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Bediüzzaman Said Nursi

Wegweiser für die Jugend

(Auszüge)

Unterweisung

Eine Ermahnung, Erinnerung für einigealleingelassene Jugendliche

Eines Tages kamen einige Jugendliche zu mir. Sie wollten ei-ne wirksame Ermahnung von mir empfangen, um sich vor denGefahren zu schützen, die ihnen aus ihren jugendlichen Inte-ressen und ihrer Lebensweise erwachsen. So habe auch ichihnen das gesagt, was ich früher denjenigen gesagt habe, dieum Hilfe aus der Risale-i Nur gebeten hatten:

Eure Jugendzeit wird mit Sicherheit vorübergehen. Wennihr nicht innerhalb des von Gott erlaubten Rahmens bleibt,wird diese Jugendzeit verloren gehen und euch nicht nur imJenseits und im Grab, sondern auch schon in dieser Welt Un-glück und Schmerzen bereiten, mehr als Genüsse. Wenn ihraber dieses Geschenk eurer Jugendzeit der islamischen Er-ziehung entsprechend als eine Danksagung in Ehren, Red-lichkeit und Gehorsam verbringt, wird diese Jugend euchinnerlich ewig erhalten bleiben und euch dazu verhelfen, eineunsterbliche, ewige Jugend zu gewinnen.

Was das Leben betrifft, so bringt es, gäbe es den Glaubennicht oder hätte dieser Glaube durch den Ungehorsam keineWirkung, in der Folge äußerlicher, sehr kurzer Genüsse undVergnügungen, tausendfach mehr Leiden, Kummer und Sor-

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gen. Denn da der Mensch Verstand und Denkvermögen hat,ist er von seinem Wesen her, im Gegensatz zum Tier, sowohlmit der gegenwärtigen als auch mit der vergangenen und derzukünftigen Zeit verbunden. Dabei kann er aus diesen Zeitensowohl Schmerz als auch Freude schöpfen.

Was aber ein Tier betrifft, so werden seine vergangenenSchmerzen und seine Ängste vor der Zukunft seine gegen-wärtige Freude nicht zerstören, weil es darüber nicht nach-denken kann.

Was aber den Menschen betrifft, welcher der Gottverges-senheit und dem Irrtum verfallen ist, so verbittern und zerstö-ren die Trauer Über das Vergangene und die Sorge vor derZukunft sein augenblickliches bisschen Freude völlig. Wasinsbesondere die unerlaubten Dinge betrifft, so gleichen sieganz und gar dem vergifteten Honig. Das heißt also, dass derMensch vom Standpunkt des Lebensgenusses hundertfachtiefer sinkt als ein Tier. Vielmehr gehört dem, der einem Irrwegfolgt und gottvergessen lebt, sein Leben, ja, seine ganze Exi-stenz, ja, sogar seine ganze Welt nur für einen Tag. Alle ver-gangenen Jahreszeiten und Lebensalter und alles, was dawar, ist von seinem irrigen Standpunkt aus betrachtet, nichtmehr vorhanden, gestorben. Sein verstandesgemäßes Den-ken malt ihm alles in Dunkelheit und Finsternis.

Was aber die Zukunft betrifft, so ist sie für ihn aus seinemMangel an Überzeugung wiederum nicht existent. Die durchdiese Nichtexistenz verursachten beständigen Trennungenverfinstern ihm, infolge seiner Fähigkeit darüber nachzuden-ken, beständig das Leben.

Wenn aber der Glaube das Leben zum Leben erweckt,dann wird sowohl die vergangene als auch die künftige Zeit imLichte des Glaubens erleuchtet und erhält ihre Gestalt. Gleichder gegenwärtigen Zeit verleiht dann das Leben dem Herzen

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und der Seele des Menschen, vom Standpunkt des Glaubensaus betrachtet, erhabene, geistige Genüsse und Lichter, un-ter denen es sich gestaltet. Diese Wahrheit ist in einer Ab-handlung für die Alten, der »Siebenten Hoffnung«, erklärt wor-den. Dort kann man darüber nachlesen.

Siehe, so ist also nun das Leben! Verlangt es euch nachden Freuden und Genüssen des Lebens, so macht euer Le-ben lebendig durch ein Leben aus dem Glauben, schmückt esmit euren Pflichten gegenüber Gott und bewahrt es euch da-durch, dass ihr euch der Sünden enthaltet.

Was aber die ungeheuerliche Wahrheit vom Tode betrifft,die jeden Tag und Überall und zu jeder Zeit die Dahinschei-denden beweisen, so möchte ich sie euch anhand eines Bei-spiels erläutern, wie ich das schon anderen jungen Leutengegenüber getan habe:

Da ist zum Beispiel hier vor euren Augen ein Galgen auf-gerichtet. Gleich daneben steht eine Los-Agentur, aber einesolche für die Vergabe der besonders hohen Gewinne. Nunwerden also wir zehn, die wir hier sind, in jedem Fall, ob wires wollen oder nicht - einen anderen Weg gibt es nicht - dort-hin vorgeladen. Wir werden aufgerufen. Und während wirnoch darauf warten und weil die Zeit unserer Abberufung un-bestimmt ist, vielmehr jeden Augenblick jemand »Komm,nimm dein Verdammungslos und steige zum Galgen hinauf!«oder »Komm, nimm dein Los, mit dem du Millionen Goldstük-ke gewonnen hast!« rufen kann, kommen plötzlich zwei Men-schen zur Tür herein. Einer von ihnen ist eine verführerischschöne, halbnackte Frau, die in ihrer Hand eine Schale mitHalwa*, die äußerlich zwar köstlich erscheint, in Wirklichkeit

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* Halwa, das; -s (arab. halwa: Süßigkeit): Süßspeise ausgeröstetem Sesamsamen, Honig, Zucker, Butter, Nüssen,Mandeln und feinem Weizenmehl. (A.d.Ü.)

aber giftig ist, und die sie als Speise anbietet. Der andereaber, ein ernster Mann, der nicht betrügt und sich nicht betrü-gen lässt, tritt hinter der Frau ein und sagt:

»Ich habe euch ein Losungswort, eine Anweisung mitge-bracht. Wenn ihr dieses aussprecht und die Helwa nicht esst,werdet ihr euch vor dem Galgen retten. Mit diesem Losungs-wort werdet ihr jenen einzigartigen, hohen Gewinn empfan-gen. Dort vor dem Galgen seht ihr ja bereits mit eigenen Au-gen, wie die Honigesser dahingehen und sich noch im Gehenvon der vergifteten Helwa in fürchterlichen Leibschmerzenkrümmen, während ihr zwar nicht seht, wie diejenigen, welchedas große Los gezogen haben, und die ihr offensichtlich auchzum Galgen hinaufsteigen seht, gar nicht aufgehängt werden,sondern von dort aus mit Leichtigkeit einen Schritt zur Los-Agentur hinüber tun und dort eintreten. Dafür gibt es MillionenZeugen, die davon Nachricht geben. So schaut denn zumFenster hinaus. Die obersten Beamten und die höchsten, mitdieser beschäftigten Persönlichkeiten verkünden mit lauterStimme und berichten: Diejenigen, welche zum Galgen hin-aufsteigen, sind mit augenscheinlicher Sicherheit genau so,wie ihr sie seht. Diejenigen aber, die das Große Los gezogenhaben, das sind die Besitzer des Losungswortes. Das sollt ihrganz ohne allen Zwiespalt und Zweifel mit der absoluten Si-cherheit des Tages wissen!«

So fällt denn der Mensch, äußerlich betrachtet in das Un-glück des Todes, der einer Hinrichtung am Galgen gleicht, undin das des Grabes, welches einem Tor in die ewige Finsternisgleicht, weil er durch die Ausschweifungen und die unerlaub-ten Vergnügungen in seiner Jugend, die dem vergifteten Ho-nig in unserem Beispiel gleichen, den Glauben verloren hat,der die Eintrittskarte und der Ausweis für die Schatzkammerder Ewigkeit und eine endlose Glückseligkeit ist, und so kanndenn der Henker-Tod, vor dem jung und alt gleich sind, weil

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die Todesstunde unbekannt ist, jederzeit kommen, um seinenKopf abzuschlagen. Wenn der Mensch diese von Gott verbo-tenen Leidenschaften, die dem vergifteten Honig gleichen,aufgibt, zu seinem Glauben steht und seine Pflichten gegen-über Gott, die das Losungswort des Qur'an sind, auf sichnimmt, wird er das Los für die Schatzkammer zur ewigenGlückseligkeit aus der wunderbaren Lotterie der Zukunft, diedem Menschen bestimmt ist, gewinnen. Darüber berichten dieHundertvierundzwanzigtausend Gesandten Gottes, mit denender Friede sei, und so viele Heilige und Kenner der Wahrheit,dass man sie gar nicht mehr zählen kann, Übereinstim-mend… und sie zeigen die Anzeichen dafür auf.

Kurzum: Die Jugendzeit wird vergehen. Wenn sie in Aus-schweifung vergangen ist, wird sie sowohl in dieser Welt alsauch im Jenseits tausende von Übeln und Schmerzen zur Fol-ge haben. Wollt ihr begreifen, wie solche jungen Leute mei-stens durch den Verdacht von Krankheiten, die aus Miss-brauch und Kraftvergeudung entstanden sind, die Kranken-häuser, durch Maßlosigkeit und Übergriffe, die Gefängnisseund Armenhäuser, durch Depressionen und seelischen Kum-mer die Kneipen Überschwemmen, so fragt in den Kranken-häusern, in den Gefängnissen und auf den Friedhöfen nach.

Sicherlich werden die meisten Krankenhäuser euch in ihrereigenen Sprache, in ihrem Seufzen und Wehklagen von denKrankheiten berichten, die in der Verführung der Jugenddurch Verschwendung und Missbrauch entstanden sind.

Auch aus den Gefängnissen werdet ihr von der Trauer sovieler unglücklicher junger Leute hören, welche in ihrem ju-gendlichen Überschwang für ihr ungesetzliches VerhaltenSchläge bekommen haben.

Zudem werdet ihr wissen, dass in jenem Zwischenreich, inder Welt des Grabes, dessen Tore ständig vor den Eintreten-

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den geöffnet und hinter ihnen wieder geschlossen werden, diemeisten Qualen eine Folge des Missbrauchs in der Jugend-zeit sind, wofür auch alle die Kenner der Grabeswelt Zeugnisablegen und was auch alle Kenner der Wahrheit bestätigenund bezeugen.

Außerdem sollt ihr die Alten und Kranken fragen, die dengrößten Teil der Menschheit bilden. Weitaus die meisten vonihnen werden sicherlich in Trauer und Sehnsucht sagen:»Weh uns, wir haben unsere Jugendzeit umsonst verlebt, ver-loren und dafür bezahlen müssen. Hütet euch davor, dass ihres nicht auch so macht, wie wir!« Denn wer in seiner Jugend-zeit fünf oder zehn Jahre mit unerlaubten Vergnügungen ver-bracht hat und deswegen in dieser Welt viele Jahre in Kum-mer und Sorge leben muss, im Zwischenreich Strafe undSchaden erleidet und im Jenseits die Qualen der Hölle unddes Feuers zu verkosten bekommt, der verdient, obwohl ersich in einem bedauernswerten Zustande befindet, nach demGeheimnis

»Wer mit dem Schaden einverstanden ist, den soll man nicht bedau-ern.«

gar kein Mitleid. Denn wer seinen Schaden absichtlich her-beiführt, dessen braucht man sich nicht zu erbarmen, und erverdient es auch gar nicht. Gott der Gerechte möge uns undeuch vor den Verführungen und Verlockungen dieser Zeit ret-ten und bewahren! Amen.

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Anmerkung zum Zweiten Kapitel desDreizehnten Wortes als einer der Vergleiche

aus der Risale-i Nur

»Im Namen Gottes, des Hochgelobten.«

Der wahre Trost aus der Risale-i Nur ist für die Gefangenenunbedingt notwendig. Insbesondere brauchen diejenigen, dieder Schlag des Schicksals wegen ihres jugendlichen Leicht-sinnes getroffen hat, und die nun den Lenz ihres Lebens imGefängnis verbringen, die »Lichter« so sehr wie das Brot.

Das junge Blut hört in der Tat mehr auf seine Gefühle alsauf den Verstand. Doch Wünsche und Gefühle sind blind. Siesehen die Folgen nicht. Ihre Vorliebe gilt dem Dirhem voll Lustim Hier und Jetzt, nicht dem Batman voll Lust im Dort und Da-nach. Sie töten voll Lust in einer Minute der Rache und erlei-den sodann achtzigtausend Stunden Gefangenschaft. Und imRausch einer Stunde zerstören Ausschweifungen dort, wo esum die Ehre geht, mit tausenden von Tagen im Gefängnis, mitKummer und Sorgen und der Angst vor den Feinden dasGlück eines Lebens.

Angesichts alles dessen haben unerfahrene junge Leute sovielgestaltige Abgründe vor sich, welche alle Süßigkeit desLebens in Bitterkeit und Bedauern verwandeln und besondersim Norden gibt es ein großes Land, das über die Jugend undihre Leidenschaften bestimmt und mit seinen Stürmen unserZeitalter erschüttert. Denn es sieht die sittenreinen Töchterund ehrenhaften Frauen der Menschen für junge Leute, dieblind in ihren Gefühlen die Folgen nicht sehen, als erlaubt an.

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Ja dadurch, dass es den Männern und Frauen erlaubt, nacktzusammen ins Bad zu gehen, fördert es sogar noch diese Un-zucht. Zudem betrachtet es das Gut der Reichen für Gaunerund arme Leute als erlaubt, sodass alle Menschen vor einerderartigen Katastrophe erzittern.

Also ist es in unserem Jahrhundert für die islamische Ju-gend allgemein und besonders für die türkische dringend not-wendig, dass sie dieser Gefahr, die ihr von beiden Seitendroht, mutig und standhaft mit dem scharfen Schwert der Ri-sale-i Nur, nämlich mit der Risale »Früchte« und »Wegweiserfür die Jugend« entgegentritt. Anderenfalls wird diese Jugendin ihrer Unerfahrenheit ihre Zukunft sowohl in dieser Welt unddas Glück ihres Lebens, als auch die jenseitige Glückseligkeitund das ewige Leben in Schmerzen und Qualen verwandelnund zu Grunde richten, sich durch Missbrauch und Aus-schweifung ins Krankenhaus und durch Gesetzlosigkeit insGefängnis bringen. In ihrem Alter wird sie dann mit Seufzenund Wehklagen viel zu bedauern haben. Wenn sie sich je-doch durch die qur’anische Bildung und die lichtvolle Bot-schaft zu bewahren weiß, wird sie zu einer so starken undmutigen Jugend heranreifen, zu vollkommenen Menschenund glücklichen Muslimen werden, welche Königen gleichenüber die Tiere und alles, was da lebt.

Wenn ein junger Mann nur eine einzige von vierundzwanzigStunden seines Lebens täglich im Gefängnis für das fünfma-lige Gebet aufwendet, und wenn er, da das Gefängnis ihnsehr häufig daran hindert, zu sündigen, auch den Fehler be-reut, der ihn in dieses Unglück gestürzt hat und sich von denübrigen Sünden zurückhält, die ihm Schaden und Leiden brin-gen, wird er daraus einen großen Nutzen sowohl für sein Le-ben, als auch für seine Zukunft, als auch für sein Land, alsauch für sein Volk, als auch für seine Familie ziehen und sichin diesen zehn, fünfzehn vergänglichen Jahren seines jungen

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Lebens eine ewige strahlende Jugendzeit verdienen, so wieuns das vor allem der Qur’an, ein Wunder der Verkündigung,und alle die Heiligen Bücher und Offenbarungsschriften zu-verlässig berichten und verkündigen.

Dankt er für seine Jugendzeit, dieses schöne Gnadenge-schenk, in Geradlinigkeit und im Gehorsam, wird er durch siein der Tat wachsen und reifen, sie wird ihm für die Dauer undzur Freude sein. Anderenfalls wird sie ihm sowohl Unglückbringen, als auch in Schmerzen, Leiden und Alpträumen, diesie ihm verursacht, vergehen. Sie wird ihm zu einer Ursache,zu einem Haderlumpen werden, der sowohl seinen Verwand-ten, als auch seinem Volk und Land Schaden bringt.

Einem Gefangenen, der zu Unrecht eingesperrt wurde, vor-ausgesetzt, er verrichtet seine Gebete, wird jede Stunde zueinem Tag der Anbetung und das Gefängnis gilt ihm als Ein-kehrhaus, den Höhlen gleich, in die sich in alter Zeit die Ein-siedler, denen gleich auch er zu den Frommen gezählt wer-den darf, zum Gebet zurückzogen.

Jemandem, der arm, alt und krank ist und sich an den Glau-benswahrheiten begeistert und dabei seine Gebete verrichtetund bereut, wird jede Stunde einer zwanzigstündigen Anbe-tung gleich und das Gefängnis gilt ihm als ein Erholungsheim,und seinen Freunden, die ihn mit Güte umgeben, als einHaus, in dem man sich begegnet, ein Haus, in dem man Bil-dung erwirbt und ein Haus, in dem man Erfahrungen aus-tauscht. Während seines Aufenthaltes im Gefängnis vermager die Freiheit, frei von aller Verunsicherung und den Verlo-ckungen der Sünde draußen, weit mehr zu genießen. Im Ge-fängnis vervollständigt sich seine Bildung. Zum Zeitpunkt sei-ner Entlassung wird er dann nicht mehr als ein Mörder, als einRächer hinausgehen, sondern als ein Mann, der bereut hat,der erfahren, gebildet und ein nützliches Mitglied der mensch-lichen Gesellschaft geworden ist.

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Im Gefängnis in Denizli haben einige dort zuständige Persön-lichkeiten, nachdem sie gesehen hatten, wie Menschen, wel-che aus den »Lichtern« die Unterweisung in gutem Beneh-men auf wunderbare Weise in kurzer Zeit in sich aufgenom-men haben, gesagt: »Anstatt sie fünfzehn Jahre zur Züchti-gung ins Gefängnis zu werfen, hätte man sie besser fünfzehnWochen lang in der Risale-i Nur unterweisen sollen. Das hät-te sie viel mehr gebessert.«

Der Tod stirbt nun einmal nicht und die Todesstunde ist un-bekannt. Sie kann jederzeit kommen. Das Grab wird nun ein-mal nicht verschlossen. Schar um Schar steigt hinab und ent-schwindet. Der Tod ist nun einmal für die Leute des Glaubensdie Umwandlung einer Verurteilung, für ewig verloren zu sein,in den Bescheid ihrer Entlassung, wie dies nach der Lehredes Qur’an aufgezeigt wird, während er für die Leute des Irr-weges und der Ausschweifung in deren Augen nichts als ei-nen Verlust und Verlorenheit auf ewig bedeutet, eine ewigeTrennung von Allem, was da war und lebte und ihnen teuerwar. Es besteht bestimmt und ganz bestimmt kein Zweifel dar-an, dass der Glücklichste derjenige ist, der dankt in Geduldund die Zeit seiner Inhaftierung dazu nutzt, Unterricht in den»Lichtern« zu nehmen und sich im vorgegebenen Rahmender Rechtmäßigkeit darum bemüht, dem Glauben und demQur’an zu dienen.

Oh Mensch, der du dem Vergnügen und dem Genuss ver-haftet bist! Mir ist in meinem fünfundsiebzigsten Lebensjahrdurch tausende von Erfahrungen, Zeugnisse und Erlebnissemit augenscheinlicher Sicherheit klar geworden: Wahren Ge-nuss, Freude ohne Schmerz, Lust ohne Leid und das Glückim Leben findet man nur, wenn man es im Glauben und imLichte der Glaubenswahrheiten betrachtet; wenn nicht, hat einirdischer Genuss viele Schmerzen zur Folge. Es ist, als obman für eine Traube, die man isst, zehn Ohrfeigen erhielte,

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was einem den Genuss im Leben vergällt.

Oh ihr Armen, die ihr ins Unglück des Kerkers gestürzt wor-den seid! Da euch nun einmal die Welt weint und euch dasLeben bitter geworden ist, müsst ihr euch nun darum bemü-hen, dass euch nicht auch noch das Jenseits weint, sonderneuch ein ewiges Leben lächelt, es euch süß werde, und ihr soaus eurem Kerker einen Nutzen zieht. So wie angesichts desFeindes eine Stunde Wache unter schwierigen Umständenmanchmal einem Jahr Anbetung gleich gewertet wird, genau-so wird für euch unter diesen schwierigen Bedingungen jedeStunde, die ihr euch um das Gebet bemüht, vielen Stundengleich und eure Mühen wenden sich in Erbarmen.

»Im Namen des Hochgelobten! Der Friede Allahs, Sein Erbarmen undSein Segen mögen mit euch sein!«

Meine lieben, treuen Brüder,

Den in das Elend des Kerkers Gestürzten und denen, dieihnen von Außen kommend in Güte und Treue Nahrung undHilfe bringen, möchte ich »Drei Punkte« zu ihrem besonderenTrost erklären.

Erster Punkt:Die im Kerker verbrachten Tage des Lebenskönnen für den, der jeden Tag verdienstvoll zu gestalten ver-mag, je zu zehn Tagen Anbetung werden, und wer die ver-gänglichen Stunden umzuwandeln versteht, dem werden siein ihren Früchten zu bleibenden Stunden für die Seele und erkann sich in diesen fünf oder zehn Jahren Strafe vor MillionenJahren einer ewigen Kerkerhaft retten. So besteht denn dieBedingung dafür, diesen so großen und so wertvollen Gewinn

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zu erwerben darin, dass man das Gebet verrichtet, die Sün-den bereut, welche die Ursache dieser Gefängnisstrafe wa-ren, und in Geduld Dank sagt. Das Gefängnis ist ja schon einHindernis gegenüber so vielen Sünden und lässt eine Gele-genheit dazu nicht entstehen.

Zweiter Punkt:Das Ende einer Freude ist ein Schmerz, sowie das Ende eines Schmerzes Freude ist. Jeder, der sichvergangener, froher und freudiger Tage erinnert, verspürt imSeufzen seiner Seele einen Schmerz über den Verlust undsagt: »Oh, weh!«. Wenn er sich seiner vergangenen unglük-klichen, leidvollen Tage erinnert, verspürt er über ihrem Ent-schwinden eine Freude in seiner Seele, sodass er sagt: »El-hamdulillah, dieses Unglück hat einen Verdienst mit sich ge-bracht und ist vorübergegangen.« Freudig atmet er auf. Dasheißt also, dass eine Stunde vorübergehender Schmerzen inder Seele eine geistige Freude hinterlässt und eine froheStunde im Gegenteil einen Schmerz zurücklässt.

Da dies nun einmal eine Tatsache ist und da nun einmal dieStunden eines vergangenen Unglücks zusammen mit ihrenSchmerzen entschwunden und in Nichts zerronnen sind unddie Tage künftigen Unheils ein Nichts und nicht vorhandensind und es im Nichts keinen Schmerz gibt und ein Schmerzaus dem Nichtsein nicht kommen kann, so wäre es doch si-cherlich ein Irrsinn, wenn zum Beispiel jemand, aus der Mög-lichkeit heraus in einigen Tagen Hunger und Durst zu leiden,heute schon in dieser Vorstellung fort und fort Brot äße undWasser tränke, was doch sicherlich ein Irrsinn wäre, in gleich-er Weise, wollte er jetzt schon an die Stunden vergangenerund kommender Schmerzen, die nicht mehr oder noch nichtda sind, denken und sich ungeduldig zeigen, die Fehler seinerSeele außer Acht lassen, stattdessen aber »Ach und Weh!«seufzen, und Gott deswegen anklagen.

Verausgabt man nicht die Kraft seiner Geduld nach rechts

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und links, das heißt für Vergangenes und Zukünftiges, be-wahrt sie stattdessen für die gegenwärtige Stunde und denheutigen Tag, so genügt das. Das Unbehagen geht von zehnauf eins zurück. Wenn ich mich auch keineswegs darüber be-klagen will, so hat mir doch in dieser dritten Schule des ägyp-tischen Joseph, nach einigen Tagen im Unglück meiner kör-perlichen und geistigen Bedrängnis und Krankheit, besondersder Verzweiflung darüber, dass man mir den Dienst an der Ri-sale-i Nur unmöglich gemacht hat, und der zermürbenden Un-ruhe in meinem Herzen und in meiner Seele die Gnade Got-tes diese obige Wahrheit aufgezeigt. Auch ich bin in der Pla-ge meiner Krankheit und meiner Gefangenschaft zufrieden,denn: »Für den, der so wie ich, hilflos an der Schwelle zumGrabe eine Stunde in Gottvergessenheit vorübergehen lassenkönnte, ist es ein großer Gewinn, daraus zehn Stunden derAnbetung zu machen.« habe ich gesagt und dafür gedankt.

Dritter Punkt: Den Gefangenen in Liebe zu helfen und zudienen, ihnen den notwendigen Lebensunterhalt zukommenzu lassen, die Wunden und Schmerzen ihrer Seele mit demBalsam der Tröstung zu lindern, ist mit wenig Mühe eine ver-dienstvolle Handlung und ihnen die Speisen zu reichen, dieihnen von außen gebracht werden, wird diesen Wächtern unddenen, die innerhalb wie außerhalb mit den Wächtern zu-sammenarbeiten, einem Almosen gleich, in das Buch ihrerguten Werke eingetragen. Ist insbesondere der Unglücklichenoch dazu alt oder krank oder arm oder ein Fremdling, so ver-mehrt sich noch beträchtlich der Lohn solcher wohltätigen, ei-nem Almosen gleichenden Handlungen.

So ist die Bedingung für ein so hohes Verdienst die Ver-richtung der vorgeschriebenen Gebete, damit dieser Dienstum Gottes Willen sein solle. Zudem ist es noch eine Bedin-gung, in Treue, mit Liebe und Freude, ohne einen Dank zu er-warten, zu einer solchen Hilfeleistung zu eilen.

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»Im Namen des Hochgelobten; und fürwahr, es gibt kein Ding, dasnicht lobend Ihn preist; Der Friede Allahs, Sein Erbarmen und SeinSegen mögen mit ihnen sein, immer und ewig.«

Oh meine Mitgefangenen und Brüder im Glauben!

Um euch sowohl vor den Qualen in dieser Welt als auch vorden Qualen in jener zu erretten, ist mir in meinem Herzen ei-ne Ermahnung zuteil geworden, euch die folgende Wahrheitzu erklären:

Beispiel: Es habe jemand eines anderen Bruder oder Ver-wandten getötet. Diese eine Minute der Befriedigung seinerRachegelüste durch einen Mord zieht sowohl Millionen vonMinuten in Herzensqualen als auch eine Gefängnisstrafenach sich. Zudem sind die Verwandten des Ermordeten durchRachegedanken und Vorstellungen, die ständig um ihre Fein-de kreisen, um den Reiz des Daseins gebracht und haben ih-re Freude am Leben verloren. So leiden sie einerseits unterFurcht und andererseits quälen sie sich noch in ihrem Zorn.Dagegen gibt es nur ein Mittel und das heißt: Dem Befehl desQur’an entsprechend und so wie es Gerechtigkeit und Wahr-haftigkeit, das Wohl und menschlich wie islamisch richtigesVerhalten empfiehlt und erfordert, Frieden zu schließen undsich zu versöhnen.

Wahrhaftigkeit und Wohlverhalten bedeuten in der Tat denFrieden. Denn es gibt nur eine Todesstunde und die ver-schiebt sich nicht. Jener Ermordete hätte in jedem Falle nichtlänger als bis zum Eintritt seiner Todesstunde verweilen kön-

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nen. Was aber den Mörder betrifft, so ist er zu einem Werk-zeug göttlicher Vorausschau geworden. Wo es keine Versöh-nung gibt, leiden beide Seiten ständig unter der Geißel derBlutrache und der Furcht vor ihr. Darum befiehlt der islami-sche Glaube: »Mehr als drei Tage soll ein Gläubiger einemanderen Gläubigen nicht zürnen.«

Besonders aber dann, wenn dieser Mord nicht die Folge ei-ner Feindschaft oder hasserfüllter Rachegedanken war, wennjemand als ein Werkzeug der Zwietracht dazu aufgehetzt hat-te, ist es dringend notwendig, sich rasch wieder zu versöh-nen, sonst wird aus dem Unglück eines Einzelnen eine allge-meine Tragödie und setzt sich so fort. Schließt man aber mit-einander Frieden und bereut der Mörder seine Tat und betetimmer wieder für sein Opfer, dann werden beide Seiten einhohes Verdienst erwerben und einander wie Brüder werden.

So gewinnt man im Glauben gleich mehrere Brüder an Stel-le des einen dahingeschiedenen. Dort, wo man sich der gött-lichen Vorausschau anvertraut, sich in das Geschehene undin den Willen Gottes ergibt, seinem Feinde verzeiht, dort wirdman, da alle nun einmal die Lektionen aus der Risale-i Nurgehört haben, sicherlich auch jeglichen Groll untereinanderaufgeben, was ja das Wohlverhalten des Einzelnen und dieBefriedung aller, als auch die Brüderlichkeit nach der Lehreder »Lichter« erfordert.

Ebenso wie alle Gefangenen im Gefängnis von Denizli, dieeinander Feinde waren, durch die Unterweisungen der »Lich-ter« einander Brüder geworden sind und dies auch zu einemGrund für unseren Freispruch geworden ist und dies alle (jasogar die Gottlosen und die Schurken) dazu gebracht hat, an-gesichts der Gefangenen »Mashaallah, Barekallah«zu sagenund alle Gefangenen wieder aufatmen durften, habe auch ichgesehen: Wegen eines einzigen Menschen mussten hundertMenschen leiden und konnten nicht miteinander zur Pause

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gehen. Sie wurden unter Druck gesetzt. Ein Gläubiger, der einMann ist und ein Gewissen hat, wird nicht wegen kleiner, per-sönlicher Misshelligkeiten oder Vorteile hundert andere leidenlassen. Hat er einen Fehler begangen, soll er schnell um Ver-gebung bitten.

»Im Namen des Hochgelobten; und fürwahr; es gibt kein Ding, dasnicht lobend Ihn preist.«

Meine lieben neu gewonnenen Brüder und seitherigen Mitge-fangenen;

Ich bin zu der festen Überzeugung gelangt, dass ein wich-tiger Grund für unsere Einlieferung hier gemäß der GnadeGottes gerade ihr seid. Es geschieht dies nämlich, um euchdurch die Tröstungen der »Lichter« und die Glaubenswahr-heiten in der Bedrängnis durch das Unglück eurer Gefangen-schaft und der Nutzlosigkeit eures Lebens, das euch aus denvielen schädlichen Einflüssen in dieser Welt mit ihrem Kum-mer und den vergeblichen Sorgen erwächst, seiner Sinnlosig-keit und Verlorenheit und vor einem solchen Weinen im Jen-seits, wie es dem Weinen hier im Diesseits gleicht, zu rettenund euch so eine vollkommene Tröstung zu bringen. Unterden gegebenen Umständen solltet sicherlich auch ihr, wie dieGefangenen in Denizli und die Nur-Schüler, miteinander Brü-der werden. Ihr seht ja: Um zu verhindern, dass ein Messerhereingebracht wird, mit dem ihr euch gegenseitig bedrohenkönntet, werden alle Dinge, die von außen herein gebracht

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werden, das Essen, das Brot und die Suppe, untersucht. DieWächter, die euch in Treue dienen, geben sich große Mühe.So solltet auch ihr, wenn ihr miteinander zur Pause geht, nichtwie Wölfe und wilde Tiere über einander herfallen.

So sollt ihr denn nun heute, ihr, in deren Adern das Blut de-rer rollt, die als tapfere Männer geboren wurden, als die neu-en Kameraden, mit einer großen, inneren Standhaftigkeit zueuren Oberen sagen: »Gäbe man in unsere Hände nicht nurein Messer, nein, selbst ein Gewehr oder einen Revolver undgäbe man uns selbst den Befehl dazu, wir würden unseren ar-men Kameraden, die wie wir im Unglück sitzen, kein Haarkrümmen. Auch hätten wir früher hunderterlei Arten von Hassund Feindschaft gegeneinander getragen, so sind wir dochnun entschlossen, unser Recht ihnen gegenüber zu löschenund uns darum zu bemühen, sie nicht zu kränken, wie es unsder Qur’an, der Glaube, die islamische Brüderlichkeit und un-ser Wohlverhalten befiehlt und lehrt.« So wandelt denn nundieses Gefängnis zu einer segensreichen Schule um.

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(Aus der »Briefsammlung aus Kastamonu«)

Ein junger Qur'anrezitator unter den Schülern der Risale-i Nursagte, wie sehr viele Männer auch sagen: »Meine Vergess-lichkeit nimmt wie eine Krankheit zu. Was soll ich dagegentun?«

Ich sagte ihm: Soweit wie es möglich ist, betrachte nicht diefremden Frauen (namahrem). Denn es gibt eine Überlieferungvon dem Gesandten Gottes dafür. Wie Imam Shafi (Gott mö-ge mit ihm zufrieden sein) sagte: »Der Blick zu dem Verbote-nen erzeugt Vergesslichkeit.« In der Tat werden fleischlicheGelüste bei den Leuten des Islam wachgerufen, wenn dasBetrachten des Verbotenen zunimmt. Durch Missbrauch sei-nes Körpers begeht man eine Kraftverschwendung. Es wirdgezwungen, ein paar mal in der Woche rituelle Vollwaschungvorzunehmen. So wird medizinisch eine Schwächung für seinGedächtnisvermögen verursacht. In der Tat beginnt, wegender offenen und freizügigen Bekleidung der Frauen in diesemZeitalter, besonders in diesen Ländern mit heißem Klima, ausdem Missbrauch der Potenz wegen dieser schlechten Blickeneine allgemeine Krankheit der Vergesslichkeit zu erwachsen.Jeder beklagt sich mehr oder weniger darüber. So wird durchdie Vermehrung dieser allgemeinen Krankheit die Bedeutungaus der fürchterlichen Nachricht aus einem heiligen Hadith anihrem letzten Ende ersichtlich. Darin heißt es: »In der Endzeitwird der Qur'an aus den Brüsten der Rezitatoren entrissenund entzogen, er wird vergessen werden«. Das heißt, dassdiese Krankheit entsetzliche Ausmaße annehmen und vordem Auswendiglernen des Qur'an eine Mauer gezogen wird,was die Bedeutung dieser Hadith bestätigt.

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(Aus dem Band »Briefe«)

Ihre siebente Frage:

»Die besten unter euren Jünglingen sind die, welche den Greisenunter euch ähnlich und die schlimmsten unter euren Greisen diejeni-gen, welche euren Jünglingen ähnlich sind.«

Ist das ein Hadith und was ist damit gemeint?

Antwort: Ich habe gehört, dass es ein Hadith ist. Was da-mit gemeint ist, ist Folgendes: »Der beste der Jugendlichenist derjenige, der sich wie ein Alter an den Tod erinnert und fürsein Jenseits arbeitet, der sich nicht von der jugendlichen Lustund Laune gefangennehmen und in der Gottvergessenheit er-sticken lässt. Und der schlechteste der Alten unter euch istderjenige, der in Gottvergessenheit, Lust und Laune den Ju-gendlichen nachahmen will, und sich wie ein Kind den Wün-schen seiner Begierde unterwirft.«

Die richtige Form des zweiten Abschnitts, den Du an DeinerMerktafel sahst, ist die Folgende: Ich hing es als eine Merkta-fel der Weisheit über das Kopfende (meines Bettes). An je-dem Morgen und an jedem Abend gucke ich danach und neh-me meinen Unterricht:

»Wünschst Du Dir einen Freund, so genügt Dir Allah.« Tat-sächlich sind alle Dinge Freunde, wenn Er Freund ist.

»Wünschst Du Dir einen Helfer und Gefährten, so genügtDir der Qur’an.« Tatsächlich begegnet man darin den Got-tesgesandten und den Engeln seiner Vorstellung entspre-chend, betrachtet ihre Erlebnisse und macht sich mit ihnenvertraut.

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»Wünschst Du dir Reichtum, so genügt dazu eine beschei-dene Haltung.« Tatsächlich ist derjenige, der genügsamlebt, sparsam. Wer sparsam ist, findet Segen.

»Suchst Du nach einem Feind, so genügt Dir Deine Begier-de (nefis).« Tatsächlich wird der, welcher sich selbst gefällt,vom Unglück heimgesucht und vom Unheil geplagt. Derje-nige, der nicht selbstgefällig ist, findet seine Freude undempfängt Gottes Barmherzigkeit.

»Suchst Du einen Ratgeber, so genügt Dir der Tod.« Tat-sächlich löst sich derjenige, der über den Tod nachdenkt,von der Weltliebe und arbeitet ernsthaft für das Jenseits.

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26. Blitz – Achte Hoffnung

Zu einer Zeit, da sich mein Haupt mit weißen Haaren, demMerkmal meines Alters zu bedecken begann, sah ich den Tu-mult des Weltkrieges, welcher den tiefen Schlaf meines Jung-seins (in dem ich mich bis dahin noch immer befunden hatte)noch mehr vertiefte, erfuhr ich die Ungewissheit meiner Ge-fangenschaft, stieg auf zu Amt und Würden, Ehre und Anse-hen. Als ich dann in Istanbul ankam, wurde ich, angefangenvon dem Kalifen, über den Scheich-ul’Islam, den OberstenKommandanten bis hinab zu den Schülern in den Medressenmit weit größerer Hochachtung willkommen geheißen, als mireigentlich zustand. Der Rausch der Jugendzeit und die geis-tige Haltung, die aus diesem Zustand erwuchs, vertiefte jenenSchlaf dermaßen, dass ich die Welt als quasi beständig undmich selbst in einem seltsamen Zustand erfuhr, gleich einem,der, als sei er selbst unsterblich, der Welt verhaftet ist.

In jener Zeit ging ich im heiligen Monat Ramadan in die ge-segnete Moschee Bayezid in Istanbul, um den Rezitatoren zulauschen, die den Qur’an aufrichtigen Herzens vortrugen. DerQur’an, dessen Verkündigung ein Wunder ist, verkündet mitseinem hohen Anspruch vom Himmel herab durch den Mundder Rezitatoren den Erlass

»Eine jede Seele wird einmal den Tod kosten!« (Sure 3, 185)

mit großer Macht, ein Ruf, welcher die Vergänglichkeit desMenschen und die Sterblichkeit alles Lebendigen verkündet.Dieser Ruf drang in mein Ohr ein, nistete in meinem Herzen,schlug jene so mächtigen Schichten des Schlafes, des Rau-sches und der Gottvergessenheit in Stücke. Ich ging aus der

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Moschee. In der Trunkenheit jenes langen und tiefen Schla-fes, der so lange über meinem Haupte gelegen hatte, erlebteich mich noch Tage lang wie ein Schiff, das gleich einem Un-wetter, Feuer und Rauch über meinem Kopf, die Orientierungverloren hat. Jedes Mal, wenn ich mich im Spiegel betrachte-te, sagten mir meine weißen Haare: »Gib Acht!« In der Er-mahnung meiner weißen Haare wurde mir meine Lage klarund ich sah:

Die Jugendzeit, der ich so sehr vertraut hatte und in derenFreuden ich vernarrt gewesen war, sagte mir Lebewohl. Unddas irdische Leben, dessen Liebe ich so sehr verhaftet gewe-sen war, begann zu verlöschen. Und die Welt, der ich so sehrverhaftet gewesen, in die ich geradezu verliebt gewesen war,sagte mir: »Viel Glück auf deinem Weg!«, und gemahnte michdaran, dass ich aus diesem Gasthaus ausziehen werde. Sieselbst aber sagte zu mir: »Gott befohlen!« und bereitete sichauf ihren Abschied vor. Wenn der Qur’an, dessen Verkündi-gung ein Wunder ist, den Vers

»Eine jede Seele wird einmal den Tod kosten!« (Sure 3, 185)

in seinem gesamten Sinngehalt verkündet, so sagt er damit:»Die Menschheit ist in ihrer Ganzheit eine Seele. Um wiederaufzuerstehen, wird sie sterben. Und auch die Erde ist eineSeele. Um ihre ewige Gestalt annehmen zu können, wirdauch sie sterben. So ist auch der gesamte Kosmos eine See-le. Um seine jenseitige Gestalt annehmen zu können, wird sieauch sterben.« Meinem Herzen öffnete sich diese Bedeutungdurch den Hinweis dieses Qur’anverses.

In dieser Verfassung betrachtete ich meine Lage: Die Ju-gend, die die Quelle der Freude ist, vergeht. An ihre Stelle tritt

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das Alter, das der Ursprung der Trauer ist. Und dieses soglanzvolle, strahlende Leben vergeht. Der uns so finster undschrecklich erscheinende Tod bereitet sich vor, an seine Stel-le zu treten. Ich sah, dass die Welt, die wir in ihrer Beständig-keit für so lieblich halten, und die die Geliebte der Gottver-gessenen ist, in großer Geschwindigkeit ihrem Untergang ent-gegen strebt.

Um mich selbst zu täuschen und meinen Kopf erneut in dieGottvergessenheit zu versenken, hielt ich nach dem Genussgesellschaftlicher Anerkennung Ausschau, die ich in Istanbulweitaus mehr erfahren hatte, als ich verdiente, was mir jedochnichts nutzte. Alle Hochachtung, alles Entgegenkommen undaller Trost können nur bis an das nahegelegene Tor des Gra-bes reichen und verlöschen dort. Und unter dem geschmück-ten Schleier des Ruhmes und der Würde, die ein Traumzielder Ruhmsüchtigen ist, sah ich eine bedrückende Heuchelei,eine kalte Selbstgefälligkeit und einen nur vorübergehendenRausch. Und so verstand ich, dass diese Dinge, die mich bisjetzt getäuscht hatten, mir keinerlei Trost geben können undes in ihnen überhaupt kein Licht gibt.

Um erneut vollständig zu erwachen, begann ich wieder denQur’an-Rezitationen in der Bayezid Moschee zuzuhören, uman der himmlischen Lektion des Qur’an teilzunehmen. So-dann vernahm ich und entnahm dieser himmlischen Lektionfrohe Botschaften mit heiligen Erlassen wie

»Verkünde frohe Botschaft denjenigen, die glauben, usw.«

Durch den Segen, den ich aus dem Qur’an erhielt, suchte ichnicht mehr von außerhalb Trost, sondern gerade innerhalb je-ner Dinge, die mir Furcht, Verlassenheit und Verzweiflung ein-

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flößten, nun den Trost, die Hoffnung und das Licht. Dank seiGott dem Gerechten hunderttausendmal: Innerhalb desSchmerzes selbst fand ich das Heil, innerhalb der Finsternisselbst fand ich das Licht und innerhalb der Furcht selbst fandich den Trost. Als allererstes betrachtete ich das Gesicht desTodes, das alle in Schrecken versetzt und das als das Aller-schrecklichste dargestellt wird. Ich sah im Lichte des Qur’an:

Der Schleier des Todes ist zwar finster, schwarz und häss-lich; für einen Gläubigen aber ist sein wirkliches Antlitz schönund von guter Ausstrahlung. Und in vielen Abhandlungenstellte sich diese Tatsache mit unwiderlegbar sicheren Bewei-sen heraus. Wie wir schon in vielen Abhandlungen wie in dem»Achten Wort« und in dem »Zwanzigsten Brief« erläuterten,ist der Tod keine Hinrichtung, keine Trennung, sondern derAnfang des ewigen Lebens, sein Anbeginn und der Feier-abend von der Mühsal des Lebensauftrages, eine Entlassungund ein Ortswechsel. Er ist ein Wiederzusammentreffen mitden Scharen der Freunde, die in das Zwischenreich ausge-wandert sind. Durch dergleichen Wahrheiten wie diese, er-kannte ich das wahre, schöne Gesicht des Todes. Nicht fürch-tend, sondern in einer Hinsicht sehnsüchtig betrachtete ichdas Antlitz des Todes. Ich verstand nun ein Geheimnis, dasden Ordensleuten entsprechend in dieser Verbundenheit mitdem Tod liegt.

Dann betrachtete ich mir die Jugendzeit, die in ihrem Ver-gehen mich wie jeden zum Weinen bringt, über die jeder ent-zückt ist, deren Liebhaber ein jeder ist, und die mit Sündenund in Gottvergessenheit vergeht und vergangen ist. In ihremderartig schönen, geschmückten Kleid erkannte ich ein über-aus hässliches, trunkenes, berauschtes Gesicht. Hätte ich ih-ren Sinn nicht schon vorher erkannt, so hätte sie mich für hun-dert Jahre zum Weinen gebracht – falls ich so lange auf Er-den verweilt hätte – nachdem sie mich für einige Jahre be-

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rauscht und zum Lachen gebracht hatte. Wie auch einer de-rer, denen es so ergangen war unter Tränen gesagt hat:

Das heißt: »Ach könnte meine Jugendzeit eines Tages zurük-kkehren, würde ich mich bei ihr beklagen, welch traurige Zu-stände dieses Altsein über mich brachte.«

Tatsächlich weinen die Alten – wie der obige – die den Sinnder Jugendzeit nicht kannten, indem sie sie bedauern undsich nach ihr sehnen, wenn sie an sie zurückdenken. In Wirk-lichkeit ist die Jugend ein ganz besonders solventes Han-delsgut, ein guter und schöner Anlass zu segensreichen Ta-ten, wenn sie von den Gläubigen, den Leuten des Herzens,d.h. Leuten, die sich ständig der Gegenwart Gottes bewusstsind und die ihre Sinne beisammen und das Herz am rechtenFleck haben, für Gottesdienst, für segensreiche Taten und füreinen Handel ausgegeben wird, der für das Jenseitige nutzt.Und diese Jugend ist für diejenigen, die sie nicht missbrau-chen, sondern die ihre religiöse Pflicht kennen, ein GeschenkGottes, das wertvoll ist und froh stimmt. Wenn die rechte Lei-tung, Sittsamkeit und Gottesfurcht nicht die Jugendzeit be-gleitet, ist sie sehr gefährlich. Durch ihre übermütigen Hand-lungen schwächt die Jugend ihr Ewiges Glück und das jen-seitige Leben. Sie verdirbt vielleicht auch ihr weltliches Lebenvollkommen. Ja, sie wird sogar an Stelle der ein-, zweijähri-gen Freude in der Jugendzeit viele Jahre im Alter Kummerund Sorge haben. Die meisten Menschen kommen in ihrer Ju-gendzeit zu Schaden. Daher müssen wir Alten, Allah danken,dass wir nicht mehr den schädlichen und gefährlichen Ein-flüssen der Jugendzeit ausgesetzt sind. Wie alle Dinge wer-den auch mit Sicherheit die Freuden der Jugend vergehen.Wurde aber diese Zeit für Gottesanbetung und segensreiche

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Taten ausgegeben, bleiben an ihrer Stelle ihre Früchte beste-hen und bewirken, eine Jugend im ewigen Leben zu gewin-nen.

Dann betrachtete ich die Welt, in die die meisten Menschenverliebt und vernarrt sind. Im Lichte des Qur’an sah ich: Esgibt drei universelle Welten, die ineinander verflochten sind.

Der Aspekt der ersten betrifft die Namen Gottes, für die sieals Spiegel dient!

Der Aspekt der zweiten betrifft das Jenseits, für das sie einAcker ist!

Der Aspekt der dritten betrifft die Weltleute! Für Leute, diegottvergessen leben, ist sie ein Spielplatz.

Zudem hat jeder in dieser Welt seine eigene riesengroßeWelt. So, als ob nach der Anzahl der Menschen Welten inein-ander verflochten sind. Aber für jeden ist sein eigenes Lebendie tragende Säule seiner persönlichen Welt. Wenn aber seinKörper zusammenbricht, bricht auch seine eigene Welt überseinem Kopf zusammen und bricht auch sein Weltuntergangan. Da die gottvergessen lebenden Leute diesen Zustand ih-rer eigenen Welt (in sich), die so leicht zusammenzubrechendroht, nicht kennen, halten sie sie für so beständig wie dieWelt (um sich und) im Allgemeinen und beten sie an.

»So wie die Welten der anderen habe auch ich eine Welt fürmich, die leicht zerbricht und verdirbt. Was hat diese meinepersönliche Welt in dieser so kurzen Lebensspanne für einenNutzen?«, fragte ich mich. Im Lichte des Qur’an erkannte ich:Sowohl für mich, als auch für jeden anderen gleicht dieseWelt einem zeitweiligen Messe- und Handelszentrum, einemGasthaus, das sich jeden Tag füllt und wieder leert, einem Ba-sar, der zum An- und Verkauf aller, die da auf der Straße kom-men und gehen, errichtet ist, ein Buch, in dem der urewigeDesigner in Seiner Weisheit immer wieder aufs Neue schreibt

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und wieder löscht. Jeder Frühling ist ein Brief von Ihm, ge-schrieben mit goldenen Lettern; und jeder Sommer ist Seinegereimte Kasside. Die Welt ist eine Vielzahl von Spiegeln, diedie Erscheinungen der Namen des majestätischen Schöpfersimmer neu zeigen. Sie gleicht einer Baumschule für das Jen-seits, einem Setzbeet der Barmherzigkeit Gottes, einem Web-stuhl, der vorübergehend aufgestellt wurde, um die Szenen,die in der ewigen Welt gezeigt werden sollen, auf ihm zu ge-stalten. In diesem Sinn erkannte ich die Welt und dankte hun-derttausendmal dem majestätischen Schöpfer, der diese Weltin dieser Form und Gestalt erschafft. Und ich erkannte, dassdiejenigen, denen die Liebe zur Welt, die doch der Mensch-heit als deren schöner innerer Aspekt geschenkt wurde, derdas Jenseits und die Namen Gottes betrachtet, missbrauchenund sie (die Liebe) als deren vergänglichen, hässlichen undverderblichen Aspekt ausgeben, einen Aspekt der Gottver-gessenheit, der den Sinn der heiligen Hadith

»Die Liebe zur Welt ist der Anfang aller Fehler.«

erkennen lässt.

Dies also, meine Damen und Herren im vorgerückten Alter,habe ich im Lichte des Weisen Qur’an und durch mein eige-nes Alter als Wahrheit erkannt, nachdem mir der Glaube dieAugen geöffnet hatte. Und in vielen Abhandlungen bewies ichsie mit unwiderlegbaren Zeugnissen. Ich fand dadurch einewahrhaftige Tröstung, eine starke Hoffnung und ein hell strah-lendes Licht. Ich fand Zufriedenheit in meinem Alter und warfroh, dass meine Jugend vorüber war. So sollt auch ihr nichtweinen, sondern danken. Da dies nun einmal der Glaube istund so die Wahrheit, mögen die Leute der Gottvergessenheitweinen, mögen die Leute des Irrweges weinen…

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Zweites Kapitel des Dreizehnten Wortes

»Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen.«

Dialog mit einigen jungen Leuten, die ineiner Zeit vielfältiger Verlockungen dennochihren Verstand noch nicht verloren haben.

Von Seiten einiger junger Leute wurde unter dem Zwang zugesellschaftlichen Lustbarkeiten und Grillen mit den Worten:»Auf welche Weise können wir unser Leben für das Jenseitsretten?« um Hilfe aus der Risale-i Nur gebeten. Auch ich ha-be zu ihnen im Namen der Gemeinschaft um die Risale-i Nurgesagt:

Es gibt das Grab. Das kann niemand leugnen. Dorthin wirdjeder gehen, ob er will oder nicht. Und um dorthin zu gelan-gen gibt es drei Reisemöglichkeiten. Außer diesen dreiWegen gibt es keine andere Möglichkeit.

Erster Weg: Für die Leute des Glaubens ist das Grab einTor zu einer anderen Welt, die noch schöner ist als dieseWelt.

Zweiter Weg:Denjenigen, die zwar bestätigen, dass es einJenseits gibt, jedoch in Ausschweifungen leben und auf Irr-wegen gehen, ist es ein Tor zu ewigem Kerker und einer Ein-zelhaft, in der sie von allen ihren Freunden getrennt und aufsich allein gestellt sind. Dieser Sichtweise entsprechend se-hen sie auch einer solchen Behandlung entgegen, weil sie

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sich nicht ihrer Überzeugung und ihrem Glauben entspre-chend verhalten haben.

Dritter Weg:Für die Leute des Unglaubens und Irrweges,die an das Jenseits nicht glauben, ist es ein Tor zu Verlust undVerlorenheit auf ewig, es ist ein Galgen, an dem sowohl sieselbst als auch all ihre Geliebten aufgehängt werden. Da siees nur in dieser Weise kennen, werden sie es als Antwort ge-nauso erleben, wie sie es angenommen und geglaubt haben.

Diese beiden letzten Möglichkeiten sind offensichtlich undbedürfen keines Beweises. Man kann sie mit bloßem Auge er-kennen. Da nun einmal der Augenblick des Todes nicht be-kannt ist, kann der Tod zu jeder Zeit kommen, um dir den Kopfabzuschlagen; und dabei macht er zwischen jung und alt kei-nen Unterschied. Mit Sicherheit ist für einen hilflosen Men-schen, der einem so großen und fürchterlichen Problemgegenüber steht und es immer vor Augen hat, hier einen Aus-weg zu suchen, um sich vor dieser immerwährenden Verlo-renheit, dieser zutiefst unendlichen Einzelhaft zu retten unddas Grabestor für sich in ein Tor umzuwandeln, das sich zu ei-ner beständigen Welt, zu einer ewigen Glückseligkeit undWelt des Lichtes öffnet, ein Umwandlungsprozess, der für die-sen Menschen ein Problem von weltweiten Ausmaßen ist.

So haben sich denn diese drei Möglichkeiten als eine un-anfechtbare Tatsache herausgestellt. 124 tausend Seher, de-ren Prophetentum sich durch Zeichen und Wunder als wahrherausgestellt hat, haben berichtet, dass es auf Grund dieserobenerwähnten drei Tatsachen drei Wege gibt. 124 MillionenHeilige haben auf Grund ihrer geistigen Erfahrungen, Wahr-nehmungen und Schauungen die Berichte der Prophetenüber diese selbe Tatsache anerkannt und bestätigt. ZahlloseForscher beweisen dieselben Berichte dieser Propheten undHeiligen, verständlich, mit sicheren Beweisen und mit wissen-schaftlicher Sicherheit. Alle berichteten gemeinsam, in Über-

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einstimmung, mit einer 99%-igen Sicherheit: »Sich vor ewigerKerkerhaft und Verlorenheit zu retten und diese Reisemög-lichkeit in einen Weg zur ewigen Glückseligkeit umzuwandeln,ist nur im Glauben und im Gehorsam möglich…«

Wer nicht einen gefahrvollen Weg einschlagen will, wirdauch dann das Wort eines einzigen Beobachters berücksich-tigen, wenn dort die Wahrscheinlichkeit, zu Grunde zu gehen,nur ein Prozent beträgt. Ein Mann, der die Worte eines sol-chen Beobachters nicht ernst nimmt und trotzdem auf diesemWege weitergeht, verliert dabei durch die innere Unruhe, dieaus der Angst vor dem Verderben entsteht, selbst noch sei-nen Appetit am Essen. In gleicher Weise berichten hundert-tausende als zuverlässig bestätigte Seher, dass Verirrungenund Ausschweifungen mit hundertprozentiger Bestimmtheitzur ausschlaggebenden Ursache dafür werden, das Grab vorAugen als einen Galgen und eine ewige Einzelhaft zu be-trachten, Glaube, Gottesdienst und Anbetung aber mit hun-dertprozentiger Bestimmtheit diesen Galgen aus den Augenschafft, die Einzelhaft aufhebt, das Grab in ein Tor zu einerewigen Schatzkammer, einem Schloss der Glückseligkeit um-wandelt, und sie brachten dafür Beispiele und Hinweise. Vordiesem einzigartigen, erstaunlichen, gewaltigen und Schrek-ken erregenden Problem steht nun der hilflose Mensch undbesonders ein Muslim. Dort wo aber Glaube, Anbetung undGottesdienst fehlen, könnte da ein Mensch, auch würde ihmaller Reichtum und Genuss aller Welt gegeben, die ihm stän-dig vor Augen stehende Qual und Pein in der Erwartung, dassdie Reihe an ihn kommt, abberufen zu werden, fortwischen?Das frage ich euch.

So wühlen denn Alter, Krankheit, Unglücks- und Todesfällevon allen Seiten diesen fürchterlichen Schmerz immer wiederauf und rufen ihn wach. Auch wenn die Leute des Irrwegesund der Ausschweifungen das Leben hunderttausendfach ge-

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nießen und sich vergnügen, lebt und brennt dennoch mit Si-cherheit eine Hölle unsichtbar in ihren Herzen. Jedoch derRausch ihrer so tiefen Gottvergessenheit lässt sie das vor-übergehend nicht empfinden.

Für Menschen jedoch, die sich im Glauben und Tun aufGott hin ausrichten, ist das Grab, das sie vor Augen sehen,ein Tor zu einer immerwährenden Schatzkammer, einer nieendenden Glückseligkeit. Auch wurde durch den Glauben fürsie aus der Lotterie jener Zukunft in der Ewigkeit ein Los ge-zogen, das Milliarden in Gold und Diamanten gewinnen lässt.Noch während sie ständig darauf warten, gerufen zu werden:»Komm, empfange dein Los«, wächst in ihnen ein tiefwur-zelnder, wahrhaftiger Genuss und in ihrem Herzen die Freu-de. Es ist diese Freude, die, sobald sie Gestalt annimmt undder Kern zu einem Baum heranwächst, für diese Leute zu ih-rem persönlichen Paradies wird. Geben sie jedoch diesenGenuss und diese überwältigende Freude auf und wählen,durch ihre Jugend verführt, stattdessen einen unerlaubten,vergänglichen, nur aus einer augenblicklichen Laune und derAusschweifung geborenen Genuss, der einem vergifteten Ho-nig gleicht, gemischt mit zahllosen Schmerzen, so sinken sienoch hundertfach tiefer unter das Tier herab.

Doch können sie auch nicht den fremdländischen Atheistengleich werden. Denn verleugnen sie auch unseren Propheten,werden sie doch andere Propheten anerkennen. Wissen sienichts von den Propheten, werden sie doch Gott anerkennen.Wissen sie nichts von Gott, werden sich doch einige guteCharakterzüge bei ihnen finden, die zur Quelle der Vollen-dung werden.

Jedoch ein Muslim kennt sowohl die Propheten, als auchseinen Herrn und überdies alle Vollendung durch Mohammed,den Araber, mit dem Friede und Segen sei. Wer aber seineErziehung vergisst und seine Hürde verlässt, kennt überhaupt

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keinen Propheten mehr und kann deshalb auch Gott nichtkennen. Auch kann er gar keine Grundsätze zu Eigen haben,um sich seine Menschlichkeit und Würde in der Seele zu be-wahren. Denn wer die Lehren des Letzten und Größten derPropheten, dessen Glaube, Unterweisung und Ruf, der sichan die ganze Menschheit richtet, und durch seine Wunder,seinen Glauben, seine Unterweisung über allen anderensteht, der die ganze Menschheit in allen Wahrheiten als einMeister unterwiesen hat und das über vierzehn Jahrhunderteklar bewiesen hat, auf den die ganze Menschheit stolz ist, werdie Grundsätze dieser Erziehung durch eine solche Persön-lichkeit und die Wurzeln seines Glaubens vergisst, kann mitSicherheit und auf gar keine Weise zum Licht, zur Vollendunggelangen. Er ist verurteilt und sein Sturz ist unaufhaltsam.

Wohlan denn, ihr Hilflosen, die ihr dem Genuss des irdi-schen Lebens verfallen seid und euch in eurer Sorge um dieZukunft darum bemüht, eure Zukunft und euer Leben zu si-chern! Wenn ihr irdische Vergnügungen, Genuss, Freude,Glück und Bequemlichkeit wollt, sollt ihr euch mit dem Ge-nuss im erlaubten Rahmen begnügen. Er ist für diesen Ge-nuss ausreichend. Sicherlich habt ihr aus den vorhergegan-genen Erklärungen entnommen, dass im Genuss außerhalbdieses Rahmens und im Bereich des Unerlaubten tausendSchmerzen liegen. Könnte man, so wie man heute das Ver-gangene, d.h. Ereignisse von Gestern durch eine Filmaufnah-me in die Gegenwart versetzen kann, auch die Ereignisse derZukunft, zum Beispiel die Lebensumstände in fünfzig Jahrendurch eine Filmaufnahme zeigen, dann würden die Leute derAusschweifung über das, worüber sie heute lachen, hundert-tausendfach fluchen, es hassen und darüber weinen. Wer indieser Welt und im Jenseits immer und ewige Freude möch-te, soll sich die mohammedanische Erziehung, wie sie sich imRahmen des Glaubens findet, zum Wegweiser nehmen.

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