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  • Publikation: tbhb Pagina: 31 Ist-Farben: cmyk0Ressort: tb-sk Erscheinungstag: 18. 6. 2015 MPS-Planfarben: cmyk

    Donnerstag, 18. Juni 2015 OstschweizerKultur 31

    Kulturgenuss fr guten ZweckKul-Tour auf Vgelinsegg wird 15 Jahre alt. Kleinkunst erleben und ein feines Menu dazu: Mit dieser Idee lockenElsbeth Gallusser und Peter von Tessin das Publikum in ihr Haus. Der Erls fliesst vollumfnglich nach Ecuador.

    MARTIN PREISSER

    SPEICHER. Psychotherapeut Petervon Tessin hat einen wiederkeh-renden Albtraum: Mit nur einerHandvoll Spaghetti muss er einegrosse Gsteschar bekochen.Wirwollen das jetzt nicht psycho-analytisch deuten, sagt lachendder gebrtige Tbinger, der seit1974 in der Schweiz lebt. In Tatund Wahrheit ist er ein leiden-schaftlicher Koch. Inzwischenkann ich besser fr fnfzig Leutekochen als fr zwei. Seit demJahr 2000 gibt es Kul-Tour aufVgelinsegg, am Punkt mit dervielleicht phantastischsten Aus-sicht auf den Bodensee. Als Ess-kleintheater mit familiremCharme wirbt Kul-Tour mit sei-ner speziellen Idee.

    Manuel Stahlberger, damalsnoch mit seinem Bhnenpartnerim Duo Mhla & Stahli, war dererste Knstler auf der Vgelins-egg-Bhne, in einem Raum, wofrher die Dorfchsi war. Rundzweihundert Veranstaltungensind bis heute ber die Bhnegegangen, auch mit bekanntenKnstlern wie Simon Enzler oderMichael Gammenthaler, die ger-ne an diesem Ort aufgetretensind und immer wieder gernezurckkommen.

    Projekt aus Dankbarkeit

    Rund zweihundertmal ist Petervon Tessin in der Kche gestan-den und hat fr das Kleinkunst-publikum gekocht. Vor jedemneuen Menu bin ich aufgeregt,aber gleichzeitig freue ich michdarauf, sagt Peter von Tessin,seit 1989 mit Elsbeth Gallusserverheiratet. Beide haben je zweiKinder in die neue Ehe mitge-bracht. Die Kinder wurden flg-ge, und ich war dankbar und er-leichtert, dass sie alle einen gu-ten Start ins Leben hatten, sagtElsbeth Gallusser. In dieser Zeithabe ich den Elan gesprt, auchaus dieser Dankbarkeit her-aus etwas Neues zu machen.Die Idee Kul-Tour war geboren.

    Einen gepflegten Kleinkunst-abend erleben, in einem gemt-lichen Ambiente fein essen undwissen: Der Eintritt geht an einProjekt in den ecuadorianischen

    Anden. 2002 haben ElsbethGallusser und Peter von Tessin,heute 65 und 68 Jahre alt, dieStiftung Pro Latina gegrndet.Dass man hierzulande mitTheater Geld verdienen kann,haben die Menschen in Ecuadorkaum verstanden, sagt Petervon Tessin, der fr die Arbeit inLateinamerika Spanisch gelernthat und es heute fliessendspricht.

    Landflucht zurckgegangen

    Mit dem Erls aus 15 JahrenVgelinsegg konnte bis heuterund 140 Familien in den Andengeholfen werden, ihre Einkom-menssituation deutlich zu ver-bessern. Mit dem Kulturgeldwurde Hilfe zur Selbsthilfe ge-leistet, eine Kserei ist entstan-den, Bewsserungsanlagen wur-den gebaut. Dort, wo wir helfenkonnten, ist die Landflucht zu-rckgegangen, sagt Peter von

    Tessin. Und durch unsere Ar-beit ist das Selbstbewusstseinder Frauen gestiegen, erzhltElsbeth von Gallusser. Ein Pro-jekt wie Pro Latina bringt unsauf den Boden und schweisst

    uns als Paar zusammen. DasKulturprogramm auf Vgelins-egg braucht den Vergleich zuanderen Kleinkunstbhnennicht zu scheuen, beim Publi-kum kommt es an.

    Heute kmen auch Leute ausdem Dorf ganz natrlich an dieKleinkunstabende. Am Anfangwurden wir in Speicher schonein wenig argwhnisch beob-achtet. Ein paar Gerchte gingenum, was da wohl laufe auf Vge-linsegg, erinnert sich Peter vonTessin schmunzelnd.

    Das Niveau muss stimmen

    Jedes Jahr fhrt das Kul-Tour-Ehepaar zur Knstlerbrse nachThun. Das sei fast wie ein Klassen-treffen. Bei der Auswahl derKnstler, die auf Vgelinseggeine marktbliche Gage erhal-ten, steht Qualitt an obersterStelle. Wir wollen niveauvolleKleinkunst, nichts Plattes oder

    Oberflchliches. Ein Kleinkunst-abend sollte durchdacht undintelligent sein, sagt von Tessin.Die Stiftung Pro Latina hat inEcuador Erfolgreiches bewirkt.Die Arbeit rief nach einer Aus-dehnung auf andere Orte undLandschaften in den Anden. Dasaber bersteigt die Kapazitteneines ehrenamtlichen Engage-ments, wie es das Ehepaar ausSpeicher praktiziert. Seit Anfang2013 ist die Pro Latina-StiftungJuniorpartner einer grsserenEntwicklungshilfeorganisation,der Fundacion Suiza Para LosIndgenas del Ecuador. Petervon Tessin, der einmal pro Jahrin das lateinamerikanische Landreist, ist dort im Stiftungsrat. DasGeld aus Vgelinsegg fliesst indiese grssere Stiftung ein, diedieses Jahr 25 Jahre alt wird.

    Infos ber die Ecuador-Arbeit:www.paralosindigenas.org

    Bild: Hanspeter Schiess

    Entwicklungshilfe dank Kleinkunst: Elsbeth Gallusser und Peter von Tessin nehmen fr einmal Platz auf der Bhne von Kul-Tour.

    Kul-TourGeburtstagsfesteauf VgelinseggKul-Tour feiert sein 15-Jahr-Jubilum am Samstag mitder Tango-Formation Sur umden Kontrabassisten Fran-cisco Obieta. Der Gala-Abendist ausverkauft. Eine Wochespter, am 27.6., 18 Uhr, kannman mit Toni Vescoli den Ge-burtstag von Kul-Tour nach-feiern. Es gibt noch Pltze.

    www.kul-tour.ch

    Das Prinzip WiederholungIn Rheinau wurde letztes Wochenende Ulrich Gassers Oratorium Exvoto uraufgefhrt. Das Werk ist alsMusik der Einkehr fast karg und sphrisch-meditativ gedacht, wirkt aber textlich etwas zu reich befrachtet.

    RHEINAU. Mit dem OratoriumExvoto feierte Ulrich Gasser,Komponist mit Thurgauer Wur-zeln, musikalisch die Wieder-erffnung der KlosterkircheRheinau. Er tut dies nicht miteinem traditionellen geistlichenWerk, sondern mit einem Musik-stck, das in der Form desRosenkranzes gestaltet ist. Dasschafft meditative, verinnerlich-te Chormusik, die ein intensivesEintauchen des Hrers in meistsphrenhafte Klnge verlangt.

    Musikalisches Gebet

    Das bringt aber auch Musikhervor, deren statischer Charak-ter manchmal etwas ermdet.Mehr als einem straff durch-strukturierten geistlichen Werklauscht man einer Art musikali-schem Gebet. Vom Text her (dieCollage besorgte Eva Tobler) istdas Werk theologisch reich be-frachtet, vielleicht zu reich.

    Von Votivtafeln fr den Heili-gen des Klosters Rheinau, Fin-tan, ber Rosenkranz, Magnifi-cat, Ave Maria, Vaterunser: Dasbewirkt dichte theologische Bal-

    lung, die bisweilen die eher karggehaltene musikalische Texturzu beschweren scheint. UlrichGasser setzt in Exvoto bewusstauf den wiederholenden Charak-ter musikalischer Grundformelnund beweist hier subtile Fhig-keit zu fein verstelnden Varia-tionen und Frbungen. Immerwieder werden Chor- und Solo-gesnge fast berbehutsam mitraffinierten Instrumentalkln-gen bespielt, so, als sollte nichtsdie andchtige Stimmung desGesamtbilds beeintrchtigen.

    Auf den Raum zugeschnitten

    Exvoto erobert sich klang-lich die Kirche, aber nur die vonRheinau. Das Werk ist allein aufdiesen Raum zugeschnitten,eine mutige Entscheidung eineszeitgenssischen Komponisten.Mit der Eroberung des Raumsgelingen die besten Elementedieser Urauffhrung. Drei Chresind auf die gesamte Kirche ver-teilt, Stimmen kommen vonoben, Streicher- und Blserkln-ge von hinten. Gasser beweistgutes kompositorisches Raum-

    gefhl und klares Denken bei derRegie von Ferne und Nhe desKlangs. Oft lsst er die Klngefast wie stehend aus einer Keim-zelle sich entwickeln, um sie dann meist nur unmerklich sichbewegend ihrem Eigenleben zuberlassen.

    Einen Moment der Einkehrsoll diese Musik nach GassersAussagen gewhren. Der Ein-kehr-Charakter dominiert dasOratorium. Grssere klangliche

    Ausbrche wagt der Komponisteher selten. Dann gelingen aberkurzzeitig reizvolle Klangballun-gen, die auch mit dem Reiz ver-schiedener Temperierungen undmit Vierteltnen arbeiten.

    Hervorragende Soli

    Bewunderung fr den logis-tischen Gesamtberblick darfman fr Hauptdirigent PeterSiegwart haben. Das Schweben-de der Partitur immer wiederaufwertend, prsentierten sichhervorragende Solostimmen desVokalensembles Zrich. Konzen-triert agierten die beiden weite-ren Chre (Bach-Chor Konstanzund Ccilienchor Rheinau). Eineausgewogene Klangpalette steu-erten acht Instrumentalistenund geistvoll ins Gesamt-geschehen eingebettet der Po-saunenchor Marthalen bei, derblserisch die volksfrmmigeSeite dieser anspruchsvollenmusikalischen Litanei umsetzte.

    Radio SRF hat Exvoto mitge-schnitten. Zu hren am Mittwoch,8. Juli, 22.05 Uhr, auf SRF II Kultur.

    Bild: pd

    Klosterkirche Rheinau

    Ritual im Zelt

    ST. GALLEN. Im Rahmen des Per-formance-Projekts Momen fin-det heute Ritual XIV statt. Rea-lisiert wird die Performance vomKoch Kollektiv (Talaya Schmidund Nele-Marie Grber). DieTeilnehmer besammeln sichbeim Nextex und werden einzelnzu einem Zelt gefhrt. Drinnenerwartet sie ein individuellesRitual.Do, 18.6., 19 Uhr, Nextex,Blumenbergplatz 3

    Politischer Wadenbiss

    WINTERTHUR. Lisa Catena machtaus jedem Kartoffelsack einenBundesrat. Ihr zweites Pro-gramm Wahlversprechen istein lustvoller Biss in die Wadeder aktuellen Schweizer Politikund erklrt Zusammenhnge,wo sie nicht vermutet werden.Do, 18.6., 20 Uhr, Casinotheater

    Akustische Weltmusik

    FEUERTHALEN. Tim OConnor istSinger/Songwriter und Gitarristund ein charismatischer Perfor-mer. Der Ire ist musikalisch imSchmelztiegel von Manchestergross geworden. Der Perkussio-nist Markus Bolli begleitet ihn.Do, 18.6., 20.30 Uhr, Dolder 2

    PRONTO

    Bild: Franziska Messner-Rast

    Rahel MllerKnstlerin (*1964 St.Gallen),Atelier in Pfyn, lebt in Zrich

    Was immerich brauche,kommt zu mirVor kurzem war eine Bekannte ausBerlin in Ihrem Atelier und hat sichdie Bilder aus der Serie spanishsong angesehen, eines ausgewhlt und Sie haben es ihr geschenkt.Tun Sie das fters?Es ist schon einige Male vorge-kommen und zwar genau dann,wenn jemand grosse Freude aneiner Arbeit von mir hatte, abervorbergehend wenig Geld.Ich bin da sehr feinfhlig, objemand darauf spekuliert, siegeschenkt zu erhalten odernicht. Ich berrasche Menschengerne eine Freiheit, die ich mirnehme. Das Unerwartete zutun, kann immenses Vergngenbereiten.

    Diese Freiheit, dieses immenseVergngen geht aber von IhremEinkommen ab. Knnen Sie sichdas leisten?Wenn ich mir das nicht mehrleisten kann, bin ich nichtsanderes als ein armer, bedrfti-ger Mensch. So sehe ich michaber nicht. Ich kann es mir nichtleisten, meine Freude undmeinen inneren Reichtum alsKnstlerin an ein zu materialis-tisches Denken zu verlieren. Dasist kein einfacher Balanceaktin dieser sicherheitsversessenenSchweiz, das gebe ich zu.

    Worin finden Sie Ihre Sicherheit?Wann immer ich etwas tiefversunken und innig tue, daringanz aufgehe. Auch wenn ichmit Menschen lachen, genies-sen und mich sehr vertrautunterhalten kann. Wenn ichNatur beobachte und mich alsTeil davon empfinde, ber ihreunendliche Gefgtheit undLebendigkeit staune, fhle ichmich fr Momente sicher.

    Und worauf sind Sie versessen?Ich bin auf Schnheit, Echtheitversessen manchmal auchschrecklich auf Genauigkeit. Ichliebe es, wenn es mir gelingt, dieDinge nochmals anders, weiterund liebevoller zu betrachten.

    Brauchen Sie eher Sicherheit oderVersessenheit fr Ihre Kunst?Ich brauche eine gewisseSicherheit, um versessen sein zuknnen. Das eine geht nichtohne das andere, auch wenn ichim Laufe der Zeit gelernt habe,mir viel weniger Sorgen darberzu machen, wie es (finanziell)weitergeht. Ich habe sehr ofterlebt, dass das, was ich brau-che, zu mir kommt, oft von ganzunerwarteter Seite her.

    Mgen Sie uns ein Beispiel dafrnennen?Eine Frau, die ich ber zwanzigJahre nicht mehr gesehen habe,kommt unerwartet in mein Ate-lier an eine Veranstaltung. Siekauft mir an diesem Abendmehrere Arbeiten ab lauterLieblingsbilder von mir. Dasnenne ich potenzierte Freude.Und ich kann tief Luft holenund weiterarbeiten

    Interview: Dieter Langhart

    www.rahelmueller.com

    Kulturgenuss fr guten ZweckRahel Mller Knstlerin (*1964 St.Gallen), Atelier in Pfyn, lebt in ZrichRitual im ZeltKlosterkirche RheinauDas Prinzip WiederholungKul-TourEntwicklungshilfe dank Kleinkunst: Elsbeth Gallusser und Peter von Tessin nehmen fr einmal Platz auf der Bhne von Kul-Tour.