8. Konvexe Polytope
Tobias Boelter
TopMath Frühlingsschule
Mittwoch, 5. März 2014
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Polytope
• Es können auch nicht konvexe Polytope untersucht werden, wir beschränken unshier aber auf konvexe Polytope.
• Mit einem Polytop ist hier deshalb immer ein konvexes Polytop gemeint.
• Polytope sind „konvexe Mengen mit mehr Struktur“ und haben interessante(Geo)metrische und kombinatorische Eigenschaften
• Polytope spielen z.B. eine wichtige Rolle in der Optimierung (Vorträge 10, 11morgen)
• Das Thema füllt ganze Bücher:
• Branko Grünbaum: Convex Polytopes, 1967 (≈450 Seiten)• Günter Ziegler: Lectures on Polytopes, 1995, Springer (≈350 Seiten)
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Polytope
Gliederung
• Polyeder und Polytope• Spezielle Polytope• Graphen• Eulerformel
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Polytope
Ein Polyeder ist der Schnitt endlich vieler Halbräume.
P(A, b) def= {x ∈ Rn : Ax ≤ b}
für eine m × n Matrix A und b ∈ Rm
x + y ≤ 2
x− y ≤ 1
y ≤ 2
Bemerkung 8.1
Die Polyeder sind genau die Mengen P(A, b), denn jede Ungleichung definiert einenHalbraum. 2
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Polytope
Sei C eine konvexe Menge. Ein z ∈ C heißt Extrempunkt von C , falls für allex , y ∈ C mit z ∈ xy gilt, dass x = z = y
Für den Polyeder P = P(A, b) und z ∈ P sei Az die Matrix, die aus denaktiven Zeilen besteht, d.h. Zeilen ai mit ai z = bi
Satz 8.2z ist Extrempunkt von P ⇔ rang Az = n
Korollar 8.3Ein Polyeder hat höchstens
(mn
)Extrempunkte.
Denn(m
n
)ist die Anzahl der n × n Teilmatrizen von A. 2
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Polytope
Beweis des Satzes:
• Sei z ein Extrempunkt. Angenommen rang Az < n.
• Dann gibt es ein c 6= 0 : Az c = 0.
• Die Zeilen ai mit ai z < bi gehören nicht zu Az
• deshalb gibt es ein δ > 0 mit
ai (z + δc) ≤ bi , ai (z − δc) ≤ bi
• denn ai (z ± δc) = ai z ± δai c und entweder ai c = 0 oder ai z − bi > 0.
• Also A(z ± δc) ≤ b ⇒ z ± δc ∈ P ⇒ z + δc, z − δc ⊂ P
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Polytope
• Sei umgekehrt z ∈ xy ⊂ P mit rang Az = n. Es ist zu zeigen, dass x = z = y .
• Es ist also z = λx + (1− λ)y mit λ ∈ (0, 1).
• Für eine beliebige Zeile ai von Az gilt:
bi = ai z
= ai (λx + (1− λ)y )= λai x + (1− λ)ai y
≤ λbi + (1− λ)bi
= bi
• ⇒ ai x = bi und ai y = bi , denn beide Male kann keine echte Ungleichheit gelten.
• ai z = bi gilt sowieso
• Da rang Az = n, folgt x = z = y2
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Polytope
Ein H-Polytop ist ein beschränkter Polyeder.
Ein V-Polytop ist die konvexe Hülle von endlich vielen Punkten.
(H für Hyperplanes, V für Vertices)
x + y ≤ 2
x− y ≤ 1
y ≤ 2
x + y ≥ 0
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Polytope
• Sei S ⊂ Rn kompakt und konvex. Eine Teilmenge F ⊂ S heißt Seite,
falls F = ∅, F = S oder F = S ∩ H für eine Stützhyperebene H .
• ∅,S heißen uneigentliche Seiten, die anderen heißen echte Seiten.
• Falls dim F = k , heißt F eine k-Seite.
• 0-Seiten heißen Ecken.
• 1-Seiten heißen Kanten.
• (n-1)-Seiten heißen Facetten.
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Polytope
• Eine Menge von Punkten {x1, . . . xk } heißt minimale Darstellung desV-Polytops P = conv{x1, . . . xk }, falls kein xi überflüssig ist, d.h.xi /∈ conv
⋃j 6=i xj
• Die minimale Darstellung eines V-Polytops existiert immer.
• Der folgende Satz besagt u.a. dass sie Eindeutig ist.
Satz 8.4Sei M = {x1, . . . xk } eine minimale Darstellung von einem Polytop P . Dann sindäquivalent:
i) x ∈ M
ii) x ist Ecke von P
iii) x ist Extrempunkt von P
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Polytope
Qx
H
Beweis:
• i)⇒ii) (x ∈ M ⇒ x ist Ecke von P )
• Sei x ∈ M .• Setze Q = conv(M \ {x})• Dann gibt es eine Hyperebene H , die {x} und Q strikt trennt• verschiebe diese parallel sodass x ∈ H• Q liegt jetzt oBdA in H+ und deshalb auch P ⊂ H+
• H stützt jetzt P an x• Weil H ∩ P = {x} ist x 0-Seite.
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Polytope
a
bx
H• ii)⇒iii) (x ist Ecke von P ⇒ x ist Extrempunkt von P )
• Sei H eine Stützhyperebene von P sodass H ∩ P = {x}.• Sei x ∈ ab mit a, b ∈ P• Da H nicht a und b trennen darf, muss ab in H liegen• Da dim H ∩ P = 0 folgt a = x = b.
• iii)⇒i) (x ist Extrempunkt von P ⇒ x ∈ M )
• Ein Extrempunkt kann nicht als Konvexkombination von zwei anderenPunkten in P dargestellt werden
• Deshalb muss er in der minimalen Darstellung enthalten sein.
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Polytope
Satz 8.5Jede echte Seite eines V-Polytops P ist ein V-Polytop und die Anzahl der Seiten istendlich.
Beweis:
• Sei P = conv{x1, . . . , xk } eine minimale Darstellung von P und H = [f : α] eineStützhyperebene.
• oBdA sei {x1, . . . , xr } ⊂ H und f (xi ) > α für i = r + 1, . . . , k .
• Also f (xi ) =
{α falls i = 1, . . . , rα+ εi falls i = r + 1, . . . , k mit εi > 0
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Polytope
• Sei x =∑k
i=1 λi xi , λi ≥ 0,∑λi = 1 ein beliebiger Punkt in P
• Dann ist
f (x ) = f (k∑
i=1
λi xi ) =k∑
i=1
λi f (xi )
=r∑
i=1
λiα+k∑
i=r+1
λi (α+ εi )
= αk∑
i=1
λi︸ ︷︷ ︸=1
+k∑
i=r+1
λi εi︸︷︷︸>0
• Deshalb gilt
x ∈ H ∩ P ⇔ f (x ) = α
⇔ (λr+1, . . . , λk ) = 0
⇔ x ∈ conv{x1, . . . , xr }
• Wir haben also eine injektive Abbildung {Echte Seiten} → Pot(x1, . . . , xr )
• Die Anzahl der Seiten ist deshalb endlich. 214 / 31
Polytope
Satz 8.6 (Hauptsatz für Polytope)
Sei P ⊂ Rn . Dann gilt: P ist ein H-Polytop⇔ P ist ein V-Polytop
Beweis:
• Sei P ein beschränkter Polyeder.
• Da P kompakt ist, ist P die konvexe Hülle seiner Extrempunkte.
• Die Anzahl der Extrempunkte von P ist nach Korollar 8.3 endlich.
• Also ist P ein V-Polytop
• Sei umgekehrt P ein V-Polytop und P = conv{x1, . . . , xk } eine minimaleDarstellung.
• oBdA sei dim P = n
• Seien F1, . . . ,Fm die Facetten von P (nach Satz 8.5 endlich) und Hi ,H+i die
zugehörigen Hyperebenen bzw. abgeschlossenen Halbräume
• d.h. Fi = Hi ∩ P und P ⊂ H+i
• Wir wollen zeigen, dass P = H+1 ∩ . . . ∩ H+
m
• Die Inklusion ⊂ ist klar, da jeweils P ⊂ H+i
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Polytope
• zu zeigen: P ⊃ H+1 ∩ . . . ∩ H+
m
• Angenommen ∃x ∈ H+1 ∩ . . . ∩ H+
m aber x /∈ P
• Wir setzen D def=⋃
B⊂{x1,...,xk}#B=n−1
aff({x} ∪ B)
• dim aff(B) ≤= n − 2
• D ist also die endliche Vereinigung von affinen Unterräumen (flats) derDimension höchstens n − 1
• Da dim P = n ⇒ int P * D
• Also gibt es einen Punkt y ∈ (int P) \ D
• Da y ∈ int P und x /∈ P schneidet die Strecke xy den Rand des Polytops ineinem Punkt z .
• z muss auf einer Facette von P liegen, denn
• sonst wäre z ∈ D und damit xy ⊂ D im Widerspruch zu y /∈ D
• Sei Fj die Facette, die z enthält. Dann ist z ∈ Hj
• Weil y ∈ int P ⊂ H+j , muss x auf der anderen Seite von Hj liegen.
• zu x ∈ H+1 ∩ . . . ∩ H+
m 2
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Polytope
Skizze:
R2
P
x
y
z
Hj
Fj
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Polytope
Gliederung
• Polyeder und Polytope• Spezielle Polytope• Graphen• Eulerformel
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Polytope
• Ein k-Simplex Sk ist ein Polytop mit k + 1 Ecken und Dimension k.
• Simplices können rekursiv konstruiert werden
• S0 = {x1}
• Sk = conv(Sk−1 ∪ {xk+1}) wobei xk+1 /∈ affSk−1
• Jede Seite des Sn ist die konvexe Hülle von ein paar beliebigen Ecken
• Jede k-Seite ist auch ein k-Simplex
• Die Anzahl der k-Seiten von Sn ist damit gegeben durch(n+1
k+1
)
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Polytope
• Eine k-Pyramide Pk ist die konvexe Hülle eines Polytops der Dimension k − 1und einem davon affin unabhängigen Punkt x , genannt die Spitze
• Eine Pyramide ist damit eine Verallgemeinerung eines Simplex
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Polytope
• Seien x1, . . . , xk linear unabhängig.
• Dann ist X k def= conv{±x1, . . . ,±xk } das k-Kreuzungspolytop
• X 1 ist eine Strecke durch 0
• X 2 ist ein Parallelogramm
• X 3 ist ein Oktaeder
0 0
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Polytope
Gliederung
• Polyeder und Polytope• Spezielle Polytope• Graphen• Eulerformel
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Polytope
• Mit Graphen können wir u.a. die kombinatorische Struktur von Polytopenerfassen
• Ein (einfacher, ungerichteter) Graph ist ein Paar G = (V ,E ) bestehend ausendlich vielen Knoten V und Kanten E ⊂ {{u, v} | u, v ∈ V }
• Graphen können in die Ebene gezeichnet werden
1
2
3
4
5
6
• V = {1, . . . , 6} E = {{1, 2}, {1, 3}, {2, 3}, {2, 4}, {5, 6}}
• Mit Kn bezeichnen wir den vollständigen Graphen auf n Knoten, d.h.V = {1, . . . , n} und E = {{u, v} | u, v ∈ V }
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Polytope
• Eine Folge von Knoten (x1, x2, . . . , xk ) heißt (x1, xk )-Pfad , falls {xi , xi+1} ∈ Efür i = 1, . . . k − 1.
• Ein (x,x)-Pfad heißt Kreis falls kein Knoten zwei Mal durchlaufen wird.
• Ein Dreieck ist z.B. ein Kreis, eine 8 nicht.
• x ∼ y def⇐⇒(x = y oder es gibt einen (x,y)-Pfad) ist eine Äquivalenzrelation
• Die Äquivalenzklassen bzgl. ∼ heißen Zusammenhangskomponenten
• Ein Graph G = (V ,E ) heißt zusammenhängend falls V eineZusammenhangskomponente ist.
• Anders gesagt: Wenn zwischen je zwei Knoten ein Weg existiert
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Polytope
• Zwei Graphen G1 = (V1,E1), G2 = (V2,E2) heißen isomorph falls es eineBijektion f : V1 → V2 gibt, die die Inzidenzen beibehält d.h.{u, v} ∈ E1 ⇔ {f (u), f (v )} ∈ E2.
• Wie können beim Zeichnen von Graphen auch die Beschriftung der Knotenweglassen und damit die Äquivalenzklasse bzgl. Isomorphie ausdrücken.
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Polytope
• Ein Graph heißt planar falls er so in die Ebene gezeichnet werden kann, dasssich Kanten nur in den Knoten Kreuzen.
• Kanten sind abei stetige, injektive Wege γ{u,v} : [0, 1]→ R2
• Äquivalent dazu ist, dass der Graph auf die Einheitsspähre S2 im R3 gezeichnetwerden kann
• Denn R2 und S2 \ (0, 0, 1) sind homöomorph (Stereographische Projektion p)
• d.h. p, p−1 sind bijektiv, und stetig.
• Wege bleiben damit stetig und es können keine Kreuzungen entstehen (dabijektiv).
• Die Kanten teilen die Ebene bzw. Spähre nach dem Zeichnen in Regionen auf.
• Verantwortlich für das Entstehen von Regionen sind Kreise.
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Polytope
• Zu einem Polytop P können wir den zugehörigen Graphen G(P) = (V ,E )definieren
• Seine Knoten sind die Ecken von P
• und {x , y} ∈ E falls conv{x , y} eine Kante von P ist.
• Beobachtung: G(P) ist immer zusammenhängend
Beispiel 8.7
• Die Graphen von 2-dim Polytopen sind Kreise• G(Sk ) = Kk+1
• Die Graphen von 3-dim Polytopen sind planar (Beweis später)
• Zwei Polytope heißen kombinatorisch äquivalent falls ihre Graphen isomorphsind.
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Polytope
Gliederung
• Polyeder und Polytope• Spezielle Polytope• Graphen• Eulerformel
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Polytope
• Sei P ein n-dim Polytop. Wir bezeichnen mit fk (P) die Anzahl der k -Seiten von P(0 ≤ k ≤ n − 1)
• also f0(P) = #Ecken, f1(P) = #Kanten,. . .• Die Euler-Charakteristik von P wird definiert durch
χ(P) =
n−1∑k=0
(−1)k fk (P)
Satz 8.8 (Euler-Formel)
χ(P) = 1 + (−1)n−1
Beweis:
• Für die vorgestellten Polytope kann man die Formel einfach verifizieren (Buchvon S. R. Lay)
• Den allgemeinen Beweis findet man in Grünbaums Buch.• Wir werden später den Fall n = 3 verallgemeinern und beweisen, d.h.
#Ecken +#Facetten = #Kanten + 2
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Polytope
Satz 8.9Sei P ein 3-dim Polytop. Dann ist G(P) planar und zusammenhängend. Ecken werdenzu Knoten, Kanten zu Kanten und Facetten zu Regionen.
Beweis:
• Wir verschieben P sodass 0 ∈ rel int P .
• Jetzt können wir den Rand von P auf die Einheitssphäre injektiv und stetigprojizieren durch proj: R3 \ 0→ S2, x 7→ x
‖x‖
• Die Bilder der Ecken und Kanten können wir dann als Zeichnung von einemGraphen auf die Einheitssphäre auffassen.
• Wegen der injektivität kreuzen sich dabei die Kanten nur in Knoten.
• Wege bleiben stetig.
• Facetten werden dabei zu Regionen.
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Polytope
Satz 8.10 (Euler-Formel)
Sei G ein zusammenhängender, planarer Graph mit E Ecken, K Kanten und RRegionen. Dann gilt E + R = K + 2.
Beweis (Induktion über K):
• Sei K = 0. Dann gilt E = 1 (Zusammenhang) und R = 1√
• Sei G ein Graph mit K Kanten, E Ecken und R Regionen.
• Wir unterscheiden zwei Fälle:
• Falls es keinen Kreis gibt, muss K = E − 1 und R = 1 gelten.√
• Andernfalls können wir eine Kreiskante entfernen• Dadurch werden die Regionen, die rechts und links der Kante liegen
verbunden.• K und R vermindern sich um 1.• Die Behauptung folgt durch Induktion. 2
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