christian morgen.stern - man.n muss aus einem licht fort in das andere gehen

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Christian Morgenstern Man muss aus einem Licht fort in das andre gehen Ein Spruchbuch * R. Piper & Co. Verlag München

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... der Realität sehr nahe, dieser geniale Mann.

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Page 1: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Christian Morgenstern

Man muss aus einem Licht fort in das andre gehen

Ein Spruchbuch

*

R. Piper & Co. Verlag München

Page 2: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Herausgegeben von

Margareta Morgenstern

Page 3: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

... Freund, so du etwas bist, so bleib doch ja nicht stehen.

Man muss aus einem Licht fort in das andre gehen.

Angelus Silesius

Wisset, ein erhabener Sinn legt das Grosse in das Leben, und er s u c h t es nicht darin.

Schiller

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Page 4: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Selbsterkenntnis, goldne Gabe,

wunderbare, jüngende Kraft! Oh, solang ich dich nur habe,

glüht mein Geist noch unerschlafft.

Immer tiefer, immer wahrer machst du den, der dich besitzt, wirkst zugleich, dass immer klarer

Welterkenntnis ihn durchblitzt.

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Page 5: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Sieh, das ist Lebenskunst:

Vom schweren Wahn des Lebens sich befrein,

fein hinzulächeln übers grosse Muss.

*

Niemanden hassen, jeden belassen

in seinem Wesen, in jedem lesen

die ewige Meinung, das macht genesen

zum Allumfassen, zur Allvereinung.

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Page 6: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

EINEM JUNGEN MÄDCHEN

Behaupte dich, sonst gedeihst du nimmer.

Es gilt: Ich gegen Ich überall und immer. Nur die kräftigen

schauen die Höhn; was weinst du denn --

Ist das nicht schön?

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Page 7: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

EIN JUNGER FREUND

Alles ist in ihm noch Seele, fand noch nicht den Geistgebieter;

leichtbeschwingte Philomele, bald verweilt er, bald entflieht er.

Und so flattert er mit vielen, und geduldig blüht der Garten,

doch sein Treiben ist ein spielen und die Götter warten ... warten ...

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Page 8: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Glaube nicht, du kannst mit dir betrügen.

Du wirst genügen oder nicht genügen, je nach dem Grund, aus dem du aufgestiegen.

*

Ich lobe mir den Freund, der wachsen macht; vor trockenen Seelen nimm dich, Herz, in acht.

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Page 9: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Das ist die ewige Jugend aller Welt, dass sie mit jedem neu geboren wird.

*

>>Woran sollen wir uns erziehen?<< An grossen Biographien.

Plutarch unters Kopfkissen! wie wir´s von Napoleon wissen.

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Page 10: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Er konnt´ nie über etwas lachen. Wie kann ein Mensch so tief verflachen!

*

Wer sich nicht selbst verspotten kann, der ist fürwahr kein ernster Mann.

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Page 11: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Wenn du die Welt an jedem Tag nicht neu erobern willst,

verlierst du sie von Tag zu Tag mehr. *

Der, dessen ganzer Zug zum Interessanten nur,

er liebt mir nicht genug die Fülle der Natur.

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Page 12: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Alles ist von Wichtigkeit,

alles ist nicht gar so wichtig. Nur die rechte Sichtigkeit

und du wandelst richtig. *

Der Kunst Geheimnis hälst du bald am Kragen: Hab was zu sagen und du wirst es sagen.

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Page 13: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

WORTE

Worte sind wie Rettungsringe, die dem Leben dienen;

auf den tiefen Grund der Dinge kommst du schwer mit ihnen.

*

EWIGES EINERLEI

Was längst beantwortet ist oder längst zu beantworten wäre,

das wird noch immer gefragt, das frisst noch immer Gehirn.

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Page 14: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Man muss Künstler sein, will man Lehrer sein,

man muss schaffen wollen in Fleisch und Bein.

*

TALENT -- GENIE

Talent: ein Gast am Tisch der Zeit. Genie: hält selber Haus.

Den bücklingt Ihre Herrlichkeit, der sie zur Tür hinaus.

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Page 15: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

NIETZSCHE

Mag die Torheit durch dich fallen, mir, mir warst du Brot und Wein,

und was mir, das wirst du allen meinesgleichen sein.

*

NIETZSCHE

Wen er nicht einmal zu Tode beschämt wen er nicht einmal zu Tode gelähmt,

hat nie auch nur im Traum geahnt, was für ein Geist da fragt und mahnt.

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Page 16: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Ihr karrt in ewig gleicher Spur

und narrt euch vor, dies sei Kultur. *

Armselige Kultur, die nur sich selbst bespiegelt, und keiner ferne Tore dir entriegelt.

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Page 17: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

JOURNALISMUS

Jungvolk der Pythargoräer hielt fünf Jahre sich im Schweigen.

Heute will jede/r junge Krähe/r alsogleich sein Stimmlein zeigen.

*

PÖBLESSE OBLIGÉE

>>Gutes lasst uns stets beschweigen, denn es dünkt uns selbstverständlich;

Schlechtem aber stets bezeigen, wie wir ihm so tief erkenntlich!<<

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Page 18: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

So klein der Winkel,

So gross der Dünkel. *

Möge das als niedrig gelten: Was man nicht vermag, zu schelten.

*

Dass er so wenig weiss und kann: Das ist es, was den Edlen schmerzt,

indes der eitle Dutzendmann zu jedem Urteil sich beherzt.

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Page 19: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Das ist ein Merkmal dieser Zeit:

Schamlose Unbescheidenheit. Man scheidet nicht mehr klein und gross,

man urteilt allen Wissens bloss. Wie lernt sich schwer, was d e n k e n heisst,

doch ü b e r denkt man jeden Geist, und sieht man ganz besonders >>klar<<,

so über w i n d e t man ihn gar. Statt dass man sagt: So weit wie den Lässt mich mein Aug wohl nimmer sehn.

Wer so viel feinste Linsen schliff, erwuchs zu höherem Weltbegriff.

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Page 20: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Einen Einzelnen abschätzen heisst schon lügen.

Wer ist denn der Einzelne! Eine Fiktion. Ein Wort in einem Riesensermon,

den wir nicht fassen trotz allen Flügen. *

AN DIE MESSIASSÜCHTIGEN

>>Messias, komm`, gib endlich Licht! Lass endlich unsre Sehnsucht landen!<<

So jammert ihr -- und habt noch nicht den ersten grossen Mann verstanden.

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Page 21: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Was die Menge beseelt

Wider den grossen Mann: Dass er sie quält,

dass sie ihn nicht begreifen kann. *

So fand ich es überall und immerdar: Wo etwas Grosses zu schaffen war,

stand der Erste allein. Kein Felsen im Meer konnte einsamer sein.

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Page 22: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

SEGEN DER IN-SICH-RUHENDEN

Lass ihn sprechen, wie er will, denke: ja, und denke: nein.

Doch er s e l b e r tief und still werde dein.

*

Du kannst keinen grossen mehr ruhig verehren, musst dich zugleich seiner Narren erwehren.

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Page 23: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Ihr nehmt ja allen Duft und Schleier fort, darin Lebendiges allein gedeiht.

Dein Sinn ist allzu lüstern, meine Zeit, und >>Ehrfurcht<< lautet nicht dein Lieblingswort.

*

GLÜCKSELIGER MALERSTANDPUNKT

Madonna! Welche Armut, welcher Dreck! -- Doch auch wie wundervoll als -- Farbenfleck.

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Page 24: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

DER ZEITUNGSLESER

>>Unendlich viel geschah, just da

ich Mensch gewesen.<< Und was geschah von dir?

>>Von mir? Das, was geschah, zu -- lesen.<<

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Page 25: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

AN JEDEN, DEN´S ANGEHT

Ich weiss, wie der Gesellschaft Mühle klappert, da kommt der Einkehr Geist kaum zu Gehör. Es ward ja auch nicht nur so hingeplappert: das Wort vom Reichen und vom Nadelöhr.

*

Der Übermensch ist schon kapiert, wenn man das Dutzend nur chokiert.

Und suchst du einen Zeitvertreib, so bist du auch schon Überweib.

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Page 26: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

O Scham oft, tiefste Schande, Mensch zu sein, Mitmensch von Geier, Büffel, Fuchs und Schwein.

*

Es ist der Massstab, der den Rang bestimmt, wie leicht, wie schwer ein Geist die Dinge nimmt. Hier ist ein Mensch, der nicht zu wägen weiss,

und drum gehört er nicht in eines hohen Lebens Kreis.

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Page 27: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Sahst du schon einmal

Wolkenbruch bei Sonnenschein? Silbern rinnt der reine Strahl,

spinnt die Landschaft ein.

Es lebe das gefährliche Spiel mit feindlichen Gewalten.

Gross der Einsatz, gross das Ziel -- also lasst´s uns halten.

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Page 28: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Wer alles ernst nimmt, was Menschen sagen, darf sich nicht über Menschen beklagen.

Alles Reden ist meist nur Gered. Weiss man erst, was dahinter steht,

lässt man´s klappern wie die Mühlen am Bach und geht stillfein in sein eigen Gemach.

*

Dieses ewige pro domo reden -- Wie entbehrt es jeder Scham, und wie sagt es klar für jeden, w i e die Macht herunterkam.

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Page 29: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Wie vieles bleibt, bedenkt man´s ehrlich, wichtig,

wie vieles wird dem Wahren leer und nichtig. *

SEI -- URSPRÜNGLICH!

Lass dir nie den Mut verwirren: Ich k a n n schaffen, ich da r f schaffen!

Lass dich doch die ewigen Affen Der Vergangenheit nicht irren!

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Page 30: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Ein jeder soll den Weg des andern achten, wo zwei sich redlich zu vollenden trachten.

*

Du bist in jedem Augenblicke neu; drum sei dem Alten nicht zu knechtisch treu.

Und war dein Herz bis heut wie Kohle schwarz -- Du hast die Macht: und es wird weiss wie Quarz.

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Page 31: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Was braucht ein Volk für Gönner? Wahrheit-sagen-Könner.

*

Versäumte Pflicht Gebiert sich selbst

das Blutgericht. *

Habe nur den rechten Blick -- Alles ist Schuld zuletzt

und alles muss -- Sühne sein. Wer spricht zu sich: ich bin von Fehle rein,

wer sähe vorwurfsfrei auf sein Geschick.

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Page 32: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Alles Leben steht auf Messers Schneide.

Gleite aus, und du ertrinkst im Leide. *

Es gibt Unterschiede und soll sie geben.

Nur kein fauler Friede. Lieber kein Leben.

*

Jeder Feind hat doppelt Quartier, eins bei sich und eins bei dir.

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Page 33: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Ist auch alles nur Theater,

jeder dünkt sich doch Gottvater, und wirklich fehlt nur um ein Haar:

i s t er´s sogar. *

Wen lässt ein Musikante leben? Keinen und ein oder zwei daneben.

*

Wozu, so fragt man sich, Reich, Wohlstand, Macht, wenn alles das die Menschen nur v e r f l a c h t.

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Page 34: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Ich achte heut noch, was ich einst geachtet: Dem Manne Schmach, dem Geld und Gut gegeben,

ohn´ dass er durch ein zwiefach adlig Leben den blinden Zufall auszugleichen trachtet.

Verharren wir im >>Unsern<< ohne Liebe, so schilt man uns nicht nur, so s i n d wir D i e b e.

*

Was ich möchte im Guten und Bösen: Recht viele Menschen zur Freiheit erlösen.

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Page 35: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

FREIHEIT

Freiheit ist kein käuflich Gericht;

man hat sie oder man hat sie nicht. Und wer sie hat, wer wirklicht >>frei<<,

hat noch ein kleines Lächeln dabei. *

Erfahr ich, wie Mitchristen sich gebärden, möchte ich aus Scham und Ingrimm Jude werden.

Noch mehr! Wie´s Jude Christ und Heide treiben, verwehrt mir fast, noch länger Mensch zu bleiben.

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Page 36: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

IKARIDEN

Er trinkt zu viel, sein Auge schwimmt

in Wonnen zu gemeinen Wohls. Er bleibt, so hoch den Flug er nimmt,

ein Ikarus des Alkohols. *

MÜNCHEN

Du liebe Mutter- und Vaterstadt, dir will ich nichts Hartes sagen. Doch trinke dich nicht allzu satt

an alten glänzenden Tagen. *

ARITHMETISCHE PROGRESSION

Ein paar Zeitungen zwei Parteizungen.

Zwei paar Zeitungen vier Parteizungen usw.

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Page 37: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Nichts trostloser als ein Humor, den man aus Humorlosem kitzelt.

Die Welt ward zu Tode gewitzelt und trister denn je zuvor.

*

Halt unter Schlüssel Wirken und Leben.

Jedem Schweinsrüssel bist du sonst preisgegeben.

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Page 38: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Das brennt und bricht

durch alle Zeit: Das Ewige Licht

Sinnlichkeit. *

Das nennt ihr grosse Kunst? Ich nenn es -- grosse Brunst.

*

Im Sturm, da gibt es nicht mehr dies und das, nicht mehrerlei, nicht zweierlei, der Sturm

hat eine Möglichkeit nur, sich, den Sturm.

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Page 39: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Aus reifem Leben nun zurückgewendet:

Zu keinem Hass mehr fühl ich mich beherzt. Kein Fluch mehr, einem Teil der Welt gespendet! Das Ganze ist´s, das Ganze, was heut schmerzt.

*

LEHRE

Was die Welt an Lehre mir gegeben, willst du wissen?

Unser Bestes dürfen wir nicht leben, weil wir >>leben müssen<<.

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Page 40: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Ich liebe mir die überlegenen Geister,

die über Ihren Ernst noch lachen können, die nicht der Worte Kinderspiel und -Tanz

um ihrer Freiheit Wolkenflug gebracht.

Sie, die des Lebens wunderreichsten Glanz wie seine höllengleiche Nacht

zu einem A n b l i c k für sich machen können -- sie sind gewiss des Lebens beste Meister.

*

In allem pulsieren, an Nichts sich verlieren.

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Page 41: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

FRAGE OHNE ANTWORT

Es gibt Menschen, die so gross sind,

dass ihnen solche Dinge nicht mehr dienen. Es gibt Menschen, die so gross sind --

gehörst du zu ihnen? *

DER KÜNSTLER

Lass dich nicht nach Menschenweise an den Tanz der Dinge binden.

Sprich: Verwirrt mir nicht die Kreise! Alles andre wird sich finden.

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Page 42: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Dankbarkeit und Liebe sind Geschwister.

Dankbarkeit i s t Liebe, mild, doch stet. Wer ein Liebender durchs Leben geht,

auch ein Dankender für alles ist er. *

Aus der ach so karg gefüllten Schale unsres Herzens lasst uns Liebe schöpfen, wo nur immer einer Seele

Schale leer steht und nach Liebe dürstet.

Nicht versiegen drum wird unsre Schale, steigen wird die s o geschöpfte Flut, nicht fallen,

Fülle wird das Los des so verschwenderischen Herzens.

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Page 43: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Blume, die du über vielem schwebst,

nie ganz gefangener Duft der Erdendinge, -- du reiner Hauch, der du der Seele Schwinge

zu immer neuen Flügen hebst, -- der du uns ahnen lässest unter Schauern,

wie hoch wir Menschen unser Bild erhoben, und über trägen Stoffes dumpfem Trauern

den Isisschleier einer Gottheit woben!

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Page 44: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Nichts Holderes,

als wenn die Seele reift, von süssen Säften schwillt

und überflutet!

Bis sie des Herbstes höchster Rausch ergreift --

und sich zu -- a n d r e r Glück ihr Glück verblutet.

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Page 45: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

AN DES DICHTERS ANDERE HÄLFTE,

DEN LESER:

Wie wenn der Wind von fernen Dingen singt, heut magst du ihn verstehn und morgen nicht, --

so wehen unsere kargen Worte dir des Lebens unbestimmten Duft hinüber.

Und heute schwillt dein Herz in Ahnung mit und unser Werk wird ihm von neuem Welt,

und morgen stehst du fremd und kalt vielleicht und vor dir liegt ein totes, stummes Lied.

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Page 46: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

GOETHE

Wer je des Menschen Sinn vergass,

den lehre dieses Menschenlos. Nie wies ein Mensch so sehr des Menschen Mass

und war in diesem Mass so tief und gross. *

AUF EINEN ERNSTEN GELEHRTEN

Nichts Schöneres als eine ernste Seele, die, was sie schaut, gelassen andern spiegelt

und alle Kraft, die reich ihr innewohnt, allein ins Leuchten dieses Spiegels legt.

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Page 47: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

ZUM TÄGLICHEN LEBEN

Harmlosigkeit -- wie atm´ ich gern darin! >>Intelligent<< und >>heiter<< sind die Worte,

die geben mir den frohsten Klang und Sinn. Beglückt das Haus, hoch über dessen Pforte

sie glänzen! *

Nur wer den Menschen liebt, wird ihn verstehn, wer ihn verachtet, ihn nicht einmal -- sehn.

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Page 48: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Was kann ein Gastfreund Bessres sagen

als: Ich fühlte mich daheim. Schenkt nun auch als Gegenreim: Wir haben ihn wie u n s ertragen.

*

Zum Menschen fühl ich Unverbesserlich mich hingezogen,

belogen und betrogen oft -- was tut´s!

Denn, was ich liebe, steht über dem, was e i n e r ist.

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Page 49: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Kreuz und quer bin ich gereist, mochte nirgends lange bleiben.

Einer Heimat zu: dem G e i s t, tat´s mich immer wieder treiben.

*

REINKARNATION

Dies ist das Tor, durch das ich eingetreten und alle Dinge wie verwandelt schaue.

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Page 50: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Von Herzen Schollenmensch,

von Geist Nomade. *

LETZTES

Eine Hütte, mich,

ein Mädchen, Ruhe vor der Welt.

Und dann:

Alles f ü r die Welt!

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Page 51: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Ich sage dir als tröstlich Wort, wie eins aufs andre ist gestellt.

Denk einen Punkt des ganzen fort, du denkst dich selbst aus der Welt.

*

Du bist zu eng in dich gebannt, verliere dich, sieh ab von dir.

Stadt, werde Land!

Lass alles in dir untergehn, was Burg- und Bürgersinn.

Wo Erd und All zusammengehn, da schaue hin.

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Page 52: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Du musst den Blick ins Weite kehren,

von deinem engen eignen Wesen. Die Weite muss die Enge lehren.

Du musst am Leid der Welt genesen. Zum Leid des Gottes musst du kommen

und musst in Seinem Anlitz lesen --

und aller Gram wird dir genommen. *

Wer lebendiges will verstehn, muss ins Land des Todes gehen.

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Page 53: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

VON EINEM ZUR SCHLACHTBANK

GEFÜHRTEN KALBE

Leben wird zu Tod geführt, ohne dass das Herz sich rührt,

Mensch!

Freilich, schlachtest noch dich selbst, wie du auch die Stirne wölbst,

Christ!

Bis die Kreatur d i r schreit, wie weit noch, o wie weit,

Gott!

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Page 54: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Das ist das Verwerfliche eurer Strafen,

dass es die Trauer in uns ertötet, die zehrende Trauer, die uns nicht schlafen

lässt, dass ein Bruder die Hand gerötet.

Da liegt er nun im eisernen Netze … Und w i r ? Bedauern, vielleicht; doch kein Gram,

kein Wille hinauf, keine Not, Liebe, Scham! Zerbrecht mir, Menschen, solche Gesetze!

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Page 55: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

RICHTERPHANTASIE

Vor dem irdischen Gericht

Gingst du deiner Wege, doch es wartet, Bösewicht,

droben mein Kollege. *

Heute schreiben wir noch >>Welt<<. Doch als >>wellt<< wird´s klarer vorgestellt.

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Page 56: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Lehrer Tod,

der du die Menschen lehrst, ihren Trotz durch Not zur Einsicht kehrst --.

Richter Tod, vor dir gilt kein Gefecht --

du bist weise und du bist gerecht.

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Page 57: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Schlachtfelder sind wir allesamt,

auf denen Götter sich bekriegen. *

Sieh, dies ist Gottesleid: Zersplittert sein

in Legionen Herzen; sein Allundein

in tausendfachem Kleid um schöpferisches Glück und Pein

verscherzen.

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Page 58: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Gütig ist die schönste Form von gut,

so wie warm vielleicht die schönste Form von licht. >>Jenseits von gut<< -- so spricht wohl kühner Mut,

jenseits von gütig, nicht. *

Lasset uns einander lieben, und da heisst es auch einander hassen;

nur wenn wir uns strengst ins Auge fassen, wird der finstre Wahnsinn einst uns lassen,

der uns auseinander einst getrieben.

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Page 59: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

O reife Frucht

des Baums, der Leben heisst, wer pflückte dich,

der´s nicht mit Blut erkaufte!

*

Wenn die Rosen um deine Stirn, Mensch, nicht Blutstropfen sind,

wirst du nicht wissen, warum du lebst, bleibst du ewig Kind, Mensch.

) 62 ( ----------------------

Page 60: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Und so hebe dich denn

aus den Nebeln des Grams auf des Selbstvertrauens

mächtigen Fittichen aufwärts,

bis du dir selber mit all deinem Leide

klein wirst, gross wirst

über dir selber und all deinem Leide.

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Page 61: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Und magst du alle Worte auch verbrennen,

du musst dich endlich doch zum W o r t bekennen. *

Ob Jesus ein Mensch war oder nicht, darob nur ein Tor sich den Kopf zerbricht.

Denn nur ein Totenkopf vergisst, dass >>Mensch<< nichts als ein Deckwort ist.

) 64 ( ----------------------

Page 62: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Ich bin ein Mensch und schlag mich selbst ans Kreuz.

Ich Mensch, den Gott in mir, der ich n i c h t bin. *

Dem sinkt der Bogen aus der Hand, der lässt die raschen Pfeile fallen, der einmal vor des Lebens Wallen mit aufgeschlossnem Auge stand.

) 65 ( ----------------------

Page 63: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

RUDOLF STEINER

Zur Schönheit führt dein Werk: denn Schönheit strömt

zuletzt durch alle Offenbarung ein, die es uns gibt.

Aus Menschen-Schmerzlichkeiten Hinauf zu immer höhern Harmonien

entbindest du das schwindelnde Gefühl, bis es vereint

mit dem Zusammenklang unübersehbarer Verkünder G o t t e s

und S e i n e r nie gefassten Herrlichkeit mitschwingt im Liebeslicht

der Seligkeit … Aus Schönheit kommt,

zur Schönheit führt dein Werk.

) 66 ( ----------------------

Page 64: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Wir Menschen sind wie Blätter eines Baumes,

die irgendwann in grauer Vorzeit Tagen vom väterlichen Stamm sich selbst gerissen.

Und nun, Geschöpfe unsres eignen Traumes, hinwandeln wir in ungeheurem Wagen

den labyrinthnen Weg vom Wahn zum Wissen. *

Und sähst du deine Gottheit aller Enden, du müsstest doch als Mensch dein Los vollenden.

) 67 ( ----------------------

Page 65: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Verlange nichts von irgendwem,

lass jedermann sein Wesen, du bist von irgendwelcher Fern

zum Richter nicht erlesen.

Tu still dein Werk und gib der Welt Allein von deinem Frieden,

und hab´ dein Sach auf nichts gestellt und niemanden hienieden.

) 68 ( ----------------------

Page 66: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Wie kann ich glücklich sein, wenn d u nicht glücklich bist, du Welt voll Harm und Pein

(wie oft in Frost und Zwist Mein schwaches Herz auch dein

in deiner Not vergisst)!

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Page 67: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Wie war es nur möglich, im Auge unendliches All,

im Schosse der Gottheit, ja selber der Gottheit ein Teil, so ganz zu vergessen des Ursprungs unsterblichen Stolz,

so ganz zu verlieren den Adel der Geistesgeburt. Wie konnte der selber aus nichts als Geheimnis, als nichts

Denn wieder Geheimnis erblühte Mensch seinen Sinn So niedrig -- eintägig verdüstern, verbürgern …

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Page 68: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

>>Trostlos?<< Das Wort ist mir entschwunden,

seitdem ich Mich in mir gefunden. *

Wohl eignen Jammers Furchtbarkeit empfindest du, doch fühlst du auch die Furchtbarkeit der Welt?

*

Vergänglichkeit! Wort, das Gott-Welt enthüllt. Wer dürfte dauern, den ein Ziel erfüllt?

) 71 ( ----------------------

Page 69: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

O ihr kleinmütig Volk, die ihr vom Heute

nicht loskommt, die ihr meint: so ist es, war es und wird es sein, so lange Menschen leben --.

O würdet ihr doch andrer Hoffnung Beute und lerntet wieder schauen Offenbares

und Hirn und Herz zu höchstem Ziel erheben!

) 72 ( ----------------------

Page 70: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

In Öde würden wir sinken

durch Gleiches und immer Gleiches, wollten wir Jungkraft nicht trinken aus Brunnen des Geisterreiches.

Verborgenes erneure, wen Offenbares verstörte,

Offenbarung befeure uns aufwärts ins Unerhörte!

) 73 ( ----------------------

Page 71: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Es leiht mir wunderbare Stärke

die Zuversicht, dass nimmermehr ich sterbe, dass ungehemmt ich meine Werke

vollbringe, ob auch oft mein Leib verderbe; es wirkt, dass ich mit ernster Ruhe

von meiner Plane Fehlschlag mich ermanne. – Ich weiss: was ich erstrebe, was ich tue,

ist nicht gebannt in e i n e s Lebens Spanne.

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Page 72: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

O wie herrlich, einst sein Kleid nach der Arbeit abzulegen

und sich eine kleine Zeit dann in Geistesluft zu regen, um in neuem Kleide dann

neu zu stehen seinen Mann!

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Page 73: Christian Morgen.stern - Man.n Muss Aus Einem Licht Fort in Das Andere Gehen

Wachen ist Wunder.

Schlafend geht die Welt aus Stein und Pflanze

ihren steten Gang, und jede Nacht

gesellt auch Mensch und Tier dem grossen Schlaf,

in dem die Schöpfung kreist. Wachen ist Wunder. Augenaufschlag aus

göttlichem Traum zu göttlichem Selbstgesicht.

Erwachen aller Werke ist das Ziel, dem aller Gottesschlaf der Welt zu-strebt.

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Kostbarer Funke des Enthusiasmus,

wenn du überspringst von Mensch zu Mensch,

da küssen sich -- Götter . . .

Das ist die Weise, wie Götter sich lieben:

im unsäglichen Blitz des heilig schimmernden

Auges! Dies ist die Art,

wie die in den Himmeln jubeln!

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DER SPECHT

Wie ward dir, kleiner Specht, so grosse Kraft! Von deinem Klopfen tönt der ganze Schaft der hohen Kiefer. Wär´ auch mir vergönnt,

dass ich den Menschen so durchklingen könnt! *

Geduld, du ungeheures Wort! Wer dich erlebt, wer dich begreift,

erlebt hinfort, begreift hinfort, wie Gottheit schafft, wie Gottheit reift!

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Was jetzt Sehnsucht ist, wird Wille,

was jetzt Wille, wird einst Kraft nach der grossen, reichen Stille.

Kraft, die das Gewollte schafft, Wille, der aus diesem Schaffen

abermals uns weiter rafft.

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