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Die WM-Euphorie in Russland nimmt zu Die deutsche Bloggerin Katrin Scheib lebt seit 2014 in Moskau. In ihrem Newsletter „Russ-
ball“ schreibt sie über Fußball in Russland und über die WM-Vorbereitungen.
Foto: Pascal Dumont
Handelsblatt Newcomer: Die WM ist für Russland, wie für jedes andere Austragungsland
vorher, auch eine PR-Kampagne. Gibt es schon konkrete Aktionen des Verbandes und der
Fans, um internationale Fans schon jetzt für das Land zu begeistern?
Katrin Scheib: Die FIFA hat den WM-Pokal auf eine Weltreise geschickt, alle paar Tage wird er
in einer anderen Stadt ausgepackt und aufgestellt – Ende März ist er zum Beispiel in Köln, im
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April in Frankfurt. Das wird bei Facebook und Instagram entsprechend begleitet, um die Vor-
freude zu schüren. Es gibt die WM-App, es gibt WM-Briefmarken und WM-Gedenkmünzen.
Newcomer: Das klingt sehr staatstragend und steif.
Scheib: Ja, stimmt – mehr nach Routine als nach Kreativität. Aber wenn das geschmacklose
Ausrutscher verhindert wie letzten Sommer beim Confed-Cup, als bei einer Parade in Sotschi
Menschen mit schwarz geschminkten Gesichtern und Bananen in den Händen für das Teilneh-
merland Kamerun stehen sollten, dann ist staats-
tragend vielleicht gar nicht so schlecht.
Newcomer: Spürst du in Moskau schon etwas von der WM-Euphorie?
Scheib: Immer mehr: Mitten in Moskau, in der Nähe vom Roten Platz, steht eine große Uhr,
die die Tage bis zum Eröffnungsspiel runterzählt. Daneben, seit Dezember, Modelle von Se-
henswürdigkeiten der Gastgeberstädte. Und immer mehr Leute werden geschult, damit sie
freundlich und auf Englisch Auskunft geben können: U-Bahn-Kassiererinnen, Taxifahrer – neu-
lich stand ich an der Passkontrolle am Flughafen, und der Beamte hat tatsächlich einen kleinen
Scherz gemacht. Kein Vergleich dazu, wie unwirsch und maulfaul die Kontrolleure noch vor
ein, zwei Jahren waren.
Newcomer: Russland ist mit FIFA-Ranglistenplatz 61 eines der sportlich schwächsten Länder
der WM. Warum steht es um den russischen Fußball so schlecht, obwohl es an Geld nicht zu
mangeln scheint?
Scheib: Weil Geld eben auch ein Problem sein kann, wenn es zu viel davon gibt. Viele russische
Profivereine gehören dem Staat oder staatlichen Unternehmen, und in den meisten Fällen
heißt das: Geld spielt keine Rolle. Das führt dazu, dass es für russische Fußballspieler wenig at-
traktiv ist, ihr Glück im Ausland zu versuchen – wo das sportliche Niveau oft höher ist, die
Löhne aber eben nicht. Der aktuelle russische Nationalkader zeugt davon: Wladimir Gabulow
spielt beim FC Brügge, Roman Neustädter für Fenerbahçe Istanbul, und das ist es dann auch
schon. Alle anderen sind bei russischen Vereinen unter Vertrag. Am internationalen Austausch,
bei dem Spieler im Ausland lernen, das Gelernte dann in ihrer Heimat anwenden und so auch
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anderen vermitteln, ist Russland kaum beteiligt.
Newcomer: Deshalb greift der Verband ja auch gerne zu Hilfsmitteln, etwa Einbürgerungen.
Welche Rolle spielt das, und wie wird es wahrgenommen?
Scheib: Das ist hier kein großes Thema. So, wie man gerade bei den Olympischen Winterspie-
len deutsche Athleten sehen konnte, die eingebürgert wurden, gehört das auch im russischen
Profifußball zur Tagesordnung – die Brasilianer Mario Fernandes und Guilherme sind da zwei
bekannte Beispiele.
Newcomer: Hinzu kommen Russlanddeutsche, die in der Sowjetunion geboren wurden und
jetzt ihr Glück bei der russischen Nationalmannschaft suchen.
Scheib: Genau, Konstantin Rausch und Roman Neustädter zum Beispiel. Dass die beiden nun
für die russische Nationalmannschaft spielen, leuchtet jedem ein.
Newcomer: Wie sehr wird die WM auch innerhalb Russlands im Vorfeld politisiert?
Scheib: Bisher sieht man davon wenig. Es gibt Proteste gegen einzelne Aspekte der WM, klar.
An der Lomonossow-Universität in Moskau zum Beispiel haben sich Studenten zusammenge-
tan, um zu verhindern, dass die Fanzone voller feiernder Menschen direkt am Unigebäude ein-
gerichtet wird. Sie fürchten um ihren Schlaf, ihre Konzentration und damit auch um ihre No-
ten. Ansonsten aber blicken die politisch interessierten Menschen hier im Moment eher auf
die Wahl im März als auf die Weltmeisterschaft im Sommer.
Die Fragen stellte Paul Ostwald, Handelsblatt Moskau