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Cover Gerd George: Mare Cinque, 2009 (Detail) | Thomas Spring: L1008097 20140812 08:29:40, 2015 (Detail)Design: Kristina von Bülow

DIE SINGULARITÄT DES JETZTSatelliten-Show im Rahmen der 7. Triennale der Photographie Hamburg 2018BREAKING POINT: unlearning x rethinking x restarting

Fotografien von Gerd George und Thomas SpringKuratiert von Kristina von Bülow

Siller Contemporary bei Interpol +-Ballindamm 9, 20095 Hamburg

8. Juni bis 31. August 2018Montags bis Freitags von 10:00 bis 18:00 Uhr

The Now is an ongoing linking of singular breaking points: At no oth-er time, things are truly influenceable – neither in the past, nor in the future. As a continuously renewing Breaking Point, the Now is a flu-id sequence of the only point in time at which we can actually make things happen, because only the Now grants access to real freedom to act.

The Singularity of the Now brings together two perspectives of this unique time unit: as a fractal of endless eternity and as a point on the vector of time. In Gerd George’s works, the Now shows itself in centred contemplation and meditative quietness, while in Thomas Spring’s works, it manifests in vectoral dynamics and intoxicating motion. The Now appears from the future and has already slipped into the past. It is imperative not to miss this moment under any circumstances.

The photographs from the series Mare by Gerd George are mono-lithic ocean surfaces that merge into the sky in seamless horizons. Infinite space, detached from time, in which the Now seems to ex-pand into endlessness while fully staying with itself as the centre and breaking point between the past and the future. Even the eternal constancy of the timeless sea is never the same and always in the flow. The unique, singular moment of the capture is a tiny temporal extract from spatial infinity. The pictures without beginning and end tell of the past and the future in present tense.

Thomas Spring’s view of the Now is of vectoral nature. His pho-tographs from the series Delirious Landscapes are irretrievable points on the line between the past and the future, on a horizontal axis through space. The Now as a random excerpt from time, dis-tilled from a state of motion and conserved for the future. More like paintings rather than photographs, form and colour dissolve into one another dynamically. But always one coincidental, frac- tally small point in the depth of the picture is focused, which makes the entire pictorial space appear to be in motion ever more. Just like the singular Now as a focus point on the line of slipping time.

Translation: Kristina von Bülow

Das Jetzt ist eine laufende Verkettung von singulären Breaking Points: In keiner anderen Zeit sind die Dinge wirklich beeinflussbar – nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft. Als sich ständig erneuernder Breaking Point ist das Jetzt eine fließende Abfolge des einzigen Zeit-punkts, zu dem wir tatsächlich etwas bewegen können, weil nur das Jetzt realen Handlungsspielraum eröffnet.

Die Singularität des Jetzt bringt zwei Sichtweisen dieser besonderen Zeiteinheit zusammen: als Fraktal der grenzenlosen Ewigkeit und als Punkt auf dem Vektor der Zeit. Bei Gerd George zeigt sich das Jetzt in zentrierter Kontemplation und meditativer Ruhe, während es bei Thomas Spring in vektoraler Dynamik und berauschender Bewegung formuliert wird. Das Jetzt taucht aus der Zukunft auf und ist sofort zur Vergangenheit verronnen. Es gilt, diesen Moment auf keinen Fall zu verpassen.

Gerd Georges Fotografien aus der Serie Mare sind monolithische Meeresoberflächen, die sich über einen fließenden Horizont mit dem Himmel verbinden. Unendlicher Raum, losgelöst von der Zeit, in dem das Jetzt sich ins Endlose auszudehnen scheint, aber doch vollkom-men bei sich bleibt als Mittelpunkt und Umschlagstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft. Selbst die ewige Unveränderlichkeit des zeitlosen Meeres ist niemals gleich und immer im Fluss. Der einzig- artige, singuläre Moment der Aufnahme ist ein winziger zeitlicher Aus-schnitt aus der räumlichen Unendlichkeit. Es sind Bilder ohne Anfang und Ende, die von Vergangenheit und Zukunft im Präsens erzählen.

Thomas Springs Sicht auf das Jetzt bildet sich vektoral ab. Seine Fotografien aus der Serie Delirious Landscapes sind unwiederbring-liche Punkte auf der Linie zwischen Vergangenheit und Zukunft, auf der horizontalen Achse durch einen Raum. Das Jetzt als zufälliger Extrakt aus der Zeit, aus der Bewegung heraus destilliert und für die Zukunft konserviert. Als wären es Gemälde und keine Fotografien, lösen sich Formen und Farben in der Dynamik ineinander auf. Aber immer bleibt ein zufälliger, fraktal kleiner Punkt in der Tiefe des Bildes fokussiert, wodurch sich der übrige Bildraum noch einmal mehr zu bewegen scheint. Ganz wie das singuläre Jetzt als Fokuspunkt auf der Linie der verschwimmenden Zeit.

Text: Kristina von Bülow

Die Singularität des JetztThe Singularity of the Now

Gerd GeorgeMare Uno, 2010Fine Art Print Kaschierung Acrylglas und Folie im Leuchtkasten151 x 211 cmEdition von 3

Gerd GeorgeMare Quattro, 2015LED Lichtwand Aluminiumrahmen130 x 180 cmEdition von 5

Gerd GeorgeMare Cinque, 2009Archival Pigment PrintGlaslose Rahmung80 x 120 cm Edition von 17

Gerd GeorgeMare Sei, 2009LED Lichtwand Aluminiumrahmen130 x 180 cmEdition von 5

Gerd GeorgeMare Sette, 2010Archival Pigment PrintGlaslose Rahmung80 x 120 cm Edition von 17

Eine Serie über das Meer. Stolz, pur, authentisch, ruhig, monolithisch.

Naturgegeben im Zusammenhang mit Himmel, Wetter und Licht entstehen Momentaufnahmen von einem unendlichen Raum, der frei von Zeit zu sein scheint. Und ihr doch so stark unterliegt, wie die Serie zeigt.

Blicke auf das „Jetzt“, auf die magische Kraft der Gegenwart, deren Sog so stark ist, das sie unweigerlich zur Projektionsfläche für die Zukunft und die eigenen Erlebnisse des Betrachters werden: Wetter, Flaute, Stürme, Tageszeiten, Träume, Highlights, Gewinnen oder Verlieren, Untergehen oder Besiegen.

Mare

Der in Deutschland geborene Künstler Gerd George lebt und arbeitet in Hamburg und an der italienischen Riviera. Seit über 30 Jahren hat er sich der Fotografie verschrieben.

Er hat für viele große Marken und Magazine gearbeitet und ist dafür mehrfach ausgezeichnet worden. Seine eigenen Projekte haben ihn zu völlig unterschiedlichen Themen geführt.

An einigen Konzepten arbeitet er seit Jahren. Für jedes Thema findet er eine eigene Bildsprache. Dabei gelingt es ihm, in neuen und über-raschenden Reduktionen das Wesentliche herauszuarbeiten. In den Themen aufzugehen und mit ihnen zu verschmelzen geben seinen Arbeiten die ganz besondere Intensität.

Foto: Maximilian Fritz

Gerd George

Massivholzrahmen mit Museumsglas

Thomas SpringL1008628 20140812 11:50:25, 2015 Inkjet Fine Art Print auf Hahnemühle Photorag 30890 x 135 cmEdition von 5 + 2 AP

Massivholzrahmen mit Museumsglas

Thomas SpringL1000018 20160114 13:05:08, 2015Inkjet Fine Art Print auf Hahnemühle Photorag 30883 x 120 cmEdition von 5 + 2 AP

Massivholzrahmen mit Museumsglas

Thomas SpringL1008097 20140812 08:29:40, 2015Inkjet Fine Art Print auf Hahnemühle Photorag 83 x 120 cmEdition von 5 + 2 AP

Massivholzrahmen mit Museumsglas

Thomas SpringL1005165 20160126 17:05:20, 2015Lightjet Print auf Kodak Endura matt50 x 70 cmEdition von 10 + 2 AP

Massivholzrahmen mit Museumsglas

Thomas SpringL1005027 20151007 16:20:07, 2015Lightjet Print auf Kodak Endura matt50 x 70 cmEdition von 10 + 2 AP

Massivholzrahmen mit Museumsglas

Thomas SpringCapture One 42664 20141014 08:55:45, 2015Lightjet Print auf Kodak Endura matt50 x 70 cmEdition von 10 + 2 AP

Delirious Landscapes nenne ich meine mehr oder weniger abstrakten Landschaftsbilder, die fotografisch aus der Bewegung heraus erzeugt werden und diese Entstehung zu problematisieren versuchen. „Land-schaft“ kann bei diesen Fotografien vieles und alles sein, Landschaft im klassischen Sinn, aber auch Stadtlandschaften, technische An-lagen, Denkmäler und ihr Umraum, Wälder, Wasserflächen, Terrains Vagues, die Auflösung von Raum in Licht und Dunkelheit...

Wesentlich für Delirious Landscapes ist die Bewegung der Kamera, die bei genügend langen Belichtungszeiten Verwischungseffekte des Landschaftsbildes und der in ihr räumlich gestaffelten Objekte pro-duziert. Es geht dabei um den bildnerischen Effekt, der durch Defor- mation die Grenzen von Fotografie, Grafik, Malerei und Collage ver-wischt und so ein neues Bild schafft.

An diesen Hybridbildern interessieren mich zwei Dinge: In ihrer Auf-lösungsästhetik haben sie etwas Delirierendes, das der realen Sug-gestionskraft vorbeiziehender Landschaften entspricht. Man verliert sich in der Landschaft, die sich fortwährend entzieht. Die Auflösung setzt die Einbildungskraft in Gang und wie bei allen Landschafts- ansichten geht es um Stimmungen und aufsteigende Bilder, kultu-relle Traditionen und historische Ideen, die sich über das Gesehene legen. Es ist unmöglich, etwas außerhalb einer kulturellen Tradition wahrzunehmen. Gerade in der Bewegungsdeformation scheint mir dieses Moment umso klarer hervorzutreten.

Unser Verhältnis zur Landschaft ändert sich, wenn das alltägliche Le-ben sich immer mehr von seinen räumlichen Bindungen emanzipiert,

Delirious Landscapes

sei es durch immer schneller werdende Bewegung, immer weiter vor-dringende großräumige Vernetzung oder durch Virtualisierung des Alltags. Wer überall ist, ist nirgends. Unser Verhältnis zur Landschaft ist deshalb das Verhältnis zu etwas Verschwindendem. Was mit Petrarcas schüchternen Schritten auf den Mont Ventoux als kulturel-les Konstrukt „Landschaft“ beginnt, endet heute in der Warteschlange vor der Hillary-Klippe auf dem Mount Everest.

Über beide Aspekte wird der Begriff der Heimat wichtig, in Deutsch-land ein sehr belasteter Zusammenhang. Der Verfassungsrechtler Bernhard Schlink hat in seinem Vortrag The Place of Heimat ver-sucht, Heimat als Nicht-Ort, als Utopie, als ortlose Sehnsucht zu be-schreiben, die gleichwohl einen Bezug zum Raum und zu politischen Territorialrechten hat – was einen gedanklichen Ausgangspunkt für die politischen Implikationen der Delirious Landscapes bildet.

Vor diesem Hintergrund experimentiere ich seit einigen Jahren da-mit, deutsche Gegenwartslandschaften in einer Art imaginärem Hei- matatlas aus bewegten Bildern zu kartografieren. Das heißt, die Hauptstrecken der Deutschen Bahn werden zu verschiedenen Tageszeiten deutschlandweit abgefahren und die vorbeiziehende Landschaft aus dem bewegten Zug heraus fotografiert. Das Ziel ist, in der Summe eine Art abstraktes Standardbild von Deutschland um das Jahr 2015 zu generieren, mit allen Landschaftstypen, zu allen Tages- und Jahreszeiten, mit allen Witterungen und Lichtsituationen.

Zum Einsatz kommen verschiedene Kamera- und Objektivmodelle: Nikon D 800 mit Nikkor 14-24 mm, Leica MP 240 mit 21 mm Super

Elmar, Leica S mit Elmarit 30 mm und Phase One D 654 IQ 250 mit Schneider-Kreuznach 28 und 35 mm. Die für die lange Belichtungs-zeit nötige Reduktion des Tageslichtes wird bei allen Sets durch die Verwendung farbneutraler Graufilter verschiedener Stärke erzeugt.

Thomas Spring

Foto: Maximilian Fritz

wurde 1954 in Frankfurt am Main geboren. Er lebt und arbeitet in Berlin als Kurator, Ausstellungsmacher und Künstler.

1974 Mitbegründer der Frankfurter Produzentengalerie Kunstraum Frankfurt/M. Nach dem Studium der Kunst und Philosophie arbeitete er in Berlin als Rundfunkjournalist und baute den Berliner Kulturverlag ARGON mit auf. Seit 1998 entwickelt und produziert er Ausstellungen für Museen, Wissenschaftsinstitutionen und die Kulturverwaltungen der Länder.

Während die kuratorische Arbeit auf dem Grenzgebiet von Wissen-schaft und Kunst ihren Schwerpunkt findet, geht es in den eigenen künstlerischen Arbeiten seit frühen fotorealistischen und konzep-tuellen Ansätzen um Raum und Geschichte und das Verhältnis von Malerei und Fotografie.

Als Kurator und Ausstellungsmacher begann er mit dem Tanztheater Future of Work, ein lange vergessenes Ausstellungsformat für den Themenpark der Expo 2000 in Hannover zu entwickeln. Die Ausstel-lung Körper, Kult und Kohle – eine Industriearchäologie des Körpers wurde 2016 im Deutschen Bergbaumuseum Bochum eröffnet. Zuvor arbeitete er als Co-Kurator von 2012 bis 2013 an den Ausstellungen Das Neue Deutschland – von Migration und Vielfalt für das Hygiene- Museum in Dresden, und im Auftrag der Leibniz-Gemeinschaft entwickelte er die Ausstellung Zukunft Leben – die demografische Chance, die in den Forschungsmuseen Berlin, Mainz, Dresden, Mün-chen, Bremerhaven und im Sprengel Museum in Hannover gezeigt wurde.

Von 2007 bis 2012 war er Projektkoordinator und Hauptkurator für die Entwicklung des smac, des neuen Sächsischen Museums für Archäologie in Chemnitz, für das er 2014 mit dem Museumspreis des hbf-Kulturforums Hannover ausgezeichnet wurde.

Davor kuratierte er für das Forschungszentrum caesar und die Bundeskunsthalle 2005 die Ausstellung Designing Nature. Die Wissenschafts- und Kunstausstellung science + fiction wurde mit den Künstlern Joep van Lieshout, Ingo Günther, Joseph Kogler, Christoph Keller, M+M, Sommerer & Mignoneau gemeinsam entwickelt und war von 2002 bis 2006 unter anderem im Kunstmuseum Hannover, Hygiene-Museum Dresden, Nobel Museum Stockholm und Miraikan Tokio zu sehen.

Thomas Spring

Fotos: Maximilian Fritz

alle Fotos der Eröffnung: Maximilian Fritz

Kristina von Bülow M.A.

Prinzregentenstraße 9510717 Berlin

[email protected]

030 239244580159 01020161

Karolin Siller

Location Hamburgc/o Interpol+-

Ballindamm 9 20095 Hamburg

siller-contemporary.com [email protected]

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