ankünftig

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Wolfgang Tietze Ankünftig, repeat Die Amnesie der Glashautmasken speist den Schrei der Kreatur ein in die Mikrochips, doch die zirpende Information in meinem Fibrillen und Mikrotubuli antwortet den Kriegen, Erdbeben und Tsunamis auf ihre unnachahmliche Weise, streut sie ein in das, hier so versuchte, opfernde Erinnern des Blutes, lebenslanges Vergessen, so denke ich und unterbreche, und es atmet mich weiter, ich blicke hinaus in den Garten, die herbstliche Buche weitet mein Auge, ich bin angekommen, der Engel der Geschichte wartet nicht mehr, gestern noch, fürs Andenken an das Heroisch-Erhabene drückte ich Beethovens Neunte auf Repeat in die Kalotten, unlängst schaufelte ich mich für das Event hinauf in die Elbphilharmonie, vielerseits ein verwalteter Bürger, schlieβlich verrechnet im Millionengrab, leistete ich mir die Safari mit den Big Five und aβ meine Sepia in Dosen, doch nun gehört mir die Zusatzzahl, die Supersechs, alle Yachten gehören mir und alle Schlösser, jedoch, ich habe sie nie betreten und fange nichts mit ihnen an, ich warte in Ruhe auf die erneute Ankündigung des Clowns, der vielerorts, auch hier schon einmal, unerkannt unterm Pseudonym des Schalks, eine Pirouette zu meinen Gunsten gedreht hat und seine toten Melodien sang, ach, versonnen betaste ich das weiche Leder meiner Nikes aus Indochina, und ich klopfe, leise mit der Fingerkuppe, das Immerwieder des Spechts an mein Gehstock-Holz, gehe mittweilen mit den lädierten Gliedern etwas spazieren im Menschenpark, bin ich wieder zu Hause, höre ich vielleicht „Oh well“, der alten Fleetwood Mac aus den Acoustat-Hybriden und sehne mich, das aufgeschlagene Buch auf den Knien, nach dem Gesicht Hölderlins, das sich unsichtbar in meines blendete, der Augen Schule Blau gedeket die Lider nun bin ich also wieder jenseits,

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Page 1: Ankünftig

Wolfgang Tietze Ankünftig, repeat Die Amnesie der Glashautmasken speist den Schrei der Kreatur ein in die Mikrochips, doch die zirpende Information in meinem Fibrillen und Mikrotubuli antwortet den Kriegen, Erdbeben und Tsunamis auf ihre unnachahmliche Weise, streut sie ein in das, hier so versuchte, opfernde Erinnern des Blutes, lebenslanges Vergessen, so denke ich und unterbreche, und es atmet mich weiter, ich blicke hinaus in den Garten, die herbstliche Buche weitet mein Auge, ich bin angekommen, der Engel der Geschichte wartet nicht mehr, gestern noch, fürs Andenken an das Heroisch-Erhabene drückte ich Beethovens Neunte auf Repeat in die Kalotten, unlängst schaufelte ich mich für das Event hinauf in die Elbphilharmonie, vielerseits ein verwalteter Bürger, schlieβlich verrechnet im Millionengrab, leistete ich mir die Safari mit den Big Five und aβ meine Sepia in Dosen, doch nun gehört mir die Zusatzzahl, die Supersechs, alle Yachten gehören mir und alle Schlösser, jedoch, ich habe sie nie betreten und fange nichts mit ihnen an, ich warte in Ruhe auf die erneute Ankündigung des Clowns, der vielerorts, auch hier schon einmal, unerkannt unterm Pseudonym des Schalks, eine Pirouette zu meinen Gunsten gedreht hat und seine toten Melodien sang, ach, versonnen betaste ich das weiche Leder meiner Nikes aus Indochina, und ich klopfe, leise mit der Fingerkuppe, das Immerwieder des Spechts an mein Gehstock-Holz, gehe mittweilen mit den lädierten Gliedern etwas spazieren im Menschenpark, bin ich wieder zu Hause, höre ich vielleicht „Oh well“, der alten Fleetwood Mac aus den Acoustat-Hybriden und sehne mich, das aufgeschlagene Buch auf den Knien, nach dem Gesicht Hölderlins, das sich unsichtbar in meines blendete, der Augen Schule Blau gedeket die Lider nun bin ich also wieder jenseits,

Page 2: Ankünftig

im Unverklungen, aus der Spirale dringt das Horn, auf der Rückseite der gelungenen Replik der Nebra-Scheibe verglomm mein ganzes Feuer zu Asche, die im Dunkel, auf dem über den Kopfsteinen ashaltierten Weg am alten Kohle-Hafen, zersplitterte Linse suche ich nicht mehr, morgen werde ich im Tautropfen verschwunden sein, im geöffneten Kerngehäuse des Apfels, noch einmal wird die aufgehende Sonne vor mir erscheinen in ihrer tathata, ihrer Soheit, dort im anderen Nirgendwo spät blühender Gräser, drauβen und drinnen werde ich dann wie heute nur noch leere Kreise mit dem Tuschepinsel ziehen, zu meinen Füβen der schlafende Hund. Komm zu mir, es ist soweit: Sprich mich, der Wind weht, wo er will, die lichtschlafende Sonne ist der Traum der Schatten, eine Tarnung der Zeit und zugleich ihr gehaltenes Versprechen, komm zu mir jetzt, ich bin da, weit umher.