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Ansorge, H., Holzapfel, M., Kluth, G., Reinhardt, I., and Wagner, C. 2010. Die Rückkehr der Wölfe. Biol. Unserer Zeit 40, 244-253. Keywords: 8DE/Canis lupus/diet/distribution/genetics/human attitude/Malme/monitoring/research/status/wolf Abstract: Wolves returned to Saxony in the year 2000 since then they have been regularly rearing pups. Nowadays at least 60-80 wolves are living in Germany. To face its attendant conflicts a wolf management has been installed including wolf monitoring, public relation work and damage compensation. According to the monitoring wolves feed almost completely on wild ungulates, whereas livestock does not play a major role. The wolves´ natural origin from north-eastern Poland could be proven by genetic analyses. By the use of radiotelemetry important information could be gained on the adaption of the wolves to the anthropogenic landscape.

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Page 1: Ansorge, H., Holzapfel, M., Kluth, G., Reinhardt, I., and ......der frühen Neuzeit gingen dann die offene Viehhaltung und die Waldweide mit erheblichen Verlusten an Nutz-tieren durch

Ansorge, H., Holzapfel, M., Kluth, G., Reinhardt, I., and Wagner, C. 2010. Die Rückkehr der Wölfe. Biol. Unserer Zeit 40, 244-253.

Keywords: 8DE/Canis lupus/diet/distribution/genetics/human attitude/Malme/monitoring/research/status/wolf

Abstract: Wolves returned to Saxony in the year 2000 since then they have been regularly rearing pups. Nowadays at least 60-80 wolves are living in Germany. To face its attendant conflicts a wolf management has been installed including wolf monitoring, public relation work and damage compensation. According to the monitoring wolves feed almost completely on wild ungulates, whereas livestock does not play a major role. The wolves´ natural origin from north-eastern Poland could be proven by genetic analyses. By the use of radiotelemetry important information could be gained on the adaption of the wolves to the anthropogenic landscape.

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der frühen Neuzeit gingen dann die offene Viehhaltungund die Waldweide mit erheblichen Verlusten an Nutz-tieren durch Wölfe einher,was von den Bauern als exis-tenzbedrohend empfunden wurde. So zeugen dieschriftlichen Berichte seit dem 14.Jahrhundert von ste-tigen Wolfsvorkommen in Mitteleuropa und von derAuseinandersetzung des Menschen mit dem Wolf. InFolge dessen setzte ab dem 15. Jahrhundert eine orga-nisierte regelrechte Bekämpfung des Wolfes ein, dieseine Ausrottung zum Ziel hatte.Den Bauern wurde dieJagd auf den Wolf beispielsweise ausdrücklich erlaubt,wohingegen sie dem Hochwild nicht nachstellen durf-ten. Neben großangelegten Treibjagden wurden hoheBelohnungen für getötete Wölfe gezahlt. Die Jagdenwurden auch fortgeführt, nachdem der WolfsbestandEnde des 17. Jahrhunderts in Deutschland schon weit-gehend zusammengebrochen war. An den Höfen derLandesherren wurden Wölfe auch gegessen – ebensowie andere Raubsäugetiere.

Durch den anhaltenden Jagddruck waren zur Mittedes 18. Jahrhunderts bereits weite Teile Deutschlandsnicht mehr dauerhaft von Wölfen besiedelt. Es wander-ten zwar noch einzelne Tiere aus dem Osten ein, abernach 1904 wurden 40 Jahre lang keine Wölfe mehr inDeutschland nachgewiesen.

Rückkehr aus dem Osten – Wölfe wandern wieder ein

Erst nach dem 2. Weltkrieg wurden selten, aber regel-mäßig wieder einzelne, überwiegend männliche Wölfein Deutschland registriert. Allein auf dem Gebiet derDDR,wo der Wolf seit 1984 als ganzjährig jagdbare Tier-

Seit dem Jahr 2000 ziehen Wölfe wieder inDeutschland ihre Jungen auf. Diesem heraus-ragenden Ereignis für den Naturschutz ste-hen eine Vielzahl an Konflikten und Proble-men der Menschen mit dem großen Beute-greifer Wolf gegenüber. Einst führten sie zurAusrottung des Wolfes in Deutschland, heutemachen sie ein umfassendes Monitoring,Aufklärungsarbeit und begleitende wissen-schaftliche Untersuchungen notwendig.

Das erste Jahrzehnt:

Die Rückkehr der Wölfe HERMANN ANSORGE | MAIKA HOLZAPFEL | GESA KLUTH | ILKA REINHARDT | CARINA WAGNER

DOI:10.1002/biuz.201010425

244 | Biol. Unserer Zeit | 4/2010 (40) © 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Der Wolf (Abbildung 1) besiedelte seit jeher das Ge-biet Mitteleuropas und gehörte durchgängig zur

pleistozänen und holozänen Fauna Mitteleuropas – bisauf die kurze Zeitspanne der letzten 150 bis 200 Jahre.Aus der Saale-Eiszeit stammen die ersten Nachweisevon Canis lupus, der dann in den spätglazialen Ablage-rungen so häufig angetroffen wurde, dass er als typi-sches Mitglied des Mammuthus-Coelodonta-Faunen-komplexes angesehen wird [10].

Bereits im Frühmittelalter führte die Ausdehnungder menschlichen Siedlungen und Ackerflächen in denLebensraum der Wölfe zunehmend zur Konfrontation.Obwohl die Bevölkerungsdichte des Menschen um das15- bis 20fache anwuchs, blieb der Jagddruck auf denWolf gering, da effektive Bejagungsmittel fehlten unddie Jagd nur von den Feudalherren ausgeübt werdendurfte [11]. Mit dem ausgehenden Mittelalter und in

A B B . 1 Wölfe im Nebel. Seit dem Jahr 2000 ziehenursprünglich aus Nordost-Polen eingewanderte Wölfeund ihre Nachkommen in Deutschland wieder Junge auf.Bild: NABU/J. Noack

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W Ö L F E I N D E U T S C H L A N D | I M FO KU S

art eingestuft war, kamen seit 1945 mindestens 13 Wölfe zur Strecke.Zwar war der Wolf in der Bundes-republik Deutschland seit 1980 eine „besonders ge-schützte Art“ nach der Bundesartenschutzverordnung,einzelne Länder stuften ihn aber als „jagdbare Art ohneJagdzeit“ ein, d. h. mit ganzjähriger Schonzeit. Seit 1990stand der Wolf auch in Ostdeutschland unter strengemNaturschutz.Ab dem Jahr 1995 wurde er in Westpolen,wo er nur regional begrenzt vorkommt,und seit 1998 inganz Polen geschützt.Trotz weiterer illegaler Abschüssevon Wölfen bestanden somit günstige Bedingungen füreinen Zuwachs des polnischen Wolfsbestandes und sei-ner Ausbreitung westwärts (Abbildung 2).

Nachdem über Jahre in Brandenburg und Mecklen-burg immer wieder einzelne Wölfe aufgetaucht waren,wurden seit 1996 in der Muskauer Heide im NordostenSachsens zuerst ein Wolf und dann mehrere Tiere be-ständig festgestellt. Interessanterweise hatten hier um1800 noch die letzten Wölfe gelebt, als die Art aus demübrigen Sachsen bereits vertrieben worden war. ImHerbst des Jahres 2000 wurden hier zwei erwachseneWölfe und vier Jungtiere beobachtet.Somit hatten nacheiner Zwischenzeit von wohl über 200 Jahren erstmalswieder Wölfe in Deutschland Junge aufgezogen. Seit-dem wurde in der Lausitz jährlich die Fortpflanzungvon Wölfen nachgewiesen. Im Winter 2001/02 tauch-ten vier Nachkommen des Muskauer-Heide-Rudels 30 km westlich ihres Elternterritoriums im Gebiet derNeustädter Heide auf. Hier zog im Jahr 2003 eine Wöl-fin einen Wurf von Wolf-Hund-Mischlingen auf, die ein-gefangen wurden beziehungsweise seit Februar 2004verschollen sind. Erst 2005 verpaarte sich diese Wölfinmit einem Wolfsrüden und gründete das zweite Wolfs-rudel.Nachdem sich 2006 ein drittes Rudel in der Näheetabliert hatte, wuchs der Wolfsbestand in der Lausitzbis 2010 auf sechs Rudel und ein Paar ohne Nachwuchsan. Je nach dem Stand von Geburt, Abwanderung undTod der Wölfe halten sich demnach hier etwa 40 bis 60Tiere in einem Gebiet von circa 2500 km2 auf, dashauptsächlich auf sächsischem Territorium liegt, aberauch bis nach Brandenburg und Polen reicht.

In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommernwurden aus mindestens fünf weiteren Gebieten Wölfeüber einen längeren Zeitraum bestätigt, ohne dass esgelang, dort Jungtiere nachzuweisen. Lediglich in Sach-sen-Anhalt auf dem Truppenübungsplatz Altengrabowwurde 2009 erstmals außerhalb der Lausitz in Deutsch-land die Vermehrung von Wölfen festgestellt. Darüberhinaus hält sich in Hessen seit 2008 im Reinhardswaldnördlich von Kassel ein männlicher Wolf auf, und inNiedersachsen wurde 2007 in der Lüneburger Heidebei Unterlüß über eine gewisse Zeit ein Wolf bestätigt.Aber auch in Nordwest- und in Süddeutschland ist mitdem gelegentlichen Auftreten von zuwandernden Wöl-fen zu rechnen, ohne dass dort bislang längere Aufent-halte oder eine Ansiedlung bemerkt wurden.Demnach

leben derzeit wohl mindestens 60 bis 80 Wölfe inDeutschland (Abbildung 3).

Der Wolf in den Köpfen –Akzeptanz des Wolfes in der Bevölkerung

Die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland ist einer-seits eine sehr positive und spannende Entwicklung,andererseits aber auch mit einer Vielzahl alter undneuer Konflikte und Probleme verbunden.

Die Anwesenheit dieses Wildtiers in unserer heuti-gen Kulturlandschaft ruft in der Öffentlichkeit viele Fra-gen hervor,schürt Ängste,weckt aber auch die Neugierund das Interesse der Menschen. Dies führt dazu, dassdie verschiedenen Interessengruppen vom Nutztier-halter, Jäger und Naturschützer bis hin zum Politikerdem „Grauen“ auf emotionaler Ebene auf unterschied-liche Weise begegnen. Hier spielt die persönliche Be-troffenheit eine entscheidende Rolle. Während einGroßteil der Bevölkerung dieser Wildtierart offen ge-genüber eingestellt ist und gern mehr über die Tiere er-fahren möchte [5], reagieren die Jäger im Wolfsgebietüberwiegend skeptisch. Hinzu kommt die Angst derViehhalter um ihre Tiere.

Insbesondere unter den Jägern in Deutschland istder Wolf als potenzieller Konkurrent um die gleicheBeute ein kontrovers diskutiertes Thema. Der Großteilder Jäger befürchtet einen Rückgang der Wildbeständeund nur wenige sehen Räuber und Beute im ökologi-schen Gleichgewicht [3].

Eine Umfrage im Jahr 2005 unter den Jägern im be-ziehungsweise am Rande des Wolfsgebietes führte zudem Ergebnis, dass 46 % der Befragten den Wolf in derheutigen Kulturlandschaft für nicht akzeptabel halten[3]. Dagegen stehen nur 16 % der Gesamtbevölkerungim Wolfsgebiet den Wölfen ausgesprochen negativ ge-genüber [5].

Das heutige Vorkommen freilebender Wölfe inDeutschland ist vor allem auf gesamteuropäischeSchutzbemühungen der letzten Jahrzehnte zurückzu-führen [9]. Jedoch kann die fehlende Akzeptanz einzel-ner Interessengruppen gegenüber dieser Tierart fataleAuswirkungen haben. Auch heute noch gehören ille-

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A B B . 2 Jung-tiere erbettelnFutter. Bild: S. Koerner

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gale Abschüsse, Fallen und Gift zu den Hauptursachenfür stagnierende oder rückläufige Großräuberbeständein Europa [2]. Beispielsweise stimmten 62 % der Jägerin der Oberlausitz der Idee einer Aufnahme des Wolfesins Jagdrecht zu. Damit verbunden befürworteten so-gar 26 % einen grundsätzlichen Abschuss der Tiere [3].

Die Entwicklung des Wolfsbestandes in Deutsch-land ist also nicht nur von wissenschaftlichem Inte-resse und naturschutzpolitischer Relevanz, sondern er-fordert auch die Akzeptanz der Bevölkerung. Aufklä-rung über die Biologie und das Verhalten der Wölfestellen deshalb einen wesentlichen Bestandteil desWolfsmanagements in Sachsen (siehe auch Kasten aufSeite 247) dar.

Fakten aus Losungen – die Ernährung der Wölfe in Deutschland

Um Wahrheit, Spekulation und Märchen zu trennenund damit eine sachliche Grundlage in öffentlichenund politischen Diskussionen zu schaffen,ist es von be-sonderem Interesse, genaue und überprüfbare Datenzu den Ernährungsgewohnheiten der Wölfe in demwieder besiedelten Gebiet zu erheben.

Seit Beginn der Wiederausbreitung in Deutschlandwerden zu diesem Zweck Wolfslosungen (Kot) gesam-

melt und am Senckenberg Museumfür Naturkunde in Görlitz unter-sucht. Die Kotanalyse ist die welt-weit am häufigsten angewandteMethode der Nahrungsanalyse, dadie Tiere dadurch in ihrem natürli-chen Verhalten nicht gestört odereingeschränkt werden. Wölfe mar-kieren mit ihrem Kot ihr Revier,hin-terlassen diesen also bevorzugt gutsichtbar an Wegen und Kreuzun-gen, wodurch er für die Untersu-chung recht leicht zu finden ist.

Wölfe fressen ihre Beute sprich-wörtlich mit Haut und Haaren. Da-her bleiben in den Losungen immerauch Haare und Knochen, manch-mal sind sogar Zähne oder Hufscha-len der Beutetiere enthalten (Abbil-dung 4). Nachdem die Losung imLabor desinfiziert, gewaschen undgetrocknet wurde, werden dieseBestandteile hauptsächlich durchdie mikroskopische Bestimmungder enthaltenen Haare einem Beu-tetier zugeordnet. Aus der Mengeder unverdauten Nahrungsreste inden Losungen ist es möglich,die tat-sächlich vom Wolf verzehrte Bio-masse dieses Beutetieres zu berech-nen. Das Ergebnis ist dann bei-

spielsweise die Menge an „Reh“ in Kilogramm, die einWolf fressen musste, um die Losung zu produzieren.Dazu werden verschiedene Formeln genutzt, die aufFütterungsversuchen mit Wölfen in Gehegen beruhen.Aus diesen Daten erhält man - neben dem Beutespek-trum - ein gutes Bild über den quantitativen Anteil ver-schiedener Beutetiere an der Wolfsnahrung.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind eindeutig:Die nach Deutschland zurückgekehrten Wölfe ernäh-

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A B B . 3 Vor-kommen vonWölfen im Jahr 2010.

A B B . 4 Losungsinhalt: Zähne, Haare, Knochen und Hufschalen eines Rehs.

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W Ö L F E I N D E U T S C H L A N D | I M FO KU S

ren sich genau wie ihre Verwandten in anderen TeilenEuropas und der Welt fast ausschließlich von wildle-benden Huftieren (Abbildung 5). Dabei dominiert dasReh vor Rothirsch und Wildschwein.Besonders bei dengrößeren Huftierarten Rothirsch und Wildschwein wer-den bevorzugt Jungtiere erbeutet, die weniger wehr-haft sind.Gerade einmal knapp 4% entfallen auf die Ha-sen. Gelegentlich werden Kleinsäuger wie Mäuse odermittelgroße Säugetiere gefressen – beispielsweisekonnten ein Fuchs und ein Nutria nachgewiesen wer-den.Wie auch verschiedene Vögel, Fische, Früchte und

Haustiere kommen sie zwar gelegentlich in der Wolfs-nahrung vor, machen aber zusammen nur etwa 1% derkonsumierten Biomasse aus.

Auch in den verschiedenen Populationen Polens,des Ursprungslandes der nach Deutschland eingewan-derten Wölfe, besteht die Nahrung der Wölfe fast aus-schließlich aus wildlebenden Huftieren. Allerdings do-miniert hier deutlich der größere Rothirsch [4].Wie Un-tersuchungen aus anderen Teilen der Welt bestätigen,ernährt sich der Wolf bevorzugt von den jeweils in sei-nem Lebensraum vorkommenden großen Huftieren,

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WO L F S M O N I TO R I N G , S C H A D E N S PR Ä V E N T I O N U N D Ö F F E N T L I C H K E I T SA R B E I T – E I N M A N AG E M E N T F Ü R D I E M E N S C H E N

Artenschutz für den Wolf bedeutet vor allem, die Öffentlichkeitstetig zu informieren und die Konflikte zu entschärfen, die dasAuftreten eines über Jahrzehnte abwesenden Großraubtieres ineiner Kulturlandschaft mit sich bringt. Drei Aspekte stehen hier-bei im Vordergrund: Die Sorge um Haustiere, die den Wölfenzum Opfer fallen können, die Befürchtung negativer Auswirkun-gen auf die Jagd und – nicht zuletzt – die Angst vor Angriffen vonWölfen auf Menschen.

Insbesondere die ersten erheblichen Übergriffe auf Hausschafeim Jahr 2002 – über 30 tote Schafe innerhalb weniger Tage – ver-anlassten den Freistaat Sachsen, ein erstes Wolfsmanagement inDeutschland einzurichten [6]. Es wird vom Sächsischen Umwelt-ministerium geleitet, das die Koordinierung und fachliche Beglei-tung der Arbeiten in der Wolfsregion an das Senckenberg Mu-seum für Naturkunde Görlitz übertragen hat.

Das wissenschaftliche Wolfsmonitoring liegt in den Händendes Wildbiologischen Büros LUPUS (Dipl.-Biol. Gesa Kluth, Dipl.-Biol. Ilka Reinhardt), das darüber hinaus von speziell geschultenWolfsbeauftragten der Umweltämter der Landkreise und durchdas Museum Görlitz unterstützt wird. Mit dem Monitoring wer-den in erster Linie die Rudel, territorialen Paare und Einzelwölfeerfasst sowie die Wurfgrößen und das Verbreitungsgebiet ermit-telt (Abbildung 1). Aber auch die wichtigen Fragen der Nahrungs-ökologie, der Herkunft und Verwandtschaft bis hin zur Einschät-zung des Verhaltens der Tiere sind von Interesse [1].

Das Land Sachsen unterstützt die Tierhalter finanziell bei derSicherung ihrer Tiere vor Wolfsangriffen. Die Schadenspräven-tion in der Nutztierhaltung, die Begutachtung gerissener Nutz-tiere (Abbildung 2) und die logistische Unterstützung des Scha-densausgleiches sollen in Zukunft durch die Wolfsbeauftragtenerfolgen, die vom Wildbiologischen Büro LUPUS beziehungs-weise dem Herdenschutzbeauftragten des Freistaates Sachsen(Dipl.-Forstwirt André Klingenberger) für diese Aufgaben geson-dert geschult werden.

Seit dem Jahre 2004 ist für die Öffentlichkeits- und Aufklä-rungsarbeit zum Thema „Wölfe in Sachsen“ das Kontaktbüro„Wolfsregion Lausitz“ (Dipl.-Forstwirtin Jana Schellenberg) ver-antwortlich, das mitten im Wolfsgebiet dafür eingerichtetwurde. Neben den staatlichen Stellen sind auch einige Vereinevornehmlich in der Öffentlichkeitsarbeit für den Wolf aktiv, wiez.B. die Gesellschaft zum Schutz der Wölfe e.V. und der Freundes-kreis freilebender Wölfe e.V. Für den Naturschutzbund Deutsch-land arbeitet sogar ein ständiger Wolfsbeauftragter im Wolfsge-biet. Es werden aber auch völlig gegenteilige Meinungen zumWolf und zur Arbeit des Wolfsmanagements recht intensiv z.B.durch den Verein für „Sicherheit und Artenschutz“ e.V. oder dieBürgerinitiative „Sicher leben unter Wölfen“ vertreten. Mittler-weile ist 2009 ein offizieller „Managementplan für den Wolf inSachsen“ in Kraft getreten, der mit Vertretern von mehr als 50Vereinen, Verbänden, Bürgerinitiativen, Behörden und wissen-schaftlichen Institutionen abgestimmt wurde.

A B B . 1 Das Vermessen von Wolfspuren gehört zu denvielfältigen Aufgaben von Gesa Kluth und Ilka Reinhardtvom Wildbiologischen Büro LUPUS.

A B B 2 . Die Biologinnen untersuchen ein von einemWolf gerissenes Schaf.

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wie beispielsweise Rothirsch,Wapiti oder Rentier [8].Die wenigen bisher in Deutschland etablierten Wolfs-rudel bevorzugen dagegen als Sonderfall das kleinereReh, obwohl Hirsche auch hier oft in einer hohenDichte vorkommen. Mögliche Erklärungen sind einer-seits ein hoher Anteil an Offenflächen, der dem Rot-hirsch in seiner Fluchtstrategie entgegenkommt undandererseits eine Bevorzugung des weniger wehrhaf-ten Rehes, das in hoher Dichte auch in landwirtschaft-lich genutzten Flächen vorkommt. Eine befriedigendeBewertung steht noch aus.

Die Probleme mit der WolfsernährungObwohl die Wölfe in Deutschland sich fast ausschließ-lich von wildlebenden Huftieren ernähren, sagt diesnoch nichts darüber aus, ob und wie sie die Wildbe-stände beeinflussen. Zur Beantwortung dieser Fragetragen die Untersuchungen von Alter und Konditionder gerissenen Beutetiere bei. Frischlinge, Kälber undKitze, gerissen in den ersten Lebenswochen, könnenüber die Analyse der Losungen identifiziert werden.Au-ßerdem erlauben es frisch aufgefundene Wildtierrisseoft noch, über den Stand des Zahnwechsels, die Zahn-abnutzung und die jährlichen Wachstumslinien imZahnzement das Lebensalter des getöteten Beutetiereszu bestimmen (Abbildung 6). Darüber hinaus gibt derFettgehalt im Knochenmark Auskunft über die physi-sche Kondition der gerissenen Beutetiere. Erste Ergeb-nisse aus kombinierten Daten der Losungsanalysen undder Rissbegutachtungen zeigen für die Wolfsrudel derLausitz, dass beim Reh die Jungtiere nicht häufiger vonden Wölfen erbeutet werden als erwachsene Rehe.

Beim Rothirsch bevorzugen dieWölfe aber deutlich die Jungtiereund bei den Tieren, die älter als 1Jahr sind, die weiblichen Tiere ge-genüber den männlichen. Dies istfür diese große Beutetierart auch zuerwarten. Die bisher untersuchtenRothirschrisse lassen außerdem er-kennen, dass die Tiere einen hohenFettgehalt im Knochenmark auf-wiesen und sich damit in überwie-gend guter Kondition befanden.

Im Allgemeinen wird davon aus-gegangen, dass die Beutejagd derWölfe einen regulierenden, wennnicht sogar limitierenden Faktorder Huftierpopulationen darstellt[7]. Darüber hinaus existieren abernoch weitere Einflüsse auf denWildbestand, wie beispielsweiseWitterung und Krankheiten oderBejagung, Störungen und Förde-rung durch den Menschen, die ins-gesamt mit der Anwesenheit der

Wölfe komplex wirken. Betrachtet man vergleichenddie Jagdstrecken (das gesamte in einem Jagdjahr und ineinem bestimmten Gebiet erlegte Wild) als langfristi-gen und großräumigen Weiser für die Wilddichte,so las-sen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine ein-deutigen Schlüsse zum Einfluss der Wölfe auf die Jagd-strecken beziehungsweise auf die Wildbeständeziehen. Insbesondere beim Wildschwein verläuft dieJagdstrecke im Wolfsgebiet von Jahr zu Jahr nahezu pa-rallel zur Jagdstrecke in ganz Sachsen. Andererseitsmuss berücksichtigt werden, dass nach Berechnungenaus den Nahrungsuntersuchungen in der Lausitz bei-spielsweise etwa ebenso viele Rehe von den Wölfen ge-rissen werden, wie die Jagdstrecke an Rehen im Wolfs-gebiet ausmacht.

Das Mufflon ist nach der Rückkehr der Wölfe wei-testgehend aus dem Wolfsgebiet verschwunden. Die

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A B B . 5 Zusam-mensetzung derWolfsnahrung inDeutschland.n = 1811 unter-suchte Losun-gen. Bild: S. Koerner

A B B . 6 Jahreslinien im Zahnschnitt eines zwölf Jahrealten Rothirsches.

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W Ö L F E I N D E U T S C H L A N D | I M FO KU S

einzige Strategie dieses Wildschafes zur Feindvermei-dung ist die Flucht in felsreiches steiles Gelände,die esin der flachen Lausitz nicht anwenden kann.Für die an-deren Wildtiere ist mit den Wölfen ihr natürlicher Ge-genspieler zurückgekehrt, mit dem sie sich über Jahr-millionen gemeinsam entwickelt haben und der ihreFitness und Reaktionsschnelligkeit auf eine ganz an-dere Art fordert als die Bejagung durch den Menschen.

Zur Beantwortung noch offener Fragen und umdem Konflikt zwischen der Anwesenheit der Wölfeund den jagdlichen Interessen zu begegnen, werdenweitere komplexe Untersuchungen von Wölfen undBeutetieren in der Lausitz angestrebt.

In Teilen des sächsischen Wolfsgebietes werdenSchafe zur Fleischproduktion und Landschaftspflegeeingesetzt. Außerdem ist die private Haltung von Scha-fen und Ziegen in der ländlichen Region recht beliebt.Dies ließe größere Konflikte erwarten, denn ein Schafoder eine Ziege ist eine leichte Beute – wehrlos und

langsam – und viel leichter zu er-beuten als ein Rothirsch oder auchein Reh. Dennoch machen Schafeund Ziegen in der Wolfsnahrungnur 0,4% der verzehrten Biomasseaus. Das liegt zum einen daran, dassder Wolf ein reiches Angebot an na-türlicher Beute vorfindet, aberebenso an den vom Land Sachsenmit 60% der Anschaffungskostengeförderten Maßnahmen zum Her-denschutz. Bewährt haben sich 90 cm hohe stromführende Netz-zäune, die ohnehin allgemein ver-wendet werden.Bei Bedarf kann da-rüber als zusätzlicher Übersprung-schutz ein so genanntes Flatterbandgezogen werden (eine breitere,nicht stromführende weiße Litze,die im Wind flattert).Einen sehr gu-ten Schutz von Nutztieren vor Wöl-fen bieten auch gut ausgebildeteHerdenschutzhunde. Diese Hundewachsen mit den Nutztieren auf,die sie später beschützen sollen.Siesehen die Herde als ihre Familie, ihrRudel an, welches sie vor jedemEindringling beschützen. Diese Me-thode ist sehr effektiv, wenn mandarauf achtet, dass die Hunde gutausgebildet sind und die Anzahl derHunde mit der Größe der zu bewa-chenden Herde abgestimmt ist.

Dennoch kann es keinen hun-dertprozentigen Schutz geben.Manchmal finden Wölfe eine Stelle,an der sie sich unter dem Zaun

durchdrücken können,oder die Hunde sind abgelenkt.Wölfe, die über Zäune springen, bilden jedoch die ab-solute Ausnahme. Kommt es im Wolfsgebiet trotz derSchutzmaßnahmen zu Wolfsrissen,werden die Eigentü-mer vom Freistaat Sachsen finanziell entschädigt.

Wölfe oder Mischlinge – die Antwort der Genetik

Wenn Wölfe in bisher nicht besiedeltem Gebiet auftre-ten,ist die Frage nach ihrer Herkunft immer aktuell (Ab-bildung 7). Eine recht genaue Antwort darauf könnengenetische Untersuchungen geben, mit denen die Ver-wandtschaftsverhältnisse der Wölfe bestimmt werden.Dazu eignen sich am besten Gewebeproben wie Mus-keln, Blut oder Haare, die allerdings schwer zu bekom-men sind. An den Losungen der Wölfe haften meistebenfalls Zellen des Darmepithels des jeweiligen Wol-fes. Eine frische Losungsprobe, die umgehend in 96%Alkohol konserviert wird, enthält häufig ausreichend

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N I C H T N U R W Ö L F E WA N D E R N – D I E I N T E R N AT I O N A L E WA N D E R AU S S T E L LU N G „ W Ö L F E “

Die Wölfe breiten sich aus. Mit ihremAuftauchen ist in fast allen Bundeslän-dern zu rechnen. Die Wanderausstel-lung „Wölfe“ des Senckenberg Muse-ums für Naturkunde Görlitz eignet sichhervorragend dazu, über den Wolfaufzuklären – auch dort, wo er nochnicht angekommen ist.

Am Beispiel der Lausitzer Rudel in-formiert die Ausstellung über die Öko-logie und Biologie des europäischenGrauwolfes. Als roter Faden führen dieSpuren und Stimmen des Wolfes durchdie Ausstellung und die Lausitzer Wölfeund ihre Lebensräume werden in zahl-reichen Fotos und Filmaufnahmen vor-gestellt. Ein besonderer Schwerpunktder Ausstellung ist die Nahrungsökolo-gie der Wölfe, denn gerade um denWolfshunger ranken sich viele Legen-den und Fabeln. Klanginstallationen,Filme und Präparate des Wolfes, seinerHinterlassenschaften und seiner Beutesowie ein „bewohnter Wolfsbau“ las-sen den Besucher ganz dicht an denWolf heran. Die Ausstellung beinhaltetauch einen Spielbereich für Kinder,„das Waldlabyrinth“, in dem sie imHalbdunkel unter dem Sternenhimmelverschiedene Nachtstimmen vonWaldbewohnern hören und in einerMärchenhöhle Geschichten zum Wolflauschen können. Derzeit wird die Aus-stellung mit den neuesten Daten zurVerbreitung und Abwanderung aktua-lisiert und ab Mai 2011 voraussichtlichin Lübeck gezeigt.

A B B . Die Wanderausstellung„Wölfe“ des Senckenberg Museumsfür Naturkunde Görlitz informiertüber Biologie und Ökologie desWolfes sowie über die Konflikte mit den Wölfen.

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genetisches Material, das in verwertbarer Menge iso-liert werden kann. Daraus kann dann anhand der mito-chondrialen DNA sicher geklärt werden,ob eine Probewirklich von einem Wolf stammt oder von einer ande-ren Tierart.Tiefergehende Analysen wie die Identifika-tion von Individuen und deren Verwandtschaftsverhält-nisse sind dagegen nur möglich, wenn anhand vonhochvariablen Abschnitten der Kern-DNA (Mikrosatel-liten) für jede Probe der Genotyp bestimmt wird. Des-halb wurde seit Beginn des Wolfsmonitorings im Jahr2001 von frischen, für die Nahrungsanalyse gesammel-

ten Losungen auch jeweils eine Probe für genetischeUntersuchungen gesichert, um die Herkunft bezie-hungsweise Verwandtschaftsbeziehungen der LausitzerWölfe zu klären.

Im Herbst 2003 bekam dieses grundlegende Inte-resse an der Genetik der Wölfe eine ganz neue Rele-vanz. Bei Neustadt/Spree hatte eine junge Wölfin zu-sammen mit einem zweiten Wolf ein Territorium etab-liert. Im Juli konnten anhand von Spuren neun Welpennachgewiesen werden, von denen sechs nach Filmauf-nahmen im September den starken Eindruck erweck-ten, dass es sich nicht um Wölfe, sondern um Hybridenaus Wolf und Haushund handelte. Im Rahmen des Säch-sischen Wolfsmanagements wurde daraufhin der Le-bendfang der Welpen in die Wege geleitet, um einemögliche Weitergabe der Haushund-Gene in der klei-nen Wolfspopulation zu verhindern. Im Winter2003/2004 gelang es, zwei der vier zu diesem Zeit-punkt noch vorhandenen Mischlingswelpen einzufan-gen und ihre Mutter mit einem Senderhalsband auszu-statten. Mit einer genetischen Analyse der Mikrosatelli-ten aus Speichelproben der Wölfin und ihrer zweiWelpen bestätigte Dr. Maciek Konopinski (Natur-schutzinstitut der Polnischen Akademie der Wissen-schaften in Krakau) den Verdacht eindeutig: Der Geno-typ der Mutter entsprach den 76 zum Vergleich unter-suchten polnischen Wölfen.Die Genotypen der Welpengruppierten sich in der Clusteranalyse dagegen mittenzwischen den Wölfen und 41 untersuchten Haushun-den.Die beiden eingefangenen Mischlingswelpen wur-den in einem Gehege im Nationalpark BayerischerWald untergebracht. Die beiden weiteren Hybridensind seit Februar 2004 verschollen.

In den folgenden Jahren wurden die genetischenAnalysen weitergeführt. Im Jahr 2005 wurden 93 Pro-ben und 2007 weitere 113 Proben aus dem sächsischenWolfsgebiet und seiner Umgebung am Naturschutzin-stitut der Akademie in Krakau untersucht. Weitere 15Proben analysierte im Jahr 2008 Dr. Luca Fumagalli ander Universität Lausanne. Keine dieser Untersuchun-gen erbrachte Hinweise auf eine weitere Verpaarungvon Wölfen mit Hunden. Im Gegenteil, alle 51 insge-samt in den Untersuchungen ermittelten Genotypenzeigten nur geringe genetische Unterschiede. Dies legtnahe, dass die im untersuchten Zeitraum zugewander-ten Tiere aus der näheren Umgebung stammten, dengroßen Wald- und Seengebieten Westpolens. Die ur-sprüngliche Heimat der Vorfahren dieser Wölfe ist al-lerdings der Nordosten von Polen.Vergleiche der Lau-sitzer Genotypen mit 13 Genotypen aus Nordostpolenund 33 Genotypen aus der Karpatenregion,die 2007 inKrakau durchgeführt wurden, zeigten dies deutlich(Abbildung 8).

Bisher ist es noch nicht gelungen, einen in der Lau-sitz genetisch nachgewiesenen Jungwolf später in an-deren Teilen Deutschlands wieder zu bestätigen.Die ak-

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A B B . 7 Sechs Wochen alter Wolfswelpe. Bild: S. Koerner

Auf Mikrosatellitenuntersuchungen basierende genetische Distanzenzwischen Individuen von Hunden (graue Punkte), deutschen Wölfen(gelbe Punkte) und Wölfen aus zwei polnischen Populationen (Karpaten =weiße Punkte, Nordpolen = blaue Punkte). Eng beieinander liegendePunkte deuten auf ähnliche Genotypen und damit einen engen Verwandt-schaftsgrad der Individuen hin. Eine vermutete Wolfsprobe aus Branden-burg stellte sich hier als Hund heraus (= rote Markierung).

ABB. 8 WO L F O D E R H U N D ?

Achse 1 (8,45 %)0 1

1

0

-1

Hunde

deutsche Wölfe

Wölfe aus Nordpolen

Karpaten-Wölfe

Ach

se 2

(6,2

3 %

)

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tuell anlaufenden Untersuchungen der seit 2008 ge-sammelten Proben am Senckenberg ForschungsinstitutGelnhausen werden aber auch Auskunft zu solchen Fra-gestellungen geben.

Telemetrie – ein Wolf im Dienste der Wissenschaft

Die Telemetrie von Wildtieren stellt eine der moderns-ten Methoden der Freilandforschung dar. Zur Radiote-lemetrie werden die Tiere mit einem Sender versehen,der Informationen zum jeweiligen Aufenthaltsort bishin zu physiologischen Daten des Tieres übermittelnkann. So kann die Telemetrie Antworten auf viele De-tailfragen geben:Wie groß sind die Wohngebiete der un-tersuchten Tiere? Wie nutzen sie diese räumlich undzeitlich? Welche Aktivitätsmuster haben sie?

Auch im Lausitzer Wolfsgebiet tauchten viele dieserFragen auf. Wie sieht der Tagesablauf eines LausitzerWolfes aus? Wo verbringt er den Tag, wo ist er nachtsunterwegs? Immer wieder wird die Meinung geäußert,„Wölfe können im dichtbesiedelten Deutschland dochgar nicht leben“. Im Wolfsmonitoring wird deshalbauch besonders der Frage nachgegangen,wie die Wölfemit den vom Menschen besiedelten und geprägtenLandschaften und mit der ständigen Anwesenheit derMenschen klarkommen.Eine Wölfin aus der Lausitz warzwei Jahre lang – nicht ganz freiwillig – „wissenschaft-

liche Mitarbeiterin“ und half, Licht ins Dunkel der vie-len Fragen zu bringen.

Diese Wölfin wurde im Jahr 2004 mit einem Hals-bandsender versehen und wieder freigelassen (Abbil-dung 9). Der im Halsband integrierte Sender gibt per-manent Radiosignale in einer bestimmten Frequenz ab,die mit einem Empfänger geortet werden können, indiesem Fall bis etwa einen Kilometer weit. Mit einerRichtantenne wird das Signal von verschiedenen Ortenaus angepeilt, bis die Verlängerung der Richtungslinienauf der Karte eine Kreuzpeilung und somit den Stand-ort des Tieres angeben. Obwohl die Wildbiologinnender Wölfin während der Telemetrie in gebührendemAbstand mit dem Auto folgten,passierte es auch immerwieder, dass sie das Sendesignal verloren, etwa wenndie Wölfin Bahnschienen überquerte oder durch einenFluss schwamm, während die „Verfolger“ erst einenBahnübergang oder die nächste Brücke suchen muss-ten.

Die Neustädter Wölfin konnte zwei Jahre langradiotelemetrisch überwacht werden. Insgesamt 933Stunden an 176 Tagen waren die Wildbiologinnen ihrauf der Spur. Zwanzigmal gelang es, die vollständigenTages- beziehungsweise Nachttouren des Tieres zu do-kumentieren (Abbildung 10). Dabei legte die Wölfinvon einem Tagesschlafplatz bis zum Ruheplatz des

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A B B . 9 Die Neustädter Wölfin bei ihrer Besenderung.

A B B . 1 0 Ein Beispiel für die Ergebnisse der Telemetrie:Am 15.11.2005 legte die Wölfin innerhalb einer Nacht 58 km in ihrem Territorium zurück.

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nächsten Tages durchschnittlich eine Strecke von circa26 km zurück (12,5–58 km).

Die Wölfin nutzte in diesen zwei Jahren ein Territo-rium von 239 km2 (Abbildung 11). Mehr als die Hälfteihrer Tagesschlafplätze befanden sich auf dem Trup-penübungsplatz Oberlausitz,der aber nur zehn Prozentihres Territoriums ausmachte. Verbrachte sie den Tagaußerhalb des Truppenübungsplatzes, so bevorzugtesie vier weitere Bereiche, die recht weit entfernt vonSiedlungen lagen und unzugängliche Flächen, wie aus-gedehnte Dickungen, umfassten.

Nachts dagegen durchstreifte die Wölfin ihr gesam-tes Territorium, also auch all die Gebiete, in denen sietagsüber nie anzutreffen war. Dann lief sie im Schutzder Dunkelheit auch in unmittelbarer Nähe von Dör-fern entlang, überquerte Straßen und Eisenbahnlinienund durchschwamm die Spree oder überquerte dieseauf einer Brücke.Teilweise lief sie auf Bahngleisen ent-lang oder auch einige hundert Meter auf einer wenigbefahrenen Straße. Sie durchquerte den Braunkohleta-gebau Nochten, lief an riesigen Tagebaumaschinen vor-bei, die mit ihren elektromagnetischen Störungen denEmpfang des Sendersignals fast unmöglich machten.Mehrfach konnte sie geortet werden, als sie in unmit-

telbarer Nähe zum Kraftwerk Boxberg das laufendeKohleförderband unterquerte.

Insgesamt brachten diese zwei Jahre, in denen dieWölfin radiotelemetrisch überwacht werden konnte,viele neue Erkenntnisse über das Leben der Wölfe inder Lausitz. Sie meiden zwar den Menschen, aber nichtdie vom Menschen geschaffenen Strukturen. Nachts,wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist, auf Menschenzu stoßen, nutzen sie ihr gesamtes Territorium. Dannkann es sein, dass sie wie Fuchs, Reh und Wildschweinauch direkt an Ortschaften entlang laufen. Wölfe sindanpassungsfähig und kommen auch in der heutigenKulturlandschaft zurecht.

ZusammenfassungSeit dem Jahr 2000 ziehen in Sachsen wieder Wölfe ihre Jun-gen auf. In ganz Deutschland leben derzeit mindestens 60bis 80 Wölfe. Um den damit verbundenen Konflikten zu be-gegnen, wurde ein „Wolfsmanagement“ entwickelt, dasWolfsmonitoring, Öffentlichkeitsarbeit und Schadensaus-gleich umfasst.

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigten, dass dieWölfe sich fast ausschließlich von wildlebenden Huftierenernähren, Haus- und Nutztiere dagegen kaum eine Rollespielen. Über genetische Analysen konnte die ursprünglicheHerkunft der nach Deutschland zugewanderten Wölfe ausNordost-Polen geklärt werden. Mit Hilfe der Radiotelemetriewurden wichtige Erkenntnisse über die Anpassung derWölfe in die vom Menschen veränderte Landschaft gewon-nen.

SummaryThe first decade: the return of the wolvesWolves returned to Saxony in the year 2000 since then theyhave been regularly rearing pups. Nowadays at least 60-80wolves are living in Germany. To face its attendant conflictsa wolf management has been installed including wolf mon-itoring, public relation work and damage compensation.

According to the monitoring wolves feed almost com-pletely on wild ungulates, whereas livestock does not play amajor role. The wolves´ natural origin from north-easternPoland could be proven by genetic analyses. By the use of ra-diotelemetry important information could be gained on theadaption of the wolves to the anthropogenic landscape.

SchlagworteWölfe,Wolfsmonitoring, Oberlausitz, Biodiversität

Literatur[1] H. Ansorge, J. Schellenberg, Die Rückkehr des Wolfes (Canis lupus)

in die Oberlausitz, Ber. Naturforsch. Ges. Oberlausitz 2007, 15,105–112.

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A B B . 1 1 Der Überblick über Schlafplätze und Risse ausden Jahren 2004 (orange) und 2005 (rot) zeigt, dass dieRisse (grün) räumlich deutlich weiter gestreut sind als dieSchlafplätze.

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[11] C. Winkelmann, Wölfe in Sachsen, Ber. Naturforsch. Ges. Oberlau-sitz 1996, 5, 59–79.

DankDie Autoren sind den folgenden Personen für ihre Mitarbeit an diesem Artikelwie auch für ihre Arbeit im Wolfsmanagement zu ganz besonderem Dankverpflichtet:

Klaus Hertweck, Karin Hohberg (Senckenberg Museum für NaturkundeGörlitz), Sebastian Koerner (Wildbiologisches Büro LUPUS), Maciek Konopin-ski (Naturschutz-Institut der Polnischen Akademie der Wissenschaften Kra-kau), Jana Schellenberg (Kontaktbüro „Wolfsregion Lausitz“).

Die AutorenHermann Ansorge, Jahrgang 1955, Leiter der Abtei-lung Zoologie des Senckenberg Museums für Na-turkunde in Görlitz, nach dem Studium der Biologiewissenschaftlicher Assistent bis Hauptkonservatoran der Wirbeltiersammlung des Staatlichen Muse-ums für Naturkunde in Görlitz, 1990 Promotion zueinem zoologisch-ökologischen Thema am Rot-fuchs an der Martin-Luther-Universität Halle, seit1997 akademische Lehre an der Hochschule Zit-tau/Görlitz und dort 2005 zum Honorarprofessorberufen, Forschungen zur Populationsökologie,Populationsgenetik und Ernährungsökologie vonSäugetieren, Engagement in Forschung und Lehrein der Mongolei.

Maika Holzapfel, geb. 1984, studierte Ökologie undUmweltschutz an der Hochschule Zittau/ Görlitz,nach der Mitarbeit an einem biologischen Institutin Argentinien und der Erforschung von Kleinsäu-gern in den Anden beendete sie 2009 ihr Inge-nieursstudium mit einer Diplomarbeit zur Nah-rungsökologie der Wölfe in der Lausitz. Momentanist sie wissenschaftliche Volontärin am Sencken-berg Museum für Naturkunde in Görlitz, AbteilungAllgemeine Zoologie, ForschungsschwerpunktWolf: nahrungsökologische Untersuchungen(Losungsanalysen/ Haarbestimmung von Beute-tieren), Wolfsmonitoring, Öffentlichkeitsarbeit.

Gesa Kluth, geb. 1970,Biologiestudium inBremen und Ilka Rein-hardt, geb. 1966, Bio-logiestudium in Mün-chen. Seit Januar 2003mit der GbR LUPUSWildbiologisches Büroselbstständig in Wolfs-management und -for-

schung tätig. LUPUS führt derzeit Monitoringauf-träge in Sachsen, Brandenburg und Sachsen-An-halt aus und ist im Auftrag des Bundesamtes fürNaturschutz in einem Telemetrieprojekt zum Ab-wanderungsverhalten von Jungwölfen engagiert.Darüber hinaus leistet das Büro auf Landes- undBundesebene Fachberatung zu vielen Aspekten vonWolfsschutz und Management.

Carina Wagner, geboren 1984, Studium der Biolo-gie an der Universität Leipzig, Abschluss 2008,Mitarbeit beim Wolfsmonitoring in Süd-Polen undSachsen (unter anderem Tracking, Telemetrie, GIS,Datenbanken, Rissbewertung), momentan wissen-schaftliche Volontärin am Senckenberg Museumfür Naturkunde Görlitz, Abteilung Allgemeine Zoo-logie, mit den Forschungsschwerpunkten Nah-rungsökologie des Wolfes in Deutschland, Räuber-Beute- Beziehungen, populationsökologischeUntersuchungen an Schalenwild, Wilddichteer-mittlung sowie Wolfsmonitoring und Öffentlich-keitsarbeit.

Korrespondenz: Prof. Dr. Hermann Ansorge Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz Am Museum 1 D-02826 Görlitz Email: [email protected]

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