoxizität der Ersten Wand wird durch das Strukturmaterial bestimmt und kanndeshalb sowohl hoch wie auch gering sein. Eine Wand, die zu keinerlei radioaktivemAbfall führen würde, ist nach derzeitiger Kenntnis nicht möglich. DieKraftwerkskonstruktion berücksichtigt die Aktivierbarkeit durch eine Minimierung derMenge an Wandmaterial, das bei einem Defekt ausgewechselt werden muss.

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Zur Masse der radioaktiven Materialien aus einem Fusionskraftwerk trägt die ErsteWand, nur gering bei. Sie macht – einschliesslich der während des Betriebesausgewechselten Teile – etwa ein bis drei Prozent des Gesamtabfalls aus.

Als Materialien für die Erste Wand sind Stähle vorgesehen, deren Zusammensetzungdie Folgen von Neutronenbestrahlung minimiert. Die wesentlichen Elemente dieserStähle sind Eisen, Chrom, Mangan, Vanadium, Tantal, Wolfram, Kohlenstoff undSilizium. Sowohl im theoretischen Verständnis wurden in den letzten Jahren bedeutendeFortschritte erzielt (insbesondere EU/Culham), als auch in der praktischen Entwicklung(insbesondere EU/FZK Karlsruhe und in Japan). Bei allen Stählen ist es wichtig, dieVerunreinigungen so niedrig zu halten, wie dies technisch und wirtschaftlich möglichist.

Neben Stählen werden Vanadiumlegierungen untersucht, da diese besonders wenigdurch Neutronen aktiviert werden. Für die Aktivierbarkeit dieser Legierungen, für dieMaterialbeständigkeit und auch um die günstigen Aktivierungseigenschaften desGrundmaterials nicht zu überdecken, sind niedrige Verunreinigungsgrade besonderswichtig.

Außer diesen Metall-Legierungen werden auch keramische Werkstoffe entwickelt,inbesondere Siliziumkarbide, die ebenfalls eine niedrige Aktivierbarkeit aufweisen.

B.13. Wie bzw. wohin werden die radioaktiven Stoffe entsorgt?

Zu dieser Frage siehe auch die Antwort zu B.11.

Zu den wichtigsten Zielen der Fusionsforschung gehört die Entwicklung vonMaterialien für die Kraftwerksstrukturen, die eine geringe oder kurzlebigeAktivierbarkeit durch Neutronen aufweisen. Derzeit in praxi führend sindmartensitische Stähle, deren chemische Zusammensetzung dem Ziel gemäß gewählt undoptimiert worden ist.

Nur wenige Prozent dieser Materalien wären nach dem Gebrauch im Reaktor (wie beiFrage B.11 diskutiert) ‘langlebig’. Gemäß derzeitiger Vorstellungen in der EU zuSicherheit und Strahlenschutz würden diese Materialien in ein Lager verbracht werden,das wegen der vergleichsweise geringen Radiotoxizität wahrscheinlich nicht tiefer alsetwa 50 Meter sein müsste. Eine endgültige Strategie kann es derzeit nicht geben, danicht nur technologische, sondern auch politische, gesetzgeberische und wirtschaftlicheGesichtspunkte maßgeblich werden, wahrscheinlich von Staat zu Staat verschieden.

Weitere Materialkandidaten sind insbesondere Legierungen von Vanadium mit Titanund Chrom, die das oben skizzierte Bild noch erheblich günstiger machen würden.

TritiumB.14. Welche Gefahren birgt das radioaktive Tritium?

Tritium ist ein Gas, das Elektronen (‘Betastrahlung’) mit niedriger Energie emittiert.

Weil Tritium ein Wasserstoffisotop ist, nimmt es an biologischen Prozessen teil. Inradiologischer Hinsicht wird es durch ‘Halbwertszeiten’ charakterisiert:

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(1) Nach einer ‘physikalischen’ Halbwertszeit (12,3 Jahre) ist jeweils die Hälfte derTritium-Startmenge zerfallen, das Zerfallsprodukt (Helium-3) ist nicht radioaktiv;(2) Tritium, das vom Körper eines Menschen aufgenommen worden ist, wird innerhalbeiner globalen ‘biologischen’ Halbwertszeit von etwa 10 Tagen zur Hälfte wiederausgeschieden. Die globale biologische Halbwertszeit ist kurz, da sich Tritiumchemisch wie Wasserstoff verhält und damit am raschen Wasseraustausch im Körperteilnimmt. Es gibt noch zwei weitere biologische Halbwertszeiten, die etwa 30 bzw. 300Tage betragen. Sie beschreiben das Verhalten von Tritium, das im Körper anorganische Substanzen gebunden wird. Dieses Tritium trägt etwa 10 % zur Gesamtdosisdurch inkorporiertes Tritium bei.

Wegen der vergleichsweise kurzen biologischen Halbwertszeiten reichert sich Tritiumin Körper nicht nennenswert an. Wegen der niedrigen Beta-Energie hat Tritium imKörper nur bei Inkorporation eine radiologische Wirkung und dann praktisch nur fürTritium in oxidierter (HTO) oder in organisch gebundener Form. Die Radiotoxizitätvon Tritiums (ausgedrückt durch die Strahlungsdosis in Sievert pro Einheit derinkorporierten Aktivität in Bequerel) ist vergleichsweise gering. Beispielsweise beträgtsie etwa ein Zehntausendstel der Radiotoxizität von Plutonium-239.

Da ein Fusionskraftwerk ein signifikantes Tritiuminventar einschliessen wird (etwa einbis drei Kilogramm), besteht die Möglichkeit der Freisetzung. Deshalb bedarf es derAnwendung von Rückhaltetechnologien, sorgfältiger Überwachung undSicherheitsanalysen. Letztere sind vor allem im Rahmen der Arbeiten zumFusionsprojekt ITER sehr detailliert durchgeführt worden. Die berechnetenFreisetzungen im Normalbetrieb pro Jahr liegen weit unter den Zielwerten des ITER-Projektes, die 1 g Tritium als HT und 0.1 g Tritium as HTO betragen.

Äusserst konservative Analysen (besonders in Hinblick auf die angenommenenWetterbedingungen) ergeben, dass nur die Freisetzung des gesamten mobilisierbarenInventars im Verlaufe eines Unfalls zur Überschreitung der deutschen Eingreifwerte fürEvakuierung führen kann, dieses aber nur auf einer Fläche von etwa einemQuadratkilometer.

B.15. Welche Technologien gibt es, um in das Kühlsystem gelangtes Tritiumwieder zu entfernen?

Die Fähigkeit, Wasser billig und schnell zu detritieren (d.h. Tritium aus dem Wasser zuentfernen), ist eine Voraussetzung für Experimente mit Tritium und insbesondere fürden Betrieb eines Fusionskraftwerkes. Zu diesem Zweck wurden Isotopen-trennungsmethoden entwickelt, unter anderem im FZ Jülich und im FZ Karlsruhe.

So wurde die vollständige Entfernung von Tritium aus Wasser im FZ Karlsruhe fürkleine Wassermengen experimentell demonstriert. Dies geschieht durch eineKombination von Kryo-Destillation und katalytischem Isotopenaustausch in derflüssigen Phase. Im großen Maßstab wird die Detritierung von Wasser in der CANDU-Reaktor-Industrie in Kanada durchgeführt. Auch das Institut Laue Langevin (ILL), dieeuropäische Neutronenquelle in Grenoble, setzt große Anlagen ein, um Tritium aus demim Kühlkreislauf verwendeten schweren Wasser zu entfernen. Ein Detritierungs-System von solcher Qualität, dass es Trinkwasser produziert, wurde amForschungsinstitut Savannah River in den USA eingesetzt.

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Es sind damit derzeit keine Schwierigkeiten erkennbar, die es verbieten würden, Wasserzu mäßigen Kosten – und innerhalb des Kraftwerkes – vollständig zu detritieren.

Störfälle / UnfälleB.16. Welche Störfallszenarien wurden bislang erforscht? Z.B. kumulierte

Ausfälle in mehreren Teilbereichen? Die Folgen von sog. "menschlichemVersagen"? Die Gefahren beim An- und Herunterfahren? Störfälle durchEinwirkung Dritter?

In verschiedenen Sicherheitsstudien [1, 9, Bände 7 und 8], die sich mit ITERbeschäftigen, ist die systematische Identifizierung und Untersuchung möglicher Unfällefester Bestandteil. Hierbei geht man auf verschiedene Arten an das Problem derVollständigkeit des Unfallspektrums heran: Für jedes System werden das möglicheFehlverhalten und dessen Auswirkung auf die Gesamtanlage untersucht. Einekomplementäre Untersuchungsmethode postuliert die Freisetzung von gefährlichenStoffen und geht dem dazu notwendigen Versagen in der Anlage nach. Eine weitereMöglichkeit besteht in der systematischen Untersuchung aller Energiequellen in einerFusionsanlage und der Analyse des größtmöglichen Schadens, der von diesenEnergiequellen verursacht werden kann. Alle diese Untersuchungsmethoden werdenständig verfeinert und liefern unabhängig voneinander ähnliche Listen von möglichenUnfällen, die dann in Detail analysiert werden.

Die folgende Liste gibt einen Überblick über die wichtigsten Störfälle in einer Fusions-anlage:

- Erhöhte Fusionsleistung aufgrund höherer Plasmatemperaturen oder Plasmadichten.- Kühlmittelverlust innerhalb und außerhalb des Plasmagefäßes- Versagen des Kühlmittelflusses (Blockade von Leitungen durch Fremdkörper oder Versagen von Pumpen)- Lufteinbruch in die Plasmakammer oder in den Kryostaten für die Magnete- Fallen schwerer Komponenten oder Festfahren bei Transport- oder Reparaturaktivitäten- Leckagen und Wasserstoffexplosionen in der Tritiumanlage- Lichtbögen und unvorhergesehene elektromagnetische Kräfte in den Magneten- Versagen von Durchführungen innerhalb der Sicherheitsbarrieren (z.B. Ventile)- Ausfall der elektrischen Versorgung

Bei jeder detaillierten Störfallanalyse wird zusätzlich zum postulierten Unfall folgendesunterstellt: Alle Systeme, denen keine Sicherheitsrelevanz zugeschrieben wurde, stehennicht zur Verfügung. Weiterhin wird in einem beliebigen weiteren Sicherheitssystemein Versagen unterstellt. Zusätzlich geht man davon aus, dass zum Unfallzeitpunkt dieVersorgung mit elektrischem Strom ausfällt. Diese Untersuchungsmethode decktkumulierte Ausfälle ab. Zusätzlich wird noch sichergestellt, dass ein weiteres Versageneines weiteren beliebigen Sicherheitssystems nicht zu einer dramatischenVerschlechterung des Unfallablaufes führt. Ergebnis: Selbst unter solch extremenBedingungen ist die Evakuierung der umliegenden Bevölkerung für alle Unfälle austechnischen Gründen nicht notwendig.

Die Auswirkung menschlichen Versagens wird dadurch minimiert, dass aktiveSicherheitssysteme automatisch anlaufen, wenn Abweichungen vom Normalbetrieb

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gemessen werden. Detaillierte Aussagen über mögliches Fehlverhalten desBetriebspersonals sind zur Zeit noch nicht möglich, da hierzu mehr Detailwissen überden Betrieb einer Fusionsanlage nötig ist. Hierüber lassen sich belastbare Erkenntnisseerst beim Betrieb einer Demonstrationsanlage gewinnen. Aufgrund der zur Zeitvorliegenden Studien erwartet man aber, dass die Auswirkungen menschlichenFehlverhaltens vom Spektrum der untersuchten Unfallabläufe abgedeckt wird, da manin Sicherheitsstudien sowieso von jedem System annimmt, das es versagen könnte.Ähnliches lässt sich über Störfälle durch Einwirkung Dritter sagen.

Störfälle werden in allen Betriebszuständen betrachtet. Das An- und Herunterfahreneines Fusionskraftwerks stellen keine besonderen Sicherheitsrisiken für dieÖffentlichkeit oder die Arbeiter dar. Beim An- und Herunterfahren ist lediglich dieWahrscheinlichkeit eines Plasmaabrisses höher zu bewerten. Ein solcher Plasmaabrißwird aber in jeder Störfallanalyse automatisch mit berücksichtigt. Auch ein abnormesVerhalten der Plasmaheizung während des Anfahrens ist untersucht worden und stelltkeine besondere Gefahr für die Sicherheit dar. Alle anderen Energie- undGefahrenpotentiale sind beim An- und Herunterfahren geringer.

B.17. Wie hoch ist die Unfallgefahr in einem Tokamak-Reaktor?

Bei der Fusion kann es nicht, wie bei der Kernspaltung, zu einer Kettenreaktionkommen. In einem Fusionsplasma wird der Brennstoff kontinuierlich eingebracht. DasInventar beträgt etwa 1 Gramm. Durch Abschalten der Brennstoffzufuhr läßt sich dieEnergieproduktion in ungefähr 10 Sekunden stoppen. Insgesamt ist es sehr schwierig, ineinem Fusionsplasma den Zustand zu erreichen, in dem Fusion möglich ist. Durch jedeStörung des Systems - zum Beispiel einen Anstieg der Temperatur oder Dichte - wirddaher dieser enge Parameterbereich verlassen und die Fusionsreaktionen erlöschen. DasKraftwerk schaltet sich damit selbständig ab.

Deshalb schaltet sich ein Fusionskraftwerk auch beim Ausfall der Elektrizität von selbstab. Alle noch vorliegenden Wärmequellen führen ihre Wärme durch passive Kühlungohne Pumpen an die Umwelt ab.

Selbst ein vollständiger Verlust der Kühlmittel kann nicht zur Freisetzung erheblicherMengen radioaktiven Materials führen. Die Temperatur in der Fusionsanlage würdeauch bei diesem Störfall deutlich unter der Schmelztemperatur der Strukturmaterialienbleiben. Diese positive Eigenschaft von Fusionskraftwerken wird allerdings nur beisorgfältiger Auswahl von Strukturmaterialien und einer geeigneten Konstruktion erzielt.Für ITER ist diese Eigenschaft nachgewiesen worden.

Im Normalbetrieb stehen die zwei innersten Bereiche eines Fusionskraftwerks austechnischen Gründen unter Vakuum. Zum einen ist dies das Plasmagefäß, zum anderender sogenannte Kryostat, in dem sich die supraleitenden Magnete befinden. Beikleineren Leckagen ist es also unmöglich, Radioaktivität aus dem Inneren einerFusionsanlage nach außen zu verlieren, da die Richtung einer solchen Leckagenaturgesetzlich von außen nach innen verläuft.

Zu einer Gefährdung der Öffentlichkeit kann es kommen, wenn dieSicherheitsumhüllungen beschädigt werden. Nach heutiger Kenntnis scheint esunmöglich, die mehrfachen Lagen der Sicherheitshüllen von innen heraus zu zerstören.Hierfür sind in einer Fusionsanlage die Energieinventare zu niedrig.

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Postuliert man allerdings einen Unfall durch ein unvorhergesehenes externes Ereignis(z.B. ein Erdbeben, das die Stärke historischer Erdbeben erheblich überschreitet), sokönnten die Sicherheitshüllen einer Fusionsanlage in großem Umfang zerstört werden.Trotzdem wären die Auswirkungen auf die Umgebung begrenzt. (Hier werden jetzt nurdie Auswirkungen betrachtet, die von der Fusionsanlage verursacht würden.) Legt mandeutsche Richtlinien zur Evakuierung der Bevölkerung zugrunde, könnten beiungünstigen Wetterbedingungen etwa einige Quadratkilometer betroffen sein. Dielangfristigen Auswirkungen auf die betroffene Umgebung wären ebenfalls begrenzt.Freigesetztes Tritium hat eine biologische Halbwertszeit von etwa 10 Tagen. Nachdieser Zeit verschwindet es fast völlig aus den Organismen von Menschen, Tieren undPflanzen. Langzeitmessungen von Tritium in Erdböden haben ergeben, dass sich derTritiumgehalt innerhalb eines Jahres um einen Faktor 1000 verringert. Eine nochgrößere Verdünnung konnte wegen experimenteller Begrenzungen nicht mehrnachgewiesen werden.

B.18. Was passiert in einem Tokamak-Reaktor, wenn der Plasmastrom plötzlichabreißt?

Ein Abriß des Plasmastromes in einem Tokamakplasma führt zu einem plötzlichenVerlust der thermischen Plasmaenergie, die innerhalb von etwa 10 Millisekunden aufdie innere Wand des Plasmagefäßes fließt. Die dabei involvierte hohe Plasmaenergie(etwa 109 Joule in einem Kraftwerksplasma) wird zum Anschmelzen von Oberflächenführen. Dies kann die Gesamtlebenszeit der Komponenten der ersten Wand begrenzen,wenn es zu häufig stattfindet. Zusätzlich wird der schnelle Abfall des Plasmastromes –auf einer Zeitskala von 10 bis 100 Millisekunden – im Plasmagefäß Ströme induzieren,die hohe Kräfte auf das Gefäß bewirken. Analysen des ITER-Designs haben jedochgezeigt, dass diese Kräfte unter den Belastungsgrenzen für das Gefäß liegen; einenFusionsreaktor wird man genauso auslegen können.

Da das Auftreten von Stromabrissen der kontinuierlichen Leistungserzeugung in einemKraftwerk widerspricht, wird weltweit intensiv – und mit beträchtlichem Erfolg –untersucht, wie das Plasma so kontrolliert werden kann, dass Stromabrisse nur mit sehrgeringer Häufigkeit auftreten. Zusätzlich wurden Techniken entwickelt um das Plasmarechtzeitig „sanft“ herunterzufahren, wenn das Kontrollsystem erkennt, dass einStromabriss droht. Damit soll erreicht werden, dass Stromabrisse mit den obengeschilderten Problemen höchstens ein paar Mal pro Jahr auftreten. Damit tritt dannkeine Verkürzung der Lebensdauer von technischen Komponenten auf; lediglich dieVerfügbarkeit verschlechtert sich etwas.

B.19. Gibt es Risikostudien unabhängiger Gutachter über Fusionsreaktorenallgemein und Tokamak-Reaktoren im Besonderen? Wie wird dort dasUnfallrisiko eingeschätzt?

Im deutschsprachigen Raum gibt es Material zu dieser Frage, wenn die Begriffe‘Risikostudie’ und ‘Gutachter’ nicht eng interpretiert werden:

Die Berichte [10] und [11] sowie die Berichte [12] und [13] stehen jeweils miteinanderin Zusammenhang. Insgesamt liefern die Berichte Bewertungen von deutscher,schweizerischer und österreichischer Seite, die man sicherlich als unabhängigbezeichnen kann und die von skeptischer Grundhaltung getragen sind. Viele

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Einzelbewertungen in [13] von physikalischen, technischen und radiologischenSachverhalten sind so wenig begründet oder auch unrichtig, dass sie von SEAFP-Seitedetailliert schriftlich kommentiert [14] und nachfolgend mit Mitarbeitern des Öko-Institutes und von IANUS mehrmals ausführlich diskutiert und berichtigt worden sind.

Die Berichte bestätigen und erkennen an, dass es unmöglich ist, schon heute alleEigenschaften zukünftiger Fusionskraftwerke im Detail zu quantifizieren und dass diesauch für das Unfallrisiko gilt. Zur grundsätzlichen Beurteilung des Unfallrisikos wirdzumeist der Vergleich mit Spaltungskraftwerken verwendet. Dieser Vergleich fälltpositiv bis sehr positiv aus und verwendet im allgemeinen den toroidalen magnetischenEinschluss (exemplifiziert durch den Tokamak) als Grundlage. Im Detail, insbesondereim Hinblick auf die Sicherheitsanalysen von Fusionsseite zu zukünftigen Kraftwerken,führt die skeptische Grundhaltung der Berichte naturgemäß zu Kritik, die vor allem mitEinzelheiten der gemachten Annahmen und mit mangelnder Vollständigkeit vonAnalysen begründet wird.

B.20. Liegen Erkenntnisse über die Sicherheits- und Umwelteigenschaften einesangestrebten Fusionsreaktors vor, die über die Angaben in der SEAFP-Studie aus dem Jahr 1995 hinausgehen? Inwieweit sind diese Ergebnissedokumentiert? Inwieweit sind sie öffentlich? Sind die Ergebnisse derSEAFP-Studie unabhängig überprüft worden oder ist dies vorgesehen?

Es liegen Studien zur Sicherheit und zu den Umwelteigenschaften der Kernfusion vor,die nach der SEAFP-Studie veröffentlicht worden sind und über diese hinausgehen.Alle diese Studien sind öffentlich zugänglich. Soweit dies sinnvoll ist, ist das Materialin der wissenschaftlichen Literatur veröffentlicht, wo dies nicht sinnvoll zu sein scheint,ist es in Laborberichten oder Berichten der International Atomic Energy Agency(IAEA) veröffentlicht worden oder wird in Kürze veröffentlicht.

Die bei weitem umfassendsten Analysen wurden und werden im Rahmen des ITER-Projektes durchgeführt. ITER ist eine Anlage mit Kraftwerksdimensionen, aber nochnicht in allen Aspekten ein Kraftwerk. Da ITER ingenieurmäßig im Detail konstruiertwird, besitzen die zugehörigen Analysen zur Sicherheit eine umfangreiche Basis undsind in vieler Hinsicht prototypisch. Die ITER-Studien sind sehr wahrscheinlichkonservativ in Bezug auf die Sicherheit von Kraftwerken, da die Konsequenzen sehrvorsichtig abgeschätzt werden und weil die ITER-Materialien (insbesonderekonventionelle Stähle) und das Kühlmittel Wasser in zukünftigen Kraftwerken durchfortgeschrittenere Materialien ersetzt werden sollen. Weitere Einzelheiten werden in derAntwort auf die Frage B.10 dargelegt.

Im Dezember 1997 wurde der Bericht NSSR-2 [9] fertiggestellt, der dieSicherheitsanalysen für den ITER-Entwurf “1998 ITER Design” dokumentiert. DieserBericht umfaßt 11 Bände und deckt alle relevanten Aspekte ab. Eine Zusammenfassungvon NSSR-2 wurde durch die IAEO veröffentlicht in [1]. Die Sicherheit wird darin inKapitel IV “FDR Safety Assessment” behandelt.

Für den aktuellsten ITER-Entwurf ist der Bericht GSSR (“Generic Site Safety Report”)derzeit in Arbeit, so dass er noch nicht veröffentlich ist. Er umfaßt wiederum 11 Bände,die alle relevanten Sicherheitsaspekte behandeln.

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Im EU-Fusionsprogramm wurde das Studium von Kraftwerken im Rahmen von SEAFPweitergeführt. Der Zwischenbericht “Safety and Environmental Assessment of FusionPower – Long Term Programme (SEAL)” wurde im Dezember 1999 von der EU-Kommission in Brüssel veröffentlicht [15]. Der Abschlussbericht des Projektes SEAFP-2, “The Safety and Environmental Impact of Commercial Fusion Power Stations”befindet sich in der Endphase der Ausarbeitung und sollte deshalb bald veröffentlichtwerden [16].

B.21. Tritium ist ein wichtiger Waffenstoff für fortgeschritteneKernwaffendesigns. Es steht bislang nicht unter Safeguards der IAEO.Demgegenüber gibt es internationale Bemühungen waffenfähigeNuklearmaterialien (Spaltmaterialien wie hochangereichertes Uran oderPlutonium) aus der zivilen Nutzung auszuschließen, um zu einerproliferationsresistenteren Nukleartechnologienutzung zu kommen. Darausergibt sich die Frage, wie das Proliferationsrisiko von Tritium erbrütendenFusionsreaktoren einzuschätzen ist?

Bei einer Fusionsanlage ist es hinsichtlich der Möglichkeiten, Tritium abzuzweigen,grundlegend wichtig, dass Dichtheit eine inhärente Eigenschaft solcher Anlagen ist.Das Plasmagefäß, seine Anbauten und das Primärkühlsystem müssen äußerst dichtsein, um die extremen Anforderungen an das Vakuum zu erfüllen, die der Plasmabetriebzwingend erfordert. Auch in dem Teil des Tritium-Kreislaufes außerhalb desPlasmagefässes, in dem das Tritium aus der Abluft und aus dem Blanket extrahiert undgereinigt wird, ist die Dichtheit aller Komponenten extrem wichtig, schon um Tritium-Freisetzungen zu vermeiden. Eine Entnahme von Tritium würde die Öffnung allerBarrieren erfordern, welche die tritiumführenden Systeme umschließen.

Die Beschaffung von Tritium und auch angereichertem Lithium (das zur Erzeugung desTritiums benötigt wird) kann im übrigen erheblich einfacher und billiger durch bereitsbestehende Technologien (u.a. Schwerwasser-Reaktoren) geschehen.

B.22. Fusionsneutronen können auch zur Erbrütung von Spaltstoffen (wiePlutonium) genutzt werden. Kann eine diesbezügliche Erbrütungausgeschlossen werden?

Die Verwendung von Fusionskraftwerken zum Brüten von Spaltstoffen in waffenfähigerIsotopenzusammensetzung ist zwar prinzipiell technisch möglich, dürfte aber an denKraftwerksbetrieb Anforderungen stellen, die seinem eigentlichen Verwendungszweckzuwiderlaufen. So würde dies die Öffnung der Barrieren einschließlich desPlasmagefäßes implizieren, da das Brutmaterial sehr nahe an das Plasmaherangebracht werden müsste. Dieses würde, wie schon bei Frage B.22 erwähnt, dieDichtheit des Anlage und damit den Plasmabetrieb gefährden.

Die eventuelle missbräuchliche Verwendung von Neutronen zum Brüten spaltbarenMaterials wird bereits von den internationalen ‘Safeguards’ erfasst, da in diesen dieBrutstoffe Uran und Thorium sowohl durch die IAEO als auch in der EU durchEuratom umfassend kontrolliert werden. Mögliche undeklarierte Aktivitäten werdenebenfalls durch das neue erweiterte Kontrollsystem der IAEO entdeckt.

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B.23. Wie sind sonstige Proliferationsrisiken von Fusionsreaktoren einzuschätzen(Tritium-Produktion, Know-How-Transfer, militärisch relevanteForschung?

Es kann generell festgestellt werden, dass bei einem Fusionskraftwerk mitmagnetischem Einschluss außer den oben erwähnten Möglichkeiten (Tritium- undSpaltstoffproduktion) keine neuen physikalischen Erkenntnisse und technische Detailseine Rolle spielen, die direkt zur Entwicklung von Kernwaffen beitragen könnten. DieProzesse der Plasmaerzeugung, des Einschlusses und der Aufheizung spielen sich ineinem Zeitintervall ab, das ohne Relevanz für nukleare Waffen ist. Auch Computer-Codes, die die Berechnung dieser Vorgänge erlauben, lassen sich aus heutiger Sichtnicht für die Entwicklung von nuklearen Waffen nutzen.

B.24. Gibt es bereits Konzepte für Safeguards und reichen diese aus? Wird esneben den Safeguards auch vorbeugende Maßnahmen geben?

Eine zunehmende Tritiumnutzung im Zusammenhang mit fortschreitender Fusions-forschung kann zu ‘Safeguards’ für Tritium (wahrscheinlich im Rahmen der IAEO)führen. Im Rahmen des Atomwaffensperrvertrages besteht ein solches Kontrollregimederzeit nicht. Tritium, einige tritiumbezogene Technologien und Lithium-6 unterliegenderzeit nur weniger formalen Auflagen durch die IAEO, spezifiziert im Annex zu IAEOINFCIRC/254/Rev.1 “Guidelines for transfers of nuclear-related dual-use equipment,material and related technology”.

C. Standort Deutschland und Europa, Kosten der Fusionsforschung undpolitischer Handlungsbedarf

C.1. Welche Schritte mit welchen geschätzten Kosten in welchem Zeitraummüssen ergriffen werden, bis ein wirtschaftlich nutzbarer Fusionsreaktorverfügbar ist?

Auf ITER-FEAT würde ein Demonstrationskraftwerk (DEMO) folgen, das erstmalsStrom erzeugen würde und einen geschlossenen Brennstoffkreislauf mit Erbrüten desfür den Betrieb nötigen Tritiums innerhalb der Anlage aufweisen würde. NötigeVoraussetzungen dafür sind zu bestimmten Zeitpunkten im Planungs- undLizensierungsablauf die Erfahrungen mit dem Bau und dem Betrieb von ITER sowieMaterialentwicklungen und –tests an einer dedizierten Neutronenquelle (genanntIFMIF). Auf DEMO würde dann der Bau eines Prototyp-Kraftwerks folgen, der erstenkommerziellen Anlage, die Anfangs der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts in Betriebgehen könnte. Die Kosten dieser Schritte werden in Antwort C.6. beschrieben.

Kosten / WirtschaftlichkeitC.2. Wie ist die Wirtschaftlichkeit (Kosten) von Fusionsreaktoren einzuschätzen?

Welche Kosten werden in die Wirtschaftlichkeitsberechnungen einbezogen(Forschung, Betrieb, Sicherheitsanlagen, Abfall, Abbau)? WelcheUnsicherheiten bestehen in den Kostenschätzungen? Was soll davon dieöffentliche Hand tragen?

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Es gibt eine Vielzahl von Kostenabschätzungen für die Fusion, z. B. in [17, 18]. Bei derBerechnung der Stromgestehungskosten werden Bau, Betrieb, Abbau und Lagerungbetrachtet. Die Kosten bei der zehnten Anlage einer Art dürften nach den obengenannten Studien zwischen 12 und 20 Pf/kWh liegen. Grundlage dieserAbschätzungen sind diverse Studien über den Bau zukünftiger Fusionskraftwerke unddie erheblichen Erfahrungen, die im Rahmen der Entwicklung des ITER-Experimentesin enger Zusammenarbeit mit der Industrie gesammelt wurden. Dabei wurden für diekritischen Komponenten des ITER-Experimentes in der Industrie Prototypen gebaut, dieeine relativ sichere Grundlage für Kostenabschätzungen liefern.

Einige US-amerikanische Studien [19,20] schätzen die Kosten von Fusionsstrom nochgünstiger ab, als oben zitiert. Auch diese Studien basieren auf dem physikalischMöglichen, setzen jedoch große Fortschritte in der Plasmaphysik und –technologievoraus. Dagegen gehen die europäischen Studien dagegen eher konservativ vor.

Die wirtschaftliche Attraktivität einer Energiequelle wird aber nicht nur durch den Preisdes erzeugten Stromes bestimmt, sondern auch durch andere Faktoren wie Akzeptanz,Ressourcen und Umweltaspekte. Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet stellt dieFusion eine schier unerschöpfliche – also quasi erneuerbare – Energiequelle dar mitgünstigen Umwelteigenschaften: Die Toxizität der Fusionsabfälle klingt in fünfzig bishundert Jahren um Größenordnungen ab (B.1-B.3., B.9).

Eine öffentliche Finanzierung von Fusionskraftwerken ist nicht vorgesehen. Nur dievorangehende Fusionsforschung und Technologieentwicklung wird als Vorsorge-forschung aus staatlichen Geldern bezahlt.

C.3. Trifft es zu, dass die Anlagenkosten für einen Fusionsreaktor etwa zwei- bisdreimal höher werden als bei einem Spaltreaktor und wesentlich höherwerden als bei einem Brutreaktor?

Statt der reinen Anlagenkosten werden üblicherweise die Stromgestehungskosten – inPf/kWh – diskutiert, wobei die Anlagenkosten und die Kosten für Betrieb, Abbau undEntsorgung auf die gesamte mit dem Kraftwerk erzeugte Energie umgelegt werden.

Die Kosten für den Strom aus einem Fusionskraftwerk liegen dann nach den derzeitigenStudien um etwa den Faktor zwei über den Werten für ein herkömmlichesKernkraftwerk [17,18], siehe auch C.2.

Wie ebenfalls unter C.2 ausgeführt, bestimmen aber auch andere Faktoren dieAttraktivität einer Energiequelle, nicht nur der Preis.

C.4. Was hat die gesamte Fusionsforschung bisher gekostet?

Die gesamten Ausgaben aller OECD-Länder im Zeitraum von 1974 bis 1998 betrugennach Angaben der IEA 28,3 Mrd US$ (in 1999 US$), d.h. im Mittel rund 1,1 Mrd US$pro Jahr.

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C.5. Was hat die Vorbereitung auf das Projekt ITER seit 1985 gekostet? Wievieldavon ist öffentlich finanziert und wieviel kommt aus der Industrie?

Während der ITER-EDA von Juli 1992 bis Juli 1998 wurden von den Home Teams 550Mio. US$ für Forschung und Entwicklung (R&D Tasks) vergeben, weitere 110 Mio.US$ für die dreijährige Verlängerung bis Juli 2001 (Quelle: TAC-16 Progress Report).Ein Teil der Aufträge wurde in der Industrie ausgeführt, die Finanzierung war jedochrein öffentlich. Zusätzlich wurden insgesamt 950 Personenjahre fürKonstruktionsarbeiten während der Designphase berechnet.

C.6. Wie hoch werden die Kosten eingeschätzt, die für einen ersten Testreaktor,einen später geplanten zweiten Testreaktor und die weiterenEntwicklungsschritte bis hin zur ersten kommerziellen Stromerzeugungentstehen können?

Es wird erwartet, dass die Errichtungskosten von ITER-FEAT (der als erster Testreaktorzu bezeichnen ist) unter 4 Milliarden Euro liegen werden. (Eine genauere Schätzungdurch EFDA und die Europäische Industrie erfolgt gegenwärtig. Das internationaleITER- Design-Team hat lediglich eine Relativaufwand-Abschätzung durchgeführt, diedas Erreichen des Zieles bestätigte – 50 Prozent Reduktion der Kosten gegenüber demursprünglichen „großen“ ITER Entwurf. Für DEMO, den nächsten Entwicklungsschritt,wurden bisher keine Entwurfsarbeiten durchgeführt, die eine ähnlich genaueKostenschätzung erlauben würden. Wahrscheinlich ist, daß DEMO in seinenAbmessungen und der gespeicherten Magnetfeldenergie (ein wesentlicherKostentreiber) ca. bei dem „großen“ ITER liegen wird, jedoch eine höhereFusionsleistung aufweisen würde. Da auch zusätzliche Installationen (nötig zurStromerzeugung) dazu kommen werden, dürften seien Investitionskosten (bei 1000 MWelektrischer Leistung) bei ca. 8 Milliarden Euro liegen. DEMO wird bereits Strom ansNetz liefern können, so daß ein Teil dieser Kosten – oder zum Beispiel dieBetriebskosten – durch Stromlieferungen gedeckt werden könnten.

Die Kosten für die parallel notwendige Neutronenquelle IFMIF werden auf ca. 600Millionen Euro abgeschätzt. Neben diesen Investitionen werden für ITER, IFMIF undDEMO Betriebs-kosten für Personal, Betriebsstoffe, Service bzw. Erweiterungenanfallen, die für ITER-FEAT, einschließlich während des Betriebes durchzuführenderErweiterungen, auf ca. 240 Millionen Euro geschätzt werden.

Parallel zu diesen zentralen Ausgaben, bleibt auch ein Forschungsprogramm in deneinzelnen Fusionsinstituten nötig, um die an den zentralen Anlagen anfallendenErgebnisse auszuwerten, Verbesserungsvorschläge zu entwickeln und vorab ankleineren Anlagen zu testen. Diese Arbeiten werden allerdings – vor allem imSachaufwand – im Vergleich zu den bisherigen Aufwendungen in den Forschungs-instituten stark reduziert werden.

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C.7. Können die in der jüngsten TA-Studie "Fortgeschrittene Nuklearsysteme"des schweizerischen Wissenschaftsrates beim ITER-Pfad genannten Kostenin Höhe von ca. 150 Mrd. DM - davon schätzungsweise über 50 Mrd. DM inder EU - bestätigt werden?

Gegenwärtig werden in Europa, Japan und den USA zusammen jährlich ca. 1,1 Mrd.Euro für Fusionsforschung – hauptsächlich mit magnetischen Einschluss – ausgegeben.(Die Ausgaben zur Trägheitsfusion, vor allem in den USA, werden im wesentlichen ausdem Militärbudget bestritten). Bei einer effektiven internationalen Zusammenarbeit, dieunnötige Duplizierung im Aufwand vermeidet, sollte in diesem Rahmen auch dieErrichtung und der Betrieb von ITER möglich sein. (Die Baukosten des gegenwärtig inPlanung begriffenen Groß-Experimentes ITER-FEAT wurden zu 3,5 Mrd. Euroerrechnet, die auf 10 Jahre zu verteilen wären; begleitende Kosten fürProjektmanagement und ITER-spezifische Forschungs- und Entwicklungsaufgabendürften sich auf insgesamt ca. 0,7 Mrd. Euro belaufen. Die Betriebskosten von ITERwerden später in der Höhe von 0,22 Mrd. Euro pro Jahr erwartet.) Die Differenzzwischen den daraus errechneten jährlichen Kosten und dem (inflationsbereinigt)angenommenen konstanten Budget würde für ein weiterführendesTechnologieprogramm (Entwicklung von Materialien) und parallele physikalischeUntersuchungen dienen - welche auch die Forschung und Entwicklung derStellaratorlinie beinhalten soll. Planung und Bau des nächsten Schrittes (einDemonstrationskraftwerk DEMO) würde parallel zum Betrieb von ITER erfolgen, miteinem vorstellbaren Baubeginn ca. 2025. Ein regulär ins Netz stromlieferndesKraftwerk könnte demnach 2050 in Betrieb gehen. Die weitere Hochrechnung derAusgaben hängt stark davon ab, ob auch weitere Schritte (wie DEMO) internationalkoordiniert, oder im Wettbewerb erfolgen werden. Im ersteren Fall könnten diegesamten Forschungs- und Entwicklungskosten bis zur Inbetriebnahme des erstenSerienkraftwerkes um ca. 30 Prozent unter den in der Schweizer Studie angegebenenKosten bleiben.

C.8. Wie werden die Kosten für das ITER-Projekt auf die internationalenPartner aufgeteilt? Hat sich der Aufteilungsschlüssel verändert oder wird ersich verändern? Was bedeutet der ITER-Bau mittelfristig für die nationalenund die europäischen Fusionsforschungsetats? Welche Konsequenzen fürein Anwachsen der Ausgaben aus dem Bundesetat (nationale undeuropäische Finanzierung) sind absehbar?

Die Beiträge der einzelnen Partner zu den ITER-Entwicklungsarbeiten erfolgten „inkind“, und ihr relativer Wert wurde in sogenannten ITER-Rechnungseinheiten gewertet.Die Beiträge von EU: Japan : Russischen Föderation : USA verhielten sich ca. wie 33 :33 : 16 : 16, mit einem Gesamtwert von ca. 970 Millionen Euro.

Auch der Bau von ITER ist zum Großteil durch Lieferung der Partner „in kind“vorgesehen, wobei der Aufteilungsschlüssel Gegenstand von Verhandlungen sein soll,und auch von dem Standort abhängen wird. Dabei wird zwischen Leistungenentschieden, die von jedem Partner erbracht werden können (der „common area“-Teilder Aufwendungen) und von Leistungen, die stark an den Standort gebunden sind(„non-common area“). Die Russische Föderation hat angekündigt, dass sie sich an denBauaufwendungen in vergleichbaren Maßstab wie an den Vorbereitungsarbeitenbeteiligen würde. Bei einer Errichtung von ITER in Europa oder Japan wäre daher eine

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Aufteilung unter dem gastgebender Partner (50 %), dem zweiten Partner (35%) und derRussischen Föderation (15%) vorstellbar. Wie oben erwähnt, ist dies jedoch noch zuverhandeln.

Es wird erwartet, dass Kanada in den nächsten Monaten eine Kandidatur als Standort inForm eines Angebotes anmeldet. Erwartet wird, dass dieses Angebot – neben derBereitstellung des erschlossenen Geländes – auch einen Beitrag von ca. 20% derErrichtungskosten beinhalten wird, so dass dann eine Aufspaltung Japan : Europa : RF :Kanada = 32.5 : 32.5 : 15 : 20 möglich erscheinen würde.

Bei einer Errichtung von ITER außerhalb Europas könnte die Teilnahme an ITER auseinem im Geldwert konstanten europäischen Fusionsbudget getragen werden. EineErrichtung in Europa würde erhebliche Einsparungen an anderen Stellen imeuropäischen Fusionsprogramm erfordern aber möglicherweise auch eine geringfügigeErhöhung des Gesamtetats.

C.9. Haben die Fusionsforschungsgemeinde oder die EU Vorschläge, wo dieMittel für den ITER-Pfad aufgebracht werden sollen? Konkreter: Gibt esVorschläge, bei welchen Forschungsschwerpunkten Mittel inentsprechender Höhe eingespart werden sollten (Frage beinhaltet sowohlKürzungen als auch Verzicht auf Aufwüchse)

Die Antwort unter C.8 deutet verschiedene mögliche Szenarien an. Einige Zahlenkönnen den ungefähren Gesamtrahmen abstecken: Bei geplanten Baukosten von etwa3.5 Milliarden Euro, die sich auf 10 Jahre Bauzeit verteilen, ergeben sich jährlicheInvestitionskosten von etwa 250 Millionen Euro, deren Aufteilung auf die Partner nochfestzulegen ist. Das europäische Fusionsbudget im 5. Rahmenprogramm hat einenUmfang von knapp 197 Mio. Euro, wovon derzeit etwa 70 Mio. Euro für den Betriebvon JET verwendet werden.

Wie unter C.8 erwähnt, könnte bei der Errichtung von ITER außerhalb Europas dieTeilnahme an ITER wohl aus einem in Geldwert konstanten Fusionsbudget getragenwerden. Eine Errichtung in Europa würde eine Umorganisation des europäischenFusionsprogrammes und gegebenenfalls eine geringfügige Erhöhung des jährlicheneuropäischen Budgets erfordern. Auf alle Fälle werden Bau und Betrieb von ITER zueinem Umbau der europäischen Fusionsforschungslandschaft führen, die prinzipiellaber erhalten bleiben muss, schon um die europäische Expertise und die Ausbildung desNachwuchses aufrecht zu erhalten.

Obwohl also die Randbedingungen für diese Umstrukturierung der europäischenFusions-Assoziationen bei weitem noch nicht klar sind, wurde im Februar eineArbeitsgruppe aus Leitern verschiedener europäischer Fusionsforschungseinrichtungeneingesetzt, die dafür erste Konzepte erarbeiten soll.

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C.10. Wie groß ist der indirekt über Bundesmittel finanzierte Anteil ausEuratom-Mitteln? Wie groß wäre der Anteil Deutschlands an Euratom-Mitteln, die für den ITER-FEAT aufgewendet würden? Wie groß wären dieGesamtkosten Deutschlands (bezogen auf Bau- und Betriebskosten) anITER-FEAT zusammengesetzt aus nationalen Forschungsmitteln undEuratom-Mittelanteil?

Die deutschen Beiträge zu den europäischen Institutionen – und damit auch zu Euratom– bemessen sich nach dem jährlich neu festgestellten Anteil am Bruttosozialprodukt.Derzeit beträgt dieser Anteil ca. 26%. Dieser Zahl sollte man gegenüberstellen, dassDeutschland derzeit 42 % des von Euratom an die Assoziationen vergebenen Geldesbezieht.

Der deutsche Anteil an der Finanzierung von ITER kann heute noch nicht berechnetwerden, da er davon abhängt, welchen Anteil Europa an ITER zu zahlen hat, und dannweiter davon, wieviel von den Zuarbeiten an deutsche Assoziationen vergeben wird unddamit nationale Forschungsmittel benötigt (siehe auch C.8, C.9 und C.34).

C.11. Gibt es Überlegungen im Falle eines europäischen Standorts für ITER-FEAT europäische Energieversorgungsunternehmen an der Finanzierungzu beteiligen? Falls ja, wie weit sind diese gediehen? Falls nein, wieso nicht?

Bislang gibt es solche Überlegungen nicht, weil die EVUs nicht bereit sind, solchlangfristige Forschung zu finanzieren, die allgemein als Vorsorgeforschung unterstaatlicher Verantwortung betrachtet wird. Mit der Liberalisierung des Strommarktes istdie Bereitschaft der EVUs zu mittel- oder langfristigen Investitionen sogar weitergesunken, so dass deren Beteiligung an der ITER-Finanzierung als aussichtsloserscheinen muss (man denke nur an die derzeitige Situation in Kalifornien).

C.13. Der Stellarator in Greifswald wird etwa innerhalb der nächsten 15 Jahredarüber Auskunft geben können, ob dieser Pfad eine größereErfolgswahrscheinlichkeit verspricht als der Tokamak-Pfad. Wäre es unterdem Gesichtspunkt der Kosteneffizienz nicht sinnvoller mit dem Bau desTokamak zu warten, bis deutlich erkennbar ist, ob der Stellarator oder derTokamak Pfad erfolgversprechender ist? Wie hoch wären dieFehlinvestitionen, falls sich nach dem Bau des ITER-Tokamak abzeichnensollte, dass der Stellarator-Pfad der vielversprechendere wäre.

Wie oben (siehe Antworten zu A.1 und A.3) ausgeführt, soll ITER erstmals Plasmenmit Q>>1 untersuchen – insbesondere die durch die Alpha-Teilchen neu auftretendenEffekte wie die Selbstheizung, die Möglichkeit kollektiver Effekte und dieHeliumabfuhr, und gleichzeitig die für die Entwicklung eines Demonstrations-kraftwerks notwendigen technologischen Informationen bereitstellen. DieseUntersuchungen sind heute einzig mit einem Tokamak möglich. Die dabei gewonnenenphysikalischen Erkenntnisse und technologischen Entwicklungen sind aber unabhängigvon dem verwendeten Einschlusskonzept. Sie lassen sich also unmittelbar auf denStellarator übertragen. Insofern gibt es keinen Grund, den Bau und Betrieb des„nächsten Schrittes“ heute aufzuhalten. Dies würde auch die Stellaratorlinie umJahrzehnte zurückwerfen.

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Die europäische Strategie zur Entwicklung der Fusionsforschung sieht hingegen vor,parallel zu den physikalischen Untersuchungen und technologischen Entwicklungen mitITER die Stellaratorlinie soweit zu entwickeln, dass dann für DEMO die Frage„Tokamak oder Stellarator“ fundiert diskutiert werden kann.

C.14. Können Computersimulationen einen Teil der Forschungsaufgabenwahrnehmen, bis eine Entscheidung zwischen Tokamak und Stellarator undgegebenenfalls dem amerikanischen Weg der Laserfusion gefallen ist?Welche Erkenntnisse können über Computersimulationen gewonnenwerden und welche nicht?

Fusionsforschung war und ist einer der Vorreiter der Computersimulation. Die gesamtePlanung der Fusionsforschung geht von andauernden, dramatischen Fortschritten in derComputersimulation aus, die tatsächlich viele experimentelle Untersuchungenüberflüssig machen werden. Sie können jedoch nicht das Experiment ersetzen, wennqualitativ neue Effekte wie die Selbstheizung des Plasmas durch das thermonukleareBrennen untersucht werden sollen. Simulationsergebnisse bedürfen auch weiterhin derfallweisen Bestätigung durch Experimente, da die den Rechnungen zugrunde liegendenModelle immer nur Näherungen darstellen. Mit der dauernden Verfeinerung derModelle erwarten wir jedoch zum Beispiel, dass Computersimulationen – geeicht anden Ergebnissen der Stellaratoren Wendelstein 7-X und LHD (reineDeuteriumplasmen, in denen die Selbstheizung keine Rolle spielt) und den ITER-Ergebnissen (Selbstheizung eines Deuterium-Tritium-Plasmas im Tokamak) einezuverlässige Extrapolation auf einen Stellarator-DEMO erlauben würden.

C.15. Wie oft und in welcher Form wird das deutsche und das europäischeFusionsprogramm durch unabhängige Gremien evaluiert?

Das europäische Fusionsprogramm wird alle fünf Jahre von einem Gremiumunabhängiger Experten aus Wissenschaft und Industrie begutachtet. Die letzteBegutachtung erfolgte 2000 durch das Airaghi-Panel (benannt nach seinemVorsitzenden, Dr. Airaghi) [21], die vorletzte 1996 durch das Barabaschi-Panel [22].

Das deutsche Fusionsprogramm wurde beispielsweise im vergangenen Jahr vomWissenschaftsrat im Rahmen seiner Evaluation der deutschen Energieforschungbegutachtet [23] und schnitt dabei sehr positiv ab.

ForschungspolitikC.16. Wie ist der Stand der deutschen Fusionsforschung im Vergleich zu

derjenigen in Europa und in anderen Staaten?

Die europäische Fusionsforschung nimmt weltweit eine Spitzenstellung ein, nicht nurmit dem gemeinsamen europäischen Experiment JET, das als derzeit größter Tokamakund durch seine Deuterium-Tritium-Experimente eine spezielle Rolle einnimmt,sondern auch durch die vielen – auf speziellen Arbeitsgebieten sehr erfolgreichen –Fusionsexperimente in den Assoziationen.

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Innerhalb der europäischen Fusionsforschung wiederum nimmt die deutscheFusionsforschung eine Spitzenstellung ein. Dies soll hier am speziellen Fall des Max-Planck-Institutes für Plasmaphysik (IPP) gezeigt werden:

Das IPP ist im Bereich der fusionsorientierten Plasmaphysik ein weltweit führendesInstitut, sowohl durch die Breite der Forschung (als einziges Institut betreibt das IPPForschung auf dem Gebiet der Tokamaks und der Stellaratoren), wie auch durchherausragende Ergebnisse, die die weltweite Fusionsforschung stark geprägt haben.Einige Beispiele aus den vergangenen Jahren sollen aufgeführt werden:

- Am Tokamak ASDEX gelang die erste erfolgreiche Demonstration desDivertorbetriebes (bei dem die Plasmabegrenzung durch zusätzliche Magnetfeldererfolgt), der sich inzwischen weltweit für die Auskopplung von Energie undTeilchen durchgesetzt hat. Praktisch alle großen Fusionsexperimente benutzenseitdem einen Divertor. Das europäische Gemeinschaftsprojekt JET, dasursprünglich nur mit einer materiellen Plasmabegrenzung, einem Limiter, gebautworden war, ist auf Grund der ASDEX-Ergebnisse nachträglich mit einem Divertorausgerüstet worden und hatte damit große wissenschaftliche Erfolge.

- Ebenfalls mit ASDEX wurde 1982 ein Plasmazustand mit verbessertemEnergieeinschluss gefunden, die sogenannte H-Mode, die sich sehr schnell weltweitals Standard-Arbeitsmodus durchgesetzt hat. Die H-Mode macht die Entwicklungeines ökonomischen Fusionsrkraftwerkes erst möglich und ist unabdingbar für dasErreichen eines energieliefernden Plasmas in ITER.

- Die Expertise des IPP auf dem Gebiet der Divertorphysik sowie die umfangreichenund sehr erfolgreichen Untersuchungen an ASDEX Upgrade führten auch zu einerintensiven Beteiligung des IPP an Auslegung und Design des ITER-Divertors.Durch die Untersuchungen an einem verbesserten Divertor hat ASDEX Upgradeden ITER-Divertor vorweggenommen. Unterstützt wird dies durch internationalabgestimmte numerische Modellierungen des Divertors.

- 1998 hat ASDEX Upgrade erstmals in Entladungen mit einer sogenannten „InternenTransport-Barriere'', die einen ökonomischeren Kraftwerksbetrieb erlauben soll,quasi-stationäre Plasmen mit gutem Energieeinschluß und hohem Energieinhaltdemonstriert.

- Mit dem ersten “reinen Stellaratorbetrieb” an Wendelstein 7-A im Jahr 1980 undden erfolgreichen Arbeiten der Garchinger Stellaratortheoretiker hat das IPP aufdem Gebiet der Stellaratorforschung weltweit eine Ausnahmestellung errungen.

- Das im IPP entwickelte und zur Anwendungsreife gebrachte Konzept der modularenSpulen, das mit Wendelstein 7-AS erstmals und erfolgreich realisiert wurde, istVoraussetzung für die technische Realisierung von Stellaratorkraftwerken. Diepositiven Ergebnisse der Stellaratorforschung im IPP auf theoretische undexperimentellem Gebiet führten in den vergangenen Jahren auch zu einerRenaissance der Stellaratorforschung in den USA.

- Die Grundlagen der Stellaratoroptimierung, die sogenannte Quasi-Symmetrie,wurden im IPP entwickelt.

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- Die Untersuchung der Wechselwirkung von Materialien mit Plasmen wird im IPPan weltweit führender Position betrieben.

- Insgesamt ist das IPP international als eines der führenden Institute derFusionsforschung anerkannt.

C.17. Welches sind die Erfahrungen mit der Fusionsforschung und wie entwickeltsie sich in den USA, in Japan, in Russland sowie in anderen Ländern?

Japan und Rußland betreiben, ähnlich wie Europa, ein kraftwerkorientiertes Fusions-forschungsprogramm. Beide Staaten sind aus diesem Grunde ebenfalls stark am Bauund Betrieb von ITER interessiert.

In den USA hat sich die Zielrichtung in den letzten Jahren etwas verändert. DerSchwerpunkt des dortigen Fusionsprogrammes – mit magnetischem Einschluß – liegtnun eher auf der Grundlagenforschung. Die Fusionsforschung mit Trägheitseinschlußdient im wesentlichen der militärischen Forschung und der „Stockpile Stewardship“(d.h. dem Erhalt des atomaren Arsenals), obwohl in den letzten Jahren verstärkt auchder Aspekt der Energiegewinnung betont wird.

Korea und Indien haben in den vergangenen Jahren intensive Fusionsforschungs-programme begonnen, in beiden Fällen mit dem langfristigen Ziel der Erschließungeiner neuen Energiequelle.

C.18. Können Sie bestätigen, dass die USA eine wissenschaftlich orientierteFusionsforschung betreiben und dafür allein im Jahr 2001 252 Mio. Dollaraufwenden? Werden für die Laserfusion vom US-amerikanischenEnergieministerium 199 Mio Dollar pro Jahr aufgewandt und ist mit demBau eines Reaktors vom Typ NIF begonnen worden, der 2008 am LawrenceLivermore National Laboratory fertiggestellt werden soll?

Es sollte Herrn Dr. Decker, DOE, überlassen werden, diese Angaben zu bestätigen bzw.zu ergänzen oder zu korrigieren.

Unser Kenntnisstand, der im wesentlichen auf Informationen aus dem Internet beruht,ist der folgende: Für das Jahr 2001 hat das Department of Energy (DOE) 248,5Millionen US$ für die wissenschaftliche Erforschung der Kernfusion beantragt. Davonwaren etwa 240 Mio. $ für die Fusion mit magnetischem Einschluß vorgesehen und ca.9 Mio. $ für die Trägheitsfusion. Allerdings sollte hier berücksichtigt werden, dass zumBeispiel im Jahr 1999 weitere etwa 500 Mio. $ für die Trägheitsfusion aus dem„Defense Programm“ des DOE bereitgestellt wurden.

Für den Bau einer „National Ignition Facility“ (NIF) – nach dem Prinzip derTrägheitsfusion – am Lawrence Livermore National Laboratory werden vom DOEKonstruktionskosten von insgesamt 2,05 Mrd. US$ veranschlagt. Bei einerangenommenen Projektdauer von 10 Jahren würden jährliche Aufendungen i.H.v. 220Millionen US$ anfallen (ohne Inflationbereinigung). Die National Ignition Facilitywurde ursprünglich als Teil des „Stockpile Stewardship Program“ gestartetet, firmiertaber inzwischen als reaktororientiertes Projekt.

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Interessant ist es, die NIF-Gesamtkosten von ungefähr 2 Mrd. $ mit denen von ITER zuvergleichen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass NIF ein nationales Programm ohneinternationale Partner ist. Zudem ist – aus Sicht des IPP – die sogenannteTrägheitsfusion viel weiter von der Realisierung eines kommerziellen Kraftwerkesentfernt als die magnetische Fusion.

C.19. Warum haben die USA 1997 ein Fusionsprogramm ohne Entscheidung fürein neues Fusionsexperiment verabschiedet und sind aus dem ITER Projektausgestiegen?

Zu dieser Frage wird sicherlich Herrn Dr. Decker ausführlich antworten können. Es seijedoch darauf hingewiesen, dass die Entscheidung der USA, vorläufig auf einkraftwerkorientiertes Programm in der magnetischen Fusion zu verzichten, der in denUSA herrschenden Meinung entspricht, dass es weder eine kommende Weltenergiekrisenoch ein Weltklimaproblem geben wird. So meinte zum Beispiel der AbgeordneteJames Sensenbrenner, der früherere Vorsitzende des House Science Committee zurKlimaschutz-Vereinbarung von Kyoto: „Das Abkommen von Kyoto basiert aufunvollkommenen wissenschaftlichen Erkenntnissen, kostet zuviel, läßt zu vieleVerfahrensfragen offen, ist grob unfair, da die Entwicklungsländer nicht teilnehmenmüssen und wird das angebliche Problem der Klimaveränderung nicht lösen.“

C.20. Wie realistisch ist eine Beteiligung der USA, Japans und Russlands amITER-FEAT bzw. am gesamten ITER Pfad einschließlich Finanzierung?

Wir erwarten eine Beteiligung von Japan an Bau und Betrieb von ITER-FEAT.Diskussionen in der japanischen Wissenschaftsöffentlichkeit betrafen vor allem dieFrage, ob Japan die Partner zur Errichtung von ITER im eigenen Lande einladen will. InRußland besitzt ITER sowohl in der Wissenschaft als auch in der Forschungspolitikeinen hohen Stellenwert. So hat die russische Föderation während der Entwurfs- undEntwicklungsphase Leistungen im Gegenwert von ca. 150 M � HUEUDFKW��$XFK� I�U� GLHBauphase hat die russische Föderation einen prozentmäßig ähnlichen Beitrag zugesagt.Da sie diese Beiträge vor allem auf denjenigen Teilgebieten leisten will, in denen sieihre Befähigung bereits während der Entwicklungsphase gezeigt hat (z.B. Bereitstellungdes supraleitenden Materials), ist die technische Qualität und der Gegenwert dieserBeiträge abgesichert.

Eine Beteiligung der USA ist in der gegenwärtigen Planung nicht vorgesehen. Hohe USRegierungsbeamte haben allerdings mehrfach zu erkennen gegeben, dass der Austrittder USA vor allem durch den zögerlichen Fortschritt in der Projektrealisierungveranlaßt wurde, und ein definitiver Baubeschluß der ITER-Partner zu einemWiederbeitritt der USA führen könnte.

Nach Abschluß eines ITER-Vertrages ist eine partnerschaftliche Beteiligung deranderen Länder auch an Parallelprogrammen (Materialentwicklung) zu erwarten. Eswurde bisher jedoch nicht diskutiert, ob diese Partner auch die weiteren Schritte(DEMO) gemeinsam gehen würden. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit während desBaus und Betriebes von ITER würde aber sicher starke Impulse für eine Fortsetzungdieser gemeinsamen Entwicklung mit DEMO geben. Es ist jedoch nicht auszuschließen,dass die bisherigen Partnerländer ab DEMO getrennte Wege gehen, um ihrer nationalenIndustrie größere Startvorteile zu sichern.

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C.21. Welche Bedeutung sollte die Förderung der Fusionsforschung imGesamtkonzept einer europäischen Energieforschungspolitik innerhalb des6. Rahmenprogrammes für Forschung und Entwicklung erhalten?

Seitdem der Fragenkatalog für die Anhörung erstellt wurde, ist der erste Entwurf des 6.EU-Rahmenprogramms veröffentlicht und dem ITRE-Ausschuß des EuropäischenParlaments vorgestellt worden. Im Euratom-Teil wird eine Fortsetzung deseuropäischen Fusionsprogrammes angestrebt, weil „die kontrollierte Kernfusion eineder Optionen für die langfristige auf Dauer tragbare Energieversorgung darstellt,insbesondere für die zentralisierte Lieferung von Grundlaststrom.“ Ferner wirdfestgestellt: „Da die Arbeiten zur Erstellung eines detaillierten Entwurfes für den NextStep im Rahmen des internationalen Projektes ITER abgeschlossen sind, kann jetzt eineEntscheidung über den Projektstart und den Bau der Anlage gefällt werden. Diegenauen Modalitäten für die Durchführung des Projektes werden vom Ergebnis der zurZeit im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit geführten Verhandlungen undseinen weiteren Entwicklungen abhängen.“ Die prominente Stelle von ITER im Entwurffür das 6. Rahmenprogramm verdankt sich der mehrheitlich positivenMeinungsäußerungen der EU-Forschungsminister in einer informellen Sitzung imJanuar diesen Jahres (siehe Interview mit EU-Kommissar Busquin in „Die Welt“22.02.2001). Parallel zur Realisierung von ITER sollen das JET-Experimentweiterbetrieben aber gleichzeitig die Vorbereitungen für dessen Entsorgung nach demEinstellen des Betriebs getroffen werden. Ebenfalls soll die Erforschung desmagnetischen Einschlusses sowohl in physikalischer als auch in technologischerHinsicht im allgemeinen aber vor allem an Wendelstein 7-X in Greifswald fortgesetztwerden. Für den Fusionsteil des Euratom-Haushaltes ist eine Summe von 700 Mio.Euro, davon 200 Mio. Euro für ITER vorgesehen. Im 5. Rahmenprogramm wurden 788Mio. Euro für die Fusion budgetiert. Die ursprünglich von DG Forschung vorgeseheneSumme von 800 Mio. Euro ist leider auf Veranlassung der EU-Kommissarin Schreyerum 100 Mio. Euro gekürzt worden (Agence Europe 21.02.2001). Andere Posten imEuratom-Haushalt betreffen hauptsächlich die Themen nukleare Sicherheit undEntsorgung im Bereich der Kernspaltung.

Im Themenbereich „Nachhaltige Entwicklung und globale Veränderungen“ des 6.Rahmenprogramms sind Schwerpunkte unter anderem auf den Gebieten erneuerbareEnergien, intelligenter Verkehr, Brennstoffzellen, Wasserstofftechnologie, Photo-voltaik, Biomasse und durch Umweltfaktoren induzierte Klimaveränderungenvorgesehen. Soweit wir informiert sind, sollen 1,8 Mrd. Euro zur Verfügung stehen.Zusätzlich kämen wahrscheinlich im gleichen Zeitraum weitere Ausgaben der DGVerkehr und Energie für Energieforschungsprogramme mit kurzfristig erreichbarenZielen in Höhe von ca. 600 Mio. Euro dazu.

Als längerfristige Option für die Zukunft wird also die Fusion im Rahmen dereuropäischen Energieforschungspolitik angemessen gefördert, obwohl der reduzierteHaushaltsansatz (Stand Februar 2001) möglicherweise große Schwierigkeiten für denNicht-ITER-Anteil des Fusionsprogrammes bereiten wird, vor allem für die Aktivitätenauf nationaler Ebene, zum Beispiel in Garching und Greifswald. Solche nationaleFusionsprogramme werden jedoch weiterhin notwendig sein, um unterstützendeExperimente auszuführen und den wissenschaftlichen Nachwuchs einzubinden. DasFusionsforschungsprogramm in Deutschland ist bei weitem das erfolgreichste inEuropa.

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C.22. Ist es möglich, ITER-FEAT in das 6. Rahmenprogramm einzuordnen unddabei die internationale Organisationsstruktur, die finanzielle Beteiligungder EU und der einzelnen Partner sowie den endgültigen Standort für denITER-FEAT festzuschreiben?

Diese Frage wurde zum Teil unter C.21 beantwortet. Die endgültige Festschreibung derinternationalen Organisationsstruktur, der finanziellen Beteiligung der EU und dereinzelnen Partner sowie des endgültigen Standortes für ITER-FEAT in das 6.Rahmenprogramm wird wahrscheinlich zeitlich nicht möglich sein, obwohl – wie obenerwähnt – bereits 200 Mio. Euro für ITER als europäischen Beitrag in den Jahren 2003bis 2006 vorgesehen sind. Die Verhandlungen mit den ITER-Partnern über einenmöglichen rechtlichen Rahmen (legal entity) sind noch nicht angelaufen und bis jetztliegt noch kein konkretes Standortangebot vor. Allerdings hat bereits im Juli 2000 diefranzösische CEA ihr Forschungszentrum Cadarache in Südfrankreich als ITERStandort angeboten. Es wird erwartet, dass Frankreich im Laufe der nächsten Monateden EU-Ländern vorschlägt, Cadarache zum europäischen Standort zu küren.Japanische und kanadische Standortangebote in den nächsten 12 Monaten sind ebenfallswahrscheinlich.

C.23. Welche Folgen hätte ein Verzicht auf das neue Großexperiment ITER aufdie Grundlagen- und angewandte Forschung auf dem Gebiet derKernfusion?

Wenn das längerfristige Ziel eines gesamten Forschungsprogramms – in diesem FallITER – nicht mehr existiert, dann verliert das Arbeitsgebiet an Dynamik, diewissenschaftlichen Arbeiten stagnieren und es gibt bald keinen Nachwuchs mehr.Innerhalb von wenigen Jahren würden die Erfahrungen, das Know-how und dasmenschliche Potenzial auf dem Gebiet der Kernfusion verschwinden.

Ein Verzicht auf ITER hätte für die Entwicklung eines Fusionkraftwerkes, katastrophaleFolgen. Die spätere Wiederaufnahme eines kraftwerkorientierten Programmes alsAntwort auf eine immer noch wachsende Weltenergiekrise wäre – wenn überhaupt - nurmit horrenden Geld- und Zeiteinbußen möglich.

Aber auch die Grundlagenforschung würde unter einem ITER-Verzicht leiden,insbesondere in Deutschland, das als eine Hochburg der Hochtemperaturplasmaphysikangesehen werden kann. Obwohl die Grundzüge der Plasmaphysik von der klassischenPhysik des 19. Jahrhunderts erarbeitet wurden, hat man zur Zeit – wie auch in anderennaturwissenschaftlichen Disziplinen, wie z.B. der Fluiddynamik oder der chemischenReaktionskinetik – großes Interesse an der Nicht-Linearität der Systeme, mit denen manBifurkation, Turbulenz und chaotisches Verhalten untersuchen kann. Auf Grund derBedeutung und Komplexität dieser nicht-linearen Systeme zählt ihr Studium zu denherausforderndsten physikalischen Forschungsgebieten überhaupt. (Richard Feynmanbeispielsweise nannte sie das "wichtigste ungelöste Problem der klassischen Physik".)Im Rahmen der Arbeiten zur Fusionsforschung hat die Hochtemperatur-Plasmaphysikentscheidend zum Verständnis solcher nicht-linearen Phänomene beigetragen und damitdie Arbeiten auch auf anderen Gebieten wie beispielsweise der Astrophysik oder derHydrodynamik befruchtet. Neben Beiträgen zur Chaos-Theorie wurden viele Beispielenicht-linearer Instabilitäten studiert, die wegen ihrer Komplexität (Wechselwirkung

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elektromagnetischer Wellen mit elektrostatischer Turbulenz), der Selbstkonsistenz(nicht-lineare Rückwirkung verschiedener Teile des Systems) und auftretenderBifurkationen von allgemeinem Interesse sind.

Um turbulente Vorgänge quantitativ zu verstehen, sind äußerst leistungsfähige Rechnererforderlich, wie sie erst seit wenigen Jahren zur Verfügung stehen. Hier hat dieFusionsforschung führend an der Entwicklung neuer numerischer Methoden zur Lösungnicht-linearer Differential-Gleichungssysteme und der effizienten Ausnutzung vonHöchstleistungsrechnern (massive Parallelisierung) gearbeitet. Diese Impulse würdenbei einer Verödung der Fusionsforschung wegfallen.

Das gleiche gilt auch für die Entwicklung von Mathematik und mathematischer Physik,für die die Plasmaphysik ebenfalls entscheidende Beiträge geleistet hat, wie z.B. in derEntwicklung der Lagrange‘en Feldtheorie (Gyro-Kinetik), der Theorie komplexerFunktionen (Landau-Dämpfung) oder der Differentialgeometrie (bei der Beschreibungder komplizierten Geometrie von magnetisch eingeschlossenen Plasmen).

C.24. Wie ist das Verhältnis eingesetzter Forschungsmittel zum erwarteten Erfolgim Vergleich mit anderen Forschungsschwerpunkten?

Die kontrollierte Kernfusion gilt als Aufgabe der staatlichen Vorsorgeforschung, weilsie erst in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts eine wichtige Option für dieWeltenergieversorgung im Grundlastbereich darstellt. Bis klar ist, ob diese Optionbenötigt wird, ist es nicht zweckmäßig, in einer für die Zukunft der Menschheitlebenswichtigen Frage und angesichts unzuverlässiger Prognosen Erwägungen überPreis-Leistungs-Verhältnisse anzustellen. Es kommt hinzu, dass es nahezu unmöglichist, an zuverlässige Zahlen zur Finanzierung anderer Schwerpunkte in derEnergieforschung bzw. für die Markteinführung neuer Energieformen in anderenLändern heranzukommen (für die Fusion dagegen sind die Zahlen weltweit relativ gutbekannt, siehe Antwort zu Frage C.4).

Es sei angemerkt, dass zur Zeit die Ausgaben für die Fusionsforschung in Deutschlandca. 7 % der staatlichen Energieausgaben (Forschung plus Subventionen) ausmachen,sogar weniger als 2 %, wenn die Subventionen für die heimische Steinkohleindustriemitberücksichtigt werden.

C.25. Was bedeutet eine Entscheidung für ITER für die Schwerpunkte und denUmfang der deutschen Energieforschung?

ITER schafft einen eindeutig kraftwerk-orientierten Schwerpunkt und stellt eineStärkung der europäischen - und damit auch der deutschen - Energieforschung dar.

Der Umfang eines zukünftigen ITER-bezogenen Fusionsprogrammes – wenn hier diefinanziellen Folgen für Deutschland gemeint sind – wird nicht wesentlich verändertsein, und damit werden auch die Folgen für den Umfang der deutschenEnergieforschung nur gering sein.

Eine direkte deutsche ITER-Beteiligung finanzieller Art wird nicht erwartet. Jedochmuss man mit Folgen für alle nationalen Forschungszentren in Europa rechnen. IhrAusmaß wird davon abhängen, ob ITER in Frankreich, Kanada oder Japan verwirklichtwird. Mit Ausnahme des in Greifswald konzentrierten Stellarator-Programms wird sich

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das IPP zunehmend mit der Zuarbeit für ITER befassen. Dies gilt auch für denmittelgroßen Tokamak ASDEX Upgrade, dessen Konfiguration im ITER-Designwiederzufinden ist und der nach der Schließung des gemeinsamen europäischen JET-Experiments in Culham, Großbritannien, als dann größtes europäisches Experimentgesteigerte Bedeutung erlangen wird.

C.26. Welchen Einfluss hätte es auf die Entwicklung der Erneuerbaren Energienund den Klimaschutz, wenn innerhalb der nächsten 50 Jahre die dem ITER-Pfad zugedachten Mittel zusätzlich zur Verfügung stünden?

Diese Frage soll in zwei Teilen beantwortet werden.

Zuerst soll abgeschätzt werden, welche Auswirkung die Mittel der Fusionsforschungauf die Gestaltung der Energieversorgung haben könnten. In den Arbeiten des WorldEnergy Council (WEC) und des International Institutes for Applied System Analysis(IIASA) wurde abgeschätzt, dass im Zeitraum zwischen 1990 und 2050 etwa 34700Milliarden US $ (1990) in die Energieversorgung investiert werden [24]. Solltenanstelle der Investitionen, die in diesem Szenario vornehmlich in fossile Energieträgerfließen, Erneuerbare Energieträger gefördert werden, dann müsste – sollte der gleicheEnergiebedarf gedeckt werden – wohl erheblich mehr Geld aufgebracht werden. DieMittel für die Fusion in diesem Zeitraum betragen etwa 50 Milliarden US $ -- viel zuwenig für eine merkliche Veränderung des Energiesystems.

Zum zweiten Aspekt der Frage: Welche Folgen hätte es für die Menschen in derZukunft, wenn eine Option der Stromversorgung nicht entwickelt worden wäre?Wahrscheinlich höhere Energieosten und weniger Flexibilität. Die Fusion unterscheidetsich u.a. auch insofern deutlich von den meisten Erneuerbaren Energietechnologien, alsFusionskraftwerke sich problemlos in die bestehenden Energieversorgungsstruktureneinpassen können.

Ganz allgemein ist festzustellen: Die deutsche Volkswirtschaft ist in der Lage, eineVielzahl von künftigen Energietechniken parallel zu entwickeln, die hohe Förderung derEnergieforschung Anfang der achtziger Jahre beweist das. Die Konkurrenz zwischenverschiedenen Techniken in der Zukunft wird die Kosten stärker reduzieren und dieVolkswirtschaft stärker entlasten, als die Förderung sie belastet. Auf den internationalenFinanzmärkten ist schon lange die Tatsache bekannt, dass auch Optionen einen hohenWert haben können, dies sollte auch Eingang in die Forschungspolitik finden. Dieerheblichen Kostensenkungen in der Telekommunikation sollten ein Beispiel dafür sein,wie Wettbewerb allen Menschen zu Gute kommt.

Industriepolitik / Verwertung / spin-offsC.27. Welche Erwartungen haben Sie für die Entwicklung von

Schlüsseltechnologien durch die Fusionsforschung?

Viele Schlüsseltechnologien haben bereits von Entwicklungen in der europäischenFusionsforschung profitiert. Diese Fortschritte sind bedingt durch den Druck derFusionsforschung, in vielen Gebieten die Technologien bis an ihre Grenzenauszuentwickeln. Beispiele sind:

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- Die Produktion von Stählen mit sehr hohen Spezifikationen, die praktisch keineImperfektionen besitzen.

- Die Erzeugung neuartiger kohlefaserverstärkter Kohlenstoffe mit hoherEinheitlichkeit und Wärmeleitfähigkeit, jedoch mit wirtschaftlichen Preisen.

- Die Fertigung hochreiner Beryllium-Komponenten in fast endgültiger Form, umEinsparungen in Material und in Kosten zu erzielen.

- Die Entwicklung der stärksten je gebauten Kryopumpe mit einer Pumpleistung, diedoppelt so hoch ist wie bei früheren Pumpen und mit dem höchsten je erreichtenEinfangkoeffizienten (47% vom theoretischen Wert eines schwarzen Lochs).

- Die Entwicklung flexibler Kryoleitungen zum Transport flüssigen Heliums mitniedrigeren Verlusten als bislang erreichbar.

- Für Hochfrequenz-Heizsysteme wurden in Zusammenarbeit mit der Industrie neueHochleistungs-Tetroden und neue koaxiale Übertragungsleitungen bei hoherBetriebsspannung produziert.

Eines der wesentlichen Ziele der Industrie, die an Bau und Betrieb von JET beteiligtwar, war es Erfahrung in Bezug auf Planung, Qualität und Qualitätskontrolle zugewinnen. Bei ITER wäre Ähnliches zu erwarten. Die sehr strengen Spezifikationenund die strikte Kontrolle von Produkt und Zeitplan haben viele Unternehmen dazugezwungen, völlig neue Organisationsformen und Prozeduren einzuführen, um diegestellten Anforderungen erfüllen zu können. Diese Änderungen führten aber zuVerbesserungen von Produktion und Produktionskontrolle, die diesen Unternehmenerlaubt haben, auf dem Weltmarkt in Gebieten anzutreten, auf denen sie vorher nichtwettbewerbsfähig waren. Die Industriezweige, die so profitiert haben sind sehrverbreitet und umfassen viele der Hochtechnologieunternehmen, die an der Vorfront dereuropäischen Technologieindustrie stehen.

C.28. Welche Bedeutung messen Sie der Verwertung von Erkenntnissen aus derFusionsforschung durch die deutsche bzw. europäische Industrie bei?

Das wurde unter C.27 bereits mitbeschrieben.

C.29. Welche spin-offs erwarten Sie vom ITER-Experiment? Sollten solchemögliche Synergien gezielt gefördert werden?

In detaillierten Studien wurden vier Klassen des Nutzens identifiziert, der als Folge vonGrundlagenforschung – wie sie auch das ITER-Experiment darstellt – auftritt [24]:

• Die Möglichkeit von Entdeckungen großer ökonomischer und praktischer Bedeutung• Geräte und Techniken, die auch anderen Nutzen haben und die Industrie anregen• Erziehung• Beiträge von kultureller Bedeutung.

Alle vier steigern den Wohlstand der Gesellschaft und können deshalb als Spin-offsklassifiziert werden. Viele Studien zeigen, wie Ausgaben für Grundlagenforschung zuEntdeckungen von hoher ökonomischer und praktischer Bedeutung führen, die sehrprofitabel sind und sich schnell selbst bezahlt machen [25-27]. Die meisten dieser Spin-offs kommen unerwartet; oft liegt eine längere Zeit zwischen der fundamentalenEntdeckung und ihrer Verwertung. Deshalb ist es auch nicht möglich, Spin-offs speziellzu planen und/oder zu ihrer „Produktion“ zu ermutigen.

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Die frühe Identifizierung von möglichen Spin-Offs und deren gezielte Förderung istaber auch eine starke Empfehlung des CFI (ein die Europäische Komission inIndustrieangelegenheiten der Fusionsforschung beratendes Kommittee), der durch dieEinführung passender Strukturen Rechnung getragen werden wird.

Zudem ist zu bezweifeln, dass das Präsentieren langer Spin-off-Listen alsRechtfertigung großer künftiger Ausgaben angesehen werden kann. Solche Listen sindin vielen Bereichen der Forschung erstellt worden, unter anderem in derElementarteilchenphysik (CERN), in der Weltraumforschung (ESA, NASA) und auchim Bereich der Fusionsforschung (JET, DOE-Office for Fusion Research). EineRechtfertigung auf der Basis erwarteter Spin-offs ist jedoch nicht möglich, da esschwierig ist, den kommenden wirtschaftlichen Nutzen zu quantifizieren. Ebensomüsste man ja analysieren, welchen Nutzen man erzielt hätte, wenn man dieses Geldanders ausgegeben hätte. Auf der anderen Seite kann man jedoch annehmen, dass dieAusgabe ähnlicher Summen in verschiedenen Hochtechnologiebereichen ähnliche Levelvon Spin-offs erzeugt. Die Tatsache, dass die Fusionsforschung sehr komplexe, speziellentwickelte Instrumente in verschiedenen technologischen Bereichen benötigt,prädestiniert sie sozusagen zur Erzeugung von Spin-off-Produkten.

Durch den Bedarf an Produkten, deren Eigenschaften an der Grenze oder jenseits desjeweiligen „state of the art“ liegen, spielt Großforschung ganz allgemein eine wichtigeRolle bei der Stimulation der Industrie. Verschiedene Studien haben versucht, diesenEffekt zu quantifizieren [28-30]. Dabei benutzen die Autoren die Größe „EconomicUtility“ = „Umsatzsteigerung + Kostenersparnis (für Hoch-Technologie-Aufträge)“.

Mit den von der Industrie (und nicht von CERN bzw. ESA) gelieferten Daten ergab sichfür die von CERN vergebenen Aufträge eine „Economic Utility“ von 3,0, d.h. für jedenEuro, den CERN an die Industrie zahlt, generiert diese 3 Euro [28-30]. Normalisiert aufdas gesamte CERN-Budget ergibt sich ein Wert von 1,2. In einer anderen Studie ergabsich (wiederum auf das Gesamtbudget normalisiert) ein Wert von 1,6 für die ESA[31,32].

Die Forschung für die nächste Generation von Fusionsexperimenten bietet eineexzellente Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten für Wissenschaftler und Ingenieurein angewandter Forschung, Technologieentwicklung und Industriemanagement. Derkonstante Drang zur Erweiterung der technologischen Fähigkeiten zusammen mithöchsten Qualitäts- und Präzisionsanforderungen und dem Druck einer industriellenUmgebung schaffen eine außergewöhnliche Umgebung für Wissenschaftler undIngenieure. Diese Erfahrungen kommen letztlich auch der Industrie zu Gute.

C.30. Welche Branchen profitieren besonders vom ITER-Experiment?

Unter anderen werden vor allem die folgenden Industriezweige von ITER profitieren:

- Maschinenbau- Kryotechnik- Vakuumtechnik- Elektrotechnik (Hochleistungstechnik, Regeltechnik)- Materialtechnologie- Supraleitung- Robotik und Fernhantierungstechnik

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- Geodätik- Halbleiter- und Detektor-Technologie- Software-Entwicklung- „Virtuelle Realität“- Informationstechnologie- Sicherheitstechnik- Kontrolltechnologie

C.31. Welche Vorteile hätte ITER in Europa für die europäische Industrie?Welche Bedeutung hat ein europäischer Standort von ITER für die Zukunftdes Forschungs- und Industriestandortes Deutschland?

Unabhängig von der Standortwahl kann man sicher davon ausgehen, dass es dereuropäischen Industrie gelingen würde, einen beträchtlichen Anteil der Aufträge fürITER-Hochtechnologiekomponenten zu erhalten. Ein europäischer Standort würde dieWettbewerbsposition der europäischen Industrie zusätzlich stärken und ihr auch dasspezielle Know-how über Bau und Betrieb eines Fusionsexperimentes sichern.

- Eine besondere Stärke der europäischen Industrie ist die Integration verschiedenerTechnologien. Dies ist auch die größte Herausforderung bei einemFusionskraftwerk, wobei die ITER mit seinen Anforderungen neu und anders alsbisherige Hochtechnologieprojekte sein wird. In diesem Bereich hat der Gastgebereinen starken Vorteil, da er die simultane Entwicklung der verschiedenenSubsysteme am besten verfolgen kann. Außerdem existiert eine starke Verbindungzwischen der Systemintegration und dem Lizensierungsverfahren, welches in engerund effektiver Wechselwirkung mit den lokalen Behörden abgewickelt werdenmuss. Der daraus resultierende Wettbewerbsvorteil „lokaler“ Konsortien liegt aufder Hand.

- Die Fabrikation einzelner Komponenten kann zwar fern vom ITER-Standortstattfinden; die Industrie gewinnt bei solch neuen Systemen jedoch auch stark ausder Kombination von Fertigungserfahrung und Beobachtung bzw. Analyse desBetriebsverhaltens. Dies ergibt einen großen Vorteil für die Industrie des gast-gebenden Partners. Speziell in Japan existiert bereits eine starke Wechselwirkungzwischen den Regierungsbehörden und großen Industriefirmen, was es für dieeuropäische Industrie sehr schwer machen würde, einen ähnlich guten Zugang zuallen notwendigen Details der Betriebserfahrungen zu bekommen.

- Im Rahmen des Lizensierungsverfahrens werden alle ITER-Komponenten nach denStandards und Codes des gastgebenden Partners qualifiziert werden müssen.Während diese Kriterien in ihren technischen Aspekten überall weitgehend gleichsein werden, würden im Falle eines japanischen ITER-Standortes die formalenAspekte zusätzlichen Aufwand für die europäischen Zulieferfirmen bedeuten. DieseErfahrungen wären darüber hinaus später nicht direkt auf Europa zu übertragen. Beieinem europäischen Standort wäre die Wechselwirkung mit den Lizensie-rungsbehörden von großer Bedeutung für die zukünftige Entwicklung.

- Die gesamte Infrastruktur (Gebäude, Stromversorgung, Kühlung etc.) wird vomgastgebenden Partner unter Einbindung der „lokalen“ Industrie erstellt. Diesverschafft diesen Unternehmen die notwendige Kompetenz, später in angemessenerZeit komplette Kraftwerke zu erstellen.

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C.32. Welche Folgen hätte die Realisierung von ITER in Cadarache (Frankreich)für die anderen europäischen Fusionsforschungseinrichtungen?

Die finanzielle Zwänge werden eine weitgehende Reorganisation und Reduktion derrestlichen Fusionsaktivitäten erfordern. Dies wäre aber auch bei einer Errichtung vonITER in Japan oder Kanada nötig.

Wir erwarten, dass ein Weiterbetrieb zumindest einer mittelgroßen Tokamakanlage inEuropa während der ITER-Bauphase notwendig ist, um die Betriebskenntnisse für denTokamak lebendig zu erhalten, Nachwuchs auszubilden und Konzeptverbesserungensowie neue theoretische Modelle testen zu können. ASDEX Upgrade kommt hierfürsehr gut in Frage, da die Anlage relativ neuen Baudatums ist und - in verkleinertenMaßstab - ITER gleicht. Während der ITER-Bauphase werden die Assoziationenaußerdem mit dem Aufbau der Diagnostiken und Heizsysteme von ITER beschäftigtsein.

Nach Inbetriebnahme von ITER erwarten wir, dass die Assoziationen eine ähnlicheRolle spielen werden wie etwa Europäische Forschungsinstitute bei CERN. Teamswerden für begrenzte Kampagnen zum Experimentieren an den ITER-Standort entsandt;nach ihrer Rückkehr arbeiten sie an der Auswertung der Ergebnisse bzw. dem Vergleichmit Computersimulationen. Eine derartige Betriebsform wird gegenwärtig bereits anJET praktiziert und hat sich für die wissenschaftliche Ausnutzung der Maschine als sehrerfolgreich erwiesen. Die künftigen Fortschritte in der Datenübertragung werdendarüber hinaus eine Teilnahme an ITER-Experimenten auch vom Standort der einzelnenAssoziationen aus möglich und effektiv machen.

C.33. Was kann die Fusionsforschung in den nächsten Jahrzehnten dazubeitragen, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und der EU zu fördern?Lässt sich abschätzen, in welchem Umfang die WettbewerbsfähigkeitDeutschlands und der EU verringert würde, wenn diese Mittel bei dersonstigen Energieforschung, der Nanotechnologie oder der Biotechnologieeingespart würden?

In den Fragen C.29 und C.31 wurden die positiven Effekte für die europäische Industrieund die Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit detailliert beschrieben. Insbesondere eineuropäischer ITER-Standort würde große Vorteile für die gesamte europäische Hoch-technologie-Industrie bedeuten.

Ganz allgemein dürfte die langfristige Verfolgung der Fusion – als einer der wenigenOptionen für eine CO2-freie und nachhaltige Energieversorgung– entscheidend zurWettbewerbsfähigkeit Deutschlands bzw. der EU beitragen

C.34. In Deutschland gibt es etwa 30.000 Arbeitsplätze im Bereich ErneuerbareEnergien sowie schätzungsweise einige hundert Fusionsforscher. Lässt sichungefähr abschätzen wie sich beide Zahlen verändern würden, falls dieMittel, die in Deutschland beim ITER-Pfad aufbringen müsste, entweder inden einen oder in den anderen Bereich flössen?

Genaugenommen sind es rund 1.500 Mitarbeiter der Forschungszentren IPP, FZ Jülichund FZ Karlsruhe sowie an einigen Universitäten, die sich mit der Fusion befassen.

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Hinzu kommen schätzungsweise ebenso viele Arbeitsplätze in Zuliefer- undServicefunktionen. Vor allem wichtig sind diese Arbeitsplätze in Ost-Vorpommern, wodie Arbeitslosigkeit derzeit über 20 % beträgt. Die Tatsache, dass es zehnmal mehrArbeitsplätze auf dem Gebiet der Erneuerbaren Energien gibt, spiegelt die Tatsachewieder, dass der Staat zehnmal mehr Mittel für die Erforschung und Subvention andererEnergieformen ausgibt. An dieser Stelle wäre auch auf die Subvention der deutscheSteinkohleindustrie mit 8 Mrd. DM hinzuweisen, die noch mehr Arbeitsplätze schafft,allerdings ist dies eine etwas unproduktive Art der Diskussion!

Insgesamt führt die Frage in die Irre, weil sie impliziert, dass es eine direkte finanzielleBeteiligung Deutschlands an ITER gäbe. Lediglich eine indirekte Beteiligung istgegeben über die 26 %ige Einzahlung Deutschlands in den EU-Haushalt (siehe C.10).Die Frage, ob vorgesehene Mittel für ITER in die Erneuerbaren Energien fließenkönnten, wenn ITER nicht genehmigt würde, kann man am Beispiel des Fusionsetats imersten Entwurf des 6. Rahmenprogramms beantworten: Die von EU-KommissarinSchreyer bewirkte Kürzung von100 MEuro fließt in den gesamten EU-Haushalt zurück;sie kommt nicht dem Forschungshaushalt zugute.

D. Zukünftige Rolle der Kernfusion bei der Energieversorgung

D.1. Wie fügt sich die Kernfusion in künftige Versorgungs- undVerbrauchsstrukturen ein?

Wie sich die Versorgungs- und die Nachfragestrukturen in der Zukunft entwickelnwerden, kann heute niemand mit Gewißheit sagen. Unterschiedlichste Entwicklungensind denkbar. Deswegen gebietet es die Vernunft, sich mit vielen verschiedenenOptionen auf die mögliche Vielfalt der Herausforderungen vorzubereiten.

Trotzdem läßt sich für die gesamte Welt zunächst ein deutlicher Anstieg derEnergienachfrage vorhersagen. Hierfür sprechen mehrere Gründe. Erstens wird dieWeltbevölkerung insgesamt deutlich wachsen, auf neun, zehn oder sogar zwölfMilliarden Menschen. Zweitens leben die meisten Menschen heute in sehr bescheidenenbzw. vollkommen inakzeptablen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Wenn allediese Menschen – und dies sollte unser aller Wunsch sein – am Wohlstand teilhabenwollen,dann ist mit einem deutlichen Anstieg der Energienachfrage zu rechnen. AlleinIndien wird seinen Energieverbrauch in diesem Jahrhundert wohl versechsfachen, fürChina gilt ähnliches, von vielen Ländern in Afrika ganz zu schweigen.

Zur Zeit wird die Energienachfrage zu etwa 90 % aus fossilen Energieträgern gedeckt.Es spricht vieles dafür, dass dieser hohe Anteil der fossilen Energieträger an derEnergieversorgung noch einige Jahrzehnte erhalten bleibt. In den Industrieländernbestehen nämlich feste Energieversorgungsstrukturen, die sich nur langsam verändern;in den Schwellen- und Entwicklungsländern zwingt die Kapitalknappheit dazu, diebilligste Lösung zu implementieren. Das bedeutet – zumindest für Indien und China –die intensive Nutzung der heimischen Kohle.

Jedoch muss aus den bekannten Gründen – Klimaveränderung, Ressourcenknappheitund Vermeidung geopolitischer Konflikte – die Energieversorgung langfristigumgestellt werden, weg von fossilen Energieträgern. Hierfür ist die Fusion einewichtige Option, insbesondere, weil sie sich hervorragend in die bestehenden

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Versorgungsstrukturen einpaßt: Wo heute ein großes Kohle-, Gas- oderKernspaltungskraftwerk steht, kann später ein Fusionskraftwerk stehen. Die BrennstoffeLithium und Deuterium werden nur in so kleinen Mengen verbraucht, dass dieBrennstoffversorgung kein Problem darstellt.

Neben diesen allgemeinen Bemerkungen sei hier auf eine sehr detaillierte Studie desholländischen Energieinstitutes ECN [17] hingewiesen. In dieser Studie wurde dieFrage gestellt, unter welchen Bedingungen Fusion – wenn sie im Jahr 2050 bereit steht– Eingang in den europäischen Energiemarkt findet. Die Antwort lautete, Fusion wirdgebraucht, wenn die Emission an Treibhausgasen deutlich reduziert und dieKernspaltung nicht weiter ausgebaut werden soll.

StrommarktD.2. Kann ein Fusionsreaktor unter den zu erwarteten Randbedingungen

(Angebot, Nachfrage, liberalisierte Märkte, Kosten des Umweltschutzes)wirtschaftlich Strom erzeugen?

Wirtschaftlichkeit kann sich immer nur in einem bestimmten Ordnungsrahmendefinieren. Für die Zukunft nehmen wir an, dass die externen Kosten zunehmend in diedirekten Kosten einfließen, sei es über Steuern oder andere ordnungspolitischeWerkzeuge wie Umweltstandards. Dadurch werden sich die konventionellenEnergietechniken verteuern. Auch werden mittel- und langfristig nur TechnologienEinsatz finden, die keine Treibhausgase emittieren. In einem solchen Ordnungsrahmenfindet die Fusion sehr wohl ihren wirtschaftlichen Platz, wie in einer Studie [17] desholländischen Energieinstitutes ECN gezeigt wurde. Auch andere Studien in Japan [34]und den USA kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

D.3. Welche Leistung wird ein Fusionsreaktor haben und wie fügt sich diesesPotenzial in eine zukünftige Struktur der Energieversorgung ein?

ITER sollte – im ersten Entwurf – eine thermische Leistung von 1500 MW erreichen.Ein Kraftwerk basierend auf diesem Entwurf würde eine elektrische Leistung von etwa500 MW produzieren. In den meisten Kraftwerksstudien werden elektrische Leistungenvon (1000 bis 1500) MW angenommen. Konventionelle Kohle-, Gas- undKernkraftwerke haben ähnliche Blockgrößen. Die Fusion würde sich also gut in dasbestehende System der Stromversorgung einfügen.

D.4. Welcher Marktanteil im Strommarkt wird für Fusionsreaktoren im Jahr2050 bzw. im Jahr 2100 erwartet.

Wie bei Frage A.2 ausgeführt, werden Fusionskraftwerke vor 2050 nicht zur Verfügungstehen. Nach der Studie des holländischen Forschungszentrums ECN [17] wirderwartet, dass die Fusion im Jahr 2100 etwa 20 bis 30 % des europäischenStrombedarfes abdecken wird. In japanischen Studien werden ähnliche Werte genannt.

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D.5. Mit welchen Energieträgern würde die Kernfusion in den Jahrzehnten2050 ff hauptsächlich in Konkurrenz stehen?

Hauptkonkurrenten der Fusion sind Kohle und Kernspaltung. Auch dies ist ein Ergebnisder Arbeiten [17] des holländischen Energieforschungszentrums ECN. Während einstarkes Wachstum an Kohle- oder Kernkraftwerken die Ausbreitung der Fusionverhindern würde, entwickeln sich Fusion und Erneuerbare parallel, was sich durch dieerheblich unterschiedliche Charakteristik der Techniken erklärt. Fusion bedient dabei inerster Linie die Grundlast, wofür Wind- und Sonnenkraftwerke wegen ihrerintermitterenden Leistungsabgabe nicht geeignet sind, solange nicht Speicher mit großerKapazität zur Verfügung stehen.

D.6. Ist die Kernfusion überhaupt notwendig, wenn bedacht wird, dass inaktuellen Studien (z.B. LTI-Research Group: Long-Term Integration ofRenewable Energy Sources into the European Energy System, Heidelberg1998) für Europa eine 100 prozentige Deckung des Energiebedarfs inEuropa durch Erneuerbare Energien bis 2050 als möglich erachtet wird undin den anderen Kontinenten das Potenzial der Erneuerbaren Energienzumeist noch größer ist?

Die Ergebnissse der LTI-Studie setzen voraus, dass die Menschen ihren Lebensstilerheblich verändern. Sätze wie: "The world of the Sustainable Scenario is, thus, notcharacterised by having more but by feeling better off " klingen gut, werden aber impraktischen Leben wohl kaum von der Mehrheit der Menschen geteilt.

Insbesondere viele junge Leute sind heute sehr konsumfreudig. In einer Studie [5], diedas IPP zusammen mit der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg erstellt hat, hielten gerade die jungen Menschen Energiesparen nicht füreine akzeptable Option. Wenn also die LTI-Studie fordert, dass es 2050 keineninnereuropäischen Flugverkehr mehr gibt und die Höchstgeschwindigkeit bei Zügen auf200 km/h und bei Autos auf 100 km/h beschränkt sein soll, ist das zwar theoretischdenkbar, aber praktisch nicht sehr wahrscheinlich. Die Studie nimmt zudem nicht an,dass in den Haushalten neue Geräte installiert werden könnten. Nicht einmal einComputer als Stromverbraucher findet sich in der Liste der Gegenstände (Seite 66 Table2.7), die in den Haushalten Energie verbrauchen. Aber gerade die Entwicklung neuerGeräte hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass der Stromverbrauch immer weitergestiegen ist.Nur mit diesen und ähnlichen anderen mehr als fraglichen Annahmen gelingt es dann inder LTI-Studie, die Energienachfrage bis zum Jahr 2050 um 63 % zu reduzieren. DieLatte wird also für die Erneuerbaren nicht hoch gehängt, zumal die antizipiertenKostensenkungen für Photovoltaik und Solarthermie sehr optimistisch sind.

Aber auch bei der Beschreibung der Energieversorgung werden Annahmen gemacht,die eher fraglich sind. Ob die Menschen langfristig wirklich ihren Fleischkonsumdeutlich drosseln werden und damit mehr Raum in der Landwirtschaft für den Anbauvon Biomasse schaffen, ist wohl trotz BSE zu bezweifeln.

Da das Eintreten der meisten Voraussetzungen der LTI-Studie sehr unwahrscheinlichist, wäre es vermessen, Zukunftsplanungen allein auf diese Studie zu stützen. Die

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Predigten der Bettelorden im hohen Mittelalter, das Glück in einem einfachen undarmen Leben zu suchen, wurde schon damals nur von wenigen Menschen befolgt.

D.7. Wird die Kernfusion wettbewerbsfähig zu erneuerbaren Energien sein, dieschon heute bzw. in wenigen Jahren die für die Fusion im Jahre 2050erwarteten 15 Pfennig/kWh Stromerzeugungskosten unterschreiten? Wärefür den Fall, dass Erneuerbare Energien auch zukünftig nicht den gesamtenEnergiebedarf decken sollten, nicht z.B. moderneKohlekraftwerkstechnologie mit CO2-Abscheidung (vgl. Clean CoalStrategy der USA) eine kostengünstigere Alternative zur Kernfusion?

Ja, denn der Vergleich verschiedener Energieträger kann nicht allein über dieEnergiekosten geschehen. Tatsächlich fragt der Verbraucher im Stromnetz eineLeistung nach, also eine bestimmte Menge Energie in einem bestimmten Zeitintervall.Bei Wind- und Sonnenenergie kann es aber zu erheblichen Differenzen zwischenLeistungsnachfrage und Leistungsangebot kommen, was mit aufwendigen Speicher-oder Back-up-Leistungen abgedeckt werden muss. Hierbei entstehen erhebliche Kosten.Aber auch unabhängig davon ist es insbesondere bei der Photovoltaik noch völligunklar, ob sie je Strom zu Kosten von 15 Pf/kWh liefern wird; die heutigen Kosten sindjedenfalls einen Faktor 10 davon entfernt.

Der Vergleich muss unter der Annahme einer bestimmten Lastnachfrage geschehen.Genau dies wurde in den Arbeiten [17] des holländischen EnergieforschungsinstitutesECN gemacht. Und obwohl hier erhebliche Kostenreduktion zum Beispiel bei derPhotovoltaik angenommen wurden, konnte die Fusion erhebliche Marktanteilegewinnen.

Fortgeschrittene Kohlekraftwerke mit CO2-Abtrennung und -Speicherung stellen eineKonkurrenz für die Fusion dar. Diese Technologien werden aber die Kosten für Stromaus Kohle deutlich erhöhen, wodurch die Konkurrenzfähigkeit reduziert wird. Auchkann diese Technologie nicht überall bedenkenlos eingesetzt werden, da sichereSpeicher für das CO2 vorliegen müssen. Ob die Speicherung im Meer möglich ist, wirdvon vielen Fachleuten bezweifelt.

Obwohl in der Studie [17] des holländischen Energieforschungsinstitutes ECN dieseTechnologie berücksichtigt wird, erreicht die Fusion (deren Stromgestehungskostennach heutigen Studien, wie in C.2 beschrieben, ca. 12-20 Pf/kWh betragen werden)einen hohen Marktanteil.

Im übrigen spricht gegen die in der Frage vorgeschlagene weitergehende Nutzungfossiler Brennstoffe auch deren begrenzte Verfügbarkeit und ihr hoher Wert alsRohstoff.

D.8. Welche anderen bedeutenden neuartigen Alternativen zur Kernfusion stehenfür die zukünftige Energieversorgung zur Diskussion?

Eine detaillierte Antwort auf diese Frage würde den Rahmen dieser Stellungnahmesprengen. Deshalb verweisen wir hier auf die entsprechende Literatur: Eineumfangreiche Antwort auf diese Frage findet sich z.Bsp. in der Studie "Energy

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technologies for the 21st century" der Internationalen Energie Agentur (IEA) inParis[35].

D.9. Werden andere wesentliche Potenziale künftiger Energieversorgung durchInvestitionen in die Kernfusion vernachlässigt?

Zunächst stellt sich die Frage, ob die Höhe des Budgets für Energieforschung eine„Naturkonstante“ ist. Tatsächlich variierte das Budget für Energieforschung in denletzten beiden Jahrzehnten deutlich und sank von einem sehr hohen Wert in denachtziger Jahren auf niedrige Werte heute. Die Frage ist also nicht, ob dieEnergietechnologien sich selber Konkurrenz machen, sondern, warum das wichtigeThema Energieforschung gesamtgesellschaftlich mit so geringen Mitteln ausgestattetist. Der Wissenschaftsrat kommt in seiner Empfehlung [23] bezüglich derEnergieforschung zu dem Schluß, dass dieses Feld insgesamt mit deutlich mehr Mittelnausgestattet werden sollte, eine Kürzung zum Beispiel bei der Fusionsforschungempfiehlt er nicht. Auch eine gemeinsame Stellungnahme [36] führenderEnergieforscher in Deutschland kommt zu einem ähnlichen Ergebnis.

Die Ausgaben für Fusion konkurrieren also nicht nur nicht mit anderen Ausgaben fürEnergieforschung, sondern sie sollten im Verhältnis zu allen staatlichen Ausgabengesehen werden, zum Beispiel mit der Förderung der heimischen Steinkohle mit 8 Mrd.DM/a.

Andere Potentiale der Energieversorgung werden nur dann vernachlässigt, wennEnergieforschung allgemein nicht angemessen gefördert wird.

D.10. Insbesondere in Ländern der Dritten Welt werden enorme Energie-verbrauchszuwächse eintreten. Welchen Beitrag kann die Fusionsenergieleisten, um diesen Anstieg in den Entwicklungsländern abzudecken?Glauben Sie, dass die Implementierung von Fusionskraftwerken in derDritten Welt eine für die dortige Bevölkerung bezahlbare Alternative zuKohle, Öl und Regenerativen Energien ist?

Der Zuwachs im Energieverbrauch während der letzten 30 Jahre entstand zum größtenTeil dadurch, dass wenig entwickelte Länder zu hochentwickelten Ländern wurden. Inzeitlicher Reihenfolge können Japan, Südkorea und Malaysia als Beispiele genanntwerden. Mit wachsendem Wohlstand wuchs auch ihr Energiebedarf. Parallel dazuentstand und entsteht eine Gesellschaft mit dem Potenzial fortgeschrittene Technologieneinzuführen. Man darf erwarten, dass dieser Trend anhält und im Laufe diesesJahrhunderts der größte Teil der Menschheit sowohl bei einem europäischenLebensstandard Energie im europäischen Umfang verbrauchen wird als auch imUmgang mit fortschrittlicher Technik eine Expertise auf europäischem Niveau besitzenwird [24].

Es gibt also weder finanzielle noch Know-How-Probleme, den großen zu erwartendenEnergiezuwachs der Schwellenländer zumindest zu einem Teil durch Fusionsenergie zudecken.

Klimaschutz

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D.11. Die Enquete Kommission "Schutz der Erdatmosphäre" hat bis 2020 eine 50prozentige und bis 2050 eine 80 prozentige Reduktion der CO2-Emissionenin Deutschland als erforderlich betrachtet. Wieviel Prozent des CO2-Aus-stoßes kann durch die Kernfusion in diesem Jahrhundert eingespartwerden?

Die Ziele und Schlußfolgerungen der Enquete Kommission "Schutz der Erdatmosphäre"werden von uns geteilt und sollten Leitlinien der Energie-und Umweltpolitik sein.Trotzdem sind die Ziele sehr anspruchsvoll und es ist keineswegs gesichert, dass sieauch erfüllt werden. Die Forschungspolitik sollte sich nicht zuletzt durch die Förderungder Fusion eine weitere Option öffnen, auch im Sinne einer Versicherung gegen dieUnwägbarkeiten zukünftiger Entwicklungen.

Bis zum Jahr 2050 wird die Fusion in der heutigen Planung nicht zur Reduktion derCO2-Emissionen beitragen. Natürlich ließe sich die Entwicklung der Fusion nochbeschleunigen - Ideen [37], wie man direkt von ITER zu einem Kraftwerk gehenkönnte, werden diskutiert. Sicherlich ist (wie bei Antwort A.2 diskutiert) der politischeWille zur zügigen Entwicklung der Fusion entscheidend. Je früher und entschiedenerITER gebaut und befördert wird, desto eher wird Fusion zur Reduktion vonTreibhausgasen beitragen.

Die Studie des holländischen Energieforschungsinstitutes ECN [17] zeigt aber sehrdeutlich, dass Fusion dort die meisten Marktanteile gewinnt, wo die geforderteReduktion der Treibhausgase am striktesten ist. Fusion ist dabei nicht isoliert zubetrachten, sondern muss im Verbund mit anderen möglichen Einspartechniken gesehenwerden. Kurz- und mittelfristig werden zum Beispiel Einsparungen der CO2-Emissiondadurch möglich, dass Kohle durch Gas ersetzt wird, da die spezifischen Emissionenvon Gas deutlich niedriger sind als die der Kohle. Hinzu kommt, dass mit Gas befeuerteKraftwerke heute höhere Wirkungsgrade haben als Kohlekraftwerke. In der zweitenHälfte dieses Jahrhunderts müssen dann aber die mit Gas betriebenen Kraftwerke ersetztwerden, die Fusion bietet sich dafür an.

Die Bedeutung einer Option wie Fusion wird im globalen Maßstab noch deutlicher. InLändern wie Indien und China wird in den nächsten Jahrzehnten - und die Planungenhierfür können kaum noch umgestoßen werden - fast nur Kohlekraftwerke gebaut.Kraftwerke und Infrastruktur sind auf Lebenszeiten von 30 bis 40 Jahren angelegt. Dannfängt DEMO gerade an Strom zu liefern.

Hinzu kommt noch ein anderer Gesichtspunkt. Die Bedeutung der Elektrizität alsEnergieträger wird immer stärker zunehmen. Diese Entwicklung ist in allen Regionender Welt ungebrochen. Wenn es also der Fusion gelingt, im Jahre 2100 30 % derStromversorgung abzudecken, sichert sie damit die Grundlast als Ersatz des bis dahinwichtigsten Energieträgers.

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D.12. Der Kohlendioxidausstoß weltweit wird nach Angaben der InternationalenEnergieagentur bis zum Jahr 2020 um ca. 70 % ansteigen, vor allem durchdie Entwicklungen in China und anderen Schwellenländern. WelchenBeitrag kann die Fusionsenergie bis 2020 leisten, um diesen Anstiegabzubremsen? Welchen Beitrag erwarten Sie bis 2050, bis 2100?

Die Kernfusion kann erst einen Beitrag leisten, wenn sie voll entwickelt ist, also nach2050. Trotzdem ist dieser Beitrag von großer Bedeutung, wofür sich insbesondere zweiArgumente anführen lassen:

Zum einen ist auch nach 2050 mit einem Anstieg des weltweiten Stromverbrauches zurechnen. Hier sei auf die globalen Studien des Weltenergierates (WEC) zusammen mitdem Institute for Applied System Analysis (IIASA) hingewiesen [24]. Und zum zweitenwird ein Teil der Reduktion von Treibhausgasen kurz- und mittelfristig kostenoptimiertmit Zwischenlösungen erfolgen, insbesondere durch Substitution von Kohle durch Gas.Irgendwann muss dann die Nutzung des Gases wieder ersetzt werden, wozu sich dieFusion anbietet.

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Literaturangaben

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[3]ITER Physics Expert Groups et al.,ITER Physics Basis, Nuclear Fusion 39 (1999) 2137-2664.

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[9]Non-Site Specific Safety Report, 11 Bände, Dezember 1997, verfügbar über das europäischeITER Home-Team (EFDA-Close Support Unit, Garching).

[10] W. Liebert, R. Bähr, A. Glaser, L. Hahn, Ch. Pistner,“Fusion” in Fortgeschrittene Nuklearsysteme – Review Study,‘Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) an derTechnischen Universtät Darmstadt’ und ‘Institut für angewandte Ökologie,Öko-Institut Darmstadt’, April 1999, S. 74 ff.

[11]Schweizerischer Wissenschaftsrat,Fortgeschrittene Nukleare Systeme – gebändigtes Risiko oder vorgespiegelte Sicherheit ?,

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Kurzfassung der TA-Studie “Fortgeschrittene Nuklearsysteme” und ausführlicher Bericht“Fortgeschrittene Nuklearsysteme”, TA-Geschäftsstelle, Bern, 1999.

[12] M. Heindler, E. Kny,Entwurf zur Beschlussfassung durch die Kommission zur Koordination der Kernfusions-forschung in Österreich bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit Anlagen,1995

[13] R. Bähr, Ch. Küppers, K. Müller, M. Sailer,Gutachten zu den Umweltaspekten des SEAFP-Berichts,Öko-Institut, Darmstadt, 5/1995.

[14]Comments on the Report of the Öko-Institut concerning SEAFP,Nicht veröffentlicht, aber beim ITER-Team verfügbar.

[15] W. Gulden, E. Kajlert,Safety and Environmental Assessment of Fusion Power-Long Term Programme (SEAL),Bericht EUR 19071, Brüssel, Dezember 1999.

[16] I.Cook et al.,The Safety and Environmental Impact of Commercial Fusion Power Stations, UKAEA,in Vorbereitung.

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[18] T.C. Hender et al.,Key Issues for the Economic Viability of Magnetic Fusion Power,Fusion Technology 30 (1996) 1605.

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[20] J. G. Delene,Advanced Fission and Fusion Plant Economics – Implication for Fusion;Fusion Technology 26 (1994) 1105-1110.

[21] Airaghi et al.,1999 Five-year Assessment Report related to the Specific Programme on Nuclear Fusion,Europäische Kommission, Brüssel, Mai 2000.

[22] S. Barabaschi et al.,Fusion Programme Evaluation 1996,Europäische Kommission, Brüssel, Bericht EUR 17521, Dezember 1996.

[23] Wissenschaftsrat,Stellungnahme zur Energieforschung, Köln, Januar 1999.

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Global Energy Perspectives, Cambridge University Press, 1998

[25] J. A. Kay, C.H. Llewellyn Smith,Science Policy and Public Spending,Fiscal Studies 6, 3 (1985) 14.

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