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Joachim Eitel Mut zur Feigheit Berlin – Tokio 1945 Roman in drei Teilen

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Joachim Eitel

Mut zur Feigheit

Berlin Tokio 1945

Roman in drei Teilen

1. Auflage

Text

2017 Joachim Eitel

Alle Rechte vorbehalten

Cover

Fotografie und Illustration

2017 J. Vanidoso

Lektorat

Harald im Spring

www.das-freie-buch.de

E.I.-Verlag, Joachim Eitel

Breitestr. 11, D-77716 Haslach i.K.

[email protected]

Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfltigt oder verbreitet werden.

Fr alle, die sich auch heute noch

die Vernunft zu eigen machen.

ERSTER TEIL

Die Zukunft ist etwas,

das nur im Nachhinein

betrachtet werden kann.

1

Schwarzwald 1965 / 2008

Die Welt ist voll von Dingen, die wir nicht erklren knnen, sagte die Frau mit tiefer, rauchiger Stimme. Sie sprach deutlich, aber mit einem mir fremden Akzent. Auerdem rollte sie das R auf unnatrliche Weise. Alles an dieser Frau entsprach meinen Erwartungen. Ihre Kleidung war schwarz, ebenso ihr langes, lockiges Haar. Die gleichfalls schwarze Schleife fiel darin kaum auf. Die wahre Struktur aller Zusammenhnge bleibt unseren Sinnen verborgen, fuhr sie fort. Es sind aber diese Verbindungen zwischen den Krften des Universums und der vermeintlich toten Materie, die unser Schicksal lenken.

Noch immer klebte in meinem Mund das Gefhl der sich auflsenden Zuckerwatte. Von drauen drangen die Rufe der Marktschreier und ein Duft nach gebrannten Mandeln herein. Mal schaute ich auf die Kristallkugel, die zwischen uns auf der Samtoberflche des Tischchens ruhte, mal in das Licht der Kerze und dann wieder in die dunklen Augen dieser Frau. Im wei gepuderten Gesicht schienen sie das einzig Ungeschminkte zu sein. Das einzig Ehrliche.

Du bist also zu mir gekommen, um etwas ber deine Wahrheit zu erfahren, mein Mdchen.

Ich heie Elisabeth Stelker, wollte ich gerade sagen. Doch schon beim Ich heie... unterbrach sie mich schroff.

Nein, ich muss deinen Namen nicht wissen. Er wrde mich nur ablenken, die wahren Krfte zu erkennen, die dich fhren.

Gut, dachte ich. So musste auch ich sie nicht mit Namen ansprechen. Dieser stand zwar auen am Zelt als Madame Soundso angeschrieben, aber ich hatte ihn bereits wieder vergessen. Man knne sich fr zwanzig Mark die Zukunft vorhersagen lassen, war da auerdem zu lesen.

Madame redete weiter ber die Balance der Krfte. Balance sprach sie nun eindeutig Franzsisch aus, doch ich hrte nur noch mit einem Ohr zu, war berzeugt, dass sie zu jedem ihrer Kunden ber die Krfte des Schicksals sprach. Viel mehr dachte ich nun darber nach, warum sie gerade bei mir den Begriff der Wahrheit gewhlt hatte. Musste sie nicht eher vermuten, ich interessiere mich fr das was kommen mag? War es nicht normalerweise so, dass man von einer Hellseherin etwas ber seine Zukunft erfahren wollte? Woher wusste sie, dass es in meinem Fall die Wahrheit war die Wahrheit, die in der Vergangenheit lag? Das pltzliche Vertrauen in ihre Fhigkeiten gab mir zu denken. Ich musste mir in Erinnerung rufen, dass ich nur aus Jux zu dieser Kirmestante gekommen war. Nur so konnte ich verhindern, ernsthaft an sie zu glauben.

Mdchen, bist du dir im Klaren, dass ich nicht immer nur Gutes und Schnes sehe, wenn ich in einen Menschen hineinblicke, riss sie mich aus meinen Gedanken.

Natrlich, gab ich ihr kurz zur Antwort. Selbstverstndlich war ich auf schlimme Nachrichten vorbereitet. Es war mir jedoch schon jetzt klar, ich wrde diese dann als Humbug abtun, whrend ich mich an Positivem zu erfreuen suchte. Ist das nicht die Einstellung aller, die sich von einer fahrenden Seherin die Hand lesen oder Karten legen lassen? Ich denke, die meisten Menschen glauben ohnehin nur das, was sie glauben wollen. Das ist so wie mit den Gummibrchen: Ist einer erst einmal davon berzeugt, dass rosarote Gummibrchen gegen Blhungen helfen, wird er bei jedem Pups denken, dieser wre noch lauter gewesen, wenn er zuvor keine davon gegessen htte.

Viele meiner Klienten glauben lediglich, was sie glauben wollen. Sie hren nur allzu gerne, wenn ich ihnen Liebe, Glck und Reichtum vorhersage. Andererseits werfen mir die gleichen Leute faulen Zauber vor, wenn ich Schlimmes sehe...

Hatte die Frau eben meine Gedanken gelesen? Langsam begann mir die Sache unheimlich zu werden.

Manche wollen meine Dienste dann noch nicht einmal bezahlen. Aber wenn sich mir Dunkles zeigt, darf ich doch nicht einfach lgen, nur um mir die Sache leicht zu machen!

Gerade hob ich die Stimme an, um ihr Recht zu geben, doch sie lie mich nicht zu Wort kommen.

Daher erwarte ich, mein Honorar im Voraus zu erhalten.

Nun wusste ich, worauf sie hinaus wollte und kramte in meinem Portemonnaie. Ist das gut so?, fragte ich berflssigerweise, als ich den Zwanzigmarkschein neben die Kristallkugel legte. Madame nahm ihn wortlos entgegen. Mit einer gleichermaen flieenden wie unaufflligen Bewegung schob sie das Geld in den rmelaufschlag ihrer Bluse.

Gib mir deine Hand, Mdchen!

Ohne den Tisch zu berhren, streckte ich ihr meine Rechte entgegen, die eben noch den Geldschein hielt. Gleichzeitig ffnete ich die Handflche. Zu meiner berraschung fing sie nicht an, die Linien darin zu deuten. Vielmehr nahm sie meine Hand und drehte sie ohne weitere Erklrung nach unten. Ihre Fingerspitzen bedeuteten mir mit leichtem Druck, sie flach auf den Tisch zu legen. Daraufhin umschloss sie meinen Handrcken mit beiden Hnden.

Ein Gefhl der Wrme begann in mir aufzusteigen. Gerade so, als sei mein Brustkorb von frisch gesponnener Zuckerwatte erfllt. So sehr ich dieses Gefhl genoss, so sehr machte mich genau diese Wrme unsicher. Es war mir peinlich, dass ich zwischen den Fingern zu schwitzen begann.

Zunchst rusperte ich mich nur, doch dann sagte ich: Ich dachte, Sie wrden aus meiner Hand lesen. Ich sprach nur, um irgendwie das Schweigen zu brechen, welches bedrckend den Raum erfllte.

Entspann dich, Mdchen! Schlie deine Augen!

Ich tat wie geheien, legte meinen freien Arm in den Scho und versuchte lockerer zu werden. Zu meiner berraschung gelang mir dies sogar. Mehr noch, ich begann dieses Schweigen zu genieen. Lange saen wir uns so gegenber. Ich fhlte, auch sie hatte ihre Augen geschlossen. Von den Marktschreiern und dem ganzen Getse des Rummels hrte ich nicht mehr das Geringste.

Was bis eben noch mit den Erinnerungen meines bisherigen Lebens gefllt war, leerte und weitete sich. Tief in mir entstand etwas wie eine leere Halle, gro genug, dass auch der lauteste Gedanke es nicht vermocht htte, darin ein Echo zu erzeugen. Doch ich dachte nicht einmal im Flsterton. Alles in mir war still und angenehm leer. Auch mein Krper sprte nichts. Nichts auer der Berhrung ihrer Hnde. Sie fhlten sich weder kalt noch besonders warm an. Langsam und ohne dass ich htte einen Gedanken formulieren mssen, wurde mir eines bewusst: Was immer mir diese Frau gleich erffnen wrde, es wrde wahr sein. Was immer sie auch sagen wrde, es wren keine Allgemeinprophezeiungen.

Dann begann Madame zu sprechen: Mdchen, sagte sie, du dachtest, ich wrde dir aus der Hand lesen Schlfrig ffnete ich meine Augen.

Madame schien nach den richtigen Worten zu suchen. Mit einem Tchlein tupfte sie sich ihre kirschroten Lippen und schob es sich danach in den rmel. du dachtest, ich wrde dir aus der Hand lesen, wiederholte sie sich. Ich muss dir aber sagen, dass die Linien eines Menschen viel weniger preisgeben als ein tiefer Blick in seine Seele. Doch nicht immer gelingt dieser Einblick. Das hat nichts mit der Person zu tun und bedeutet weder Schlechtes noch Gutes...

Whrend sie so sprach, fiel mir auf, dass sie nun auf ihr mystisches Vokabular verzichtete. Ihr Akzent war ebenfalls wie weggeblasen.

In deinem Fall ist es mir leider nicht mglich, die verborgenen Wahrheiten zu sehen. Somit macht es auch keinen Sinn, dir aus der Hand zu lesen.

Verborgenen Wahrheiten, sagte ich langsam und leise vor mich hin. Es war mir vllig klar, dass sie meine Herkunft meinte.

Als Madame anfangs von Strukturen, Krften und Zusammenhngen gesprochen hatte, begriff ich zwar nichts, konnte jedoch den Zweck ihrer Worte einordnen. Nun verstand ich auf einmal jede Silbe, doch es war mir schleierhaft, warum sie diese Stze an mich richtete.

Dann fragte ich sie: Knnen Sie mir nicht zumindest etwas ber meine Zukunft sagen?

Mdchen, sagte sie, die Zukunft ist etwas, das nur im Nachhinein betrachtet werden kann.

Ich lie den Satz auf mich wirken. So banal er war, so wenig hatte ich ihn aus dem Munde einer Kirmes-Wahrsagerin erwartet.

Warum hatte sie eine Viertelstunde zuvor noch meiner Freundin Hilde verkndet, diese werde eine Familie grnden. Wenn sie sich ihrem Mann gegenber einfhlsam zeige, werde ihre Ehe eine glckliche sein. Und in finanziellen Belangen msse sie unbedingt hchste Vorsicht walten lassen.

Wieso erzhlte sie Hilde so etwas und speiste mich ohne ersichtlichen Grund mit einer Aussage ab, die ihre Daseinsberechtigung als Seherin in Frage stellte?

Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen und sah sie eine Weile wortlos an. Madam rckte die Kristallkugel zurecht, als wolle sie alles fr den nchsten Kunden bereitmachen. Ich muss sie mit einem ziemlich fragenden Ausdruck angeblickt haben, den sie offensichtlich ganz falsch interpretierte. Bedchtig fhrte sie Zeige- und Mittelfinger in ihren linken Blusenrmel und brachte zunchst ihr Tchlein, dann den Zwanzigmarkschein zum Vorschein.

Mdchen, es ist so, wie ich es dir sage. Die Wahrsagerin rusperte sich. Es ist mir leider nicht gelungen, deine verborgenen Wahrheiten zu sehen, erklrte sie noch einmal und gab mir mein Geld zurck. Du bist ein hbsc