Transcript
  • Berte Bratt

    Wir schaffen es gemeinsam

    Kann sich ein Mdchen alleine und ohne Beruf durchs Leben boxen? Wibke mu es versuchen. Denn sie hat die Erfahrung gemacht, da die schne und sorglose Zeit der Jugend nicht ewig dauert. Pltzlich steht sie vllig alleine da. Nur ihre Freundin Yvonne, eine junge Kunstmalerin, hilft ihr mit Rat und Tat. Wibke hat Mut und Ideen und packt jede Chance, die sich ihr bietet, beim Schopfe

  • Ein denkwrdiger Kaffeeklatsch

    Wir diskutierten, da die Fetzen flogen. Sogar die fromme, kleine Margrethe, die Prchtige in unserem Klub, wurde rot vor Eifer. Wir waren heute alle sechs zum Klubabend gekommen, sogar Yvonne, die sonst immer durch Abwesenheit glnzte. Doch merkwrdigerweise sagte sie am wenigsten. Obwohl sie die einzige war, die eine berechtigte Meinung haben konnte.

    Wie wir auf das Thema gekommen waren, wei ich nicht mehr. Irgendeine machte wohl eine Bemerkung, und dann gab ein Wort das andere. Pltzlich erfllte uns alle die brennende Frage: Kann ein junges Mdchen ohne fachliche Ausbildung, lediglich mit allgemeinem gesundem Menschenverstand und einiger Energie so viel verdienen, da es sich ohne feste Anstellung allein durchbringen kann?

    Als Kchin oder Hausmdchen vielleicht, sagte Nini. Dann braucht man fr das Essen und die Wohnung nichts extra auszugeben.

    Kchin nun hr aber auf! rief Liese. Eine richtige Kchin braucht wei Gott eine fachliche Ausbildung. Auerdem hat man ja eine feste Anstellung, wenn man im Haushalt ttig ist. Nein, Bedingungen: keinerlei Ausbildung, kein Betriebskapital, keine feste Anstellung!

    Was meinst du mit ,keinerlei Ausbildung? fragte Gertie. Da man keine spezielle Arbeit gelernt hat. Da man weder

    Maschineschreiben noch Steno, weder Massage noch Kinderpflege

  • oder Also, da man nur die gewhnliche Schulausbildung hat? Eben. Meinetwegen knnen wir sagen, man hat das Abitur. Das

    haben wir alle sechs. Wer von uns wrde es auf sich nehmen, sich ab morgen allein zu versorgen? Wohlgemerkt, ohne einen hilfsbereiten Onkel, ohne einen Geschftsfreund von Papa, kurz gesagt, ganz ohne Protektion?

    Man knnte wohl eine Arbeit als Verkuferin bekommen, berlegte Margrethe.

    Denkste! Als ob man dazu nicht eine Ausbildung braucht! Ja, du kannst vielleicht als Lehrling anfangen. Aber wer kann vom Lehrlingsgeld leben?

    Fr eine Minute schwiegen wir alle. Gertie go Kaffee ein und reichte die Tortenplatte in die Runde.

    Wieviel mte man eigentlich im Monat verdienen, um leben zu knnen? fragte ich. Man kann sich besser uern, wenn man genaue Zahlen hat, an die man sich halten kann.

    Achtzehnhundert Kronen, sagte Nini ohne Besinnen. Ich meine: die unbedingte Mindestgrenze! schrnkte ich ein.

    Es ist klar, da man sich auch mit weniger Geld am Leben erhalten kann.

    Eine Kollegin von mir lebte in Deutschland fr 325 Mark, sagte Yvonne. Das entspricht siebenhundert Kronen. Damit kommt man auch hier aus. Fnfstimmiger Protest.

    Halt! rief Liese. Yvonne ist die einzige von uns, die Erfahrungen hat. Yvonne hat das Wort!

    Erfahrungen na ja Yvonne dehnte die Worte. Ich habe immerhin meine fachliche Ausbildung als Malerin.

    Du hast aber Erfahrungen, wieviel man monatlich unbedingt zum Leben braucht! Du bringst dich doch als einzige von uns allein durch.

    Ja. Und ich wiederhole: siebenhundert Kronen. Man kann mit weniger auskommen, aber dann mu man das Mittagessen streichen, alle Bekannten abends um die Essenszeit besuchen und Zeitungspapier in die Schuhe stopfen, wenn man anfngt, auf der bloen Heimaterde zu laufen.

    Nini starrte auf ihre feudalen neuen Schuhe. Das mit dem Zeitungspapier hatte sie anscheinend tief beeindruckt.

    Ich mute in Italien auch schon mit weniger auskommen, aber dort ist auch der Lebensstandard ein anderer. Yvonne machte eine

  • Kunstpause. Auf jeden Fall: Wer weniger als siebenhundert Kronen hat, ist sehr bitter dran!

    Yvonne streifte die Asche von der Zigarette und sagte nichts mehr.

    Wir kannten zwar Yvonnes Schicksal, aber wir hatten uns die Einzelheiten wohl nie so richtig vorgestellt. Jetzt dachten wir sicher dasselbe, Nini und ich.

    Yvonne ist nicht auf den Kopf gefallen. Sie machte mit achtzehn ihr Abitur. Dann wollte sie Malerin werden. Davon wollte der Vater aber nichts wissen. Yvonne lie nicht locker. Da Papa nicht helfen wollte, ging sie nach Paris, zu ihrer franzsischen Mutter. Ihre Eltern waren seit Jahren geschieden das norwegische Klima und ihr norwegischer Gatte schienen fr die Mama zu hart gewesen zu sein.

    Yvonne brachte ihr Sparkassenbuch an sich, hob die paar tausend Kronen ab und fuhr nach Paris.

    Nach allerlei Mhen stberte sie Yvonne senior ihre Mutter auf. Sie kam ziemlich ungelegen, da sie gerade dabei war, wieder zu heiraten.

    Und nun begann ihr eigener Weg, welcher der vorher etwas rundlichen Yvonne eine beneidenswerte Schlankheit verschaffte, eine interessante Blsse und ein paar groe, brennende Augen. Und sie in allerkrzester Zeit erwachsen und erfahren machte.

    So gelang es ihr doch, in Paris eine ganze Menge zu lernen. Es gelang ihr sogar, Geld zu verdienen. Es gelang ihr, sich das Geld fr eine Fahrkarte nach Rom zu sparen. Und als sie vier Jahre spter in die Heimat zurckkehrte, brachte sie eine Kiste mit Bildern mit und ausgezeichnete Kenntnisse im Franzsischen und Italienischen.

    Da das vterliche Haus ihr verschlossen sein wrde, hatte sie erwartet. Sie wohnte kurze Zeit in einer drittklassigen Pension. Dann stberte sie ein Atelier auf. Es lag in einem uralten Haus, das so aussah, als sei es damals aus Versehen stehengelassen worden, als alle Huser ringsum abgerissen wurden. Die Miete war erstaunlich gering, und Yvonne zog ein. Erst spter entdeckte sie den Grund fr den niedrigen Mietpreis: Es zog berall niedertrchtig, und wenn man warm sitzen wollte, mute man waggonweise Feuerung in den alten Ofen schaufeln. Aber das Licht war vortrefflich. So fand sich Yvonne denn tapfer mit den Nachteilen ab. Sie malte, stellte die Bilder aus, verkaufte auch hier und da mal eines. Die Kritiker verschwendeten nicht allzu viele Worte an sie, aber was sie schrieben, war liebenswrdig. Sie bekam Mut und kaufte sich ein

  • paar Mbelstcke fr das groe Atelier. Nach einiger Zeit wurde sie von einer Privatschule als

    Zeichenlehrerin angestellt fr sechs Stunden wchentlich. Nichts zum Fettwerden, aber immerhin fast genug fr die Miete.

    So stand es zu jener Zeit um Yvonne als wir bei Kaffee und Kuchen ber unsere Existenzmglichkeiten diskutierten.

    Ich knnte mir vorstellen, da ich es schaffe, sagte ich. Ich bin gesund und krftig, nicht dmmer als der Durchschnitt. Man mte doch auf ehrliche Art und Weise monatlich siebenhundert Kronen zusammenkriegen knnen?

    Aber womit? erkundigte sich Margrethe. Was kannst du eigentlich, Wibke? Ja, was konnte ich eigentlich?

    Stricken, schlug ich vor. Das kann jeder Mensch. Und auerdem kann ich dir sagen, wenn

    es etwas auf der Welt gibt, wovon man nicht leben kann, dann ist es Handarbeit!

    Ich habe eine glckliche Hand mit Blumen! Ja, das hast du! Aber wie knntest du damit Geld verdienen? Du

    hast keine Grtnerausbildung. Du bist ein Genie wenn es darum geht, trockne Kaktusstrunke zum Blhen zu bringen, und du weit genau, wann welche Pflanzen welchen Dnger brauchen. Aber wie in aller Welt willst du davon leben?

    Ich wei es! rief Gertie. Du knntest von Haus zu Haus gehen, mit einem Eimer voll Erde in der einen Hand und einer Miniharke in der anderen und die Hausfrauen fragen, ob du ihre Kaktusse ich meine teen umpflanzen sollst!

    Groartige Idee! meinte Liese. Fnfzig re per Topfpflanze, ausnahmsweise siebzig wenn sie gro sind, mit besonders widerlichen Pieksern vierzig Tpfe pro Tag ergeben 20 Kronen dazu zehn von den Groen, sie kritzelte auf die Papierserviette und rechnete, sechsundzwanzig Werktage im Monat Mensch, ich komme auf 780 Kronen im Monat!

    Ja, auf der Papierserviette sagte Nini. Hrt nun mit dem Bldsinn auf, wir knnen froh sein, da wir solche Experimente nicht zu machen brauchen. Wir haben es gut, so, wie es jetzt ist!

    Nini hatte gut reden. Sie wohnte zu Hause bei ihren wohlhabenden Eltern und studierte Fremdsprachen. Gertie war gerade aus dem Ausland zurck und wollte jetzt die Handelsschule besuchen, Liese machte ihrem Vater den Haushalt, und Margrethe wollte nchstes Jahr in die Krankenpflege.

  • Und ich? -Ja, ich mute zu meiner Schande gestehen, da ich nichts anderes tat, als Pullover zu stricken, Tante Beates Zimmerpflanzen zu versorgen, Fisch fr Kater Kille zu kochen (Tante Beates heigeliebter Ersatz fr die Kinder, die sie htte haben mssen, die das Schicksal ihr aber versagt hatte) und gemtlich mit Onkel Mathias zu plaudern, wenn er abends zu Hause war.

    Kurz und gut, ich fhrte ein unwrdiges, verweichlichtes Dasein, das alle Tatkraft und Unternehmungslust, die vielleicht in mir vorhanden waren, ganz und gar untergrub.

    Aber spter habe ich oft an diese Diskussion in unserem Mdchenklub gedacht. Wenn ich damals geahnt htte, wie aktuell das Problem fr mich werden sollte!

  • Betriebskapital: ein Motorrad

    Mein Vater war der jngste und Tante Beate die lteste von sechs Geschwistern gewesen. So waren denn die Pflegeeltern, zu denen ich nach dem Segelunglck kam, das meinem Vater und meiner Mutter das Leben kostete, ziemlich alt.

    Ich habe es deinem Vater so oft gesagt, jammerte Tante Beate. Es nimmt noch ein schlimmes Ende mit dieser Segelei!

    Zum erstenmal gab das Schicksal Tante Beate recht. Es nahm ein schlimmes Ende, wie es schlimmer gar nicht sein konnte. Da sa ich nun allein und ziemlich hilflos, gerade sechzehn Jahre alt.

    Onkel Mathias kam und holte mich. Es wurde nicht viel Federlesens gemacht. Komm zu uns, mein Kind, sagte Onkel Mathias. An seiner Schulter konnte ich mich ausweinen, und er half mir in meinem neuen Leben weiter.

    Spter ist mir klargeworden, wie es zuging, da ich zu Onkel Mathias und Tante Beate kam. Natrlich nehmen wir das Mdel zu uns, hat Onkel Mathias in seiner entschiedenen, aber gtigen Art gesagt.

    Tante Beate hatte sicher Einwnde erhoben. Es ist unsere Pflicht, Beate, das ist sonnenklar, hat Onkel Mathias gesagt. Alle deine anderen Geschwister haben selber Kinder und sind auerdem in alle Winde verstreut. Wir haben keine, und das Mdel ist niedlich und leicht zu gewinnen. (Das hat er bestimmt gesagt. Onkel Mathias und ich haben uns immer schrecklich gern gemocht.)

    Und dann hat Tante Beate geseufzt und eine leidende Miene aufgesetzt, und Onkel Mathias hat ihr auf die Backe geklopft und gesagt denn er war ein groer Diplomat, dieser Onkel : Du mit deinem guten Herzen und deinem Pflichtgefhl, Beatchen.

    Dann hat Tante Beate gelchelt und lieb dreingeschaut, denn Onkel Mathias konnte aus allen Menschen das Liebenswerte herauslocken. Aber dann hat sie sich verschlossen, aus Angst, ihre eigenen Gefhle zu verraten, und so etwa wie Ja, selbstverstndlich, Mathias, wenn du meinst, da wir die Pflicht haben gesagt.

    Dann schwang Onkel Mathias sich auf sein Motorrad und fuhr davon, um mich zu holen.

    Natrlich gab es allerlei Klippen zu berwinden. Und es kam nicht selten vor, da ich in mein Kopfkissen heulte und fand, Tante Beate sei so ungerecht, ach, so ungerecht. Sie verstand auch nicht

  • das kleinste bichen. Alles war immer nur Pflicht und Alltag und Vorzglichkeit und Engigkeit und noch mehr Pflicht. Mir kam es so vor, als sei Tante Beate von vornherein skeptisch gegen mich eingestellt.

    Onkel Mathias rumte mir viele, viele Hindernisse aus dem Wege. Er war es, der mit mir ging, wenn ich neue Kleider brauchte, und dafr sorgte, da auch noch andere Gesichtspunkte bercksichtigt wurden als nur die Billigkeit und die Soliditt. Onkel Mathias war es, der mir unvernnftige und hchst willkommene Dinge schenkte, er war es, der dafr sorgte, da ich gleich nach dem Abitur fr ein Jahr nach Deutschland fahren durfte.

    So allmhlich ging es auch besser zwischen Tante Beate und mir. Das war hauptschlich auf Kater Kille zurckzufhren.

    Wir waren in die Sommerfrische gefahren, und das teure Vieh mute natrlich mit. Da ergab es sich denn, da Kille der seiner Herrin wie ein Hndchen folgte auf den Landungssteg lief und ins Wasser fiel. Tante Beate schrie, als handelte es sich um ihr einziges Kind. Das war ja insofern auch der Fall. Ich zog mir das Kleid ber den Kopf, sprang ins Wasser und fischte den Kater heraus. Er htte es sicher auch allein geschafft, aber Tante Beate das klarzumachen!

    Nach diesem Ereignis sah mich Tante Beate mit neuen Augen an. Ich hatte pltzlich Existenzberechtigung. Mein Leben wurde von Stund an leichter und angenehmer. Tante Beate fing an, mich um Rat zu fragen. Sie war begeistert, da ich mich fr Zimmerblumen interessierte, und unterwies mich mit Eifer. Und das Erstaunliche trat ein, nach kurzer Zeit war die Schlerin besser als die Lehrerin.

    Es ist nmlich mit der Blumenpflege wie mit dem Kochen. Ist einem der Sinn dafr nicht angeboren, dann hat alles keinen Zweck, und wenn man noch soviel lernt. Im Kochen habe ich es nie weiter gebracht, als Haferflockenkekse zu backen das war nmlich fr Onkel Mathias das hchste der Gefhle. Aber Blumen die kann ich pflegen. Ich wei nicht, wie ich es anstelle, ich ahne nicht, was mir sagt, wann eine Blume den oder den Dnger braucht und wieviel. Ich wei es einfach nur, schlecht und recht.

    Und ich liebe es, mich mit Pflanzen zu beschftigen. Aber zurck zu Tante Beate. Unsere gemeinsamen

    Blumeninteressen und meine Freundlichkeit zu dem Katzenvieh Kille brachten es zuwege, da Tante Beate mir die Tr ihrer Herzkammer einen Spalt weit ffnete und husch, war ich auch schon

  • drinnen. Von dieser Zeit an lebten wir alle drei wirklich gemtlich miteinander. Oder sagen wir lieber wir vier: Onkel Mathias, Tante Beate, Kille und ich.

    Nachmittags durfte ich mit Onkel Mathias Motorrad fahren. Tante Beate betrachtete das Motorrad mit unverhohlenem Mifallen.

    Ein Mann in deinem Alter, Mathias! sagte Tante Beate. Motorrder sind etwas fr die Jugend. Es nimmt ein schlimmes Ende, Mathias! jammerte Tante Beate. Aber Onkel Mathias lachte und kte Tante Beate auf die Wange dann nahm er mich hinten drauf, fuhr an, gab Gas und nun glitt die Landstrae unter den Rdern fort.

    Wenn wir die Stadt hinter uns hatten, gab Onkel Mathias mir Unterricht. Ich strengte mich an, damit ich alles verstand und lernte. Am Anfang, um Onkel Mathias eine Freude zu machen, spter, weil es mir Spa machte.

    Dann mut du aber auch die Prfung machen, mein Kind, sagte Onkel Mathias. Das war doch ne Sache! Es gibt haufenweise Mdchen, die Autos fahren, aber Motorrad fahren knnen nur wenige.

    Onkel Mathias wurde eifrig wie ein Junge, sein graues Haar war ganz strubbelig und seine Hnde waren mit l beschmiert. Und er schwang sich aufs Rad so leicht wie ein Zwanzigjhriger. Keiner konnte es Onkel ansehen, da er Sechsundsechzig war.

    Ich war allein zu Haus, als man ihn brachte. Er lag ganz still unter der Decke. Das Gesicht war wei und

    schn. Ohne jede Schramme. Es waren innere Verletzungen. Ein entgegenfahrender Wagen war an dem Unfall schuld. Onkel Mathias kam kurze Zeit wieder zum Bewutsein und

    versuchte, meine Hand zu drcken. Er flsterte etwas. Dann fuhr ein Auto drauen vor. Es war Tante Beate. Ich ging aus dem Zimmer.

    Tante Beate hatte zum zweiten Male recht behalten. Es ist sonderbar, wie ein Mensch in allen Dingen des Haushalts

    geschickt und praktisch sein kann und genau das Gegenteil, sowie Probleme auftauchen, die nicht gerade das Mittagessen und die groe Wsche betreffen. Jetzt mute ich das Heft in die Hand nehmen, mute mit dem Rechtsanwalt sprechen, mute Tante Beate fr ihre Zukunft Ratschlge geben, mute im Sophienstift, dem besten Damenstift der Stadt, nachfragen, ob dort etwas fr Tante Beate frei war, mute die Leute fr den Umzug bestellen, die Kndigung der Wohnung mitten im Monat bewerkstelligen ich mute alles, aber

  • auch alles erledigen. Tante Beate war um zehn Jahre lter geworden. Sie sa im Sessel

    am Fenster mit Kille auf dem Scho, mde und willenlos. Arme, arme Tante Beate! Wie grenzenlos abhngig kann man von

    einem Menschen werden, den man liebhat. Sie war mit allem, was ich vorschlug, einverstanden. Ich wei

    nicht, ob sie es berhaupt begriff, als der Rechtsanwalt ihr erffnete, da die Witwenpension gerade ausreiche, um ihr ein groes, helles Zimmer im Sophienstift zu sichern, und da dann 200 Kronen im Monat fr Kleidung und Taschengeld brigblieben. Die paar tausend im Sparbuch sollten fr unvorhergesehene Ausgaben stehenbleiben.

    Tante Beate nickte und sagte ja. Sie unterschrieb alle Papiere, ohne Fragen zu stellen.

    Als die Mbelpacker kamen, um die Wohnzimmermbel und einen Teil der Schlafzimmereinrichtung abzuholen, weinte sie. Und dann schien sie aufzuwachen. Und du, Wibke? Was wird aus dir?

    Endlich konnte ich meine Erklrung anbringen. Du wirst verstehen, Tante Beate, das bichen, was die Eltern hinterlassen haben, das ist sicher lngst verbraucht. Onkel Mathias hat mich immerhin die letzten drei Jahre unterhalten. Ganz und gar. Nun wird es also Zeit, da ich anfange, auf eigenen Fen zu stehen.

    Ja, ja, du bist ja jung und gesund, sagte Tante Beate. Sie war viel zu durcheinander, um sich ber mich Gedanken zu machen.

    Ich berschlug meine Habe: ein Sparkassenbuch mit 187,35 Kronen, die Mbel, viele gute Kleider, einige Bcher, Mutters Brosche und Topasring, etwas Silber und 22 Lebensjahre.

    Htte mir das Herz nicht so bleischwer in der Brust gelegen, wre mir Tante Beates Einzug in das Sophienstift wohl vor allem komisch vorgekommen. In der linken Hand trug sie ihren Silberkasten, den Korb mit Kille in der rechten. Ich als Anhang zog hinterdrein mit Toilettenkoffer, Plaid und Regenschirm.

    Am Tage zuvor war ich dagewesen, um ihr Zimmer einzurichten. Als Tante Beate ihre Wohnzimmermbel und die Hlfte ihres

    Schlafzimmers in der neuen Umgebung sah, weinte sie wieder. Sie sank in ihren lieben, altvertrauten Fenstersessel.

    Aus Killes Korb kam ein vernehmliches Miau. Ach, mein Kille! rief Tante Beate und ffnete den Korb.

    Frhlich hpfte der Kater auf ihren Scho. Die Heimvorsteherin, die dabei war, ffnete den Mund, und ich

    ahnte, was kommen wrde.

  • Bitte, jetzt nicht, flsterte ich. Warten Sie bitte bis morgen! Sie ahnen nicht, was fr ein Trost ihr die Katze ist!

    Am folgenden Tag besuchte ich sie. Sie sa als Mittelpunkt im roten Plsch des Salons, und dreizehn Damen im Alter von sechzig bis neunzig saen und standen um sie.

    Er ist angora, nicht wahr? Nein, persisch die stahlblaue Farbe Mein Schwiegersohn hatte eine Burmakatze, die Es ist ein prchtiges Tier Wollten sie Ihnen die Katze wirklich wegnehmen? Sie wissen, die Hausordnung Pussy, Pussy, komm, hier ist noch etwas Kaffeesahne! Ich zog

    mich erleichtert zurck. Das Wunder war geschehen. Trotz Reglement und Vorstand und Hausordnung war Kille anerkannt und aufgenommen worden und war auf samtweichen Pftchen in die letzte und herrlichste Periode seines Lebens geschritten ein Dasein, von so vielen Sahneresten und so vielem delikatem Tellergekratze angefllt, wie es keiner Katze weder frher noch spter in der Weltgeschichte vergnnt worden ist.

    Dann war die Wohnung leer. Meine letzten Sachen waren abgeholt. Die beiden Koffer, das weie Bett, die kleinen weien Sthle, das Bcherbord und die Stehlampe. Und ein Wald von Zimmerpflanzen.

    Der Umzugswagen hielt vor dem Haus wo Yvonne ihr Atelier hatte.

    Hinterher kam ich auf dem Motorrad. Das hatte ich bekommen. Mach was du willst damit, hatte Tante Beate gesagt. Ich will es nie mehr sehen.

    Durch eine unbegreifliche Laune des Schicksals war das Motorrad sozusagen heil geblieben.

    Am Abend saen Yvonne und Ich in ihrem Atelier unter dem schrgen Dach, auf der Couch zusammengekrochen, und redeten. Ab und zu schlug irgendwo eine Turmuhr. Wir merkten es kaum.

    Endlich rumten wir die Kaffeetassen zusammen und fingen an, die Betten zu machen.

    Es wird schon gehen, Wibke, sagte Yvonne. Jedenfalls bist du weder leichtsinnig optimistisch noch niederschmetternd pessimistisch. Du hast Ideen, und ich glaube, du hast die Durchhaltekraft.

    Und vergi nicht ein Motorrad als Startkapital! sagte ich.

  • Wollen Sie Ihre Tpfe umpflanzen lassen?

    Onkel Mathias hatte fr das Motorrad achttausendfnfhundert Kronen gegeben. Ich war dabeigewesen, als er es kaufte.

    Ich traf den Geschftsfhrer selbst im Laden an und erklrte ihm ohne Umschweife, da ich das Rad verkaufen wolle.

    Es wurde auf Herz und Nieren untersucht. Abgesehen von ein paar Beulen und Schrammen war es bestens erhalten, soviel verstand ich davon. Tja, sagte der Geschftsfhrer und rieb das Kinn. Ich kann 1800 dafr bieten.

    Mehr nicht?! Ich glaube, die Enttuschung malte sich deutlich auf meinem Gesicht. Denn er fing an, alles mgliche ber gebrauchte Motorrder zu sagen, und es sei immerhin vier Jahre gefahren worden und

    Mein Blick schweifte in dem gerumigen Laden umher und blieb an einem Mofa haften, auf dem ein Zettel steckte: Fhrerscheinfreies Liefer-Mofa! Ihr Laufjunge kann es fahren! Lassen Sie es sich von uns vorfhren!

    Ich handelte mein Rad auf vierhundert in bar plus Mofa hinauf. Zwei Tage spter begann ich, durch die Stadt zu knattern. Ich hatte mir einen Plan von meiner Vaterstadt angeschafft und sie in Tagesbezirke aufgeteilt.

    In jeden Briefshlitz oder, wenn keiner da war, Trschlitz wurde eine Reklamekarte gesteckt:

    Sie erhalten in einigen Tagen Besuch! Die Blumenrztin Wibke Grundt wird Sie aufsuchen und ihre Dienste anbieten. Jetzt ist es Zeit, Stecklinge zu pflanzen und den Topfpflanzen neue Erde zu geben. Lassen Sie dies von einem Fachmann machen. Preis: von 4o bis 7o re pro Topf, je nach Gre. Auerdem erhalten Sie kostenlos Ratschlge und Hinweise.

    Yvonne und ich hatten den Wortlaut der Karten gemeinsam entworfen. Wir fanden, da wir riesig erfinderisch gewesen waren. Dann schwang ich mich auf mein Fhrerscheinfreies und fuhr zu meinem Freund, dem Grtner, dem ich im Laufe der Jahre allerlei abgekauft hatte. Ich erstand einen groen Kasten mit Kaktuserde und einen weiteren mit gewhnlicher Blumenerde, die man mir auf den Gepcktrger meines Mofas stellte.

    Am nchsten Morgen um neun Uhr machte ich mich auf den Weg. Es war ein trber und kalter Tag Ende Mrz. Unter meinem

  • grasgrnen Overall trug ich Wollhosen und eine dicke Strickjacke. Auf dem Gepcktrger standen ein grner und ein roter Eimer,

    ferner ein Korb mit kleinen Blumentpfen fr Ableger und einigen Schachteln mit Pflanzendnger. Auerdem ein Kasten mit Erde. Ich hatte das Gefhl, ich knnte mit diesem Vorrat smtliche Zimmerpflanzen der Stadt umsetzen.

    Im Hof eines groen, modernen Wohnblocks parkte ich mein Gefhrt. Der Block war so gro, da man beinahe das ganze Alphabet in Anwendung gebracht hatte, um die verschiedenen Eingnge zu bezeichnen.

    Rrrr! Ein verschlafenes Gesicht zeigte sich im Trspalt. Ich lchelte,

    krampfhaft. Guten Morgen! Knnte ich die Frau des Hauses sprechen?

    Das bin ich. Worum handelt es sich? Ich mchte nur fragen, ob Ihre Topfblumen umgepflanzt werden

    sollen? Uff, was die Leute sich auch so alles ausdenken. Nein danke. Die Tr knallte zu. Ich blieb einen Augenblick still stehen. Reckte mich, ging drei

    Schritte weiter. Klingelte an der Tr nebenan. Guten Tag. Knnte ich die Frau des Hauses sprechen?

    Das Gesicht eines etwa zwlf- bis vierzehnjhrigen Mdchens sah mich fragend an und verschwand. Gleich darauf berichtete eine gellende Stimme nach drinnen: Da steht so ne komische Frau drauen in grnen Hosen, die will dich sprechen, Mama!

    Das Herz sank mir tief in die Grnen, als die Mama sich im Trspalt einfand. Ich zog mechanisch die Mundwinkel hoch, whrend ich meine wohleinstudierte Frage vorbrachte.

    Knnen Sie nicht lesen? erscholl es durch den Trspalt. Das kann ich seit fnfzehn Jahren, entgegnete ich etwas verstndnislos.

    Dann lesen Sie mal, sagte die Frau und zeigte auf ein kleines Metallschildchen am Trrahmen. Hier wird nichts an der Tr gekauft, stand darauf.

    Ehe ich noch erklren konnte, da ich nicht die Absicht htte, etwas an der Tr zu verkaufen, sondern am Fenster, krachte die Tr auch schon zu.

    Da stand ich wieder. Die zweite Niederlage. Die dritte und die vierte folgten. Als ich mit schweren Schritten und noch schwererem Herzen zum dritten Stock hinaufstieg, warf ich zufllig einen Blick

  • durch das Flurfenster auf den Hof. Ich entdeckte, da die Kinder des Wohnblocks wie Fliegen ber,

    auf, unter und um mein Fhrerscheinfreies schwirrten groer Gott! Ich strzte hinunter und trieb den Schwrm auseinander.

    Irgendwelcher Schaden war nicht entstanden, abgesehen von etlichen Fingerabdrcken. Die Kinder erkundigten sich aber und fragten nach technischen Einzelheiten. Welcher normale Junge zwischen vier und zwlf htte kein Interesse fr Mofas?

    Ein kleiner Dickwanst von ungefhr zehn Jahren war nicht abzuschtteln.

    Der Bengel war helle; es hatte den Anschein, als begreife er, was ich erklrte. Warum hast du n Lieferrad, du bist doch n Mdel? fragte er zuletzt. Weil es schneller geht, als wenn ich laufe.

    Mut du denn so weit laufen? Ja, durch die ganze Stadt. Warum mut du denn das? Weil ich alle Frauen, die in ihren Stuben Topfblumen haben,

    fragen mu, ob ich ihre Blumen umpflanzen soll. Hast du dafr die Erde mit? Ja, natrlich. Kommst du denn auch zu meiner Mutti? Es hat seine Vorteile, wenn man in Sprichwrtern bewandert ist.

    Das fr diesen Augenblick passende durchzuckte mich wie ein Blitz: Wer das Kind fr sich gewinnt, gewinnt der Mutter Herz. Warum sollte mir dieses wibegierige und zutrauliche Kind nicht ntzen?

    Wenn deine Mutti es haben will, dann komme ich gern. Wo wohnst du denn?

    Da! Ich folgte der Richtung seines rechten Zeigefingers, der deutliche

    Spuren zeigte, da er das Mofa nher untersucht hatte! Und oh, du Engelsgeschpf! er zeigte gerade auf ein Fenster, wo es von Kakteen wimmelte, wo dicke Begonien dicht vorm Aufblhen standen, wo ein bergroer Zimmerefeu sozusagen rumkletterte.

    Deine Mutter hat aber schne Blumen, sagte ich. Du mut sie mal fragen, ob ich sie ihr zurechtmachen soll.

    Der kleine Kerl war sofort bereit. Er flitzte davon nicht zum Aufgang K, zu dem das Blumenfenster zweifellos gehrte, sondern gleich auf das Fenster zu.

    Mutti Muutiii! Stimme und Tonfall verrieten jahrelange bung, in Wohnblcken zu wohnen und sich das Treppensteigen zu

  • sparen, wenn das Rufen denselben Erfolg haben kann. Mutti war gut erzogen. Sie erschien sofort am Fenster. Mutti hier ist n Mdchen, die will mit dir reden. Sie kann so gut Blumen zurechtmachen!

    Was sagst du da, Hansi? Hansi war durch keinerlei Hemmungen belastet. Er wiederholte die Neuigkeit mit schallender Stimme. Jetzt tauchten eine Menge Kpfe an den verschiedenen Fenstern auf.

    Es war beinahe peinlich. Ich ging zu Hansi hinber und stellte mich neben ihn unter das Fenster. In etwas deutlicheren Wendungen erklrte ich den Zusammenhang.

    Mutti war durchaus nicht ablehnend. Aha ja, habe ich nicht eine Reklamekarte von Ihnen bekommen? Bitte, kommen Sie doch rauf, da mssen wir mal sehen.

    Mein Herz machte einen Sprung aus der Tiefe der grnen Hosen bis ganz zum Hals hinauf. Ich warf einen blitzschnellen Blick ber die Hausfront. Ich durfte annehmen, da mindestens fnfundzwanzig Kpfe hinter den Fensterscheiben dem Vorgang gefolgt waren.

    Hallo, Frulein! Kommen Sie hinterher auch zu mir rauf, ja? Aufgang G, dritter Stock rechts.

    Schon an diesem ersten Tag konnte ich anfangen, psychologische Studien zu treiben. Die Frauenpsyche ist interessant. So ein Ding mu ich auch haben, ist einer ihrer hervorstechendsten Zge. In diesem Fall mute man es abwandeln in so ein Mdchen mu ich auch haben. Denn tatschlich war es so, da, wenn die Dame im Aufgang G, dritter Stock rechts, ihre Pflanzen umtopfen lie, auch die Dame im Aufgang G, dritter Stock links, es machen lassen mute.

    Als die Uhr halb zwei und ich beim Aufgang H angelangt war, war meine Erde alle. Die Ablegertpfe waren ebenfalls ausgegangen. Und an denen verdienten wir, Yvonne ebenso wie ich. Wir hatten uns die billigsten unglasierten Tpfe besorgt, die wir bekommen konnten, und dann hatte Yvonne sie verziert. Zwei Tage hatte sie gesessen und gemalt, und das Ergebnis war wirklich berckend. Wir verdienten jede fnfunddreiig re am Topf, und bis jetzt hatte ich dreiig Stck abgesetzt.

    Meine Fingerspitzen waren wund vom Graben, Pflanzen, Stecklinge abknipsen und Dngerstbchen einstecken. Und der Hals tat mir weh von den vielen guten Ratschlgen, die ich gegeben hatte in bezug auf viel oder wenig Sonne und viel oder wenig Wasser und

  • Wasser in den Untersatz oder Besprhen in der Badewanne. In der letzten Wohnung mute ich bitten, einmal telefonieren zu drfen. Ich lutete das Milchgeschft an, bei dem Yvonne Kunde war, und bat, ihr auszurichten, da ich zum Essen nicht nach Hause kme. Auerdem lie ich ihr sagen, da sie noch mehr Blumentpfe bemalen solle.

    Ich legte fnfzig re in die Bchse und dankte. Die Dame, bei der ich im Augenblick war eine junge reizende Frau , hatte mein Telefongesprch mitangehrt.

    Das machen Sie brigens gut, lchelte sie, wirklich eine groartige Idee! Sind Sie schon lange dabei?

    Ich warfeinen Blick auf die Uhr. Viereinhalb Stunden, antwortete ich wahrheitsgem. Wollen Sie damit sagen, dies sei Ihr erster Tag als als Blumendoktor?

    Das konnte ich nicht leugnen. Dann sind Sie aber gleich fabelhaft reingekommen! Wissen Sie, das finde ich prachtvoll. Mgen Sie sich nicht einen Augenblick setzen? Ich wollte mir gerade Tee machen, wollen Sie eine Tasse mittrinken?

    Ich konnte nicht widerstehen. Ich hatte einen Mordshunger. Die Unterhaltung ging leicht und spielend vonstatten, begleitet

    von dem Krachen herrlich knuspriger Semmeln. Hinterher bekam ich sogar eine Zigarette angeboten und nun hatte sie mich grndlich ausgefragt. Aber schlielich warum sollte ich denn nicht erzhlen? Ich hatte nichts zu verbergen. Und da die Dame so viel Anteilnahme zeigte, wrde sie mich vielleicht an ihre Freundinnen weiterempfehlen.

    Endlich stand ich auf, bedankte mich und ging. Rollte von dannen zum Grtner und versah mich mit neuen Mengen von Erde.

    Dann kam ich zurck und erstrmte den Aufgang. Aber jetzt ging es langsamer voran. Die Hausfrauen waren beim Mittagkochen und hatten wenig Zeit, mich zu empfangen. Etliche baten mich aber, am nchsten Morgen wiederzukommen.

    Dann rollte ich beim Tpfereiwarenhndler vorbei und bestellte hundert Ablegertpfe; beim Blumenhndler lie ich mir neuen Blumendnger geben.

    Gegen vier Uhr war ich zu Haus. Yvonne stand in ihrem Malkittel am Herd und briet Eier und Speck. Pinsel, Farbtuben und Lappen auf dem Tisch wurden beiseite geschoben und Teller, ein halbes Brot und ein Milchtopf hingestellt.

    Ich stand einen Augenblick davor und berblickte meine neue

  • Lage. Mein neues Dasein in einer Nuschale, sozusagen. Htte ich malen knnen, ich wrde ein Stilleben von dem Brot, der Milch, den Malsachen und dem Margarinepaket gemacht haben, das Yvonne gerade auf den Tisch legte. Und das Bild htte heien mssen: So ist mein Leben. Na?

    Yvonne strich sich mit dem Handrcken die Locke aus der Stirn und lchelte.

    Ich buddelte mit der Hand in der Tiefe meiner Tasche. Komm, wollen mal zhlen!

    Dreiundsechzig Kronen und achtzig Ore. Auerdem hatte ich schon sechs Kronen fr Blumendnger und vier fnfzig fr den neuen Vorrat an Erde ausgegeben.

    Vierundsiebzig Kronen und dreiig Ore an einem Tag. Davon bekam Yvonne zwanzig Kronen ihren Verdienst an den Ablegertpfen. Von den restlichen vierundfnfzig Kronen dreiig Ore ging, wie ich ausgerechnet hatte, so ziemlich die Hlfte fr Benzin und andere notwendige Ausgaben drauf. Siebenundzwanzig Kronen und fnfzehn re hatte ich am ersten Tag verdient.

    Wir feierten diesen Erfolg, jeder bekam zwei Eier anstatt eines, wir hatten einen Mordshunger.

  • Es geht wieder bergab

    Tu, wie ich sage, meinte Yvonne. Trag soviel wie mglich auf die Bank! Verbrauche nicht mehr als hchstens zehn Kronen tglich.

    Ach, du Se, widersprach ich. Es geht doch ganz famos. Den ersten Tag siebenundzwanzig Kronen, gestern waren es einundzwanzig und heute neunzehn. Netto. Vergi das nicht.

    Aber du siehst, es geht bergab, sagte Yvonne bedenklich. Jetzt bist du in Hansis Wohnblock fertig. Es ist nicht sicher, da du morgen wieder auf so einen Reklamechef rechnen kannst!

    Der unmittelbare Anla zu dieser Auseinandersetzung waren zwei Stck Schlagsahnetorte gestern und ein Beefsteak und ein Pfund pfel heute.

    Du darfst es dir nicht zur Gewohnheit werden lassen, Nschereien mit nach Hause zu bringen! erklrte Yvonne.

    Aha, da sollte ich also erfahren, da Beefsteak eine Nscherei war.

    Du mut pro Tag fnfzehn fr mich rausrcken fr Essen und Feuerung. Das sind vierhundertfnfzig Kronen im Monat. Dazu kommen dein Anteil an der Miete und am Strom, und denk an Schuhsohlen und Steuern und alles das, was man aufzufhren vergit, wenn man sich eine Kostenaufstellung macht. Es geht gerade auf vorausgesetzt, du schaffst es wirklich, siebenhundert Kronen im Monat zu verdienen.

    Yvonne brachte es zuwege, mich von der Wolke der Begeisterung, auf der ich schwebte, herunterzuholen. Ich fuhr am nchsten Morgen bei der Bank vorbei und zahlte den grten Teil der Kronen ein, die ich besa.

    Dann begann das Treppauf, Treppab von neuem. Der Anfang war heute gar nicht schn.

    An der ersten Tr machte mir ein Mann in Hemdsrmeln und mit struppigen Haaren auf. Ich fragte nach der Frau des Hauses.

    Bitte treten Sie nher, war die Antwort. Wie freundlich der ist! dachte ich. Der Mann schlo hinter mir die Tr.

    Er lie mich in eine unaufgerumte Stube eintreten: abgestandener Tabaksgeruch und Staub auf dem polierten Nubaum. Einen Augenblick sa ich allein. Mir war unbehaglich zumute.

    Dann kam er wieder. Mit einer Flasche Bier und Glsern. Vielleicht ein Glschen gefllig?

  • Nein^ danke. Ich htte gern die Frau des Hauses gesprochen. Frau des Hauses, ach ja, richtig. Er grinste unrasiert, wie er

    war und mit glasigen Augen. Trank einen Schluck, musterte mich. Und was haben Sie denn fr Wnsche, Frulein?

    Ich pflege Topfpflanzen und wollte mal fragen Topf wir ham keine Tpfe, wissen Sie! Is nich ntig, in den

    modernen Wohnungen! Hahaha! Ich wurde glhend rot, stand auf. Er verstellte mir den Weg zur

    Tr. Na, na, warten Sie doch n bichen. Sie sind aber n hbsches

    Ding, Fruleinchen, hat Ihnen das schon mal einer gesagt? Haben Sie Ihrer Frau Bescheid gesagt, da sie kommt? Nein, ham Sies denn noch nicht kapiert? Hier ist nichts von

    wegen ,Frau. Gehts mit mir allein denn nich auch? Er kam nher. Er roch nach Bier, Schwei und altem Zigarrenrauch.

    Wollen Sie mich bitte hinauslassen? Ich rgerte mich, denn ich hrte selbst, wie meine Stimme bebte.

    Nu, sein Sie doch schon n bichen friedlich, Fruleinchen. Ich werd Ihnen schon nichts tun. Ist es denn nich viel gemtlicher, so n bichen mit mir zu plauschen, als rumzurennen und Tpfe umzupflanzen?

    Als ich die klamme Hand an meiner Wange fhlte, verlor ich meine Selbstbeherrschung. In der rechten Hand hielt ich meinen koketten grnen Eimer mit der Kaktuserde. Im nchsten Augenblick hatte der Mann die ganze Erde berm Kopf. Und whrend er versuchte, die Augen sauberzuwischen und die Stimme wiederzuerlangen, schlpfte ich hinaus. Hinunter, weg hinauf auf mein Rad und ab zum entgegengesetzten Ende der Stadt.

    Dieser morgendliche Zwischenfall verdarb mir den ganzen Tag. Es wurde ein ausgesprochener Pechtag.

    Ich kam in ein Villenviertel. Im ersten Haus wurde ich eingelassen und vor eine Reihe von Hortensien und Zwiebelgewchsen gefhrt ausgerechnet zwei Blumensorten, die ich gar nicht mag und auf die ich mich infolgedessen auch am wenigsten verstehe. Dazu kam, da ich unkonzentriert und nervs war. Die Hausfrau hatte messerscharfe Augen und eine kalte, strenge Stimme, meine Antworten fielen unbestimmt aus und klangen wenig berzeugend. Zu allem berflu verschttete ich Erde auf den frischgebohnerten Fuboden und den echten Buchara nein, dieser Besuch war recht trbselig.

  • Was bin ich schuldig? fragte die Dame khl, als ich meinen Schmutz selber weggefegt und mich entschuldigt hatte.

    Drei achtzig, bitte. Wieso denn, es waren sechs Pflanzen. Sie sagten sechzig Ore

    frs Stck? Ach Verzeihung, ich habe mich verrechnet. Es macht natrlich

    drei sechzig. Knnen Sie auf fnf Kronen herausgeben? Nein, leider nicht aber ich will gern wechseln gehen. Ein eisiger Blick war die Antwort. Die Hausgehilfin wurde zum Wechseln weggeschickt. Da ging mir pltzlich ein Licht auf. Sie dachte, ich wollte mit

    dem Fnfkronen stck durchgehen. Und sie lie durchblicken, da sie es auch dachte. Zwar war ich ungeschickt und nicht sehr tchtig gewesen, aber mute sie mich deswegen beleidigen?

    Ich htte heulen knnen. Die Hausgehilfin kam mit fnf einzelnen Kronenstcken. Ich

    bekam vier davon. Es tut mir leid auch darauf kann ich nicht herausgeben.

    Sehr praktisch, murmelte die Gndige. Dann behalten Sie meinetwegen die vier Kronen.

    Ich ffnete den Mund und wollte antworten. Ich wollte antworten, da sie ihr Geld behalten knne. Aber ich bezwang mich. Es konnten Zeiten kommen, da wrde ich mir Vorwrfe machen, da ich ehrlich verdientes Geld so aus dem Fenster hinauswarf.

    Danke, ich berechne kein Trinkgeld. Ich werde mir erlauben, die vierzig Ore vorbeizubringen, sowie ich Wechselgeld habe.

    Fnf Minuten spter brachte ich die vierzig Ore zurck. Die Hausgehilfin war an der Tr und nahm sie grinsend an. Ich htte ihr ins Gesicht schlagen mgen.

    An den vier nchsten Stellen wurde ich an der Tr schon abgefertigt. An der fnften wurde ich eingelassen und vor meine Aufgabe gefhrt: 1. Ein Riesenstachelschwein von einem ungepflegten Kaktus. 2. Ein Ungetm von einer Fcherpalme. 3. Eine Azalee, so gro wie ein stattlicher Weihnachtsbaum.

    Die Erde sollte erneuert werden. Fr die Palme allein brauchte ich acht Pfund Blumenerde. Ich forderte drei Kronen fr die drei Ungeheuer zusammen.

    Ich meinte, Sie htten siebzig re als Hchstpreis genannt, sagte die Frau spitz.

  • Ja, aber nicht bei solchen Riesenpflanzen, setzte ich mich zur Wehr. Ihre Pflanzen sind viel grer, als ich sie bisher gehabt habe.

    Das sagen Sie wohl zu allen, kam es noch spitzer aus ihrem Munde. Was haben Sie mit der Erde vor, die Sie aus den Tpfen rausgenommen haben?

    Ich habe vor, sie mit Ihrer gtigen Erlaubnis in Ihren Mlleimer zu schtten. Und dann mchte ich gern wissen, ob Sie auf diese kleinen Ableger da Wert legen, die ich von dem Kaktus abknipsen mute, und wo ich sie in diesem Falle hintun soll?

    Aus unerfindlichen Grnden wurde die Dame etwas umgnglicher. Mit den kleinen Ablegern drfte ich machen, was ich wollte. Danke, sagte ich und steckte sie in die Tasche.

    Pltzlich mute ich trotz allem rger lachen. Sie hatte also geglaubt, ich wrde die alte Blumenerde dem nchsten Kunden verkaufen! Ach ja, viele Menschen haben keine sonderlich hohe Meinung von ihren Zeitgenossen.

    Aber der Tag war, wie gesagt, ein ausgesprochener Pechtag. Ich kam mit einem Nettoverdienst von elf Kronen nach Haus. Nicht ein Ore fr Yvonne. Ich war nicht einen einzigen Ablegertopf losgeworden. Dagegen hatte mir der Tag einen Gedanken eingegeben. Ich pflanzte die kleinen Stecklinge, die ich bekommen hatte, sorgsam ein. Vielleicht konnte ich damit noch eines Tages ein Geschft machen.

    La dichs nicht verdrieen, mein Kind, sagte Yvonne. Kannst du immer elf Kronen einsckeln, dann verhungerst du jedenfalls nicht. Ich hab heute fnfzig Kronen fr eine Zeichnung in der Zeitung bekommen. Bitte, das Essen ist gerichtet. Brot und Margarine und drei Scheiben Fischpudding fr jeden!

  • Der Kampf ums Dasein

    Ich hatte eine Entdeckung gemacht, eine ganz aufschlureiche Entdeckung, die unwahrscheinlich klang, aber nichtsdestoweniger stichhaltig war: Es hing nmlich von mir selbst ab, wie viele Auftrge ich bekam und wieviel ich verdiente. War ich heiter und gut aufgelegt und drauf eingestellt, da man mir freundlich entgegenkam ja, dann kam man mir auch freundlich entgegen! War ich aber mde und migelaunt, dann begegneten mir kalte Blicke und unfreundliche Stimmen, und ich kam mit so geringem Verdienst nach Hause, da es mir davor grauste, Yvonne unter die Augen zu treten. Und dann wieder kamen sonnige Tage-

    Nach zwei Wochen etwa war ich mit meiner Arbeit in einem Wellental. Nur an jeder sechsten, siebten Stelle wurde ich mit meinen Eimern vorgelassen. Aber dann ging es wieder bergauf. Immer fter wurde ich mit einem Ach ja, Sie waren doch auch bei Frau X in der Prinzenstrae? oder Sagen Sie mal, haben Sie nicht den Kaktus bei Frau Y zum Blhen gebracht? oder Sie sind das wohl, von der meine Freundin Frau Z erzhlt hat empfangen. Es gibt keine bessere Reklame, als wenn die Hausfrauen der Stadt von einem reden. Das habe ich am eigenen Leib erfahren.

    Ich hatte einen Rekordtag hinter mir. Kam um fnf Uhr nach Haus, hungrig wie ein Wolf und mit vierundneunzig Kronen in der Tasche. Davon achtzehn Kronen fr Yvonne, und die Hlfte des Restes von sechsundsiebzig war mein Reinverdienst. Knnte ich nur tglich achtunddreiig Kronen verdienen!

    Wir aen in glnzender Stimmung, schmiedeten Plne fr die Zukunft, lieen unserer Phantasie die Zgel schieen ber den Einkauf verschiedener notwendiger Dinge fr das Atelier. Denn es sah ziemlich kahl bei uns aus. Der Raum war gro und htte daher eine unglaubliche Menge von Mbeln brauchen knnen. Die kleinen weien Schlafzimmermbel, die ich mitgebracht hatte, standen in einer Ecke hinter einem Wandschirm und verschwanden dort fast, und der Tisch, Arbeits- und Etisch zugleich, die Couch, der Beistelltisch und die beiden Korbsessel gengten auch nicht, um den Raum auszufllen. Wir htten spielend zwei vollstndige Wohnzimmereinrichtungen, einen Konzertflgel und einen Konferenztisch im UNO-Format hineinstellen knnen.

    Werd blo nicht bermtig, Wibke, mahnte Yvonne. Bring das

  • Geld auf die Bank jedenfalls vorlufig. Rhr das Sparbuch nicht an, ehe du nicht zweitausend Kronen beisammen hast. Zweitausend sind das mindeste, was du fr den Notfall haben mut.

    Du meinst, fr Krankheit, Tod und Begrbnis? Yvonne antwortete mir nicht, wie ich erwartet hatte. Sie sagte

    nmlich nicht: Ach, was redest du fr n Unsinn! Sie sagte nur ganz schlicht und vernnftig ja und fgte hinzu, jeder Mensch msse wenigstens so viel hinterlassen, da er auf anstndige Weise unter die Erde kommen knne.

    Ich hatte sechshundert Kronen auf der Bank. Das brige war fr die Beschaffung von Betriebsmitteln fr mein Geschft und fr meinen Mietanteil im ersten Monat draufgegangen.

    Mitten in der Nacht wachte ich auf und machte Licht. Es puckerte wie toll in meiner Hand.

    Ich schaute sie an. Vom rechten Zeigefinger lief ein roter Streifen am Unterarm hinauf. Es pochte und tat weh.

    Ob ich Yvonne wecken mute? Nein, warum denn? Sie konnte mir ja doch nicht helfen. Ich

    schlpfte leise aus dem Bett und suchte das Aspirin, nahm zwei Tabletten und legte mich wieder hin.

    Um sieben Uhr wachte ich auf. Jetzt waren die Schmerzen unertrglich. Ich rief nach Yvonne.

    Eine halbe Stunde spter war der Arzt da. Im Nebenhaus wohnte einer.

    Er war sehr jung und sehr bse. Was fllt Ihnen ein, so lange damit herumzulaufen? Er drckte meinen Finger zusammen, und ich sthnte. Ich hole ein Auto. Es ist das beste, Sie fahren ins Krankenhaus, in die Ambulanz, und lassen sich das schneiden. Sie kriegen eine kleine Betubung, die wird schon ntig sein.

    Mir wurde schwarz vor den Augen Krankenhaus Betubung Arztkosten nein, das konnten wir uns nicht leisten! Ich war ja nicht in der Krankenkasse!

    Weshalb knnen Sie es nicht gleich hier machen, Herr Doktor? Das kann ich natrlich. Aber es wird weh tun. Ach, sagte ich nur. Ich bin immer ein frchterlicher

    Angsthase gewesen, wenn es galt, Schmerzen auszuhalten. Yvonne mischte sich jetzt ein.

    Ja, danke, Herr Doktor, ich werde meine Freundin wegbringen. Sie mu sich nur eben anziehen.

    In Ordnung. Ich rufe das Krankenhaus an und sage Bescheid,

  • da Sie kommen. In einer Stunde ist das recht? Yvonne half mir beim Anziehen. Wir sagten beide kein Wort. Findest du mich sehr feige? fragte ich schlielich, als das

    Schweigen zu drckend wurde. Aber nicht doch, meine Gute. Wieder Schweigen. Yvonne band

    mir die Schnrsenkel zu. Yvonne! Was wrdest du an meiner Stelle getan haben? Ich wei nicht. Bist du jemals in so einer Lage gewesen? Mit Blutvergiftung nicht. Was denn? Ach ich hatte nur mal in Paris eine sehr grliche

    Zahngeschichte. War es schlimm? Ja, ich mute nmlich zu so nem billigen Zahnarzt gehen. Hat er ihn gezogen? Yvonne lchelte: Du mtest lieber fragen: Hat er ihn

    rausgebrochen? Ohne Betubung? Ja. Steh jetzt auf, dann helfe ich dir in den Mantel. Ich hatte

    wahnsinnige Angst. Aber ich dachte an Yvonnes Zahnziehen, und ich krampfte die Hnde zusammen und versuchte, tapfer zu sein, als ich sagte: Yvonne. Ich gehe rber zum Arzt. Er kann es in der Praxis machen. Yvonne sah mich kurz an.

    Schn. Du bist tapfer, sagte sie nur. Ich komme mit. Sie legte ihren Arm um mich, und wir zogen ab.

    Nein, ich war nicht tapfer. Ich schrie laut, als ich das Messer an meiner Haut sprte. Und ja, ich schme mich in Grund und Boden, aber es tat so unbeschreiblich weh ich glaube, ich schrie irgendwas, da ich doch lieber ins Krankenhaus wolle. Aber dann war es auch schon vorbei. Leichte, gebte Hnde machten einen Verband, und Yvonne lie mich los. Erst jetzt merkte ich, da sie mich die ganze Zeit mit beiden Armen festgehalten hatte. Dann hob sie ihre Hand und wischte mir den kalten Schwei von der Stirn.

    Nun hrte ich auch die Stimme des Arztes. So, es ist schon vorber. Nun drfen Sie die Hand aber eine

    Woche lang nicht gebrauchen. Kommen Sie bermorgen zur Nachuntersuchung.

    Da lag ich nun. Yvonne ging in einem frischgewaschenen Malkittel herum und rumte auf und machte sauber. Sie kochte Tee

  • fr mich und strich Butterbrote. Sie sagte nicht viel. Aber die Furche zwischen ihren Augenbrauen deutete daraufhin, da sie ber etwas nachdachte.

    Ich konnte mir schon denken, was es war. Ich wute, da das Geld fr die Zeichenstunden ausgegeben war, und vor dem nchsten Monat waren weitere Einnahmen nicht zu erwarten. Gestern war ein groer Brief an sie gekommen. Groer Brief und kleiner Brief war Yvonnes Jargon. Groer Brief bedeutete einen groen Briefumschlag mit einer zurckgesandten Zeichnung. Kleiner Brief war ein kurzes Schreiben mit der Nachricht, da eine Zeichnung angenommen sei.

    Du mut mein Sparkassenbuch nehmen und Geld abheben, Yvonne. Das hilft nun alles nichts. Ich kann dir nicht eine ganze Woche lang auf der Tasche liegen.

    Sie murmelte etwas vor sich hin. Die Worte verstand ich nicht, konnte mir aber den Sinn denken. In ihrer Kasse war augenblicklich vllig Ebbe.

    Die Zeit, die jetzt folgte, steht in meiner Erinnerung wie ein einziger Alptraum.

    Der Monat war zu Ende. Wir muten fr die Miete Geld von der Bank abheben.

    Yvonne zeichnete und zeichnete. Sie ging in die Stadt, kam zurck mit der Zeichnung in der Mappe und einem schmalen, blassen und entmutigten Gesicht. Ganz selten einmal brachte sie dreiig bis vierzig Kronen mit nach Haus. Es war unglaublich, wie lang dreiig Kronen reichen, wenn man vorsichtig damit umgeht und auf alles verzichtet, was nicht unbedingt notwendig ist. Sie gab ihre Stunden, kam nach Haus, besorgte den Haushalt, ging wieder fort.

    Wir sprachen wenig. Eines Tages ging es nicht mehr weiter. Ich konnte ihr ansehen,

    da es jetzt ganz schlimm war, fate mir ein Herz und sprach mich offen mit ihr aus.

    Hr mal. Du mut so was doch schon manchmal durchgemacht haben. Was hast du dann gemacht?

    Hab meine Halskette ins Leihhaus gebracht. Dann mut du es jetzt eben auch wieder tun. Die ist schon da. Ich ging an meine Kommode und kramte mit

    der heilen Hand in der obersten Schublade. Schau her. Du mut den Weg dann eben noch einmal machen. Ich reichte ihr die antike Brosche meiner Mutter. Yvonne nahm

  • sie an sich und ging, ohne ein Wort zu sprechen. So gab es auch an diesem Tag ein warmes Essen.

    Der Arzt besah sich meine Hand und ordnete an, da ich sie noch eine Weile im Verband tragen msse.

    Aber bald konnte ich nicht mehr. Ich wurde ganz krank davon, da ich nichts tun durfte. Also pilgerte ich einfach in die Stadt, hob zwanzig Kronen in der Bank ab und kaufte mir ein Paar Gummihandschuhe. Und am nchsten Morgen machte ich mich mit dem Moped auf den Weg.

    Der Tag brachte nur migen Erfolg. Zweiunddreiig Kronen brutto.

    Am nchsten Morgen ging ich wieder auf Arbeitssuche. Aber es war verflixt unbequem, mit Gummihandschuhen zu arbeiten.

    Und da platzte der rechte, als ich gerade dabei war, Ableger von einem alten Gromutterkaktus abzuknipsen.

    Rckfall. Der Arzt war wtend. Diesmal mute ich ins Krankenhaus, ob ich wollte oder nicht. Die

    ganze Geschichte mute noch einmal geschnitten werden. Obendrein noch ein ganzes Ende am Arm hinauf. Als ich aus der Narkose erwachte und auf den dicken Verband sah, wurde mir klar, da ich wirklich eine ausgewachsene Blutvergiftung gehabt hatte mit allem Drum und Dran.

    Ich mute zwei Tage dortbleiben, dann durfte ich wieder heimwrts ziehen.

    Als ich ins Krankenhaus ging, hatte ich noch etwas Geld auf der Bank. Drei Tage spter war es verbraucht.

    Yvonne zeichnete und zeichnete. Ich holte ein und machte mich mit der heilen Hand so ntzlich, wie ich irgend konnte. Viel war es nicht.

    Ich mute Milch holen. Ich getraute mich nicht, in unseren Milchladen zu gehen, dort hatten wir zuviel anschreiben lassen. Man hatte uns schon mehrmals eine Rechnung geschickt, und es war fast unmglich, weitere Ausreden zu finden.

    In dem anderen Milchgeschft an der Ecke hatte ich bis jetzt nur ein paarmal gekauft und dann immer bar bezahlt. Ich wollte jetzt mal sehen, ob ich es wagen durfte

    Ich bekam die Milchpackung und steckte die Hand in die Manteltasche, um das Portemonnaie herauszuholen. Es war darin, ich hatte es in den Fingern. Da versuchte ich, ein verlegenes Lachen anzustimmen und sagte: Ach, jetzt habe ich mein Geld zu Hause

  • liegenlassen. Ich bin aber auch zu schusselig. Darf ich spter vorbeikommen und bezahlen?

    Ja, gewi. Das liee sich schon machen. Fr Frulein Grundt, nicht wahr? Ja, gewi. Fr Frulein Grundt.

    So etwas wie ein Siegesgefhl beherrschte mich, als ich aus dem Milchladen trat. Jetzt hatte ich das Geld fr morgen noch in der Tasche. Mal sehen, ob ich es beim Bcker ebenso machen konnte?

    Tatschlich, es klappte auch da, aber nicht ganz so glatt. Die Verkuferin sagte einen Augenblick und verschwand ins Hinterzimmer, zum Bckermeister. Doch sie kam zurck und sagte, ja, es sei in Ordnung.

    Wenn ich heute daran zurckdenke, werde ich rot bis in die Zehen hinunter.

    Kleine Schwindeleien, halber Diebstahl, kleine Betrgereien, ein bichen Komdie spielen alles keine groe Sache, aber verzweifelte Waffen in dem grauen, hilflosen, qulenden Kampf um das Dasein.

  • Die wahnsinnig ulkige Knstleratmosphre

    Wir hrten Schritte auf der Treppe. Pscht! machte Yvonne. Es klopfte. Wir saen mucksmuschenstill mit angehaltenem

    Atem. Es klopfte noch einmal. Die Bckerrechnung, flsterte Yvonne wieder. Ich nickte. Der

    Junge vom Milchladen klopfte ganz anders. Die Schritte verhallten unten auf der Treppe. Wir atmeten auf.

    Jetzt waren sie beide dagewesen, so da wir fr eine Weile Ruhe hatten. Wenn nun blo nicht noch der Laufjunge vom Schuhmacher kam. Oder die Stromrechnung. Dann durften wir einfach nicht aufmachen. Wenn wir den Mann einlieen und an den Zhler heran, dann wrde er uns den Strom sperren.

    Yvonne ging fort. Ich wischte Staub und go die Blumen und dachte ber die Unterhaltung nach, die wir heute nacht gefhrt hatten.

    Ich hatte berlegt und berlegt, bis mein Gehirn ganz dumpf war. Alle Mglichkeiten zu prfen versucht. Ausweg berlegt, die Gedanken gedreht und gewendet, so lange, bis das Unmgliche mglich erschien, die Tatsachen ausgeschmckt und mir ausgemalt, wie Rede und Gegenrede lauten wrden.

    Da war zum Beispiel Nini. Sie wrde es nicht im geringsten auffllig finden, wenn ich sie besuchte. Und wenn ich lustig und ausgelassen plapperte wie sonst und nach einer Weile pltzlich etwa sagte: Du Nini, ich bin im Augenblick furchtbar klamm. Hast du zufllig Lust, mir hundert Kronen zu pumpen? dann wrde ich das Geld todsicher bekommen.

    Oder Tante Beate. Sie sa den lieben, langen Tag da und spielte mit ihren Damen Sechsundsechzig, hegte ihren Kater und war so lebensfremd und weltfern es wrde ihr nie auch nur im Traum einfallen, da ich tatschlich Not litte, wenn ich es so darstellte, als sei ich nur in einer vorbergehenden kleinen Bedrngnis.

    Ich hatte noch andere Eisen im Feuer. Aber diese beiden waren am besten.

    Nachdem wir abends das Licht gelscht hatten, arbeitete ich den Plan aus. Und fragte in die Finsternis hinein: Schlfst du, Yvonne?

    Nein. Da setzte ich es ihr auseinander, wie ich es mir vorher

    zurechtgelegt hatte.

  • Wibke! Die Stimme klang hart, ganz wach. Wenn du das tust, dann ist es zwischen uns beiden aus. Hast du verstanden?

    Ich antwortete nicht. Ich lag nur ganz still da. Lange Zeit. Dann fuhr Yvonne fort. Jetzt in etwas ruhigerem Ton. Sie fragte

    nicht, ob ich schlafe. Sie wute, da ich hellwach dalag. Man bringt die Schwierigkeiten nicht aus der Welt, indem man

    sie auf andere Menschen abwlzt, Wibke. Was wir nicht haben, darauf mssen wir eben verzichten. Selbstverstndlich wrde Nini dir die hundert Kronen leihen. Und selbstverstndlich wrde Tante Beate dir etwas Geld schenken. Aber das Geld wrdest du viel zu teuer bezahlen. Bist du eines Tages wieder obenauf, dann bereust du es bitter, da du dir einmal eine solche Ble gegeben hast, da du dich gedemtigt hast, da andere Einblick in dein Dasein bekommen haben, als es dir gerade am allerbelsten erging. Es ist besser, mit einem leeren Magen umherzulaufen, von dem keiner eine Ahnung hat, als sich auf anderer Leute Kosten satt zu essen. Und dann noch eins. Was du tust, das ist natrlich deine eigene Sache. Aber in diesem Fall sind wir zu zweit. Wenn du dich demtigst, demtigst du mich auch. Und das lasse ich nicht zu. Jetzt, da du selbst weit, wie das Leben aussehen kann, sollst du erfahren, da ich manchmal so ausgehungert war, wenn wir uns im Klub trafen, da ich es kaum abwarten konnte, bis wir zu Tisch gebeten wurden. Ich erinnere mich noch, wie wir einmal bei dir Schokolade mit Schlagrahm und belegte Butterbrote bekamen anstatt Tee und kleines Gebck. Du ahnst nicht, wie selig ich war. Da hatte ich eine ganze Woche kein warmes Essen bekommen. Aber keine von euch hat etwas gewut, keine htte sich auch nur vorstellen knnen, da ich buchstblich gehungert habe. Ihr redetet von der ,wahnsinnig ulkigen Knstleratmosphre und schwrmtet von einer Operette, in der poetische und verschuldete junge Knstler vorkamen, und wie aufregend so ein Leben doch sein msse o Gott, ich htte euch durchprgeln knnen, reihum, wie ihr dasaet und Quatsch redetet, ihr kleinen, gut geftterten Kken!

    Ihr spracht auch von Atelierfesten der Himmel mag wissen, wo ihr die komischen Vorstellungen her hattet, vielleicht aus Filmen oder schlechten Romanen o ja, ich entsinne mich noch an Ninis Beschreibung von dem Atelier, das sie sich mal einrichten wollte, mit Decken und Schals und Kissen und Matten und trkischen Tischen und wirkungsvoller Beleuchtung und einer Bar in der einen Ecke! Eine Bar, Wibke! Mit einer Batterie von Flaschen und Glsern und Salzmandeln in der Bchse und weit du das noch? Ja, ja,

  • natrlich gibt es Leute, die sich groe, schne, luxuris eingerichtete Ateliers leisten knnen, und da werden sicher auch Feste abgehalten. Unsere kleinen Freundinnen mit ihrem Hhnerhirn wissen aber eins nicht, da nmlich ein Atelier in erster Linie eine Arbeitssttte ist, auerdem in der Regel eine Huslichkeit, da man sich beides nicht leisten kann. La uns in Frieden, sage ich, la uns arbeiten und schuften und hungern und hier und da auch mal ein bichen flennen, aber bewahre uns davor, da wir rumgehen und interessant sind, und setze alles dran, damit um Himmels willen die andern Leute nicht in unser Dasein hineingezogen werden, wenn es gerade am allerschlimmsten aussieht!

    Yvonnes Stimme war dringend geworden, leidenschaftlich jetzt brach sie ganz pltzlich ab und sagte kein Wort mehr.

    Ich verstehe dich gut, sagte ich. Und kurz darauf kam ein Gutenacht vom andern Ende des Ateliers leise und warm, mit Yvonnes alltglicher Stimme.

    Meine Hand machte Fortschritte. Aber leider nur sehr langsam. Ich ging hin und wieder zum Arzt, um mich zu zeigen. Vorlufig nicht arbeiten, sagte er. Vielleicht in etwa vierzehn Tagen. Der Schnitt war tief, es hatte sich Eiter gebildet, und alles war wirklich scheulich. Fieber hatte ich auch gehabt, aber das wenigstens war wieder vorber.

    Unterdessen verstrich die Zeit das kostbare Frhjahr, das meine allerbeste Arbeitszeit htte sein sollen. Es dauerte nicht mehr lange, und dann wrde es fr dieses Jahr zu spt sein, Blumen umzutopfen und Stecklinge zu setzen.

    Na ja noch war es Frhling. Aber Ostern stand vor der Tr, und das bedeutete wieder eine ganze Woche Arbeitsausfall.

    Oh, wie waren die Tage lang! Lang und kalt. Denn es war trbes Wetter, und dann war es bei uns unertrglich kalt. Nur wenn die Sonne durch das groe Dachfenster fiel, hatten wir es warm.

    Yvonne trug eine Strickjacke unter dem Malkittel und Filzpantoffeln an den Beinen. Sie arbeitete verbissen und schweigsam. Sie hatte wenigstens ein kostenloses Modell sie malte mich im Sessel, in eine dicke Wolldecke gewickelt. Es war keineswegs gestellt. Ich hatte mich eines Tages so hingekauert, und da hatte Yvonne gestanden und mich unentwegt angestarrt. Nach einer Weile war sie nher gekommen und hatte den Sessel ein bichen gerckt die Malsachen hervorgeholt und angefangen. Als ich aufstehen wollte, rief sie nur: Bleib so sitzen! Die gesunde

  • Hand wurde blau vor Klte. Die kranke lag gut und warm in ihrem Verband.

    Yvonne malte. Sie verga die Mahlzeiten, sie verga alles; wenn ich etwas

    fragte, gab sie keine Antwort. Und ich sa und starrte sie an und erkannte, was sie in den mhseligen Jahren im Ausland und auch spter ber Wasser gehalten und was sie getrieben hatte. Ich sah das magere, gespannte Gesicht, die dnnen Finger, die den Pinsel hielten, das glatte schwarze Haar, das sie ab und zu mit dem Handrcken aus der Stirn strich.

    So sollten sie sie einmal sehen, alle die, die ber ihre Zeichnungen zu Gericht saen und sie dann ablehnten. Die ihre Bilder betrachteten und sie hbsch fanden, aber lieber Drucke von bekannten Gren kauften Vielleicht wrden sie dann verstehen, da die hbschen Bilder von einer wirklichen Knstlerin gemalt waren, von einer, die ihre ganze gequlte Seele in die Arbeit legte.

    Erst wenn es anfing, dunkel zu werden, legte sie den Pinsel aus der Hand und suchte etwas zu essen hervor.

    Wir lebten so spartanisch, wie ich mirs nie htte trumen lassen. Yvonne schien es berhaupt nicht anzufechten. Aber ich lief mit stndigem Hungergefhl herum.

    Und das, obwohl es uns gelungen war, meine Armbanduhr, den Ring meiner Mutter und das bichen Silber, das ich von meinen Eltern geerbt hatte, aufzuessen. In der Kommodenschublade lagen jetzt nur die Leihhausscheine. Die Summe, die wir brauchten, um die Sachen wieder auszulsen, schwoll immer mehr an.

    Ein wahres Glck, da wir nur so wenig dafr kriegen, versuchte ich eines Tages die Sache mit einem Witz abzutun. Dann ist es nicht ganz so schwierig, alles wieder einzulsen.

    Warte ab, bis du erst damit anfngst, sagte Yvonne. Dann schwieg sie wieder.

    Der Tag kam, da wir nichts Ebares mehr im Hause hatten. Das letzte Brot aen wir morgens zum Frhstck. Nun war

    Schlu. Ich knnte dies in allen Einzelheiten schildern. Ich knnte

    erzhlen, was es fr ein Gefhl war, knnte die Bitterkeit schildern, den Kummer und dergleichen mehr. Aber das schlimmste von allem war, da die Empfindlichkeit und der Hunger Hand in Hand mit der Scham gingen. Darum habe ich eine Scheu, nher darauf einzugehen.

    Als ich klein war, betete meine Mutter abends mit mir. Ich habe

  • es seither immer getan ohne eigentlich viel darber nachzudenken. Ja, ich mu gestehen, da ich mich einfach ab und zu an den lieben Gott wende, wenn das Leben einmal gar zu schwierig ist. Mehr oder weniger mechanisch sage ich ganz fr mich allein Lieber Gott, sei so gut und hilf mir, und da gibt es immer eine ganze Menge, wobei ich meiner Meinung nach der Hilfe bedarf.

    Gerade an diesem Tag wurde es mir pltzlich bewut, da ich dasa und vor mich hinflsterte: Lieber Gott, sei so gut und gib uns etwas zu essen.

    Pfui Kuckuck, wie ist es widerwrtig, wenn man sich sentimental vorkommt.

    Es klopfte an die Tr. Hallo seid ihr zu Hause? Kann ich Tee bei euch trinken?

    Kuchen habe ich mit. Es war Nini Nini, die sich alle Jubeljahre mal im Atelier sehen

    lie. Tee hatten wir, aber mehr auch nicht. Ich wollte euch nur daran erinnern, da morgen Krnzchen ist.

    Bei mir. Na ja, dachte ich mirs doch, ihr habt das natrlich vergessen. Der Apfelkuchen ist fr dich, Yvonne. Wibke, fr dich hab ich n Stck Napoleonschnitte mitgebracht. Nein, fr mich ist das nichts. Ich esse hchstens so ein Stckchen mit Nu. Ich mach zur Zeit eine Schlankheitskur durch. Acht Pfund soll ich abnehmen! Ach, wie ich euch beneide, da ihr so schlank seid. Wie stellt ihr das blo an?

    Yvonne und ich tauschten keinen Blick. Nini wartete auch gar keine Antwort ab. Sie begann im Atelier herumzuschnffeln.

    Ich liebe so ne Atelierluft, mt ihr wissen aber nein, das bist ja du, Wibke! Das ist aber wahnsinnig gut getroffen! Nini hatte sich vor die Staffelei gestellt. Du, Yvonne, wieviel kostet so ein Portrt bei dir?

    Von siebenhundert Kronen an aufwrts. Weshalb fragst du? Knntest du mich dann nicht mal malen? Ich mchte es Mama

    zum Geburtstag schenken. Wenn du es so schnell fertigbringst. Das wre in vierzehn Tagen.

    Es entstand eine kurze Pause. Mein Herz schlug rasend. Ach lieber Gott, la blo jetzt Nini nicht was Dummes sagen. Lieber Gott, la Yvonne diesen Auftrag bekommen. Lieber Gott

    Nini aber sagte das Gescheiteste, was sie berhaupt htte sagen knnen: Nun bist du aber bei mir nicht zu teuer! Ich habe mich diesen Monat vllig verausgabt. Im Ernst, Yvonne, du lt es mir

  • doch fr den Mindestpreis, nicht? Mehr als siebenhundert Kronen kann ich auf keinen Fall lockermachen dafr, das wirst du doch einsehen?

    Ich wei noch heute nicht, ob es damals bei Nini Diplomatie war oder ob sie wirklich blo so daherredete, ohne nachzudenken. Aber genau das, was sie sagte, sicherte Yvonne eine Einnahme von siebenhundert Kronen. Jetzt war Yvonne die Gtige und Entgegenkommende und machte einen billigen Preis whrend Nini die ganze Sache htte kaputtmachen knnen, wenn sie das gesagt htte, was in neunundneunzig von hundert Fllen gesagt worden wre: Du mut mir natrlich den gleichen Preis berechnen wie allen andern ich kann dir auch einen Vorschu geben. Dann htte Yvonne die ganze Bestellung abgelehnt, darauf wette ich meinen Kopf.

    Jetzt mischte ich mich ein und lachte. Pa blo auf, Yvonne! Nini will dich jetzt ausntzen sag ich

    das nicht immer? Vor seinen Freunden soll man sich in erster Linie hten. Du mtest dir irgendeine Sicherheit geben lassen, da Nini wirklich zahlt!

    Jetzt lat den Unsinn. Es ist abgemacht, Nini. Ich mal dich fr siebenhundert Kronen, und das Format wird angemessen sein. Wann kannst du fr mich Modell sitzen?

    Nini berlegte. Und erklrte darauf, da sie gern am Flgel gemalt werden mchte. Ob Yvonne nicht morgen im Krnzchen eine Skizze machen knne? Oder, halt mal Ninis Mutter sei morgen den ganzen Tag nicht da. Ob wir nicht zum Essen kommen wollten, dann knne Yvonne die Skizze machen, ehe sich die andern um sechs Uhr zum Krnzchen einfnden?

    Doch, das knnen wir wohl einrichten, sagte Yvonne so ruhig, als spiele eine Einladung zum Essen fr sie nicht die geringste Rolle.

    Als Nini fort war, lieen wir unsere Blicke ber den Kuchenteller wandern. Es waren noch zwei Stck Mrbekuchen da, ein Stck Sandtorte und eine Rumschnitte. Reichlich genug fr den Rest des Tages, wenn wir morgen zum Essen eingeladen waren!

    Die Miete ist also gesichert, wenn Nini bar bezahlt, sagte Yvonne und holte tief Luft. Dann legte sie einen Teller ber die Kuchenplatte und stellte sie in den Schrank.

    Am nchsten Abend, als wir vom Krnzchen nach Hause kamen und Licht machen wollten, stellten wir mit Betrbnis fest, da kein Licht da war. Der Schein eines brennenden Zndholzes fiel auf die

  • Plombe am Zhler. Die Hauswirtin mute den Mann von den Stadtwerken hineingelassen haben.

    Nun, dann war es also nicht zu umgehen, sagte Yvonne. Aber darauf kannst du Gift nehmen, die Rechnung wird morgen bezahlt und wenn ich der Redakteurin der ,Dame von Heute die Daumenschrauben anlegen soll. Seit zwei Monaten hat sie den Entwurf zu dem Titelblatt bei sich liegen; es wird wirklich mal Zeit, da sie sich entschliet.

    Wir steckten eine Kerze an, und ich warf Yvonne von der Seite einen Blick zu.

    Du! Komm mal eben her! Was soll ich denn? Ich antwortete nichts. Schttelte statt dessen

    meinen Handarbeitsbeutel aus. Auer dem Strickzeug kullerten drei Apfelsinen heraus, zwei belegte Brote, ein kaltes Kotelett und eine Handvoll kleiner Kuchen.

    Wibke! Pscht! Hast du nicht gesehen? Ich hab doch abdecken helfen. Ich

    war ganz bestimmt allein in der Kche. Du brauchst keine Sorge zu haben. Liebe, gute Yvonne, lach doch mal!

    ber Yvonnes Gesicht zuckten alle mglichen Anstze zu einer Reaktion zunchst stand Entrstung darauf zu lesen , das Ende war ein unbeherrschtes Gelchter.

    Man kann nun sagen, was man will, erklrte ich mit Nachdruck, aber diese wahnsinnig ulkige Knstleratmosphre hat doch einen gewissen Reiz! Pa auf, Yvonne, das Licht blakt!

  • Auf Regen folgt Sonnenschein

    Tja, sagte Doktor Steneng und runzelte die Stirn. Sie mten sich noch einige Tage Ruhe gnnen. Aber es verheilt jetzt blendend. Es war die garstigste Blutvergiftung, die mir vorgekommen ist.

    Na, na, allzuviel wirst du noch nicht gesehen haben, du Grnschnabel, dachte ich. Dr. Steneng sah aus, als habe er eben erst das Examen hinter sich.

    Aber, wie gesagt, Sie wissen, es ist besser, etwas zu vorsichtig zu sein

    Da hatte ich die Nase voll. Nach meiner eigenen Meinung hatte ich eine unwahrscheinliche, eine engelhafte Geduld an den Tag gelegt und noch dazu eine ganze Ewigkeit lang. Und dann mute man sich das sagen lassen man solle vorsichtig sein, obendrein mit einer soeben angenommenen, berlegenen Arztmiene!

    Wei der Himmel, Sie haben gut reden, entfuhr es mir. Denken Sie, ich hab nichts anderes zu tun, als rumzurennen, eine Hand in der Binde, und mich interessant zu machen? Denken Sie, ich lebe davon, da ich Ihre Patientin bin? Ich mu arbeiten, jawohl ich kann nicht rumlaufen und vorsichtig sein so sicherheitshalber!

    Der Arzt sah mich voll an, sehr ruhig. Ich mu Sie miverstanden haben, sagte er khl. Ich hatte

    gedacht, Sie befragten mich als Arzt. Von mir bekommen Sie rztliche Anweisungen. Ich wute nicht, da Sie den Privatmenschen in mir angeredet haben. Aber wenn dem so ist, dann sage ich natrlich etwas ganz anderes. Da sage ich, da Sie mir herzlich leid tun mit dieser Geschichte, und ich werde der erste sein, Sie zu verstehen, wenn Sie zu frh anfangen zu arbeiten. Ich htte Ihnen brigens als Mensch eine Menge zu sagen aber ich bin mir durchaus nicht sicher, da Sie Wert darauf legen, wenn ich menschlich offen bin. Sie sind zu mir gekommen, weil ich Arzt bin, und ich habe keinesfalls die Absicht, die Rolle des freundlich herablassenden Seelsorgers vor Ihnen zu spielen. Jedenfalls nicht unaufgefordert.

    Ich fhlte, da ich knallrot wurde. Der Mann hatte ja tausendfach recht.

    Ich meinte ja nur, da ja, ich bin es gewhnt, da ein Arzt auch ein bichen menschlich ist und versucht, auf die Lage Rcksicht zu nehmen, in der sich der Patient befindet

  • Jetzt lchelte Dr. Steneng. Komischerweise machte sein Gesicht einen viel erwachseneren und auch sympathischeren Eindruck, wenn er lchelte.

    Ja freilich. Man soll natrlich nicht nur Arzt sein. Man darf nicht zu einem Lungenkranken, der von der Frsorge untersttzt wird, sagen, er msse viel Eier und Milch zu sich nehmen und frische Luft und in ein Hochgebirgssanatorium gehen, danke, das wren dann vierzig Kronen. Aber auf der anderen Seite, sehen Sie nun ja, ich kann es Ihnen ja jetzt erzhlen, da wir schon mal davon angefangen haben , ich war selber als ganz junger Kerl bei einem solchen Opapa von Doktor, der mir Eisenpillen verschreiben sollte. Und das war so der Typ von Seelsorger, wissen Sie. Der forschte und fragte und war hchst indiskret und mischte sich in lauter Dinge, die nicht das geringste mit meiner Bleichsucht zu tun hatten. Und als ich nun selber Arzt wurde, schwor ich mir, nie meine Patienten damit zu plagen, da ich als Mensch auftrete. Lediglich als Arzt, ganz khl und geschftsmig, verstehen Sie? Aber vielleicht gehe ich zu weit. Es mag sein, da Sie da recht haben.

    Mein Respekt vor dem Grnschnabel stieg mit der Geschwindigkeit eines Weingeistthermometers. Seine Worte lieen mich jetzt ganz klein werden. Ich stand auf.

    Gut. Ich mchte Ihnen, solange Sie noch Mensch sind, nur sagen, da ich morgen anfange zu arbeiten und jetzt mache ich, da ich wegkomme, ehe Sie wieder nur Arzt sind und es mir untersagen. Auf Wiedersehen!

    In der Tr drehte ich mich ganz kurz um. Er lchelte von einem Ohr zum andern.

    In unserem Treppenhaus duftete es nach Kaffee. Nach wunderbarem, verlockendem Kaffee. Sollte es mglich sein hatte Yvonne

    Tatschlich. Yvonne hatte Der Wasserkessel summte, der Trichter stand auf der Kanne, und auf dem Tisch prangte eine groe Platte mit Butterbroten. Mit Kse und Wurst und Sardinen belegt. Und eine Zehnerpackung Zigaretten lag da, und die Lampe neben der Couch glnzte und strahlte. Yvonne lchelte ber das ganze Gesicht.

    Der Elektrizittsmann ist eben fort. Ich habe die Rechnung heute morgen bezahlt. Komm und i.

    Man brauchte mich nicht zu ntigen. Jetzt erzhl mal!

  • Es kommt von der ,Dame von Heute. Zweihundert Kronen fr die Titelseite. Eine ausgezeichnete Zeitschrift, nicht wahr? Die Redakteurin ist sympathisch. Ich habe mich lange mit ihr unterhalten. Hinterher ging ich noch in die Reklameabteilung hinber. Vielleicht kriege ich Annoncen zum Illustrieren. Es kommt mal vor, da die Kunden Vorschlge fr die Bebilderung haben wollen. Und dann habe ich ihr die Kinderseite hingelegt der Redakteurin. Sie wollte sie sich erst mal genauer ansehen, ich soll in ein paar Tagen Antwort kriegen.

    Die Kinderserie war eine Zeichenserie, die unendlich lange herumgelegen hatte. Ich fand sie lustig. Sie eignete sich glnzend fr kleine Kinder, die noch nicht lesen knnen, denn die Bilder waren so anschaulich, da sich der Text erbrigte. Yvonne hatte sie angeboten wie saures Bier, aber berall zur Antwort bekommen, die Agenturen lieferten einem leider fr solche Dinge fertige Matern, und das sei viel billiger.

    Aber Yvonne, das ist ja glnzend! Freust du dich nicht? Doch, natrlich. Aber ich habe im Laufe der Zeit gelernt, da

    man keine Freude auf Vorschu nehmen darf. Man darf nichts glauben, ehe man nicht den unterschriebenen Vertrag in Hnden hat oder den Scheck, am besten das Bargeld. Yvonne lchelte. Schau her. Ich habe die letzte Nummer der Zeitschrift mitgebracht. Die, die morgen im Handel zu haben ist. Willst du sie dir ansehen, whrend ich aufwasche?

    Ich kann dir abtrocknen helfen. Nein, guck dir die Zeitschrift an. Ehrenwort ich mchte am

    liebsten allein aufwaschen. Nun wohl, ich schaute mir die Zeitschrift an. Die Dame von

    Heute ist ja unsere allervornehmste Frauenzeitschrift. Das Papier ist dick und glatt wie Wachstuch, die Klischees sehen aus wie Spezialaufnahmen von einem Hoffotografen, der Inhalt ist so vornehm, da einem die Puste ausgeht. Da sind Fotos und Interviews mit den Gemahlinnen von Generalkonsulen, Generaldirektoren und Gutsbesitzern, von irgendeiner unerhrt berhmten Schauspielerin und selbstverstndlich von Ministergattinnen und dergleichen mehr. Und dann bringt sie Strickvorlagen und ganz vernnftige Sachen, aber alles so unglaublich gediegen aufgemacht, da man das Gefhl hat, pltzlich selber furchtbar vornehm zu sein, wenn man die Zeitschrift nur in der Hand hat.

    Na ja ich berflog diagonal ein Interview mit einer Frau

  • Minister Sowieso, erfuhr, da ihr Liebling ein preisgekrnter Griffon sei das Tier war abgebildet, ich vermute, es war ein Hund da es rohe Eidotter und Schabefleisch zu fressen bekam und da es zu ihrem Kostm aus bernsteinfarbenem Wollgeorgctte mit einem Besatz Fliegender Hund pate. Mir wurde ferner mitgeteilt, da die Dame fr den Skisport schwrme, da sie leidenschaftlich gern Golf und Tennis spielte, da ihr Boudoir mit handgestickten Louis-Seize-Mbeln eingerichtet sei und da sie Chopin liebe. Dann war meine Kraft zu Ende, ich bltterte weiter bis zum Praktischen Skipulli und arbeitete mich ber Einen bezaubernden Pfingsttisch und Die Berufsfrau als Hausfrau -Aussprche von einer Reihe bekannter, beruflich ttiger Hausfrauen zum vierten Artikel der Serie Jugendlicher Unternehmungsgeist durch.

    Ach ja, von dieser Serie hatte ich schon frher einige Artikel gelesen. Sie handelte von jungen Frauen in originellen Berufen. Ich schaute mir die Bilder an und bekam einen Schrecken. Gab es wirklich noch eine, die dieselbe Idee gehabt hatte?

    Es dauerte etwa eine halbe Minute, ehe ich merkte, da das Mdchen auf dem Bild ich selber war. Von oben aufgenommen, auf einen groen Hofplatz hinunter. Ich war gerade im Begriff, das Fhrerscheinfreie zu besteigen, und von dem Gepcktrger glnzten dem Beschauer meine Eimer und andere Gertschaften entgegen. Yvonne! schrie ich. Das hast du gemacht!

    Yvonne stand in der Tr und schaute zu mir herber. Nein, ich denke nicht daran. Aber wer kann es gewesen sein? Wann in aller Welt bist du interviewt worden?

    berhaupt nicht! brllte ich fast. Es ist mir ein Rtsel. Wart aber mal, la mich mal lesen.

    Ich las. Jedes Wort stimmte. Wenn ich das alles nicht gesagt habe, so htte ich es jedenfalls sagen knnen. Eine unwahrscheinlich gute Reklame! Und die Schlusumme, die der Interviewer aus dem Eindruck zog, den meine Wenigkeit gemacht hatte, und die kleinen Bemerkungen ber meine Arbeit und meine bewunderungswrdige Initiative und meine geniale Idee muten mir ja haufenweise neue Kunden zufhren.

    Aber Yvonne wer hat das blo gemacht? Im Ernst warst dus wirklich nicht? Ehrenwort!

    Ehrenwort! Drei Finger hoch. Ich habe nichts geahnt, bis ich die Zeitschrift durchbltterte.

    Ich schaute mir das Foto an. Wo war das denn aufgenommen?

  • Ach ja, vor Hansis Wohnblock, wo ich am ersten Tag war. Pltzlich ging mir ein Kirchenlicht auf. Die Dame, bei der ich an

    dem Vormittag Tee getrunken hatte! Die Dame, die mir frische Semmeln angeboten hatte und eine Zigarette und mich dann nach meinem Beruf ausgequetscht hatte. Wie htte ich denn aber auch ahnen sollen, da sie Mitarbeiterin von Die Dame von Heute ist!

    Das hinterlistige Stck, htte sie nicht ebensogut sagen knnen, da sie die Absicht habe, mich drucken zu lassen?! Sie hatte ganz offensichtlich von vornherein die Absicht gehabt, da sie mich ja vom Fenster aus heimlich aufgenommen hatte.

    Ich lie mir ihren Namen sagen und lutete sie an. Sie lachte und war etwas verlegen. Im Ernst, Frulein Grundt,

    Sie sind mir doch nicht bse? Nein, es ist sonst gar nicht meine Art, Leute heimlich zu interviewen. Und als ich anfing, mich mit Ihnen zu unterhalten, hatte ich auch gar keine Hintergedanken dabei. Erst nachdem Sie fort waren, kam mir die Idee, und da sauste ich mit meiner Kamera ans Fenster und kriegte Sie noch gerade zu fassen. Ich hatte aber keine Ahnung, wo Sie wohnen, sonst htte ich mir Ihre Einwilligung geholt. Aber glauben Sie nicht, da es fr Sie eine fabelhafte Reklame ist?

    Aber ja, das glaubte ich allerdings. Es endete damit, da ich ihr herzlich dankte: fr das Interview, fr das heimliche Foto, fr die ganze Geschichte und berhaupt.

    Am nchsten Morgen um neun Uhr war ich wieder auf der Walze. Es ging gut. In einigen Wohnungen sah ich Die Dame von Heute auf dem Tisch liegen. Vielleicht wrde ich morgen die Auswirkungen zu spren bekommen.

    Darum nderte ich fr den nchsten Tag mein Ziel. Ich fuhr in eine wohlhabendere Gegend, dorthin, wo man vermuten konnte, da die Bewohnerinnen Leser der Dame von Heute waren.

    Und ob man es gelesen hatte, o ja! Ich wurde in jedem Hause reizend empfangen. Und ausgefragt und bewundert und mit Kuchen und Zigaretten beglckt. Oho, das war mal was!

    Noch am selben Nachmittag bezahlte ich beide Milchrechnungen, den Schuhmacher und den Bcker.

    Yvonne arbeitete eifrig und fleiig mit dem Portrt von Nini. Das Bild von mir, das noch eine letzte berarbeitung haben sollte, wurde solange weggestellt.

    Es ist ganz merkwrdig, sagte Yvonne eines Tages, als Nini ihr Modell gesessen hatte. Mit diesem Portrt geht es ausgezeichnet,

  • ich glaube, ich habe das Lcheln und auch den listigen Funken in den Augenwinkeln eingefangen. Aber weit du, es wre nie so gut vonstatten gegangen, wenn ich nicht so guter Stimmung gewesen wre. Das Bild von dir dagegen das mute ich malen, als ich ganz und gar herunter war. Und ich krieg es sicher nie fertig, es sei denn, wir kriegen wieder eine dstere Zeit.

    Ach, die kommt sicher, sagte ich trstend. Das nchste Mal werde ich es aber ruhiger nehmen, jetzt hab ich ja bung.

    Am nchsten Tag kam Yvonne nach Hause und gab mir meine Armbanduhr zurck.

    Nanu? fragte ich. Die Kinderserie, lchelte Yvonne. Angenommen. Hundert

    Kronen fr jede Nummer. Vorschu. Da bedauerten Yvonne und ich zum erstenmal, da wir keinen

    Sekt hatten. Wir hatten das Verlangen, auf Die Dame von Heute anzustoen.

  • Eine neue Ttigkeit

    Das Gute kommt nie allein, sagte Yvonne. Sie hatte gerade Geld fr Ninis Bild bekommen, das sehr gefallen hatte. Auerdem kam ein Auftrag von Die Dame von Heute: eine Anzeigenserie fr einen Parfmgrossisten.

    Unsere gemeinsame Kasse hatte Geld auch bitter ntig, zu vieles war im letzten Monat vernachlssigt worden. Und dann die vielen Lpperschulden und all die Pfandscheine! Dazu meine Arztrechnung!

    Ich ging zu dem jungen Onkel Doktor hinber, um die Rechnung zu begleichen.

    Whrend er meinen Namen in der Kartothek suchte, hrten wir, wie die Tr zum Wartezimmer aufgerissen wurde und im selben Augenblick auch schon die Tr zum Sprechzimmer. Die Frau vom Milchgeschft, die im ersten Stock dieses Hauses ihre Wohnung hatte, kam hereingestrzt.

    O Gott, ich habe mich so frchterlich verbrht, die Trnen strmten ihr ber das Gesicht, und sie streckte dem Arzt einen glhend roten, verbrannten Arm hin.

    Dr. Steneng handelte schnell und wortlos. Ich starrte mit offenem Munde auf den verbrhten Arm. Brandsalbe, Umschlag und um das Ganze dann eine Mullbinde. In drei Minuten war alles erledigt.

    Eine Schande, da die Leute so was nicht selber machen knnen, murmelte er. Er schrieb eine Quittung fr mich aus, nahm das Geld in Empfang kurz und geschftsmig. Heute war er offensichtlich nur wieder Arzt.

    Wenn ich gewut htte, wieviel mir der verbrhte Arm der Milchfrau bedeuten sollte!

    Sonnige Maitage. Ich machte die Augen zu, wenn ich an Kleidergeschften oder Schuhlden mit den neuen leichten, flachen Sandalen vorberging. Es war nur ein Glck, da ich soviel aus reichen, alten Tagen anzuziehen hatte. Die Sommerkleider vom vorigen Jahr waren gar nicht so bel. Ich holte sie heraus, um sie zu untersuchen. Die Shorts und die Strandjacke packte ich mit einem Seufzer wieder ein. Fr die wrde ich in diesem Jahr bestimmt keine Verwendung haben, o nein. Ich war berhaupt ziemlich nervs. In kurzer Zeit war Schlu mit der Pflanzarbeit. Was sollte ich dann beginnen?

  • Aber ein Zufall kam mir zu Hilfe. Ich hatte bei einer freundlichen Witwe, mit der ich mich auf das

    lebhafteste unterhielt, dreiig Zimmerpflanzen umgetopft. Und ich ermahnte sie, ihnen reichlich Wasser zu geben,

    namentlich den kleinen Ablegern vom fleiigen Lieschen, die ich fr sie gesetzt hatte.

    Ach ja, es ist alles so schwierig, seufzte sie. Ich will jetzt im Sommer verreisen, und hren Sie mal, Sie sind doch Blumendoktor. Knnten Sie nicht whrend meiner Ferien die Zimmerpflanzen in Pflege nehmen?

    Ich Schafskopf! Warum hatte ich daran nicht schon lngst gedacht? Selbstverstndlich sie wrden im Atelier mit der vielen Sonne vorzglich gedeihen. Man brauchte nur auf jede einzelne Pflanze einen Zettel zu heften, mit Namen und Adresse des Besitzers, dann und dann bernommen, zu dem und dem Datum wieder abzuliefern. Ein ganz neuer Zweig meines Geschfts!

    Aber natrlich, sagte ich rasch, das tue ich gern. Ich hole und bringe sie und verpflichte mich, sie erstklassig zu pflegen.

    Das ist ja ausgezeichnet! sagte die Witwe erfreut. Knnten Sie meine nicht am sagen wir mal am 15. Juni abholen?

    Ich notierte mir den 15. Juni und machte mich aus dem Staub, ehe ihr einfiel, da sie mich fragen msse, wieviel ich dafr berechnete. Das mute ich mir nmlich selbst erst ausrechnen.

    Ein paar Tage darauf hatten Yvonne und ich eine umfangreiche Arbeit zu bewltigen. Sie mute mir helfen, denn es eilte. Wir zogen durch die ganze Stadt und steckten abermals Reklamekarten in die Briefschlitze.

    Ihre Zimmerpflanzen werden fr den Sommer in Aufbewahrung genommen. Vernachlssigen Sie Ihre Blumen nicht, whrend Sie in Urlaub sind! Senden Sie dem Blumendoktor Wibke Grundt, Lindenstrae 12, eine Karte. Die Pflanzen werden abgeholt und zurckgebracht.

    Und die Postkarten kamen, wie erhofft! Ich holte haufenweise Pflanzen ab. Es war eine mhselige Arbeit, sie zu bezeichnen und aufzustellen. Sie wurden unter das Dachfenster auf lange Bretter gestellt, die auf Kltzen ruhten. Schn sah es nicht aus, aber das war nicht zu ndern. Und lften muten wir den ganzen lieben, langen Tag und die Nacht dazu, sonst wren wir vom Bltenduft betubt worden. Wir muten das Dachfenster sperrweit ffnen, so schwierig es auch war. Das kleine Giebelfenster lag zum Hinterhof, das hielten

  • wir in der Sommerhitze fest verschlossen. Eines Tages besuchte ich Tante Beate. Der Liebling Kille und

    Tantchens Sorge um Katzen, die weniger glcklich daran waren als er, brachten mich auf eine neue Idee.

    Es ist so unerhrt von allen diesen Leuten, die im Sommer wegreisen und ihre Katzen allein lassen, seufzte Tante Beate. Die rennen dann rum und hungern ach, da bist du ja, Kille, wir gehen jetzt zu Ingeborg und holen uns was zu fressen

    Ingeborg war die unersetzliche Kchin des Stifts. Sie hatte immer einen Vorrat von Essenresten fr Kille, und Kille nahm zu und wurde faul, wie nur die wirklichen Vielfrae faul werden knnen.

    Ich grbelte. Sagte Auf Wiedersehen! zu Tante Beate und zu Kille und lief im Trab nach Hause. Vom nchsten Morgen an versuchte ich, meine Kunden auszuhorchen, ob sie Katzen hielten. Bei vielen war das der Fall. Da bot ich ihnen meine Dienste an: Ich wollte whrend der Ferien nach den Tieren sehen, ihnen Futter und Milch hinstellen und den Frenapf sauberhalten.

    Viele waren interessiert, was ich dafr nhme? Ob ich die Katzen zu mir nach Hause nhme oder wie ich es mir gedacht htte?

    Nein, ich wolle tglich hinkommen, erklrte ich. Man msse nur dafr sorgen, da irgendein Schlupfwinkel da war, ein Kellerloch oder ein offenstehendes Kellerfenster, wo ich das Futter hinsetzen konnte. Die Katze sollte eine reichliche Menge gekochten Fisch und ein Viertelliter Milch pro Tag bekommen. Wenn ein Korb oder eine Kiste da war, dann wrde ich die Decke ausschtteln und berhaupt der Mieze die Sommerzeit lebenswert gestalten. Hierfr forderte ich vier Kronen fr den Tag. Ich hatte mich nmlich erkundigt, was die Haustierklinik nahm, und erfahren, da deren Preis fnf war. Mein Vorschlag war also nicht nur billiger, sondern auch fr die Tiere besser. Yvonne und ich hatten ausgerechnet, da bei zehn Katzen die Milch und der gekochte Kohlfisch der billig ist, wenn man viel auf einmal einkauft an die drei Kronen fr die Tagesration ausmachen wrden. Blieben also gut eine Krone fr Treibstoff fr das Moped und den Arbeitslohn.

    Ehe noch die Schulferien begonnen hatten, waren mir achtzehn Katzen und ein Wald von Pflanzen anvertraut worden. Die Hlfte der Kosten hatte man mir im voraus angezahlt.

    Ich war unterwegs, um in einer Wohnung am Stadtrand Pflanzen abzuholen. Whrend ich die Namensschildchen anbrachte, unterhielt mich die jngste Tochter des Hauses, die mit ihrer Mutter allein

  • daheim war. Es war ein kleiner Lockenkopf von fnf Jahren, mit einem Minimum von Kleid, Grbchen in den rundlichen Armen und Knien. Ein liebes, niedliches Geschpf.

    Wir kriegen heute Schokolade zum zweiten Frhstck, verkndete sie mir mit zinntellergroen Augen und einem Strahlen ber dem ganzen Gesicht.

    Das ist aber herrlich, sagte ich. Und das meinte ich auch so. Nchstes Jahr komme ich in ne Schule, fuhr der Lockenkopf

    fort. Das wird aber ein Spa, entgegnete ich freundlich und

    scheinheilig. Meine eigene Schulzeit hat mir nicht sonderlich viel Spa

    gemacht. Ich kann schon Buchstaben lesen. Ich hab n Buch mit

    Buchstaben drin. Willst dus sehn? Ach ja, furchtbar gern, antwortete ich. Es wrde schwerlich viel

    Mhe kosten, ein bichen Teilnahme fr ein Buch mit Buchstaben darin zu heucheln.

    Ich mu Mutti fragen, wos ist. Der Lockenkopf verschwand durch die Kchentr. Ich arbeitete weiter an meinen Pflanzen und lchelte vor mich hin. Das war ein bezauberndes, kleines Kind.

    Ich fuhr zusammen. Aus der Kche erscholl ein wilder, herzzerreiender Schrei. Ich raste zur Tr, hinter der das Kind verschwunden war kam in die Kche und sah mit einem Blick, was geschehen war: Eine Kasserolle mit Schokolade war umgekippt, und die dampfende braune Flssigkeit lief ber das Bein des kleinen Kindes. Gleich hinter mir kam die Mutter aus einer anderen Tr angelaufen.

    Um Gottes willen, mein Ginchen! Die Mutter nahm das Mdchen auf den Arm und wollte mit ihm zum Wasserhahn strzen.

    Nein, schrie ich auf, um Gottes willen kein Wasser! Geben Sie mir schnellstens etwas l.

    Ich ri ein Handtuch vom Haken und tupfte ganz behutsam die Schokolade von dem Beinchen ab. Ri die Sandale vom Fu, zog vorsichtig den Wadenstrumpf herunter, und von dem Salatl, das mir die Mutter reichte, go ich etwas ber das Bein. Dann umwickelte ich es mit dem Handtuch. Beschaffen Sie sofort Brandsalbe, aber ganz schnell. Und Mullbinden. Beeilen Sie sich. Ich halte das Kind solange.

    An der Ecke war eine Apotheke. Und die Mutter hatte flinke

  • Beine. Aber so lang ist mir die Zeit noch nie geworden wie in diesen Minuten mit dem kleinen, schreienden Wesen in den Armen; es hatte zu allem Unglck noch furchtbare Angst vor mir bekommen, es glaubte sicher, ich wrde ihm noch mehr weh tun. Dann kam die Salbe. Ich bestrich den Mull mit einer dicken Schicht und legte ihn auf die verbrhte Stelle, so wie Doktor Steneng es bei der Milchfrau getan hatte. Auen herum eine Mullbinde. Erst lange Zeit spter erfuhr ich, da man Mullbinden von unten nach oben wickeln mu, damit der Verband hlt. Ich machte es also richtig, ohne es zu ahnen. Ich hatte nie in meinem Leben einen Verband angelegt, aber mein gesunder Menschenverstand oder eine Art Instinkt leiteten mich. Die Brandsalbe linderte die Schmerzen sehr schnell. Das Schreien klang nicht mehr so verzweifelt. Bald ging es in leises Wimmern ber. Dann hrte auch das Wimmern auf, die Kleine sa jetzt auf meinem Scho und sah mich mit groen, rotverweinten Augen an.

    Es wird ganz schnell wieder gut sein, Ginchen, flsterte ich. Und dann kannst du hinterher allen Kindern auf der Strae zeigen, wo du dich verbrht hast. Da werden die aber staunen! Die Augen des Kindes wurden noch grer.

    Die Kinder auf der Strae haben sich nicht verbrht, nicht wahr? fragte es. Dann kam ein kleiner, schluchzender Seufzer. Es wandte den Kopf und blickte zu der Mutter hin.

    Mutti, krieg ich ein Dreirad? Ginchen, Ginchen, du hast genau gewut,


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