christus in den religionen der christliche glaube und die wahrheit der religionen

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•• GERHARD GADE CHRISTUS INDEN RELIGIONEN Der christliche Glaube und die Wahrheit der Religionen .. FERDINAND SCHONINGH PADERBORN . MÜNCHEN· WIEN· ZÜRICH

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    GERHARD GADE

    CHRISTUS INDEN

    RELIGIONEN

    Der christliche Glaube und die Wahrheit der Religionen

    ..

    FERDINAND SCHONINGH PADERBORN . MNCHEN WIEN ZRICH

  • OOOU07~

    Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

    Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie: detaillierte bibliografische Daten sind

    im Internet ber hup:lIdnb.ddb.de abrulbar.

    Umschlaggestaltung: Evelyn Zicgler, Mnchen

    Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alteru ngsbestndigem Papier8 1S0 9706

    Cl 2003 Ferdi nand Sch ingh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schni ngh GmbH, Jhenplatz 1, 0 -33098 Paderborn)

    Internet : www.schoeningh.de

    Alle Rechte vorbehahen. Oie.ores Werk sowie ei nzelne Teile desselben sind urheberrechtlich gesc htzt. Jedc Verwertung in anderen als den gesetzlich

    zugelassenen Fallen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung de .... Verlages nicht zulssig .

    Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schni ngh, Paderborn

    ISN 3-506-7011 1-8

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    Inhalt

    Vorwort ....... .. ..... ............... ....... ........... ..... .. ........... .............................. 7

    Zur Einfhrung ....................................................... ..... ........ .. ..... .. .. . 11 I . Die Aufgabe einer Theologie der Religionen -

    eine Quadratur des Kreises? ... .... ............ ... ... ........ ......... .... .. .... I I 2. Probleme einer Theologie der Religionen .............................. 16 3. Zu diesem Buch .......... .. ................ .................................... ...... 20

    1. Kapitel: Relativismus und Fundamentalismus: zwei Irrwege .. .. ....... .. ............. 23

    2. Kapitel: Die religionstheologische Sackgasse .................... .. ....... .................. .. 39

    I . Exklusiver Wahrheitsanspruch: Christus gegen die Religionen ................ ................................ 40

    2. Inklusivismus: Christus ber den Religionen .. .. ....... ............ .. 48 3. Pluralismus: Christus neben den Religionen .......................... 59 4. Zwischenergebnis: auf der Suche nach einer

    Alternative ..................... ......... ......................... .. .... ....... ........ .. 79

    3. Kapitel: Was ist Religion? ........ .. ... ................ .... ............. .. ......... ......... ............. 83

    1. Worum geht es in den Religionen? ............. .... ........................ 84 2. Die Problematik der Religionen .................... .. ... ........... ....... .. 99 3. Die christliche Botschaft - Versuch einer Antwort .............. 106 4. Die dunkle Seite der Religionen ........................................... 118

    4. Kapitel: " Interiorismus" -eine christliche Verhltnisbestimmung ............. .. ............................. 131

    I . Der Kanon der Heiligen Schrift aus Altem und Neuem Testament ............... ....... ................... 136

    2. Interiorismus - Christus in den Religionen ........................... 160 3. Zur Diskussion dieses Vorschlags ......................... .. ............. 178

    Schlussbilanz ....................................................................... .. ......... 191

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    Vorwort

    Der 11 . September 2001 markiert nicht nur ein weltpolitisches, sondern auch ein religionsgeschichtliches Datum. Entsetzt stand die Weltffent-lichkeit vor einem nicht allein politisch, sondern - vielleicht sogar in erster Linie - religis motivierten Terroranschlag, der alle bis dahin bekannten Dimensionen sprengte. Seit diesem Datum ist eine breite Diskussion entbrannt um den Kampf der Religionen, um den Streit der Kulturen, um einen "clash of civilizations" (Samuel P. Huntinglon). Worte wie "Heiliger Krieg" und "Gotteskrieger" , die man bislang nur mit einer entfernten Vergangenheit verband, sind in aller Munde und be-kommen neue ungeahnte und erschreckende Aktualitt.

    Dieser religis motivierte Streit der Kulturen hat selbstverstndlich se ine politische Tragweite. Denn es geht um die politische und kulturelle Vorherrschaft in einer grenzenlos gewordenen globalisierten WeItgesell-schaft. Wir haben es offenbar mit politisierter Religion zu tun.

    Die Ereignisse machen klar, dass Religion noch lange nicht tot ist. Und wir machen die vielleicht unerwartete Erfahrung, dass Religion nicht nur ein sanftes und friedvolles Gesicht hat, sondern auch ein hartes, kriti sches, ja sogar entsetzliches und gewaltttiges. Religion kann eben auch destruktive Krfte entfesseln, fanatisierte Massen mobilisieren, Angst schUren und Schrecken verbreiten. Fassungslos stehen insbesonde-re Menschen vor diesen Phnomenen, tur die Religion nur etwas mit Lebensverschnerung, mit religiser Verfeierlichung von besonderen Lebenssituationen wie Geburt, Hochzeit und Trauer oder mit privater Lebenshilfe zu tun hat. Vor allem in unseren westeuropischen Lndern ist Religion zur bloen Privatangelegenheit geworden. Toleranz ist nicht se lten zu einer anderen Bezeichnung tur Gleichgltigkeit verkommen. Sptestens seit dem 11 . September 2001 dmmert uns wohl , dass solche falsch verstandene Toleranz nicht die angemessene Antwort auf die un geheure rel igise Stokraft se in kann, die sich in diesen Ereignissen entladen hat. Der Verzicht auf die Frage nach der Wahrheit im Namen eines alles relativierenden Pluralismus kann ebenso wenig eine konstruk

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  • tive Antwort aufeine politisierte und als Bedrohung empfundene Religi ositt sein wie eine gleichfalls fanatische und fundamentalistische tntole ranz gegenUber der Herausforderung durch religis anders geprgte Kul turen. Man wrde damit die Fronten nur verhrten.

    Gefordert ist heute ein mUhevoller, langwieriger, konstruktiver Dialog zwischen den Religionen und den von ihnen gepragten Kulturen. Dabei ist auch von christlicher Seite die Einsicht gefordert, dass in der langen Geschichte des Christentums von diesem nicht nur Segen tur andere Vlker und Religionen ausgegangen ist. Nicht selten wurden diese infe riorisiert. ihre AnhInger zwangsmissioniert. ihre Gebiete auch religis kolonisiert. Das Christentum prsentierte und etablierte sich oft in den Koloniallndern als die Uberlegene Religion und als Bringer einer ebenso Uberlegenen Kultur. Dass solches Verhalten in hohem Mae beigetragen hat zu Misstrauen und Ablehnung, ist nur allzu verstndlich. Und ver stndlich ist es auch, wenn Menschen in diesen Lndern sich neu aufihre eigene Kultur besinnen und die berfremdung durch die Vorherrschaft einer anderen, heute vor allem westlichnordamerikanischen Zivilisation abstreifen mchten.

    Eine solche kritische Neubesinnung ist auch bei uns in der westlichen Kultur notwendig. Welche sind unsere Wurzeln? Wem verdanken wir unsere kulturelle Prgung? Welche Werte sind uns teuer? Wie knnen wir in einer globalisierten Weltgesellschaft in Achtung vor anderen Reli-gionen und Kulturen leben, ohne unsere eigene gewachsene Religion und die von ihr geprgte Kultur der GleichgUltigkeit preiszugeben? Allein eine kritische Neubesinnung kann zu einem konstruktiven Dialog der Kulturen befhigen. Nur starke Identitten sind in der Lage, einander kritisch und konstruktiv zugleich zu begegnen, einander zu bereichern und zu frdern .

    In diesem Buch soll das von einer klaren chrisllichen Position aus versucht werden. Wie knnen wir als Christen anderen Weltreligionen begegnen, ohne unser Eigenes und damit den christlichen Wahrheitsan-spruch aufzugeben und zugleich ohne andere Religionen abzuwerten? Wie kann uns die christliche Wahrheit in die Lage versetzen, die Wahr heit anderer Religionen zu erkennen und zu wrdigen? Die Theologie der Religionen versucht darauf zu antworten. Es handelt sich dabei um ein relativ junges Fachgebiet der Theologie. Es tragt der gewandelten religi-sen Situation Rechnung und versucht, das Verhaltnis zu den nichtchrist lichen Religionen Iheologisch zu bestimmen. Eine Theologie der Religi onen ist so auch als Selbstvergewisserung unerlssliche Voraussetzung tur eine fruchtbare Begegnung mit anderen Religionen.

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    Fr eine solche Begegnung ist nicht nur die Kenntnis anderer religi-ser Traditionen notwendig, sondern wohl in erster Linie das theologische Durchdenken des eigenen christlichen Glaubens. Worum geht es denn in unserem Glauben? Welchen Beitrag kann er leisten zum Frieden zwi-schen den Religionen? Worauf stUtzt sich unsere Wrdigung der Wahr-heit in den anderen Weltreligionen?

    Dieses Buch mChte zeigen, dass die Kraft des christlichen Glaubens weder in einem fanatischen oder fundamentalistischen Aufbegehren noch in einem alles vergleichgltigenden Kuschen vor der Herausforderung anderer Religionen entfaltet werden kann. Seine Kraft liegt in der Wahr-heit Jesu Christi und in seiner Verheiung eines alles Irdische berstei-genden Heils. Es ist diese unberbietbare gttliche Wahrheit (vgl. Joh 14,6), die Christen auch in den anderen Religionen entdecken knnen, ohne letztere abschaffen oder ersetzen zu wollen.

    Ich habe in diesem Buch auf einen wissenschaftlichen Apparat ver-zichtet und nach Mglichkeit auch eine Sprache vennieden, die nur Fachtheologen verstndlich ist. Die Grundgedanken habe ich bereits in meiner Mnchener Habilitationsschrift formuliert (Viele Religionen - ein Wort Gottes. Einspruch gegen John Hicks pluralistische Religionstheol0-gie, Gtersloh 1998). Das vorliegende Buch mchte nun ein breiteres an der Fragestellung interessiertes Publikum erreichen: Wie muss das Ver-hltnis des Christentums zu den anderen Religionen bestimmt werden? Warum reichen die bisherigen Modelle nicht mehr aus?

    Bei aller Einfachheit in Stil und Sprache mutet dieses Buch dem Leser dennoch zu, mitzudenken, andere Alternativen durchzuspielen und sich ein tragfhiges Urteil zu bilden. Damit mchte es dazu beitragen, dass mehr Christen als bisher Rechenschaft ber unseren Glauben abzulegen vermgen und verstehen, worum es darin, auch gegenber anderen Reli-gionen, zutiefst geht.

    Zahlreiche Freunde haben mich zu diesem Buch ennutigt und dazu beigetragen, dass es jetzt im Druck vorliegt. Unter ihnen darf ich Prof. Peler Knauer sj , Frankfurt am Main, und LOlhar Sendel, Koblenz, dank-bar erwhnen. Sie haben das Manuskript whrend seiner Entstehung gelesen und mir manche wertvolle Anregung gegeben. Fr das Korrek-turlesen danke ich sehr herzlich Bernhard Menkhaus, OsnabTck, und Dominik Wei, Rottenburg. Dem Verlag Schoeningh in Paderborn und seinem Lektor, Herrn Dr. Jacobs, danke ich rur die angenehme und un-komplizierte Betreuung.

    Rom, im Advent 2002 Gerhard Gde

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    Zur Einf"tihrung

    I. DIE A UFGABE EINER THEOLOGIE DER RELIGIONEN -EINE Q UADRATUR DES KREISES?

    Womit beschftigt sich die Theologie der Religionen? Man knnte zu-nchst vermuten, ihr Gegenstand seien die verschiedenen Religionen selbst: ihre unterschiedlichen Lehren, Schriften und Riten, die Vielfalt an religisen Ausdrucksformen und Lebensgestaltungen, die sie im Laufe der Geschichte hervorgebracht haben. Man knnte sodann annehmen, die Theologie der Religionen vergleiche diese unterschiedlichen religisen Phnomene miteinander und versuche. die Unterschiede und Gemein-samkeiten herauszustellen. Doch damit beschftigt sich in erster Linie bereits die Religionswissenschaft. die von einem vorreligisen Stand-punkt aus die verschiedenen Religionen zu erforschen und zu verglei-chen sucht. Vor allem der Zweig der Religionsphnomenologie hat sich auf diese Aufgabe spezialisiert.

    Man knnte auch meinen, die Theologie der Religionen versuche -ausgehend von der religisen Vielfalt - einen Begriff von Religion zu bestimmen und zu sagen, was das Wesen der Religion eigentlich ist. Doch auch di es ist nicht eigentlich Aufgabe einer Theologie der Religio-nen. In erster Linie ist die frage nach dem Wesen der Religion ein philo-sophisches Problem. Damit beschftigt sich die Religionsphilosophie. Was aber bleibt dann rur die Theologie noch zu tun?

    Theologie ist hier verstanden als christliche Theologie. Sie betrachtet die Religionen aus christlicher Perspektive und setzt sich mit der Tatsa-che auseinander, dass es vor und auerhalb des Christentums Religionen gibt: Judentum, Islam, Buddhismus, Hinduismus, Stammesreligionen usw. berall, wo Menschen lebten und leben, gab und gibt es auch Rel i-gion. Und fast Oberall, wohin Christen ihren Glauben hintragen, stoen

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  • sie keineswegs aufunreligise Menschen, sondern aufsolehe, die bereits einer religisen Lehre folgen, ihre religisen berzeugungen in kulti-schen Riten feiern und ihr Leben und Zusammenleben von ihrer Religion fonnen lassen. Das wird nicht immer so sein, und die christliche Bot-schaft wendet sich auch an nichtreligise Menschen, wie z. B. im heuti -gen Ostdeutschland (Eberhard Tiefensee) . Es ist auch sicher nicht ntig, erst religis zu sein, um von der Botschaft Jesu angesprochen zu werden (Dietrich Bonhoeffer). Aber in der Regel haben die Menschen bereits ein religises Vorverstndnis. Mitunter stt die christliche Botschaft auch auf Menschen, z. B. in den frher kommunistisch geprgten Staaten, die ihr Leben von einer atheistischen Ideologie mit religisen ZUgen deuten lieen. Die christliche Botschaft wendet sich von Anfang an also an Menschen, die schon religis sind oder irgendeiner Weltanschauung als Religionsersatz anhngen. Sie spricht diese Menschen aufihre Religiosi-tt und auf das damit verbundene VorversUlndnis hin an.

    Kann das auch heute noch richtig sein? Fr nicht wenige Christen ist das ein Problem geworden. Darfman Menschen, die bereits religis sind, mit einer ihnen bisher fremden Religion konfrontieren und sie einladen, sich ihr anzuschlieen? Darf man unter religiOsen Menschen tur das Christentum werben? Wie lsst sich der christliche Missionsauftrag, wie er im Neuen Testament zum Ausdruck kommt (z. B. Mt 28,19), heute richtig verstehen und mit Sinn fllllen?

    Und umgekehrt kann man fragen : Welche Bedeutung haben diese Re-ligionen rur die christliche Botschaft selbst? Schlielich beansprucht jede Religion, "wahr" zu sein und ihren Anhngern den Weg zu einem un-Uberbietbaren Heil zu weisen. Spricht die christliche Botschaft ihnen nun diese Wahrheit und den Heilswegcharakter ab? Mchte die christliche Botschaft diese Religionen abschaffen und durch das Christentum erset-zen? Oder sollte sie die anderen Religionen ungestrt und unbehelligt lassen? Aber dann gbe es auf Dauer keine Christen mehr. Das ist nicht in dem Sinne gemeint, dass die Kirche ihren Bestand fUr die Zukunft sichern mUsste. Vielmehr ist damit die Tatsache angesprochen, dass die christliche Botschaft selbst nur dann fortbestehen kann, wenn sie weiter-gesagt und von Menschen angenommen wird. Denn kein Christ ist al s Christ auf die Welt gekommen. Der christliche Glaube ist uns nicht an-geboren. Wir sind auch nicht von selber darauf gekommen. Wir haben ihn von anderen Menschen bernommen. Die Tatsache, dass wir bereils als Kinder getauft wurden, lsst uns das leicht vergessen.

    Die christliche Theologie der Religionen hat es also mit dem Verhlt-nis des christlichen Glaubens zu den nichtchrist lichen Religionen zu tun .

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    Wie sind die anderen Religionen aus christlicher Sicht zu verstehen und zu wrdigen? Und in welchem Verhltnis steht der christliche Glaube zu ihnen?

    Die Theologie der Religionen mchte das Verhltnis des christlichen Glaubens zu den nichtchristlichen Religionen in Uberzeugender und verantworteter Weise bestimmen. Eine solche Theologie ist heute beson-ders dringend erforderlich, weil die Menschheit immer enger zusammen-rckt und mit ihr auch die verschiedenen Religionen. Was frher eini-germaen suberlich durch geographische Entfernung getrennt war, erscheint jetzt vor allem in unseren Grostdten wie durcheinander ge-wrfelt. Wir begegnen im Alltag Nachbarn, Arbeitskollegen und Ver-kaufspersonal in vielen Geschften, die anderen Religionen angehren und ihre angestammte religise Tradition auch pflegen. In fast jeder greren Stadt Deutschlands gibt es neben den katholischen undevange-lischen Kirchengemeinden auch jUdische und muslimische Gemeinden. Hier und da werden auch buddhistische Tempel eingeweiht. In manchen Bundeslndern bereitet man sich auch auf den schulischen Koranunter-richt vor, der gleichberechtigt mit dem Religionsunterricht der christli-chen Konfessionen erteilt werden soll. Und es ist keine Ausnahme mehr, dass sich Einheimische nun tUr bis vor kurzem fremde Religionen inte-ressieren und manche sich ihnen auch anschlieen. hnlich ist die Situa-tion auch in vielen anderen westeuropischen Lndern.

    Eine Theologie der Religionen mchte in dieser gewandelten religi-sen Situation einen Dienst an den Religionen tun. Sie hat dem Dialog zwischen ihnen zu dienen und damit auch dem Frieden unter den Religi-onen. Sie mchte mithelfen, Feindseligkeiten abzubauen, die in der Ver-gangenheit allzu oft das Verhltnis unter den Religionen geprgt haben. Sie mchte auch einen Beitrag zum Verstehen anderer Religionen leisten und so neue Religionskriege zu verhindern helfen.

    In den vergangenen Jahrzehnten seit dem 2. Vatikanischen Konzil war die christliche Theologie sehr damit beschftigt, das Verhltnis unter den christlichen Konfessionen zu klren und zu befrieden. Groe Anstren-gungen wurden von den christlichen Kirchen und von ihren Theologen unternommen, um gegenseitige Missverstndnisse auszurumen und sich auch im Alltag und am Sonntag nher zu kommen. Auch wenn bis heute nicht alle Missverstndnisse beseitigt sind und eine gegenseitige volle Anerkennung als legitime christliche Traditionen und vor allem die A-bendmahlsgemeinschaft zwischen den Kirchen noch aussteht, kann man doch sagen, dass betrchtliche Fortschritte gemacht worden sind. Das Klima hat sich grundlegend gewandelt . In den allermeisten katholischen

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  • und evangelischen Kirchengemeinden ist das sprbar. Aus einem Gegen-einander der Konfessionen ist doch zumindest ein friedliches kumeni-sches Miteinander geworden. Aufkatholischer Seite lehrt das 2. Vatika-nische Konzil (1962-65) sogar, dass es zwischen den Christen verschie-dener Konfession "eine wahre Verbindung im Heiligen Geist" gibt (Lu-men gen/ium, an. 15). Inniger und vollkommener kann die Gemeinschaft von Menschen miteinander eigentlich gar nicht gedacht werden: Sie haben dadurch echte Gemeinschaft miteinander, dass sie Gemeinschaft mit Gott haben. Wenn sie das anerkennen, dann knnen sie sich gegen-seitig auch nicht mehr bestreiten, in der Wahrheit zu sein.

    Zu diesen Ergebnissen haben nicht nur Fachtheologen beigetragen. Zahlreiche kumenisch engagierte Christen aller Konfessionen, Pfarrer wie Laien, haben einen groen Anteil an diesen FrUchten. Doch es ist nicht zu bestreiten, dass auch die Theologie hier eine groe Aufgabe hat. Sie sorgt datUr, dass die Ergebnisse kritischen Anfragen standhalten und deshalb auch verantwortet werden knnen. Theologie bemht sich dar-um, dass die Probleme tatschlich als solche erkannt und eingegrenzt werden, dass begriffliche Klarheit herrscht und ein wirklich sachbezoge-nes Gesprch entsteht jenseits aller negativen oder positiven Emotionali-tt. kumene darf nicht an persnlichen Antipathien scheitern. Ebenso wenig aber sind persnliche Sympathie und emotionale Nhe Garanten der Wahrheit. So hilft streng sachbezogene Theologie dabei, dass nicht vorschnelle und unbedachte Schritte gemacht werden, die man hinterher bereut und wieder zurcknehmen muss.

    hnlich wie vor mehr als drei Jahrzehnten die kumene, steht nun wohl eine Theologie der Religionen auf der Tagesordnung. Hier geht es freilich nicht um einen innerchristlichen Dialog, sondern um eine echte Auseinandersetzung und einen Streit um die Wahrheit. Das Ziel kann jedoch weder sein, die anderen Religionen abzuschaffen oder rur falsch zu erklren, noch kann es darin bestehen, einem religisen Einerlei das Wort zu Uberlassen. Leider neigen wir leicht entweder zu der einen oder zu der anderen Position. Es gibt Christen, die fest davon berzeugt sind, alle anderen Religionen seien durchweg im Irrtum und deshalb unwahr. Sie meinen, der Wahrheit der eigenen Religion nur dadurch gerecht wer-den zu knnen, dass sie den anderen Religionenjeglichen Wahrheitswert bestreiten. Und ebenso gibt es Christen, die allzu schnell die Meinung vertreten, in allen Religionen gehe es ja doch im Grunde um dasselbe. Deshalb habe keine Religion das Recht, sich als einzig wahre Religion und wahren Weg zum Heil herauszustellen. Im Grunde wisse man doch gar nicht, was die Wahrheit letztendlich sei. Es sei deshalb Oberheblich,

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    die eigene Religion als wahr zu bezeichnen. Vennutlich sei jede Religion nur zum Teil wahr.

    Die erstgenannte Haltung wird auch als Fundamentalismus bezeich-net, whrend die zweite Relativismus genannt wird, weil sie die Wahrheit relativiert, und zwar nicht nur die der eigenen Religion, sondern auch die der anderen. Beide Positionen sind im Grunde recht bequeme Wege. Man macht es sich damit sehr einfach und venneidet die Anstrengung einer echten Wahrheitssuche. Wir werden auf diese zwei leider weit verbreiteten Haltungen noch zurUckkommen.

    Mit heiden kurz umrissenen Positionen hat eine berzeugende Theo-logie der Religionen nichts zu schaffen. Sie sucht einen anderen Weg, eine Alternative zu beiden, auch wenn das anstrengend ist und manche Mhe kostet und auch die Gefahr mit sich bringt, missverstanden zu werden.

    Eine christliche Theologie der Religionen, die versucht, das Verhlt-nis unseres Glaubens zu den Religionen in berzeugender und theolo-gisch verantwortlicher Weise zu bestimmen, scheint jedoch auf den ers-ten Blick dem Versuch einer Quadratur des Kreises zu gleichen. Zu wi-dersprUchlich scheinen die Anforderungen zu sein, die an sie herangetra-gen werden. Und entsprechend stt sie auch immer wieder auf neue Probleme wie auf Stolpersteine, die ihr den Weg schwer machen.

    Eine solche Theologie msste nmlich folgende WUnsche miteinander in Einklang bringen und zu erfUllen suchen: Sie muss

    den Wahrheitsanspruch der eigenen christlichen Religion wah-ren und herausstellen und darf ihn keinesfalls relativieren. Denn es gibt keine "hhere" Wahrheit, gegenber der die christliche Wahrheit nur eine Teilwahrheit wre;

    den Wahrheitsanspruch der anderen Weltreligionen zu verstehen und ernst zu nehmen suchen und darf ihn nicht von vornherein um der eigenen Wahrheit willen relativieren. Denn die eigene Wahrheit ist keine ,.hhere" Wahrheit, gegenber der die Wahr-heit der anderen nur eine Teilwahrheit wre.

    Sie darf aber umgekehrt

    nicht von vornherein davon ausgehen, dass die Wahrheitsan-sprche anderer Religionen tatschlich zu Recht bestehen. Denn woraufsollte sich eine solche apriorische Einscht71mg sttzen?

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    Sie muss aber anerkennen, dass es eine Pluralitt von religisen Wahrheitsan

    sprUchen gibt und darf diese Pluralitt nicht von vornherein als etwas Negatives betrachten, sondern sollte zum Dialog mit ih nen bereit sein.

    Wir sehen bereits, dass diese Anforderungen, wenn Uberhaupt, nur sehr schwer zu erfUlien sind. Wir neigen sehr schnell zu FehlschlUssen sol cher Art: Wenn ein Wahrheitsanspruch zu Recht besteht, dann mUssen andere WahrheitsansprUche notwendig falsch se in . Und umgekehn: Wenn mehrere solcher AnsprUche wahr sind, dann knnten sie es nur zum Teil sein. Deshalb sind Wahrheitsansprtlche heute suspekt. Sie scheinen sich nur auf Kosten anderer aufrechterhalten zu lassen. Deshalb gelten sie als arrogant. Sie gefhrden das friedliche Miteinander und sind also nach Mglichkeit zu venneiden.

    Dass das nicht unbedingt so sein muss, sollte eine Theologie der ReH gionen aufzeigen knnen. Sie muss die MUhe auf sich nehmen, die ge nannten Anforderungen in Einklang zu bringen. Das aber gelingt nicht immer. Die Versuchung, sich entweder dem fundamentalismus oder dem Relativismus anzunhern, scheint sehr gro zu sein. Denn die gestellte Aufgabe hnelt doch zu sehr dem Versuch, einen quadratischen Kreis herstellen zu wollen oder eben ein kreisrundes Viereck. Da es das nicht geben kann und die Aufgabe deshalb unlsbar erscheint, bleibt wohl nur einer der beiden genannten Irrwege brig. Mit ihnen beschftigt sich das erste Kapitel.

    2. PROBLEME EINER THEOLOGIE DER RELIGIONEN

    Eine christliche Theologie der Religionen muss zwei christliche Grund berzeugungen in Einklang bringen. Diese sind bereits im Neuen Testa ment formulien :

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    Die GrundUberzeugung vom universalen fleilswillen Goues (vgl. I Tim 2,4; Tit 2,11), nach der Gott das Heil aller Men-schen will ;

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    und die GrundUberzeugung von der einzigen Hei!smitt!erschajt Jesu Christi (vgl. I Tim 2,5; Apg 4,12; Hebr), wonach Gemein schaft mit Gott nicht anders als durch den menschgewordenen Sohn Gottes erlangt werden kann.

    Viele Versuche blenden die eine der beiden GrundUberzeugungen aus oder gewichten die eine ungleich strker als die andere. Wer also die GrundUberzeugung vom universalen Heilswillen Gottes gegen die von der einzigen Heilsmittlerschaft Christi ausspielt, der wird die Botschaft Jesu und damit auch die Heilsbedeutung Christi stark relativieren. Das ist in etwa die Option der pluralistischen Religionslheologie. Christus gilt hier nur als einer unter mehreren Heilsmittlem. Es fragt sich dann je doch, wie denn der universale Heilswille Gottes erkannt werden kann. Sind auch die Botschaften anderer bedeutender religiser Gestalten un-abhngig von Christus als Wort Gottes, also als Offenbarung Gottes zu verstehen? Und wie machen sie sich als solche verstndlich?

    Betont man hingegen nur die zweite der beiden Grundberzeugungen, nmlich die der einzigen Heilsmittlerschaft Christi und spielt sie gegen die vom universalen Heilswillen Gottes aus, dann schliet man alle die Menschen, die Christus nicht kennen und seine Botschaft nicht ange nommen haben, vom Heil aus. Das entspricht dem Modell des religions theologischen Exlclus;v;smus, der lange Zeit in der Kirche dominierend war.

    Offenbar werden beide Positionen der christlichen Botschaft nicht ge recht. Wer also eine Theologie der Religionen skizzieren mchte, steht vor einer Menge von Problemen, die gelst sein mchten, rur die es aber oft keine glatten Lsungen gibt. Wie ist es sonst zu erklren, dass sich viele Theologen seit Jahren mit diesen Problemen herumschlagen und nur selten eine Lsung gefunden wird, die rundum befriedigend ist? Die wiChtigsten Lsungsversuche werden uns in diesem Buch austUhrlieh beschftigen.

    Das Problem der konkurrierenden Wahrheilsansprche

    Welches sind nun im einzelnen diese Probleme, die sich uns stellen und um deren Lsung wir uns bemUhen? Ganz allgemein und rur alle Religi onen stellt sich das Problem, wie Wahrheit und Pluralitt miteinander in Einklang gebracht werden knnen. Es ist das Problem der konkurrieren den Wahrheitsansprtlche. Eine Re ligion, die mit unbedingtem Wahr heitsanspruch auftritt, scheint zunchst anderen Religionen die Wahrheit

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  • zu bestreiten. Die verschiedenen Modelle, die es rur die LOsung dieses Problems bereits gibt und auf die wir noch ausruhrlieh eingehen werden, sind der ExJcJusivismw, der Inlclusivismus und der Pluralismus. Sie alle versuchen, das Problem der Iconlcurrierenden Wahrheilsansprche zu lsen. Wie lasst sich eine Vielheit an religiOsen WahrheitsansprOchen zusammendenken? Kann es nur einen legitimen Wahrheitsanspruch geben? Heit das, dass dann alle anderen notwendig falsch sein mUssen? Oder kann man sich Wahrheit auch im Plural vorstellen? Tatschlich mchte die relativ neue pluralistische Religionstheologie das Problem dadurch lOsen, dass sie eine Mehrzahl an legitimen WahrheitsansprOchen gelten lsst.

    Sind die nichtchristlichen Religionen als Heilswege zu betrachten?

    Alle Religionen versprechen ihren Anhngern ein transzendentes Heil. Damit ist eine Erlsung aus unserer endlichen und stndig bedrohten Existenz zu verstehen, die jenseits unserer innerweltlichen Verwirkli-chungsmOglichkeiten liegt. Die Religionen mit ihren Heilslehren, Riten und Feiern verstehen sich als Wege zu diesem Heil Jeder Glubige wird in seiner eigenen Religion einen solchen Weg zum Heil erblicken. Viel-leicht wird man auch noch bereit sein, den einzelnen Anhngern anderer Religionen eine Heilschance zuzubilligen. So lehrt das 2. Vatikanische Konzil, dass die Anhnger anderer Religionen ebenfalls das Heil Christi erlangen knnen, wenn sie ohne persnliche Schuld von Christus nichts wissen und ihrem Gewissen folgen. Doch ein Problem stellt die Frage dar, ob diese anderen Religionen als solche selbst aus christlicher Sicht als Heilswege betrachtet werden knnen. Sind diese Religionen als kol-lektive Sinndeutungssysteme mit ihren Verheiungen und ihren .. Heils-mitteln" selbst al s heilswirksame Krfte zu verstehen? Besitzen ihre religisen Kulte eine hnliche Heilswirksamkeit, wie wir sie unseren li-turgischen und sakramentalen VollzUgen im Glauben zuschreiben? Kann man aus christlicher Sicht die Heiligen Schriften anderer Religionen wie die Bibel ebenfalls als .. Wort Gottes" betrachten?

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    Und die Einzigkeit der Heilsmillferschajt Christi?

    Christen sind davon berzeugt, dass Jesus Christus der Mittler des Heils fUr alle Menschen aller Zeiten ist. Das wird im Neuen Testament un-missverstndlich bezeugt:

    "Denn: Einer ist Gott. Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus." (I Tim 2,5)

    Auch Apg 4,12 lsst keinen Zweifel an dieser urchristlichen Grundber-zeugung:

    "Und in keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen."

    Nun berufen sich die anderen Religionen ebenfalls auf ihre Heilsmittler-gestalten. Fr die Buddhisten ist Buddha, der Erleuchtete, derjenige, durch den Menschen den Weg zum Heil finden knnen. Wie knnen wir Christen aber Buddha als Heilsmittlergestalt anerkennen, ohne damit die Einzigkeit der Heilsmittlerschaft Christi in Frage zu stellen und damit gegen die Grundberzeugung des Neuen Testaments zu verstoen? Kann es neben Jesus Christus noch andere religise Gestalten geben, durch die das Heil Gottes den Menschen vermittelt wird? Ist die Einziglceit Christi in Wirklichkeit durch Einzigartigkeit zu ersetzen. die man dann aller-dings auch von Buddha und von anderen groen religisen Gestalten aussagen kann?

    Gibt es eine befriedigende Problem/sung?

    Diese GrundprobJeme einer Theologie der Religionen scheinen zunchst tatschlich nur durch die bereits bestehenden religionstheologischen Modelle zu lsen zu sein: Exklusivismus,lnklusivismus und Pluralismus. Entweder man beharrt auf einem exklusiven Wahrheitsanspruch filr die eigene Religion und bestreitet deshalb den anderenjeglichen Wahrheits-wert und damit auch den Heilswegcharakter und jede Fonn von Heils-mittlerschaft (Exklusivismus). Oder man betrachtet die eigene Religion als schlechthin wahr und sieht in den anderen so etwas wie ein paar Fun-ken Wahrheit, durch die man ihren Anhngern dann auch eine Heils-chance einrumen kann (Inklusivismus). In beiden Fallen aber ist eine deutliche, wenn auch verschiedenartige Abwertung der anderen Religio-

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    nen nicht zu bersehen. Eine dritte Lsung bietet die pluralistische Reli-gionstheologie an. Sie mchte zeigen, dass mglicherweise mehrere Religionen nebeneinander zugleich wahr se in knnen (Pluralismus).

    Alle drei Lsungsmglichkeiten aber werfen eine FOlie neuer Proble-me auf. Ich halte sie in unserer Zeit allesamt tur unbefriedigend und unzureichend. Wer sich auf diese drei Mglichkeiten beschranken wollte und meint, sie seien die einzig mglichen Optionen, bliebe unweigerlich in einer religionstheologischen Sackgasse stecken, aus der es kein Ent-rinnen gibt. Die Problematik, die in ihnen steckt, 5011 in den nchsten Kapiteln herausgearbeitet werden. Die Frage, die sich uns aus christli-cher Perspektive stellt, geht dahin, ob es nicht noch eine andere Mg-lichkeit gibt, die Probleme einer Theologie der Religionen zu lsen. Ich bin davon berzeugt, dass es sie gibt. Mein Anliegen ist es, eine Alterna-tive zu den bisherigen Modellen zur Diskussion zu ste llen.

    3. Zu DI ESEM BUCH

    Dieses Buch mchte die vielschichtige Problematik der Theologie der Religionen erschlieen und sie aus ejnerchristlichen Glaubensperspekli-ve heraus betrachten. In allgemein verstndlicher Sprache wendet es sich nicht nur an Theologen, sondern an alle, die an diesem Thema interes-siert sind und der bereits skizzierten religionstheologischen Sackgasse entgehen mchten.

    In einem ersten Schritt soll das Grundproblem umrissen werden, das sich nicht nur auf die religionstheologische Problematik eingrenzen lsst, dieser gleichwohl wesentlich zugrunde liegt: das Problem von Relativis-mus und Fundamenlalismus. Diese heute weitverbreiteten Positionen sind in erster Linie Lebenseinstellungen. Wir finden sie in allen Lebens-bereichen, vor allem dort, wo es um GrundOberzeugungen bei der Bewltigung des Lebens geht: in der Politik, in der Pdagogik, bei der Auswahl der persnlichen Freunde und vor allem in der Religion. Gerade im Zusammenhang mit Religion knnen sie eine starke Stokraft entwickeln und sich auch gegenseitig ungewollt verstrken. Gegenwrtig werden wir in oft dramatischer Weise mit fundamentalistischen Ausprgungen des Islam konfrontiert . Das verleitet manche dazu, diese Strmungen mit dem Islam als solchem zu identifizieren.

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    Sodann widmen wir uns den bisherigen religioflStheologischen Model len, mit denen die Theologie versucht hat und versucht, das Verhltnis des christlichen Glaubens zu den anderen Religionen zu bestimmen. Die bei den traditionellen Positionen des Exklusivismus und des lnklusivis-mus werden dargestellt und der Kritik unterzogen. Besonderes Augen-merk werden wir sodann auf den Pluralismus richten, der sich als neues Modell tur eine Verhltnisbestimmung prsentiert und die heiden traditi onellen Modelle Oberwinden mchte. Dabei sollen ebenfalls die Kritik-punkte am Pluralismus deutlich herausgestellt werden.

    Nach einem zusammenfassenden Zwischenergebnis werden wir uns der Frage stellen. worum es in den Religionen denn nun eigentlich geht (3 . Kapitel). Dabei beschrnken wir uns nicht darauf, die Aussagen von Religionen einfach nur entgegenzunehmen. Durch eine kritische Reflexi-on soll vielmehr die Problematik, die in den Religionen sieckl, zum Aus-druck kommen. Zwar versprechen alle Religionen ihren Anhngern Heil und Lebenserftlllung. Aber mit welchem Recht verheien sie etwas? Worin sind diese Verheiungen eigentlich begrtlndet? Kann man sie einfach so unbesehen Ubemehmen? Warum verdienen Religionen Glau-ben und Vertrauen? Und verdienen sie es Oberhaupt? Ich selbst bin da-von Uberzeugt, dass eine rein optimistische und positive Sicht der Religi-onen nicht genOgt. Religionen spiegeln vielmehr die ganze Ambivalenz menschlicher Existenz wider, ja, an ihnen wird diese Ambivalenz beson-ders deutlich. Religionen haben auch eine dunkle, unheimliche und zerstrerische Seite. Sie sind selbst erlsungsbedOrftig.

    Im letzten Kapitel soll schlielich ein alternatives Modell vorgestellt werden, mit dem sich das Verhltnis des christlichen Glaubens zu den Religionen in theologisch verantwortbarer Weise bestimmen lsst. Es fUhrt aus der religionstheologischen Sackgasse heraus und vermeidet sowohl exklusive wie inklusive IntoleranzgegenOber anderen Religionen als auch einen pluralistischen Relativismus gegenOber der eigenen. Ab-schlieend seien mgliche Einwnde diskutiert, die gegen dieses Modell erhoben werden knnten.

    Am Ende einzelner Abschnitte werden einige ausgewhlte Titel ange-geben, die in einer gewissen Nhe zum gerade behandelten Thema ste-hen. Dabei wird nicht nur Literatur angegeben, die auf der Linie der hier vertretenen Position liegt. Eine Reihe von Titeln vertreten andere Stand-punkte. Der interessierte Leser, der seine Kenntnisse erweitern mchte, findet so auch Beitrge, die ihn mit anderen Standpunkten vertraut ma-chen. Er kann sie mit dem hier vertretenen vergleichen und sich ein eige nes Urteil bilden.

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  • Literatur:

    BERGER, K., Ist Christsein der einzige Weg? GUtersloh 1997, TB 2000. GREMMELS, CH. u. HUBER, W. (Hgg), Religion im Erbe . Dietrich 80n-hoeffer und die Zukunftsfhigkeit des Christentums, GUtersloh 2002. HUMMEL, R., Religiser Pluralismus oder christliches Abendland? Dannstadt 1994. KONG, H. u. a., Christentum und Weltreligionen, MUnchen 1984. KUSCHEL, K.-J., Christentum und nichtchristliche Religionen. Theologi-sche Modelle im 20. Jahrhunden, Darmstadt 1994. LANCZKOWSKI, G., EinfUhrung in die Religionswissenschaft, Darmstadt ' 1991. TIEFENSEE, E., Homo areligiosus? Zur umstrittenen Natur des Menschen, in: 111. Brose (Hg), Umstrittenes Christentum. Glaube - Wahrheit - To-leranz, Berlin 2002, 167- 191. WALDENFELS, H., Phnomen Christentum. Eine Weltreligion in der Welt der Religionen, Freiburg 1994.

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    1. Kapitel:

    Fundamentalismus und Relativismus-zwei Irrwege

    Eine Theologie der Religionen wird - wenn sie berzeugend sein will -die heiden Irrwege des Fundamenlalismus und des Relativismus vennei-den mssen. Doch diese beiden auch in der Kirche weit verbreiteten Optionen ben jede tur sich eine enorme Anziehungskraft aus. Beide bieten s ich in ihrer Gegenstzlichkeit als Modelle an, um die Wirklich-keit zu verstehen. Da die Menschen verschieden s ind, neigt der eine eher zum Relativismus, der andere eher zum Fundamentalismus. Es sind zwei verschiedene Einstellungen zum Leben. Versuchen wir zu verstehen , worum es dabei geht.

    Parmenides und Heraklit

    Im alten Grogriechenland lebten noch vor Sokrates ungefhr gleichzei-tig zwei bedeutende Denker: der eine hie Parmenides (ca. 540-470 v. ehr.), der andere Herak}it (ca. 550-480 v. e hr.). In ihrer Gegenstzlich-keit haben diese beiden Philosophen der Menschheit bis zum heutigen Tage eine fast unlsbare Denkaufgabe mitgegeben. Wren die beiden einander persnlich begegnet, dann wren die Fetzen wohl nur so geflo-gen.

    Beide waren beraus intelligent, beobachteten sCharfsinnig die Wirk-lichkeit und taten das, was Philosophen zu tun pflegen: denkend die Wirklichkeit zu verstehen suchen. Dabei kamen sie zu ganz verschiede-nen Ergebnissen. "Es ist unmglich, zweimal in denselben Fluss hinein-zusteigen", sagte Herak lit. Er sah alles im Werden, im Prozess, im unru-higen bergang von einem in den anderen Zustand . So wie ein Fluss im nchsten Augenblick schon ein anderer ist, so ist es mit allem. "Alles

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    fliet''', und nichts bleibt wie es ist. Alles ist der Vernderung unterwor-fen .

    Wie Recht Heraklit doch hatte, werden wir jetzt vermutlich denken. Das ist doch unbestreitbar auch unsere Erfahrung. Unsere Zeit ist noch viel schnelllebiger geworden. Alles verndert und entwickelt sich. Nichts bleibt wie es ist: die Natur, die Menschen, die Geschichte - das alles ist dem Wandel unterworfen und wird von uns als dynamischer Prozess erfahren. Manchmal so sehr, dass wir nicht mehr mitkommen. Es fehlen uns dann feste Punkte der Orientierung, und alles kann vor unseren Au-gen verschwimmen und ins Wanken geraten.

    Ganz anderer Meinung war Pannenides. Er widersprach Heraklit ganz ausdrOcklich. Seine Erkenntnis Uber das Seiende lautete: "Entweder ist es, oder es ist nicht." Es ist "unbeweglich - unvernderlich liegt es in den Grenzen gewaltiger Bande ohne Ursprung, ohne Aufhren." Werden und Vergehen werden unseren Sinnen nur vorgegaukelt. Sie sind nicht wirk-lich. Wirklich ist nur das unvernderliche Sein, das sich hinter dem ver-birgt, was unsere Sinne wahrnehmen, aber doch ganz unwirklich ist.

    So betont Parmenides das Feste, das Bestndige, das Uner-schtterliche, das niemals ins Wanken gert, whrend Heraklit alles im Fluss, alles sich bewegen und verndern sieht . Wie aber kann man heide zusammendenken und eine Synthese schafTen, die nicht selbstwider-sprUchlieh ist?

    Bis heute stellt sich dieses Problem, das diese heiden antiken Denker wahrgenommen haben. Die Geschichte der Philosophie ist Uber weite Strecken der Versuch, diese Aufgabe zu lsen: Wie lassen sich Sein und Werden, das Bestndige und das Flieende als Einheit verstehen? Wie lassen sich Heraklit und Pannenides miteinander vershnen? Denn beide Denker haben irgendwie Recht. Beide haben etwas Richtiges gesehen. Und doch ist jeder ft1r sich allein auch im Unrecht. Denn in der Tat: es gibt das Feste und Bestndige; aber es gibt ebenso auch das Flieende, das Werden und Vergehen. Ich bin in zwanzig Jahren derselbe und doch nicht derselbe, aber eben kein anderer. Irgenderwas an mir ist bestndig, hlilt sich durch, bleibt sich selbig, und doch bin ich selbst es, der sich verndert, der wird und vergeht . Diese Vernderung ist mir nicht unwe-sentlich, sondern gehrt gerade zu mir, macht mein Sein aus. Pannenides aber konnte es nicht so sehen. FUr ihn war die Vernderung nur etwas Unwirkliches, das nicht zum Sein eines Seienden dazugehrt und es innerlich bestimmt. Wenn wirklich aUes fliet, alles sich verndert, dann gibt es in seiner Sicht nichts Bestndiges, nichts Wahres. Dann ist der Boden, auf dem wir stehen, schwankend. Dann ist alles relativ. Das aber

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    kann nicht sein. Umgekehrt wrde Heraklit Pannenides so kritisieren: Wenn alle Vernderung nur ein Schein ist, nichts Wirkliches, sondern nur eine Tuschung unserer Sinne, dann bleibt alles immer so, wie es ist; dann gibt es keine Entwicklung, keine Dynamik, sondern nur statisches Sein, Erstarrung, gewissennaen eingefrorene Wirklichkeit.

    Was sich uns hier als erkenntnistheoretisches Problem zeigt, hat seine Entsprechung auch in unserem existentiellen Wahrnehmen der Wirklich keil. Wenn alle Vernderung nur unwesentlich ist, uns gar nicht wirklich betriffi, dann wrden wir immer gleich bleiben. Gerade das, was unsere menschliche Existenz ausmacht und sie oft zu einem spannenden Drama werden lsst, wUrde uns gar nicht mehr innerlich betreffen. Wir wren wie Steine, die vllig unbetrofTen von allem unvernderlich bleiben.

    Umgekehrt: Wenn alles nur Werden ist, nur Flieen, nur Vernde rung, auch das knnten wir nicht aushalten. Wenn alles nur fliet und zerfliet, woran sollten wir uns dann halten? Der Mensch braucht ebenso wie Vernderung auch das Bestndige, das Feste, eben das, worauf man bauen und sich verlassen kann. In dieser Spannung von Sein und Wer den, von Bestndigkeit und FIUchtigkeit leben wir. Darin mUssen wir es aushalten.

    Irgendwie stecken Pannenides und Heraklit wohl in jedem von uns. Doch sicher in unterschiedlichem Mae: Whrend der eine mehr von Heraklit hat, verkrpert der andere mehr den Pannenides. Es gibt Men-schen, die lieben Vernderung. Immer muss alles in Bewegung sein. Spontaneitt, Flexibilitt und Mobilitt sind ihnen hohe Werte. Nichts ist ihnen endgUltig. Sie sind nie am Ziel. Ruhelos stecken sie sich immer neue Ziele, brauchen immer mal wieder einen neuen Anfang. Alles wird stndig wieder von der Entwicklung Uberholt. Manche ziehen immer wieder um und wechseln ihren Bekanntenkreis wie das Hemd. Solche Menschen neigen auch dazu, alles tur relativ, tur unbestndig, tur unge-wiss zu halten. Sie hinterfragen alles, sind skeptisch und kritisch gegen-Uber WahrheitsansprUchen und geben sich nicht mit vorschnellen Ant-worten zufrieden. Alles ist nur vorlufig, nicht endgOltig. Die Gefahr bei diesen Menschen ist, dass sie jeden Halt verlieren, sich am Ende an nichts mehr halten und orientieren knnen, weil alles zerfliet, alles im-mer in Bewegung und damit im Wanken ist.

    Andere sind das genaue Gegenteil. Sie haben ihre festen Orientie-rungspunkte, lieben das Bestndige, scheuen Vernderung, fahren jedes Jahr an denselben Urlaubsort und in dasselbe Hotel, verkehren immer mit denselben Leuten. Ihre Tage gleichen sich, und sie mchten am lieb-sten, dass alles so bleibt, wie es ist. Sie singen gerne Kirchenlieder wie

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  • dieses: " Wie es war vor aller Zeit, so bleibt es in Ewigkeit . .. Und sie brauchen feste Gewissheiten fUr ihr Leben. Angst macht ihnen jeder, der diese Gewissheiten kritisch unter die Lupe nimmt, sie hinterfragt und ihnen damit gewissermaen den Boden unter den FUen wegzieht. Sie haben ihre festen Lebensgrundstze, ihre Werte, ihr Gonesbild. Wehe, wenn jemand ihnen das kaputt macht. Dann knnen sie sehr allergisch reagieren. Gerade im Glauben haben sie groe Angst, sich ir-gendwelchen Fragen und Zweifeln auszusetzen. Lieber halten sie sich in einer knstlichen Glaubenssicherheit, um nicht den Boden unter den FUen zu verlieren.

    Jeder wird am besten selber wissen, ob er mehr von Heraklit hat oder eher dem Pannenides hnelt. Die meisten sind wohl eine Mischung von beiden - und das ist auch gut so. Kein Mensch kann letztlich leben ohne ein festes Fundament, ohne bestndige und verlssliche berzeugungen. Und umgekehrt braucht auchjeder Mensch ein gesundes Ma an Vern-derung und Entwicklung, wenn er nicht erstarren und unbeweglich wer-den will .

    Kontinuitt und Wandel in der Kirche

    Gerade in Bezug auf den Glauben und in der Kirche erleben wir die Spannung zwischen den beiden Polen besonders stark . Fr die einen ist die Kirche ein unbewegliches Gebilde. Sie hlt an berkommenem fest und will uns scheinbar lngst berholtes als letzte Wahrheit anbieten. berall hrt man die Klagen Uber die Kirche: sie se i erstarrt, zu wenig anpassungsfhig, unbeweglich. Sie verkUndet immer dasselbe, anstatt sich lebendig immer wieder auf neue Situationen und Menschen einzu-stellen.

    Andere sind froh, dass es noch diesen Hort der Wahrheit gibt. DafUr berufen sie sich gerne auf Petrus, den Fels, auf dem die Kirche ruht (vgl. Mt 16,18). Dankbar nehmen sie Orientierung tur ihr Leben von der Kir-che entgegen. Sie sehen in der Kirche so etwas wie einen Felsen in der Brandung des Lebens, der unerschtterlich alle Weltreiche berdauert hat und auch noch in Zukunft berdauern wird. In der Kirche werden mir feste berzeugungen und Gewissheiten tur mein Leben vermittelt, von denen in der Gesellschaft sonst nicht die Rede ist. Viele von ihnen si nd schon verunsichert, wenn es in der Kirche dann doch einige kleine Ver-nderungen und Reformen gibt. Besonders nach dem 2. Vatikanischen Konzil sind nicht wenige katholische Christen an ihrer Kirche fast irre

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    geworden. Vieles von dem, was vorher vllig fest und bestndig zu sein schien, wurde in kurzer Zeit verndert: die Liturgie, die Bupraxis, die Methode des Religionsunterrichts, die Bibelauslegung, das Priesterbild. Viele erkannten ihre Kirche nicht mehr wieder. Alles schien in ihren Augen ins Wanken zu geraten.

    So haben sich viele von der Kirche abgewandt, weil sie ihnen zu starr und unbeweglich erscheint, eben "petrifiziert", also versteinert. Und andere sind enttuscht von der Kirche, weil sie zu viel verndert hat. Was soll man denn noch glauben? Woran soll man sich halten, wenn die bib-lischen Geschichten ganz anders zu interpretieren sind als wir das im Religionsunterricht gelernt haben? Was soll ich noch beichten, wenn keiner mir mehr sagt, was denn nun Snde ist und was nicht?

    Und auch unter denen, die sich noch zur Kirche zhlen, erkennen wir unschwer das gleiche Phnomen. Die einen mchten eine offene, ku-menische Kirche mit flieenden Grenzen, mglichst wenig Amtlichkeit und viel Freiheit. DafUr berufen sie sich gerne auf den Apostel Paulus und auf die von ihm gegrndeten charismatischen Gemeinden. Sie mch-ten den Dialog pflegen mit den Religionen, sich dem Geist der Zeit ff-nen. Sie werden zornig ber jedes Wort, das aus Rom kommt. Manchen ist es peinlich, vor Arbeitskollegen und Freunden einzugestehen, dass sie noch zur Kirche gehen. Sie sind allergisch gegen jeden absoluten Wahr-heitsanspruch und empfinden es als rgerlich und berheblich, wenn die Kirche diesen Wahrheitsanspruch gegenber den Religionen erhebt. Sie betonen nicht so sehr den Aspekt der Wahrheit am Glauben, als vielmehr den der Lebenshilfe. Toleranz, Dialog, Kommunikation, Vernderung sind ihre vorrangigen Werte.

    Doch bei alledem, was durchaus berechtigt ist, bersehen sie manch-mal leicht, dass sie in der Gefahr stehen, den christlichen Glauben zu relativieren, den Anspruch des Evangeliums, das letzte Wort ber den Menschen zu sein, zu verwssern und damit nicht nur seines Stachels, sondern auch seiner Kraft zu berauben. Denn wenn unser Glaube sich nicht mehr als Gottes endgltiges Wort verstehen lsst, auf das ich mich im Leben und im Sterben verlassen kann, dann ist er am Ende nichts anderes al s eine billige Vertrstung, die sich auch austauschen lasst ge-gen andere Lebenshilfeangebote. Zudem leben wir in einer Gesellschaft, in der die Frage nach der Wahrheit offenbar berflssig geworden ist. Es geht darum, sich wohl zu fUhlen, anstndig zu sein, etwas vom Leben zu haben und viel Spa zu erleben. Wie soll man sich einer solchen Gesell-schaft gegenber mit Wahrheitsansprilchen verstndlich machen? Liegt

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  • es da nicht nahe, sich dem Zeitgeist anzupassen und auf die Wahr-heitsfrage ganz zu verzichten?

    Andere Christen dagegen fUhlen sich durch solche Mitchristen stndig verunsichert. Sie wUnschen sich die Kirche - wohlgemerkt nicht Gott -als feste Burg, wo nichts in Frage gestellt werden darf. Schon die bloe Diskussion um den Zlibat oder um das Priestertum der Frau oder die Infragestellung der kirchlichen Sexualnonnen kann ihr ganzes Glaubens-gebude ins Wanken bringen und tiefe Krisen hervorrufen. Wenn ein Priester ihnen erklrt, wie er es im Theologiestudium gelernt hat, dass Jesus natOrlich nicht physisch Obers Wasser gegangen und die Jungfru-lichkeit der Mutter Gottes nicht biologisch aufzufassen ist, lassen sie keine Ruhe, bis eine Autorittsperson sie in ihrer bisherigen Vorstellung besttigt. Letzte Gewissheit, Wahrheit, Bestndigkeit und Verlasslichkeit sind diesen Christen wichtige Werte. Doch sie bersehen leicht, dass sie Wahrheit und Gewissheit an den falschen Punkten festmachen. Was hat es mit meinem Heil zu tun, ob Jesus den See von Galila zu Fu Uber-quert hat? Welche Wahrheit des Glaubens wird in Frage gestellt, wenn jemand dafUr eintritt, den Pflichtzlibat der Priester zu lockern? Welche Glaubenswahrheit wird berUhn, wenn sittliche Nonnen sich wandeln, die doch wahrlich nicht vom Himmel gefallen sind?

    Pelrus und P.aulus und die Architektur der Kirche

    Petrus, auf den sich die einen berufen, und Paulus, der Gewhrsmann der anderen, sind tatschlich rur die Kirche so etwas wie Pannenides und Heraklit rur das philosophische Denken. Petrus, der Fels, steht rur die Statik der Kirche, ihre Fest igkeit und Widerstandskraft gegenUber den Strmungen der Zeit. Wer sich zuerst auf Petrus beruft, betont das Amt, das Dogma, die Wahrheit, die Strukturen der Kirche. Von den biblischen Bildern rur die Kirche bevorzugt er das Bild vom .. Tempel Gottes" und vom "Leib Christi". Wer aber nur das Petrinische in der Kirche rur wich-tig hlt, lauft Gefahr, dass die Kirche tatschlich nur noch statisch ist, am Ende unlebendig und versteinert, eben "petrifiziert".

    Wer hingegen tur eine paulinische Kirche schwnnt und vie lleicht auch kmpft, trumt von einer lebendigen Kirche. Paulus steht rur das Dynamische, Bewegliche und Charismatische in der Kirche. Dialog, Gesprch und Bereitschaft zur Vernderung werden an die erste Stelle gesetzt. Von den biblischen Bildworten wissen sich solche Menschen vor allem von dem vom "Volk Gottes" angesprochen, das unterwegs ist und

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    in der Vorlufigkeit der Geschichte lebt. Aber wenn die Kirche nur noch paulinisch wre, nichts Festes mehr hatte, zerflsse sie bald im Unver-bindlichen und ginge im Zeitgeist auf.

    Beide Sichtweisen haben unbestreitbar ihr Richtiges. Aber jede von ihnen verzerrt und entstellt das Bild der Kirche, wenn sie absolut gesetzt wird und die andere ausblendet. Tatschlich feiert die Kirche Petrus und Paulus am selben Tag. Das ist nicht zufllig so. Denn beide verkrpern einen wichtigen Aspekt der Kirche, der ohne den anderen ergnzungsbe-drftig bliebe. Zur Kirche gehren eben Statik und Dynamik, Petrus und Paulus, Amt und Charisma.

    Relativismus und Fundamentalismus in der Kirche

    Aber tatschlich bietet die Kirche ein desolates Bild. Sie ist nicht nur konfessionell gespalten, sondern ein tiefer Riss geht auch durch die ein-zelnen Konfess ionen hindurch. Frher haben wir die beiden Lager in "Progressive" und "Konservative" eingeteilt. Doch fortschrittlich gesinn-te und konservative Christen knnen sich noch immer verstndigen und im Glauben geeint wissen. Schwieriger wird es, wenn die sogenannten Konservativen den Fortschrittlichen Relalivismus vorwerfen und letztere die Konservativen des Fundamentalismus verdchtigen. Dann fangen sie an , sich gegenseitig das Sein in der Wahrheit abzusprechen und sehen sich gegenseitig auf dem Holzweg. Dann ist Verstndigung unmglich und die Bildung von Sekten wird immer wahrscheinlicher. Die Tra-ditionalistenbewegung um den inzwischen verstorbenen Erzbischof Le-tebvre stellt den verzweifelten Versuch fundamentalistischer Katholiken dar, die Kirche vor dem Irrweg des Relativismus zu retten. Dabei werden Relativismus und Modeme fast miteinander identifiziert.

    Natrlich gibt es Fundamentalismus nicht nur in der Kirche. Es gibt ihn in anderen Religionen und Weltanschauungen, es gibt Fundamenta-lismus auch in der Politik, wie uns der Dauerkonflikt zwischen "Fundis" und "Realos" bei den Grnen zeigt. "Fundamentalismus ist der selbstver-schuldete Ausgang aus den Zumutungen des Selberdenkens, der Eigen-verantwortung, der Begrndungspflicht, der Unsicherheit und der Offen-heit aller Geltungsansprtlche, Herrschaftslegitimationen und Lebensfor-men, denen Denken und Leben durch Aufklrung und Modeme unum-kehrbar ausgesetzt sind, in die Sicherheit und Geschlossenheit selbster-korener absoluter Fundamente" (Thomas Meyer, S. 157). Der Fundamen-tali smus stellt so etwas wie die Weigerung dar, die Modeme anzuerken-

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    nen und zu rezipieren und ist insofern eine angstbesetzte Reaktion auf die Herausforderung der Aufklrung und der von dieser ausgelsten Freiheits und Emanzipationsbewegung. Er will zurtlck in eine sichere Fluchtburg.

    Nicht zuflUlig entzndete sich der innerkirchliche Fundamentalismus an den Erklrungen des 2. Vatikanischen Konzils aber die Religions/re; heil und Uber die nichtchrist/ichen Religionen. Religionsfreiheit und Offenheit gegenUber anderen Rel igionen sind Errungenschaften der neu zeitlichen Aufklrung. Ihre Kritiker sehen darin den Versuch, die Wahr heit des christlichen Glaubens gegenUber den Religionen zu relativieren und in einen allgemein religisen Horizont einzubetten. Auch andere Gruppierungen, wie das Opus Dei oder die Legiontire Christi. sind eher der fundamentalistischen Richtung zuzurechnen.

    Auf der anderen Seite erleben wir fortschrittliche Christen, die in au tanomen Gemeinden, "Initiative Kirche von unten" usw. mit Aufrufen zum Kirchenaustritt und zur GrUndung eigener Gemeinden sich eine undogmatische Kirche nach ihren eigenen Vorstellungen zurecht machen wollen. In den vielen mit der Kirche Unzufriedenen sehen sie ein groes Mitgliederreservoir. Unkluge Entscheidungen der Kirchenleitung fbrdern diese Entwicklung, wie der Fall Drewermann und die GrOndung des Schwangerenberatungsvereins Donum vitae zeigen.

    Fundamentalistische Gruppen und relativistische Ges innung stehen einander gegenUber und sind kaum miteinander zu vennineln. Beide Seiten ahnen wohl kaum, welchen Schaden sie der Kirche, dem Glauben und den Menschen zuftlgen, die die Adressaten des Wortes Gones sind, sich aber vor lauter Orientierungslosigkeit nicht mehr erreichen lassen. Und zuweilen habe ich den Eindruck, dass - je mehr die Kirche schrumpft - die fundamentalistische Seite das Rennen macht und der Anteil fundamentalistisch ansprechbarer Christen in der Kirche grer wird.

    Wie sind diese beiden Strmungen genauer zu bestimmen? Es gibt sie nicht immer in Reinkultur. Und doch tendiert fast jeder in die eine oder in die andere Richtung. Es sind Versuchungen, Irrwege, die sich auftun, die sehr plausibel erscheinen knnen, und die doch beide nicht der Weg sind, auf den uns das Evangelium ruft.. Es geht letztlich um die Frage, wie wir zu unserem Glauben stehen wollen und was er uns bedeutet. Das Evangelium ist da sehr klar. Es fordert vom JUnger Jesu ein eindeutiges Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Sohn Gottes, der uns hine innimmt in se ine Gemeinschaft mit Gott. dem Vater. Doch es scheint schwer zu se in, das wirklich zu verstehen und hinter den allbekannten Worth)sen

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    aus dem Katechismus diese grundstUrzende Botschaft von einem Gon zu vernehmen, der sich der Menschen annimmt, als wren sie seine eigenen Shne und Tchter. Weitgehend fehlt uns die Sprache, wn unseren Glau-ben wirklich verstndlich zu machen und gegen ein Missverstndnis des Glaubens zu schUtzen.

    Das Evangelium ist eindeutig ein Aufiuf, sich der Wahrheit Gones zu stellen. Es ist nicht mglich, ein JUnger Jesu zu sein, ohne zu ihm zu stehen, ja, mit seinem Leben rur ihn einzustehen und von seiner Wahr-heit auch zu reden. Dabei geht es rur Christen offenbar nicht nur darum, z. B. rur Gerechtigkeit oder rur die Menschenrechte einzustehen. Das kann man auch, wenn man nicht Christ ist und das darf man auch rech-tens von jedem Menschen erwarten, sei er nun glubig oder nicht. Jesus fordert seine JUnger vielmehr auf, sich ganz ausdrcklich zu ihm, zu seiner Person als Sohn Gottes, zu seinem Wort, zu seiner Wahrheit zu bekennen (vgl. Mt 10,32f).

    Das kontrastiert sicher mit unserer Erfahrung von Kirche und mit un-serer eigenen Lebensweise. Was wir erleben, ist eher ein defensives Christentum. Manche Christen fUrchten, sich gesellschaftlich lcherlich zu machen, wenn sie von ihrem Glauben an Jesus sprechen. Allenfalls wird binnenkirchlich davon gesprochen: unter Insidern, im Gottesdienst oder in kleinen Bibelkreisen. Nach auen hin sprechen wir eher von ethischen Einstellungen, von Gerechtigkeit und Humanitt - aber davon reden die anderen auch. Vielleicht sprechen wir auch noch vom "Sinn" -ein neuzeitlicher Begriff, vielleicht das letzte, was von der Gonesfrage Ubriggeblieben ist, ein im Grunde ganz und gar unbiblischer Begriff.

    Die Vennutung liegt nahe, dass wir keine Sprache mehr haben, um unseren Glauben nach auen hin verstndlich zu machen. Die Sprache, mit der wir uns binnenkirchlich verstndigen, besteht eher aus frommen WorthUlsen, deren Inhalt nicht mehr Uberkommt. Und eine neue Sprache, um das Glaubensgeheimnis als letzte Wahrheit Uber den Menschen von den Dchern zu rufen (vgl. Mt 10,27), haben wir wohl noch nicht gefun-den, oder sie lsst sich nur mit erheblichen Anstrengungen buchstabie-ren.

    Wie verkndet man den Glauben in der Postmoderne?

    Aber wie verkUndet man den christlichen Glauben als die Wahrheit Uber den Menschen in einer postmodernen Gesellschaft? Wie lsst sich unser Glaube in einer Gesellschaft aussagen, die alles in das Belieben des Indi-

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  • ooouou

    viduums gestellt hat, die also in Beliebigkeit und nicht in Verbindlichkeit leben mchte? Wie knnen wir von Wahrheit sprechen, wenn die einzige Wahrheit darin besteht, dass es keine Wahrheit gibt? Wenn alles, was nach Bekenntnis und nach Wahrheitsanspruch klingt, von vornherein als verdchtig, ja sogar als totalitr gilt? Wenn die Menschen sogar aufge. hrt haben, nach der Wahrheit zu suchen oder die Wahrheit mit dem Erleben von wohltuenden GefUhlen verwechse ln?

    Denn Wahrheit im eigentlichen Sinn legt fest, fordert Zustimmung, Verbindlichkeit, christlich: Nachfolge. Wahrheit stellt das Unwahre und Unechte an mir in Frage. Ja, die Wahrheit tut sogar weh, denn sie stellt AnsprUche, fordert zur Umkehr auf. Sie demaskiert und entlarvt, sie richtet und verunsichert. Aber eben so hei lt und befreit sie uns von un-seren Illusionen, LUgengespinsten und Verblendungszusammenhngen. Allein die Wahrheit macht frei und zwar gerade dadurch, dass sie bindet (vgl. loh 8,32) .

    So erscheinen Relativismus und Fundamentalismus als Versuche, im Kontext unserer Zeit und unserer Gesellschaft dennoch als Christen zu leben. Die einen meinen, die christliche Botschaft und die Modeme nur durch Relativierung vereinbaren zu knnen. Und die anderen sehen die christliche Botschaft im Gegensatz zu den Werten der Aufklrung und sind bereit, im Konfliktfall gegen die Modeme zu optieren und auch die kritische Vernunft. zu opfern. Doch in Wirklichkeit sind es zwei Irrwege, die sich gegenseitig ausschlieen. Versuchen wir, diese heiden Positio-nen etwas nher zu bestimmen.

    Relativismus und Wahrheil

    Der Relativismus bringt eine Geisteshaltung zum Ausdruck, die allen Wahrheitsanspruch relativiert und auf ihn verzichtet. Die Anhnger die-ses Weges meinen, nur so sei das christliche Prinzip der Toleranz auf-recht zu erhalten. Entsprechend dem Zeitgeist wird die Wahrheit des christlichen Glaubens relativiert. Der Wahrheitsanspruch wird im Grunde aufgegeben. Wahrheit wird gesplinet. Irgendwie gibt es die Wahrheit, aber wir kennen sie nicht. Die Wahrheit wird zerstUckelt. Jeder hat ir-gendwie etwas davon, einen Teil von der Wahrheit. Es gibt sie im Plural . Aber keiner darf sagen, er wisse um die Wahrheit. Wer das tut , gilt als arrogant und selbstherrlich.

    Dieses Wahrheitssplitting fuhrt dazu, dass auch der missionarische Anspruch des Christentums in Frage gestellt wird. Die leidvollen Errah-

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    rungen, die Menschen mit den Irrwegen christlicher Mission gemacht haben, scheinen gegen den Auftrag zur Evangelisation der Vlker zu sprechen. Und wer sagt: "Wir sollten nicht so tun, als hatten wir die Wahrheit gepachtet", kann sich breiter Zustimmung sicher sein. Alle Religionen haben doch etwas von dieser Wahrheit. So wird Wlser Glaube eingebettet in einen allgemeinen religisen Horizont. Religiositt ist angesagt und nicht ein verbindlicher Glaube, der vom Hren kommt (vgL Rm 10. t 7) und beansprucht, die letzte Wahrheit ber den Menschen zu sein (vgl. Joh 14,6). So scheint der Relativismus auch dem neuzeitlichen Pluralismus gerecht zu werden.

    Menschen, die sich auf diesen Weg gemacht haben, brauchen dann nicht mehr in Verlegenheit zu geraten, wenn sie nach dem Glauben ge-fragt werden. Sie knnen ausweichend antwonen. Ungewissheit gilt als sympathisch. Man kann dann alle Glaubensaussagen in einer vagen Un-gewissheit belassen. Damit eckt man nicht an, braucht nicht Farbe zu bekennen. Der Relativismus erweckt den Eindruck, als knne man an-ders nicht tolerant sein.

    Aber ist das nicht die Haltung des "anything goes" unseres Zeitgeis-tes? Hat man damit Jesus und seine Botschaft wirklich ernst genommen? Oder nicht sogar schon verraten? Denn kann man seine Existenz auf etwas grUnden, dem man gar nicht mit Gewissheit zutraut, uns tragen zu knnen? Beansprucht die Botschaft Jesu nicht ausdrcklich, ein Wort zu sein, auf das wir uns im Leben und im Sterben verlassen knnen, dem wir uns wirklich mit Haut und Haaren anvertrauen drfen (vgl. Mt 7,24-27)? Der Relativismus sagt im Grunde, dass Gottes Wort nicht wirklich verlsslich sei. Damit aber verweigert er Gott den Glauben.

    Fundamentalismus - Absage an die Vernunft

    Der andere Weg, der des Fundamentalismus, hat sich auf die Fahne ge-schrieben, den Glauben zu retten. Menschen, die sich dem Relativismus verschrieben haben, merken oft gar nicht, wie sehr sie gerade den Funda-mentalismus durch ihre Haltung frdern und ihm stndig Wasser auf die MUhlen geben. Umgekehrt verstrkt der Fundamentalismus den Re-lativismus, weil er tatschlich intolerant und Angst einflend auftritt.

    Der Fundamentalismus innerhalb der Kirche ist im Grunde eine Be-wegung von verunsicherten Christen . Er entspricht ihrem Bedrfnis nach Stabilitt, nach einem festen Fundament. Wo alles relativien wird, ins

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  • Schwimmen gert, da kehrt auch das Bedrfnis nach dem Festen, Ver-lsslichen, Untermauerten wieder.

    Innerhalb der Kirche trin der Fundamentalismus mit dem Anspruch auf, unseren Glauben auerhalb des Glaubens begrUnden zu knnen. Er versucht, den Glauben dadurch glaubwrdig zu machen, dass er sich auf objektivierbare Fakten sttzt, die man selbst nicht mehr zu glauben braucht. So werde die Gottheit Jesu darin offenbar, dass er angeblich ber bermenschliche Fhigkeiten verfUgte, die jeder feststeHen konnte. Er habe tatschlich aus fUnf Broten fUnftausend gemacht und auf der Hochzeit zu Kana ein chemisches Wunder vollbracht. Jesus ging - tUr jedermann sichtbar - tatschlich auf dem Wasser. Am Ostersonntag sei er den JUngem schlielich so begegnet, dass man ihn hne fotografieren knnen, wenn, ja wenn man damals schon entsprechende Apparate ge-habt hane.

    In der katholischen Kirche tritt der Fundamentalismus auch in Fonn von Wunder- und Erscheinungssucht auf. Fundamentalisten brauchen offenbar noch einen objektivierbaren Beweis fUr die Vertrauenswrdig-keit des Wortes Gones. Das Wort und die Sakramente reichen ihnen nicht. Sie mchten sich auf etwas sttzen, das ber aHen Zweifel erhaben zu sein scheint.

    Vielleicht ist die heute weit verbreitete religise Erfahrungssucht auch eine Variante fundamentalistischer Bestrebungen. Man mchte Gott "erfahren", "erleben", also Erfahrungen machen, um nicht auf das bloe Wort hin glauben zu mssen. Aber selbst solche Erfahrungen sind ge-schpflich wie alles andere auch und deshalb ganz und gar nicht verlss-lich, mgen viele sich das auch einbilden.

    Der Fundamentalismus scheint mir ein Ausdruck von Unglauben zu sein. Das Wort Jesu allein gengt ihm nicht. Es muss durch objektivier-bare Fakten noch untermauert werden. Das ist so grotesk, als wollte man einem Schiff Sttzen geben, weil man ihm nicht zutraut, von se lbst zu schwimmen. Der Fundamentalismus versucht dem Glauben StUlzen auerhalb des Glaubens zu geben. Damit aber gibt er unseren Glauben gerade der Ulcherlichkeit preis. Denn er traut dem Wort Jesu nicht zu, ein Wort zu sein, auf das man sich wirklich im Leben und im Sterben verlassen kann, weil es Gottes Wort ist. Vielmehr versucht der Funda-mentalismus den Glauben dadurch glaubwrdig zu machen, dass er ihn auf Fakten stUtzt, die anderer Erkenntnis als dem Glauben zugnglich sind. Bcher wie der langjhrige Bestseller "Und die Bibel hat doch Recht" sind tUr Fundamentalisten so etwas wie eine Sttze des Glaubens auerhalb des Glaubens. Dieser Buchtitel von Werner Keller (Rowohlt-

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    Taschenbuch) hat viele Auflagen erlebt und spricht bis heute Menschen an, die Gottes Wort mit Information Ober geschichtliche Fakten und naturwissenschaftl iche Sachverhalte verwechseln. Auf der gleichen Linie liegt auch das hanebchene Buch von Harald Grochtmann (Unerklrli ehe Ereignisse, uberprtlfte Wunder undjuristische Tatsachenfeststellung, Langen 1989). Wissenschaftliche oder pseudowissenschaftliche Erkennt nis wird so zum Fundament rur Gones Wort gemacht. Gones Wort aber bedarf keiner StUtzen.

    Die Aufgabe. die uns gestellt ist Beide Wege, der Relativismus und der Fundamentalismus, nehmen die Botschaft Jesu nicht wirklich ernst. Denn fUr eine relativierte Wahrheit kann man nicht sein Leben hingeben; und ein Wort Gottes, das von Men schenhand gemachter StUtzen bedarf, kann nicht glaubwrdig die Wahr heil Uber unser Leben sein.

    Der Ausweg besteht nun nicht aus einer Mischung von beidem: ein bissehen Relativismus und ein bissehen Fundamentalismus. Die Frage ist vielmehr diese: Wie kann man unseren Glauben mit Wahrheilsanspruch vortragen, ohnefundamentalistisch zu sein? Dieser Frage nachzugehen und eine Antwort auf sie zu finden wre wohl die hohe Kunst der Theo logie, die heute gefordert ist. Sie msste zeigen, dass es keine "hhere" Wahrheit gibt als die des christlichen Glaubens, der gegenber die Wahr heit des Glaubens relativiert werden knnte . Und das darf sie aber nicht auf fundamentalistische Art tun, indem sie Denkverbote ausspricht und sich gegen Kritik immunisiert. Sie muss zeigen knnen, dass die christliche 'Botschaft auf Einwnde und Fragen in berzeugender Weise antworten kann. Sie muss dartun, dass die christliche Botschaft keine Angst vor dem Denken hat und ihren Wahrheitsanspruch nicht gegen das kritische Denken erhebt. Vielmehr setzt die christliche Botschaft das Denken von Menschen in Gang und frdert es. Christliche Theologie muss al so erkennen lassen, dass sie im kritischen Denken, in der Ver nunft, geradezu einen Verbndeten hat. Entgegen landlufiger Meinung ist die Vernunft nmlich gar kein Verbundeter des Unglaubens. Dieser kann sich nicht zu Recht auf die Vernunft berufen.

    Wenn die Theologie es nicht mehr vermag, den Wahrheitsanspruch des Glaubens vor der Vernunft zu verantworten und d. h. ohne in den Fundamentalismus zu fallen, dann erfUllt sie ihre Aufgabe nicht. Dann verliert sie auf Dauer auch ihre Daseinsberechtigung.

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  • Einen ersten Hinweis auf eine Lsung des Problems finden wir wohl nicht in unseren Zeitstrmungen, sondern nur, indem wir auf Jesus selbst schauen und auf seine Botschaft . Jesus war weder Relativist noch Fun damentalist. Fundamentalisten gegenUber lehnte er die Forderung nach Mirakeln als Begrndung ftIr seine Botschaft ab (vgl. z. B. Mt 12,39). Und zugleich trat er mit dem Anspruch auf, die Wahrheit Gottes zu ver kUnden, ohne dabei intolerant oder ohne Achtung gegenber anderen Menschen zu sein. Weder relativierte er seine Wahrheit - tur eine relat i vierte Wahrheit kann man nicht sterben - . noch versuchte er, sie durch irgendwelche Ubennenschlichen Fhigkeiten zu begrnden und plausibel zu machen. Er war selbst die Begrndung. Er war selbst der Grund. den Gott gelegt hat (vgl. I Kor 3, 11). Er ist selbst das Fundament, auf dem unser Glaube ruht. Seine Botschaft ist einfach aus sich selbst heraus glaubwrdig. Sie bedarf keiner weiteren GlaubWOrdigkeitsbeweise. Sie ist als Wort Gottes verstehbar. als ein Wort. auf das im Leben und im Sterben Verlass ist. Unser Osterglaube will ja gerade das sagen. Wre auf das Wort Gottes nicht wirklich Verlass. darm krmten wir nicht sa gen: Jesus lebt. Unser Osterglaube will zum Ausdruck bringen. dass Je sus sich zu Recht auf Gottes Wort verlassen hat. Es hat ihn nicht dem Tod preisgegeben.

    So war Jesus. Ganz und gar in Gon gegrUndet, in einem Gott, den man nicht sieht und der doch Jesus nicht der Herrschaft der Angst um sich selbst und der Macht des Todes preisgab. Das Gottse in Jesu wirkte sich auf sein menschliches Leben darin aus, dass er kein Spielball seiner Angst war, kein Spielball der Meinungen und Zeitgeister. kein Blatt, das hin und her geworfen wird vom Wind. Weil die Angst um sich se lbst ihn nicht mehr beherrschte, war er auch zu keiner Unmenschlichkeit mehr erpressbar. Und eben so in der Wahrheit Gottes gegrtlndet, war Jesus der freieste aller Menschen. Wenn deshalb die Geschichte vom Seewandel einen Sinn tur unseren Glauben hat, dann diesen: 1m Vertrauen aufGot tes Wort vermag es der Mensch, Uber den schwankenden Boden dieses Lebens zu gehen, ohne stndig Angst vor dem Ertrinken haben zu mUs sen.

    Jesus wusste sich in einer so verlsslichen Weise in Gott geborgen, dass er ihn als "Vater" anredete. Nur in dieser verlsslichen Geborgen heit konnte er alles andere tatschlich und in einer erlsenden Weise relativieren. Nur wer sich in so verlsslicher Weise von Gott geliebt wei, kann auch aus venneintlich sicheren Booten aussteigen und ganz neue Wege zu gehen versuchen ohne von Angst aufgefressen zu werden. In der Tat relativierte Jesus aus dieser verlsslichen Liebe und Ge

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    borgenheit heraus alles, was den Menschen sakrosankt war: das Gesetz, ihre Religiositt, den Tempel, aber auch die vielen anderen unantastbaren Heiligtmer wie Geld und Gut, Wohlstand und Fonschritt. Alle diese Dinge waren nicht das Fundament, auf dem er stand.

    Nun ist der Herr nicht gekommen, um uns nur etwas vorzutuhren, was wir nicht knnen. Sein Ziel war es, andere Menschen in sein Gottesver-hltnis mit hineinzunehmen. Auch wir sollen " Unser Vater " sagen (vgl. Mt 6,9). Wir sollen am Sohnesverhltnis Jesu partizipieren. berhaupt lsst sich der christliche Glaube nur so aussagen, dass wir hineingenom-men sind in die Liebe, mit der Gott als Vater von Ewigkeit her seinem Sohn zugewandt ist. Diese Liebe, in die wir hineingenommen sind, ist der Heilige Geist. Man kann also gar nicht an Jesus glauben, ohne sich in sein Gottesverhltnis hineinnehmen zu lassen. So hat Gottes Liebe ihr Ma nicht an uns oder berhaupt an etwas GeschpOichem. Sie hat ihr Ma an Gott selbst, nmlich am Sohn.

    Diese Glaubensgewissheit bedarf gar keiner GlaubWTdigkeitsbeweise mehr. Denn wenn die christliche Botschaft wirklich Golles Won ist, dann kann es keine verlsslichen ueren Kriterien geben, aufgrund deren man diesen Wort-Gottes-Charakter feststellen knnte. Die christli-che Glaubensgewissheit grUndet sich allein auf dieses Wort. Allerdings nicht in einer blinden (fideistischen) Weise, sondern so, dass es tatsch-lich nicht gelingt, stichhaltige Grunde gegen die christliche Botschaft ins Feld zu ruhren, die sich zu Recht auf die Vernunft berufen knnten. Offensichtlich macht sich die christliche Botschaft durch sich selbst tur den Glauben als Won Gottes verstndlich. Wie sie das tut, wird uns im dritten Kapitel noch austuhrlich beschftigen. Aber soviel sei hier schon behauptet: Christliche Glaubensgewissheit entsteht dadurch, dass ich mir die christliche Botschaft sagen lasse. Sie hat keinen anderen Grund und kann keinen anderen Grund haben als Jesus selbst; "denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus" (1 Kor 3,11 ; vgl. auch Eph 2,20; I Petr 2,4-6). Auch ich und selbst die Kirche kann se in Wort nicht glaubwrdig machen. Es ist es aus sich selbst.

    Wer sein Hineingenommensein in die Liebe des Vaters zum Sohn als die Wahrheit Ober sein Leben annehmen kann, der kann und der darf alles in der Welt relativieren. Nichts ist ihm dann noch ein absoluter Wert. Das ist Erlsung und Befreiung von der Versklavung an das Ge-schpfliche. Wer aber unseren Glauben selbst relativieren wollte, der wird immer wieder in der Hand fremder Mchte aufWachen.

    Derwohl beste Dienst, den wir unserer Gesellschaft erweisen knnen, besteht darin, aus dieser Gewissheit unseres Glaubens heraus zu leben

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  • und unseren Mitmenschen diese Gewissheit von Herzen zu wUnschen, damit sie nicht mehr unter der Diktatur der Angst um ihr eigenes Leben stehen mUssen. Denn wer Jesu Wort wirklich als diese letzte Wahrheit und Gewissheit annimmt, kann auch zu dieser Freiheit von der Angst um das eigene Leben finden.

    Li/eratur:

    BOHNIGK, V., Weltversion. Wissenschaft zwischen Relativismus und Pluralismus, Wien 1999. KIENZLER, K., Der religiOse Fundamentalismus. Christentwn, Judentwn, Islam, MUnchen 21999. KNAUER, P., Unseren Glauben verstehen, Wrzburg }1995. MEYER, TH., Fundamentalismus - Aufstand gegen die Modeme, Ham-burg 1989. PFRTNER, ST. H., Fundamentalismus. Die Flucht ins Radikale, Freiburg 1991. ROSLER, A. , lIIusion und Relativismus, Paderborn 1999. DIE VORSOKRATIKER L Milesier, Pythagorer, Xenophanes, Heraklit, Parmenides, griech.ldt. Auswahl, bersetzung und Erluterungen Mans-feldlJaap, S'ungart 1991. WERBICK, J. (Hg), Offenbarungsansprche und die fundamental istische Versuchung (Quaestiones disputatae 129), Freiburg 1991 .

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  • 2. Kapitel:

    Die religioDstheologiscbe Sackgasse

    Wie bereits im Einleitungskapitel erwhnt, hat die Theologie traditionell zwei Modelle entwickelt, um das Verhltnis derchristlichen Botschaft: zu den nichtchristlichen Religionen zu bestimmen: Exlclusivismus und In-kJusivismus. Dazu kommt heute als neues Deutungsmuster der Pluralis-mus. Dieser erklrt sich aus dem Ungengen der heiden lteren Modelle. In diesem Kapitel wollen wir diese drei religionstheologischen Modelle kennenlernen.

    Aber warum stellen sie - wie die berschrift: dieses Kapitels sagt -eine "Sackgasse" dar? Tatsachlich ist es so, dass die Meinung weit ver-breitet ist, es gbe nur diese drei Mglichkeiten, um das Verhltnis des christlichen Glaubens zu den anderen Religionen zu bestimmen. Man mUsste sich danach also tuT eines dieser drei Modelle entscheiden. Ande-re Mglichkeiten scheinen ausgeschlossen. Wer so denkt, befindet sich bereits in der Sackgasse. Es gibt dann keinen Ausweg. Man mUsste mit einem dieser im Grunde vllig unbefriedigenden Klassifikationsmodelle leben. Und tatschlich ist die Theologie auch weithin in dieser Sackgasse gefangen. Da aber alle drei Modelle hchst unbefriedigend sind und sich theologisch im Grunde nicht verantworten lassen, drfen wir vor diesem .. Trilemma " nicht resignieren. Diese Seiten mchten zeigen, dass es einen Ausweg aus dieser Sackgasse gibt und dass die christliche Bot-schaft selbst diesen Ausweg weist. Wir mUssen also nicht unsere mathe-matische Logik verbiegen, um nach einer vierten Mglichkeit zu suchen, die es in diesem Vorverstndnis auch gar nicht geben kann. Es gilt viel-mehr, das Vorverstndnis se lbst zu bekehren. Doch bevor wir uns damit beschftigen, betrachten wir zunchst die drei genannten Modelle und das Vorverstandnis, das ihnen zugrunde liegt.

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  • 0004~074

    I. EXKLUSIVER WAHRHEITSANSPRUCH: CHRISTUS GEGEN DIE RELIGIONEN

    Im Laufe der Zeit hat das Christentum aufverschiedene Weise versucht, das eigene Verhaltnis zu den anderen Religionen zu bestimmen. Ein Modell fUr eine solche Verhltnisbestimmung. das Uber lange Zeit in der Kirchen- und Theologiegeschichte wirksam und auch dominierend war, ist der religionstheologische Exlclusivismus. Er stellt eine der Antworten dar, die das Christentum auf die Existenz anderer Religionen gegeben hat.

    Wie der Name schon sagt, ist der Exklusivismus bestimmt von einer alle anderen ausschlieenden Sicht. Da diese Auffassung in allen Religi -onen vorkommt, kann man sie allgemein auf die Formel bringen: Nur eine Religion kann wahr sein; alle anderen mUssen falsch sein. In der Regel wird stets die eigene Religion fUr die "wahre" gehalten und die anderen werden von der Wahrheit ausgeschlossen.

    Wir finden diese Auffassung Uberall dort, wo eine fundamentalistische und auch integralistische Geisteshaltung vorherrscht. Fundamentalisten fUhlen sich immer zutiefst verunsichert, wenn eine andere Position zu der eigenen in Konkurrenz tritt . Sie sind in der Regel gar nicht in der Lage, verschiedene Religionen anders als in einem Konkurrenz- oder Rivali -tatsvemltnis zu betrachten. Insofern kommt der Exklusivismus einer fundamentalistischen Haltung besonders entgegen. Vertreter des Exklu-sivismus mUssen aber nicht notwendig Fundamentalisten sein.

    Der christliche Exklusivismus in seiner Extremform bestreitet den an-deren Religionen, Uberhaupt wahr zu sein oder an der Wahrheit teilzuha-ben. Sie sind im Irrtum. Und da man auerhalb der Wahrheit im Irrtum und damit in der LUge verharrt, sind die Anhnger der nicht-christlichen Religionen auch vom Heil ausgeschlossen: Heilsexklusivismus. Sie kn-nen in dieser Sicht nur dann zum Heil kommen, wenn sie sich zur Wahr-heit, und d. h. konkret zum christlichen Glauben bekennen. In abgemil-derter Form gibt es den Exk lusivismus auch als bloen Wahrheitsexklu-sivismus. Die anderen Religionen gelten dann zwar als unwahr, aber deren Anhnger sind - insofern ihr Irrtum nicht schuldhaft und unUbcr-windlieh ist - nicht schlechthin vom Heil ausgeschlossen.

    Der christliche Exk lusivismus lasst sich somit auf die Formel bringen: Christus gegen die Religionen! Danach ist der christliche Glaube als die Wahrheit zu verkUndigen mit dem Ziel , die anderen Religionen abzu-schaffen und durch das Christentum zu ersetzen.

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  • 0004401~

    Exklusivismus im Neuen Testament?

    Der Exklusivismus beruft sich rur seine Auffassung in der Regel auf einige wenige Stellen im Neuen Testament, die ihm Recht zu geben scheinen. So heit es Mk 16, I Sr:

    "Geht hinaus in die ganze Welt, und verkndet das Evangelium al-len Geschpfen. Wer glaubt und sich taufen lsst, wird gerettet ; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden."

    Danach mUsste der grte Teil der bisherigen Menschheit schlechthin im Unheil sein und knnte das Heil nicht erreicht haben. Auch Joh 3,5 gilt in diesem Sinne als Belegstelle:

    "Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird. kann er nicht in das Reich Gottes kommen."

    Andere Worte Jesu werden ebenfalls exklusivistisch interpretiert, z. B. wenn der Jesus des Johannesevangeliums von sich selbst sagt:

    "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater auer durch mich." (Joh 14,6)

    In der Apostelgeschichte finden sich zudem einige Stellen, die auf den ersten Blick dem Exklusivismus Recht zu geben scheinen, z. B. Apg 4,12:

    "Und in keinem anderen (als in Jesus) ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gege-ben, durch den wir gerettet werden sollen."

    Tatschlich fand sich das Christentum von Anfang an in einer religisen Umgebung vor. Die christliche Botschaft hat sich von vornherein an religise Menschen gerichtet. Zuerst an die Juden und dann an die "Hei-den", nmlich an die antike Vlkerwelt im Mittelmeerraum, die alles andere als unreligis war. Das junge Christentum war von Anfang an davon Uberzeugt, dass Christus die Wahrheit Gottes ist, die es allen Vl-kern zu verkUndigen gilt. Es verstand sich selbst nicht als eine unter vielen antiken Religionen, sondern als etwas ganz und gar Neues. Die ersten Christen erkannten in Jesus Christus wirklich das endgUltige und letzte Wort, das Gott zur Menschheit gesprochen hat, um sie zum Heil zu ruhren (vgl. Joh I; Hebr I, I f). In den heidnischen Gottheiten begegneten sie Gestalten, die durchaus nicht grundstzlich seinsmig (ontologisch) von der Welt verschieden waren. Die griechischen und rmischen Gtter

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  • waren in der Tat keine von der Welt unUberbietbar verschiedene Wirk-lichkeiten, sondern im Grunde nur eine Verlngerung unserer Erfah-rungswelt in den Himmel. Sie fielen unter denselben Wirklichkeitsbe-griffwie die vergngliche Welt. Sie stellten als unsterbliche Wesen nur eine seinsmige Steigerung gegenber den Sterblichen dar. Demgegen-Ober sprachen die Christen, die aus der jlldischen Tradition kamen, von dem unbegreiflichen, transzendenten Gott, der nicht ein Teil der Ge-samtwirklichkeit ist, sondern ihr Schpfer und Herr, "den niemand j e gesehen hat " (Joh 1,18) . Von ihm bezeugten sie. er se i in Jesus Christus aus seiner unbegreiflichen und unzugnglichen Verborgenheit herausge-treten und habe sich als der Gott und Vater aller Menschen geoffenbart. Erst das Christentum hat den absoluten Unterschied, der zwischen Gott und Welt besteht, formulieren knnen. Der heidnische Polytheismus konnte schon deshalb nicht wahr sein, weil er von Gttern sprach, die eigentlich nur ein verlngertes Stilck Welt sind. So aber knnen sie al s Wege zum Heil auch nicht glaubwrdig sein.

    "A uerhalb der Kirche kein Heil" Der christliche Exklusivismus geht einher mit einem Ekldesiozenlrismus. Darunter versteht man die Auffassung, dass die Zugehrigkeit zur Kirche unabdingbar se i, um das Heil zu erlangen, das die Religionen in Aussicht stellen. Schon in der Alten Kirche galt die Nichtzugehrigkeit zur Kirche als ein Getrenntsein vom Heil. Und Christen, die in Verfolgungszeiten die Kirche verlieen, verloren in den Augen vieler Kirchenvter jede Auss icht darauf, das Hei l zu erlangen. Zudem hat die Kirche in einer ekklesiozentrischen Sicht eine zentrale Rolle, die es verbietet, sie in den Chor der Religionen als eine Religion unter anderen einzuordnen.

    Tatschlich haben manche der frohchristlichen Theologen, die Kir-chenvter, die christliche Botschaft auch mit exklusivem Wahrheitsan-spruch vorgetragen. Vor allem in Verfolgungszeiten erlagen nicht weni-ge Christen der Versuchung, dem Glauben - wenn auch nur vorUberge-hend - abzuschwren, um das eigene Leben zu retten. FOr die Christen, die trotz Lebensgefahr dem Glauben treu geblieben waren, entstand das Problem, wie sie sich zu den "abgefallenen" Christen verhalten sollten. Wie war deren Heilsstatus? Waren sie "auerhalb" der Kirche? Und wenn dies zutraf, welche Heilsperspekt ive konnten diese auerhalb der sichtbaren Kirche lebenden Getauften noch haben?

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  • 000 4401~

    Auf diese Fragen wurden zwei verschiedene,ja eigentlich gegenstz-liche Antworten gegeben: Zum einen gab es eine Strmung, die sich vorsichtig ffnete rur die heidnische Religiositt und rur die griechische Philosophie. Sie geht vor allem aufJustin und seine Logoslehre zurck. Justin sah auch auerhalb der Kirche den Logos Gottes in Fonn von "Samen des Wortes" am Werke. Er konnte zumindest auch der Philoso-phie so etwas wie die Rolle einer Vorbereitung auf das Evangelium zu-erkennen. Wir werden im nchsten Abschnitt noch darauf eingehen. Dominierend aber blieb rur lange Zeit eine andere Strmung, nmlich ein rigider Exklusivismus, der wohl vor allem im Hinblick auf die in Verfol-gungszeiten abgefallenen Christen fonnuliert wurde und von daher ver-stndlich ist. Als seine Hauptvertreter in patristischer Zeit knnen wir Origenes und Cyprian von Karlhago ausmachen.

    Origenes vergleicht die Kirche mit einem Haus, in dem die Glubigen wohnen und stellt fest:

    "Auerhalb dieses Hauses, d. h. auerhalb der Kirche wird nie-mand gerettet." (Prediglen zum Buch Josua, III)

    Und in aller rigoristischen Schrfe beschreibt Cyprian die Konsequen-zen, die sich ft1r das Heil aus der Trennung von der Kirche ergeben:

    "Jeder, der sich von der Kirche trennt und sich mit einer Ehebre-cherin verbindet, schliet sich aus von den Verheiungen der Kir-che, und wer die Kirche Christi verlassen hat, wird nicht zu den Belohnungen Christi gelangen. Er ist ein Fremder, er ist ein Unhei-liger, er ist ein Feind. Gott kann nicht mehr zum Vater haben, wer die Kirche nicht zur Mutter hat. So wenig einer zu entrinnen ver-mochte, der auerhalb der Arche Noachs war, ebensowenig ver-mag einer zu entkommen, der drauen auerhalb der Kirche steht. ... Wer nicht an dieser Einheit festhlt , halt nicht fest an Gottes Ge-setz, halt nicht fest arn Glauben an den Vater und den Sohn, hlt nicht fest am Leben und am Heil." (ber die Einheit der katholi-schen Kirche, 6)

    Die Zugehrigkeit zur Kirche erscheint hier als einzige Garantie des Heil s. Die Trennung von ihr bewirkt Unheil.

    "Auerhalb der Kirche kein Heil" ( .. Extra Ecclesiam nulla salus") wurde rur Jahrhunderte zu einer felsenfesten Gewissheit und zum theo-logischen Axiom, um Ober die HeilsmOglichkeit derer zu urteilen, die auerhalb der Kirche leben oder sich von der Kirche getrennt haben. Es bestimmte mageblich die Lehre von der Heilsnotwendigkeit der Taufe.

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  • Wir brauchen hier die lange und auch verhngnisvolle Wirkungs geschichte dieses Axioms nicht eigens aufzurollen. Doch da auch das Lehramt der Kirche sich diesen Grundsatz zu eigen machte, hat er eine Bedeutung gewonnen, die weit Uber die bloe Lehnneinung einzelner Theologen hinausgeht. Jahrhunderte lang gehrte dieser Lehrsatz mit seinem exklusivistischen Verstndnis zu den unbestrittenen Grundstzen des Christentums. Seine wohl scharfste und zugespitzteste FOlTTlulierung stammt vom Konzil von Florenz im Jahre 1442:

    "Die heilige rmische Kirche glaubt fest, bekennt und verkUndet, dass niemand, der auerhalb der Kirche lebt, nicht nur die Heiden, sondern auch die Juden oder die Hretiker und Schismatiker des ewigen Lebens teilhaftig werden knnen, sondern in das ewige Feuer eingehen werden, das dem Teufel und se inen Engeln bereitet ist, wenn sie sich nicht vor dem Ende ihres Leben der Kirche an schlieen." (DH 1351)

    Exklusivismus heule

    In der gegenwrtigen Theologie wird der Exklusivismus kaum mehr vertreten. Der letzte bedeutende Theologe, der dieser Position zuzuord nen ist, war Karl Barlh. Sein Exklusivismus war jedoch nicht fundamen talistisch motiviert. FUr Barth war alles Religise Oberhaupt probierna tisch. Barth sieht in der Religion an sich einen Ausdruck von Unglauben. Religionen stellen in seinen Augen den eigenmchtigen Versuch des Menschen dar, aus eigener Kraft zu Gott zu finden und sich vor Gott zu rechtfertigen. Das aber ist die groe Illusion aller Religionen. Kein Mensch kann in Wirklichkeit durch seine Religiositt Gotterreichen. Der Mensch kann von sich aus Gott nicht nahe kommen, wenn Gott selbst ihm nicht nahe kommt. Deshalb stellt Barth allen Religionen (auch dem Christentum) die Offenbarung Gottes in Jesus Christus als Kritik und als Erlsung gegenUber. Nur wenn der Mensch die Offenbarung Gottes in Christus annimmt, kann er sich auch in der Wahrheit und im Heil wissen.

    Ohne Zweifel hat Barth etwas Richtiges gesehen: Die Religionen ha ben einen ambivalenten Charakter. Sie sind wohl keineswegs nur positiv zu wUrdigen, sondern sind auch ein Ausdruck von Uneriostheit und von Gottferne, die vom Menschen her nicht zu Uberwinden ist. Von daher er