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Dr. Frank Haß, Institut für Angewandte Didaktik

Institut für angewandte Didaktik Zur Rolle von Grammatik

Bildungsmesse Didacta 19.02.2013


im kompetenzorientierten Englischunterricht


Zur Rolle von Grammatik im kompetenzorientierten Englischunterricht

Teacher: Grammar! Grammar!

Students: Who the < peep > is grandma?

Teacher: „Where“ and „when“ and „how“ and „who“.

Students: Bla, bla, bla and shoobedoo,

You tell us things we‘ll never know.

Teacher: Welcome to our grammar show!

(spontanes Stegreifgedicht einer Berliner Lehrerin auf die Frage,

was sie mit dem Begriff Grammatik assoziiere)

Who the <peep> needs grammar?



inhärente Grammatik : das einer Sprache inhärente Regelsystem

mentale Grammatik : das vom Lerner erworbene interne Regelsystem

(angeborenes Sprachlernprogramm > Chomsky)

linguistische Grammatik : linguistische Darstellung des Sprachsystems

didaktische Grammatik : für den FSU konzipierte Darstellung des Sprachsystems

• Nachschlagegrammatik (lehrwerksbezogen /

lehrwerksunabhängig)

• Lerngrammatik (lehrwerksbezogen /

lehrwerksunabhängig)

Was ist Grammatik?



Die Frage:

Braucht der Fremdsprachenlerner Grammatikunterweisung?

Die Antworten in der Geschichte des FSU:

Ja > Grammatik-Übersetzungsmethode

Nein > Direkte Methode

Der FSU und Grammatik



Ursprung in den philosophischen Strömungen der griechischen Antike (Sophisten,

Sokrates, Isokrates)

Aristoteles > Metapher Hausbau:

Plan des Hauses (Form / Struktur) > Grammatik

Baumaterial (Stoff / Materie) > Lexik

das fertige Haus > Kommunikationsfähigkeit

Grammatik auch als formalbildendes Element (Schulung des Denkens / der Kognition)

Die Grammatik-Übersetzungsmethode



starker Einfluss über den altsprachlichen Unterricht (Humboldtsche-Süvernsche

Universitätsreform) bis in den FSU der Gegenwart

sprachanalytischer Ansatz

Sprachwissen vor Sprachkönnen

Vorrang des Schriftlichen vor dem Mündlichen

Orientierung an literarischen Texten

Übersetzung in die Muttersprache

Die Grammatik-Übersetzungsmethode



bereits in frühen Kulturen Lernen von Fremdsprachen (Handel)

Spracherwerb durch sprachbegleitetes gemeinsames Handel

Hören und Sprechen als basale Sprachtätigkeiten

natürliche Imitation

alltägliche, relevante Kommunikationssituationen

Realia als Anschauungsmittel

Die direkte Methode



Vietor 1882 (Der Sprachunterricht muss umkehren!)

pragmatisch-realistische sprachliche Bildung:

Sprachkönnen vor Sprachwissen

Vorrang des Mündlichen vor dem Schriftlichen

Orientierung am alltäglichen Sprachgebrauch

(aufgeklärte) Fremdsprachigkeit

Die direkte Methode



Spannungsfeld:

zentral, unverzichtbar

verzichtbar, schädlich

Aber: Existenz von Grammatik als aufzubauendes Inventar sprachlicher Regeln wird

niemals negiert!

(vgl. Gnutzmann 2010 : 112)

Die Rolle von Grammatikunterricht



Wichtig: Unterscheidung von

natürlichem Zweitspracherwerb und

institutionellem Fremdsprachenlernen

Der FSU und Grammatik



1. Stufe: - Ein-Wort-Äußerungen (Pizza. Pizza? This here. This here?)

- Formulae (How are you?)

2. Stufe: - Plural - s (I like cats.)

- Past - ed (John played.)

- ing - forms (Jane going.)

- Possessive - s (Pat’s cat is fat.)

- SVO - Aussagen (I live here.)

- SVO - Aussagen negiert (I no live here.)

- SVO - Fragen (You live here?)

Exkurs: Zur Spracherwerbsfolge



3. Stufe: - Verb Voranstellung (Have you a hobby?)

- Wh - Voranstellung (Where is he?)

- Aux. - Voranstellung (Can I go home?)

- Do - Voranstellung (Do he go home?)

- Adverb - Voranstellung (Now I go home.)

- Possessive Pronouns (I show you my garden.)

- Object (Mary called him.)

4. Stufe: - Kopula - Inversion (Is she at home?)

- Verb Particle (Turn it off!)




5. Stufe: - Do - Zweitstellung (When did she see that?)

- Don’t - Zweitstellung (Why didn’t you buy that?

- 3. P. Sg. - s (Peter likes bananas.)

6. Stufe: - Indirekte Frage (I wonder where he is.)

(vgl. Pienemann et al. 2006)

Offene Frage:

Trifft dies wirklich auch für das institutionelle Fremdsprachenlernen zu?




das generative Prinzip: von endlichen Mitteln unendlichen Gebrauch machen

Sprachen schwanken zwischen Analogie und Anomalie / Regel und Ausnahme

Regelmäßigkeiten helfen, vom bloßen Auswendiglernen wegzukommen

grammatische Variationen sind Sinnvariationen

(vgl. Butzkamm 2004)

Lob der Grammatik



Schüler wollen wissen, wie Sprache funktioniert.

Fehlerfreier Gebrauch der Sprache erfordert Bewusstmachung

(u.a. Vermeidung von Fehlern durch falsche Analogiebildung).

Abkürzung natürlicher Lernprozesse durch Wissensvorsprung des Lehrenden

(vgl. Butzkamm 2004)

Gründe für Grammatikunterricht



Leitfragen (nach Mertens 2006 : 194):

Welche Redeabsicht soll versprachlicht werden?

Ist sie für die Lerngruppe geeignet?

In welcher Situation soll sie zum Tragen kommen?

Mit welchen Sprachmitteln ist sie am effektivsten zu bewältigen (funktionale Reflexion)?

Ist meine Auswahl konform mit dem Curriculum?

Welche Grammatik?



Ziel: Fremdsprachliche Bildung als wesentlicher

Bestandteil allgemeiner Bildung

Wie lehren?



Meister Eckhardt - Ursprung des Bildungsbegriffes

Bildung in der klassischen Antike

Der Bildungsbegriff bei Comenius

Das Bildungsverständnis der Aufklärung

Bildung im deutschen Neuhumanismus

Der Bildungsbegriff bei Hegel

Der Bildungsbegriff der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik

Adorno und die Kritische Theorie

(vgl. Haß 2010 : 116 ff.)

Was ist Bildung?



Fazit:

Ein einheitliches Verständnis von Bildung ist in der aktuellen Bildungsdiskussion in

unterschiedlichen gesellschaftlichen Dimensionen nicht auszumachen.

Was ist Bildung?



Individualität und Gesellschaftlichkeit

Gesellschaften konstituieren sich über aktive Mitwirkung von Individuen

Individuum zur mündigen Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs befähigen

(vgl. Hallet 2011 : 29 f.)

Was ist Bildung?



In neueren bildungstheoretischen Publikationen wird Bildung häufig mit

Kompetenzerwerb gleichgesetzt.

Reizwort Kompetenzerwerb?



Was ist Kompetenz?

?



In der aktuellen bildungspolitischen Diskussion wird der Kompetenzbegriff inflationär, häufig

unreflektiert gebraucht!

Was ist Kompetenz?



„competere“ = zusammenfallen, zusammentreffen

Wenn die Erfordernisse der Situation mit dem individuellen Konglomerat von Wissen,

Fähigkeiten und Fertigkeiten und der Bereitschaft des betreffenden Individuums

„zusammentreffen“, so besitzt dieses die „Kompetenz“ zur Bewältigung der Situation.

(vgl. Wollersheim 1993 : 89)

Was ist Kompetenz?



Der Kompetenzbegriff nach Weinert:

„Kompetenzen sind die Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten

und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen motivationalen,

volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösung in variablen

Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“

(Weinert 2001 : 27 f.)

Was ist Kompetenz?



Kompetenz ist das Vermögen zur Bewältigung einer Situation.

Kompetenz setzt sich zusammen aus:

Bereitschaften (Motivation und Volition)

Fähigkeiten (physisch und psychisch)

Wissen (Sachwissen, Sprachwissen, Sozialwissen, Strategiewissen, Kulturwissen, …)

Fertigkeiten (sachliche, sprachliche, strategische, kulturelle …)

Was ist Kompetenz?



• Fähigkeiten entwickeln (physisch und psychisch)

• Wissen aufbauen (Sachwissen, Sprachwissen, Sozialwissen, Strategiewissen, Kulturwissen, …)

• Fertigkeiten entwickeln (sachliche, sprachliche, strategische, kulturelle …)

• Bereitschaften entwickeln (Motivation und Volition)

• Situationsbewältigung trainieren

Wie erfolgt Kompetenzentwicklung?



Aufmerksamkeit schaffen

Kompetenzorientiert unterrichten




Präsenz und Konzentration herstellen






Thema einführen (Herbeiführen einer kognitiven Dissonanz

als Lernen auslösendes Moment)






Thema einführen (Herbeiführen einer kognitiven Dissonanz als Lernen auslösendes Moment)

Interesse am Thema diagnostizieren und gegebenenfalls Lerner motivieren




Vorwissen und Vorerfahrungen diagnostizieren und (re)aktivieren





gegebenenfalls eine gemeinsame Basis herstellen (instruktiv oder erarbeitend)






Transparenz schaffen (hinsichtlich der geplanten Lernziele, Inhalte und Methoden)







zentrales Problem vorstellen







zentrales Problem vorstellen

komplexe Kompetenzaufgabe erklären und Arbeitsaufträge stellen

(Instruktion) (evtl. differenziert)




erwartete Verhaltens- und Arbeitsweisen erklären





Leistungskriterien transparent machen






evtl. ein Modell geben / zeigen






evtl. ein Modell geben / zeigen

evtl. Hilfsgerüste (scaffolds) (inhaltlich-kognitiv, sprachlich- diskursiv,

kommunikativ- interaktional, metakognitiv, …) geben




evtl. vorbereitende Übungen zu Teilkompetenzen organisieren





Einzelarbeitsprozesse organisieren (Aufgaben) und begleiten






Gruppenarbeitsprozesse organisieren (Aufgaben) und begleiten






Gruppenarbeitsprozesse organisieren (Aufgaben) und begleiten

Plenararbeitsprozesse organisieren (Aufgaben) und begleiten




Ergebnisse sichern




Ergebnisse sichern

Lerner beurteilen / Gruppen beurteilen (prozessorientiert / produktorientiert)




Ergebnisse sichern


Metareflexion organisieren




Ergebnisse sichern


Metareflexion organisieren

evtl. nachbereitende Übungen zu Teilkompetenzen organisieren




Lernerfolgskontrolle durchführen




Lernerfolgskontrolle durchführen

für einen Abschluss sorgen




focus on meaning / communication

focus on form

Grammatik im k.orientierten FSU



Grammatik als Lernziel (Subkompetenz Sprachwissen)

> Focus on form

Grammatische Hilfskonstrukte (scaffolds) im Rahmen einer komplexen Lernaufgabe




1. Präsentation des grammatischen Phänomens in einem typischen situativen Kontext

2. Offenlegen einer möglichen kognitiven Dissonanz

3. Analyse (induktiv oder deduktiv) und Verbalisierung der kommunikativen Funktion

4. Paradigmatische Darstellung der Form

5. Vergleich mit anderen Sprachen

6. Abgrenzung zu anderen Phänomenen der Zielsprache

7. Verbalisierung von Form und Funktion durch den Lerner („mit eigenen Worten“)

8. Geläufigkeitstraining (nicht- und halbkommunikative Übungen) > Automatisierung

9. Kommunikative Anwendung des grammatischen Phänomens im situativen Kontext




Butzkamm, Wolfgang (2004): Lust zum Lehren, Lust zum Lernen. Eine neue

Methodik für den Fremdsprachenunterricht. Tübingen und Basel: Francke.

Gnutzmann, Claus (2010): „Sprachliche Strukturen und Grammatik“ In: Hallet,

Wolfgang / Königs, Frank G.(Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze: Klett

Kallmeyer. S. 111 – 115.

Hallet, Wolfgang (2011): Lernen fördern: Englisch. Kompetenzorientierter Unterricht

in der Sekundarstufe I. Seelze: Klett Kallmeyer.

Haß, Frank: Zum Verhältnis von Allgemeiner Didaktik und Fachdidaktik Englisch.

Reflexionen, Desiderata und Perspektiven eines interdisziplinär-integrativen

Didaktikverständnisses. Berlin: Pro business.

Kieweg, Werner (2006): „Grammatik“ In: Haß, Frank (Hrsg.): Fachdidaktik Englisch.

Tradition. Innovation. Praxis. Stuttgart: Klett. S. 127 – 137.

Literatur



Mertens, Jürgen (2006): „Grammatik – La grammaire est une chancon douce“ In:

Nieweler, Andreas (Hrsg.): Fachdidaktik Französisch. Tradition. Innovation. Praxis.

Stuttgart: Klett. S. 190 – 205.

Pienemann, Manfred / Kessler, Jörg-U. / Roos, Eckhard (Hrsg.) (2006):

Englischerwerb in der Grundschule. Paderborn: Schöningh.

Schröder, Konrad (2010). „Grammatik und Grammatikvermittlung“ In: Suhrkamp,

Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Ansätze. Methoden.

Grundbegriffe. Stuttgart und Weimar: Metzler. S. 92 – 97.

Schumann, Adelheid (2009): „Grammatik“ In: Grünewald, Andreas / Küster, Lutz

(Hrsg.): Fachdidaktik Spanisch. Tradition. Innovation. Praxis. Seelze: Klett Kallmeyer.

S. 206 – 209.

Literatur



Weinert, F.E. (2001): „Vergleichende Leistungsmessung“ In: Weinert, F.E. (Hrsg.):

Leistungsmessung in Schulen. Weinheim: Beltz. S. 17 – 32.

Wollersheim, Heinz-Werner (1993): Kompetenzerziehung. Befähigung zur

Bewältigung. Frankfurt/M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien: Lang.

Literatur



Vielen Dank für Ihr Interesse!

Mehr Informationen, sowie Downloads von Vorträgen und Aufsätzen finden sie unter:

www.angewandte –didaktik.de

Bei Fragen und Anregungen können sie mich per E-Mail erreichen unter:

f.hass@angewandte –didaktik.de

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