dominik dombrowski: fermaten

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DOMINIK DOMBROWSKI FERMATEN Gedichte

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Mit »Fermaten« liefert Dominik Dombrowski das Schlussbild eines lyrischen Triptychons, das er vor drei Jahren mit »Finissage« und »Fremdbestäubung« begann. Wer die Gedichte von Allen Ginsberg und Raymond Carver liebt, wird an dem amerikanischen Sound von Dominik Dombrowski, dem »Lonely Rider der Poesie« (José F. A. Oliver), seine helle Freude haben.

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DOMINIK DOMBROWSKI

FERMATENGedichte

DOMINIK DOMBROWSKI

FERMATENGedichte

Once more he found himself in the presence

of mystery. Rain. Laughter. History.

Art. The hegemony of death.

He stood there, listening.

Raymond Carver, Listening

prolog

8

Ich denke wie erwachsen / ich als Kind noch war

denn ich lag

unter der Bettdecke mit einer Lampe & las

doch inzwischen

ist es unter der Decke unendlich

dunkel geworden / und ich

lese seither / höchstens im Regen noch / oder an all diesen

Dingen von meinem nächtlichen Fenster ab

so lange

bis ich an meiner Meerestiefe angekommen bin

Meine alte Katze streift derweil / weit voraus

mit ihren Geheimnissen / über den dunklen

Fußboden sichert sie sich

meine Gunst durch ihr Talent

keineswegs / sich enträtseln

zu lassen / dort bin ich / hoffentlich auch bald

im Bauch

meines Blauwals gestrandet & habe mich dort

eingerichtet

unter einem schwankenden Leuchter

im alten Sessel / über

meinem aschenen Teppichläufer

der an den leeren Regalen

endet hier / schläft auch manchmal

meine nachdenkliche Nixe

im Tabakrauch ein

FERNhiN

9

Ich nehme ihr sachte die Brille ab / Ausschau

haltend am Auge des Tiers

immerzu

nach einem der Länder wo

die Zitronen blühn mein Gott

wie wirklichkeitsfremd bin ich

doch oft gewesen mit all

diesen Büchern

in meiner Kindheit

I.

12

Auf eine Zigarette zur Frühe am Fenster im Licht

des Kühlschranks wie unter einem Leuchtturm denke ich

an meine früheren Vorgesetzten

die alle ziemliche Arschlöcher waren

Wie sie alle wie in einem letzten Akt / immer aufs

Streichen der Stellen fixiert

wenn man zu spät kam / fragten: warum?

man sein Mobiltelefon nicht eingeschaltet hatte

um ihnen Bescheid zu geben / sie alle waren

möglicherweise verzweifelt & benötigten meistens nur

vier Stunden Schlaf / sie schliefen wie umgekippte Stehlampen

sie strichen / in ihren gebügelten Camouflagehosen

die ganze Freizeit / über durch die Baumärkte

Hier stelle ich mir immer fest / eine göttliche Macht vor

in Gestalt eines Jules-Verne-Luftschiffes / ein Schiff das alle

diese meine einstigen

Arbeitgeber samt Häusern & Gärten umrissen

von ihren frischgestrichenen

Zäunen direkt in eine indische Totenstadt

bugsieren würde / wie ich sie neulich um vier Uhr früh

im Nachtprogramm gesehen habe

Wie sie dort dann alle mit ihren weißgetränkten / Pinseln an den Ufern

des Ganges zu stehen kämen / wie Puppen / & wie sie dort

paralysierten / vor der fehlenden Hygiene

& von der Schändlichkeit faselten / die Vormittage

zu verschlafen / während ihre Augen doch erschrocken längst

DiE JulEs-VERNE-VisioN

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den heiligen Kühen folgen müssen / in all jene Häuser

die aus deren Kot gebaut werden / und wieder zurück

zum Ganges (Göttin & Müllhalde) / der die Asche hunderter

Leichname pro Tag aufnehmen muss neben den

Goldwäschern die dort / nach ein paar Zähnen suchen

um ihre hinduistischen Bestatter zu bezahlen um den Kreis-

lauf des Daseinszwangs zu durchbrechen / um Erlösung

für die Seele zu finden möchte man hier in dieser Stadt

des Sterbens doch dringend verbrannt werden

wo Shivas Bakteriophagen voller Sanftmut & geduldig

stets für die Trinkbarkeit des großen Flusses sorgen

Ach ja scheiße ich schließe / schulterzuckend dabei

den Kühlschrank und gehe / müde zurück

in mein Schlafzimmer / sitze aber da noch auf vier

kalte Bier träumend eine Weile / auf der Bettkante

um eines gewiss zu wissen:

Wenn ich nachmittags wieder erwachen werde

würde es längst zu regnen begonnen haben

Tropfen auf Tropfen prasselten da längst ein wild

linderndes Tuch aus Wu-Wei wie schön my Sweet

Lord / Halleluja / Hare Krishna / my sweet Lord

Halleluja / Hare Krishna / Hare Luja / my / Lord

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Gerade im Sonnenaufgang habe ich die für mich

günstigste Zeit entdeckt

die muss man aber sehr umsichtig zelebrieren / es gilt

die halbe Nacht

auf der Veranda leise abzuwarten / unter den Sternen

bereits / darüber

nachzudenken / wie es einst sein soll / hinter der Pforte

wenn man

von seinem Tier eingeholt wird / da mit ihm

am Gestade im Mondwinkel

zu sitzen / und nach 1,5 Litern Tütenwein

wird dabei der Himmel / langsam

schnell / hell und man selbst immer weniger

verrückt und denkt / so etwas

kennt man eigentlich nur von den Kunstmuseen her

von diesen wahnsinnigen

Malern oder diesen Schummelfotografen diese Bilder

die sich einem da

plötzlich bieten / dabei wird man ganz demütig

sitzt nur staunend & barfuß

in seine Decke gehüllt im ganzen Aufflammen

des Tages wird man urplötzlich

ungeheuer weise / und nimmt nebenbei

noch seinen letzten Zug / beim Dirigieren

eines alten Songs aus der Zigarette &

tritt sie dann aus & schläft & wacht

dann erst durch das Licht

der nächsten Mondphase verführt wieder auf

DEliRiuM

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Und findet fast / krabbelnd noch

in einen Weinberg hinein und weiß

dass man da nie mehr herauskommen will

Erreicht aber hier

seine letzte freie einsame / Windebene erblickt dort

ein riesiges

verlassenes staubiges Schneckenhaus

gut zehn Meter hoch

da muss man nur noch hineingehen

und seinen Platz finden auf immer

Und dann wird es da wirklich hübsch

werden & still & vollkommen

intakt & was vermutlich dort einmal

gehaust haben kann mit etwas Glück

dann doch weg sein am Ende

der Wanderung an der Freude der Ankunft

94

Dominik Dombrowski

geboren 1964 in Waco (Texas) und aufgewachsen in Biarritz (Südfrankreich),

studierte Philosophie und Literaturwissenschaften. Nach Gelegenheits­

jobs als Nachtschichtleiter, Kellner in Thailand und Florist in einem

Schnäppchen markt lebt er heute als Autor und Freier Lektor in Bonn.

2015 war er Preisträger beim Lyrikpreis München und Stipendiat des Künstler­

hauses Edenkoben, 2014 gewann er den postpoetry­Lyrikpreis NRW.

Erstausgabe© edition AZUR, Dresden 2016www.edition-azur.deGestaltung: Frauke Wiechmann, Glenn Vincent Kraft Kraft plus Wiechmann, Berlin Titelgrafik: © Frauke Wiechmann

ISBN: 978-3-942375-27-6