biennalen – gestern und heute / biennales yesterday and today

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Biennalen – gestern und heute / Biennales yesterday and today OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich OK Center for Contemporary Art Herausgegeben von / edited by Martin Sturm, Sabine B. Vogel

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Herausgegeben von / edited by Martin Sturm, Sabine B. VogelEine Publikation zur Ausstellung / a publication for the exhibition „Biennale Cuvée“ 2009OK Offenes Kulturhaus: 27. 2. – 26. 4. 2009Arbeiterkammer OÖ und Energie AG OÖ: 13. 3. – 15. 5. 2009Wissensturm: 13. 3. – 26. 4. 2009

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Biennalen – gesternund heute / Biennalesyesterday and today

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Herausgegeben von / edited by Martin Sturm, Sabine B. Vogel

Page 2: Biennalen – gestern und heute / Biennales yesterday and today

Countour Biennial for Video Art

Liverpool Biennial

Biennale de Venecia

Whitney Biennial

Biennale de Montréal

BIACS Sevilla B

Tirana

Biennale d´Art Contemporain Lyon

Bienal de La Habana

SITE Santa Fe

Carnegie International

Dak’ArtBamako Bien

Luanda Trienna

Sonsbeek International Sculpture Exhibition

Brussels Biennial

Triennale d‘art contemporain sur mer

Biennale São Paulo

Bienal do Mercosul

Bienal del Fin del Mundo

Weltkarte der WeltkunstWorld map of world art

Page 3: Biennalen – gestern und heute / Biennales yesterday and today

Singapore Biennale

CP Open Biennale Jakarta

Taipei Biennial

Guangzhou Triennale

Gwangju Biennale

Echigo-Tsumari Triennial

Shanghai Biennale

Busan Biennale

Yokohama Triennaleof Contemporary ArtMedia City Seoul

Biennale of Sydney

SCAPEBiennial of art in public space

Documenta

Biennale der KleinplastikFotografie Triennale Graz

Prague Biennale

Berlin Biennale

Baltic Triennale

Periferic Biennaleecia

Istanbul Biennale

Moscow Biennale

Sharjah Biennale

Cairo BiennaleIndia Triennale

Asian Art Biennale

illa Biennale Athens Biennale

rana Biennale

Biennale

iennale

Asia Pacific Triennale

Page 4: Biennalen – gestern und heute / Biennales yesterday and today

Eine kurze GeschichteA Short History

Biennalen – gestern und heute / Biennales yesterday and todayHerausgegeben von / edited by Martin Sturm, Sabine B. Vogel

Eine Publikation zur Ausstellung / a publication for the exhibition „Biennale Cuvée“ 2009OK Offenes Kulturhaus: 27. 2. – 26. 4. 2009Arbeiterkammer OÖ und Energie AG OÖ: 13. 3. – 15. 5. 2009Wissensturm: 13. 3. – 26. 4. 2009

OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich / OK Center for Contemporary ArtDirektor OK / Director OK: Martin SturmKuratoren / Curators „Biennale Cuvée“: Manray Hsu, Martin SturmProjektleiter / Project Manager: Rainer JesslOK Team: Erika Baldinger, Sandra Berger, Max Fabian, Maria Falkinger, Michaela Fröhlich,Gottfried Gusenbauer, Peter Hütmannsberger, Marion Krammer, Kathi Lackner, Barbara Mair,Thomas Mauhart, Wolfgang Nagl, Gabriele Pachleitner, Karin Pils, Franz Quirchtmayr,Martina Rauschmayer, Brigitte Rosenthaler, Genoveva Rückert, Aron Rynda, Luisa Santos,Markus Schiller, Ulrike Schimpl, Dagmar Schink, Carmen Steiner, Michael Weingärtner

Katalogredaktion / Catalog Editor: Sabine B. Vogel, Ingrid Fischer-SchreiberÜbersetzung / Translation: Martina Bauer, Dave WestacottCover: Michael Joo, Bodhi Obfuscatus (Space Baby), 2005, 6. Gwangju Biennale 2006 (Foto: Gwangju Biennale)Fotos / Photos: Wolfgang Träger (wenn nicht anders vermerkt / unless otherwise stated)Gestaltung / Graphic Design: bauer – konzept & gestaltung gmbh, WienDruck / Printing: Druckerei Robitschek & Co GesmbH, Wien

© OK Offenes Kulturhaus, KünstlerInnen und AutorInnen / artists and authors 2009

OK Offenes Kulturhaus OberösterreichOK Platz 1, A-4020 LinzTel. +43(0)732-78 41 78 / Fax +43(0)732-77 56 [email protected] / www.ok-centrum.at

Eine Kooperation des OK Offenes Kulturhaus OÖ mit Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas,mit Unterstützung von Arbeiterkammer OÖ, Wissensturm Linz und Energie AG OÖ /a cooperation of OK Offenes Kulturhaus OÖ with Linz 2009 European Capital of Culture,with support from Arbeiterkammer OÖ, Wissensturm Linz and Energie AG OÖ.

Dank den AutorInnen sowie den unterstützenden KuratorInnen und Partnern und denPresseabteilungen der Biennalen / Thanks to the authors as well as the supporting curators,partners and press offices of the Biennales.

oder eines privaten Repräsentationsanspruch wie diefürstlichen Museen. Die Biennale Venedig soll auchnicht wie so viele spätere Gründungen eine kulturelleoder politische Isolation aufbrechen oder die lokaleKunstszene vernetzen. Diese Veranstaltung steht imDienst eines politischen Projektes: „eine vorurteils-freie Entwicklung des Geistes“ und „die brüderlicheVereinigung aller Völker.“

Nationalstaaten

Zur ersten Edition der Biennale Venedig befindet sichEuropa im Umbau. Statt territorialer Gemeinschaftenunter Fürsten und Königen entsteht damals die Idee

„Der Gemeinderat von Venedig ergreift die Initiativezu derselben (A. d. V.: Ausstellung), da er von derÜberzeugung durchdrungen ist, dass eben die Kunsteines der wertvollsten Elemente der Civilisationbildet und sowohl eine vorurteilsfreie Entwicklungdes Geistes sowie die brüderliche Vereinigung allerVölker bietet.“1Mit dieser Ankündigung von RiccardoSelvatico, Bürgermeister von Venedig, am 6. April1894 beginnt die Geschichte der Biennalen./ Deutlicher kann es kaum formuliert werden: Dieerste Biennale steht nicht im Dienst einer Kunstent-wicklung oder lokalen Kunstszene wie die französi-schen Salons, eines kommerziellen Interesses wie dieJahresausstellungen der deutschen Künstlerbünde

vom Volk als einer Herkunfts-, Kultur- und Sprach-gemeinschaft – als Nation. Dafür müssen allerdingsdie offenkundigen Unterschiede innerhalb des neuen„Volkes“ einer gemeinsamen Identität untergeordnetwerden. Das benötigt Symbole. Es werden National-helden zur Verkörperung nationaler Werte erfundenund die Schule schafft dank einer allgemein verbind-lichen Sprache eine gemeinsame Identität auf Kostender vielen Dialekte. Nationale Traditionen, gemein-same Gedenkorte und historische Denkmäler entste-hen ebenso wie die Konzeption volkskundlicherSammlungen und das Interesse für charakteristischeLandschaftsbilder. Als „vorzeigbare Identifikations-elemente“ eignen sich besonders Fahnen undEmbleme, Trachten, kulinarische Spezialitäten, einWappentier. Neben den neu erfundenen Traditionenist kaum etwas so wirkungsvoll zur Demonstrationund Bildung einer nationalen Identität wie wohlinszenierte, öffentliche Feierlichkeiten. So beginnenim 19. Jahrhundert auch drei bis heute gültigeperiodische, internationale Wettbewerbe: 1851 findetdie erste „Weltausstellung“ statt, 1894 folgt dieWiederaufnahme der antiken Olympischen Spieleund im selben Jahr verkündet der Bürgermeister vonVenedig die Gründung die „La Biennale di Venezia“.

La Biennale di Venezia

Die ersten Arbeiten starten imWinter 1894 im auf-geschütteten Park am östlichen Ende der Lagunen-stadt. Anfangs zeigen sämtliche Nationen in einemeinzigen Gebäude, das zunächst „Pro Arte“ heißtund im Zuge der nationalistischen Situation 1932 in„Italia“ umbenannt wird. 1907 kommen die Länder-pavillons hinzu, der este Belgien, 1909 folgen Großbri-tannien, Ungarn2 und Deutschland3 , 1912 Schweden,

1) Riccardo Selvatico, Bürgermeister von Venedig, in seiner Redevom 6. April 1894, zit. nach „Biennale Venedig, Der deutsche Beitrag1895–1995“, Stuttgart 1995, Christoph Becker, Annette Lagler, Hg.ifa, Stuttgart: Hatje Cantz Verlag 1995, S. 13.2) Die Symbolik dieser einstöckigen Architektur von Geza RintelMaroti erzählt die Geschichte Ungarns. Im Sinne des damaligen Nati-onalismus zeigen die Fassadenmosaike und Glasfenster Szenen ausdem Leben des Hunnenkönigs Attila, des (vermeintlichen) Ahnherrnder Magyaren. 1957/58 wird das Dach entfernt, die Ausstellungsräumewerden um ein Atrium angeordnet und die Dekoration der Fassademit einer Mauer geschützt. (Vgl. Laszlo Gloser in: „Garten der Künste.Hundert Jahre Biennale – Souvenir de Venice“, Jahresring 42, Köln:Oktagon Verlag, 1995, S. 129).3) Der deutsche Pavillon wird auf Initiative der Münchner Secessionvom Königreich Bayern errichtet und zunächst „Padiglione Bavarese“genannt, womit die kulturpolitische Autonomie im deutschen Reichdemonstriert wird. 1912 sagen die Bayern ihre Teilnahme aus Furchtvor Cholera ab, der deutsche Beitrag wird von Italien organisiert unddafür der Pavillon in „Padiglione della Germania“ umbenannt. 1938lassen die Nationalsozialisten Bruno Pauls Innenbereich umbauen,und auch der Eingang wird massiv verändert: Die zierlichen dorischenSäulen werden durch rechteckige Pfeiler ersetzt, die den giebellosenArchitrav stützen, auf dem jetzt „Germania“ steht.

Sabine B. Vogel

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to be subordinated to a new common identity. Thisrequired symbols. National heroes were invented toembody national values and thanks to a generallybinding, defined language the schools created acommon identity at the cost of the many dialects.National traditions, common sites of remembranceand historical monuments emerged as well as theconception of folklore collections and the interestin characteristic landscape paintings. Flags andemblems, “national costumes, culinary specialties,a heraldic animal” were particularly suited as“presentable identification elements”. Alongside thenewly invented traditions hardly anything was soeffective for the demonstration and formation of anational identity as well-staged, public celebrations.Thus in the 19th century three periodical interna-tional competitions started that are still runningtoday: in 1851 there was the first “world exhibition”,followed in 1894 by the revival of the ancientOlympic Games, and in the same year the Mayor ofVenice announced the foundation of “La Biennaledi Venezia”.

La Biennale di Venezia

The first work started in the winter of 1894 in thepark raised at the eastern end of the lagoon city.At the beginning all the nations exhibited in onesingle building, which was initially called “ProArte” and in the course of the nationalist situation

“The local council of Venice is taking the initiativeto arrange it [the exhibition] as it is thoroughlyconvinced that art is one of the most valuableelements of civilization and offers both a prejudice-free development of the mind as well as thebrotherly unity of all peoples.”1 With this announce-ment by Riccardo Selvatico, the Mayor of Venice, onApril 6, 1894, the history of the biennales begins./ It can hardly be put more clearly: the firstbiennale was not to serve one development in artor the local art scene, like the French salons, nor acommercial interest, like the annual exhibition ofthe German artists’ association, nor private pres-tige, like the grand princely museums. The VeniceBiennale was also not intended, like so many laterfoundations, to break out of a cultural or politicalisolation or to network the local art scene. Thisevent serves a political project: “a prejudice-freedevelopment of the mind” and the “brotherly unityof all peoples.”

Nation States

At the time of the first edition of the VeniceBiennale Europe was undergoing a process ofreorganization. Instead of territorial communitiesunder princes and kings, the idea of the people as acommunity of origin, culture and language – asa nation – had then emerged. For this, however, theevident differences within the new “people” had

der Biennalenof Biennales

was renamed “Italia” in 1932. The national pavil-ions were added in 1907, first Belgium, then in 1909Britain, Hungary2 and Germany,3 Sweden, France4

and Holland5 in 1912, Russia in 1914,6 Spain in1922,7 Czechoslovakia four years later,8 the USAonly in 19309 and Austria finally after years ofnegotiation only in 1934, with its still originalarchitecture by Josef Hoffmann.10 After half acentury the Latin-American countries also receivedtheir own houses (1954 Venezuela,11 1964 Brazil12).Australia was only added in 1987 and Korea13 builtits own pavilion, the last building, in 1995.14 Todaythe park consists of 29 pavilions for 40 countries;for the 52nd Biennale in 2007 a further 37 coun-tries shared churches and palaces in the city area.

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1) Riccardo Selvatico, Mayor of Venice, speech April 6, 1894, quotedfrom „Biennale Venedig, Der deutsche Beitrag 1895–1995“, Stuttgart1995, Christoph Becker, Annette Lagler, Ed. ifa, Stuttgart: HatjeCantz Verlag 1995, p 13.2) The symbolism of this single-storey architecture by Geza RintelMaroti tells the history of Hungary. In the sense of the then natio-nalism, the facade mosaics and glass windows show scenes from thelife of Attila the Hun, the (supposed) ancestor of the Magyars.In 1957/58 the roof was removed, the exhibition rooms arrangedaround an atrium and the decoration of the facade protected by a wall(cf. Laszlo Gloser in: „Garten der Künste. Hundert Jahre Biennale –Souvenir de Venice“, Jahresring 42, Köln: Oktagon, 1995, p. 129).3) The German pavilion was built by the Kingdom of Bavaria on theinitiative of the Munich Secession and was initially called “PadiglioneBavarese”, demonstrating the cultural-political autonomy within theGerman Empire. In 1912 the Bavarians cancelled their participationfor fear of cholera, the German contribution was organized by Italyand the pavilion was renamed the “Padiglione della Germania”. In1938 the Nazis had Bruno Paul’s interior rebuilt and the entrance wasalso massively changed: the delicate Doric columns were replaced byrectangular pillars supporting the gable-less architrave on which wasnow written “Germania”.4) Architect of the French pavilion: Umberto Bellotto.5) Architect of the Dutch pavilion: Gustav Ferdinand Boberg. In 1953the pavilion was rebuilt by Gerrit Thomas Rietveld.6) Architect of the Russian pavilion was Aleksej V. Scusev.7) Architect of the Spanish pavilion was Javier De Luque.8) Architect of the Czechoslovak pavilion: Otokara Novotny.9) Architects of the US pavilion: Chester Holmes Aldrich and WilliamAdams Delano.10) The effort to build an Austrian pavilion began as early as 1912,as only a room on loan in the Italian pavilion was available, but theoutbreak of the First World War prevented the project.11) Architect of the Venezuela pavilion was Carlo Scarpa, who also in1952 built the ticket office at the entrance to the Giardini – in an allu-sion to the grounds, the form of the roof is reminiscent of a leaf.12) Architect of the Brazilian pavilion: Amerigo Marchesin.13) Architects of the South Korean pavilion: Seok Chul Kim and FrancoMancuso.14) Further pavilions: 1932 Denmark, architect Carl Brummer,extended in 1958 by Peter Koch; 1932 Poland, by Benno Del Giudice;1934 Greece, by M. Papandreou and Benno Del Giudice; 1938 Romaniaand Yugoslavia; 1952 Israel, by Zeev Rechter and Switzerland byBruno Giacometti; 1956 Finland, by Alvara Aalto, Iceland and Japan;1958 Canada, by the BBPR Group (Gian Luigi Banfi, LudovicoBarbiano di Belgiojoso, Enrico Peressutti, Ernesto Nathan Rogers);1962 Sweden, Norway and Finland with the “Nordic Pavilion”by Sverre Fehn; 1987 Australia, by Philip Cox; 1991 the Book Pavilion,by James Stirling.

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Atelier Van Lieshout / Joep Van LieshoutA-Portable, 2001Venedig 2001

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Frankreich4 und Holland5 , 1914 Russland6, 1922Spanien7, vier Jahre später die Tschechoslowakei8, dieUSA9 erst 1930 und Österreich nach jahrelangen Ver-handlungen endlich auch 1934 mit seiner noch heuteursprünglichen Architektur von Josef Hoffmann10.Nach einem halben Jahrhundert erhalten auchlatein-amerikanische Länder eigene Häuser (1954Venezuela11, 1964 Brasilien12). Australien kommt erst1987 hinzu und als bisher letztes Gebäude errichtet1995 Korea13 einen eigenen Pavillon14 . Heute bestehtder Park aus 29 Pavillons für 40 Nationen, weitere37 Nationen verteilen sich zur 52. Biennale 2007 überdie Kirchen und Paläste im Stadtraum. WeitereNationen drängen seit Jahren hartnäckig auf eineigenes Haus in den Gärten, denn die Beteiligung ander Biennale Venedig ist nicht nur obligatorisch fürjeden selbstbewußten Staat, sondern für eineGroßmacht eine ähnliche Notwendigkeit wie Gold-medaillen bei den Olympischen Spielen./ Die Biennale Venedig startet von der ersten Editionan als internationales Forum. So sind 1895 mehr alsdie Hälfte der 516 Werke von ausländischen Künst-lern. Zwar bleibt diese proportionale Aufteilung nichtüber alle Editionen stabil, doch etabliert sich dieBiennale Venedig und damit das Modell „Biennale“zum Inbegriff einer Internationalisierung der Kunst./ „International“ ist dabei allerdings ein politischgeprägtes Kriterium, das den Imperialismus Europasund der USA spiegelt: Nicht-westliche Länder kommenin der Kunst lediglich als Projektionsfläche, als Motivoder Referenz vor, ihre Kultur gilt als unzivilisiert undunmodern. Die Biennale Venedig dagegen gilt alsInbegriff der (westlichen) Moderne, wird als solchebald imitiert – und immer wieder kritisiert.

Bienal de São Paulo, Brasilien

Während sich die Biennale in Venedig zwischenInternationalismus und bald auch Patriotismus alsForum nationaler Abgrenzung und internationalemWettbewerb etabliert, greifen private Museen inden USA wenig später das Modell der zweijährlichenPräsentation zeitgenössischer Kunst auf, allerdingsals rein nationale und oft auch auf Malerei be-schränkte Foren15 . Erst ab Mitte des 20. Jahrhundertsbeginnen die ersten Länder, das italienische Modellzu imitieren./ Zur 24. Biennale Venedig 1948 ist Francisco Mata-razzo Sobrinho brasilianischer Kommissär in Vene-dig. Drei Jahre später gründet der Industrielle mititalienischer Abstammung die „Bienal Internacionalde Arte de São Paulo“. Ziel der Biennale ist es, SãoPaulo als Hauptstadt der brasilianischen Industrieund in Konkurrenz zur ehemals kaiserlichen KapitaleRio de Janeiro zu stärken, als Zentrum der zeitge-nössischen Kunst zu etablieren und damit auch den

Anschluss der brasilianischen an die internationaleKunst zu erreichen. Heute ist São Paulo – anders alsVenedig für Italien – der Mittelpunkt der brasiliani-schen Kunst und Kultur mit den meisten Konzertsälen,Theatern, Museen und Ausbildungsstätten für Kunstin Brasilien./ Vorsichtig beginnt in São Paulo bereits in den1950er Jahren mit vielen nicht-westlichen Nationeneine „Öffnung hin zur Weltkunst und eine Abkehrvon der Westkunst,“16wie es Alfons Hug formuliert.Bereits ab der 2. Edition 1954 nehmen viele jüngstgegründete bzw. unabhängig erklärte Nationen wieIndien, Libanon, Philippinen, Indonesien, Senegaloder Vietnam teil, die damit ihre kulturelle Identitäteinerseits demonstrieren und andererseits in dieinternationale Kunstgeschichte einschreiben – auchwenn das damals von der rein westlich orientiertenModerne kaum wahrgenommen wird. Denn erstenssprechen die Werke nicht die Sprache der redu-zierten, modernen Kunst, und zweitens besteht nochkein Interesse der westlichen Kritiker, Künstler,Galeristen und Museumsleiter, nicht-westliche Kunstgleichwertig zu rezipieren – das ändert sich erst abden 1980er Jahren./ Die São Paulo Biennale ist die erste bis heuteexistierende, internationale Biennale, die außerhalbder hegemonialen, westlichen Kulturzentren ent-steht. Doch statt diese Vorreiterrolle mit großenPräsentationen nicht-westlicher Kunst zu stärken,sind die ersten Editionen dominiert von Retrospek-tiven, Überblicksausstellungen und Einzelpräsen-tationen europäischer Avantgarde-Künstler. Zwar

sichert diese Programmatik die westliche Aufmerk-samkeit und finanzielle Unterstützung der beteiligtenNationen für die junge Biennale. Aber zugleich wirddamit die kulturelle Überlegenheit Europas und derUSA bekräftigt – ein Umstand, auf den 22 Jahrespäter die Gründung der Havanna Biennale reagiert.

Biennale of Sydney

1973 entsteht eine weitere Biennale von ähnlicherinternationaler Qualität und Bedeutung wie Venedigund São Paulo: die Biennale of Sydney. Auch hier istes wie in São Paulo ein wohlhabender Unternehmer,auch diesmal aus einer italienischen Familie, derdie Initiative ergreift: Franco Belgiorno-Nettis, 1915in Italien geboren und in den 1950er Jahren nachAustralien ausgewandert. Von der Biennale Venediginspiriert, beschließt Belgiorno-Nettis, mit diesemAusstellungsformat die kulturelle Isolation Austra-liens aufzubrechen. „How to break the isolation ofAustralia? How do you inject that flavour of inter-national extravaganz, originality and explosive visionthat you see at gatherings in Venice?“ fragte er undals „link to the world“ und „to break the tyrannyof distance“ gründet er zunächst den „Transfield ArtPrize“ und dann die Biennale17.

4) Architekt des französischen Pavillons ist Umberto Bellotto.5) Architekt des holländischen Pavillons ist Gustav Ferdinand Boberg.1953 wird der Pavillon neu errichtet von Gerrit Thomas Rietveld.6) Architekt des russischen Pavillons ist Aleksej V. Scusev.7) Architekt des spanischen Pavillons ist Javier De Luque.8) Architekt des tschecheslowakischen Pavillons ist Otokara Novotny.9) Architekt des US-amerikanischen Pavillons ist Chester HolmesAldrich und William Adams Delano.10) Bereits 1912 beginnt der Versuch, einen österreichischen Pavillonzu errichten, da nur ein geliehener Saal im italienischen Pavillon zurVerfügung steht, aber der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhindertdas Projekt.11) Architekt des Venezuela-Pavillons ist Carlo Scarpa, der auch 1952das Ticket-Haus am Eingang der Giardini baut – die Form des Dacheserinnert in Anspielung auf das Gelände an ein Blatt.12) Architekt des brasilianischen Pavillons ist Amerigo Marchesin.13) Architekt des südkoreanischen Pavillons sind Seok Chul Kim undFranco Mancuso.14) Weitere Pavillons: 1932 von Dänemark, Architekt Carl Brummer,der 1958 von Peter Koch erweitert wurde; 1932 Polen von Benno DelGiudice; 1934 Griechenland von M. Papandreou und Benno Del Giudi-ce; 1938 Rumänien und Jugoslawien; 1952 Israel von Zeev Rechter undSchweiz von Bruno Giacometti; 1956 Finnland von Alvara Aalto, Islandund Japan; 1958 Kanada von BBPR Group (Gian Luigi Banfi, LudovicoBarbiano di Belgiojoso, Enrico Peressutti, Ernesto Nathan Rogers);1962 Schweden, Norwegen und Finnland mit dem „NordischenPavillon“ von Sverre Fehn; 1987 Australien von Philip Cox; 1991 derBuch-Pavillon von James Stirling.15) 1907 gegründete Corcoran Biennial in Washington und 1932 dieWhitney Biennale in New York. 1896 gegründete Carnegie Internatio-nal in Pittsburgh, Pennsylvania.16) Hug, Alfons, Interview zur 26. São Paulo Biennale 2004(http://www.goethe.de).17) s. Founding Governour’s Report 1973, Sydney-Biennale Pressetext,http://www.biennaleofsydney.com.au (zuletzt besucht am 10. 11. 2008).

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Maurizio CattelanLa nona ora, 2000Venedig 2001

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Ron MueckO.T. (Boy)Venedig 2001

Page 7: Biennalen – gestern und heute / Biennales yesterday and today

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For years other countries have been doggedlypressing for their own houses in the garden,because participation in the Venice Biennale isnot only a must for every self-confident state butalso for every great power a necessity similar togold medals in the Olympic Games./ From its first edition, the Venice Biennale startedas an international forum. Thus in 1895 more thanhalf of the 516 works were by foreign artists.True, this proportional ratio did not remain stablethrough all its editions, but the Venice Biennaleestablished itself and thereby the “biennale” modelas a byword for the internationalization of art./ “International” is however a politically chargedcriterion which reflects the imperialism of Europeand the USA: non-Western countries appear in artonly as projection areas, as motif and reference;their culture is considered to be uncivilized andnon-modern. The Venice Biennale, on the otherhand, is considered to be a byword for (Western)modernity, was soon to be imitated as such – andrepeatedly criticized.

Bienal de São Paulo, Brazil

While the Venice Biennale established itself as aforum for national demarcation and internationalcompetition between internationalism and soonalso patriotism, a few years later private museumsin the USA took up the model of the biennialpresentation of contemporary art, however aspurely national forums and often limited to paint-ing.15 Only since the mid 20th century have thefirst countries started to imitate the Italian model./ For the 24th Venice Biennale in 1948, FraniscioMatarazzo Sobrinho, the Brazilian commissarwas in Venice. Three years later the industrialistwith family links to Italy founded the “BienalInternacional de Arte de São Paulo”. The aim of thebiennale was to strengthen São Paulo as Brazil’sindustrial capital in competition with the formerimperial capital Rio de Janeiro and to establish itas a center of contemporary art and thereby toconnect Brazilian and international art. Today,unlike Venice for Italy, São Paulo is the center ofBrazilian art and culture, with the most concerthalls, theatres, museums and educational institu-tions for art in Brazil./ Including many non-Western nations, in the1950s São Paulo began a cautious “opening toworld art and a turning away from Western art,”16

as Alfons Hug put it. Even by the 1954 2nd edition,many newly founded countries or countries thathad recently declared independence, such asIndia, Lebanon, the Philippines, Indonesia, Senegalor Vietnam were taking part, on the one hand

demonstrating their cultural identity and on theother hand registering their existence in arthistory – even if at the time this was hardlynoticed by the purely Western-oriented modernage. Because, first of all, the works did not speakthe language of the reduced, modern art, andsecondly western critics, artists, gallery ownersand museum managers were not interested inaccepting non-Western art on equal terms – andthat only changed after the 1980s./ The São Paulo Biennale was the first biennale todevelop outside the hegemonial Western culturalcenters that still exists today. But instead ofstrengthening this pioneering role with majorpresentations of non-western art, the first editionswere dominated by retrospectives, overviews andsolo presentations of European avant-garde artists.True, this program ensured Western attentionand financial support for the new biennale by theparticipating countries. But at the same time thecultural dominance of Europe and the USA wasreinforced – a situation to which the foundation ofthe Havana Biennale reacted 22 years later.

Sydney Biennale

In 1973 another biennale of similar internationalquality and importance as Venice and São Pauloappeared: the Sydney Biennale. Here too, as in SãoPaulo, it was a wealthy entrepreneur, again from

an Italian family, who took the initiative: FrancoBelgiorno-Nettis, born in Italy in 1915 and emigra-ted to Australia in the 1950s. Inspired by theVenice Biennale, Belgiorno-Nettis decided to usethis format to break Australia’s cultural isolation.“How to break the isolation of Australia? How doyou inject that flavor of international extravagance,originality and explosive vision that you see atgatherings in Venice?” he asked, and as a “link tothe world” and “to break the tyranny of distance”first he founded the “Transfield Art Prize” and thenthe biennale.17

/ Unlike Venice and São Paulo, from the firstedition the Sydney Biennale employed an artisticdirector who did not invite artists via diplomaticchannels but chose them directly. Luca Belgiorno-Nettis tersely summarized another difference: “Andfinally, this is strictly a show – no prizes, no sales,no Leone d’Oro.”18 With the rejection of prizes andthe “Golden Lions”, which were symbolic of theVenice Biennale, the proximity to the world expos,to the international competition was also broken.

15) The Corcoran Biennial founded in Washington in 1907 and theWhitney Biennial in New York in 1932. The Carnegie International inPittsburgh, Pennsylvania, founded in 1896.16) Hug, Alfons, interview on the 26th São Paulo Biennale 2004(http://www.goethe.de).17) see: Founding Governor’s Report 1973, Sydney Biennale, press re-lease, http://www.biennaleofsydney.com.au (last visited 11 Oct. 2008).18) Catalog, Sydney Biennale 2006, p. 6.

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Erick DuyckaertsPalais des Glaces et de la DécouverteVenedig 2007

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Leo Schatzl, in Kooperation mit David Moises& Severin HofmannAutorotation Sao PauloSao Paulo 2004 (Fotos: Norbert Artner)

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Sao Paulo 2004

Page 8: Biennalen – gestern und heute / Biennales yesterday and today

/ Die Biennale of Sydney beruft – anders als Venedigund São Paulo – von der ersten Edition an einenkünstlerischen Direktor, der die KünstlerInnen nichtüber diplomatische Vertretungen einlädt, sonderndirekt auswählt. Ein weiteres Unterscheidungsmerk-mal fasst Luca Belgiorno-Nettis knapp zusammen:„And finally, this is strictly a show – no prizes, nosales, no Leone d’Oro.18“ Mit der Ablehnung vonPreisen und „Goldenen Löwen“, die symbolisch fürdie Biennale Venedig stehen, ist auch die Nähe zurWeltausstellung, zum internationalen Wettbewerbdurchbrochen. Statt des Nationenvergleichs wirdeine zweijährlich ausgerichtete, institutionelleGruppenausstellung präsentiert, für die anders alsin Venedig und São Paulo ein permanentes, festesTeam verantwortlich ist.

Bienal de La Habana

1983 wird die „Bienal de La Habana“ in der Repúblicade Cuba gegründet, zeitgerecht zum 25. Jahrestagder Revolution und inhaltlich explizit als „Biennaleder Dritten Welt“ konzipiert – oder wie es eineRezensentin der ostdeutschen Kunstzeitschrift „Bil-dende Kunst“ zur 1. Edition beschreibt: „Es war dasHauptanliegen der Biennale, fortschrittliche Künstleraus fast allen Ländern Lateinamerikas zusammen-zuführen und fester zu einer antiimperialistischenFront zusammenzuschließen.“19

/ Mit der Gründung der „Bienal de La Habana“wird auf die politische und kulturelle Isolation desInselstaates reagiert, als „Antwort auf das Bedürfnisnach einem Forum für den Dialog zwischen denKünstlern aus der Dritten Welt“20, wie es LlilianLlanes, langjährige Direktorin des Wilfredo Lam-Centers und der Biennale, formuliert./ Die strikte geographische Eingrenzung auf Kunstaus Afrika und Asien hat sich mit der 3. Editiongeöffnet, aber der Schwerpunkt liegt bis heute in deranfänglich bestimmten Region, auch wenn nach demTod Fidel Castros das Kuratorenteam zur 10. Edition2009 eine Öffnung verspricht21. Die 3. Edition 1989nennen die Veranstalter provokant „Biennale der3. Welt“22. Die 4. Edition 1991 thematisiert die„Herausforderung der Kolonisierung“ und lädt dazuerstmals auch Künstler aus demWesten ein, aller-dings nur jene aus ethnischen Minderheiten bzw.mit migrantischer Herkunft./ Eine einschneidende Entwicklung in der Geschich-te der Havanna Biennale passiert im März 2003,zeitgleich mit der Eröffnung der 8. Biennale, alsFidel Castro drei Entführer einer Fähre nach einemSchnellprozess hinrichten und 75 Dissidentenverhaften lässt. Als Reaktion darauf ziehen inter-nationale Sponsoren ihre Gelder zurück23 und vieleKünstler und Kritiker boykottieren seither dieBiennale. Doch trotz dieser Entwicklung ist dieHavanna Biennale bis heute eine der wichtigsten

Institution für zeitgenössische Kunst im lateinameri-kanischen Raum, die maßgeblich die kubanischeKunst seit den 1980er Jahren in der internationalenKunstszene bekannt werden ließ und Kuba zum„cultural leader within the third world“24machte.Erfolg und Struktur der Havanna Biennale habensicherlich dazu beigetragen, dass das ModellBiennale bald von mehr und mehr Ländern an derkulturellen Peripherie aufgegriffen wird.

International Istanbul Biennial

Wie in São Paulo und Sydney entsteht auch dieIstanbul Biennale auf Initiative eines Industriellen,der mit der Biennale auf eine kulturelle Isolationreagiert: Zum 50. Jubiläum der Gründung derTürkischen Republik beginnt Nejat F. Eczacibasi25

1973 zunächst die „Istanbul Foundation for Cultureand Art“ (IFCA), die bis heute Veranstalter undmaßgeblicher Finanzier der 1987 folgendenBiennale ist./ Als Finanz- und Wirtschaftszentrum der Türkei istIstanbul zwar nicht politische Hauptstadt, aberkultureller Mittelpunkt des Landes. Die besondereLage am Bosporus als „Brücke“ zwischen Europaund Asien wird von den künstlerischen Direktorender Istanbul Biennale immer wieder als Metapherund Thema aufgegriffen. Die Stadt als geschichts-trächtiger Ort spiegelt sich auch in der Wahl derAusstellungsorte, das Hagia Eirene Museum, dieYerebatan-Zisterne und der imperialen Mint Complexim Topkapi Palast. Bis zur 9. Edition 2005 lautet dasMotto „Contemporary Art in Traditional Spaces“.Diese Wahl von historischen Bauten für zeitgenössi-sche Kunst macht aus einem Mangel ein Spezifikum,denn damals existieren noch keine Institutionen fürzeitgenössische Kunst.

18) Katalog Sydney-Biennale 2006, S. 6.19) Jutta Guerra Valdes, in: Bildende Kunst 12/1984, S. 568.20) Llilian Llanes, „Die Biennale von Havanna“, in: Das Lied von derErde, Hg. Rene Block, Museum Fridericianum, Kassel 2000, S. 12.21) Presseerklärung zur 10. Edition „Integration and resistance in theglobal age“, http://www.universes-of-universe.de (zuletzt besucht am10. 11. 2008).22) Katalog „5. Biennale von Havanna, Eine Auswahl“, Ludwig Forumfür Internationale Kunst, Aachen, September 1994, S. 9.23) Die holländische Stiftung Prinz Claus und Hivos zogen vier Monatevor der Eröffnung die zugesagte finanzielle Unterstützung zurück.„Den Veranstaltern blieben 156.000,- $ (...) Künstler aus aller Weltjedenfalls haben ihr Scherflein beigesteuert: sie schufen ihre Werkean Ort und Stelle, um Transportkosten zu sparen und am Ende werdensie sie als Geschenke zurücklassen.“ Henky Hentschel, „8. Biennalevon Havanna“, Kunstforum Bd. 168, 2003.24) Dermis P. Leon, Artjournal, Winter 2001.25) Dr. Nejat F. Eczacibasi gründete 1942 die Firma, die heute eineHolding ist mit 37 Firmen, darunter pharmazeutische Erzeugnisse,Bauwerkstoffe, Konsumerprodukte bis Informationstechnologie.Die Familie Eczacibasi ist zudem Gründer des Museums „IstanbulModern“, deren Präsident Oya Eczacibasi ist.

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Paulina OlowskaPeggy Rug, 2005

Istanbul 2005

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Y. Z. KamiKonya, 2005

Istanbul 2005

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Fortaleza de San Carlos de la CabanaHavanna 2006 (Foto: SBV)

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Instead of comparisons of countries, a two-yearly,institutional group exhibition was presentedfor which, in contrast to Venice and São Paulo, apermanent, fixed team was responsible.

Bienal de La Habana

In 1983 the “Bienal de La Habana” was foundedin the República de Cuba on the 25th anniversaryof the revolution, and explicitly conceived as a“biennale of the Third World” – or as a critic in theEast German arts magazine Bildende Kunst de-scribed it for the first edition: “The main concernof the biennale was to bring together progressiveartists from almost all the countries of LatinAmerica and unite them into a firm anti-imperialistfront.”19

/ The foundation of the “Bienal de La Habanna”was a reaction to the cultural isolation of the islandstate as an “answer to the need for a forum fordialogue among artists from the Third World”,20

as Llilian Llanes, long-time director of the WilfredoLam-Center and of the biennale put it./ With the third edition, the strict geographicalnarrowing down to art from Latin America andAsia opened up, but the focus is still on the initiallydetermined region, even if since the resignationof Fidel Castro the curatorial team for the 200910th edition promises an opening up.21 Provocative-ly, the organizers of the third edition in 1989 calledit the “Biennale of the Third World”.22 The fourthedition, in 1991, made its theme the “challenges ofcolonialism” and for the first time also invitedartists from the West, although only those fromethnic minorities or with an immigrant back-ground./ A decisive development in the history of theHavana Biennale happened in March 2003,simultaneously with the opening of the eighthbiennale, when after a quick trial Fidel Castro hadthree hijackers of a ferry executed and 75 dissi-

dents arrested. In reaction, international sponsorswithdrew their funds23 and many artists and criticshave since boycotted the biennale. But despite thisdevelopment, the Havana Biennale remains one ofthe most important institutions for contemporaryart in Latin America, and since the 1980s hasplayed a decisive role in making Cuban art knownin the international arts scene and making Cubaa “cultural leader within the Third World.”24 Thesuccess and the structure of the Havana Biennalehave certainly contributed to the fact that thebiennale model has been taken up by moreand more countries on the cultural periphery.

International Istanbul Biennial

As in São Paulo and Sydney, the Istanbul Biennaledeveloped on the initiative of an industrialist whowas reacting to a cultural isolation: in 1973, on the50th anniversary of the foundation of the Turkishrepublic, Nejat F. Eczacibasi25 started the IstanbulFoundation for Culture and Art (IFCA), whichhas been the organizer and most significant funderof the biennales since 1987./ As the financial and business center of Turkey,Istanbul is, it is true, not the political capital butthe cultural center of the country. The particularlocation on the Bosporus as a “bridge” betweenEurope and Asia is repeatedly taken up as ametaphor and theme by the artistic directors of theIstanbul Biennale. The city as a historic location

also reflects itself in the choice of exhibition sites,the Hagia Eirene Museum, the Yerebatan cisternsand the imperial Mint Complex in the TopkapiPalace. Until the ninth edition in 2005 the mottowas “Contemporary Art in Traditional Spaces”.This choice of historic buildings for contemporaryart made a specific characteristic out of a shortage,because at the time there were no institutions forcontemporary art./ Only with the ninth edition was this choice ofspace broken through. The curators CharlesEsche /Vasif Kortun did indeed entitle this edition“Istanbul”, but rejected an “Istanbulism” that

19) Jutta Guerra Valdes, in: Bildende Kunst 12/1984, p. 568.20) Llilian Llanes, „Die Biennale von Havanna“, in: Das Lied von derErde, Ed. Rene Block, Museum Fridericianum, Kassel 2000, p 12.21) Press release on the 10th edition, “Integration and resistance inthe global age”, http://www.universes-of-universe.de (last visited Oct.11, 2008).22) Catalog, “5. Biennale von Havanna, a selection”, Ludwig Forum fürInternationale Kunst, Aachen, September 1994, p. 9.23) The Dutch Prinz Claus und Hivos foundation withdrew the promi-sed financial support for the Dutch foundation four months before theopening. “$ 156,000 remained for the organizers … artists from all overthe world, however, have contributed their mite: they created theirworks on site, in order to save transport costs, and at the end theywill leave them behind as gifts.” Henky Hentschel, “8. Biennale vonHavanna”, Kunstforum vol. 168, 2003.24) Dermis P. Leon, Artjournal, Winter 2001.25) In 1942 Dr. Nejat F. Eczacibasi founded the company that is now aholding with 37 companies, including pharmaceutical products, buil-ding materials, consumer products and information technology. TheEczacibasi family is the founder of the museum “Istanbul Modern”,whose president is Oya Eczacibasi.

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Julio César MoralesInformal Economy Vendors, 2007Istanbul 2007

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Antrepo, Istanbul 2005

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Antrepo, Istanbul 2005 (Foto: SBV)

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/ Erst zur 9. Edition wird diese Raumwahl durch-brochen. Die Kuratoren Charles Esche /Vasif Kortunbetiteln diese Edition zwar „Istanbul“, wenden sichaber gegen einen „Istanbulism“, der die Vergangen-heit der Stadt zum Zentrum der Wahrnehmungerhebt und positionieren Istanbul als „a real, livedplace and not a label in the race of competingmarketable cities. This biennial is not a tool for sell-ing the city to global capitalism but an agency forpresenting it to its citizens and other with eyes awry.“26

Tapei Biennial

Ende der 1980er Jahre beginnt eine neue Phase in derGeschichte der Biennalen. Die Zäsur ist begründetdurch die Veränderungen im Zuge der Globalisierung.Die politische und wirtschaftliche Liberalisierungvieler Staaten, die Öffnung für internationale Handels-beziehungen und Kapitalverkehr, durch neue Techno-logien beschleunigte Kommunikation und Transport– all diese Aspekte sind mitverantwortlich für denjetzt einsetzenden Boom der Biennale-Gründungen./ 1992 beginnt die Taipeh Biennale als eine der erstenVeranstaltung in Südostasien27. Die kleine Insel vordem chinesischen Festland wird vier Jahrzehnte vonder Kuomintang-Regierung als autoritärer Einpartei-enstaat regiert, bis 1987 das Kriegsrecht aufgehobenund die erste Oppositionspartei gegründet wird.Zusammen mit Singapur, Südkorea und Hong Kong

gehört Taiwan zu den „Tigerstaaten“ und nutzt diewirtschaftliche Situation schon früh für Museums-bauten. Zunächst rein lokal ausgerichtet, findet dieTaipeh Biennale von Anfang an im 1983 errichteten„Taipeh Fine Arts Museum“ statt. Entscheidet zur1. Taipei Biennial 1992 eine Jury über die Teilnahmeder Einreichungen, so steht die folgende Edition1996 unter der Leitung einer Gruppe von Kuratorenaus Taiwan. Zur eigentlich 3. Edition 1998 wirdFumio Nanjo eingeladen, der unter dem Titel „Site ofDesire“ Künstler aus Ostasien auswählt und damitexplizit auf eine Stärkung dieser Region28 zielt./ Diese Edition gilt seither als 1. Edition, so dass „TheSky is the Limit“ im Jahr 2000 unter Jerome Sans undManray Hsu als 2. Edition gezählt wird29. Seither wirdauch das Modell eines lokalen und eines interna-tionalen Kurators beibehalten, was sich auch in denThemen spiegelt, die eine Brücke zwischen lokalenund globalen Herausforderungen schlagen – eine derzentralen Herausforderungen des Formats „Biennale“.Dies wird besonders deutlich in der 6. Edition 2008unter Manray Hsu und Vasif Kortun, die die zen-tralen Problemzonen des jungen Jahrtausend inden Mittelpunkt rücken: Migration, Globalisierung,Mikro-Nationen, Krieg und die Möglichkeiten, daraufund dagegen zu reagieren30. Hier soll Bewusstseins-bildung stattfinden – eine Aufgabe, für die Biennalenin ihrem Spagat zwischen internationalem Anspruchund lokaler Adressierung perfekt geeignet sind.31

Sharjah Biennial

Sharjah ist das drittgrößte der sieben Emirate, dieseit 1972 zu den Vereinigten Arabischen Emiratenzusammengeschlossen sind. Heute verfügt Sharjahüber 32 Museen und gilt als das kulturelle Zentrumder Emirate. Die ersten vier Editionen der 1993gegründeten Sharjah Biennale dienen ausschließlichder regionalen Kunst. Zur 5. Editon 2002 konzipiertdie damals sehr junge Tochter des Scheichs dieBiennale erstmals auf internationalem Niveau.Seit der 7. Edition 2005 steht die Biennale unter derkünstlerischen Leitung von Jack Persekian. Zur 7.Edition wählt Persekian zusammen mit seinem Team(Ken Lum, Tirdad Zolghadr) das Thema „Belonging(Where do I belong?)“32. Aspekte wie Dislokation,

26) Esche /Kortun, „The World is yours“, in: Art, City and Politics inan expanding world, Writings from the 9. Istanbul Biennale 2005 , S. 24.Zur 10. Istanbul Biennale 2007 siehe auch Sabine B. Vogel, http://universes-in-universe.org/deu/nafas/articles/2007/istanbul_bienni-al_2007 (zuletzt besucht am 25. 1. 2009).27) Zwar wird bereits 1975 die Hong Kong Art Biennale und 1981 dieAsian Art Biennale Bangladesh gegründet, aber beide sind im Gegen-satz zur Taipeh Biennale regional ausgerichtet und über die Grenzenhinaus nahezu unbekannt.28) Fumio Nanjo legt zehn Jahre später wiederum den Schwerpunktauf den ostasiatischen Raum, wenn er zur 2. Singapur Biennale vorallem aus dieser Region KünstlerInnen einlädt und auf der Pressekon-ferenz explizit davon spricht, dass die westlich-internationalen Künst-lerInnen in genügend Präsentationen zu sehen seien. Singapur plantzu diesem Zeitpunkt auch ein Museum für südostasiatische Kunst, daserste Museum mit regionalem Schwerpunkt in dieser Region, dessenFertigstellung für 2011 vorgesehen ist. Die gegenüber der 1. Editionbetont regionale KünstlerInnen-Auswahl der 2. Singapur Biennalekann in diesem Zusammenhang gesehen werden.29) Diese Details zur Taipeh Biennale verdanke ich Manray Hsu.30) „Internacional Errorista“ plädiert mit Flugblättern und Bannernim Museumseingang für die Macht der Fehler, Burak Delier setzt sichmit seiner „Counter Attack“ für eine indigene Bevölkerungsgruppe inTaiwan ein, Oliver Ressler stellt eine Ausstellung rund um Anti-Glo-balisierungs-Strategien zusammen und die spanische Künstlergruppe„Democracia“ präsentiert das vier-Kanal-Video Smash the Ghetto.31) Siehe auch Sabine B. Vogel, „6. Taipei Biennale 2008“, in: NZZ,22. 9. 2008.32) Eine ausführliche Besprechung der 7. Sharjah Biennale sieheSabine B. Vogel, http://www.artnet.de/magazine/authors/index.asp(zuletzt besucht am 25. 1. 2009).

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Marjolijin DijkmanLost in the Future, 2007Sharjah 2007

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Taipei Fine Arts MuseumTaipei 2008 (Foto: SBV)

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Sharjah Biennial

Sharjah is the third largest of the seven emirates,which since 1972 have made up the United ArabEmirates. Today, Sharjah has 32 museums and isconsidered the cultural center of the Emirates. Thefirst four editions of the Sharjah Biennale, foundedin 1993, exclusively served regional art. For thefifth edition, in 2002, the then very young daughterof the sheik conceived the biennale for the firsttime at an international level. Since the seventhedition, in 2005, the biennale has been under theartistic direction of Jack Persekian. For the seventhedition, Persekian and his team (Ken Lum, TirdadZolghadr) chose the theme “Belonging (Where do Ibelong?)”.32 Aspects such as dislocation, diaspora,emigration, belonging and exclusion were taken upby the 69 artists. With the theme “Environment, artand ecology”, the eighth edition, too, again took upa central aspect of the context to which Persekianand his team33 explicitly invited 79 artists toproduce suitable contributions for this biennale./ Here it becomes clear that the biennale today nolonger serves to present countries and to encouragenational competition but as a means of analysisand change of existing circumstances. Thuslectures by international specialists that areexplicitly addressed to students and the local

focused on the city’s past and positioned Istanbulas “a real, lived place and not a label in the race ofcompeting marketable cities. This biennial is nota tool for selling the city to global capitalism but anagency for presenting it to its citizens and otherwith eyes awry.”26

Taipei Biennial

At the end of the 1980s a new phase in the historyof the biennales began. The caesura was basedin the changes in the course of globalization. Thepolitical and economic liberalization of manycountries, the opening up for international tradingrelations and movement of capital, the accele-rated communication and transport as a result ofnew technology – all these aspects were jointlyresponsible for the enormous boom in biennalefoundations./ In 1992 the Taipei Biennale started as one of thefirst events in South East Asia.27 Taiwan, the smallisland off the Chinese mainland had been ruledfor four decades by the Kuomintang regime as anauthoritarian one-party state, until martial law waslifted in 1987 and the first opposition party was setup. Together with Singapore, South Korea and HongKong, Taiwan was one of the “Tiger states” andeven early on used the economic situation formuseum building. Initially purely locally oriented,from the beginning the Taipei Biennale was held inthe “Taipei Fine Arts Museum”, built in 1983. Atthe first Taipei Biennale, in 1992, a jury decided onthe participation of the institutions, the followingedition in 1996 was under the direction of a groupof curators from Taiwan. Fumio Nanjo was invitedto the chronologically third edition, which underthe title “Site of Desire” selected artists fromeastern Asia and thereby explicitly aimed at thestrengthening of this region.28

/ Since then this has counted as the first edition,so that “The Sky’s the Limit” in 2000 under JeromeSans and Manray Hsu is counted as the secondedition.29 Since then the model of one local andone international curator has been retained, whichis reflected in the themes that build a bridgebetween local and global challenges, one of themain challenges of the biennale format. Thisbecame particularly clear in the sixth edition, in2008, under Manray Hsu and Vasif Kortun, whofocused on the main problem areas of the newmillennium: migration, globalization, micro-nations,war and how to react to them.30 This is whereconsciousness-building is to take place – a task forwhich biennales with their splits between interna-tional demands and local focus are perfectlysuited.31

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26) Esche/Kortun, “The World is Yours”, in: Art, City and Politics in anExpanding World, Writings from the 9th Istanbul Biennale 2005 , p. 24.On the 10th. Istanbul Biennale 2007 see also Sabine B. Vogel, http://universes-in-universe.org/deu/nafas/articles/2007/istanbul_bienni-al_2007 (last visited on Jan. 25, 2009).27) True, the Hong Kong Art Biennale had been founded in 1975and the Asian Art Biennale in Bangladesh in 1981, but in contrast tothe Taipei Biennale they were both regionally oriented and almostunknown beyond their borders.28) Ten years later, on the other hand, Fumio Nanjo put the emphasison the East Asian area, when he invited artists primarily from thisregion to the 2nd Singapore Biennale and at the press conferenceexplicitly said that there were enough presentations where western-international artists could be seen. At the moment Singapore is alsoplanning a museum for South East Asian art, the first museum with aregional focus in this region, whose completion is envisaged in 2001.The emphasis of the 2nd Singapore Biennaleon selecting regionalartists, in contrast to the 1st edition, can be seen in this context.29) Thanks are due to Manray Hsu for these details on the TaipeiBiennale.30) With leaflets and banners in the museum entrance “InternacionalErrorista” appealed for the power of errors. With his “Counter Attack”Burak Delier championed an indigenous population group in Taiwan,Oliver Ressler composed an exhibition around anti-globalizationstrategies and the Spanish artists’ group “Democracia” presented thefour-channel video Smash the Ghetto.31) See also Sabine B. Vogel, “6.Taipei Biennale 2008”, in: NeueZüricher Zeitung, Sept. 22, 2008.32) For an extensive discussion of the 7th Sharjah Biennale seeSabine B. Vogel, http://www.artnet.de/magazine/authors/index.asp(last visited on Jan. 25, 2009).33) Eva Scharrer, Jonathan Watkins, Mohammed Kazem.

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Amal KenawyNon Stop Conversation, 2007Sharjah 2007

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Andres Lutz / Anders GuggisbergPopulation, 2007Sharjah 2007

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Sharjah Arts MuseumSharjah 2007 (Foto: SBV)

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Diaspora, Emigration, Dazugehörigkeit bzw. Ausge-schlossensein werden von den 69 KünstlerInnenaufgegriffen. Auch die 8. Edition 2007 greift mit demThema „Environment, art and ecology“ („Kunst,Ökologie und die Politik der Veränderungen“) wiedereinen zentralen Aspekt des Kontextes auf, zu demPersekian mit seinem Team33 die 79 KünstlerInneneinladen, ihre Beiträge explizit für diese Biennale zuproduzieren./ Hier wird deutlich, dass die Biennale heute längstnicht mehr zur Länderpräsentation und nationalemWettbewerb dient, sondern als Mittel zur Reflexionund Veränderung bestehender Zustände. So beglei-ten auch Vorträge von internationalen Spezialistendie Ausstellungen in Sharjah, die explizit an dieStudenten und die lokale Bevölkerung adressiertsind. Und ein weiteres Potential von Biennalen wirdin Sharjah deutlich, wenn etwa zur 8.Edition 2007eine „verbotene“ Insel wieder der Öffentlichkeitzugänglich gemacht wird: Die Ausstellungen dienendazu, gesellschaftliche Freiheiten einzufordern undVeränderungen zu initiieren.

Gwangju Biennale

Beginnen Taipeh und Sharjah als regionale Ausstel-lungsforen, so ist die 1995 gegründete GwangjuBiennale 330 km südlich von Seoul in Südkoreadezidiert als politisches Marketing-Instrument mitinternationaler Wirkung konzipiert. Die Kunstaus-stellung soll dazu dienen, den beschädigten Rufder Stadt zu verbessern und der Erinnerung an dasMassaker von 1980 ein positiv besetztes Ereignis zurSeite zu stellen. 1980 demonstrierten Studentengegen das Militärregime, forderten freie Präsidenten-wahlen und mehr Demokratie, was vom Militär brutalniedergeschlagen wurde. Erst 1992 erhält Gwangjueine bürgerliche Regierung./ Der Wunsch, die politische und kulturelle Isolationzu durchbrechen, von dem so viele Biennale-Grün-dungen getragen sind, wird auch in Südkorea aus-gesprochen: als Hoffnung „to create a balancedhistory of East and West, to create an active AsianCulture in the 21th century and to form a culturalcommunity in the Pacific Rim“34 ./ Die 1. Biennale 1995 ist das erste internationalorientierte Kunstfestival im asiatischen Raum, dadie vorausgehenden wie die Taipeh Biennale und die1993 gegründete Asia Pacific Triennale Anfangsausschließlich auf die Region konzentriert sind. Mitdem außergewöhnlich hohen Budget von 23 Mio. $35

präsentiert die 1. Gwangju Biennale 1995 eine sowohlkunsthistorisch als auch zeitgenössisch konzipierteAuswahl. In der zentralen Ausstellung wird „Kunstals Widerstand“ gezeigt, einerseits westliche Tenden-zen politischer Kunst andererseits die koreanische

Entsprechung: „Minjoong“ (People’s Art) unter demTitel „The Spirit of Kwangju: Resistance in May“.„Minjoong“ ist ein „protest art movement“, dasaufgrund des Gwangju Massakers 1980 entstand. Die660 KünstlerInnen aus 60 Ländern mit 1228 Werkenunter dem Titel „Beyond the Borders“36werden von1.6 Millionen BesucherInnen gesehen. Zur 2. Edition1997 unter dem Thema „Unmapping the Earth“ mit11 Mio. Dollar-Budget kommen noch immer 900.000Besucher – im Vergleich: Die Documenta 1997 inKassel sehen 631 000 Besucher. Die 4. Edition unterden Kuratoren Hou Hanru und Charles Esche findeterstmals nicht ausschließlich in der „Biennale Halle“statt, sondern auch in einem ehemaligen Militär-gefängnis, in dem verdächtige Bürger während derMilitärdiktatur von 1962 bis 1987 eingesperrt waren.Seither wird das Haus als Erinnerungsort an dasMassaker genutzt./ Erinnerungsarbeit ist immer wieder ein zentralesThema vieler Biennalen. Elf Jahre nach der Gründungdreht die Direktorin Kim Hong-hee37 diese Ausrich-tung allerdings um und richtet den Blick auf dieZukunft: „Fever Variations“ lautet der Titel und meinteine sich ausbreitende Re-Interpretation der inter-nationalen, zeitgenössischen Kunst aus asiatischerSicht. Im Bewusstsein des überaus komplexenKontinents mit vielfältigsten Kulturen schlägt dieBiennale zwei Perspektiven vor: Das traditions-bewusste Asien und das kosmopolitische Asien – dieAusstellung führt uns auf einen Parcours zwischenGöttern und Mythen, Werken zur Migration undabschließender Kritik am damaligen Hegemon USA38.

Shanghai Biennale

Auch die Shanghai Biennale beginnt 1996 zunächstnational, zeigt traditionelle chinesische Öl-, dannTusch- und Aquarellmalerei.39 Seit der 3. Edition 2000ist die Ausstellung international ausgerichtet, dasThema der Veranstaltungen allerdings bleibt bisheute national: China. Die Biennale dient dabei einerSelbstvergewisserung im Aufeinandertreffen mitnicht-chinesischer Kunst.

/ Der Gründung geht eine vorsichtige wirtschaftlicheund politische Öffnung Chinas voraus. Zum XIV.Parteitag am 18. 10. 1992 beschließt die Kommunis-tische Partei eine sozialistische Marktwirtschaft mitwirtschaftlicher Öffnung, Förderung ausländischerInvestoren und in Folge einer Dezentralisierungadministrativer Kompetenzen. Damit sind die Grund-lagen auch für eine Öffnung in der zeitgenössischenKunst gelegt, was sich an Überblicksausstellungenchinesischer Gegenwartskunst imWesten ablesenlässt: „China Avantgarde“ (Haus der Kulturen derWelt, Berlin 1993), „China!“ (Kunstmuseum Bonn1996) und „Die Hälfte des Himmels“ (FrauenMuseumBonn 1998). Zur Lyon Biennale 1997 lädt HaraldSzeemann erstmals einige Künstler auf eine interna-tionale Biennale und zur 48. Biennale Venedig 1999zeigt der Schweizer Kurator prominent achtzehnKünstler in der Gruppenausstellung „d’Apertutto“im Arsenale. Im darauf folgenden Jahr wird die 3.Shanghai Biennale unter der Leitung von Hou Hanru,Li Yu, Toshio Shimizu und dem bis heute verantwort-lichen Zhang Qing international – und beendet damit

33) Eva Scharrer, Jonathan Watkins, Mohammed Kazem.34) zit. nach: Jason Edward Kaufmann, The Art Newspaper, London,1995, S. 9.35) Im Vergleich: Die Venedig-Biennale hat 1997 unter GermanoCelant ein Budget von 4,6 Mio. Dollar, die 2. Moskau Biennale 2007verfügt über 4 Mio., wovon die Hälfte durch Sponsoren aufgebrachtwird, und die 1. Athen-Biennale 2007 wird mit 1,3 Mio. Euro organisiert.36) Weitere Ausstellungsblöcke sind „Info Art“ (Kuratoren Nam JunePaik und Cynthia Goodman), eine Videoausstellung (Kurator StephenVitiello) und von weiteren sieben Kuratoren zusammengestelltePräsentationen.37) Im Kuratorenteam der 7. Gwangju-Biennale 2006 sind Wu Hung(Professor am Center for the Art of East Asia in Chicago), BinghuiHuangfu aus Sydney und Shaheen Merali (Kurator am Berliner Hausder Kulturen), Ko-Kuratoren sind Jee-sook Beck (Kunstkritiker undKurator Seoul), Cristina Ricupero (ehemalige Kuratorin des NordicInstitute for Contemporary Art, Helsinki), Chris Gilbert (Kurator desBaltimore Museum of Art), Cira Paxcual Marquia (künstlerischerDirektor und Kurator am Contemporary Museum, Baltimore).38) Vgl. Sabine B. Vogel, „6. Gwangju Biennale“, in: NZZ, Zürich,16. 10. 2006.39) Die Gründung der Shanghai-Biennale geht auf die Initiative vonFang Zengxian zurück, Direktor des Shanghai Art Museums seit 1983und selbst Meister der Tuschemalerei.

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Chen WenlingValiant Struggle No. 1Shanghai 2006

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Shanghai Art MuseumShanghai 2006

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Gerda Steininger & Jörg LenzlingerShanghai 2006

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the previous ones, like the Taipei Biennale and theAsia Pacific Triennale, founded in 1993, wereinitially exclusively oriented on the region. Withthe exceptionally high budget of $ 23 mill.,35 thefirst Gwangju Biennale, in 1995, presented both arthistory as well as a contemporary selection. In themain exhibition, “art as resistance” was displayed,on the one hand Western trends in political art, onthe other hand the Korean equivalent, “Minjoong”(People’s Art) under the title “The Spirit ofGwangju: Resistance in May”. “Minjoong” is a“protest art movement” that was triggered by theGwangju massacre in 1980. The 660 artists from 60countries with 1228 works under the title “Beyondthe Borders”36 were seen by 1,6 million visitors.900 000 visitors still came to the second edition, in1997, under the theme “Unmapping the Earth” withan $ 11 mill. budget. By comparison, 631 000visitors saw the 1997 Documenta in Kassel. Thefourth edition, under the curators Hou Hanru andCharles Esche for the first time did not take placeexclusively in the “Biennale Hall” but also in aformer military prison in which suspect citizenswere imprisoned during the military dictatorshipfrom 1962 to 1987. Since then the house has beenused as a memorial site for the massacre./ Remembrance work is still a central theme ofmany biennales. Eleven years after its foundation,however, the director Kim Hong-hee37 reversed thistrend and turned the attention to the future: the

title was “Fever Variations” and meant a spreadingreinterpretation of international contemporary artfrom an Asiatic perspective. In awareness of thisthoroughly complex continent with the mostdiverse cultures, the biennale put forward twoperspectives: the Asia that is aware of its traditionsand the cosmopolitan Asia – the exhibition led usto a course between gods and myths, works onmigration and concluding criticism of the thenhegemonic power, the USA.38

Shanghai Biennale

The Shanghai Biennale in 1996 also initiallystarted nationally, showed traditional Chinese oil,ink and watercolor painting.39 Since the thirdedition, in 2000, the exhibition has been interna-tionally oriented, but the theme of the event stillremains national: China. The biennale therebyserves as a reassurance in the contact with non-Chinese art./ The foundation was preceded by a cautiouseconomic and political opening up. At the 14thparty congress on October 18, 1992, the CommunistParty decided on a socialist market economy witheconomic opening up, promotion of foreign invest-ment and consequently a decentralization of admin-istrative powers. The basis was thereby also laidfor an opening up of contemporary art, which canbe read in the overview exhibitions of Chinesecontemporary art in the West. “China Avant-Garde”(Haus der Kulturen der Welt, Berlin 1993), “China!”(Kunstmuseum Bonn 1996) and “Die Hälfte desHimmels” (FrauenMuseum Bonn 1998). At the 1997Lyon Biennale, Harald Szeemann for the first timeinvited some artists to an international biennale,and at the 48th Venice Biennale, in 1999, the Swiss

population accompany the exhibitions in Sharjah.And a further potential of biennales also becomesclear in Sharjah, when for example for the eighthedition, in 2007, a “forbidden” island was madeaccessible to the public: the exhibitions served todemand social freedoms and initiate changes.

Gwangju Biennale

If Taipei and Sharjah started as regional exhibitionforums, then the Gwangju Biennale, founded in1995 330 km south of Seoul in South Korea, wasfirmly conceived of as a political marketing instru-ment with an international effect. The art exhibitionwas to serve to improve the damaged reputation ofthe city and to put a positive experience next to thememory of the 1980 massacre. In 1980, studentsdemonstrated against the military regime, demand-ed free presidential elections and more democracy,and were brutally crushed by the military. Onlyin 1992 did Gwangju get a civilian government./ The desire to break out of political and culturalisolation, which underlies the foundation of somany biennales, was also expressed in SouthKorea: as the hope “to create a balanced history ofEast and West, to create an active Asian Culture inthe 21st century and to form a cultural communityin the Pacific Rim.”34

/ The first biennale, in 1995, was the first inter-nationally oriented art festival in the Asian area, as

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34) quoted after: Jason Edward Kaufmann, The Art Newspaper,London, 1995, p. 9.35) By comparison, the 1997 Venice Biennale under Germano Celanthad a budget of $ 4,6 mill., the 2nd Moscow Biennale, 2007, had$ 4 mill., half of which came from sponsors, and the 1st AthensBiennale, 2007, was orgainsed with $ 1,3 mill.36) Further exhibition blocks were “Info Art” (curators Nam June Paikand Cynthia Goodman), a video exhibtion (curator Stephen Vitiello)and presentations put together by a further seven curators.37) In the curator team of the 7th Gwangju Biennale, 2006, wereWu Hung (Professor at the Center for the Art of East Asia in Chicago),Binghui Huangfu from Sydney and Shaheen Merali (curator at theBerlin Haus der Kulturen), co-curators were Jee-sook Beck (art criticand curator from Seoul), Cristina Ricupero (former curator of theNordic Institute for Contemporary Art, Helsinki), Chris Gilbert (curatorof the Baltimore Museum of Art), Cira Paxcual Marquia (artistic direc-tor and curator of the Contemporary Museum, Baltimore).38) cf. Sabine B. Vogel, “6. Gwangju Biennale”, in: Neue ZüricherZeitung, Zürich, Oct. 16, 2006.39) The foundation of the Shanghai Biennale goes back to an initiativeby Fang Zengxian, director of the Shanghai Art Museum since 1983and himself a master of ink painting.

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Gwangju Biennale HallGwangju 2006 (Foto: SBV)

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auch im eigenen Land die Marginalisierung chine-sischer Gegenwartskunst./ Die Shanghai Biennale befragt immer wieder dieeigenen Traditionen, wenn etwa die 6. Edition 2006„Hyperdesign“ betitelt ist: eine Wortneuschöpfung,die als Wegweiser Richtung Zukunft mit historischenWurzeln verstanden sein will. Zur 7. Edition 2008steht Shanghai selbst zur Debatte. Die „große Welt“wird diese Stadt in China genannt. 85% der 20Millionen Einwohner kommen aus dem ländlichenChina, Tendenz rapide steigend. Unter dem Titel„Translocalmotion“ thematisieren Zhang Qing, JulianHeynen und Henk Slager die Stadt als Problemzone.Ursprünglich mit Werken im öffentlichen Raumgeplant, können dann doch nur wieder einige Bei-träge rund um das Museum platziert werden – derangrenzende Park „People s Square“ wird nichtfreigegeben. Erstmals werden auch Beiträge prä-sentiert, die sich kritisch-dokumentarisch mit derAlltagswelt in China beschäftigen, wenn YangShaobin das Leben von Minenarbeitern filmt oderZhang Weijie die Menschenmengen thematisiert, diealljährlich während der „Spring Rush“ von ihrenWohnsitzen zurück in ihre Heimatdörfer reisen40. ImGespräch über seine Erfahrungen als Kurator der7. Edition merkt Julian Heynen an: „Wenn man in dengroßen Zeiträumen einer Biennale denkt, dann merktman, das eine Öffnung da ist, die auch ausdrücklichnach kritischer Kunst verlangt – wobei natürlich

immer eine Ausgewogenheit zwischen ,kritischer‘und ,neutraler‘ Kunst herrschen soll, wie das diechinesischen Kollegen nennen.“41

Manifesta

Wie in Asien so beginnen auch in Europa einige derNeugründungen als nationale bzw. regionale Foren.Die Lyon Biennale 1991 zur Neu-Positionierung derehemaligen Industriestadt mit nahezu ausschließlichfranzösischen KünstlerInnen, die „Triennale zeitge-nössischer Kunst Oberschwaben“ am Bodensee 1996oder die „Periferic Biennale“ 1997 in Iasci, Rumänien,ein zunächst nur wenige Tage dauerndes, regionalesPerformance-Festival – die Globalisierung förderteine deutliche Betonung des Lokalen. Von beson-derem Interesse ist dabei die „Manifesta“ als erste„europäische“ Biennale./ Von Anfang an zielt die Manifesta darauf, „totransgress the existing regional, social, linguistic andeconomic barriers in Europe.“ Während die Dach-Organisation in Holland stationiert bleibt, wird jedeEdition in einer anderen Region Europas, von eineranderen Stadt veranstaltet und finanziert – ein„nomadic, pan-European event“, wie es im „Founda-tion Manifest“42 heißt. Einem jeweils neu berufenenTeam von drei KuratorInnen obliegt die Aufgabe,junge Kunst mit besonderer Betonung von Osteuropabzw. aus der europäischen Peripherie auszuwählen.

Die Manifesta soll den Pluralismus der zeitgenös-sischen Kunst betonen und vor allem „exemplify theimportant role that young artists can play in helpingto make the new Europe a more exciting and cultural-ly diverse place in which to live.“ (Statement of theAdvisory Board of Manifesta, Summer 1994)/ Die 1. Manifesta findet im Sommer 1996 in Rotter-dam statt, es folgen Luxembourg, Ljubljana, Frank-furt /M., San Sebastian /Bilbao und 2008 Trentino,Südtirol. Die 5. Edition wird in Nikosia (Zypern)vorbereitet, aber noch vor der Eröffnung von dergriechischen Regierung gekündigt, da der Aufbaueiner Akademie im von der Türkei besetzten Teil derInsel einer Anerkennung der politischen Verhältnissegleichkomme, und dies auch dann, wenn die Aka-demie wie eine Ausstellung nur temporär eingerich-tet wird./ In die Manifesta wird immer wieder die Hoffnunggesetzt, eine kulturelle Identität Europas zu erzeugenoder bekräftigen. Aber anders als in der ersten Phaseder Biennalen steht jetzt keine junge Nation hinterder Gründung, sondern eine Region, noch dazu eine,die sich einhundert Jahre zuvor erst in viele, teilswillkürlich zusammengefügte Nationen ausdifferen-ziert hatte und jetzt neu zusammengefügt auftritt.

40) Vgl. Sabine B. Vogel, „7. Shanghai Biennale“, in: Die Presse, Wien,19. 9. 2008.41) Vgl. „Kunst-Interview“ mit Julian Heynen, geführt von Sabine B.Vogel, September 2008, unter http://www.kunstundbuecher.at .42) http://www.manifesta.org/index.asp?m=ifm (zuletzt besucht am11. 10. 2008).

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Johannes VoglFünf Monde, 2008Trentino 2008

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Philip RahmClimate Uchornia, 2008Trentino 2008

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accommodation in the city back to their homes inthe villages every year during the “spring rush”.40

In discussing his experiences as curator of theseventh edition, Julian Heynen remarked: ”If onethinks in the large timescales of a biennale, thenone notices that an opening up is there that expres-sly demands critical art – although naturally thereshould also be a balance between ‘critical’ and‘neutral’ art, as the Chinese colleagues express it.”41

Manifesta

As in Asia, so in Europe some new foundationsbegan as national or regional forums. The 1991Lyon Biennale for the re-positioning of the formerindustrial city with almost exclusively Frenchartists, the “Oberschwaben triennale of contem-porary art” on Lake Constance in 1996 or the“Periferic Biennale” in 1997 in Iasci, Romania, aregional performance festival initially lasting onlya few days – globalization encouraged a clearemphasis on the local. Of particular interest hereis the “Manifesta” as the first “European” biennale./ From the start the Manifesta aimed “to trans-gress the existing regional, social, linguistic andeconomic barriers in Europe.” Whereas the umbrellaorganization remained in Holland, each edition isorganized and financed by a different city in adifferent region of Europe – a “nomadic, pan-

European event”, as it is called in the “FoundationManifesto”.42 Each time, a newly appointed team ofthree curators each time is obliged to choose youngart with particular emphasis on eastern Europeor from the European periphery. The Manifesta issupposed to emphasize the pluralism of contemporary art and above all to “exemplify the importantrole that young artists can play in helping to makethe new Europe a more exciting and culturallydiverse place in which to live.” (Statement of theAdvisory Board of Manifesta, Summer 1994)/ The first Manifesta took place in Rotterdam inthe summer of 1996, followed by Luxembourg,Ljubljana, Frankfurt /M., San Sebastian /Bilbaoand in 2008 Trentino, South Tyrol. The sixth editionwas being prepared in Nicosia (Cyprus), but beforethe opening the Greek government cancelled it, asthe building of an academy in the Turkish-occupiedpart of the island would be equivalent to a recog-nition of the political situation, even if the academywere to be established only temporarily like anexhibition./ The hope of creating or strengthening a Europe-an cultural identity has always been invested inthe Manifesta. But in contrast to the first phase ofthe biennales, there is no young nation behind thefoundation but a region, and on top of that one thatonly a hundred years previously differentiateditself into partly arbitrarily composed nations andis now presenting itself joined together in a newform. As a currency and economic community witha coordinated foreign and security policy, however,Europe is still awaiting a common cultural policy –a deficit that can indeed be highlighted by an artexhibition but not cushioned. In contrast to SouthEast Asia with the Asia Pacific Triennale, the

curator showed 18 artists in a prominent positionin the “d’Apertutto” exhibition in the Arsenale.In the following year the third Shanghai Biennaleunder the direction of Hou Hanru, Li Yu, ToshioShimizu and the still responsible Zhang Qingbecame international, and in the process alsoended the marginalization of Chinese contempo-rary art in its own country./ The Shanghai Biennale has repeatedly scruti-nized its own traditions, when for example thesixth edition, in 2006, is entitled “Hyperdesign”, aneologism that wants to be understood as a pointertowards the future with historical roots. In theseventh edition, in 2008, Shanghai put itself up fordebate. In China this city is called the “big world”.85 per cent of its 20 million inhabitants come fromrural China, a trend that is rising rapidly. Underthe title “Translocalmotion”, Zhang Qing, JulianHeynen and Henk Slager focused on the theme ofthe city as a problem area. Originally planned withworks in public space, only a few contributionscould then be placed around the museum – permis-sion to use the adjoining park, “People’s Square”,was not given. For the first time contributions werealso presented that concerned themselves in acritical documentary way with the everyday worldin China, for example when Yang Shaobin filmedthe life of mineworkers or Zhang Weijie takes as atheme the masses of people who travel from their

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40) cf. Sabine B. Vogel, “7. Shanghai Biennale”, in: Die Presse,Vienna, Sept. 19, 2008.41) cf. “Kunst-Interview” with Julian Heynen, by Sabine B. Vogel,September 2008, at http://www.kunstundbuecher.at.42) http://www.manifesta.org/index.asp?m=ifm (last visited onOct. 11, 2008).

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Patrick TuttofuocoBMX-Y, 2004San Sebastian 2004

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Paola PiviE, 2001San Sebastian 2004

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Micol AssaëlMindfall, 2004San Sebastian 2004

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Jan De CockDenkmal # 2San Sebastian 2004

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Als Währungs- und Wirtschaftsgemeinschaft mitkoordinierter Außen- und Sicherheitspolitik stehtin Europa allerdings bis heute eine gemeinsameKulturpolitik aus – ein Mangel, der durch eineKunstausstellung zwar verdeutlicht, aber nichtaufgefangen werden kann. Anders als in Südost-asien mit der Asia Pacific Triennale gelingt esder Manifesta nicht, eine „europäische Kunst“ zubehaupten, eine kulturelle Identität der Region zuschaffen, zu initiieren.

Moscow Biennale

Ähnlich wie in Gwangju dient auch die MoskauBiennale vorrangig politischen Zwecken: der Demon-stration von Demokratietendenzen und politischerMacht. So heißt es im Pressetext: „And finally, thisbiennale would become the next step in developingthe image of Moscow as one of the world’s majorcultural capitals, as well as to satisfy the verydifferent economic, political and geopolitical inter-ests of Russia.“/ Nachdem 1962 nach dem Eklat, den abstrakteBilder auf einer Ausstellung in der Moskauer Manegeauslösten, eine Trennung zwischen offizieller, d.h.geförderter, und inoffizieller Kunst erklärt wurde,befinden sich russische Künstler für Jahrzehnte imWiderstand. Den Non-Konfirmisten steht keinerleistaatliche Unterstützung zur Verfügung, keineAusstellungsmöglichkeiten und keine soziale Einbin-

dung. Im Zuge der Perestroika wird die Kunst zwarvon ihrer konsequent-ideologischen Vereinnahmungbefreit, aber erst mit der „neuen Elite“, zu denenauch Kunstsammler gehören, findet eine deutlicheVeränderung statt. Nach den Jahren der kulturellenIsolation, in denen zeitgenössische Künstler faktischin der russischen Gesellschaft nicht existent warenund Institutionen für junge Kunst keine Förderungenerhielten, steht mit der Moskau Biennale plötzlich einBudget von 2,5 Mio. Euro und ein enormes Medien-interesse bereit. Diese unerwartete Situation wirdwährend der 1. Edition oft und heftig als politischeVereinnahmung kritisiert. In der sowjetischen Zeit seidie Kultur oft als Gegengewicht zur Politik wahr-genommen worden. Heute dagegen sei Kunst einSpielball der Politik und ein Lifestyle-Moment nochdazu, wie Julia Axjonowa schreibt: „Die zeitgenös-sische Kunst ist in Russland in Mode gekommen.Kunstwerke werden als Designelemente auf diversenPräsentationen verwendet. Ausstellungen findenoft in angesagten Restaurants, Klubs und Geschäftenstatt.“43

/ Ist die Hauptausstellung der 1. Edition 2005 imgeschichtsträchtigen Kontext des ehemaligen LeninMuseums am Roten Platz lokalisiert, so spiegeltdie 2. Edition unter dem Titel „Footnotes on Geo-politics, Markets and Amnesia“ den nächsten Schrittin erstaunlicher Konsequenz: Die fünf offiziellenAusstellungen mit über 100 KünstlerInnen aus 35Ländern finden auf zwei Baustellen statt, in der

halbfertigen 19. und 20. Etage des Federation Towerund im obersten Stock des Nobelkaufhaus „Tsum“.Der Weg zur Ausstellung führt durch 3 EtagenKaufhaus, in der obersten Etage wird rund um dieAusstellung – mit provisorischen Wänden abge-trennt – weitergebaut. Symbolträchtiger sind Ortekaum zu wählen: Das neue, reiche Russland imRohbau oder auch „Reaching for New Heights“,wie es die Gratiszeitung „The Moscow Times“ am2. 3. 2007 übertitelte./ Zeitgleich mit den beiden Hauptorten finden mehrals 30 Parallelausstellungen statt, etwa in einerehemaligen, ebenfalls in der Rohbauphase befind-lichen Weinfabrik östlich vom Stadtzentrum, in demein Galerie-Viertel entsteht44 . Mit der 2. MoskauBiennale wird die geballte Autorität dieses zweijähr-lichen Ausstellungsformates deutlich. Biennalen sindHoffnungsträger und Reibungsflächen, sind Zugpferdund Krone zugleich, müssen einen befriedigendenSpagat zwischen einer nationalen und der internatio-nalen Kunstszene schaffen, legen oft den Grundsteinfür eine neue Infrastruktur aus Galerien und Projekt-räumen, sind hochoffiziell und staatliches Aushänge-schild und sollen auch rebellisch sein.

Singapore Biennale

Auch die Singapur Biennale geht auf eine politischmotivierte Gründung zurück. Ähnlich wie Moskauwill sich auch der kleine, repressive Stadtstaat mit 4Mio. Einwohnern zwischen Malaysia und Indonesienals weltoffenes und tolerantes Regime präsentieren./ Singapur, am 9. August 1965 unabhängig erklärt,verfügt heute über den zweitgrößten Hafen weltweitund gilt als „Schweiz des Fernen Osten“, ist dieBanken-Metropole in Asien und zeichnet sich durcheine friedlich miteinander lebende, multireligiöse Ge-sellschaft aus. Da für die zeitgenössische Kunst kaumkommerziellen oder institutionellen Ausstellungs-möglichkeiten vorhanden sind, erwägen die lokalenKünstler und Kunstkritiker bereits seit 2002 dieGründung einer Biennale45 . Aber erst ein konkreterAnlass motiviert die Regierung im Jahr 2006, Gelderfür die Kunstausstellung bereit zu stellen: Im Herbst2006 treffen sich in Singapur die Vorstände desInternationalen Währungsfonds und der Weltbank./ Singapur ist stimmberechtigtes und einzahlendes,also nicht kreditnehmendes Mitglied. Als nahezu

43) Julia Axjonowa, „Eine (kulturelle) Explosion im Leninmuseum“,in: http://www.russlandonline.ru/mos0010 (zuletzt besucht am10. 11. 2008).44) Vgl. Sabine B. Vogel, http://www.artnet.de/magazine/authors/index.asp (zuletzt besucht am 25. 1. 2009).45) Lee Wenig Choy erwähnt in seinem Beitrag „Calibrated Expecta-tions“ in Broadsheet , Vol. 35, No. 3 (2006), dass er bereits 2002 überdiese Überlegungen berichtete.

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Town HallSingapur 2008 (Foto: SBV)

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Agus Suwage & TitarubiCrossroad

Singapore 2006

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Dan PerjovschiMoskau 2007

(Foto: Moskau Biennale)

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new art received no support, with the MoscowBiennale there was suddenly a budget of $ 2.5 mill.and an enormous media interest. During the firstbiennale this unexpected situation was often andvigorously criticized as political monopolization.In the Soviet period, culture was often seen as acounter-balance to politics. Today, on the otherhand, art has become a plaything of politics and alifestyle element as well. As Julia Axjonowa writes:“Contemporary art in Russia has become fashion-able. Art works are used as design elements atvarious presentations. Exhibitions often take placein fashionable restaurants, clubs and shops.”43

/ If the main exhibition of the first edition, in 2005,took place in the historical context of the formerLenin Museum near Red Square, then the secondedition, under the title “Footnotes on Geopolitics,Markets and Amnesia”, reflected the next step inan astonishing consequence: the five officialexhibitions with more than 100 artists from 35countries took place on two building sites, on thesemi-finished 19th and 20th floors of the FederationTower and on the top floor of the up-market Tsumdepartment store. The route to the exhibition tookyou up through three floors of the store, and onthe top floor the exhibition was separated off bytemporary partition walls. It was hardly possible tochose more symbolic locations: the new rich Russiain the construction shell or also “Reaching for New

Heights”, as it was headlined in the free newspaperThe Moscow Times on March 2, 2007./ Simultaneously with the two main sites, morethan 30 parallel exhibitions took place, for examplein a former wine factory, likewise under construc-tion, east of the city center, were a gallery quarteris developing.44 With the second Moscow Biennalethe mounting authority of this two-year exhibitionformat became clear. Biennales are the great whitehopes and points of friction, crowd-pullers andcrowning glory at the same time, have to success-fully do the splits between a national and aninternational art scene, often lay the foundationstone for a new infrastructure of galleries andproject rooms, are highly official and state adver-tisements and are also supposed to be rebellious.

Singapore Biennale

The Singapore Biennale also goes back to a politi-cally motivated foundation. Similar to Moscow, thesmall, repressive city state with four millioninhabitants between Malaysia and Indonesia alsowanted to present itself as an outward-looking andtolerant regime./ Singapore, declared independent on August 9,1965, today has the second largest port in the worldand is considered to be the “Switzerland of the FarEast”, as it is the banking metropolis of Asia. It ischaracterized by a peacefully coexisting, multi-reli-gious society. As there were hardly any commercialor institutional exhibition possibilities for contem-porary art, the local artists and art critics had beenconsidering establishing a biennale since 2002.45

But only a specific occasion motivated the govern-ment to make funds available for the art exhibitionin 2006: in autumn that year the boards of theInternational Monetary Fund and the World Bankmet in Singapore. Singapore was eligible to voteand a contributing, i.e. non-drawing member. As analmost dictatorial regime46 very concerned aboutits reputation as an outward-looking “global city”, abiennale was the perfect opportunity and addition-ally served as a framework program for theconference participants from 184 countries. Under

Manifesta has not succeeded in asserting a “Euro-pean art”, creating or initiating a cultural identityof the region.

Moscow Biennale

Similar to Gwangju, the Moscow Biennale hasprimarily served political aims: the demonstrationof democratizing tendencies and of political power.As the press statement says: “And finally, thisbiennale would become the next step in developingthe image of Moscow as one of the world’s majorcultural capitals, as well as to satisfy the verydifferent economic, political and geopoliticalinterests of Russia.”/ After the scandal caused by abstract paintingsat an exhibition at the Moscow Manege in 1962, aseparation between official, i. e. subsidized, andunofficial art was declared, for decades Russianartists found themselves in a position of resistance.The non-conformists received no state support, noexhibition opportunities and no social integration.True, in the course of perestroika art was liberatedfrom its uncompromisingly ideological monopoli-zation, but only with the “new elites”, which alsoinclude art collectors, has there been a significantchange. After the years of cultural isolation inwhich contemporary artists were practicallynon-existent in Russian society and institutions for

43) Julia Axjonowa , “Eine (kulturelle) Explosion im Leninmuseum”,in: http://www.russlandonline.ru/mos0010 (last visited on Nov. 10,2008).44) cf. Sabine B. Vogel, http://www.artnet.de/magazine/authors/index.asp (last visited on Jan. 25, 2009)45) In his contribution “Calibrated Expectations” in Broadsheet Vol.35, No. 3 (2006), Lee Wenig Choy mentioned that he had alreadyreported these considerations in 2002.46) During the IMF meeting all demonstrations and public processi-ons were forbidden and every theater group had to submit their scriptsto the MDA (Media Development Authority) for approval (The StraitsTimes, July 29, 2006, p. 3).

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Federico HerreroPainting, 2006Singapore 2006

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Masjid Sultan MoscheeSingapore 2006

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diktatorisches Regime46 sehr auf den Ruf als weltof-fene “global city” bedacht, eignet sich eine Biennaleperfekt und dient zudem als Rahmenprogramm fürdie Tagungsteilnehmer aus 184 Ländern. Titel der1. Singapur Biennale unter der Leitung des japa-nischen Kurators Fumio Nanjo47 ist „Belief“ mit denthematischen Eckpunkten Geld und Glauben, Freiheitund Religion. Die Ausstellungsorte sind höchstsymbolisch gewählt, einerseits religiöse Häuser(sieben Kirchen, Moscheen, Synagogen und Tempel),andererseits in ehemals staatlich genutzten Stättenwie die „Town Hall“ und die ehemalige Militäranlage„Tanglin Camp“48./ 883.300 besuchen die 1. Singapur Biennale und einJahr später wird die Fortführung der Biennale untererneuter Leitung Fumio Nanjos bekannt gegeben.Titel der 2. Edition 2008 ist „Wonder“, diesmal alsRahmenprogramm für das erste „Formel 1-Nachtren-nen“. Der Kurator und sein Team49 laden hauptsäch-lich KünstlerInnen aus Südostasien50 ein, die diesesMal weniger unmittelbar auf den Kontext eingehen.„To experience wonder is to open one’s mind,“ schreibtNanjo und spricht davon, „neue Wahrheiten zuentdecken“. Auch diese Biennale findet in bedeutungs-beladenen Orten (ehemalige Gericht, ehemaligeMilitäranlage South Beach, in der eine Kaserne, einOffiziersclub und eine Polizeiwache untergebrachtwaren) und im öffentlichen Raum statt, mit einerSound-Installation im Riesenrad bis zu der tempo-

rären Container-Halle an der „Marina Bay“, einemgerade erst neu gewonnenen Stück Land51./ Mit dieser 2. Edition distanziert sich Fumio Nanjovon der Tendenz kritisch-dokumentarisch ausgerich-teter Biennalen. Hier kommentiert die Kunst nichtdie Wirklichkeit, sondern erzählt von den vielenMöglichkeiten jenseits des Sichtbaren, was imrepressiven Staat Singapur auch subversiv gelesenwerden kann: als Glaube an Veränderungen. Vorallem aber zeigt die Künstlerwahl der 2. SingapurBiennale 2008 eine deutliche Betonung südostasia-tischer KünstlerInnen und unterstützt damit dieEntscheidung der nationalen Kulturpolitik, denStadtstaat zum Zentrum der südostasiatischen Kunstauszubauen.

Ausblick

Diese kurze Geschichte einiger der einflussreichstenBiennalen lässt deutlich werden, wie viele undunterschiedliche Erwartungen in dieses Formatgesetzt werden. Biennalen sind Hoffnungsträger –und Reibungsflächen. Eine heute sehr zentraleDebatte ist dabei die Frage, inwieweit diese Aus-stellungen noch immer als Forum einer politischenRepräsentation dienen können und sollen. DieAuflistung der beteiligten Nationen ist für vieleBiennalen von hoher politischer Bedeutung, spiegeltsich darin doch die kulturelle Offenheit und diploma-

tische Vernetzung des Gastgeberlandes. Zur BiennaleVenedig werden die KünstlerInnen bis heute alsVertreter ihrer Staaten präsentiert – ist diese auch imSport übliche Praxis heute noch sinnvoll? Zwar stelltAchille Bonito Oliva zur 45. Biennale Venedig 1993das Nationalitäten-Prinzip in Frage, einige Länderdurchbrechen bzw. irritierten dieses Prinzip52, dochhat sich noch immer nichts an demWettkampf imNamen von Nationen geändert. 2006 setzt LisetteLagnado das Prinzip für die 27. Sao Paulo Biennaleaußer Kraft. Lagnado lädt keine Nationen mehr ein,sondern ausschließlich und gezielt einzelne Künstler-Innen./ Bei aller berechtigten Kritik an dem Nationali-tätenprinzip stellt sich die Frage, ob die nationaleRepräsentanz als politisches und kulturelles Instru-ment nicht gerade für junge Nationen zur Bildungund Behauptung einer kulturellen Identität auchheute noch genauso wichtig ist wie früher in Europa.So bestehen Künstler aus Ländern wie Palästina oftdezidiert auf der Nennung ihrer nationalen Zuge-hörigkeit als Teil ihrer Identität und als thematischeGrundlage ihrer Kunst. Wie aber soll die Nennungerfolgen, wenn Herkunftsland und Lebensmittel-punkt der KünstlerInnen nicht identisch sind? In derFrage nach dem Nationalitätenprinzip spiegeln sichaktuelle politische Konflikte bis zu Themen wieMigration und Diaspora. Gerade in dieser Fragezeigt sich einmal mehr die enorme Bedeutung, dieBiennalen weit über das Präsentieren neuesterKunsttendenzen besitzen: Biennalen spiegeln undinitiieren Veränderungen.

46) Während des IWF-Treffens werden alle Demonstrationen undProzession im öffentlichen Raum verboten und jede Theatergruppemuss ihre Skripte dem MDA (Media Development Authority) zurGenehmigung vorlegen (The Straits Times , 29. 7. 2006, S. 3).47) Die Leitung der 1. Singapur-Biennale wurde als Open Call aus-geschrieben, den Fumio Nanjo gewann und in sein Team dann RogerMcDonald aus Japan, Eugene Tan, Kunstkritiker und Professor amInstitute of Contemporary Arts (LaSalle-SIA College), Singapur, undSharmini Pereira, Kunstkritikerin aus Sri Lanka / London berief.48) Vgl. Sabine B. Vogel, 1. Singapur-Biennale, in: SüddeutscheZeitung, München, 7. 10. 2006.49) Team der 2. Singapur-Biennale: Joselina Cruz, Kuratorin in Manilaund Singapur, Matthew Ngui, Künstler aus Singapur und Australien.50) Während der Pressekonferenz betont Fumio Nanjo, dass diewestlich-internationalen Künstler über genügend Ausstellungsmög-lichkeiten verfügen, während die südostasiatische Kunst noch auf der„Landkarte der zeitgenössischen Kunst“ bestärkt werden muss.51) Vgl. Sabine B. Vogel, 2. Singapur-Biennale, in: Kunst und Kirche,Springer Verlag, Wien/New York, 04/2008.52) Zur 45. Venedig-Biennale stellten Hans Haacke (Deutschland/USA) und Nam June Paik (Korea/USA) im deutschen, Andrea Fraser(USA)/Christian Philipp Müller (Schweiz/USA) und Gerwald Rocken-schaub im österreichischen und Louise Bourgeois (Frankreich/USA)im französischen Pavillon aus.

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Englischer PavillonVenedig 2007

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Isa GenzkenDeutscher PavillonVenedig 2007

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Sophie CalleFranzösischer PavillonVenedig 2007

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biennales. Here art did not comment on reality buttold of the many possibilities beyond the visible,which in the repressive state of Singapore couldalso be read as being subversive: as a belief inchange. Above all, however, the choice of artistsat the second Singapore Biennale, in 2008, showeda clear emphasis on South East Asian artists andthereby supported the national cultural-policydecision to build up the city state as a center ofSouth East Asian art.

Outlook

This brief history of some of the most influentialbiennales makes it clear how many and differentexpectations are placed in this format. Biennales

are great white hopes and points of friction. A verycentral debate today is the question of to whatextent these exhibitions could and should stillserve as a forum of political representation. The listof the participating nations is of great politicalimportance for many biennales, as it reflects thecultural openness and diplomatic links of the hostcountry. Until today the artists at the VeniceBiennale are presented as representatives of theirstate – is this practice, also usual in sport, stillmeaningful? True, at the 45th Venice Biennale, in1993, Achille Bonito Oliva called the nationalityprinciple into question, some countries have brokenor irritated this principle,52 but nothing in thecompetition in the name of nations has changed. In2006 Lisette Lagnado overruled the principle forthe 27th São Paulo Biennale. Lagnado no longerinvited nations but only targeted individual artists./ For all the justified criticism of the nationalityprinciple, the question is whether the nationalrepresentation as a political and cultural instru-ment is not precisely as important for youngnations for the formation and maintenance of acultural identity today as it previously was inEurope. Thus artists from countries such asPalestine often firmly insist on mentioning theirnationality as part of their identity and as thethematic basis of their art. But how should themention take place when the country of origin andthe place where their life is based are not identical?Current political conflicts and themes like migra-tion and diaspora are reflected in the question ofthe nationalities principle. Precisely this question,once again shows the enormous importance thatbiennales have, going far beyond the presentationof the latest trends in art: biennales reflect andinitiate changes.

the direction of the Japanese curator Fumio Nanjo,47

the first Singapore Biennale was entitled “Belief”,with the thematic cornerstones of money andbelief, freedom and religion./ The exhibition sites were chosen highly symbo-lically, on the one hand religious buildings (sevenchurches, mosques, synagogues and temples) andon the other hand former state institutions such asthe town hall and the former military campTanglin.48

/ Some 883,300 people visited the first SingaporeBiennale and a year later its continuation againunder the direction of Fumio Nanjo was an-nounced. The title of the second edition, in 2008,was “Wonder”, this time as a framework programfor the first Formula One night race. The curatorand his team49 mainly invited artists from SouthEast Asia,50 who this time went less into theimmediate context. “To experience wonder is toopen one’s mind,” wrote Nanjo, and spoke of“discovering new truths”. This biennale, too, tookplace at sites loaded with significance (a formercourt, the former military camp of South Beach, ina barracks, an officers’ club and a police station)and in public space with a sound installation in thebig wheel and the temporary container hall on theMarina Bay, a recently reclaimed piece of land.51

/ With this second edition Fumio Nanjo distancedhimself from the trend of critical-documentary

47) The direction of the 1st Singapore Biennale was advertised as an“open call”, which Fumio Nanjo won and then appointed to his teamRoger McDonald from Japan, Eugene Tan, art critic and professor atthe Institute of Contemporary Arts (LaSalle-SIA College), Singapore,and Sharmini Pereira, an art critic from Sri Lanka/London.48) cf. Sabine B. Vogel, “1. Singapur Biennale”, in: SüddeutscheZeitung, Munich, July 10, 2006.49) The team for the 2nd Singapore Biennale: Joselina Cruz, curatorin Manila and Singapore, Matthew Ngui, an artist from Singapore andAustralia.50) During the press conference Fumio Nanjo emphasized that theWestern-international artists had sufficient exhibition opportunities,whereas South East Asian art still needed to be strengthened on the“map of contemporary art”.51) cf. Sabine B. Vogel, “2. Singapur Biennale”, in: Kunst und Kirche,Springer Verlag, Wien/New York, 04/200852) At the 45th Venice Biennale, Hans Haacke (Germany/USA)and Nam June Paik (Korea/USA) exhibited in the German pavilion,Andrea Fraser (USA)/Christian Philipp Müller (Switzerland/USA) andGerwald Rockenschaub exhibited in the Austrian pavilion, and LouiseBourgeois (France/USA) exhibited in the French pavilion.

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Felix Gonzáles TorresUSA PavillonVenedig 2007

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Ungarischer PavillonVenedig 2007

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Hans SchabusÖsterreichischer PavillonVenedig 2007

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Paul Domela, Liverpool Biennale:Biennalen sind per definitionem zukunftsorientierte Ausstellungen, weshalb sie inhärent in-konklusiv und offen sind. Wichtiger ist aber vielleicht, dass es sich um optimistische Ausstellungenhandelt. Biennalen sind einerseits Teil eines historischen Kontinuums und stellen andererseitseine vorläufige kritische Bestandsaufnahme dar. Diese Kombination macht ihre Attraktivität ineiner Zeit der Veränderung und Unsicherheit aus./Biennales by definition are forward-looking exhibitions. This makes them inherently in-conclusive and open-ended, but maybe more importantly they are optimistic exhibitions. Thiscombination of being part of a historical continuum and a provisional critique makes themvery attractive in a age of transformation and uncertainty.

David Elliott, Sydney Biennale 2010:Was eine Biennale unterscheiden sollte, ist der Ort, an dem sie sich situiert; gelungen ist sie, wennsie das besondere Weltbild widerzuspiegeln vermag, das für den Ort, an dem sie stattfindet, undfür den Zeitpunkt repräsentativ ist. Dies ist allerdings nicht oft der Fall./

Worin liegt der Unterschied zwischen Biennalen und einfachenGruppenausstellungen?What is the difference between biennales and simplegroup exhibitions?

Paul Domela ist Mitbegründer und Programmdirektor der Liverpool-Biennale.Paul Domela is co-founder and program director of the Liverpool Biennale.

David Elliott war Chairman der Jury Dakar Biennale d’art africain contemporain 2000 und istkünstlerischer Direktor der Sydney-Biennale 2010.David Elliott was chair of the jury of the Dakar Biennale d’art africaincontemporain 2000 and is artisticdirector of the 2010 Sydney Biennale.

Charles Esche war künstlerischer Leiter der 2. Gwangju-Biennale 2002 (mit Hou Hanru), der2. Riwaq-Biennale, Ramallah 2007 (mit Khalil Rabah), der 9. Istanbul Biennale 2005 (mit VasifKortun) und ist Direktor des Vanabbemuseum in Eindhoven.Charles Esche was artistic director of the 2nd Gwangju Biennale 2002 (with Hou Hanru), the 2ndRiwag Biennale, Ramallah 2007 (with Khalil Rabah), the 9th Istanbul Biennale 2005 (with Vasif Kortun)and is director of the Van Abbemuseum in Arnhem.

Hou Hanru war künstlerischer Leiter bzw. im Team von u. a. 3. Shanghai-Biennale 2001,2. Guangzhou-Triennale 2005, 10. Istanbul-Biennale 2007.Hou Hanru was artistic director and in the team, among others, of the 3rd Shanghai Biennale 2001,the 2nd Guangzhou Triennale 2005, and the 10th Istanbul Biennale 2007.

Fumio Nanjo war künstlerischer Leiter von u. a. 1. Taipei-Biennale 1998, der 1. und 2. Singapur-Biennale und ist Direktor des Mori Art Museum in Tokio.Fumio Nanjo was artistic director, among others, of the 1st Taipei Biennale 1998, the 3rd Asia PacificTriennale, the 1st and 2nd Singapore Biennale and is director of the Mori Art Museum in Tokyo.

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What should make a biennale different is where it is situated, and to be any good it shouldreflect a particular view of the world from the place and time that it is made and shown.This often does not happen.

Charles Esche, Direktor des Vanabbemuseum Eindhoven:Teilweise beruht der Unterschied auf der Tradition, die mit der Biennale von Venedig begründetwurde, die ihrerseits auf dem Konzept der Weltausstellungen des frühen 19. Jahrhunderts basiert.Diese Tradition schreibt vor, dass alle Biennalen zumindest den Anspruch auf globale Reichweiteund globalen Bezug haben und für das Massenpublikum attraktiv sein sollten. Biennalen sind auchstärker als sonstige Gruppenausstellungen in das identitätsstiftende Stadtmarketing eingebunden,sei es auf lokaler oder internationaler Ebene. In diesem Sinn stellen sie für gewisse Gruppen in derStadtgemeinde eine Möglichkeit dar, sich als Teil der aktuellen globalen Situation und damit Teilder modernen Welt zu verstehen.Diese Voraussetzungen treffen auf eine Gruppenausstellung in einer bestehenden Institution nichtzu – zumindest nicht im selben Ausmaß. Doch besteht mittlerweile auch die Tendenz, die Arbeits-methoden der Biennalen in Institutionen anzuwenden – also neue Werke in Auftrag zu geben,Versuch einer globalen Bezugnahme, mehrere kuratorische Positionen –, die diese Differenzetwas abschwächt. Wenn diese Tendenz sich durchsetzt, bedeutet dies, dass normale Gruppen-ausstellungen irgendwann in der Zukunft nicht mehr genügend Resonanz in der Öffentlichkeit undin den Medien erzeugen werden, um sinnvoll zu sein, und dass eine Institution mit mehr als regio-nalen Ambitionen sich zwischen Einzelausstellungen, Themenausstellungen und internationalenGruppenausstellungen im Biennaleformat entscheiden muss. An diesem Punkt wäre das Formatder Biennale meines Erachtens überholt und müsste sich neu erfinden./Part of the difference lies in the tradition founded in the Venice Biennale which was in turnbased on the concept of the world exhibitions earlier in the 19th century. This tradition dictatesthat all biennales have at least a pretension to global scale and address, as well as an appeal toa mass public. Biennales are also more than normal group exhibitions, part of the marketingof a city’s identity – either to itself or internationally. In this sense, they are a way for certaingroups within an urban community to claim to be part of the global contemporary moment andthus part of the modern world.None of this background applies in the same way to a group exhibition in an existing institution– at least not to be same degree. However, there is a tendency now for institutions to use theworking methods of a biennale – commissioning new work, attempts at global inclusion, multi-ple curatorial voices – which lessens the distinctions somewhat. Following this track will meanthat, at some point in the future, the normal group exhibition will cease to have sufficientresonance for publics and media to make sense, and the choice for an institution with more thanregional ambition will be between solo, in-depth presentation and international (biennale) groupshow. At this point, I would guess, the biennale format will have exhausted itself and requirereinvention.

Hou Hanru:Biennalen kommen aus einer anderen Tradition – jener der Weltausstellung, des Kunstfestivalsetc., abseits des Museums und ähnlicher Institutionen. Und sie sind im Allgemeinen unmittelbar mitdem Ort, an dem sie stattfinden, verbunden. Sie sind eine viel direktere und offenere Plattform fürinternational renommierte und aufstrebende Künstler. Sie sind viel weniger bürokratischen undinstitutionellen Zwängen ausgesetzt und daher offener für Experimente. Und sie stehen der breitenÖffentlichkeit auch näher./They come from a different tradition – expo, art festival, etc., beyond the museum and similarinstitutions. And they are usually directly connected to the locality where they take place. Theyare a much more direct and open platform for international and emerging artists. They havemany fewer bureaucratic and institutional constraints and are therefore more open to experi-ments. And they are also much closer to the general public.

Fumio Nanjo:Biennalen finden häufig in ortsspezifischen Strukturen statt. Diese Standortbezogenheit vermittelteine ganz andere Atmosphäre als eine Ausstellung in einem Museum. Darüber hinaus gibt derLeiter (oder Kurator) ein Thema oder Konzept vor, das einen stärkeren internationalen Bezug hat,provokanter, aktueller ist. Dies verleiht Biennale-Ausstellungen ein besonderes Flair./Even if it repeats every two years, it is an additional event outside of the museum. So often ithappens in more vernacular location. This site specificity provides quite a different ambiencethan a museum show. Lastly, the director (or curator) imposes a more international and moreprovocative, more up to date theme or concept. It gives special flavor to the sequence ofbiennale exhibitions.

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Paul Domela:Biennalen sind Weltausstellungen, die die Ambition eines bestimmten Ortes vermitteln, Teil derinternationalen Kunstwelt zu sein. Der Optimismus und die Zukunftsorientierung von Biennalenübertragen sich auf jeden Ort, jede Stadt, die an Fortschritt glaubt./Biennales are worldly exhibitions that communicate the desire of a specific place to be partof the global world of art. Their optimism and forward-looking orientation is contagious toany place and city that believes in progress.

David Elliott:Darauf gäbe es viele Antworten: Anknüpfen an die Moderne, Stimulierung eines progressivenTourismus und Herausbildung (eines politischen) Profils, Teilnahme in einem namen- und gesichts-losen „internationalen Kunstclub“, „Anschluss“ an die Welt da draußen, ökonomische und sozialeEntwicklung, Bildung der Öffentlichkeit, Reaktion auf den Kult um Kuratoren, der sich ab den 90ernentwickelte … Alle diese möglichen Motive für die Abhaltung von Biennalen haben aber so wenigmit Kunst zu tun, mit ihren verschiedenen Qualitäten und was sie auszudrücken vermag, dass eszum Verzweifeln ist. Ich vermute, dass dies der Grund für die inflationäre Zunahme eher schlechteroder nicht zufriedenstellender Biennalen ist./There can be so many answers to this: embracing modernity of a sort, stimulating a progressivetourism (and perhaps a political) profile, joining some kind of nameless and faceless “inter-national art club”, “catching up” with the outside world, economic and social engineering,educating the public, responding to the cult of the curator that developed from the 80s … Butall of these possible motives for having biennales have so little to do with art, its differentqualities and what it is capable of expressing that I often despair. I guess that this accountsfor the proliferation of many rather bad or unsatisfying biennales.

Charles Esche:Die Biennale nach 1989 hat sich sicher von einem nationalstaatlichen Repräsentationssystemwegentwickelt. Für mich hat das weniger mit der Veränderung in der Kunstproduktion zu tun alsmit politisch-ökonomischen Veränderungen, durch die Kunst und Kultur in den verschiedenenGesellschaften eine andere Wertigkeit erhielten. Die Entwicklung weg vom Nationalstaatentspricht dem Anspruch der Weltwirtschaft und internationaler Konzerne, post- oder supra-national zu sein. So gesehen scheint die Biennale ein Instrument zu sein, um die Verlagerung hinzu einer gemeinsamen weltumfassenden Kultur, die ältere ethnische, soziale oder ökonomischeTrennungen im Namen des Zeitgenössischen aufhebt, festzuschreiben. Ich glaube, das ist derGrund dafür, warum Biennalen in Asien seit 1989 ein so beliebtes Format sind. Sie waren Teilder Neuorientierung des Kontinents von einem postkolonialen Status hin zu einer globalenWirtschaftsmacht und spielten daher eine Rolle, die über die Präsentation neuer Trends inder zeitgenössischen Kunst weit hinausging. Die zeitgenössische bildende Kunst hat in diesemZusammenhang den Vorteil, dass sie nicht sprachabhängig ist, sondern die „universelle“Sprache der Bilder spricht. In Anbetracht der Dominanz des Englischen in der Kunstwelt ist diesnatürlich eine fragwürdige Behauptung, aber man kann – zumindest potenziellen öffentlichenSponsoren – nach wie vor glaubhaft vermitteln, dass Kunst ein Medium ist, das über Sprachehinausgeht oder hinausweist. Darüber hinaus verleiht die englische Sprache auch das Prestigeglobaler Modernität, wodurch das Image der Biennale verstärkt wird, die neue Weltkultur aneinen bestimmten Ort transportieren zu können. Wenn man die Kosten und Vorteile einer Biennaleetwa mit jenen eines bedeutenden Sportfestivals vergleicht, ist die Biennale relativ preiswertund spricht darüber hinaus die richtige gesellschaftliche Zielgruppe an, was Bildung und(potenzielles) Einkommen betrifft./The post-1989 biennale has certainly transformed itself from the nation-state representationsystem of old. For me, this has little to do with the change in art production and more withpolitical-economic changes in the value of art and culture in different societies. The trajectoryaway from the nation state chimes with the claims of the global economy and internationalcorporations to be post- or supra-national. Thus the biennale would seem to be an instrumentfor recognizing the shift to a shared planetary culture that can put aside older ethnic, social oreconomic divisions in the name of the contemporary. I think this is why biennales have beensuch a widely exploited format in Asia since 1989. They were part of that continent‘s shift inidentity from (post-) colonial status to global economic power and therefore performed a role farbigger than the showcasing of new trends in contemporary art. In these terms, contemporaryvisual art has the advantage of not being dependent on language but on a “universal” image-

Warum sind Biennalen ein so erfolgreiches Modell?Why are biennales such a successful model?

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based language. Of course, this is a dubious claim given the prevalence of English in the artworld but it is still credible to claim art as a medium beyond or at the side of language at leastto potential public funders, and anyway the English language also gives a gloss of globalmodernity that reinforces the image of the biennale as bringing the new worldwide culture to aspecific spot in that world. Also, if you compare the costs and benefits of a biennale in theseterms with that of a major sporting festival for instance, the biennale is relatively inexpensiveand targets the right social group in terms of their education and (potential) income.

Hou Hanru:Meine erste Antwort ist auch bereits die Antwort auf diese Frage. Ich möchte aber betonen, dassBiennalen vorwiegend außerhalb der traditionellen internationalen Kunstzentren des Westensorganisiert werden und eine völlig neue Kraft, ein neuer Spielraum für eine globalere Kunstszenegeworden sind, die althergebrachte Institutionen und deren künstlerische Kanons ersetzen. Sieermöglichen den Künstlern und anderen Akteuren im Kulturbetrieb, sich direkter mit der Verände-rung der Kunst und der kreativen Aktivitäten im Kontext der Globalisierung auseinanderzusetzen.Biennalen sind der wichtigste Rahmen, der diesen neuen Protagonisten zur Verfügung steht. Auflange Sicht können sie neue Bedingungen für die Erfindung neuer kultureller und künstlerischerZentren schaffen und dazu beitragen, die globale Landkarte künstlerischer Kreation neu zu gestal-ten. Auch in praktischer Hinsicht ermöglichen Biennalen vielen Städten und Orten die Entwicklungihrer kulturellen Ressourcen und ihrer Wirtschaft, etwa in den Bereichen Tourismus, Infrastrukturoder Bildungspolitik etc./My first answer already implies the answer to this question. But I’d like emphasize that bien-nales have been mainly organized outside of the traditional international art centers, namelythe west, and have become a totally new force, a new playground for a more global artist scenes,to replace the old fashion institutions and their artistic canons. They can allow the artists andother cultural actors to be more directly engaged with the change of art and creative activitiesin general in the context of globalization. It provides the most important space for these newvoices to be expressed. In the long run, they can produce new conditions for the invention ofthe new cultural and artistic centers and help restructure the global map of creation. Also, ina practical sense, Biennales are allowing many cities and localities to develop their culturalresources and economies, be they tourist, infrastructural and educational, etc.

Fumio Nanjo:Ich glaube, der Grund dafür ist der Fall der Berliner Mauer und der Zusammenbruch der Sowjetun-ion. Durch die Auflösung des Ostblocks haben nationalstaatliche Grenzen an Bedeutung verloren.Das Ende der Rivalität zwischen zwei verschiedenen Denksystemen hat die ganze Welt zunehmenddiversifiziert. Das Weltbild wurde pluralistischer und rhizomähnlicher. Die Konkurrenz verlagertesich von den Ländern hin zu den Städten. Biennalen und Triennalen sind ein vernünftiges Instru-ment zur Entwicklung neuer Stadt-Identitäten. Sie sind eine der Möglichkeiten zur Selbstvermarkt-ung der Städte./I think it is caused by the fall of Berlin wall and Soviet Union. The disappearance of Easternbloc in the world made the borders of nation states less important. The end of the tensionbetween two ways of theoretical thinking made the whole world into a more segmented struc-ture. The vision of the world became more fragmented. Therefore the competition emergedbetween cities rather than between countries. Biennales and triennials are reasonable toolsfor creating a new identity for cities. They are one of the possible ways of selling a city.

Paul Domela:Mit Ausnahme der Biennale von Venedig ist keine Biennale nach dem Prinzip der Repräsentationvon Nationen organisiert, doch ohne staatliche Unterstützung (nationale oder internationale) gäbees keine Biennalen. Die Biennale von Liverpool hat ein Kooperationsmodell entwickelt, bei demdie Kunstszene mit Gemeinden, Politik, Zivilgesellschaft etc. zusammenarbeitet./With the exception of the Venice Biennale no biennale is organized along the lines of nations,but without state support (national or international) there would be no biennales. The LiverpoolBiennale has developed a collaborative model engaging art with communities, politics, civic lifeetc.

Ist das Nationalitäten-Prinzip noch aktuell?Is the nationality principle still valid?

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David Elliott:Kultur respektiert selten nationale Grenzen. Tut sie es doch, fehlt im Allgemeinen etwas. Kunstist tief in der Kultur, in der sie entsteht, verankert, aber das hat nichts mit Nationalität zu tun./Culture rarely respects national boundaries. If it does there is usually something severelyamiss. Art is deeply rooted in the culture in which it is made but this is not the same thingat all as nationhood.

Charles Esche:Hätte man sich an das nationalstaatliche Prinzip gehalten, wäre das Modell Biennale nicht soerfolgreich gewesen, weshalb dies für mich auch keine Option darstellt, doch hoffe ich aus zuvorerwähnten Gründen, dass der offizielle politische Charakter des Events bewahrt bleibt und durchdie Abwendung vom nationalstaatlichen Modell noch gestärkt wird./Keeping the nation-state principle would not have allowed the biennale to grow in the way ithas, so I don‘t see this as an option but I hope from what I say above that it is clear the officialpolitical character of the event is maintained and mostly strengthened by the shift away fromthe nation-state model.

Hou Hanru:Dies ist ein komplizierter und komplexer Prozess, der stark von den Erfordernissen der jeweiligenBiennale und der Eigendynamik, dem Kontext abhängt. In einem Kontext ist es wichtig, die Teil-nahme bestimmter Nationen, insbesondere neu entstandener Staaten, anzuerkennen und sogarhervorzuheben und ihnen Repräsentationsräume zur Verfügung zu stellen, damit die globaleKunstszene offener und für alle zugänglich wird. In einem anderen Kontext wiederum ist es wichtig,die transnationalen und globalen Aspekte zu thematisieren. Das funktioniert ähnlich wie in derWelt nach dem Kalten Krieg, der postkolonialen und globalisierten Welt – durch permanenteVerhandlung. Aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass wir den offiziellen/politischen Charakterdes Events beibehalten sollten. Tatsächlich gehen die meisten Biennalen auf private und semi-private Initiativen zurück und nicht auf offizielle wie die meisten großen Museumsausstellungen./It’s a complicated and complex process. It largely depends on the necessity of each biennaleand each momentum/context. In some specific context, it’s important to recognize and evenemphasize the presence of certain nations, especially those newly emerging nations, by provi-ding them with spaces of presence and representation so the global scene can be more openand equal for everyone. In some context, it’s important to articulate on the trans-national andglobal aspects. This is like how the post-Cold War, postcolonial and globalizing new worldfunctions – it’s a permanent negotiation. But it does not necessarily mean we should keep onwith the official/political nature of the events . . . actually most of the biennales today arecoming from private and semi-private initiatives, and much less official than most of the largemuseum shows.

Fumio Nanjo:Wir sollten jetzt über neue Rahmenbedingungen für Ausstellungen nachdenken, die den inter-nationalen Dialog fördern, etwa neue Maßstäbe für die Auswahl von Veranstaltungsorten, neuekuratorische Strukturen, neue Methoden der Künstlerauswahl, auch neue Finanzierungsmodelle.Dann werden Biennalen der Kunst neue Möglichkeiten eröffnen und ein wesentlicher Beitragfür die internationale Kunstwelt sein./Now we should think about new frameworks of exhibitions, more internationally communi-cative frames such as changing venues in some rules, new curatorial structure, new methodsof artists selection, even new type of fund raising should be created. Then it will open a newpossibility for art and it certainly contribute to the international art world.

Paul Domela:Solange Biennalen zu den lebendigsten Manifestationen der Kunst zählen, ja./As long as biennales continue to be some of the most lively manifestations of art yes we do.

Benötigen wir noch Biennalen?Do we still need biennales?

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David Elliott:Wir werden immer Biennalen wie auch andere Ausstellungsformate brauchen, die gut konzipiert,herausfordernd und schön sind./We will always need biennales, as well as other kinds of exhibitions, that are well thoughtout, challenging and beautiful.

Charles Esche:Wer ist wir? Brauchen Künstler Biennalen? Als Forum zur Ausstellung ihrer Arbeiten sind Kunst-messen effizienter, könnte ich mir vorstellen. Das politisch-kulturelle System braucht sie, biswir etwas Besseres erfunden haben, um das Bedürfnis der Welt zu befriedigen, sich in der zeitge-nössischen Kultur zu spiegeln. Es wird interessant sein zu sehen, wie Biennalen sich im aktuellenwirtschaftlichen Klima verändern werden, da sie von den finanziellen Exzessen der letztenzwanzig Jahre sehr profitiert haben. Kuratoren brauchen Biennalen, um zu arbeiten und neueAusstellungsmöglichkeiten auszuprobieren, die von weniger flexiblen Institutionen nicht zu-gelassen würden, obwohl die Unterschiede kleiner werden. Für mich waren jene Biennalen diebesten, die ihre Möglichkeiten kritisch einsetzten, um ihre Verstrickung mit der Globalisierung,dem Stadt-Marketing, dem Nationalismus etc. aufzuzeigen, sowie jene, die den Künstlern dieMöglichkeit gaben, ihre Produktions- und Ausstellungsbedingungen kritisch zu hinterfragen. Ichglaube, dies ist nach wie vor möglich, und so lange es so bleibt, ist die Biennale ein nützlichesund sinnvolles Instrument./Who is we here? Do artists need them? As a showcase of their work, I could imagine that artfairs are more effective. The politico-cultural system needs them until we invent something thatbetter serves the need of the world to represents its contemporary culture back to itself. I willbe interested to see how biennales will shift in the current economic climate as they have beengreat beneficiaries of the financial excesses of the last 20 years. Curators need them for workand to try out new modes of exhibition making that would be disallowed by the more formalinstitutions, though the gap between the one and the other is diminishing. For me, the bestbiennales have been those that use their conditions critically to reveal their engagement withglobalization, city marketing, nationalism etc. and those to try and provide artists with theopportunity to look critically at their conditions of production and presentation. I think that isstill largely possible and while it remains so, the biennale is a useful tool that can be used well.

Hou Hanru:Definitiv ja./Definitely yes!

Fumio Nanjo:Ich glaube nicht, dass wir sie benötigen. Wir sollten aber ihre Rolle für die Gesellschaft oder diejeweilige Region nicht in Abrede stellen. Sind sie gut organisiert und für die Öffentlichkeit zu-gänglich, bieten sie den besten Zugang zur Erfahrung zeitgenössischer Kunst. Ich glaube, sie sindvor allem für das örtliche Publikum sinnvoll. Ihre zweite Aufgabe besteht darin, neuen Künstlernder jeweiligen Region neue Möglichkeiten zu erschließen. Eine wichtige Rolle des FormatsBiennale besteht auch darin, die lokale Kunstszene mit der internationalen zu verbinden./I do not think we need them. But we should not deny their role in the society or in the regions.If they are well organized, and open and accessible to the general public, they will provide thebest entrance to the experience of contemporary art. I think they are firstly for the local public.The second mission is to provide a new possibility and vision, new artists of the local regionto the international art world. They are to link the local art world to the international, which isalso quite important role of biennale type of exhibition.

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Email-Interviews von Sabine B. Vogel/ email interviews by Sabine B. Vogel

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For Edouard Glissant biennales tendto be too much like continents (rocksolid and imposing), as opposed to thearchipelago (welcoming and shelter-ing). In Glissant’s words: “The idea ofa non-linear time implicit in this idea,or in this concept, the coexistence ofseveral time zones would of courseallow for a great variety of differentcontact zones as well.” The biennaleas a reciprocal contact zone canmediate between museum and city.Rather than copying the formats ofother biennales, new biennalesshould invent new formats of exhibi-tions. The multiplication of biennalesis a challenge to provide new spacesand new temporalities. According toEdouard Glissant, biennales todayneed to provide new spaces and newtemporalities in order to achieve whathe calls a “mondialité”: a difference-enhancing global dialog.The multiplication of biennales todayall over the world is a challenge toprovide new spaces and new tem-poralities. it is urgent to generate asituation receptive to interesting,

more complex spaces combining thebig and the small, the old and thenew, acceleration and deceleration,noise and silence.

Biennalen/Triennalen verfügen überhohes Potenzial, als Katalysator zuwirken und fungieren für Städte als

Für Edouard Glissant wollen Biennalenallzu sehr wie Kontinente sein (einegeschlossene Masse, die imponierenmöchte), denen er den Archipel(einladend und beschützend) gegen-überstellt. In seinen Worten: „DieVorstellung einer nicht linearen Zeit,die in dieser Idee oder in diesemKonzept implizit enthalten ist, die

Koexistenz mehrerer Zeitzonen, würdenatürlich auch eine Vielheit unter-schiedlicher Kontaktzonen ermögli-chen.“ Die Biennale kann als reziprokeKontaktzone zwischen Museum undStadt vermitteln. Anstatt die Formateanderer Biennalen zu kopieren, solltenneue Biennalen neue Ausstellungsfor-mate erfinden. Die wachsende Anzahlan Biennalen ist eine Herausforderung,neue Räume und neue Temporalitätenzu schaffen. Edouard Glissant zufolgemüssen Biennalen heute diesenAnspruch erfüllen, um „mondialité“(Mundialität), wie er es nennt, zuerreichen: eine Differenz, die denweltweiten Dialog weiterentwickelt.Dass heute überall auf der WeltBiennalen stattfinden, ist eine Heraus-forderung, neue Räume und neueTemporalitäten zu schaffen. Es ist eindringendes Erfordernis, eine Situationzu schaffen, die offen für interessante,komplexere Räume ist, für Großes undKleines, Altes und Neues, Beschleu-nigung und Verlangsamung, Lärm undStille./

Afor Arkipelagofür Archipel B

for Bridgefür Brücke

PARS PRO TOTOA Biennale A to Z (fragments)Die Biennale von A bis Z (Fragmente)

„Metabolismus ist von Anfang an eine Eigenschaft des Lebens. Schon die erstenZellen metabolisieren: Sie verwendeten Energie und Materie der Außenwelt,um sich zu erschaffen, zu erhalten und zu reproduzieren.“ (Lynn Margulis)/“Metabolism has been a property of life since it began. The first cellsmetabolize: they used energy and material from outside to make, maintainand remake themselves.” (Lynn Margulis)

„Eine Biennale des 21. Jahrhunderts wird kalkulierte Unsicherheit und bewussteUnvollständigkeit einsetzen, um sich zu einem Katalysator zu entwickeln, der denWandel fördert, während sie gleichzeitig immer ‚des stillen Auges reiche Ernte’1

einbringt.“ (Cedric Price)/“A twenty-first-century biennale will utilize calculated uncertainty andconscious incompleteness to produce a catalyst for invigorating change whilstalways producing the harvest of the quiet eye.” (Cedric Price)

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Input auf verschiedenen Ebenen. Diewachsende Anzahl an Biennalen /Triennalen wurde auch hinsichtlich deserhöhten Bedarfs an Zentren positivbewertet. Die Suche nach dem absolu-ten Zentrum, die im 20. Jahrhundertlange dominierte, führte zu einerPolyphonie der Zentren im 21. Jahr-hundert, zu der die Biennalen einenbedeutenden Beitrag leisten. Eineweitere wichtige Funktion bestehtdarin, Brücke zwischen dem Lokalenund dem Globalen zu sein, eine Brücke,auf der es zwei Punkte gibt, zwei Pole.Wie der Künstler Huang Yong Pingkürzlich erklärte: „Normalerweisedenken wir, dass eine Person nur einenStandpunkt haben sollte, aber wennman zu einer Brücke wird, muss manzwei haben.“ Dies erklärt gewisser-maßen auch die Idee, die Brücke desSelbst überqueren zu können: EinePerson sollte viele Standpunkte haben.Von den erwähnten beiden Polen isteiner der stabilere, die ursprünglichePersönlichkeit, der andere der wenigerstabile, eher bewegliche. Eine solcheBrücke ist immer gefährlich. Für HuangYong Ping ist der Begriff der Gefahrjedoch positiv besetzt – ermöglicht siedoch die Öffnung für das andere. Umauf den Begriff der Chance zurückzu-greifen: Es gibt die Möglichkeit derErleuchtung. In Begriffen der Philoso-phie: Die klassischen PhilosophenChinas sagten nie „Ich sage“, sondernimmer „Unsere Vorfahren sagten“.Dies ist ein Zugang zur Realität./One big potential of the biennales /triennales is to be a catalyst ordifferent layers of input on the city.The multiplication of biennales /triennales has to be seen positivelyalso in terms of the necessarymultiplication of centers. The questfor the absolute center, which domi-nated large parts of the 20th century,has opened to a polyphony of centersin the 21st century and the biennalesmake an important contribution tothis. Also, to be a bridge betweenthe local and the global, on thebridge you have two points, two ends.As artist Huang Yong Ping recentlyexplained: Normally we think a

sern, Studentenausstellungen, Impuls-und Gegenveranstaltungen. Ein großesPotenzial einer Biennale liegt darin,dass sie oft wie eine Initialzündung aufdie lokale Szene wirkt: die Biennale alsKatalysator oder in den Worten vonAnri Sala: „als Input auf verschiedenenEbenen für eine Stadt“/Often the biennale is a trigger for adynamic energy field that radiatesthroughout a city. This works parti-cularly well when all the exhibitionspaces in a city participate and makea joint effort of all the institutionsin one city. Besides this, biennalesand other large-scale exhibitions cantrigger a lot of self-organized side-events in a city, warehouse exhibi-tions, student shows, energy sparksand counter shows. One big potentialof a biennale is that very often it isa real spark in the local scene: theBiennale as a catalyst or in the wordsof Anri Sala: “Different layers of inputon the city.”

In dem Text, den Daniel Birnbaum beider Eröffnungskonferenz der Yokoha-ma-Triennale präsentierte, verglicher die Ermattung des Formats derBiennale mit dem „Tod des Romans“,was aber nicht bedeutet, dass keineBiennalen mehr stattfinden werden.Im Gegenteil, wir stehen derzeit vorder Situation, dass mehr als hundert

person should have only one stand-point, but when you become a bridgeyou have to have two. This is also akind of explanation of the conceptof crossing the border of the self: asone person, you should have manystandpoints. Between these twopoints, there is one that is morestable, your original personality andanother point which is less stable,floating. This bridge is alwaysdangerous. For Huang Yong Ping thenotion of danger is not negative, butpositive – it creates the possibility toopen up something else. By resortingto the notion of chance, one can haveaccess to enlightenment. In terms ofphilosophy, traditional Chinesephilosophers never said “I say”, butalways said “Our ancestors said”. It isa way of accessing reality.

Die Biennale ist häufig auch derAusgangspunkt für ein dynamischesEnergiefeld, das sich über die ganzeStadt ausbreitet. Dies funktioniertbesonders gut, wenn alle Ausstel-lungsräume einer Stadt einbezogenwerden und alle Institutionen einerStadt sich in einer gemeinsamenAnstrengung vernetzen. Darüberhinaus können Biennalen und andereGroßausstellungen zahlreiche, vonden Teilnehmern selbst organisierteNebenveranstaltungen in einer Stadtinitiieren, Ausstellungen in Kaufhäu-

Biennalen und Triennalen weltweitabgehalten werden. Birnbaum wirftjedoch die Frage auf, ob die Biennaleals Format des Experimentierens undder Innovation ausgedient hat. SeinText schließt hoffnungsvoll. Es wirdvermutlich irgendwo einen Neubeginngeben, wenn auch nicht auf demeuropäischen Kontinent …/In his recent paper presented at theinaugural conference of the nextYokohama Triennale, Daniel Birn-baum compares the eventual exhaus-tion of the format of the biennalewith the death of the novel, whichdoes not mean that no more biennaleswill take place, on the contrary weface a situation with more than 100biennales and triennales worldwide.But Birnbaum wonders if as a formfor experimentation and innovationthe biennale has played out its role.His paper concludes with hope.A new start will probably happensomewhere else, not on the Europeancontinent.

Wie Stephanie Moisdon und ich ineinem Text für die Biennale von Lyonschrieben: Dieses Projekt ist einDispositiv, das Giorgio Agamben wiefolgt definiert: „Das Dispositiv ist eineheterogene Gesamtheit, die potenziellalles Erdenkliche, sei es sprachlichoder nicht sprachlich, einschließt:

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Cfor Critical Massfür Kritische Masse D

for Death of the Biennalefür Tod der Biennale

Dfor Dispositiffür Dispositiv

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ihn zu überraschen. Sein „Étonnez-moi“ hat nach wie vor Gültigkeit.Damit es zu einer Veränderung dessenkommt, was wir von Biennalenerwarten./For biennales to be open so thatunexpected might happen. Thecuratorial position should always beopen to surprise. In a now legendaryexchange, Diaghilev challengedCocteau to surprise him. His …tonnez-moi will always be importantto change what we expect frombiennales.

Aufzuarbeiten, welche Zeichenvergangene Biennalen setzten, istnicht gerade innovativ. Biennalen sindeine kontinuierliche Auseinander-setzung zwischen Gegenwart, Ver-gangenheit und Zukunft. Die einzigeKonstante dieses Modells ist dieVeränderung selbst: Dies entsprichteiner Vorstellung von Geschichte alskonstante Verhandlung; historischeWahrheit entstünde demnach immerin situ. Wie sieht nun die Zukunft derBiennale aus? Allem voran wäre zubetonen, dass sich Zukunftsvisionenin Bezug auf fast alle Phänomene:a) im Laufe der Zeit entwickeln undb) es deren viele gibt. In anderenWorten, die Zukunft der Biennale istsowohl flexibel als auch pluralistisch./

Working through past biennalegestures, of course, is hardly novel.Biennales are a continually articu-lated struggle between the present,the past and the future. In this model,the only constant is change itself: thisis a vision of history under perennialnegotiation; historical truth as foreverin situ. What, then, of the futureof the biennale? To begin, we shouldemphasize that visions of the futureacross almost all phenomena: (a)evolve over time; and (b), are many.The future of the biennale, in otherwords, is both variant and plural

Die Biennale ist auch eine Gelegenheit,um neue Allianzen zu bilden; diesesollten über Eigenwerbung für Städtehinausgehen und zu Zusammenarbeitund neuen Dialogen führen. ImKontext der Biennale von Lyon wolltenStephanie Moisdon und ich einenDialog mit der Stadt und der Regionführen (tatsächlich wird das Programm„Résonance“ mehr als achtzig Veran-staltungen rund um Lyon umfassen)und neue Partnerschaften initiieren.(Très Biennale“ ist ein Konzept, dieBiennalen von Istanbul, Athen undLyon zu verbinden, um interkulturellenAustausch zu entwickeln). Das Themaneuer Allianzen ist besonders wichtigin einer Zeit, in der es keine vorherr-schenden ideologischen oder generati-onsspezifischen Bewegungen und auch

Diskurse, Institutionen, Gebäude,Gesetze, polizeiliche Maßnahmen,philosophische Lehrsätze. Das Dispo-sitiv selbst ist das Netz, das manzwischen diesen Elementen herstellenkann. Das Dispoitiv hat immer einekonkrete strategische Funktion und istimmer in ein Machtverhältnis ein-geschrieben.“2 In den Grenzen derDispositive, in denen sich von nun anunsere Existenzen ereignen, stellt sichdie Frage: Welche Strategien müssenwir anwenden, um uns konkret mitihnen zu verbinden? Jetzt, wo es füralle eindeutig darum geht, die Möglich-keiten einer Praxis wiederzuentdecken,die dem kindlichen Spiel ähnelt, wirddas zweckfreie Spiel, durch das dieFunktion jedes Objekts neu erfundenwerden kann, zum Instrument neuerHandlungsmöglichkeiten. Der Spiel-raum (und der Ausstellungsraum) istjener der Vervielfachung von Ge-schichten, von Arbeitsweisen, in demdie Spielregel die Teilnehmer zwingt,eine Wahl zu treffen. Das Spiel istniemals willkürlich, es stellt zurDisposition, was zuvor lediglich Optionwar. Es stellt sowohl dem Spieler wiedem Betrachter die Spielregeln, diePraktiken zur Erfindung einer Mytho-logie der Gegenwart zur Disposition.„Man muss den Dispositiven jedes Maldie Möglichkeit des Gebrauchs entrei-ßen, die sie an sich gerissen haben. DieProfanierung des nicht Profanierbarenist die politische Aufgabe der kommen-den Generation.“ (Agamben)/As Stephanie Moisdon and I wrote ina text for the Lyon Biennale, thisproject is a *dispositif* [apparatus /dispositor] which Giorgio Agambendefines as follows: “The dispositif isa general and heterogeneous set. Itincludes virtually everything,linguistic and non-linguistic, dis-courses and institutions, architecture,laws, police measures, scientificstatements, philosophical and moralpropositions … the dispositif is thenetwork or the web establishedbetween those elements … it alwayshas a strategic function, it’s alwaysinscribed in a power game, so it has astrong relationship to power.” In the

boundaries of the apparatus inwhich our existences take place, thequestion poses itself: what strategiesshould we apply in order to linkourselves with it concretely? Now,when for all of us it is clearly aquestion of rediscovering the possi-bilities of a practice that is similar toa child’s game, the purposeless gamethat can be rediscovered throughthe function of every object becomesthe instrument of new possibilitiesfor action. The playroom (and theexhibition room) is one of the quadru-pling of stories, of ways of workingwhere the rules of the game force theparticipants to make a choice. Thegame is never arbitrary; it puts atone’s disposal what previously wasonly an option. It gives both theplayer and the observer the rules ofplay, the practices to invent a mytho-logy of the present. “We must alwayswrest from the apparatuses – fromall apparatuses – the possibility ofuse that they have captured. Theprofanation of the unprofanable isthe political task of the cominggeneration.” (Agamben).

Steht für Biennalen, die sich demUnerwarteten öffnen sollen. Imkuratorischen Konzept müsste fürÜberraschungen immer Raum sein.Djagilew forderte Cocteau in einemmittlerweile legendären Gespräch auf,

Efor “Etonnez-moi”für Setzen Sie mich in Erstaunen

Ffor Futurefür Zukunft

Ifor Inbetweenfür Dazwischen

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keinen dominierenden Stil wie invorangegangenen Dekaden gibt./The biennale is also an occasion tocreate new alliances; it’s about goingbeyond city-branding strategies,leading to collaboration and newdialogues. In the context of the LyonBiennale Stephanie Moisdon and Iwanted to have a dialogue with thecity (indeed, the “Résonance” pro-gram will involve more than eightyevents around Lyon), with the region,and to instigate new partnerships(“Tres Biennale” is a formula thatjoins Istanbul, Athens and Lyonbiennials, to develop interculturalexchanges). This issue of new allian-ces is particularly important at amoment when we don’t have theideological, generational or stylisticmovements we used to have inprevious decades.

„alles alles alles ist Erinnerung”(Ungaretti)Die Situation einer Biennale ist kom-plex. Versucht man herauszuarbeiten,wie mit dieser Komplexität umzugehenist, darf man seine Überlegungen nichtauf ein einzelnes Modell beschränken,sondern sollte verschiedene histo-rische und aktuelle Modelle unter-suchen, die einen experimentellenZugang zu dieser Komplexität ermö-glichen. In einer Zeit ausgeprägter

(Braudel revisited, neue geografischeRäume)Aus einer E-Mail von PatriciaFalguieres an Hans Ulrich Obrist,Januar 2007

„Ja, ich glaube, dass in diesem Zusam-menhang viel zu tun ist: Es gilt diesegroße, diese gigantische Umwälzung,die wir gerade erleben, nachzuvoll-ziehen und zu beschreiben, eventuellauch zu begleiten, diese enormeVerlagerung des Schwerpunkts vonalten Welten zu neuen Welten, derenFormen sich wie durch einen Nebelabzuzeichnen beginnen! Tatsächlichdrängt sich die Parallele zu Braudelauf: Ich dachte an die Verlagerung desZentrums der Welt vom mediterranenzum atlantischen und pazifischenRaum im XVI. Jahrhundert (d.h. einergeformten/begrenzten/durchgestal-teten Welt zu einem unbegrenztemHorizont, durchbrochen von Archipelenund Nebulosem), wie sie Braudel inCivilisation matérielle et capitalisme(dt.: Die Dynamik des Kapitalismus)beschrieb.“/(Braudel revisited, new geographicalspaces)From an e-mail from PatriciaFalguieres to Hans Ulrich Obrist,January 2007.

“Yes, I think that in this contextthere is a lot to do. It is a question ofunderstanding and describing thisgreat, this gigantic upheaval that weare experiencing, possibly also ofaccompanying it, this enormousshifting of the center of gravity fromold worlds to new worlds, whoseforms are beginning to emerge as ifthrough a fog! Actually the parallelwith Braudel suggests itself: I thoughtof the shifting of the center of theworld from the Mediterranean to theAtlantic and the Pacific area duringthe 16th century (i.e. from a formed/limited/worked-out world to anunlimited horizon with of archipela-goes and nebulosity), as Braudeldescribed it in Civilisation Matérielleet Capitalisme (Eng. Civilization andCapitalism).

Innovation im Bereich der zeit-genössischen Kunst – einer Zeit, in derdieser Bereich in das Bewusstsein derÖffentlichkeit getreten ist wie wohl niezuvor, ist wesentlich, dass Biennalensensibel vorgehen und wir uns inunserem Handeln nicht nur von demWissen leiten lassen, was sich in derzeitgenössischen Kunst ereignet,sondern auch von einem Verständnisdessen, was davor war und was inanderen Disziplinen vor sich geht./“Everything, everything, everythingis memory” (Ungaretti). The situationof a biennale is complex. When wetry to work out how to deal with thiscomplexity, it’s important not toreduce our reflections to one singlemodel but to study several differentones, historical ones and also contem-porary ones that take an experimen-tal approach to this complexity. Atthis moment of intense innovationwithin the field of contemporary art– a moment during which this veryfield has entered the public conscious-ness as arguably never before – it isvital that biennales proceed intelli-gently and that we act not only withan awareness of what our contem-poraries within the field of art areundertaking, but also with an under-standing of what has come beforeand what is being undertaken indisciplines parallel to our own.

Es ist von großer Bedeutung, was zwi-schen den Biennalen geschieht. EineBiennale findet statt, es folgen zweiJahre der Leere, dann kommt dienächste Biennale. Im Idealfall sollteeine Biennale ein permanenter Prozess,eine kontinuierliche, gleichsamorganische Aktivität sein. Die meistenBiennalen werden in unglaublichkurzer Zeit organisiert, der organisato-rische Rahmen wird immer enger.Wir meinen, dass sich Kuratoren demwidersetzen und auf vernünftigerenRahmenbedingungen bestehen sollten.So bedeutend wie Biennalen sind, be-steht die Gefahr, dass sie kurz und hellaufleuchten wie ein Feuerwerk, aberdann verpuffen und zwei Jahre derLeere folgen. Eine Veränderung desFormats und die Einführung vonZwischenveranstaltungen, die dasFeuer nähren, könnten dazu beitragen,dieses Problem zu lösen. Die Biennaleals Projekt könnte über Sedimentations-schichten aufgebaut werden. Zu vermei-den wäre die Biennale als Tabula rasa,die alle zwei Jahre aufs Neue beginntund ihre eigene Geschichte negiert.Es gilt auch zu bedenken, was zwi-schen den Großereignissen geschieht.In den meisten Fällen zieht die Er-öffnung viele Besucher an, aber kurzdarauf hat man den Eindruck, alswürde der Stecker aus der Dosegezogen. Wir hoffen im Gegensatzdazu einen Permanenten Impuls zuerzeugen, der von einem Event auf das

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Mfor Memoryfür Erinnerung N

for New Geographiesfür Neue Geografien

Ofor Ongoingfür Permanent

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sollte Erklärungen des gesellschaft-lichen und politischen Ganzen im Stildes Zeitgeists immer misstrauen; umpluralistisch zu sein, pluralistisch undwieder pluralistisch, muss man dieSpezifitäten aller Dinge erkennen, jeneder Religion, der Kunst, wovon auchimmer, man darf weder eine globaleErklärung suchen, noch einen globalenStil und muss die Diversität und Origi-nalität der menschlichen Komplexitätwahrnehmen, die ein Konglomerataus sehr heterogenen Elementen ist,von denen keines über einem anderensteht, keines souverän ist [ ] Manverleumdet seine Zeit, wenn man dieGeschichte ignoriert.“/As the pioneering French historianPaul Veyne says, “You always haveto be wary of explanations of thezeitgeist kind, all social concern andpolitics. You have to be pluralist,pluralist, and pluralist again, recog-nizing the specificity of everything –religion, art, ambition, whatever –without looking for global expla-nations or global style; taking in allthe diversity and originality of ahuman complexity made up of bitsand pieces and all sorts of differentingredients, with no single onedominating the others, no single onerunning the show … You only doinjustice to your time by beingignorant of history.”

Wie könnte Selbstorganisation imRahmen einer Großausstellungfunktionieren? Eine Ausstellung kannimmer eine andere Ausstellungverdecken. Es gibt sehr wohl hierar-chisch getroffene Entscheidungen,weshalb die Praxis des Kuratierensvom Urbanismus lernen kann: YonaFriedman oder Constant‘s Cedric Priceoder auch Team X und /oder OskarHanson – sie alle haben im Kontextdes Cimam der 50er Jahre den oftunhinterfragten Masterplan infragegestellt und versucht, Aspekte derSelbstorganisation und sogar der„Bottom-up“-Organisation einzube-ziehen. Ausstellungen sollten offen

andere übergreift: und nicht ein einma-liges Ereignis im Namen des Kultur-tourismus, das wenig zur lokalenKunstszene beiträgt. Wir ziehen denLangstreckenlauf dem Sprint vor: Zielist eine Biennale, die nachhaltig wirktund die lokale Entwicklung voran-treiben kann, indem sie auf Dauer einLabor einrichtet, in dem wichtigesArchivmaterial gesammelt wird.Das Projekt eines sich verändernden,nachhaltigen Biennale-Gebäudes vonStefano Boeri, das 365 Tage im Jahrein Betrieb ist, ist sehr interessant. DerBau soll eine Brücke zwischen demFilmfestival, der Kunst-Biennale undder Architektur-Biennale darstellen./It is very important what happensbetween biennales. If a biennalehappens and then there is an empti-ness for two years and then the nextbiennale come. Ideally it should bea permanent process, an ongoingactivity, more organic. Most biennalesare organized in incredibly shorttime-frames and the operation fororganizing them is becoming moreand more reduced. We feel thatcurators need to resist this and find amore reasonable framework in whichto work. Important as biennales are,the danger is that they can create afirework and then two years ofdesert. Changing the format andcreating interim events, like anongoing flame, might be very helpfulin overcoming this problem. Thebiennale as a project could build upthrough some kind of sedimentarylevels. This means avoiding thebiennale as a tabula rasa that startsafresh every two years and negatesits own previous history. It alsomeans considering what happensbetween the big events.In most cases the opening will attracta lot of visitors, but shortly after-wards it is as if the “off button” hasbeen pressed. On the contrary, whatwe hope to see is the ONGOING flamebeing relayed from one party to next:not a once-off event in the name ofcultural tourism, which contributeslittle to the local art scene. Instead ofa sprint, we opt for the long-distance-

running model: the goal is for abiennale that is sustainable and canfoster local development, by buildinga long-term laboratory that willaccumulate important archivalmaterials.Stefano Boeri’s project for a mutant,sustainable biennale building thatcan be active 365 days a year is veryinteresting. The structure also aimsat creating a bridge between thecinema festival, the art biennale andthe architecture biennale.

Wie der bahnbrechende französischeHistoriker Paul Veyne darlegte: „Man

Ofor Organicfür Organisch

Pfor Pluralismfür Pluralismus

Pfor Production of Realityfür Realitätsproduktion

Rfor Rules of the Gamefür Spielregeln

Sfor Selforganisationfür Selbstorganisation

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genug sein, um Dinge in Bewegung zusetzen, was an den visionären pol-nischen Urbanisten und ArchitektenOskar Hanson und seine Theorie deroffenen Form erinnert./To explore notions of self-organiza-tion within a large-scale show: anexhibition can always hide anotherexhibition. It is not that there is no“top down plan” here, and that’swhere the practice of curating canlearn from urbanism: to question theoften unquestioned master plan,Yona Friedman, or Constant’s CedricPrice, or also Team X, and /or OskarHanson – they all questioned the ideaof the master plan in the Cimamcontext of the 50s and tried to buildin moments of self-organization andeven “bottom-up” organization.Exhibitions open enough to triggerthings, which evokes the memoryof the visionary Polish urbanist andarchitect Oskar Hanson and hisvision of open form.

lungen über Grenzlinien, sondernAusstellungen, die selbst zu Grenz-linien werden. Indem er die „irrever-siblen“ Aspekte der Globalisierung(Uniformität, Homogenität), wie er sienannte, gegenüber stellte, beschriebEtienne Balibar mir einmal, was seinerAnsicht nach eine notwendige Vor-aussetzung für Künstler und Ausstel-lungen ist: nomadisch zu werden,physisch und mental Grenzen zuüberschreiten. Weiter beschrieb er, wiedas Überschreiten nationaler Grenzenes den Sprachen und Kulturen ermög-lichen würde, sich in alle Richtungenauszudehnen und den Horizont derÜbersetzbarkeit zu erweitern. „Aus-stellungen würden in ihrer Interven-tion verschwinden“, pflegte Balibar zusagen, „sie wären notwendig, hättenaber kein Monopol und würden selbstzu Grenzlinien.“ Daher die Betonungauf „eine Grenzlinie werden“./Significantly, the question of trans-national exhibitions seems to be one

Bezeichnenderweise scheint die Fragetransnationaler Ausstellungen einesder Schlüsselthemen zu sein, das sichvon den 1990er Jahren bis zur Gegen-wart beobachten lässt: nicht Ausstel-

of the key issues running from the90s through to the present: not to beabout borderlines, but actually tobecome a borderline. In opposingwhat he called the “irreversible”aspects of globalization (uniformity,homogeneity), Etienne Balibar oncedescribed to me what he framed asthe need for artists and exhibitions tobecome nomadic, physically andmentally traveling across borders.Further on, he described how goingbeyond national boundaries wouldallow languages and cultures to spillin all directions, to broaden thehorizon of translating capacities.“Exhibitions would vanish in theirintervention,” Balibar used to say,“they would be necessary but withoutmonopoly, they would be borderlinesthemselves.” Thus my earlier empha-sis: to become a borderline.

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Ufor Unbuilt Roadsfür Ungebaute Straßen

Tfor Transnational – to become aborderlinefür Transnatiional – eine Grenz-linie werden

HHans

UUlrich

OObrist

war künstlerischer Leiter im Team von u. a. 1. Manifesta 1996, 1. Berlin Biennale 1998, 2. Guangzhou Triennale 2005, 1. und2. Moskau Biennale und ist Co-Direktor der Serpentine Gallery in London./was artistic director in the team, among others, of the 1st Manifesta 1996, the 1st Berlin Biennale 1998, the 2nd Guang-zhou Triennale 2005 and the 1st and 2nd Moscow Biennale and is co-director of the Serpentine Gallery in London.

1) A.d.Ü.: Zitat aus dem Gedicht „Des DichtersGrabschrift“ in:William Wordsworth, Band II, Hg.und übersetzt von Marie Gothein, Adamant MediaCorporation, 2001.

2) Zitat: Giorgio Agamben:Was ist ein Dispositiv?diaphanes, Rom 2006, S. 9.

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Biennalen – gesternund heute / Biennales

yesterday and today

Eine Publikation zur Ausstellung„Biennale Cuvée“ 2009

1895 eröffnete die erste Biennale inVenedig. Heute bestehen mehr als 150Biennalen und Triennalen, wobei einegenaue Zahl nicht festzulegen ist.Nicht immer wird der zwei- oderdreijährliche Rhythmus eingehalten,nicht alle sind international ausge-richtet und nur die wenigsten geltenals wegweisende Ausstellungen. Indieser kurzen Geschichte der Biennalenwerden die wichtigsten Veranstal-tungen vorgestellt. Im zweiten Teilbeantworten die namhaften Biennale-Kuratoren Paul Domela, David Elliott,Charles Esche, Fumio Nanjo, Huo Hanruund Hans-Ulrich Obrist grundlegendeFragen zu Biennalen heute.

A publication for the exhibition“Biennale Cuvée” 2009

The first biennale opened in Venicein 1895. Today there are more than150 binennales and triennales, al-though it is not possible to establisha precise number – because thetwo- or three-year rhythm is notalways kept to, not all are interna-tionally oriented and only the fewestof them can be considered to bepioneering exhibitions. This briefhistory of biennales presents themost important events. In the secondpart, the famous biennale curatorsPaul Domela, David Elliott, CharlesEsche, Fumio Nanjo, Huo Hanru andHans-Ulrich Obrist answer funda-mental questions on biennales today.